Baccara Extra Band 8

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DIE TRAUMFRAU DES MILLIONÄRS von SWAN, SHARON
Adam Lassiter ist verwirrt! Mit ihrer frechen Kurzhaarfrisur passt Jane so gar nicht in sein Beuteschema, und doch fühlt er sich wie magisch zu der hübschen Blondine hingezogen. Soll er sie verführen? Schließlich ist Jane keine Frau für eine Nacht - und er kein Mann für die Ehe!

MEHR ALS WILDE LEIDENSCHAFT? von HUNTER, KELLY
Für ihre Reise zu Australiens Edelsteinminen sucht Goldschmiedin Erin einen Begleiter. Da kommt ihr der attraktive Tristan nur recht! Schnell funkt es heftig zwischen ihnen. Doch plötzlich wirkt Tristan seltsam distanziert. Was belastet ihn? Und warum hat er so schlimme Albträume?

JENE NACHT IN PARIS von JENSEN, MURIEL
"Du hast mich betrogen!" Wütend stellt Killian Abbott seine Frau Cordie zur Rede, aber die streitet alles ab. Wochen später trifft er sie wieder und erkennt: Seine Gefühle für Cordie sind nicht erloschen! Kann er ihr verzeihen? Killian zweifelt, da geschieht etwas Unerwartetes …

EIN EROTISCHES GEHEIMNIS von WHITTENBURG, KAREN TOLLER
Ausgerechnet von Matt Danville hat Peyton sich verführen lassen! Und das, obwohl sie ihren Boss nicht ausstehen kann. Er ist selbstherrlich, arrogant - und unglaublich sexy! Völlig verunsichert geht Peyton auf Abstand, bis sie erkennt: Die Nacht mit Matt hat ihr Leben verändert!


  • Erscheinungstag 21.04.2015
  • Bandnummer 0008
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722074
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Swan, Kelly Hunter, Muriel Jensen, Karen Toller Whittenburg

BACCARA EXTRA BAND 8

SHARON SWAN

Die Traumfrau des Millionärs

Für Jane ist Adam einfach unwiderstehlich. Dumm nur, dass der attraktive Millionär nicht auf den burschikosen Typ, sondern auf sexy Partygirls steht! Und doch rast Janes Herz, wenn sie Adam ansieht …

KELLY HUNTER

Mehr als wilde Leidenschaft?

Von festen Bindungen hält Tristan wenig – bis er Erin trifft. Hals über Kopf verliebt er sich in die hübsche Goldschmiedin. Darf er ihr seine Gefühle gestehen? Schließlich hütet er ein trauriges Geheimnis!

MURIEL JENSEN

Jene Nacht in Paris

Nie wieder in Killians Armen liegen? Cordie ist verzweifelt! Nur drei Monate nach ihrer Hochzeit hat ihr Mann sich von ihr getrennt. Kann sie Killian von ihrer Liebe überzeugen und ihn zurückgewinnen?

KAREN TOLLER WHITTENBURG

Ein erotisches Geheimnis

Sex mit einer Angestellten? Eigentlich ein Tabu! Aber als Matt die süße Peyton küsst, kann er nicht widerstehen. Gemeinsam verbringen sie die Nacht – doch plötzlich zeigt Peyton ihm die kalte Schulter …

1. KAPITEL

Adam Lassiter runzelte die Stirn, als er das Glory Ridge Resort zum ersten Mal sah. Er hatte zwar gehört, dass die Ferienhausanlage ziemlich heruntergekommen war, aber so schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt. Der Anblick, der sich ihm da im strahlenden Sommersonnenschein Arizonas bot, war auch für einen ideenreichen Unternehmensberater eine echte Herausforderung.

„Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes weismachen, dass es Menschen gibt, die Geld dafür bezahlen, hier Ferien zu machen.“

Die Unverblümtheit, mit der er die Wahrheit aussprach, ließ Jane Pitt zusammenzucken. Aber sie konnte es sich nicht leisten, unhöflich zu sein. Damit schadete sie sich nur selbst. In diesem Moment zählte es nicht, was sie von überheblichen Unternehmensberatern hielt, die in ihren vornehmen Büros auf ergonomischen Chefsesseln saßen und auch noch der festen Überzeugung waren, dass sie hart arbeiteten.

Zweifellos war dieser Unternehmensberater sehr erfolgreich – zumindest dem exklusiven Äußeren nach zu urteilen. Der graue Anzug, die rote Krawatte und die Schuhe aus italienischem Leder rochen geradezu nach Geld.

„In der letzten Zeit hatten wir hier keine zahlenden Gäste“, sagte Jane sachlich, während sie die Hände in den Taschen ihrer abgetragenen Jeans vergrub und energisch die blonden Haare aus dem Gesicht schüttelte. „Deshalb habe ich mich ja an Sie gewandt. Was kann ich tun? Ich bin für jeden Ratschlag dankbar.“

„Sie meinen, eine kleine kostenlose Beratung.“ Auch wenn Adam Lassiters leise Baritonstimme ausgesprochen angenehm war, gefiel ihr die Art und Weise, in der er mit seinen stahlgrauen Augen auf sie hinabsah, überhaupt nicht. Sie wusste nicht, zum wievielten Mal in ihrem Leben sie sich inbrünstig wünschte, größer zu sein. Mit gerade einmal eins sechzig und knapp fünfzig Kilogramm war es nicht so leicht, beeindruckend zu wirken. Doch hatte sie im Laufe der Jahre gelernt, damit umzugehen. Sie überzeugte ihr Gegenüber durch ihr selbstbewusstes Auftreten.

„Wieso kostenlos? Ich stelle Ihnen während der Zeit Ihres Aufenthalts hier eine der Hütten zur Verfügung.“ Jane straffte die Schultern. „Ich brauche keine Almosen.“ Sie mochte zwar klein und zierlich sein, aber sie hatte zweifellos ihren Stolz.

„Gibt es denn Hütten, in denen man wohnen kann, ohne um sein Leben fürchten zu müssen?“, Adam warf einen zweifelnden Blick auf die kleinen Holzhäuser, die im Schutze der riesigen Pinien errichtet waren. „Ich möchte nicht, dass mir mitten in der Nacht das Dach auf den Kopf fällt.“

„Die Dächer sind sicher.“ Wenn auch nicht ganz dicht. „Die ganze Anlage ist nur ein bisschen überholungsbedürftig.“

„Ein bisschen nur? Die Aussicht auf die wunderschöne Landschaft ist der einzige werbewirksame Aspekt hier.“ Er schaute sich um.

Jane folgte seinem Blick. Sie versuchte, die Gegend mit den Augen eines Fremden zu sehen. Eine flache Hügelkette umgab das idyllische Städtchen Harmony, das im strahlenden Sonnenschein besonders einladend aussah. Das Glory Ridge Resort schmiegte sich wie selbstverständlich an einen der Hügel. Die Ferienhausanlage gab es schon, als Harmony noch eine junge Stadt gewesen war.

„Ich bin hier aufgewachsen“, erklärte Adam Lassiter überraschenderweise.

„In Harmony?“ Jane sah ihn forschend an. „So etwas habe ich mir schon gedacht, als Ross Hayward Sie mir empfahl. Er sagte, Sie seien sein Cousin, daher nahm ich an, dass Sie aus dieser Gegend stammen. Ich bin auf einer kleinen Ranch außerhalb aufgewachsen.“

Adam nickte. „Also stammen Sie auch von hier. Obwohl ich mich nicht an den Namen Pitt erinnern kann.“

„Das ist kein Wunder. Meine Familie kam selten in die Stadt.“ Jane hätte an dieser Stelle erwähnen können, dass ihr Vater, ein schroffer und unfreundlicher Mann, kaum Interesse daran gehabt hatte, mit den Einwohnern von Harmony Kontakt aufzunehmen. „Bis zum Tod meiner Mutter bin ich zu Hause unterrichtet worden. Dann war ich vierzehn und konnte in Harmony auf die Highschool gehen.“

„Sie sehen immer noch nicht viel älter aus als vierzehn.“

„Ich bin doppelt so alt, Mr Lassiter“, entgegnete sie aufgebracht.

Adam Lassiter ignorierte den gereizten Tonfall. „Meine Familie zog nach Phoenix, als ich noch ein Kind war. Inzwischen bin ich vierunddreißig – und bitte nennen Sie mich Adam.“

Jane fiel es schwer, sich vorzustellen, dass dieser selbstbewusste Mann einmal ein Junge gewesen war. „Ich heiße Jane“, erwiderte sie und dachte zum x-ten Mal, dass dieser Name genauso belanglos war wie sie selbst. Neben der beeindruckenden Erscheinung Adam Lassiters kam sie sich sogar noch farbloser und unbedeutender vor als sonst.

Nach außen hin wirkte sie allerdings ganz anders. Sie hatte Adam von Anfang an das Gefühl gegeben, dass er sie weder durch seine exklusive Kleidung noch durch den schnittigen Sportwagen besonders beeindrucken konnte. Der missbilligende Blick, mit dem sie ihn begrüßt hatte, war ihm nicht entgangen.

Nicht, dass es ihm besonders viel ausmachte. Ob er Jane Pitts Angebot annahm oder nicht, lag in erster Linie daran, ob es in seine Pläne passte.

„Ich würde mich gern genauer umsehen.“

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles. Am besten fangen wir mit dem Büro an.“ Zielstrebig steuerte Jane auf die größte Hütte zu. Ein schmaler Kiesweg führte zur Eingangstür.

Adam schüttelte den Kopf. Seit der Entstehung dieser Hütte hatte sich hier wahrscheinlich nichts verändert. Auf der einen Seite des Raumes stand eine lange Theke mit verschrammten grünen Fliesen, auf der anderen Seite befand sich ein uralter Kühlschrank.

„Möchten Sie eine Dose Sprite?“

Adam hätte eine Flasche Wasser vorgezogen, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass es ratsam war, das zu akzeptieren, was diese Frau ihm anbot. „Ja, danke, ich nehme mir eine.“

Jane lächelte. Es war mehr der Anflug eines Lächelns, und es war das erste Lächeln, seit er da war. „Gut. Ich mag Männer, die sich nicht bedienen lassen.“

Adam öffnete den Kühlschrank. „Hier scheint aber jemand koffeinsüchtig zu sein.“ Neben den Softdrinks standen zwei große Dosen Kaffeepulver.

„Nicht mehr als andere. In einer Dose bewahre ich Würmer auf. Sie eignen sich ganz hervorragend als Köder zum Angeln.“

Es fiel Adam schwer, nicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Er nahm sich betont gelassen eine Dose Orangenlimonade aus dem obersten Fach.

„Haben Sie schon einmal Würmer gesammelt … Adam?“ Zum ersten Mal nannte sie ihn beim Vornamen.

„In letzter Zeit eher selten … Jane.“ Ihm entging nicht Janes amüsierter Blick. Na und, was war so schlimm daran, dass er seit seiner Kindheit keine Würmer mehr gesammelt hatte? Er war nun einmal kein Naturbursche. „Ist dort das Büro?“ Er deutete auf eine geschlossene Tür.

„Ja.“ Sie ging an ihm vorbei. Ihre flachen braunen Stiefel kratzten über die abgenutzten Holzdielen.

Beim Anblick des kargen Zimmers verzog Adam das Gesicht. Kein Wunder, wenn er an die geräumige und luxuriöse Suite dachte, die er sich mit einem angesehenen Steuerberater und einem erfolgreichen Anlageberater im Herzen der Stadt Phoenix teilte.

Der kleine Schreibtisch aus Pinienholz und die schweren Aktenschränke aus Metall in Janes Büro hatten zweifellos bessere Tage gesehen. Die beiden Stühle und der Tisch, auf dem eine Kaffeemaschine stand, waren reif für den Sperrmüll.

Wenigstens war alles sauber.

„Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr bieten kann. Sie sind sicher etwas Besseres gewohnt.“ Jane lehnte sich gegen den Türrahmen. Sie sah keineswegs aus, als bedauerte sie diesen Umstand. Im Gegenteil, Adam hatte eher den Eindruck, dass sie sich auf seine Kosten köstlich amüsierte.

„Was ich gewohnt bin, spielt hier keine Rolle.“ Er sah ihr herausfordernd in die Augen. „Es geht letztendlich darum, ob wir zu einer Einigung kommen und ich tatsächlich bereit bin, das Wunder zu vollbringen, diesen Laden hier wieder in Schwung zu bringen.“

Ihr Lächeln verschwand augenblicklich. Sie sah ihn ernst an, und zum ersten Mal fiel ihm auf, dass dieses junge Gesicht ohne eine Spur von Make-up war. „Und? Haben Sie sich schon entschieden?“

Trotz der angespannten Situation senkte keiner von ihnen den Blick. „Nein. Ich habe noch nicht alles gesehen.“

Grenzte das, was sie von Adam erwartete, tatsächlich an ein Wunder? überlegte Jane. Zumindest hatte er es so genannt. Seine Offenheit imponierte ihr, auch wenn es im ersten Moment ein Schock war.

