Verlobt, verführt – und verliebt?

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Turbulente Zeiten für Milliardär Tate Duncan: Erst erfährt er, dass er adoptiert wurde, dann verlässt ihn seine Braut. Ruhe findet er bei Yogalehrerin Hayden - noch nie hat er die Nähe der entspannten, sexy Schönen so gebraucht wie jetzt. Spontan überredet er sie, an Weihnachten mit ihm nach London zu seinen leiblichen Eltern zu fliegen … als seine Scheinverlobte! Ein gewagtes Vorhaben mit ungeahnt sinnlichen Folgen. Ehe er sichs versieht, steckt Tate in einer heißen Affäre, die sein Leben erst recht auf den Kopf stellt …


  • Erscheinungstag 15.09.2020
  • Bandnummer 2151
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726362
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tate Duncan stand unter dem Vordach des Brass Pony, eines Fünf-Sterne-Restaurants, und starrte in den strömenden Regen. An der Bar dieses Restaurants hatte er schon so einiges an Whiskey getrunken. Sollte er auch jetzt lieber drinnen den Regen abwarten und sich von innen aufwärmen?

Nicht gerade ein idealer Abend zum Spazierengehen.

Spazierengehen war hier jedoch angesagt in der Spright Wellness Community, kurz SWC genannt, einer Luxussiedlung für Leute, denen es auf ein gesundes Leben ankam. Überall gab es breite Bürgersteige, außerdem gut befestigte Pfade durch die Anlagen und Wäldchen, sodass es wesentlich bequemer war, zu Fuß zu gehen, als die gewundenen Straßen mit dem Auto zu bewältigen.

Vor fünf Jahren hatte er zusammen mit einem sehr engagierten Team von Architekten und Bauleuten diese Wellness Community auf Spright gebaut, einer Insel vor Seattle im Staat Washington, die mit einer Fähre in einer halben Stunde von der Stadt aus zu erreichen war. Tates Adoptiveltern hatten ihm die Insel zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt, ein bisher unbebautes Stückchen Erde, und er hatte darauf geachtet, dass möglichst viel von der ursprünglichen Natur erhalten blieb. So war ein friedliches und naturnahes Paradies entstanden, das besonders die Städter anzog.

Seine Rechnung war aufgegangen. Die wohlhabende Job-Elite von Seattle sehnte sich nach dem Leben in einer Gegend, wo die Nachbarschaft noch intakt war und man mit und in der Natur leben konnte. Die Spright Wellness Community war bald der heiße Tipp für diejenigen, die sich nach einem gesunden und naturnahen Leben, wenn auch durchaus im Luxus, sehnten.

„Regenschirm, Mr. Duncan?“

Jared Tomalin, der Manager des Brass Pony, lehnte sich aus der Tür und hielt ihm einen Schirm hin. Sein Lächeln schwand jedoch ziemlich schnell, denn Mr. Duncan wollte heute in Ruhe gelassen werden, das hatte Jared bereits gemerkt, als er Small Talk zu machen versuchte. Dabei hatte es durchaus Zeiten gegeben, in denen Tate so ein Angebot lächelnd angenommen hätte.

Heute warf er dem Manager nur einen missmutigen Blick zu, schlug den Jackenkragen hoch und trat in den Regen. Der Weg von etwa zwanzig Minuten in diesem kalten, nassen, ja, einfach miesen Wetter entspricht meinem miesen Leben, dachte er verbittert. Wie konnte das sein? Noch bis vor Kurzem war es immer nur aufwärtsgegangen, stetig und verlässlich, bis …

Ja, bis.

Er schob die Hände in die Taschen seiner Lederjacke, drückte das Kinn auf die Brust und hielt die Augen auf die Pfützen gerichtet. Das Restaurant lag quasi in der Mitte der kleinen Stadt und war unter anderem von Geschäften, Galerien, Yoga-Studios, Salons und Wellness-Anlagen umgeben, die Produkte und Service in bester Qualität anboten. Einerseits war in der SWC höchster Luxus angesagt, andererseits war man hier aufgehoben wie in einer familiären Gemeinschaft. Tate fühlte sich hier zu Hause.

