Ein Millionär und Herzensdieb

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Lily sollte Nigel Statham hassen - statt sich nach ihm zu verzehren! Der Millionär ist zwar wahnsinnig attraktiv, aber auch Boss der Modefirma, die Lilys Entwürfe gestohlen hat. Doch seit Lily unter falschem Namen als Nigels persönliche Assistentin arbeitet, um dem Dieb auf die Spur zu kommen, liegt zwischen ihnen diese unwiderstehlich erotische Spannung in der Luft. Da hilft es wenig, dass Lily weiß: Wenn sie Nigels Anziehungskraft nachgibt und eine leidenschaftliche Nacht mit ihm verbringt, riskiert sie mehr als nur ihre geheime Mission. Viel mehr …


  • Erscheinungstag 24.02.2015
  • Bandnummer 1861
  • ISBN / Artikelnummer 9783733720995
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Unmöglich. Das konnte einfach nicht sein!

Lily Zaccaro vergrößerte das Browserfenster, beugte sich vor und musterte das Bild auf ihrem Laptop ganz genau. Dann verkleinerte sie das Browserfenster wieder und öffnete ein neues.

Verflixt!

Browserfenster folgte auf Browserfenster. Und Lilys Blutdruck stieg höher und höher.

Als sie genug zusammen hatte – so viel, wie sie gerade noch ertragen konnte –, druckte sie ihre Fundstücke aus. Beweise. Alles Beweise, die sie noch gut würde brauchen können.

Nachdenklich legte sie die ausgedruckten Bilder nebeneinander. Je länger sie sie musterte, desto heftiger pochte ihr Herz. Es war eindeutig: Jemand stahl ihre Entwürfe!

Aber wie hatte das nur passieren können?

Nervös drehte sie den Ring an ihrem rechten Mittelfinger. Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder und musterte erneut die Bilder.

Natürlich waren einige Details verändert. Es waren keine Eins-zu-eins-Kopien. Aber es bestand kein Zweifel, dass Lilys Originalentwürfe für diese Kleider Pate gestanden hatten!

Um ganz sicherzugehen, dass sie sich nichts einredete – oder dass sie verrückt wurde –, ging Lily zum Aktenschrank, in dem sie ihre alten Entwürfe archivierte. Egal ob verworfen oder überarbeitet – sie bewahrte alles auf. Es dauerte nicht lange, bis sie die gesuchte Mappe gefunden hatte. Sie nahm sie mit hinüber zum Tisch, auf dem die ausgedruckten Bilder lagen.

Sie zog die Entwürfe heraus, einen nach dem anderen. Die Entwürfe, an denen sie im vergangenen Frühjahr gearbeitet hatte. Die Entwürfe, nach denen sie und ihre Schwestern die nächste Herbstkollektion produzieren wollten.

Sie schob die Blätter auf dem großen Tisch hin und her, bis sie zu jedem das Gegenstück unter den ausgedruckten Bildern gefunden hatte. Die Ähnlichkeiten waren so frappierend, dass ihr übel wurde.

Sie musste sich am Tisch festhalten, weil ein Schwindelgefühl sie überkam. Vor ihren Augen verschwamm alles.

Lily atmete tief durch, bis es ihr wieder etwas besser ging. Unablässig hämmerte eine einzige Frage in ihrem Hirn: Wie hatte das passieren können?

Sie zermarterte sich den Kopf. Wer hatte denn Zugang zu ihren Entwurfsskizzen gehabt? Wie viele Leute waren im Atelier gewesen? Auf jeden Fall nicht allzu viele.

Zoe und Juliet natürlich – aber die beiden schieden als Tatverdächtige von vornherein aus. Ihre Schwestern würden ihr ja wohl kaum in den Rücken fallen! Die drei hatten sich gemeinsam in dem New Yorker Apartmenthaus eingemietet; in einem der Lofts wohnten sie gemeinsam, in einem anderen befanden sich die Ateliers für ihre gemeinsame Firma Zaccaro Fashions.

Natürlich gingen sich die drei manchmal gegenseitig auf die Nerven, aber im Großen und Ganzen lief ihre Partnerschaft überraschend gut. Lily zeigte ihren Schwestern all ihre Entwürfe, bat sie manchmal auch um Rat. Und ihre Schwestern hielten es ebenso.

Sie hatten eine gemeinsame Firma, zogen an einem Strang – und vor allem waren sie Schwestern. Da war es hundertprozentig sicher, dass sie sich nicht gegenseitig ausspionierten oder betrogen.

Wer also sonst konnte der Spion gewesen sein? Gelegentlich kam mal jemand ins Atelier, aber wirklich nicht sehr oft. Geschäftsbesuch empfingen die Schwestern meistens im offiziellen Hauptsitz von Zaccaro Fashions, der in Manhattan lag. Dort gab es nicht nur Büroräume, sondern auch eine kleine Boutique und Räumlichkeiten für die angestellten Näherinnen.