Von dem Tag an, als sie beschlossen hatte, das Glory Ridge Resort wiederauferstehen zu lassen, hatte sie gewusst, dass es nicht leicht sein würde. Aber sie würde nicht aufgeben. Niemals.

„Wie sind Sie überhaupt in den Besitz dieser Anlage gekommen?“ Sie gingen nebeneinander zu der Blockhütte, die dem Büro am nächsten war. Wie all die anderen Hütten auch hatte sie einen Namen. ‚Eichhörnchenbau‘ stand auf einem grob geschnitzten Holzschild, das über dem Eingang hing.

„Meine Großtante hat sie mir vermacht, als sie letztes Frühjahr gestorben ist.“

Adam sah sie verstohlen von der Seite an. Wenn er sich nicht sehr täuschte, hatte er so etwas wie Traurigkeit aus ihrer Stimme herausgehört. „Tut mir leid“, sagte er, und er meinte es ehrlich.

„Danke.“ Jane trat auf die Veranda, die die Hütte umgab. Neben dem Eingang stand ein uralter Schaukelstuhl, dessen ursprüngliche Farbe infolge beständiger Witterungseinflüsse längst verblasst war. „Obwohl es Maude Pitt überhaupt nicht gefallen würde, wenn jemand um sie trauerte. Sie würde sagen, dass sie mit ihrem Leben rundum zufrieden war, weil sie immer genau das getan hatte, was sie tun wollte. Sie hatte das Glory Ridge Resort geleitet, ohne sich von irgendeinem Mann reinreden zu lassen.“

„Hm.“ Wieder sah Adam sie an. „Wieso habe ich den Eindruck, dass Sie Ihrer Tante ziemlich ähnlich sind?“, fragte er mit einem Anflug von Spott.

Jane lächelte. „Vielleicht, weil ich ihr ähnlich bin? Ich habe ihr, sooft es ging, hier geholfen – schon als Kind habe ich die meiste Zeit hier verbracht. Und obwohl sie nicht gerade mütterlich war, hat sie mir sehr viel beigebracht.“ Und sie hat mich aufgenommen, als sie merkte, dass meine eigene Familiensituation alles andere als glücklich war.

Was wäre wohl aus ihr geworden, wenn sie nicht mit ihrem Fahrrad über den Berg hätte fahren können, wo Maude und die natürliche Schönheit des Waldes sie in eine andere, friedlichere Welt entführten? Jane wusste es nicht. Aber sie war dankbar, dass sie damals das Glory Ridge Resort gehabt hatte.

Und sie liebte diesen Ort immer noch, auch wenn Maude in den letzten Jahren kaum mehr die Kraft gehabt hatte, ihn so instand zu halten, wie sie es sich gewünscht hätte.

Nur deshalb gab sie sich ja jetzt mit einem dieser aalglatten ‚oberschlauen‘ Unternehmensberater ab. Wahrscheinlich hatte ausgerechnet sie den Schlimmsten seiner Zunft erwischt.

„Diese Hütte hier gibt Ihnen einen Eindruck, wie es in der übrigen Anlage aussieht“, erklärte Jane, während sie zuerst das Fliegengitter und dann eine einfache Holztür öffnete. Dass diese Hütte mit Abstand die besterhaltene war, behielt sie wohlweislich für sich. Denn immerhin gab es hier zwei Schlafzimmer, und das Dach hatte keine Löcher.

Adam begutachtete zunächst das kleine Wohnzimmer mit der angrenzenden Küche, dann die noch kleineren Schlafzimmer. Und selbst die kamen einem riesig vor, wenn man das winzige Badezimmer betrat.

„Die anderen Hütten sind vermutlich auch nicht besser als diese hier“, seufzte er.

„Stimmt. Falls Sie sich entscheiden, hierzubleiben, können Sie in dieser Hütte wohnen. Es ist nicht gerade das Ritz …“

„Das kann man wohl sagen.“

„… aber es gibt hier heißes Wasser, einen Herd, einen Kühlschrank, und sämtliche Lampen funktionieren tadellos.“

Dass die gesamte Einrichtung eher zweckmäßig als schön war, erwähnte sie nicht. Das hatte Adam Lassiter zweifellos längst selbst entdeckt.

Als sie wieder draußen waren, setzte Jane ihren Rundgang entschlossen fort. „Zum Quail Lake geht es hier entlang.“ Sie gingen die ganze Zeit an einem kleinen Bach entlang, der schließlich im See mündete. Kurz vor der Mündung überquerten sie eine kleine Brücke, auf der sie gerade eben nebeneinander gehen konnten.

„Das ist sicher der Bach, von dem Sie erzählt haben. Aber wo ist das Wasser?“

„Im Moment ist er trocken. Deshalb heißt er auch Dry Creek“, erklärte sie. „Er hält nur dann Wasser, wenn es weiter oben im Gebirge stark genug regnet. Je nachdem, wie schlimm es ist, steigt er sogar über die Ufer.“

Weitere Hütten tauchten am Wegrand auf. „Kaninchenbau“, las Adam das Schild über dem nächsten Eingang. Ein Stück weiter – mitten auf einem Hügel – stand eine weitere Hütte. „Wie heißt die da oben?“

„Adlerhorst.“

„Sehr treffend.“ Sie gingen weiter. In der Nähe des Sees tauchte das ‚Anglerheim‘ auf. Über ihnen zwitscherte ein Vogel, als Jane Adam zu ihrem Lieblingsplatz führte. Hier konnte man hören, wie der Wind die Wellen gegen die grasbewachsene Küste peitschte.

Ein einziger Blick reichte aus, Adam die Faszination nahezubringen, die Jane jedes Mal empfand, wenn sie hier stand. Die Ruderboote am Ufer gaben einem das Gefühl, dass sich an diesem Ort seit dem Auftauchen der ersten Siedler nicht viel geändert hatte.

„Quail Lake ist nicht der größte See in der Gegend, aber er ist mit Abstand der schönste.“

„Das glaube ich Ihnen gern. Gehört er zum Glory Ridge Resort?“

„Ja. Er ist Privateigentum. Unsere Besucher dürfen hier kostenlos angeln.“

„Trotzdem kommen die meisten von ihnen nicht wieder“, entgegnete er. Und wer kann es ihnen verübeln?

„Die anderen Ferienanlagen haben ja auch mehr zu bieten.“ Jane versuchte gar nicht erst, die Lage zu beschönigen. „Neben den Angelmöglichkeiten gibt es dort ausgebaute Wanderwege und Sportanlagen. Auch die Ausstattung der Häuser ist moderner. Kein Wunder also, dass wir unsere Gäste verlieren.“

Adam fuhr sich nachdenklich durchs Haar. „Aber Sie sind fest entschlossen, es mit Ihren Konkurrenten aufzunehmen. Wie sieht es mit finanziellen Mitteln aus?“

„Ich habe einen Teil des Geldes aus Tante Maudes Lebensversicherung für die Sanierung zurückgelegt. Außerdem habe ich in den letzten Monaten in Harmony gejobbt und das meiste Geld davon gespart. Es ist einiges zusammengekommen.“ Da Jane nicht um den heißen Brei herumredete, nannte sie Adam den Betrag. Obwohl er sonst in anderen Dimensionen dachte, zog er überrascht die Augenbrauen hoch.

„Mir scheint, Sie wissen, wie man Geld spart“, sagte er. „Nun ja, das ist zumindest ein Anfang.“

Sie sah Adam an. „Heißt das, Sie nehmen mein Angebot an?“

„Vielleicht. Das kommt darauf an, ob Sie meine Bedingungen akzeptieren. Eigentlich habe ich nur eine einzige.“

„Und was soll das für eine Bedingung sein?“ Jane war hellhörig geworden.

„Wenn ich mich entschließe, Ihren Auftrag anzunehmen, dann möchte ich meinen Sohn mit herbringen.“

Jane war überrascht. Sie hätte niemals für möglich gehalten, dass dieser Mann Kinder hatte – geschweige denn eine Frau. „Wie alt ist Ihr Sohn?“

„Acht. Er heißt Sam.“ Adam steckte die Hände in die Taschen seiner tadellos gebügelten Hosen.

„Obwohl meine Exfrau und ich uns das Sorgerecht teilen, lebt er die meiste Zeit bei seiner Mutter. Nur die Sommerferien verbringt er mit mir. Nachdem Ariel und ich uns vor einigen paar Jahren haben scheiden lassen, ist sie nach Boston zurückgekehrt.“

Er war mit einer Frau namens Ariel verheiratet gewesen? Ein außergewöhnlicher Name. Irgendwie passte es zu ihm. Seltsam war nur, dass zwei Eltern, die selbst alles andere als gewöhnlich waren, ihrem Sohn einen so schlichten Namen gaben. „Wieso haben Sie Ihren Sohn Sam genannt?“

„Mit vollem Namen heißt er Samuel Lawrence – nach seinen beiden Großvätern“, erklärte Adam.

„Ich verstehe.“ Jane dachte nach. „Ist er jetzt in Arizona?“

„Ja, er verbringt einen Tag bei meiner Familie in Scottsdale.“

Scottsdale. Wo auch sonst? Scottsdale war eine der teuersten Gegenden von Phoenix. Sie selbst war nie in Scottsdale gewesen. Sie war überhaupt noch nirgendwo gewesen. Doch das störte sie nicht. Sie war da glücklich, wo sie lebte – mehr als glücklich. „Für einen Jungen, der gern draußen spielt, ist ein Urlaub hier genau das Richtige.“

„Sam ist genau wie ich in der Stadt aufgewachsen.“ Adam blickte auf den See hinaus.

Seine Antwort gab Jane Rätsel auf. Wenn sein Sohn ein Stadtkind war, wie kam Adam dann überhaupt auf die Idee, ihn an einen Ort zu bringen, den er wahrscheinlich nicht einmal mögen würde? „Selbstverständlich können Sie ihren Sohn mitbringen.“

Adam wusste, dass er sich jetzt entscheiden musste. Wo, wenn nicht hier, könnte sich eine ähnliche Chance ergeben, seinem Sohn näherzukommen? Außerdem war er nicht der Mensch, der sich vor einer Herausforderung drückte. Auch wenn er in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen war, hatte er niemals die Arbeit gescheut. Für seinen geschäftlichen Erfolg hatte er verflucht hart gearbeitet.

Möglicherweise würde der Wiederaufbau des Glory Ridge Resorts sein erster Flop werden, auch wenn Jane Pitt bereit war, eine beachtliche Summe zu investieren.

Aber Geld allein genügte nicht, um neben der Konkurrenz zu bestehen. Es fehlte eine zündende Idee – vielleicht sogar ein Wunder, um das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken.

„Okay, ich nehme den Auftrag an. Ich hole meinen Sohn ab, und wir sind übermorgen hier“, erklärte er schließlich.

„In Ordnung.“ Er ahnte ja nicht, wie erleichtert Jane war. „Ich bereite die Hütte vor.“

Bei dem Gedanken an den ‚Eichhörnchenbau‘ zuckte Adam unmerklich zusammen. Er würde seine exklusive Penthousewohnung vermissen. „Einen Telefonanschluss gibt es in der Hütte wohl nicht?“, fragte er, während sie zum Büro zurückgingen.

„Nein, nur im Büro. Aber Harmony ist so nah, dass Sie Ihr Handy benutzen können.“

„Ich hatte an meinen Laptop gedacht. Ich brauche ihn dringend für Internetrecherchen und um mit meinen anderen Kunden in Kontakt zu bleiben. Ich werde ihn wohl im Büro anschließen müssen. Auf jeden Fall verspreche ich Ihnen, alles zu versuchen, was in meiner Macht steht.“

„Sieht so aus, als kämpften wir von jetzt an für die gleiche Sache“, erwiderte Jane belustigt. Irgendwie waren Adam und sie ein merkwürdiges Paar.

Adams Gedanken gingen in die gleiche Richtung. Er musste sich eingestehen, dass ihm nie zuvor eine Frau wie Jane Pitt begegnet war. Er spürte, dass er ihr auf die Nerven ging, aber sie wusste, dass sie auf seine Hilfe angewiesen war. „Ich rufe Sie morgen im Laufe des Tages an und sage Ihnen, wann Sie mit mir rechnen können.“

Adam wollte gerade die Hand ausstrecken, um sich von ihr zu verabschieden, als sein Blick wie erstarrt an einem Tier hängen blieb, das plötzlich zwischen den Bäumen auftauchte. Er wusste zwar nicht viel über das Leben in der freien Natur, doch dass es sich bei diesem Zeitgenossen um ein Stinktier handelte, erkannte er sofort.

„Bleiben Sie, wo Sie sind. Bewegen Sie sich bloß nicht.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein raues Flüstern.

„Wieso nicht?“ Jane drehte den Kopf zur Seite und schaute in seine Richtung. „Keine Angst, das ist nur Sweet Pea.“

„Das ist ein Stinktier.“ Sweet Pea trottete seelenruhig heran.