Ein Auto fuhr vorbei, und unwillkürlich hob er den Kopf. Dabei fiel sein Blick auf Summer’s Market, den großen Supermarkt gegenüber, der nur frische und ausgesuchte Produkte anbot. Im Schaufenster leuchtete Gemüse und Obst in allen Farben. In den Holzregalen dahinter waren ganze Käseräder zu sehen und eine exzellente Auswahl an Weinen. Wie oft hatte er sich hier mit Nachbarn und Freunden zur Weinprobe getroffen. Und wie sehr hatte er es genossen, dass er dieses Leben führen konnte.

Ja, da war mir auch noch klar gewesen, wer ich war. War mit mir im Reinen.

Und jetzt? Er war immer davon ausgegangen, dass er der Sohn von William und Marion Duncan war, geboren und aufgewachsen in Kalifornien. In den letzten Wochen jedoch musste er sich mit der Frage abquälen, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass er bei den Duncans aufwuchs. Und in genau dieser Zeit hatte die Frau, die er heiraten wollte, ihn sitzen gelassen.

Ich komme damit nicht zurecht, Tate, hatte Claire gesagt und ihm den Verlobungsring zurückgegeben. Das war vor zwei Wochen gewesen. Seitdem hatte er unerträglich schlechte Laune, seine Freunde erkannten ihn nicht wieder und fingen an, ihm aus dem Weg zu gehen.

Der Regen trommelte auf seinen unbedeckten Kopf. Die teuren italienischen Lederschuhe waren längst durchweicht. Vielleicht hätte er den verdammten Schirm doch annehmen sollen. Er kam an einem Yogastudio vorbei, in dem noch Licht war. Er blieb vor dem Fenster stehen und wünschte, er wäre da drinnen in der Wärme. Mit seinem schimmernden Holzboden und den bunten aufgestapelten Yogamatten wirkte Haydens Yogastudio sehr einladend.

Er war bisher nur einmal im Studio gewesen, und zwar, um die junge Frau zu begrüßen, die die Räume gemietet hatte. Hayden Green war seit etwa einem Jahr hier. Hin und wieder sah er sie auf der Straße, hatte jedoch seit damals nicht mehr mit ihr gesprochen, obgleich von ihr etwas Helles und Strahlendes ausging. Fast immer lächelte sie, grüßte jeden freundlich, und er fragte sich, ob das eine Wirkung von Yoga war. Wenn ja, sollte er es vielleicht auch mal mit dieser Therapie versuchen. Dr. Schroder hätte dafür sicher nur ein müdes Lächeln übrig, aber die würde er sowieso nicht so bald wieder aufsuchen.

Die Probleme, die er früher mit seiner Therapeutin besprochen hatte, waren lächerlich im Verhältnis zu dem, was ihn jetzt bedrückte. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen hob und ihn mit großen, perfekt geschminkten Augen ansah, wenn er ihr erzählte:

Ja, ich habe herausgefunden, dass ich mit vier Jahren entführt worden bin und dann für viel Geld adoptiert wurde. Meine biologischen Eltern leben in London. Nein, meine Adoptiveltern wussten nicht, dass ich entführt worden war. Ja, London. Und ja, ich habe einen Bruder. Wir sind sogar Zwillinge.

Einfach verrückt, das Ganze. Und irgendwie auch unheimlich. Wie eine Geschichte, die man sich nachts am Lagerfeuer erzählt. Und die er eigentlich nicht glauben konnte, wahrscheinlich weil er sie nicht glauben wollte. Vielleicht war es nur die Erinnerung an einen Albtraum, in dem er auf seiner eigenen Geburtstagsparty weggeschleppt worden war, ohne dass es anfangs jemand bemerkt hatte. Ein Albtraum, aus dem er bald aufwachen würde, sodass ihm klar werden würde, dass er mit George und Jane Singleton genauso wenig verwandt war wie mit der Königin von England.

