Erobert auf der griechischen Trauminsel

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Ich werde mich niemals verlieben, glaubt die junge Schneiderin Claire - bis sie auf der griechischen Insel Santorin für Marco Fortini einen Anzug umarbeiten soll. Denn dieser Traummann scheint entschlossen, sie von der Liebe zu überzeugen und die Mauer um ihr Herz einzureißen …


  • Erscheinungstag 30.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716769
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Claire war nervös und sah sich immer wieder um, doch niemand war hinter ihr. Natürlich nicht. Um diese Zeit war Venedig wie ausgestorben. Reiß dich zusammen, dachte Claire und schüttelte verärgert den Kopf. Das ungute Gefühl wurde sie trotzdem nicht los. Zu solch einer merkwürdigen Stunde an einen Ort gerufen zu werden, den sie nur von der Landkarte her kannte, war unheimlich. Da half auch alles rationale Denken nicht. Normalerweise litt sie nicht unter Verfolgungsängsten, aber diese ganze Situation verursachte in ihr ein starkes Unwohlsein.

Ihre liebste Stammkundin Sofia Fortini hatte sie für fünf Uhr dreißig zur Ponte dellʼAccademia bestellt. Warum, hatte sie ihr nicht verraten. Die betagte Italienerin hatte lediglich gesagt, es sei wichtig, und dabei sehr seltsam geklungen. Geheimnisvoll, verschwörerisch. Der Ort, an dem sie sich treffen wollten, verstärkte Claires merkwürdiges Gefühl noch, von der Uhrzeit ganz zu schweigen.

Die Ponte dellʼAccademia hatte sie bislang noch nie gesehen – und das, obwohl sie bereits vier Monate in Venedig lebte. Vom Stadtleben hatte sie in dieser Zeit so gut wie noch nichts genießen können. Wie denn auch, mit Ricardo und all seinen Dramen?

Seit Claire in Venedig angekommen war, hatte sie eigentlich nur die alte Änderungsschneiderei gesehen, die sie gemeinsam mit ihrem Mann übernommen hatte. Innerlich zuckte sie zusammen, als ihre Gedanken zu Ricardo wanderten. Es war eine Schnapsidee gewesen, hierherzuziehen, aber wie immer hatte sie Ricardo den Wunsch nicht abschlagen können. Ihm war England zu dunkel, zu regnerisch, und er hatte sich nach seiner alten Heimat gesehnt. Also waren sie nach Venedig gezogen, Hals über Kopf. Ein Freund von einem Verwandten eines Bekannten hatte ihnen die alte Schneiderei in einer kleinen Seitengasse verkauft, so wie es in Italien nun einmal üblich war. Hier kannte jeder irgendwen mit irgendwelchen Beziehungen. Nur dass der Laden überhaupt keinen Kundenstamm vorweisen konnte und es aus dem Gully vor der Tür stank wie die Hölle, das hatte man vergessen zu erwähnen.

Wieso hatte sie nur nicht Nein zu diesem Umzug gesagt? Wieso hatte sie sich so gedankenlos darauf eingelassen? Sie hasste es, dass sie immer wieder nachgab, doch irgendwie konnte sie auch nicht aus ihrer Haut. Ihre Mutter hatte sie so erzogen: brav sein, keine Widerworte geben, darauf hören, was die Männer sagten. Das waren die Leitlinien ihres Elternhauses gewesen. Und was hatte es ihr gebracht, immer alles brav mitzumachen? Nichts. Bei dem Gedanken an ihre Mutter stellten sich automatisch die Härchen auf ihrem Arm auf. Ihre Mutter … Wenn sie herausfand, dass die Ehe ihrer Tochter gescheitert war und diese auf ganzer Linie versagt hatte … Nein, darüber wollte Claire nicht weiter nachdenken. Vor allem, weil sie auch schon so genug Probleme hatte.