Die Schwestern hatten schon Pläne gehabt, das Unternehmen zu vergrößern. Aber das würde wohl ein Wunschtraum bleiben, wenn ständig jemand ihre Entwürfe stahl und die Nachahmung noch vor dem Original auf den Markt brachte.

Lily packte die Blätter auf dem Tisch zusammen. Dann ging sie unruhig auf und ab und grübelte.

Was konnte sie nur machen?

Wenn sie bloß eine Ahnung hätte, wer dahintersteckte! Oh, dem Typen würde sie es zeigen! An Rachefantasien fehlte es ihr nicht …

Aber sie hatte nicht den Hauch einer Idee, wer der Spion sein konnte. Wo sollte sie da ansetzen?

Vielleicht hätten ihre Schwestern eine Idee. Aber die wollte Lily am liebsten aus dieser Sache raushalten.

Sie fühlte sich verantwortlich, weil sie die Gründerin des gemeinsamen Unternehmens gewesen war – damals noch allein. Sie hatte ein Designstudium mit Schwerpunkt Mode abgeschlossen und dann ihre Eltern um ein Darlehen gebeten, um das Geschäft aufbauen zu können. Ihre Eltern, wohlhabende Leute, hatten sogar angeboten, ihr das Startkapital zu schenken. Aber das hatte sie abgelehnt. Sie wollte sich aus eigener Kraft etwas aufbauen, und das wollte sie nicht mit geschenktem Geld beginnen.

Ganz allein war sie dann nach New York gezogen, um sich erst einmal einen Namen zu machen. Zoe und Juliet waren ihr dann später gefolgt. Die lebenslustige Zoe war dem Ruf ihrer Schwester vor allem nachgekommen, weil sie sich für die New Yorker Partyszene interessierte; Juliet hatte ihren Job als leidlich erfolgreiche Immobilienmaklerin im heimischen Connecticut aufgegeben, um in Lilys Firma einzusteigen.

Die beiden trugen wesentlich zum Erfolg von Zaccaro Fashions bei. Die von Lily erschaffene Modekollektion kam gut an, aber es war wichtig, das Angebot von Zaccaro komplett zu machen und abzurunden – und dazu trugen Zoes Schuhe und Juliets Handtaschen und sonstiges Zubehör hervorragend bei.

Diese Zusatzartikel waren sogar profitträchtiger als die Hauptlinie. Die Kundinnen liebten es, sich nicht nur ein neues Kleid zu kaufen, sondern das gesamte Drumherum gleich mit dazu. Ein Besuch bei Zaccaro Fashions, und sie waren von Kopf bis Fuß neu eingekleidet. Sie kamen immer gerne wieder und empfahlen das Geschäft auch ihren Freundinnen. Zum Glück.

Von den Plagiaten war nur Lily mit ihren Kleidern betroffen, nicht ihre Schwestern mit ihren Produktlinien. Deshalb wollte Lily sie zunächst aus allem heraushalten. Sie sollten sich nicht unnötig um ihre Zukunft Sorgen machen.

Nein, sie würde es ohne ihre Schwestern durchfechten. Wenigstens so lange, bis sie Näheres wusste.

Sie setzte sich wieder an ihren Laptop und sah sich die Internetseiten mehrerer Detekteien an. Nachdem sie eine gefunden hatte, die ihr vertrauenswürdig erschien, rief sie dort an. Fünf Minuten später hatte sie einen Termin für die kommende Woche abgemacht, mit dem angeblich besten Mann der Detektei. Er würde sicher wissen, wie man in so einem Fall am besten vorging.

Als Nächstes machte sie sich daran, übers Internet so viel wie möglich über die Firma herauszufinden, die ihre Entwürfe gestohlen hatte. Das Unternehmen hieß Ashdown Abbey.

Die Modefirma saß in London, nicht etwa in den USA, und war vor über hundert Jahren von Arthur Statham gegründet worden. Sie stellte alles von Sport- bis Abendbekleidung her und wurde häufig in allen gängigen Modezeitschriften erwähnt. Weltweit verfügte sie über fünfzig Ladengeschäfte und machte jährlich über zehn Millionen Dollar Gewinn.

Warum um Himmels willen sollte eine so renommierte und erfolgreiche Firma es nötig haben, Lilys Ideen zu stehlen?

Zaccaro Fashions war ein junges Unternehmen, steckte gewissermaßen noch in den Kinderschuhen. Die Einnahmen reichten gerade aus, um die laufenden Unkosten zu decken, die monatlichen Kreditraten an Lilys Eltern zu zahlen und Juliet, Zoe und Lily ein einigermaßen vernünftiges Leben zu erlauben. Gegen Ashdown Abbey war Zaccaro Fashions nur ein Zwerg.