Schön wär’s.

Die eiskalten Regentropfen waren längst auf seiner Kopfhaut angekommen. Tate zitterte. Vor zwei Monaten war die Bombe geplatzt, seitdem hatte er keine Ahnung, ob sein Leben jemals wieder in normalen Bahnen verlaufen würde. Wenn er denn überhaupt noch wusste, was normal war.

Diese neue Situation war irgendwie surreal. Nach seinem geregelten, erfolgreichen Leben in Seattle hatte es ihn kalt erwischt, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Allein schon dieser Zufall! Zwei Zwillingsbrüder aus London, die getrennt voneinander aufgewachsen sind, begegnen sich nach dreißig Jahren in einem Coffeeshop in Seattle? Blühende Fantasie eines B-Movies? Nein, die Wahrheit.

Tate konnte es immer noch nicht fassen. Er blickte trotz des Regens nach oben. Die Straßenlaternen hatte er selbst entworfen und in der Werkstatt eines Metallkünstlers anfertigen lassen. Die Lampe war die Blüte, der Laternenpfahl der Stängel, umrankt von Blättern. Ihm schwindelte ein wenig. Ob sich an die Blüte ein Schmetterling heranwagen würde, ging ihm durch den leicht vernebelten Kopf. Doch dann atmete er ein paarmal tief durch.

Reiß dich zusammen, Duncan.

Duncan? Er war ja gar kein Duncan. Er war ein Singleton.

Was auch immer das bedeuten mochte.

Als der Teekessel pfiff, schrak Hayden Green von ihrem Buch hoch. Schnell lief sie in die Küche, drehte das Gas ab und griff nach ihrer Teetasse. Dabei warf sie einen Blick aus dem Fenster und blieb neugierig stehen. Zwar konnte sie im strömenden Regen nichts so richtig klar erkennen, dennoch war sie sicher, dass da jemand war. Sie kniff die Augen zusammen. Ja, ganz bestimmt. Vor ihrem Studio stand ein Mann in einer schwarzen Lederjacke. Sie drückte die Stirn gegen die Fensterscheibe, um genauer sehen zu können. Da sie das Licht in der Küche ausgemacht hatte, war sie selbst von unten nicht zu sehen.

Jetzt legte der Mann den Kopf zurück und ließ sich den Regen aufs Gesicht prasseln. Das war doch … „Tate Duncan, was machst du denn hier in diesem Sauwetter?“, flüsterte Hayden.

Tate Duncan, wer kannte ihn nicht auf dieser Insel? Er war der Eigentümer von Spright und ihn umgab eine geradezu mystische Aura. Auch sie hatte davon gehört, in welcher Form er sich für sein naturnahes Paradies hier eingesetzt hatte, wie er vor Gericht für schöne Straßenlampen gestritten und nichts unversucht gelassen hatte, seine ästhetischen Vorstellungen durchzusetzen.

Hayden hatte sich gleich in SWC verliebt. Es war eine wunderschöne und unglaublich entspannende Umgebung, vor allem für Menschen, die des hektischen Lebens in der Stadt überdrüssig waren. Sie selbst war in Seattle geboren, und ihr Familienleben war alles andere als harmonisch gewesen. So hatte sie sich immer danach gesehnt, einmal in einer Gegend zu wohnen, wo man gelassen und freundlich miteinander umging.

Als sie vor eineinhalb Jahren das erste Mal von der Spright Wellness Community gehört hatte, war sie gleich hergekommen, um sich das Ganze anzusehen. Wenige Tage später hatte die Bank ihr einen Geschäftskredit bewilligt, mit dem sie einen Mietvertrag für das Studio über einige Jahre abschließen konnte. Daraufhin kündigte sie ihren Job beim YMCA und ihre Wohnung und zog auf die Insel.