„Stimmt. Und zwar ein ausgewachsenes weibliches Exemplar“, fügte Jane beinahe liebevoll hinzu. „Sie ist völlig harmlos. Meine Tante hat sie gefunden, als sie noch ein Baby war, und sich von dem Tag an um sie gekümmert. Sweet Pea ist für uns wie ein Haustier.“

Ein Skunk als Haustier. Adam verabschiedete sich, stieg in seinen Sportwagen und sah im Rückspiegel, wie Jane ihm nachblickte. Er war gespannt, wie sich das alles entwickeln würde.

„Es war wirklich zum Totlachen, wie Sweet Pea Adam Lassiter in die Flucht geschlagen hat“, berichtete Jane am folgenden Tag grinsend.

Ellen, Janes jüngere Schwester, war bei den Pitts nicht nur das Nesthäkchen, sondern auch die Hübscheste in der Familie. Die Augen der Schwestern begegneten sich in dem riesigen Spiegel, der sich über eine ganze Seite des Schönheitssalons ‚Cuts ’n’ Curls‘ erstreckte. „Bist du denn sicher, dass er überhaupt wiederkommt?“

„Ja, er kommt zurück. Er hat heute früh angerufen, dass ich ihn morgen Nachmittag erwarten kann.“

„Ich erinnere mich an Adam Lassiter, als er noch ein Junge war“, schaltete sich Ellens Kundin, Miss Hester, in das Gespräch ein. Miss Hester hatte bis zu ihrer Pensionierung an der Grundschule von Harmony als Lehrerin gearbeitet. Und mit ihren etwas über achtzig Jahren hatte sie ein erstaunliches Gedächtnis, was ihre ehemaligen Schüler betraf.

„Was für ein Junge war er denn, Miss Hester?“, erkundigte sich Jane neugierig.

„Sehr charmant“, entgegnete Miss Hester, ohne zu zögern. „Und er war intelligent. Ich wundere mich nicht, dass er es zu etwas gebracht hat.“

Charmant? Nein, davon hatte Jane beim besten Willen nichts feststellen können. Aber intelligent? Daran hatte sie keinen Zweifel. „Wir werden ja sehen, ob er clever genug ist, im Glory Ridge Resort die Geschäfte in Schwung zu bringen.“

Miss Hesters blaue Augen funkelten lebendig hinter den dicken Brillengläsern. „Ich bin vor allem gespannt, wie ihr beide miteinander auskommt.“

Ellen prüfte ein letztes Mal, ob das feine weiße Haar der alten Frau auch tadellos saß, und hielt ihr dann einen Spiegel hin, damit sie sich selbst auch von hinten betrachten konnte.

„Fantastisch wie immer, meine Liebe“, lobte sie Ellen und konnte es kaum erwarten, den pfirsichfarbenen Frisierumhang loszuwerden, der farblich genau auf die Inneneinrichtung des Salons abgestimmt war. „Und dir wünsche ich viel Glück mit deinem Projekt“, sagte sie an Jane gewandt, während sie ihr Portemonnaie aus der Handtasche zog und leichtfüßig zur Kasse ging.

Beim Geruch der Dauerwellen-Lösung rümpfte Jane angewidert die Nase. Sie hatte selbst eine Zeit lang in dem Salon gejobbt und Kundinnen die Haare gewaschen, aber sie war es schnell leid geworden.

„Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?“ Ellen schüttelte missbilligend die blonden Locken.

„Ich habe meine Haare gestern Abend gestutzt. Sie waren zu lang geworden.“ Jane warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel. „So schlecht sieht es doch gar nicht aus … Zumindest hängen sie mir nicht mehr in die Augen.“

„Dein Pony ist schief“, seufzte Ellen. „Aber wieso rege ich mich eigentlich auf?“

„Weil du mich liebst“, antwortete Jane gut gelaunt. Sie wusste, dass es in ihrem Leben drei Frauen gab, die sie liebten. Ihre Mutter, ihre Großtante und ihre Schwester. Zwei von ihnen lebten nicht mehr, aber auf Ellen, die inzwischen verheiratet war und einen kleinen Sohn hatte, konnte sie zählen.

Ellen nickte zustimmend. „Das heißt aber nicht, dass ich nicht weiterhin alles daransetzen werde, dich zur Vernunft zu bringen.“ Sie nahm eine Flasche mit Styling Mousse zur Hand und schüttelte sie. „Lass mich deine Haare wenigstens ein bisschen zurechtzupfen.“

Jane trat hastig zurück und hielt die Hände schützend über den Kopf. „Ich mag dieses Zeug nicht. Es bringt mich zum Niesen.“

„Wer schön sein will, muss leiden.“

Jane trat den Rückzug an. „Selbst wenn du mir eine ganze Dose Haarspray verpasst, werde ich keine Schönheit. Also wozu das Ganze?“

Ellen, die um einige Zentimeter größer war und viel weiblicher wirkte, zog die akkurat gezupften Augenbrauen hoch. „Wie oft habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass du viel besser aussehen würdest, wenn du nur ein paar Tipps von mir befolgtest.“

„Ich bin so zufrieden, wie ich bin“, entgegnete Jane entschlossen. Natürlich war es gelegentlich vorgekommen, dass sie voller Bewunderung auf die geschmackvoll gestylten Models geschaut hatte, die ihr auf der ersten Seite eines jeden Magazins entgegenstrahlten, aber sie gehörte in eine andere Welt.

Ellen setzte die Dose ab. „Aber wie wirst du mit einem gut aussehenden Unternehmensberater klarkommen?“

„Ich habe kein Wort davon gesagt, dass er gut aussieht“, entgegnete Jane irritiert.

„Das brauchtest du auch nicht. Der Name Lassiter hat mir schon genügt. Ich weiß, dass die Lassiters mit den Haywards verwandt sind. Die Haywards kennt jeder hier in Harmony. Sie gehören zu den Gründerfamilien dieser Stadt … und soweit mir bekannt ist, sehen alle Haywards gut aus.“

„Vielleicht ist er ja die berühmte Ausnahme.“

„Ist er?“

„Nein, ist er nicht“, gab Jane nach kurzem Zögern zu. „Er sieht ziemlich gut aus … zumindest, wenn man auf Nadelstreifen steht.“

„Das muss für dich ja eine ganz neue Erfahrung sein“, schmunzelte Ellen.

„Das heißt aber noch lange nicht, dass ich nicht mit ihm umgehen kann.“

„Mmh.“ Ellen blickte die Schwester nachdenklich an. „Ich glaube, Miss Hester hatte recht. Es könnte sehr interessant werden mit euch beiden.“

2. KAPITEL

Adam schaltete die Klimaanlage aus und öffnete das Fenster auf der Fahrerseite des blauen Kombis, den er bei einer Autovermietung ausgeliehen hatte. „Riechst du den Tannenwald?“, fragte er betont fröhlich. Aber immerhin versuchte er ein Gespräch in Gang zu bringen, was man von seinem Sohn wahrlich nicht behaupten konnte. Seit sie die belebten Straßen von Phoenix hinter sich gelassen hatten, sagte Sam von sich aus kein einziges Wort mehr.

Auch die letzte Frage seines Vaters beantwortete er mit einem monotonen „Hm.“ Dann drückte er sich noch tiefer in den Beifahrersitz.

Adam betrachtete seinen Sohn von der Seite. Es war unglaublich, wie groß der Junge im letzten Jahr geworden war. Noch etwas war ihm aufgefallen: Die lange Trennung machte sich bemerkbar – das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war nicht mehr dasselbe. Und diese Erkenntnis schmerzte.

„Ich weiß, dass du nicht gerade begeistert bist, dass wir erst später ins Disneyland fahren und stattdessen die nächsten Wochen hier verbringen.“ Adam wollte die Sache ins Reine bringen, bevor sie ihr Reiseziel erreichten. „Im Disneyland waren wir schon ein paar Mal, in den Bergen noch nie.“ Wir hatten überhaupt noch nie die Gelegenheit, ein paar ruhige Tage miteinander zu verbringen.

„Schon“, knurrte Sam mürrisch, „aber …“

Inzwischen zweifelte Adam selbst an seinem Plan. Schließlich war die Situation für sie beide fremd. Dennoch würden sie eine echte Chance bekommen, sich wieder näherzukommen. Zumindest hoffte er das.

„Was hat deine Mutter erzählt, als du heute Morgen mit ihr telefoniert hast?“ Adam wechselte das Thema. Er hatte in den letzten Nächten die meiste Zeit an die Decke gestarrt und sich gefragt, ob möglicherweise die Tatsache, dass seine Exfrau wieder geheiratet hatte, schuld war an Sams merkwürdig kühlem Verhalten. Es war, als hätte der Junge eine Mauer um sich errichtet.

Sam schlug die Hacken seiner neuen Turnschuhe rhythmisch gegeneinander. „Sie hat gesagt, ich soll gut aufpassen, wenn ich im Wald spiele.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. „Ich glaube, es ging ihr nicht so gut.“

„Was soll das heißen?“ Adam wurde hellhörig.

„Es hörte sich so an, als wäre ihr schlecht“, entgegnete Sam achselzuckend.

„Mach dir keine Sorgen.“ Er konzentrierte sich auf die steile kurvenreiche Straße. „Es ist sicher nur ein Virus. Wenn du willst, kannst du sie nachher von meinem Handy aus anrufen.“

Adam dachte nicht weiter über den angeschlagenen Gesundheitszustand seiner Exfrau nach. Was ihn viel mehr beschäftigte, war das Verhältnis, das Sam zu seinem Stiefvater hatte. Aber irgendetwas hielt ihn zurück, mit der Tür ins Haus zu fallen. Bevor er eine derart intime Frage stellte, musste er erst einmal Sams Vertrauen zurückgewinnen.

„Hast du dich schon an die neue Jeans gewöhnt?“

„Es geht. Sie ist ein bisschen steif.“ Sam betrachtete die neuen Hosen, die sie am Tag zuvor in aller Eile in einem Einkaufszentrum erstanden hatten.

„Wenn sie einmal gewaschen sind, wird’s besser“, tröstete Adam seinen Sohn. Ihm ging es mit seinen neuen Jeans und dem schwarzen Leinenhemd auch nicht besser. Auch die neuen Lederstiefel waren gewöhnungsbedürftig.

Das Leben, das sie in den nächsten Wochen erwartete, würde sowieso ungewohnt sein. Statt des täglichen Joggens, das er so sehr liebte, würde er im Wald wandern. Aber für Sam nahm er all das gern in Kauf. „Wir werden uns sicher schnell eingewöhnen. Warte nur ab, in ein paar Tagen kennen wir den Wald in- und auswendig.“

Sam grunzte nur.

Endlich erreichten sie das Glory Ridge Resort.

Sam setzte sich kerzengerade hin und schaute durch die Windschutzscheibe hinaus. „Dad, da auf der Veranda sitzt ein Stinktier.“

Dad. Für ein paar Sekunden schloss Adam die Augen. Er empfand eine tiefe Dankbarkeit. Endlich hatte sein Sohn dieses kleine Wort über die Lippen gebracht. Als er Sam vom Flughafen abgeholt hatte, schien der eher besorgt als glücklich darüber, seinen Vater endlich wiederzusehen. Zum ersten Mal hatte Adam das Gefühl, dass der Aufenthalt im Glory Ridge Resort eine gute Entscheidung gewesen war. „Hab keine Angst. Dieses Stinktier soll harmlos sein.“

Sam beugte sich mit äußerster Vorsicht aus dem Seitenfenster. „Ich rieche gar nichts.“

„Das liegt daran, dass das Stinktier keine Stinkdrüsen hat.“

„Du meinst, er kann gar nicht stinken?“

„Nein. Im Übrigen ist es eine Stinktierdame.“

„Wow. Das werden mir die Jungs in der Schule niemals glauben.“ Sam war Feuer und Flamme. „Darf ich ein Foto machen, Dad?“

„Klar.“

Adam stieg aus und öffnete die Beifahrertür. Im Handumdrehen hatte Sam den Apparat vom Rücksitz genommen und sprang aus dem Wagen. Der Fotoapparat, den Adam ihm zu Weihnachten geschickt hatte, war augenblicklich das Einzige, das Sam wirklich zu interessieren schien.

Die Stinktierdame watschelte in aller Seelenruhe die Stufen von der Veranda hinab und näherte sich den Neuankömmlingen. „Sie heißt Sweet Pea“, klärte Adam seinen Sohn auf.

Sam richtete vorsichtig die Kamera auf das furchtlose Tier und drückte ab. Sweet Pea schnüffelte kurz an den beiden und verschwand anschließend zwischen den Bäumen. „Du hattest recht“, flüsterte der Junge beinahe ehrfürchtig. „An so einem Ort bin ich noch nie gewesen.“

Adam lag schon auf der Zunge, dass Sam außerdem in wenigen Minuten eine Frau kennenlernen würde, die nicht das Geringste mit den Frauen gemeinsam hatte, die ihm bisher begegnet waren, doch er behielt diese Äußerung für sich. Stattdessen legte er seinem Sohn freundschaftlich die Hand auf die Schulter und schob ihn in Richtung Büro. „Komm, wir schauen nach, ob die Besitzerin da ist.“

Als sie die Stufen zur Veranda hinaufgingen, sah Sam sich neugierig um. „Wohnt sie gern hier – so weit weg von allem?“

„Ja, sehr gern“, antwortete Adam, ohne zu überlegen.