Sie war eine einsame Engländerin in einer fremden Stadt. Verlassen und betrogen vom eigenen Ehemann. Sie war zum Gesprächsthema Nummer eins ihrer Nachbarschaft geworden. Nur Sofia hatte zu ihr gehalten, obwohl sie sich kaum gekannt hatten.

Treulose Ehemänner könne sie nicht leiden, hatte sie erklärt – und ihr seitdem eine Kundin nach der nächsten angeschleppt.

Daher wusste Claire, was sie an der älteren Dame hatte. Sie als Freundin zu bezeichnen, wagte sie jedoch noch nicht. Dazu war sie ihr zu fremd, und sie verstand viele Dinge nicht, die sie ihr in schnellem Italienisch erzählte. Ihr eine Bitte auszuschlagen, wäre Claire jedoch niemals in den Sinn gekommen. Außerdem konnte sie es sich nicht leisten, ihre einzige wirkliche Stammkundin zu verprellen. Selbst mit Ricardos Unterstützung im Laden hatten sie sich gerade so über Wasser halten können. Ohne ihn musste sie an ihr Erspartes gehen. Und das würde bald aufgebraucht sein. Noch in diesem Monat. Deshalb war sie jetzt frühmorgens hier, in den Straßen von Venedig, mit einem Stadtplan in der Hand und wenig Orientierung.

Sie fragte einen Gondoliere, der gerade mit seinem Kahn anlegte, um Rat. Er beschrieb ihr den Weg und lächelte freundlich, als er die Erleichterung in ihrem Gesicht sah. Nicht mehr weit. Nur noch diese Gasse entlang, dann nach links, schon war sie da.

Die Straßen waren fast unheimlich leer. Die Touristen schliefen friedlich in ihren Betten und träumten von steinernen Brücken, die sich über die Flüsse bogen, von Bootsfahrten und den vielen Billigmasken, die es in jedem zweiten Laden zu kaufen gab. Sie würden bald aufwachen, doch bis dahin war noch etwas Zeit. Claire hatte Venedig deshalb fast für sich allein. Fast.

Sie entdeckte Sofia, die auf einer hölzernen Brücke stand und auf das Wasser hinunterblickte. In einiger Entfernung dahinter sah Claire die beeindruckende Kuppel der barocken Kirche Santa Maria della Salute an der Einfahrt zum Canal Grande. Sie wusste von ihrem Stadtplan, dass diese Brücke die Stadtteile San Marco mit Dorsoduro verband und geradewegs zum bekanntesten Museum in Venedig führte. Nicht, dass sie schon einmal da gewesen war. Die Stadt war ihr fremd, genauso wie ihr neues Leben.

Die alte Dame hatte sie wohl bemerkt, denn sie wandte sich ihr zu. An der Brüstung lehnte ihr dunkelbrauner Gehstock, der deutlichste Hinweis auf ihr Alter. Trotzdem. In dieser Sekunde sah sie so mädchenhaft verträumt aus, dass man sie niemals auf 79 Jahre geschätzt hätte. Vor allem, als sie lächelte.

Buongiorno, Signora Daventi“, begrüßte die Italienerin sie herzlich und gab ihr rechts und links zwei angedeutete Küsschen auf die Wange. Claire hatte sich an diese Art der körperlichen Begrüßung zunächst gewöhnen müssen, aber mittlerweile mochte sie dieses südländische Ritual sogar ganz gerne. „Wie schön, dass Sie gekommen sind.“ Die Seniorin hatte einen seltsamen Glanz in den Augen, als sie sich wieder dem Kanal und damit dem atemberaubenden Anblick der noch schlafenden Stadt zuwandte.

„So früh am Morgen liebe ich Venedig am meisten. Mein Mann und ich kamen immer hierher, denn diese Brücke ist etwas ganz Besonderes für uns. Hier haben wir uns kennengelernt. Ich hatte im Gedränge meinen Schuh verloren, er hob ihn auf und gab ihn mir zurück. Seitdem ist das unsere Brücke.“ Den letzten Rest hatte sie fast geseufzt, und Claire vernahm die Trauer in ihrer Stimme. Sofias Mann war vor zwei Jahren verstorben. Es musste schwer für sie sein.