Kurz danach suchte Tate sie in ihrem Studio auf, um sie persönlich zu begrüßen, und lud sie zu einer Weinprobe im Summer’s Market ein, die am folgenden Wochenende stattfinden sollte. Die Geste rührte sie, und es war eine gute Gelegenheit gewesen, die Nachbarn kennenzulernen.

Da sich Männer selten in ein Yogastudio verirrten, war ihr Tate Duncan besonders im Gedächtnis geblieben. Hinzu kam, dass dieser legendäre Tate tatsächlich unverschämt attraktiv war. Gleich bei seinem ersten Lächeln waren ihr die Knie weich geworden.

Danach waren sie sich hin und wieder im Ort begegnet, entweder bei Summer’s oder im Restaurant oder in ihrem Lieblingscafé. Immer hatte er ihr zugelächelt, allerdings hatte sie jetzt schon länger nicht mehr mit ihm gesprochen. Das letzte Mal, es musste ungefähr drei oder vier Wochen her sein, hatte sie ihn gesehen, als sie aus der Post kam. Er telefonierte, und offenbar war es kein erfreuliches Gespräch, denn er hatte seine Augenbrauen fest zusammengezogen und sah nicht gerade glücklich aus. Als sein Blick zufällig auf sie fiel, winkte sie ihm zu, doch er reagierte nicht. Weder hob er die Hand noch lächelte er. Sehr seltsam, aber jeder hat mal einen schlechten Tag, hatte sie sich gesagt.

Als sie ihn jetzt da im strömenden Regen stehen sah, sicher durchnässt bis auf die Haut, fragte sie sich, ob das damals wirklich nur ein schlechter Tag gewesen war. Vielleicht bedrückte ihn tatsächlich etwas. Unwillkürlich warf sie einen Blick auf den Teekessel. Sollte sie ihn zu einer Tasse Tee einladen? Schließlich hatte er sie bei ihrem Einzug so nett begrüßt. War es da nicht nur recht und billig, dass sie seine Freundlichkeit erwiderte?

Sie ging an der Eingangstür vorbei und öffnete eine zweite Tür, die zu einer Treppe und hinunter in ihr Studio führte. Das war ihr eigener Zugang zu ihrem Apartment, das im ersten Stock lag. Darauf hatte sie Wert gelegt, denn in dem Gebäude waren mehrere kleine Firmen untergebracht, und ihr war ihre Privatsphäre wichtig.

Als sie im Studio das Licht anmachte, riss Tate auf der anderen Seite der großen Glaswand die Augen auf. Dann schien er sie zu erkennen, denn er hob kurz die Hand, wirkte aber irgendwie verlegen. Wahrscheinlich weil sie ihn ertappt hatte, wie er regungslos im Regen stand.

Da war Hayden instinktiv klar, dass er nicht nur eine heiße Tasse Tee brauchte, sondern vielleicht auch jemanden, der ihm zuhörte. Entschlossen machte sie die Tür auf. „Kein ideales Wetter für einen Spaziergang, was?“

Er strich sich das klatschnasse Haar zurück und brachte ein halbes Lächeln zustande. Seine schwarze Hose war vollkommen durchnässt, den Reißverschluss der Lederjacke hatte er bis oben zugezogen. Glücklicherweise hatte sie tagsüber Einkäufe gemacht und trug noch ihre normale Jeans und einen cremefarbenen Pulli. Wenn er sie in ihrem üblichen Outfit – Leggings mit übergroßem T-Shirt und ohne BH – angetroffen hätte, wäre das mehr als peinlich gewesen.

„Mein Teekessel hat sich gerade gemeldet“, sagte sie lächelnd und machte eine einladende Handbewegung. „Da habe ich Sie hier unten bemerkt. Und ich finde, Sie sehen aus, als könnten Sie eine Tasse Tee gebrauchen.“

„Tatsächlich?“ Er blickte kurz hinter sich, als wäre er unsicher, ob er gemeint war.