„Wieso?“

„Weil sie anders ist als die Menschen, die in der Stadt leben.“

Sam seufzte. „Für sie ist das wahrscheinlich okay, aber ich wette, hier in der Nähe kann man nirgends Pommes frites und Hamburger kaufen. Dabei ist das mein Leibgericht.“

„Da hast du wahrscheinlich recht“, erwiderte Adam. Sams düstere Stimmung, die beim Anblick von Sweet Pea sofort umgeschlagen war, kehrte gerade zurück. Seufzend ging er neben seinem Vater her.

Jane stand im hinteren Teil des Büros und sah sich zufrieden um. Sie hatte die Möbel so umgestellt, dass das Büro jetzt von zwei Personen gleichzeitig genutzt werden konnte. Einen der beiden Drehstühle, der unablässig quietschte, hatte sie geölt. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Er stand jetzt hinter dem kleinen Schreibtisch, den sie bis auf eine alte Schreibtischlampe aus Messing leer geräumt hatte.

Der zweite Stuhl stand hinter einem Kartentisch, auf dem sich das Telefon samt Anrufbeantworter befand. Ihr Unternehmensberater hatte also einen Schreibtisch zur Verfügung und konnte seinen Laptop an die Telefonanlage anschließen, wann immer es ihm gefiel.

Lächelnd drehte sie sich zur Eingangstür, als die von außen geöffnet wurde. Ihr Lächeln vertiefte sich noch, als sie Adam Lassiters Aufzug bemerkte, in dem er sich offensichtlich alles andere als wohlfühlte.

Er ist nicht in seinem Element, dachte sie belustigt.

Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick. Dann wandte Jane sich dem Jungen zu, der neben seinem Vater stand, und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin Jane Pitt. Bei uns hier draußen hält man sich nicht lange mit Nachnamen auf. Nenn mich einfach Jane.“

„Ich bin Sam.“ Er gab ihr die Hand. Obwohl seine Haare um einiges heller waren als die seines Vaters, war er Adam wie aus dem Gesicht geschnitten. „Ich habe dein Stinktier schon kennengelernt. Hat es wirklich keine Stinkdrüsen mehr?“

„Nein. Das Einzige, was du hier riechen kannst, ist der Nadelwald.“ Und den Hauch eines sehr männlichen Eau de Colognes. Auch wenn Adam den förmlichen Anzug gegen Freizeitkleidung getauscht hatte, der Duft nach teurem Sandelholz umgab ihn nach wie vor. „Eure Hütte ist übrigens fertig. Ich habe alles vorbereitet.“

„Ich habe noch nie in einer Hütte gewohnt“, gestand Sam.

Jane merkte, dass die Aussicht darauf ihn nicht sonderlich zu begeistern schien. Sie hatte gleich gesehen, dass seine Jeans genauso neu war wie die seines Vaters. Wahrscheinlich hatten sie sie in aller Eile auf dem Weg ins Glory Ridge gekauft.

Welchen Grund mochte Adam wohl gehabt haben, seinen Sohn hierher zu bringen?

„In einer Hütte zu wohnen, ist eine tolle Sache. Stell dir einfach vor, du lebst in der Vergangenheit“, versuchte sie Sam das einfache Leben in der Natur schmackhaft zu machen.

Sam schien nicht sonderlich überzeugt zu sein. „Damals gab es nicht einmal Raumschiffe und Raketen.“ Und genau das beflügelte seine Fantasie. Das farbenfrohe Star-Wars-T-Shirt war der beste Beweis dafür.

„Ich schlage vor, wir packen erst einmal aus“, mischte Adam sich in die Unterhaltung ein. Seine tiefe Stimme klang leicht resigniert. Anscheinend glaubte er, dass Jane mit ihren Aufmunterungsversuchen auf verlorenem Posten kämpfte.

Sie gab sofort nach und begleitete die beiden nach draußen, um beim Entladen des Wagens zu helfen. „Kein schicker Sportwagen mehr?“, fragte sie Adam leise, als Sam schon außer Hörweite war.

„Ich dachte, in dieser Gegend wäre ein Kombi sinnvoller. Außerdem wäre in meinem Wagen kein Platz für unser Gepäck gewesen.“

„Hoffentlich haben Sie daran gedacht, dass Sie sich hier selbst versorgen müssen.“

„Keine Sorge. Ich habe genügend Lebensmittel dabei.“

Sie zog skeptisch die Augenbrauen hoch. „Können Sie denn überhaupt kochen?“ Sie hätte darauf geschworen, dass die Lassiters eine Haushälterin hatten, die sich um die Zubereitung sämtlicher Mahlzeiten kümmerte.

„Ich komme schon zurecht“, entgegnete er knapp und folgte dann seinem Sohn zum Auto.

Jane zucke mit den Achseln. Ob Adam kochen konnte oder nicht, war schließlich nicht ihr Problem. „Ich helfe Ihnen, die Sachen in die Hütte zu bringen“, schlug sie vor. Dieses Angebot hätte sie jedem anderen Ankömmling auch gemacht.

„Okay.“ Adam war sich im Augenblick nicht sicher, was er von Jane Pitt halten sollte. Sie freute sich offenbar diebisch, dass er sich in dieser Umgebung ganz offensichtlich unbehaglich fühlte. Aber sie hatte auch versucht, seinem Sohn den Aufenthalt hier schmackhaft zu machen. Und das gefiel ihm.

Er musste nur Geduld haben. Auch wenn er im Hinblick auf das Glory Ridge keine Wunder vollbringen konnte, würde er Jane früher oder später schon zum Staunen bringen.

Er öffnete die Heckklappe des Kombis und zog zwei Koffer und zwei Rucksäcke heraus. Die Preisschilder waren noch dran. Er drückte Sam die Rucksäcke in die Hand, beugte sich wieder über die Ladefläche und griff nach zwei Einkaufstaschen mit Lebensmitteln, die er Jane reichte. „Wenn Sie diese beiden hier nehmen, trage ich die Kühltasche. Die Koffer hole ich später.“

„Ich kann doch die Koffer nehmen“, bot sie an.

„Die sind zu schwer für Sie. Ich kümmere mich später darum.“

Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn herausfordernd an. „Ich bin viel stärker, als Sie denken.“

„Das glaube ich Ihnen gern. Trotzdem hat die Natur es so eingerichtet, dass die Männer stärker sind. Ich bin stärker als Sie … und ich werde mich um die Koffer kümmern.“

Nach diesem kleinen Punktsieg fühlte Adam sich wesentlich wohler. Sogar die neuen Schuhe schienen besser zu passen. Er musste beinahe lächeln. Doch beim Anblick der Hütte verschwand das Lächeln sogleich wieder. Hier sollten Sam und er in den folgenden Wochen schlafen, duschen und essen.

Auch wenn er vorhin nicht näher auf ihre Frage eingegangen war, konnte er kochen. Er gehörte auch zu den Männern, die ihre Küche in Ordnung halten konnten. Schade nur, dass die häufig sehr exotischen Gerichte, die er seinen Gästen vorsetzte, so ganz und gar nicht dem Geschmack eines Jungen entsprachen. In der Stadt war das kein Problem gewesen. Sie waren entweder essen gegangen oder hatten sich etwas kommen lassen – aber hier …?

Allein das Bewusstsein, hin und wieder eine Pizza bestellen zu können, würde das Leben hier draußen um einiges erleichtern.

„Wieso hängt da das alte Schild über der Tür?“, wollte Sam wissen.

„Die Hütte heißt Eichhörnchenbau, seit sie erbaut wurde“, erklärte Jane.

„Das muss schon ganz schön lange her sein“, erwiderte Sam beinahe wehmütig.

„Stimmt. Könntest du uns bitte das Fliegengitter öffnen? Dein Vater und ich haben beide Hände voll“, fügte Jane freundlich hinzu.

Schweigend kam Sam ihrer Bitte nach. Er hielt die Tür so lange fest, bis Adam und Jane eingetreten waren.

„Die Eingangstür und die Fenster habe ich zum Lüften offen gelassen. Ich kann schon mal die Lebensmittel auspacken, während Sie Sam die Hütte zeigen“, schlug Jane vor.

„Okay.“ Adam wischte die Handflächen an seinen Jeans ab. „Dann wollen wir mal.“ Er führte Sam in den hinteren Teil der Hütte. „Ich schlafe hier“, erklärte er, und sie steckten beide den Kopf in das größere der beiden Schlafzimmer. Ein robustes Bett aus Pinienholz nahm den größten Teil des Zimmers ein. Direkt daneben befanden sich ein kleiner Nachttisch und ein Frisierschrank mit Spiegel, beide auch aus Pinienholz. Auf der anderen Seite war ein schmaler Kleiderschrank, direkt neben einem kleinen kahlen Fenster.

„Und hier schläfst du.“ Der kleinere Schlafraum hatte Etagenbetten.

„Du kannst dir aussuchen, ob du oben oder unten schläfst“, meinte Adam.

Sam betrat zögernd das Zimmer und legte schließlich seine Kamera auf das untere Bett. „Ich glaube, ich nehme das hier.“

„Gut.“ Adam spürte Sams Unbehagen und hatte vollstes Verständnis für seinen Sohn. Er selbst war genauso wenig begeistert von der neuen Unterkunft. Doch sie würden sich schon daran gewöhnen – das Wichtigste war letzten Endes, dass sie sich wieder näherkamen. „Ich weiß, dass dies alles neu für dich ist. Aber sieh es doch mal so. Diese Hütte ist ein Stück Geschichte. Die Menschen in dieser Gegend leben so. Du kannst ja später ein paar Fotos machen.“

Sam verdrehte bloß die Augen.

Vorsichtshalber wechselte Adam das Thema. „Das Badezimmer findest du dort hinten.“ Wenig später hatten sie die alte Toilette, das Waschbecken und die Badewanne in Augenschein genommen. Anschließend gingen sie zurück in die Küche, wo Jane immer noch damit beschäftigt war, die Lebensmittel auszupacken.

„Cornflakes, Brot und alles, was in Dosen ist, habe ich in den Küchenschrank gepackt. Die Schokoladenriegel sind in der obersten Schublade.“

„Ich könnte jetzt einen Schokoladenriegel gebrauchen“, murmelte Sam.

„Nimm dir einen.“ Adam stellte mit einem Anflug von Ironie fest, dass es seinem Sohn zumindest nicht den Appetit verschlagen hatte.

Sam suchte sich einen Riegel aus, setzte sich an den Küchentisch und sah gedankenversunken aus dem Fenster.

Jane arbeitete ruhig weiter. Gerade zog sie eine lange Schachtel aus einer der Einkaufstaschen. „Sieht aus wie Spaghetti“, bemerkte sie. „Aber diese Marke habe ich noch nie gesehen.“

„Sie stammen direkt aus Italien“, erklärte Adam und packte einen Liter Milch, einen Sechserpack von Sams Lieblingscola und in Flaschen abgefülltes Tafelwasser aus. Anschließend stellte er eine Flasche von dem Rotwein auf die Anrichte, die er heute Morgen aus dem Chromregal in seiner Küche genommen hatte.

„Ist der Wein auch importiert?“

„Ja.“ Adam wusste selbst nicht, wieso ihre Bemerkungen ihn nervten. „Mögen Sie Wein?“, erkundigte er sich etwas freundlicher.

Sie sah ihm in die Augen. „Wenn mir der Sinn nach Alkohol steht, bevorzuge ich Bier. Allerdings kein importiertes.“

Er hätte es sich denken können. Die Menschen hier waren anders – besser gesagt, er war anders. „Jedem das Seine.“

Jane nickte zustimmend und begann die zweite Tüte auszupacken. „Ich glaube, Sie haben den Salat vergessen“, sagte sie, als sie verschiedene Dressings auf die Anrichte stellte.

„Das hier ist Salat – Romagna-Salat.“ Adam packte eine weitere Flasche Wein aus und stellte sie neben ein seltsames grünblättriges Gebilde, das für Jane nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Salatkopf hatte.

„Was für ein merkwürdiger Salat.“ Sie rollte zwar nicht mit den Augen, wie Sam es zuvor getan hatte, aber Adam hatte das Gefühl, dass sie sich nur schwer beherrschen konnte. Seltsamerweise verspürte er erneut einen Anflug von Ärger. „Den Rest packe ich schon selbst aus“, sagte er und nahm ihr die Tüte aus der Hand.

„Okay.“ Sie machte ihm Platz. „Dann gehe ich jetzt wieder.“ Bevor sie die Hütte verließ, zog sie jedoch zwei Schlüssel aus der Hosentasche. „Hier. Der hier ist für die Hütte, der andere fürs Büro.“

Adam nahm die Schlüssel entgegen und steckte sie in seine Hemdtasche. „Ich werde Sam noch die Gegend zeigen, bevor ich Abendessen mache. Aber ich werde später sicher noch ins Büro gehen.“

„Falls Sie noch etwas brauchen sollten – meine Hütte ist nicht weit entfernt. Sie müssen nur bis zur nächsten Weggabelung in Richtung See gehen. Dort biegen Sie nach links ab. Dann können Sie sie nicht verfehlen.“

„Hat deine Hütte auch einen Namen?“, fragte Sam, der gerade den letzten Rest von seinem Schokoladenriegel verschlungen hatte.