Die Engländerin war unsicher, wie sie auf Sofias so offensichtlichen Schmerz reagieren sollte. Sie schwieg deshalb und sah mit ihr zusammen auf den Kanal. „In drei Wochen werde ich achtzig“, sagte die Italienerin leise und legte Claire die Hand auf den Arm. „Es wäre schön gewesen, wenn mein Francesco diesen Tag noch mit mir gefeiert hätte, aber manchmal hat das Leben andere Pläne.“

Ja, das stimmte. Manchmal lief das Leben ganz anders als geplant. Claire schauderte innerlich, als sie an das Chaos in ihrem Leben dachte. Natürlich hätte sie einfach nach England zurückkehren können, doch auch da erwartete sie niemand. Ricardo hatte sie von ihren Freunden isoliert und das so geschickt gemacht, dass sie nicht einmal registriert hatte, wie ihr das Leben entglitten war.

Wie hatte sie nur so naiv sein können? Wieso hatte sie immer das getan, was er wollte? Manchmal war sie kurz davor gewesen, zu protestieren, doch dann hatte sie die Stimme ihrer Mutter gehört. Sei brav. Sei kein störrischer Esel. Jetzt stell dich nicht so an. Obwohl diese Worte nur in Claires Kopf zu hören waren, konnte sie gar nicht anders, als zu gehorchen. Jetzt hatte sie den Preis erkannt. Jetzt, wo es zu spät war.

Sie verdrängte die unliebsamen Gedanken und konzentrierte sich auf das Gespräch.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie Sofia und hoffte, dass das nicht zu direkt war. Sie war einfach neugierig.

„Ich möchte, dass Sie für meinen Enkel den alten Hochzeitsanzug von meinem Francesco umnähen. Marco ist so viel kräftiger als mein Mann. Der Anzug passt ihm garantiert nicht. Ich möchte jedoch, dass er ihn auf der Feier zu meinem achtzigsten Geburtstag trägt. Ich weiß, es ist ein alberner Gedanke, aber ich habe Francesco so gerne in diesem Anzug gesehen, und jetzt, wo er nicht mehr da ist …“ Die alte Dame verstummte, lehnte die Arme auf das Geländer und blickte mit müden Augen auf das Wasser hinunter.

„Diese Aufgabe übernehme ich sehr gerne“, sagte Claire sanft. „Wann hätte ihr Enkel denn Zeit, sich mit mir zu treffen?“

„Das ist das Problem. Marco hat sich nach dem Tod seines Großvaters erst in die Arbeit gestürzt und dann zunehmend zurückgezogen. Wenn er durchatmen möchte, flüchtet er sich nach Santorin. Dort hat er eine große Villa und Ruhe vor der Hektik von Venedig.“

„Santorin? Die griechische Insel Santorin meinen Sie?“, fragte Claire verblüfft.

„Ja, Marco liebt Griechenland, genau wie sein Großvater es tat. Ich glaube, er hat manchmal genug von den Italienern und zieht sich dorthin zurück. Er trägt hier viel Verantwortung, wissen Sie? In Italien kennt jeder seine Familie, jeder weiß, was er macht. Auf Santorin kann niemand etwas mit dem Namen Fortini anfangen.“

Um ehrlich zu sein, wusste Claire auch nicht viel über die Fortinis. Sofia sah definitiv aus, als hätte sie mehr als genug Geld, dementsprechend kleidete sie sich auch. Aber in welchen Kreisen genau sie sich bewegte, war der Schneiderin bislang egal gewesen.