„Es sei denn, Sie warten hier auf jemanden.“ Sie hatte ihn ein paarmal im Ort mit einer hübschen Blonden gesehen. Sie hieß Claire, wie man ihr erzählt hatte, und war Tates Freundin und seit Kurzem auch mit ihm verlobt. Die Blonde hatte immer sehr ernst und ein bisschen steif gewirkt, ganz im Gegensatz zu Tate, der für jeden ein Lächeln und ein freundliches Wort hatte. Jetzt allerdings nicht.

„Nein, nein. Ich war im Pony“, er wies auf das Restaurant oben auf dem Hügel, „und bin vom Regen überrascht worden.“

„Ich würde Sie ja nach Hause fahren, aber ich habe kein Auto.“ Ihren Wagen hatte sie verkaufen müssen, um sich das neue Leben hier leisten zu können, doch sie hatte es nie bereut. Hier im Ort war alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen. Und sollte sie mal ein Auto brauchen, könnte sie sich immer ein Taxi rufen.

„Aber ich habe heißen Tee.“ Sie öffnete die Tür weit.

„Danke.“ Er trat über die Schwelle. Seine Schuhe hinterließen feuchte Flecken auf der Fußmatte im Eingang. „Oh, das tut mir leid.“

„Macht gar nichts.“ Sie schloss die Tür hinter ihm und nahm ein Handtuch aus dem Regal neben sich. „Wie wäre es mit einem sauberen flauschigen Handtuch?“

„Danke.“ Er griff danach und fing an, sein Haar trocken zu rubbeln.

„Tee gibt’s oben bei mir in der Wohnung.“ Hayden wies auf den Treppenflur. „Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Wasserflecken. So was stört mich nicht.“

Tate folgte ihr die Treppe hinauf und betrat ihr Apartment. Glücklicherweise hatte sie gestern ihren Putztag gehabt und alles blitzte und blinkte. Das war nicht immer so. Manchmal war sie einfach zu müde oder hatte keine Lust, ihr Apartment aufzuräumen.

Als er mitten im Wohnraum stand und sich umsah, kamen ihr plötzlich Zweifel. Was hatte sie sich dabei gedacht, ihn zu sich einzuladen? Bei seiner beeindruckenden Gestalt, groß und muskulös, wurde der Raum irgendwie immer kleiner, und sie fühlte seine Nähe umso deutlicher. Und seinen Sexappeal, den sie schon gespürt hatte, als er ihr das erste Mal die Hand gab.

Hayden Green, hatte er lachend gesagt, Sie haben den idealen Nachnamen für unsere Anlage.

Jetzt sah er sie mit einem fast verzweifelten Blick an. Nein, irgendetwas war mit ihm ganz und gar nicht in Ordnung. Am liebsten wäre sie quer durch den Raum auf ihn zugegangen und hätte ihn in die Arme genommen. Aber das kam nicht infrage. Er war schließlich verlobt. Außerdem war sie nicht an einer Liebesbeziehung interessiert.

Und wenn er noch so sexy war.

„Tee“, erinnerte sie sich leise und ging an ihm vorbei in die Küche.

2. KAPITEL

Tate zog die Lederjacke aus und hängte sie auf den Garderobenständer gleich neben der Tür. Sein Hemd war noch einigermaßen trocken, und er schlüpfte schnell aus den durchweichten Schuhen. Schlimm genug, dass sie nasse Spuren auf dem Teppich hinterlassen hatten.

Da er den Bau der gesamten Anlage komplett überwacht hatte, kannte er dieses Gebäude und die einzelnen Wohnungen. Wie erwartet war das Apartment modern eingerichtet, aber Hayden hatte ihm eine besondere Note gegeben. Mit den Kissen in sanften Farben, den Bildern und den Blumen wirkte es nicht nur frisch und gemütlich, sondern auch ein bisschen meditativ-esoterisch. Was bei einer Yogalehrerin wahrscheinlich nicht überraschend war.