„Klar. Sie heißt ‚Pitt’s Pride‘.“ Was so viel hieß wie Pitts ganzer Stolz.

„Ich werde den Weg sicher finden, wenn es nötig sein sollte“, entgegnete Adam. Irgendwie ging ihm der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass der Name der Hütte ausgesprochen treffend war. Jane war stolz – genauso stolz wie ihre Großtante vor ihr.

„In dem kleinen Schrank unter dem Waschbecken ist eine Taschenlampe. Sie sollten sie auf jeden Fall mitnehmen, wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit noch die Hütte verlassen. Man verläuft sich hier schneller, als man denkt.“

Adam verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe nicht vor, mich zu verlaufen“, entgegnete er beleidigt. Schließlich hatte er auch seinen Stolz.

Kopfschüttelnd öffnete sie das Fliegengitter und trat auf die Veranda. „Er muss noch viel lernen“, murmelte sie vor sich hin.

Jane hatte nicht wirklich erwartet, noch Licht im Büro zu sehen, als sie nach dem Abendessen wie immer auch einen kleinen Spaziergang machte und den Sternenhimmel beobachtete. Dies war ihr, nachdem sie nach Tante Maudes Tod in deren Hütte umgezogen war, zu einer lieben Gewohnheit geworden.

Es überraschte sie allerdings, dass Adam Lassiter es am Tag seiner Ankunft nicht vorgezogen hatte, früh schlafen zu gehen. Sie wollte unbedingt wissen, was er um diese Zeit im Büro trieb.

Er saß hinter seinem Schreibtisch und starrte konzentriert auf seinen Laptop. „Hi. Ich dachte, Sie würden sich einen ruhigen Abend gönnen. Hätte das nicht Zeit gehabt bis morgen?“

„Ich dachte, je eher ich mit meinen Untersuchungen anfange, desto besser. Außerdem hat Sam sich schon früh zum Lesen in sein Zimmer zurückgezogen.“

„Was liest er gern?“, fragte Jane interessiert. Sie selbst war immer eine leidenschaftliche Leseratte gewesen.

„Science-Fiction. Was sonst?“

„Hmm. Das passt ja zu seiner Vorliebe für Raumschiffe und Raketen.“ Jane zog ihren Stuhl auf die andere Seite des Schreibtischs und sah ihren Unternehmensberater ernst an. „Es geht mich zwar nichts an, aber ich habe das Gefühl, dass Sam nicht allzu viel Lust hat, die nächsten Wochen hier mit Ihnen zu verbringen.“

Adam erwiderte ihren Blick. „Ich weiß nicht, wie viel Erfahrung Sie mit Kindern haben.“

„Nicht besonders viel“, gab sie unumwunden zu. „Meine Schwester hat einen Sohn in Sams Alter, und gelegentlich haben Familien mit Kindern ihren Urlaub hier verbracht. Aber trotzdem …“

Adam unterbrach sie. „Da ich seit acht Jahren Sams Vater bin, können Sie sich sicher vorstellen, dass ich weiß, wie man ihn behandeln muss.“ Und wie er sich fühlt, geht keinen Außenstehenden etwas an.

„Der Punkt geht an Sie“, gab Jane klein bei. Dann wechselte sie das Thema. „Womit werden Sie sich im Hinblick auf das Glory Ridge Resort als Erstes befassen?“

Adam entspannte sich sichtlich. Jetzt war er auf vertrautem Gebiet. „Als Erstes werde ich Nachforschungen anstellen, die uns möglichst detailliert Aufschluss über Konkurrenzunternehmen geben. Dann kann ich mir ein genaueres Bild darüber machen, was hier tatsächlich fehlt.“

„Klingt vernünftig“, entgegnete sie.

„Wenn es ums Geschäft geht, bin ich immer vernünftig. Ich habe schon viele Firmen gerettet. Bisher ist es mir jedes Mal gelungen, die Stärken und Schwächen der Unternehmen herauszufinden und sie sinnvoll gegeneinander abzuwägen“, sagte Adam selbstbewusst.

Jane lehnte sich zurück, und der alte Stuhl quietschte aus Protest. „Nun, man wird Ihnen wohl kaum aus Menschenfreundlichkeit derart hohe Honorare zahlen.“

Adam grinste. Es war das erste Mal, seit sie ihn kennengelernt hatte. Sofort erinnerte sie sich an Miss Hesters Worte. Er war ein charmanter Junge.

Ja, jetzt begriff Jane, was die alte Dame gemeint hatte. Sie musste sehr aufpassen, dass sie diesem Charme nicht erlag. „Und was passiert, wenn Sie Ihre Nachforschungen abgeschlossen haben?“

„Dann setzen wir uns zusammen und entwickeln Strategien, die auf dem aufbauen, was ich herausgefunden habe.“

Auch das klang vernünftig. Er mochte auf seinem Gebiet der anerkannte Experte sein, aber in anderer Hinsicht konnte er ihr nicht das Wasser reichen …

„Ich nehme an, dass Sam und Sie in diese Gegend gekommen sind, um möglichst viel Zeit draußen zu verbringen. Was halten Sie davon, wenn wir morgen früh gemeinsam angeln gehen? Mit Ihrer Arbeit haben Sie ja heute Abend schon angefangen.“

„Morgen früh?“ Adam zögerte kaum merklich.

„Klar.“ In der Ferne hörten sie ein leichtes Donnergrollen.

„Und wenn es morgen regnet?“

Sie stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und das Kinn in die Hände. „Der Wetterbericht hat einen sonnigen Tag vorhergesagt. Die Regenzeit setzt dieses Jahr später ein. Nehmen Sie das Angebot ruhig an. Ich begleite unsere Gäste seit Jahren zum Angeln. Es ist jedes Mal ein Erlebnis.“

Adam seufzte resigniert. „Also gut, meinetwegen.“

„Prima. Ich bringe alles mit, was wir brauchen. Dann treffen wir uns morgen früh um fünf Uhr hier im Büro.“

„Um fünf Uhr morgens?“, fragte Adam entgeistert.

Jane unterdrückte ein Lächeln. „Um die Zeit beißen sie am besten.“

„Ich glaube, dann mache ich besser Schluss für heute.“ Adam klappte sein Laptop zu und stand auf.

„Sehr vernünftig“, entgegnete sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

Adam nahm seine Taschenlampe, löschte das Licht der Schreibtischlampe, und nachdem sie das Büro gemeinsam verlassen hatten, schloss Jane die Tür ab. Nebeneinander folgten sie dem schmalen Kiesweg, der zu seiner Hütte führte. Als sie bei der Veranda ankamen, schaltete er die Taschenlampe aus. Von drinnen fiel ein schwacher Lichtschein durch eines der Fenster nach draußen. Einige Meter entfernt hörten sie den Ruf einer Eule.

„Möchten Sie die Taschenlampe mitnehmen?“

„Nein danke, ich finde mich auch so zurecht. Vor allem bei dem herrlichen Sternenhimmel.“

„Okay. Dann bis morgen.“

„Bis morgen früh um fünf.“ Trotz der schlechten Lichtverhältnisse entging ihr nicht, dass er das Gesicht verzog. „Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, erwiderte er in geschäftsmäßigem Ton und streckte ihr die Hand entgegen. Genau, wie sie erwartet hatte, war seine Hand angenehm warm. Was sie allerdings überraschte, war die Kraft seines Händedrucks – und sie erschrak über das seltsame Gefühl, das die Berührung bei ihr auslöste.

Es war kaum zu glauben, aber bei seiner harmlosen Berührung hatte sie tatsächlich eine Anziehungskraft empfunden, die ihr bisher fremd gewesen war. Für diesen kurzen Augenblick wäre sie doch beinahe dem Charme dieses Adam Lassiter erlegen, der so überhaupt nicht in ihre Welt passte. Eigentlich sollte sie doch Vernunft genug besitzen, um zu erkennen, dass das völlig verrückt war.

Wenn sie das vorher gewusst hätte, wäre sie garantiert nicht damit einverstanden gewesen, dass er den Sommer im Glory Ridge Resort verbrachte.

3. KAPITEL

„Guten Morgen, liebe Frühaufsteher“, erscholl eine fröhliche Stimme aus dem Radio. „Auch wenn der Sonnenaufgang noch auf sich warten lässt, sieht es ganz so aus, als behielte die gestrige Wettervorhersage recht. Alle Anzeichen deuten auf einen weiteren sonnigen Tag in Harmony hin.“

Adam stöhnte auf. „Wie kann auch nur ein einziger Fisch mit einem Funken Verstand dumm genug sein, so früh am Morgen sein Leben zu riskieren?“, brummte er missmutig. Dass er gestern Abend nicht hatte einschlafen können, verbesserte seine augenblickliche Lage auch nicht unbedingt. Irgendwie gab er Jane Pitt die Schuld daran. Wieso, war ihm allerdings selbst nicht ganz klar.

Bis zu dem Augenblick, als sie sich gestern Abend von ihm verabschiedet hatte, um zu ihrer eigenen Hütte zu gehen, war ihm nicht einmal bewusst gewesen, dass sie eine Frau war. Doch das war sie zweifellos – und sie war gar nicht so kratzbürstig, wie es ursprünglich den Anschein gehabt hatte.

Für einen flüchtigen Moment hatte er sogar den Wunsch verspürt, sie festzuhalten.

Widerwillig öffnete Adam die Augen und stellte fest, dass es in seinem Schlafzimmer noch stockfinster war. Er dachte an den Traum, der ihn im Schlaf gefangen gehalten hatte. Früher hatte er ihn oft geträumt, aber seit einiger Zeit nicht mehr. In dem Traum ging er immer einen langen Korridor entlang. Auf beiden Seiten befanden sich Türen, und alle waren verschlossen. Er öffnete eine nach der anderen, weil er etwas suchte. Was das allerdings war, wusste er nicht genau. Und kurz bevor er es fand, löste es sich auf mysteriöse Weise in nichts auf. Zurück blieb jedes Mal eine unangenehme Leere, und er war froh gewesen, als es endlich aufhörte.

Aber jetzt war der Traum wieder da. Und er hatte keine Ahnung, wieso.

Entschlossen drängte er die Erinnerung daran beiseite, tastete nach dem Schalter seiner Nachttischlampe, machte Licht und stand auf. Nach den ersten Klängen eines alten Stones-Hits schaltete er das Radio aus. Er hatte nichts gegen die Stones, aber bitte nicht um diese Tageszeit.

Adam zog die graue Jogginghose aus, die ihm als Pyjamahose diente, nahm frische Unterwäsche und Socken aus dem Schrank, entschied sich für die schwarze Jeans und das Baumwollhemd, die er gestern getragen hatte. Nachdem er die neuen Stiefel übergezogen hatte, verschwand er im Badezimmer, wusch sich das Gesicht, verzichtete jedoch darauf, sich zu rasieren. Als er fertig war, steckte er den Kopf in Sams Zimmer.

„Guten Morgen“, weckte er seinen Sohn, der bereits gestern Abend sehr deutlich signalisiert hatte, dass ihn die Vorstellung, mitten in der Nacht aufzustehen, absolut nicht begeisterte. Doch Adam hatte darauf bestanden. Sein Ziel für diesen Sommer war es, seinem Sohn näherzukommen.

Die vergangenen Jahre hatten gezeigt, dass der Rummel, dem sie sich ausgesetzt hatten, nicht dazu beigetragen hatte. Also musste er etwas Neues ausprobieren. Und wenn gemeinsames Angeln bei Sonnenaufgang diesem Ziel diente, sollte es ihm nur recht sein.

„Es ist ja noch dunkel“, murrte Sam. Er blinzelte. Das Licht, das aus dem Flur in sein Zimmer drang, blendete ihn.

„Es wird gleich hell“, behauptete Adam, der keine Ahnung hatte, wann die Sonne aufging.

„Bis du angezogen bist, habe ich das Frühstück auf dem Tisch.“ Ohne weiter auf Sams Protest zu achten, ging er in die Küche. Bei dem Anblick der altertümlichen Kaffeemaschine beschloss er, auf Kaffee zu verzichten. Wenn er jetzt versuchte, die Maschine in Gang zu bringen, würden Sam und er garantiert zu spät kommen, und diesen Triumph würde er Jane auf keinen Fall gönnen.

Nachdem sie jeder schweigend eine Schüssel Müsli gelöffelt hatten, machten sie sich auf den Weg. Kurz vor fünf Uhr erreichten sie das Büro – und, wie Adam schon vermutet hatte, war Jane Pitt bereits da. Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, war der Duft von frischem Kaffee. Bei diesem Duft lief ihm augenblicklich das Wasser im Mund zusammen.

Jane saß hinter ihrem Schreibtisch, einen Becher mit dampfendem Kaffee in der Hand. Auf dem Kopf trug sie eine ausgefranste Baseballkappe, die möglicherweise älter war als sie selbst. „Wie ich sehe, sind Sie pünktlich.“ Adam fragte sich, wie man um diese unchristliche Zeit schon so frisch und ausgeschlafen sein konnte.