„Wann kommt er denn wieder zurück?“, hakte Claire nach. „Von einem Tag auf den anderen kann ich den Anzug nicht umnähen.“

„Das ist das zweite Problem. Sie müssen zu ihm. Er hat wenig Verständnis für meine romantischen Ideen, aber wenn er nicht zur Schneiderin kommt … muss die Schneiderin eben zu ihm kommen.“ Die alte Dame zwinkerte ihrem Gegenüber zu und grinste verschwörerisch. „Sind sie schon mal mit einem Privatjet auf eine griechische Insel geflogen? Nein? Dann haben sie jetzt die einmalige Gelegenheit dazu.“

Claire wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Im ersten Moment wollte sie protestieren, doch wie immer konnte sie Herzenswünsche einfach nicht abwehren. „Wann soll es denn losgehen?“, fragte sie vorsichtig.

Sofia musterte sie aus grauen Augen. „Der Privatjet fliegt um fünfzehn Uhr los.“ Sie lächelte entschuldigend. „Bitte verzeihen Sie den Überfall, aber Sie sollten mal raus hier, wieder zur Ruhe kommen. Santorin wird Ihnen vielleicht helfen, etwas Abstand zu finden.“

„Und warum wollten Sie sich hier auf der Brücke mit mir treffen?“ Claire verstand das Verhalten ihrer Stammkundin noch immer nicht.

„Ich wollte, dass Sie den Zauber von Venedig spüren, bevor Sie nach Santorin aufbrechen. Nicht, dass Sie am Ende dort bleiben wollen. Ich brauche Sie nämlich hier an meiner Seite. Ich wollte aber auch, dass Sie verstehen, wie wichtig mir der Anzug ist. Sie sind die einzige Schneiderin, der ich in dieser Sache vertraue.“

Claire seufzte innerlich. Italiener waren wirklich hoffnungslose Romantiker. Wie gerne würde sie sich auch einfach fallen lassen, sich in eine Liebe stürzen, die ihr ganzes Leben bestimmen würde – nur wegen eines Schuhs und einer Brücke. Ricardo und sie hatten niemals solch einen wunderschönen Rückzugsort gehabt. Um ehrlich zu sein, hatte sie Ricardo … Nein, dieses Geheimnis wollte sie nicht einmal vor sich selbst zugeben, also verdrängte sie den aufkommenden Gedanken mit aller Kraft.

„Also? Lassen Sie sich auf das Abenteuer ein?“, riss Sofia sie aus den Gedanken.

„Ja“, antwortete Claire schlicht. Ihr war längst klar, dass sie ohnehin keine andere Wahl hatte. Sie brauchte jeden Auftrag, den sie bekommen konnte. Claire wandte sich bereits zum Gehen, da hielt die alte Italienerin sie zurück.

„Ich würde das nicht von Ihnen verlangen, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass es eine gute Sache ist – für alle Beteiligten. Marco wird mehr und mehr zum Einsiedler, der Frauen regelrecht verachtet. Sie sind so ein herzensguter Mensch – ich bin sicher, Sie werden seine raue Schale ganz schnell geknackt haben.“

Sofias Lächeln war herzlich, während sich Claire zwingen musste, um es zu erwidern. Ein Frauenverachter auf einer einsamen Insel – und bei dem sollte sie ein Vorhaben seiner Großmutter durchsetzen? Das konnte ja heiter werden.

Marco Fortini ärgerte sich schon über die Schneiderin seiner Großmutter, da kannte er sie nicht einmal. Was war das nur für eine hirnrissige Idee, den Anzug seines Großvaters umnähen zu lassen, damit er ihn auf ihrem Achtzigsten tragen konnte? Das würde seine Nonna nur traurig machen. Er hatte tausend Anzüge, die weit bessere Qualität hatten als dieses alte Modell.

Da er seiner Nonna jedoch keinen Wunsch abschlagen konnte – außer selbst nach Venedig zurückzukehren, und das wäre dann doch etwas zu viel verlangt gewesen –, hatte er sich breitschlagen lassen. Das hieß aber nicht, dass er die Schneiderin mit offenen Armen empfing. Frauen hatten in seiner persönlichen Rückzugsstätte auf Santorin noch viel weniger zu suchen als in seinem Leben in Italien.