Die gestohlenen Entwürfe stammten, so war dem Internet zu entnehmen, nicht vom Hauptsitz, sondern von der amerikanischen Filiale von Ashdown Abbey in Los Angeles. Diese wurde, so stand es auf der Website, von Nigel Statham geleitet, einem direkten Nachfahren des legendären Arthur Statham.

Die Niederlassung in Los Angeles gab es erst seit etwa anderthalb Jahren; sie arbeitete offenbar relativ unabhängig vom britischen Hauptsitz. Sie brachte ihre eigenen Kollektionen heraus und veranstaltete eigene Modenschauen. Offenbar hielt man das für nötig, um den amerikanischen Geschmack – speziell den der Hollywood-Kundschaft – zu treffen.

Das bedeutete, nicht die gesamte Firma hatte es darauf abgesehen, Lilys Existenz zu zerstören. Nur ihr Ableger in Los Angeles.

Lily kniff die Augen zusammen und betrachtete nachdenklich das Foto von Nigel Statham auf der Homepage. Das war er also – ihr Todfeind!

Ein gut aussehender Mann, das ließ sich nicht leugnen. Nein, wirklich attraktiv, das musste sie – wenn auch zähneknirschend – zugeben. Kurzes brünettes Haar, hohe Wangenknochen, ein energisches Kinn. Volle, aber nicht zu volle Lippen. Grüne ausdrucksstarke Augen.

Eigentlich wollte sie ihn hassen, aber sein Lächeln auf dem Foto war so freundlich und verführerisch, dass es ihr nicht gelang.

Unglaublich, wie Menschen sich verstellen können, dachte sie. Wenn man ihn so sieht, käme man nie auf den Gedanken, dass er ein mieser Ideendieb ist.

Sie forschte weiter im Internet, aber das meiste, was sie über Ashdown Abbey fand, bezog sich auf den britischen Hauptsitz oder andere europäische Filialen. Der Ableger in Los Angeles schien noch auf der Suche nach dem richtigen Weg zu sein, um den Geschmack des amerikanischen Publikums zu treffen.

Lily sah auf die Uhr. Mehr konnte sie im Moment nicht tun; das Treffen mit dem Ermittler fand erst in der kommenden Woche statt. Außerdem wollte sie sich ohnehin in zwanzig Minuten mit ihren Schwestern zum Abendessen treffen.

Gerade als sie das Browserfenster schließen wollte, fiel ihr auf der Homepage noch etwas auf. „Jobchancen bei Ashdown Abbey USA“. Sie klickte die Seite an und druckte die Informationen aus.

Ihr kam eine geradezu verrückte Idee. Ob sie das wirklich durchziehen sollte …?

Wenn sie ihren Schwestern davon erzählte, würden sie es ihr mit Sicherheit ausreden wollen. Der Detektiv würde ihr davon abraten und ihr dann vorschlagen, die Sache lieber ihm zu überlassen – für einen Stundenlohn, der sicherlich mindestens hundert Dollar betrug, wenn nicht sogar noch viel mehr.

Nein, das Geld konnte sie sich eigentlich sparen. Mit ihren Kenntnissen der Modewelt würde sie gut in das Unternehmen passen und könnte dort unbemerkt herumschnüffeln. Sie musste sich nur auf den Job bewerben und einen guten Eindruck machen … und das sollte ihr nicht so schwerfallen.

Es rieselte ihr kalt den Rücken herunter. Natürlich war die Sache nicht ungefährlich! Wer wusste schon, was passieren würde, wenn sie aufflog …?

Aber die Gelegenheit war einfach zu günstig. Nein, sie musste es tun, um das Rätsel der gestohlenen Entwürfe zu lösen.

Nigel Statham suchte eine neue Assistentin – und er würde genau die richtige bekommen!

2. KAPITEL

Verärgert legte Nigel Statham den Brief seines Vaters beiseite. Brief? Eher eine schriftliche Standpauke. Er fühlte sich wieder wie ein Kind in kurzen Hosen, das für sein Versagen gerügt wurde.

Das Schreiben war mit der Post aus England gekommen. Seine Eltern hielten nicht viel von „neumodischem Zeugs“ wie E-Mails; ein solcher elektronischer Schriftverkehr erschien ihnen für Leute mit Stil zu gewöhnlich. Der Inhalt war schnell umrissen: Nigels Vater war höchst unzufrieden mit der Geschäftsentwicklung der amerikanischen Filiale, die Nigel seit anderthalb Jahren leitete. Die Gewinne ließen zu wünschen übrig.