„Genau genommen sind wir sogar fünf Minuten zu früh“, entgegnete er, wobei es ihm jedoch nicht gelang, auch nur annähernd so fit zu klingen.

Sam ging es ganz offensichtlich nicht besser als ihm. Er verbarg die Hände in den Taschen seiner neuen Jeans und gähnte ungeniert.

Jane lächelte den Jungen verständnisvoll an, bevor sie sich wieder seinem Vater zuwandte. „Wie wär’s mit einem zweiten Koffeinschub, bevor wir uns auf den Weg machen?“

„Eine gute Idee.“ Adam wollte nicht zugeben, dass ihn die Bedienung der Kaffeemaschine überfordert hatte und dies seine erste Tasse war. Nach ein paar Schlucken war er immerhin so wach, dass ihm die Augen nicht ständig zufielen.

„Ich habe für Sam und Sie alles zusammengesucht, was man zum Angeln braucht.“ Sie deutete mit dem Kopf auf die andere Seite des Raumes.

Adam schaute hinüber. „Wollen Sie denn nicht angeln?“, fragte er, als sein Blick auf die beiden Ruten fiel, die an der Wand lehnten. Ihr Anblick erinnerte ihn an seine Kindheit. Er war gelegentlich an die große Lagune im Park von Harmony gegangen, um dort mit einer einfachen Bambusangel sein Glück zu versuchen. Leider waren all seine Erfolge gescheitert, und wenn ihm vor ein paar Wochen jemand gesagt hätte, dass er in diesen Sommerferien fischen gehen würde, hätte er an dessen Verstand gezweifelt.

„Ich spiele nur die Führerin“, erwiderte sie und stand auf. „Aber wir sollten uns besser auf den Weg machen, bevor die Sonne aufgeht.“

Adam trank seinen Kaffee aus, reichte Sam die kleinere der beiden Angeln und nahm selbst die größere.

„Was benutzen wir denn als Köder?“, fragte Sam skeptisch.

„Erst mal versuchen wir es mit Würmern.“

„Müssen wir die jetzt ausgraben?“

„Nein, heute nicht.“ Jane schaltete die Kaffeemaschine aus. „Ich habe noch welche im Kühlschrank.“

Sam sah seinen Vater ungläubig an. „Macht sie Witze?“, flüsterte er, als Jane nach nebenan ging, um die Würmer zu holen.

„Ich fürchte nicht“, murmelte Adam leise zurück. Dann bückte er sich, hob den Kescher auf, der dort lag, und reichte ihn Sam, während er selbst die Kiste mit den Angelhaken nahm. „Die Würmer wird Jane wohl selbst tragen“, meinte er ironisch.

Als die ersten Sonnenstrahlen ihnen den Weg zum See leuchtete, ging Jane mit einer Kühltasche in der Hand voran. In der Tasche waren neben der Kaffeedose mit den Würmern einige Dosen Limonade.

Jane hatte sich nicht anmerken lassen, was sein Händedruck gestern Abend in ihr ausgelöst hatte. Zumindest hoffte sie es. Aber was noch viel wichtiger war, Adam durfte nicht erfahren, dass er heute noch anziehender auf sie wirkte als gestern. Unrasiert sah er so gefährlich männlich aus. Ein Glück, dass er es nicht ahnte.

Als sie am Quail Lake ankamen, setzte Jane die Tasche ein paar Meter vom See entfernt ins Gras. „Lasst uns einige Wurfübungen machen, bevor wir ins Boot steigen.“

„Wurfübungen?“, fragte Sam. „Wozu denn?“

„Zum Angeln gehört zwar eine gehörige Portion Glück, aber das allein reicht nicht. Man sollte schon in der Lage sein, die Angel vernünftig auszuwerfen – das hilft ungemein.“

Die ersten Versuche von Vater und Sohn zeigten, wie vernünftig Janes Vorschlag gewesen war. Die beiden hatten nämlich nicht die Spur einer Ahnung. Das wurde Jane beim ersten Wurf klar. Sam schaffte es gerade mal, die Angel so weit auszuwerfen, dass sie im seichten Wasser landete, während Adam so weit ausholte, dass sich die Schnur hinter ihm im nächsten Baum verfing.

„Sehr schwungvoll“, bemerkte Jane trocken, obwohl es ihr schwerfiel, nicht laut aufzulachen, „aber Sie haben die Leine zu früh losgelassen.“

„Was Sie nicht sagen.“ Adam sah ratlos hinter der Angelschnur her. „Und wie bekomme ich die nun wieder?“

Jane nahm ihm die Angel aus der Hand und befreite den Haken mit einem gekonnten Schwung. Adam blickte ihr dabei über die Schulter. Doch anstatt ihre Geschicklichkeit zu bewundern, hatte er den Blick wie gebannt in die Ferne gerichtet. Hinter einem flachen Berg zeigten sich die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.

Janes Blick wanderte vom Vater zum Sohn, und sie stellte fest, dass Adam nicht der Einzige war, der von dem morgendlichen Naturschauspiel überwältigt war. Zum ersten Mal an diesem Morgen war es Sam gelungen, die Augen weit aufzureißen. Er stand ganz ruhig da und beobachtete fasziniert, wie die Baumwipfel in rotes Licht getaucht wurden.

In diesem Augenblick fühlte Jane sich ihren Gästen seltsam nahe. Sie wusste genau, welche Gefühle so ein fantastisches Schauspiel hervorrufen konnte, und sie teilte sie mit ihnen. Der Zauber war jedoch gebrochen, als ein Fisch aus dem Wasser in die Luft sprang und mit einem sanften Platschen sofort wieder eintauchte.

„War das eine Forelle?“, fragt Sam aufgeregt.

„Schon möglich. Aber es gibt auch Barsche hier. Allerdings längst nicht so viele wie Forellen. Und sie alle suchen jetzt nach einem angemessenen Frühstück. Vielleicht können wir sie ja mit unseren Würmern aus der Reserve locken. Wir sollten uns beeilen.“ Jane wandte sich wieder Sam zu. „Hier im See lebt eine riesige Forelle. Die Leute aus der Umgebung haben ihr den vielsagenden Namen Clever Clyde gegeben. Sie führt sämtliche Fischer aus der Gegend an der Nase herum.“

Nach ein paar weiteren Probewürfen hatten Adam und Sam die Technik halbwegs raus. Besonders Adam war mit seinen Fortschritten zufrieden. „Ich glaube, ich hab’s“, erklärte er selbstgefällig.

Jane widersprach ihm zwar nicht, doch sie wusste, dass zu einem guten Angler gehörte als nur eine akzeptable Wurftechnik. „Umso besser, dann kann ich ja Sam ein wenig helfen, wenn wir auf dem See sind.“

„Klar.“ Adam spürte, dass sie an seinen Angelkünsten zweifelte. „Eine gute Idee.“

„Als Erstes muss man lernen, den Köder am Angelhaken zu befestigen“, erklärte sie.

„Wieso frühstücken Fische eigentlich so früh?“, fragte Sam, nachdem sie sich in einem alten Ruderboot niedergelassen hatten und die Müdigkeit zurückkehrte.

„Keine Ahnung“, erwiderte Jane. „Wahrscheinlich, weil sie Hunger haben.“

„Und wieso nehmen wir nicht das Motorboot?“

„Weil sie uns dann schon von Weitem kommen hören.“ Jane wollte gerade die Ruder in die Hände nehmen, als Adam ihr von hinten auf die Schulter tippte.

„Ich kann rudern“, schlug er vor.

„Sind Sie sicher? Es ist nämlich gar nicht so leicht. Wenn man nicht aufpasst, verhakt man sich ganz schnell im Schilf oder dreht sich im Kreis.“

„Ich war auf dem College im Ruderteam und verspreche Ihnen, dass wir uns nicht im Kreis drehen werden.“

„Er kann alles gut“, murmelte Sam, und Jane hörte den sehnsüchtigen Wunsch heraus, nur einmal etwas so gut zu machen wie der Mann, der sein Vorbild war und den er aus tiefstem Herzen bewunderte.

Zuerst überlegte sie, ob sie die Worte des Jungen einfach überhören sollte. Aber sie konnte es nicht. „Beim Angeln weiß er längst nicht alles“, sagte sie leise. „Wenn du willst, bringe ich dir heute so viel bei wie nur möglich.“

Sam sagte nichts. Aber die Entschlossenheit in dem kindlichen Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass er die Chance, die sie ihm bot, ergreifen wollte.

Jane nahm ihr Versprechen ernst. Sie wollte Sam auf keinen Fall enttäuschen. Und sie würde dafür sorgen, dass Adam auf dem Rückweg nicht mehr so gut gelaunt und selbstzufrieden vor sich hin pfeifen würde. Auch ein Mann wie Adam Lassiter hatte Schwächen.

„Wie wär’s, wenn Sie mich endlich von diesem verfluchten Haken befreien?“, sagte Adam genervt. Die Sonne stand inzwischen viel höher am Himmel. „Dieser schleimige Wurm in meinem Kragen ist nicht gerade angenehm.“

Jane beugte sich vor, um zu sehen, wo das eigentliche Problem lag. Die Folge war, dass nun genau das eintrat, was sie hatte vermeiden wollen. Bei der nächsten unerwarteten Welle wurde ihr gesamter Oberkörper mit Macht gegen Adams Rücken gepresst. Verzweifelt versuchte sie, wieder auf Abstand zu gehen. Sie suchte in der Kiste mit den Angelhaken nach einer kleinen Zange und verließ ihren Platz neben Sam, um Adam besser helfen zu können.

Sie kam allerdings nicht weit. Adam hatte ohne jede Vorwarnung sein Hemd ausgezogen und beim unerwarteten Anblick seines nackten Oberkörpers stockte ihr der Atem. Obwohl er schlank war, wirkte seine Brust muskulös, wie die eines Sportlers. „Sie hätten ja nicht gleich Ihr Hemd ausziehen müssen.“ Sie konnte den Blick kaum von der männlichen behaarten Brust abwenden.

„Sie haben gut reden“, brummte er. „Sie wollte der Wurm ja auch nicht anbaggern.“

Scheint ein weiblicher Wurm gewesen zu sein, dachte sie, während sie sich einen Platz in der Mitte des Bootes suchte und den Haken mithilfe einer Zange aus dem Hemdkragen löste. Als sie fertig war, gab sie Adam das Hemd zurück, und es blieb nur der herbe Duft seines Eau de Colognes zurück.

„Sam und ich werfen die Angel noch einmal aus“, warnte sie, nachdem sie ein paar weitere Würmer auf Sams Angelhaken gesteckt hatte.

„Danke für die Warnung.“

„Ein guter Wurf, Sam“, lobte sie den Jungen, als er die Angelschnur schwungvoll übers Wasser beförderte. „Jetzt kannst du in aller Ruhe abwarten.“

„Okay.“ Sam kauerte sich auf den Boden des Bootes und wartete geduldig. Minuten verstrichen in absoluter Stille, als plötzlich neben Adams Angel ein riesiger Fisch aus dem Wasser auftauchte und mit einem gewaltigen Platsch wieder unter der Wasseroberfläche verschwand.

„Wow!“, sagte Sam.

„Was, zum Kuckuck, war das denn?“, stieß Adam beinahe gleichzeitig hervor.

„Ich wette, das war Clever Clyde“, grinste Jane. „Er ist dafür bekannt, dass er sich jedes Mal zeigt, wenn er den Anglern den Wurm vom Angelhaken geschnappt hat.“

Adam zog eine Augenbraue hoch. „In diesem Fall handelt es sich dann wohl um meine Angel.“ Er zog die Angelschnur ein – und tatsächlich war der Haken leer. Weit und breit war kein Wurm zu sehen. „Das ist ja unglaublich. Der Schwimmer hat sich nicht einmal bewegt.“

Jane fing die ganze Sache an, Spaß zu machen. „Jetzt können Sie sich sicher denken, wie er zu dem Beinamen ‚Clever‘ kommt.“

„Mist.“

„Ärgern Sie sich nicht. Ich habe reichlich Würmer mitgebracht.“ Nur mit Mühe konnte sie das Lachen unterdrücken. Und Sams Aufschrei kam gerade rechtzeitig, um Adams misstrauischen Blick von ihr zu wenden.

„Mein Schwimmer hat sich bewegt!“, rief er aufgeregt. „Ich glaube, ich habe etwas gefangen!“

„Super!“ Jane lenkte ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Sam. „Zieh ihn ins Boot. Pass aber auf und halte die Angelschnur gespannt, damit er sich nicht losreißt.“

Sobald der Fisch in Sicht war, schnappte sich Jane den Kescher und holte das Tier mit sicheren Handgriffen ins Boot. Schade. Es war nur eine kleine Forelle. Zu klein zum Essen.

„Ich habe einen Fisch gefangen!“, rief Sam begeistert.

„Darauf kannst du wirklich stolz sein“, lobte Jane den Jungen. „Aber …“ Sie biss sich auf die Unterlippe.