Er hielt nicht viel vom weiblichen Geschlecht – und dafür hatte er gute Gründe. Gründe, die ihn wie immer innerlich zittern ließen. Vor Wut, vor Frust, ja, vielleicht auch ein wenig vor Trauer. Seine Gefühle fuhren stets Achterbahn, sobald seine Gedanken in diese Richtung wanderten.

Zu seinem Vater. Zu dem Verrat. Zu dem Moment, als er ihn verlassen hatte.

Bevor er den Gedanken beenden konnte, schüttelte er vehement den Kopf. Nein. Die Sache mit seinem Vater und den Frauen war Vergangenheit. Er hatte damit abgeschlossen – und zwar mit beiden. Marco hatte einen Schlussstrich gezogen, um sich selbst zu schützen.

Seitdem hielt er sich an seinen Schwur. Keine Frauen. Punkt.

Leider hatte er die Rechnung ohne seine Nonna gemacht – und so stand er nun vor dem Flughafen im absoluten Parkverbot und grummelte vor sich hin. Eigentlich hatte er fest vorgehabt, die Schneiderin nicht vom Gate abzuholen, doch jetzt, wo er hier wartete, regte sich das schlechte Gewissen. Wenn das rauskam, würde es Ärger mit seiner Nonna geben. Sie legte großen Wert auf gutes Benehmen.

Seufzend stieg er aus dem modernen Jeep, knallte die Tür zu und ging zum Haupteingang. Er fragte sich gerade, wie er die Schneiderin überhaupt erkennen sollte, da kam eine junge Frau aus dem Flughafengebäude. Sie hatte sich eine winzige zerknautsche braune Ledertasche über die Schultern geworfen und trug schwer an einem eckigen schwarzen Koffer und einem in schwarze Schutzfolie eingepackten Anzug. Das war dann wohl die Schneiderin. Verwechslung ausgeschlossen.

„Signora Daventi?“

Die junge Frau blieb augenblicklich stehen und musterte ihn. Wahrscheinlich sah sie in erster Linie nur die riesige schwarze Sonnenbrille und den alten Borsalino-Hut, den er sich tief in die Stirn gezogen hatte. Das Teil entsprach zwar nicht mehr der Mode, hatte aber seinem Großvater gehört.

„Marco Fortini?“, entgegnete sie vorsichtig und mit falscher italienischer Aussprache. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, ihre Schneiderin sei Engländerin, die einen Italiener geheiratet hatte. Ein weiteres Indiz. Da stand definitiv Claire Daventi vor ihm. Irgendwie hatte er sie sich ganz anders vorgestellt. Älter. Definitiv älter.

Theoretisch hätte er ihr nun die Hand geben oder sich leicht verbeugen sollen, doch dazu hatte er gerade keinen Nerv. Die Frau ging ihm jetzt schon auf den Geist. Die Stimme war zu niedlich, der Augenaufschlag bezaubernd und dann erst diese sinnliche, kurvige Figur. Claire Daventi gefiel Marco auf Anhieb, was ihm gar nicht passte. Er hasste solche Situationen, brachten sie doch nichts als Ärger.

„Kommen Sie“, sagte er unfreundlicher als beabsichtig und lief voraus. Sie folgte ihm etwas langsamer, balancierte umständlich den riesigen Nähmaschinenkoffer und die kleine Tasche. Die Sonne brannte gnadenlos vom wolkenfreien Himmel. Marco hatte derweil seinen Jeep erreicht, öffnete die Kofferraumtür und wartete auf die Schneiderin. Er half ihr schließlich doch mit ihrem Gepäck und warf es in den Wagen. Ihre Reisetasche war verwirrend leicht.

„Haben Sie Ihr Gepäck vergessen?“, knurrte er. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zur Fahrertür und stieg ein. Die Schneiderin zögerte draußen und machte dann die hintere Tür auf.