„Gefällt mir gut, was Sie aus dem Apartment gemacht haben“, sagte er. Während er sich das Haar trocknete, sah er sich die Bilder auf dem Kaminsims an. Zu seiner Überraschung waren es nicht Fotos von Familienangehörigen oder von Haydens Freund, sondern gerahmte Sprüche unter Glas. Auf einem Bild war eine Frau in Yogapose zu sehen. Darunter stand: Sich biegen ist besser als brechen. Und in einem anderen Rahmen stand in weißer Schrift auf schwarzem Grund: Wenn du stolperst, mach daraus einen Tanzschritt.

„Was möchten Sie für einen Tee?“, rief Hayden aus der Küche.

„Mir egal.“

Normalerweise trank er keinen Tee. Vielleicht sollte er mal damit anfangen. Schließlich kam er ja aus bloody London.

„Ich habe grünen Tee, Pfefferminztee und Chai. Was möchten Sie?“

„Chai ist okay.“

„Gut.“

Er beobachtete sie, wie sie in der Küche hin und her ging, mit leichtem, ja, beinahe tänzerischem Schritt. Dabei summte sie vor sich hin. Tate schüttelte lächelnd den Kopf. Seltsam, er hatte das unbestimmte Gefühl, in einer therapeutischen Praxis zu sein, nur dass alles heiter und gelöst war. Und er irgendwie versucht war, loszulassen und sich zu öffnen.

Eigentlich erstaunlich, dass sie ihn eingeladen hatte. Schließlich kannten sie sich nicht besonders gut, und er musste einen merkwürdigen Eindruck gemacht haben, da draußen im strömenden Regen direkt vor ihrem Studio. Sollte er sie danach fragen?

Mit zwei Bechern, aus denen es dampfte, kam sie aus der Küche und stellte sie auf den Couchtisch. Als sie seinen zweifelnden Blick auf das Sofa bemerkte, lachte sie leise.

„Setzen Sie sich ruhig. Ich glaube, Ihre Hose ist trocken genug.“

Sie nahm ihm das Handtuch ab, brachte es ins Schlafzimmer und kam zurück. Ihr leichter eleganter Gang erinnerte ihn an Claire.

Claire. Vor zwei Wochen hatte sie die Verlobung gelöst, und ihre Abschiedsworte verfolgten ihn noch im Traum: Ich kann damit nicht umgehen, Tate. Ich habe einen anspruchsvollen Job und mein eigenes Leben. Ich bin sicher, auch du brauchst Zeit, dein Leben neu zu ordnen.

Ja, vielleicht. Aber er kam sich so entsetzlich allein vor, vor allem jetzt vor Weihnachten. Seine Adoptiveltern machten sich große Sorgen, obwohl er ihnen immer wieder versicherte, dass sich nichts ändern würde. Besonders seine Mutter fühlte sich schuldig.

Hayden entzündete eine Kerze und setzte sich dann neben ihn. Nein, der Vergleich mit Claire haute überhaupt nicht hin. Hayden war vollkommen anders. Schon äußerlich mit ihrem dunklen Haar und dem durchtrainierten wohlproportionierten Körper.

Er wies auf die Sprüche über dem Kamin. „Sie sind in Ihrem Leben bestimmt noch nie gestolpert.“

Hayden hob ihren Becher hoch, pustete und trank einen Schluck. Dann sah sie ihn lächelnd an. „Oh, doch, sogar schon häufiger. Wissen Sie, wie schwierig ein Kopfstand in Yogaposition ist?“

Er schüttelte den Kopf. „Wie läuft das Studio eigentlich? Ich habe mal überlegt, zu einem Ihrer Kurse zu kommen.“ Blöder Einstieg, aber vielleicht erklärte das, wieso er vor ihrer Tür gestanden hatte. „Äh, ich meine, ich habe ziemlich viel Stress in der letzten Zeit. Und da soll Yoga doch guttun.“

„Allerdings, sehr gut sogar. Ich gebe Gruppenkurse, aber auch Einzelunterricht.“

„In dem Fall haben Sie nur einen Schüler zurzeit?“ Wahrscheinlich war sie sehr gut in ihrem Beruf und hatte viel zu tun. Er war erst ein paar Minuten hier und fühlte sich bereits viel besser als vorher.