„Aber er ist zu klein, um ihn zu behalten, Sam“, vollendete Adam ihren Satz. Seine Stimme war freundlich und bestimmt, wie Jane sie zuvor noch nicht gehört hatte.

Sam sah seinen Vater enttäuscht an. „Heißt das, ich muss ihn wieder ins Wasser werfen?“

„Das wäre das Beste.“

„Dein Vater hat recht, Sam“, bestätigte Jane.

Sam sah sie an, und sie spürte, was in ihm vorging. Er kämpfte gegen sich selbst. Am liebsten hätte sie ihn in die Arme genommen und getröstet, aber das durfte sie nicht. Sie spielte die Rolle der Führerin, der Lehrerin und vielleicht gelegentlich die einer Freundin – allerdings nur, wenn er es zuließ.

„Dann mach du ihn bitte vom Haken ab und wirf ihn zurück“, bat er leise mit hängenden Schultern.

Jane tat, worum er sie gebeten hatte. Und im nächsten Augenblick schwamm der Fisch weg. „Das passiert manchmal“, versicherte sie Sam. „Trotzdem haben wir einen Grund zu feiern. Du hast heute deinen ersten Fisch gefangen. Dabei ist es völlig egal, ob wir ihn wieder zurückwerfen mussten oder nicht.“

„Stimmt“, meinte Adam. „Wir werden uns heute Abend den Apfelkuchen gönnen, den ich mitgebracht habe. Ich schlage Sahne dazu. Das wird ein leckerer Nachtisch, nachdem wir unsere Spaghetti aufgegessen haben.“

Sam nickte. Wesentlich glücklicher sah er allerdings nicht aus.

„Apfelkuchen mit Sahne klingt wirklich gut.“ Auch Jane versuchte, ihn aufzuheitern. „Und du hast ganz schön Glück, dass du Spaghetti bekommst.“ Direkt aus Italien, fügte sie in Gedanken hinzu. „Klingt anders als Makkaroni mit Käse, findest du nicht?“

„Kochst du Makkaroni mit Käse?“ Sam horchte auf.

„Mhm.“

„Kochst du nur eine Portion, oder bleibt noch etwas übrig?“

„Sam …“ In Adams Stimme lag ein warnender Unterton.

„Sie kocht Makkaroni mit Käse, Dad“, sprudelte es aus Sam hervor, als müsste er seinen Vater daran erinnern, dass das sein Lieblingsgericht war.

„Das habe ich gehört. Aber es ist ihr Essen. Wir haben unser eigenes.“

Natürlich hatte Adam recht. Aber es war nahezu unmöglich, sich dem flehenden Blick des Kindes zu entziehen. „Wenn du etwas von meinen Makkaroni abhaben möchtest, ist das kein Problem“, hörte sie sich selbst sagen. „Ich bin zwar keine Superköchin, aber ich koche auf jeden Fall immer reichlich.“

Sam sah seinen Vater fragend an. Es lag bei Adam, das Angebot anzunehmen oder nicht.

„Also gut. Wie wär’s, wenn wir teilen.“ Er wandte sich Jane zu. „Sie bringen Ihre Makkaroni mit, und ich koche wie geplant Spaghetti. Anschließend essen wir alle zusammen den Apfelkuchen zum Nachtisch.“

Jane hatte keine Einladung erwartet. Sie hatte Sam lediglich etwas abgeben wollen. Doch jetzt konnte sie unmöglich Nein sagen, wenn sie nicht unhöflich sein wollte. „Einverstanden.“

„Cool!“, rief Sam begeistert, und zum ersten Mal hörte sie aus seiner Stimme so etwas wie Vorfreude heraus.

Ihre Begeisterung hielt sich allerdings in Grenzen. Sie sah dem gemeinsamen Abend eher skeptisch entgegen und irgendwie konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es Adam Lassiter ähnlich ging. Kein Wunder, sie gehörte nicht gerade zu dem Typ Frauen, mit dem Männer wie er einen Abend verbrachten.

Nun ja. Immerhin brauchte sie nicht zu befürchten, dass er von ihrer erotischen Ausstrahlung überrumpelt wurde.

Adam redete sich ein, dass das alles nur Einbildung war. Versunken rührte er in seiner Pastasoße. Es gab keine vernünftige Erklärung, wieso ihn dieser lächerliche Zwischenfall im Boot nicht zur Ruhe kommen ließ. Jane Pitt hatte lediglich das Gleichgewicht verloren und war gegen seinen nackten Oberkörper gefallen. Und doch ließ ihn das Gefühl ihrer festen kleinen Brüste auf seiner nackten Haut nicht mehr los.

Dabei waren es nur Sekunden gewesen. Jane hatte sich so schnell wieder aufgerappelt, dass er den Eindruck gehabt hatte, es wäre ihr unangenehm gewesen.

Er hatte sofort darauf reagiert. All das war wahrscheinlich normal – immerhin war er auch nur ein Mann. Seltsam war nur die Tatsache, dass er das erregende Gefühl auch jetzt noch nicht verdrängen konnte.

Vielleicht lag es ja daran, dass sie keinen BH getragen hatte. Aber auch das hätte ihn nicht verwundern dürfen. Die Besitzerin des Glory Ridge Resorts war nicht der Typ Frau, der Wert auf aufregende Dessous legte – wie die Frauen, die er bisher bevorzugt hatte. Das Gefühl von Seide und Spitze unter den Fingern und der Hauch eines exotischen Parfüms hatten bisher nie ihre Wirkung verfehlt.

Jane Pitt war Lichtjahre davon entfernt, irgendetwas Exotisches an sich zu haben. Und sie schien mit sich absolut im Reinen zu sein. Ihre Wurzeln waren hier in der Einsamkeit der Berge und Pinienwälder, und nur hier fühlte sie sich zu Hause. Wenn sie so anders war als all das, was ihm vertraut war, wieso ging ihm dann die Szene in dem Boot nicht aus dem Kopf?

Es konnte einfach nicht wahr sein.

Auf der Veranda wurden Schritte laut. Sam sprang auf und öffnete das Fliegengitter. „Hi“, begrüßte er strahlend den ersehnten Gast.

„Hi.“ Jane lächelte den Jungen an und ging an ihm vorbei in die Küche. „Wie du siehst, habe ich ziemlich viel gemacht.“ Sie setzte eine große mit Alufolie abgedeckte Auflaufform auf die kleine Anrichte.

„Sollen wir die Form zum Warmhalten in den Backofen schieben?“, fragte Adam. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass ihr Lächeln bei seinem Anblick merkwürdig verkrampft wirkte, ganz anders als das warme Lächeln, mit dem sie Sekunden zuvor Sam begrüßt hatte. Ohne es zu wollen, fiel sein Blick auf das karierte Baumwollshirt, wovon sie anscheinend den ganz Schrank voll hatte, denn sie hatte bisher nichts anderes getragen.

Er dachte erneut an das Gefühl, dass die Berührung ihrer Brüste in ihm hervorgerufen hatte, doch dann beeilte er sich, ihr in die Augen zu sehen. Hoffentlich hatte sie nichts gemerkt.

„Wenn Sie die Ofentür öffnen, schiebe ich die Form rein.“ Dann stellte sie den Schaltknopf auf schwache Hitze. Im nächsten Augenblick bemerkte sie die Flasche Wein, die – bereits geöffnet – auf der Anrichte stand.

„Wein muss atmen, bevor man ihn trinkt“, klärte Adam sie auf.

„Atmen?“

„Ja. Besonders roter. Nur so kann er seinen Geschmack richtig entfalten.“

„Wenn Sie’s sagen“, murmelte sie wenig überzeugt. „Ich habe noch nie von einem Bier gehört, das atmen muss.“

Adam überhörte den ironischen Unterton. „Leider habe ich kein Bier im Haus. Darf ich Ihnen stattdessen ein Glas Wein anbieten?“ Er war zu dem Schluss gekommen, dass er den Abend am sichersten hinter sich brachte, wenn er den zuvorkommenden Gastgeber mimte.

„Klar, wieso nicht? Aber natürlich erst, wenn er lange genug geatmet hat.“

Adam ignorierte auch diese Bemerkung, obwohl es ihn einiges an Selbstbeherrschung kostete, und goss Wein in zwei Gläser. Statt der funkelnden Kristallgläser, die er bei sich zu Hause verwendet hätte, musste er sich hier in der Hütte allerdings mit schlichten Saftgläsern begnügen.

„Auf eine erfolgreiche Geschäftsverbindung“, sagte er und reichte ihr eines der Gläser.

„Prost.“ Jane trank einen Schluck. „Gar nicht schlecht“, bemerkte sie sichtlich beeindruckt. Wahrscheinlich wäre sie noch beeindruckter gewesen, wenn sie gewusst hätte, was Adam für die Flasche bezahlt hatte.

Adam widmete sich wieder seiner Soße, nachdem er einen Schluck Wein getrunken hatte, der seinen Gaumen für das bevorstehende Mahl stimulieren sollte.

„Was ist da alles drin?“ Jane lehnte sich mit der Hüfte gegen die Anrichte und beobachtete Adams Kochkünste.

„Frische Tomaten, Pilze, Zwiebeln, Knoblauch und etwas Basilikum. Das Gute an dieser Soße ist, dass sie nicht lange kochen muss. Die Zutaten entfalten alle sehr schnell ihren Geschmack.“

„Riecht … interessant.“ Jane zögerte kurz, bevor sie fortfuhr. „Ich war mir nicht sicher, ob Sie wirklich kochen können.“

„Darüber bilden Sie sich am besten beim Essen ein Urteil.“ Adam warf eine große Handvoll Nudeln in einen Topf mit kochendem Wasser. „Der Salat ist schon fertig.“

„So etwas habe ich noch nie gegessen“, sagte Jane, als sie zehn Minuten später am Tisch saßen. „Es schmeckt fantastisch.“

„Die Makkaroni sind auch klasse.“ Sam sah aus, als wollte er gar nicht mehr aufhören zu essen. „Du musst sie unbedingt probieren, Dad.“

Adam genoss es, dass Sam gerade zum zweiten Mal ‚Dad‘ zu ihm gesagt hatte. Allmählich begann die Mauer zwischen ihnen zu bröckeln.

„Es freut mich, dass es dir schmeckt, Sam. Ich glaube, es ist auch noch so viel übrig geblieben, dass ihr für morgen auch noch genug habt.“

„Zwei Tage hintereinander Makkaroni mit Käse!“ Sam leckte sich die Lippen. „Wow.“

Anschließend erzählte Jane Sam von ihrem Leben im Glory Ridge, einem Leben, das so ganz anders war als alles, was er bisher kennengelernt hatte. „Das Beste hier ist, dass man nachts die Sterne sehen kann.“

„Sterne kann man überall sehen“, erwiderte Sam unbeeindruckt.

„Aber nicht so klar wie hier. Anscheinend hast du gestern Abend nicht zum Himmel geschaut.“ Jane trank einen Schluck Wein. „In dieser Jahreszeit braucht man nicht einmal ein Teleskop, um Sternbilder zu erkennen.“

„Ich kenne nur den Großen und den Kleinen Wagen. Kannst du sie mir zeigen?“

Jane zögerte. „Es wird noch eine ganze Zeit dauern, bis es dunkel ist. Die Sonne geht gerade erst unter.“ Aus dem Küchenfenster heraus betrachtete sie einen rot glühenden Streifen am Himmel.

„Du kannst doch hierbleiben, bis es dunkel ist“, drängte Sam.

„Also, ich weiß nicht …“

„Hör auf zu drängen, Sam“, schaltete sich Adam ein. „Wenn unser Gast lieber nach dem Essen nach Hause gehen möchte, dann ist das ihre eigene Entscheidung.“

Sam nickte zwar, bedrängte Jane aber weiter. „Willst du denn unbedingt nach Hause? Wir müssen doch noch unseren Nachtisch essen. Dad hat versprochen, dass ich zwei Stücke von dem Apfelkuchen bekomme, weil ich einen Fisch gefangen habe.“

„Gut. Ich schätze, bis du zwei Stück verdrückt hast, wird es schon beinahe dunkel sein.

„Super.“ Sam verschlang den letzten Bissen seiner Portion Makkaroni mit Käse. „Ich bin bereit für den Kuchen. Aber bitte mit ganz viel Sahne.“

Nach dem Essen war der Abwasch schnell erledigt, und anschließend schlug Jane vor, dass sie sich am besten gemeinsam auf die Verandatreppe setzen sollten. Als die Dämmerung schon ziemlich weit fortgeschritten war, erschien Sweet Pea am Waldrand.

Jane warf ihr ein Stück Kuchen hin. Sweet Pea schnupperte vorsichtig daran und verschlang es schließlich mit einem Biss.

„Wohnt sie im Wald?“, wollte Sam wissen, während er sich den Mund abwischte und Sweet Pea hinterherschaute, die gemächlich im Wald verschwand.