„Bin ich Ihr Taxifahrer? Kommen Sie nach vorne“, forderte er sie auf. Mit der linken Hand zog er sich den Hut vom Kopf, während er mit der rechten den Zündschlüssel umdrehte.

Die Schneiderin warf die hintere Tür hastig wieder zu und kam nach vorne. Erst jetzt nahm er ihren Duft wahr. Blumig, aber nicht aufdringlich. Er hatte zwar keine Ahnung, nach welcher Blume sie duftete – und es war ihm eigentlich auch herzlich egal –, aber er musste dennoch zugeben, dass sie wirklich gut roch. Sehr gut.

Verärgert über sich selbst gab er Gas, noch bevor sie sich überhaupt angeschnallt hatte. Sie schrie leise auf, ein seltsamer Laut, und krallte sich am Sitz fest. Wenn er sich nicht irrte, war sie eine Nuance blasser geworden. Ihre Haut war allerdings ohnehin ziemlich weiß. Das typische Erbe einer Engländerin. Was ihr ausgesprochen gut stand.

Er hätte schwören können, dass sie ihn wegen seines abrupten Anfahrens zurechtweisen würde, doch das blieb aus. Sie atmete lediglich tief durch, glättete ihr zerknautschtes Kleid und blickte betont desinteressiert aus dem Fenster. Er warf ihr einen schnellen, möglichst unauffälligen Blick zu. Das Kleid war blau mit weißen Blümchen und reichte ihr bis zu den Knien. Der Ausschnitt war tief, aber nicht so tief, dass es ihn gestört hätte. Er betonte ihre wohlgerundeten Brüste, die perfekt zu ihrer weiblichen Figur passten.

Er hätte es niemals laut ausgesprochen, aber das gefiel ihm ziemlich gut.

„Sollten Sie nicht lieber auf die Straße gucken, anstatt mich zu mustern?“, fragte sie und wandte sich ihm zu. Dabei fiel ihm ihr langer Hals auf, der sie ausgesprochen graziös wirken lies.

Hastig sah er nach vorne auf die Straße. „Ich wollte nur wissen, wen ich mir da ins Haus hole“, erwiderte er kurz angebunden.

„Ich bin Claire Daventi, eine englische Schneiderin mit einem Laden in Venedig. Das wüssten Sie, wenn Sie mir die Chance gegeben hätten, mich vorzustellen. Ist Händeschütteln aus der Mode gekommen oder macht man das als Inselschrat am Strand einfach nicht?“ Sie riss erschrocken die Augen auf, als ihr bewusst wurde, was sie da gesagt hatte. In diesem Augenblick sah sie wahnsinnig süß aus, und er konnte ein leicht amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken. Hoffentlich hatte sie es nicht gesehen. Auf ihren verbalen Angriff ging er gar nicht erst ein, denn dazu hatte er weder die Lust noch die Geduld. Offenbar war das auch gar nicht nötig, denn sie ruderte ganz von selbst zurück.

„Entschuldigung, Signor Fortini. Ich bin wohl gerade etwas überfordert mit der Situation. Heute Morgen habe ich noch auf der Ponte dellʼAccademia mit Ihrer Großmutter gesprochen, jetzt sitze ich in dem teuersten Wagen, in dem ich je gefahren bin, und das auch noch auf Santorin, und lasse mich von Ihnen zu einer Privatvilla fahren. Das geht gerade über meine Vorstellungskraft.“

Um ein Haar hätte Marco abermals geschmunzelt. Claire schien angenehm bodenständig zu sein. Unter anderen Umständen hätte ihm das sicherlich gefallen, doch er ermahnte sich. Sein Schwur. Er musste sich daran halten. Es fiel ihm allerdings ausgesprochen schwer, den Blick von der hübschen Schneiderin abzuwenden. Sie hatte wirklich schöne Haare. Sanfte Wellen. Braun mit ein paar goldigen Strähnen darin. Gefärbt? Vermutlich. Am Hals hatte sie ein kleines Muttermal, das ab und zu von ihren einfachen blauen Hängeohringen gestreift wurde.