„Ja. Viele Menschen hier wollen Einzelunterricht. Andere wollen das, was sie gelernt haben, auch mal allein praktizieren. Für die, sofern sie Mitglied sind, öffne ich das Studio einmal pro Woche.“

„Da gibt es ja eine Menge Möglichkeiten.“ Tate war beeindruckt.

„Hier wohnen ja auch viele Menschen. Oder haben Sie das noch nicht bemerkt, Mr. Spright?“

Sie zwinkerte ihm zu, und ihm fielen ihre dichten dunklen Wimpern über den schokoladenbraunen Augen auf. War sie immer schon so hübsch gewesen und war es ihm bei ihren bisherigen kurzen Begegnungen nur nicht aufgefallen?

„Doch, das habe ich bemerkt“, sagte er lächelnd. Fast neunhundert Häuser gab es auf der Insel. Also genügend Klienten für Hayden.

„Ich kann nicht glauben, dass Sie sich über Yoga unterhalten wollen.“ Sie sah ihn ernst an und hob fragend die schmalen dunklen Augenbrauen. „Da unten im Regen sahen Sie so aus, als beschäftigte Sie etwas ganz anderes.“

Konnte sie Gedanken lesen? Tate fühlte sich zu ihr hingezogen, empfand Nähe und gleichzeitig erregende Spannung wie schon lange nicht mehr. „Ich hatte eigentlich nicht vor, darüber zu sprechen …“, begann er zögernd. Als sie den Kopf leicht zur Seite legte und ihn mit ihren großen Augen ernst ansah, wobei ihr das Haar in sanften Wellen um das Gesicht fiel, fasste er Mut. Doch wie sollte er beginnen? Er versuchte, sich zu sammeln, während er sie betrachtete, dieses herzförmige Gesicht, die gebräunte Haut, den zierlichen Hals … Sie war auf eine beunruhigende Art und Weise schön.

„Entschuldigen Sie“, unterbrach sie ihn in seinen Gedanken und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Das geht mich gar nichts an.“

Sie wollte ihre Hand wegziehen, doch Tate hielt sie fest. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich bin momentan nur in einer verwirrenden Lage. Noch vor sechs Wochen gab es bestimmte Dinge in meinem Leben, an denen ich nicht zweifelte.“ Wie unbewusst streichelte er Haydens Handfläche. „Zum Beispiel, dass meine Eltern William und Marion Duncan heißen.“

Als er ihren erstaunten Blick auffing, lächelte er. „Legal sind sie nach wie vor meine Eltern, das schon. Aber irgendwie auch nicht. Sie haben mich adoptiert.“

Sie schob die Lippen vor und runzelte die Stirn.

„Ich habe erst vor Kurzem erfahren“, fuhr er fort, „dass die Adoptionsagentur“ – oder, besser gesagt, die Entführer – „in Bezug auf meine biologischen Eltern gelogen haben. Sie sind nicht tot, sondern sehr lebendig und leben in London. Und ich habe einen Bruder“, er räusperte sich, „sogar einen Zwillingsbruder.“

Hayden blieb der Mund offen stehen. „Wow!“

„Wir sind zweieiige Zwillinge, sehen uns aber ziemlich ähnlich.“

Sie drückte ihm die Hand. Eigentlich sollte das Claires Job sein.