„Die meiste Zeit wohnt sie unter der Veranda an meinem Haus.“ Jane stellte ihren Teller auf die Stufen. „So, ich glaube, jetzt ist es dunkel genug. Das Schauspiel kann beginnen.“ Adam sah zu, wie Jane seinen Sohn zu einem Aussichtspunkt führte. Er merkte sofort, dass sie wusste, wovon sie redete, als sie ihm die einzelnen Sternbilder erklärte.

„Jetzt wird es aber Zeit für mich“, sagte sie, als sie Minuten später zu Adam zurückkehrte, während Sam immer noch wie angewurzelt dastand und in den Himmel schaute.

„Zuerst sollten Sie Ihren Wein austrinken“, hielt Adam sie zurück. Dabei wusste er, dass das eigentlich keine gute Idee war. Schließlich bestand die Gefahr, dass sein Blick wieder an ihren Brüsten hängen blieb und ihn an den Zwischenfall im Boot erinnerte.

„Sie haben recht.“ Jane nahm ihr halb volles Glas in die Hand und ließ sich auf der obersten Treppenstufe nieder.

Adam setzte sich neben sie und streckte die Beine aus. Dann lehnte er sich zurück und suchte krampfhaft nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. „Glauben Sie, dass es morgen regnet?“

Jane schüttelte den Kopf. „Wir könnten Regen brauchen, aber dieses Jahr ist alles anders als sonst. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Sommerstürme beginnen. Aber wenn es endlich losgeht, dann können wir uns auf ein Naturschauspiel gefasst machen.“ Sie schaute zu Sam hinüber, der immer noch in sich versunken den Himmel betrachtete. „Als ich so alt war wie Sam, haben mich die Sterne genauso fasziniert. Ich konnte nicht genug davon bekommen, den Himmel zu betrachten.“

Ja. Sam war tatsächlich in den Anblick der Sterne versunken. „Anscheinend bietet die Natur selbst für einen kleinen Jungen viel Faszination.“

„Er hatte keine Lust, herzukommen, stimmt’s?“, fragte Jane ruhig.

„Nein.“ Adam suchte ihren Blick.

„Es geht mich zwar nichts an, aber ich frage mich schon die ganze Zeit, wieso Sie ihn mitgebracht haben.“

„Ich hatte meine Gründe“, erwiderte er ausweichend. Doch dann fuhr er fort. „Auf jeden Fall war es nicht meine Absicht, ihn unglücklich zu machen.“

Jane hielt seinem Blick stand. „Daran habe ich auch nicht eine Sekunde gedacht. Jeder kann sehen, wie sehr Sie an Sam hängen.“

Sie meinte es ehrlich. Daran hatte er nicht den geringsten Zweifel. Gerade deshalb trafen ihn ihre Worte in seinem tiefsten Innern. Diese Frau – diese natürliche, warmherzige Frau, die sich hinter der rauen Schale verbarg, hatte anscheinend ein Herz für seinen Sohn. Und das berührte ihn so sehr, dass er ihr seine geheimsten Gefühle anvertraute.

„Ja, ich hänge an ihm … sehr sogar. Deshalb möchte ich ihn zurückgewinnen.“

4. KAPITEL

Er will seinen Sohn zurückhaben.

Sein Geständnis hatte Jane überrascht. Während sie noch schweigend über Adams Worte nachdachte, gab Sam seinen Beobachtungsposten auf und gesellte sich wieder zu ihnen.

„Ich habe den Großen und den Kleinen Wagen entdeckt. Von hier aus erscheinen sie einem viel strahlender. Ich habe auch den Mond noch nie so groß gesehen.“

Jane musste lächeln, als sie die natürliche Begeisterung in Sams Stimme bemerkte. „Ja, es ist schon erstaunlich, wie die Lichter der Großstadt das ganze Bild verzerren, findest du nicht auch?“

Sam nickte zustimmend, bevor ihn die Müdigkeit überwältigte.

„Ich glaube, es ist Zeit für dich, ins Bett zu gehen“, sagte Adam. „Es war ein langer Tag.“

Da Sam schon die Augen zufielen, ging er ins Haus, ohne zu protestieren.

Jane und Adam sahen sich an. Tat es ihm schon leid, dass er sich ihr anvertraut hatte? Es sah ganz danach aus. Dennoch konnte sie jetzt nicht mehr zurück. Ihre Neugier war geweckt.

„Was haben Sie damit gemeint, als Sie sagten, Sie möchten Sam zurückhaben? Immerhin verbringt er die ganzen Sommerferien mit Ihnen.“

Adam zögerte. Sollte er ihre Frage beantworten? Er kämpfte mit sich. „Sie haben natürlich recht. Sam verbringt die Ferien mit mir. Aber zwischen uns ist es nicht mehr so wie früher. Da war zuerst die Scheidung, dann die erneute Heirat seiner Mutter. Als ich ihn dieses Jahr vom Flughafen abholte, hatte ich das Gefühl, dass wir uns sehr weit voneinander entfernt haben.“

„Dann sind Sie also mit ihm hergekommen, um alles wieder ins rechte Lot zu rücken?“

Adam nickte.

Jane lächelte ihn aufmunternd an. „Nun ja, eines haben Sam und Sie ja auf jeden Fall gemeinsam …“

Adam schlug nach einer Mücke, die ihm hartnäckig um den Kopf schwirrte. „Wenn Sie darauf anspielen, dass wir beide keine Lust hatten, noch vor dem ersten Vogelgezwitscher aufzustehen, dann haben Sie allerdings recht.“

„Sehen Sie, auf diese Weise konnten Sie beide doch prima über meinen Vorschlag herziehen.“

„Da irren Sie sich gewaltig. Ich habe wirklich alles versucht, um Sam bei Laune zu halten.“

Jane kicherte. „Das ist Ihnen bestimmt nicht leichtgefallen.“

„Stimmt. Und zu allem Überfluss haben wir noch nicht einmal einen vernünftigen Fisch gefangen.“

Sie haben gar keinen Fisch gefangen. Im Gegenteil, Sie haben sich auch noch von Clever Clyde übers Ohr hauen lassen.“

„Erinnern Sie mich bloß nicht daran.“

Obwohl es Jane eine diebische Freude bereitete, an Adams Misserfolg zurückzudenken, lenkte sie ein. Denn plötzlich fielen ihr Sams Worte ein. Er kann alles. Er macht nie Fehler. „Vielleicht war es sogar gut, dass es so gekommen ist. Zumindest für Sam.“

Als Adam sie fragend ansah, fuhr sie fort. „Immerhin hat Sam einen Fisch gefangen, auch wenn er nur klein war. Er war erfolgreicher als Sie, und ich glaube, manchmal ist es gar nicht schlecht, wenn ein heranwachsender Junge feststellt, dass sein Vater nicht alles besser kann als er. Auch ein Vater sollte eine Schwäche zugeben. Das stärkt das Selbstvertrauen des Kindes.“

„Geben Sie auch manchmal eine Schwäche zu?“

„Im Gegensatz zu Ihnen habe ich keine heranwachsenden Kinder“, sagte Jane ausweichend. Sie stützte die Ellenbogen auf die Knie. „Ich habe das Gefühl, dass Sam zu Ihnen aufsieht, genauso, wie Sie stolz auf ihn waren, als er die kleine Forelle ohne zu murren wieder freigelassen hat.“

„Ich war tatsächlich stolz auf ihn“, entgegnete Adam, ohne zu überlegen. „Ich bin immer stolz auf ihn gewesen.“

„Was für ein glückliches Kind, das einen Vater hat, der stolz auf es ist.“

Wieder versuchte Adam, das Gespräch auf Jane zu lenken. „Ist Ihr Vater stolz auf Sie?“

Sie trank einen Schluck. Adam konnte ja nicht wissen, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. „Mein Vater lebt nicht mehr.“ Bevor er anfangen konnte, sie zu bemitleiden, fügte sie hastig hinzu: „Er ist vor vielen Jahren bei einem Arbeitsunfall auf unserer Ranch ums Leben gekommen. Da meine vier älteren Brüder längst nicht mehr zu Hause lebten und ich bei meiner Großtante bleiben wollte, haben meine Schwester und ihr Mann unsere alte Ranch übernommen.“ Dass erst ihre Schwester die Ranch zu einem wahren Zuhause gemacht hatte, behielt sie für sich. „Haben Sie auch Geschwister?“

„Eine ältere Schwester. Sie hat einen Engländer geheiratet und ist mit ihm nach Europa gezogen.“

Eine Schwester in England, Eltern in Scottsdale, eine Exfrau in Boston, die möglicherweise sogar einer Adelsfamilie entstammte. Je mehr Jane über Adam Lassiter erfuhr, desto deutlicher wurde ihr bewusst, dass sie beide nicht das Geringste gemeinsam hatten.

Und wenn schon! Es konnte ihr doch völlig egal sein.

Jane leerte ihr Glas und stand auf. „Ich muss jetzt gehen.“

Adam erhob sich ebenfalls und schlug wieder nach einer Mücke, die sich dieses Mal auf seiner Nase niedergelassen hatte. „Wieso kommen diese Viecher nur zu mir und nicht zu Ihnen?“, brummte er genervt.

Sie lachte. „Das liegt an Ihrem teuren Eau de Cologne. Mücken stehen auf so etwas.“

Bevor er auch nur ein Wort erwidern konnte, war sie schon im Wald verschwunden. „Bis morgen!“, rief sie.

„Bis morgen. Aber nicht vor Tagesanbruch!“

Nein. Morgen nicht. Doch sie wusste, dass sie nicht das letzte Mal zusammen angeln gewesen waren. Auch wenn Adams Begeisterung sich in Grenzen gehalten hatte, Sam hatte Feuer gefangen. Daran bestand kein Zweifel. Sie kannte die Anzeichen nur zu gut. Und da sein Vater ja so wild entschlossen war, möglichst viel Zeit mit ihm zu verbringen, würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als sich in sein Schicksal zu fügen.

Jane wusste, dass Adam alles dafür würde, um seinen Sohn zurückzugewinnen. Und auch wenn es sie nichts anging, hoffte sie für die beiden, dass sie zueinanderfinden würden.

Jane seufzte leise. Sie hoffte und betete, dass auch ihr einziger sehnlichster Wunsch erfüllt würde und es ihrem Superunternehmensberater gelingen könnte, das Glory Ridge Resort zu einer florierenden Ferienanlage zu machen.

Ist das wirklich dein einziger Wunsch? Oder willst du mehr? Willst du … ihn?

Was waren das nur für Gedanken? Fühlte sie sich tatsächlich zu ihm hingezogen? Unsinn. Den ganzen Weg zu ihrer Hütte gingen ihr diese Gedanken nicht aus dem Kopf. Und nachdem sie zu allem Überfluss auch noch eine schlaflose Nacht verbracht hatte, hätte sie Adam Lassiter am liebsten erwürgt.

„Da sieht aber jemand aus, als wäre er mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden.“

Adam blickte verwundert von seiner Arbeit hoch, als Jane bereits die zweite Schublade mit den Hängeakten zuknallte.

„Immerhin habe ich nicht den halben Vormittag verschlafen“, schimpfte sie.

Adam hatte nicht die Absicht, sich provozieren zu lassen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir feste Arbeitszeiten vereinbart hatten.“

Jane atmete tief durch. Irgendwie musste es ihr gelingen, sich zu beherrschen. „Das haben wir auch nicht. Vergessen Sie einfach, was ich gesagt habe.“

„Okay.“ Adam konzentrierte sich auf seinen Laptop. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es in dieser Gegend so viele Ferienhausanlagen gab. Und manche von ihnen boten tatsächlich einen erheblichen Luxus.

„Wow!“ Jane schaute ihm über die Schulter. „Sagen Sie bloß, das soll eine Hütte sein.“

„Sieht ganz danach aus. Sie ist so groß, dass man eine Party darin veranstalten könnte. Und sehen Sie, über diese herrliche Wendeltreppe gelangt man ins obere Stockwerk.“

„Wahnsinn. So etwas können wir unseren Gästen leider nicht bieten. Was macht übrigens Sam?“

„Als ich ihn das letzte Mal sah, war er gerade dabei, seine Eindrücke von gestern Abend zu Papier zu bringen. Er zeichnet eine Sternenkarte. Außerdem schlug er vor, ein Teleskop zu besorgen. Er meint, man könnte es ja online bestellen.“

„Und? Ist es schon unterwegs?“ Zum ersten Mal heute zeigte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht.

Wie bitte? War er wirklich so leicht zu durchschauen? Bevor er ihre Frage beantworten konnte, ließen ihn Schritte im angrenzenden Zimmer aufhorchen.

Sekunden später betrat Sam das Büro. Er hatte einen Jungen etwa gleichen Alters im Schlepptau. Der Junge hatte widerborstiges rotbraunes Haar, und seine Stupsnase war mit Sommersprossen übersät.

Autor

Muriel Jensen

So lange Muriel Jensen zurückdenken kann, wollte sie nie etwas andere als Autorin sein. Sie wuchs in einer Industriestadt im Südosten von Massachusetts auf und hat die Menschen dort als sehr liebevoll und aufmerksam empfunden. Noch heute verwendet sie in ihren Romances Charaktere, die sie an Bekannte von damals erinnern....

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