Reiß dich zusammen, dachte er schlecht gelaunt. Es gibt keinen Grund, gleich ins Schwärmen zu kommen.

Den Rest des Weges schwiegen sie, was wohl auch daran lag, dass Claire staunend die Umgebung betrachtete. Ja, Santorin war wunderschön, atemberaubend. Viel Grün gab es nicht, dafür aber eine überaus dramatische Landschaft mit vielen Klippen und faszinierenden Stränden. Das Meer wirkte hier so blau wie nirgendwo sonst auf der Erde, an manchen Stellen war es rötlich gefärbt wie die Vulkanerde, aus der die Insel bestand.

Claire lehnte sich etwas nach vorne, als die Hauptstadt Thira in Sicht kam. Die weißen Gebäude schmiegten sich ganz natürlich an die Felsen, ein wenig sah es so aus, als würde die Stadt über dem Meer schweben. Marco liebte diesen Anblick und lächelte leicht, als er den verträumten Ausdruck im Gesicht der Schneiderin bemerkte. Auch sie schien dem Zauber der Insel augenblicklich zu verfallen.

Sie fuhren weiter bis nach Oia, ganz am nördlichsten Zipfel von Santorin. Weiße Häuser drängen sich dort aneinander, wie verschmolzen mit den Klippen. Marcos Privatvilla lag deutlich abseits vom Trubel, etwas versteckt hinter steilen Felsvorsprüngen in der Nähe des kleinen Hafens Ammoudi. Er hatte Wert darauf gelegt, einen Zugang zum Meer zu haben und gleichzeitig ein Teil der phänomenalen Felslandschaft zu sein. Als er die Villa entdeckt hatte, war ihm sofort klar gewesen, dass sie perfekt für ihn war.

Er hielt vor dem riesigen Tor und drückte auf den elektrischen Toröffner. Lautlos schwang es auf und gab einen fantastischen Blick auf die Villa frei.

„Ich möchte, dass Sie mich gleich vermessen oder was immer Sie mit mir anstellen müssen“, erklärte er, während er seinen Wagen gekonnt den Schotterweg entlangfuhr. „Morgen reisen Sie wieder ab.“

„Was? Das geht nicht. Ich habe versprochen, den Anzug komplett fertigzustellen, damit Sie ihn anprobieren und sicher sein können, dass er perfekt passt. Das schaffe ich nicht von einem Tag auf den anderen.“

Er warf ihr einen scharfen Blick zu, den sie dank der Sonnenbrille nicht sehen konnte. „Sie haben heute und morgen. Abends bringe ich Sie wieder zum Flughafen. Wie Sie das schaffen, ist Ihre Sache. Fangen wir sofort an. Wir haben schließlich nicht viel Zeit“, sagte er barsch.

Sie funkelte ihn wütend aus seltsam hellbraunen, fast sandfarbenen Augen an. Solch eine Augenfarbe war selten. Er hatte Mühe, sich von diesem Anblick loszureißen, und stieg aus dem Wagen. Wie sie das mit dem Gepäck regelte, war ihm ziemlich egal, und auch, dass sie Schwierigkeiten haben würde, ihm zu folgen, ließ ihn kalt. Wobei … ein wenig schlechtes Gewissen hatte er doch. Seine Nonna wäre sehr wütend, wenn sie sein unmögliches Benehmen sehen würde, aber sie war ja selbst dran schuld. Was schickte sie auch eine Frau zu seinem persönlichen Rückzugsort?

Nein, er würde Claire nicht mit offenen Armen empfangen. Sie war nicht nur ein Eindringling, sondern noch dazu ein äußerst unerwünschter. Frauen wollten doch immer als gleichberechtigte Partner behandelt werden, oder? Dann sollte sie auch zusehen, wie sie das Gepäck handeln und den Weg finden konnte.

Autor

Cathy Bell
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