„Für mich war immer klar, dass mir die Insel gehört und diese Anlage“, sagte er und bemühte sich um einen nüchternen Tonfall. „Und daran hat sich nichts geändert. SWC ist und bleibt eine Art Zuflucht für alle, die der hektischen Welt entfliehen wollen. Der Ort hat eine Ausstrahlung, die einmalig ist und die man auf dem Festland nicht findet.“

„Ja, das empfinde ich auch so. Als ich das erste Mal den Fuß in das Studio setzte, habe ich diese positive Energie gleich gespürt. Hört sich das für Sie seltsam an?“

Nicht seltsamer als in einem anderen Land entführt worden zu sein und sich daran nicht erinnern zu können. „Nein, überhaupt nicht.“ Er war stolz auf das, was er hier geschaffen hatte und in das er Herz und Energie gesteckt hatte. Warum sollte davon nicht etwas spürbar sein?

„Es gibt noch mehr, woran ich nie zweifelte“, fuhr Tate leise fort. „Zum Beispiel, dass Claire Waterson meine Frau werden würde.“

Hayden entzog ihm ihre Hand und schloss die Finger um den Teebecher.

„Als ich herausfand, unter welchen Umständen William und Marion mich adoptiert hatten und dass meine biologischen Eltern in London leben, hat sie mir den Laufpass gegeben.“ Er senkte den Kopf. „Damit hatte ich nicht gerechnet.“

Tate strich sich das feuchte Haar zurück. Es tat gut, ihr all das zu sagen, was er so lange in sich verschlossen hatte. „Sie haben mich zum Tee eingeladen, weil ich einen bedrückten Eindruck auf Sie machte.“ Er lachte unfroh. „Aber bestimmt haben Sie nicht mit so was gerechnet.“

Ihr Lächeln ermutigte ihn. „Ich brauche nur … ich brauche …“ Er brach ab und stützte seinen Kopf in die Hände. „Verdammt, ich weiß einfach nicht, was ich brauche.“

Sie rutschte näher an ihn heran und strich ihm langsam und beruhigend über den Rücken. „Glauben Sie mir, ich habe selbst so einiges an Familienproblemen erlebt. Wenn auch nicht so dramatisch wie in Ihrem Fall. Es ist vollkommen verständlich, dass Sie sich unsicher und verloren fühlen.“

Er wandte ihr wieder sein Gesicht zu und sah sie an. Erst jetzt fielen ihm die kleinen goldenen Flecken in ihren dunklen Augen auf, dazu der sanfte Duft nach Lavendel … Er konnte kaum glauben, dass er hier bei ihr auf der Couch saß und ihr sein Herz ausschüttete. Das hatte er ganz sicher nicht geplant. Sie waren doch nicht befreundet und kannten sich nicht näher. Und dennoch taten ihm ihre Berührung und ihre verständnisvollen Worte so wohl, vor allem nachdem Claire ihm das Herz gebrochen hatte.

Vielleicht brauchte er so jemanden wie Hayden.

Er rückte näher, den Blick auf ihre Lippen gerichtet. Fast spürte er schon die Befriedigung, die der Kuss ihm bringen würde, da drehte sie sich weg.

„Tate …“

Er zuckte zurück. „Oh, Entschuldigung …“ Was hatte er sich nur dabei gedacht? Dass sie ihn eingeladen hatte, damit er hier mit ihr auf der Couch herummachte? Dass seine traurige Geschichte sie irgendwie antörnte? Als ob eine Frau an einem Mann interessiert sein konnte, der sich an ihrer Schulter ausweinte.

Er stand auf, sie auch.

„Tate, bitte …“

„Ich hätte nicht hereinkommen sollen.“ Er nahm seine Jacke vom Haken und zog sie an. Die Schuhe waren noch feucht, aber da es sich um Slipper handelte, konnte er hineinschlüpfen. „Danke, dass Sie mir zugehört haben.“

„Warten Sie.“

Autor

Jessica Lemmon
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