Nigel schüttelte den Kopf. Er fühlte sich, als ob sein Vater vor ihm stand und ihn persönlich tadelte. So wie früher, als er noch ein Kind gewesen war.

Seine Eltern hatten stets hundertprozentige Leistung von ihm verlangt – und diese absurd hohen Erwartungen hatte er natürlich nicht durchgehend erfüllen können. Und was den mangelnden Erfolg der US-Filiale anging: Er war der Meinung, dass anderthalb Jahre kaum ausreichten, um das Unternehmen in einem für ihn neuen Land zum Erfolg zu führen. Rom war schließlich auch nicht an einem Tage erbaut worden, und Ashdown Abbey hatte fast hundert Jahre gebraucht, um in Großbritannien den jetzigen Status zu erreichen.

Kurz: Sein Vater hatte von Anfang an zu hohe Erwartungen gehabt. Aber es war ein Ding der Unmöglichkeit, das Mr Statham senior begreiflich zu machen!

Aufseufzend lehnte Nigel sich zurück. Er überlegte, wie lange er die Antwort auf diesen Brief vor sich herschieben konnte, bevor sein Vater einen zweiten schickte. Oder noch schlimmer – bevor er sich entschloss, höchstpersönlich nach Los Angeles zu fliegen, um seinem Sohn auf die Finger zu schauen.

Na ja, einen Tag würde er sich wohl Zeit lassen können. Zumal er schließlich noch mehr zu erledigen hatte. Er musste nämlich schon wieder eine neue Assistentin anlernen.

Drei hatte er schon durch. Drei attraktive junge Damen, die zwar nicht unbegabt gewesen waren, denen es aber an Ernsthaftigkeit und Durchhaltewillen gefehlt hatte.

Das ist eben das Problem, wenn man im Herzen von Los Angeles eine Assistentin sucht, dachte er seufzend. Entweder man bekommt eine Möchtegern-Schauspielerin, die abspringt, sobald sie eine Nebenrolle in einem Werbespot angeboten bekommt. Oder man kriegt eine Möchtegern-Modedesignerin, die enttäuscht ist, wenn sie es nicht innerhalb eines halben Jahres zu einer eigenen Kollektion bringt.

Das Dumme war: Jede neue Assistentin musste er frisch anlernen. Am liebsten hätte er extra eine Assistentin engagiert, um neue Assistentinnen auf ihren Job vorzubereiten.

Heute würde ihm die Personalabteilung die neue Assistentin schicken; er hatte den Fachleuten die Auswahl überlassen. Die Akte mit ihren Unterlagen lag schon auf seinem Schreibtisch. Er hatte sie allerdings bisher nur einmal kurz überflogen.

Gerade als er die Mappe in die Hand nehmen wollte, klopfte es an seiner Bürotür. Kaum eine Sekunde später öffnete sich die Tür, und seine neue Assistentin – sie musste es ja wohl sein – trat ein.

Sie sah hübscher aus als auf dem Bewerbungsfoto. Ihr Haar changierte zwischen brünett und dunkelblond und war zu einem lockeren Knoten zusammengefasst, ihr Gesicht war nur dezent geschminkt. Die dunkle Brille stand ihr gut.

Sie trug eine schlichte weiße Bluse und einen schwarzen engen Rock, der etwas übers Knie reichte und fantastische Beine offenbarte, dazu ein Paar schwarz-weiße Pumps mit ziemlich hohen Absätzen. Modegeschmack hat sie auf jeden Fall, schoss es ihm durch den Kopf. Und der Rest war auch nicht übel.

„Guten Morgen, Mr Statham!“, sagte sie freundlich lächelnd. „Ich bin Lillian, Ihre neue Assistentin. Hier ist der morgendliche Posteingang. Und wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Ihnen jetzt den Kaffee.“

Sie legte den Briefstapel auf seinem Schreibtisch ab, verschwand durch die Tür und war kurz darauf mit einer Tasse dampfenden Kaffees zurück. Offenbar hatte sie einen Spritzer Kaffeesahne hinzugefügt, genauso wie er es liebte.

Flott und freundlich. Der erste Eindruck war schon mal gar nicht schlecht!

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

„Nein, vielen Dank, im Moment nicht“, antwortete er zögernd.

Sie nickte kurz, wandte sich um und machte sich auf den Weg zur Tür.

„Äh, Lillian …?“

Blitzschnell wandte sie sich wieder um. „Ja, Sir?“

„Sagen Sie mal, Ihre Bluse und Ihr Rock … stammen die aus der Ashdown-Abbey-Kollektion?“

Sie lächelte ihn an. „Selbstverständlich.“

Das hörte sich gut an! Hatte die Personalabteilung endlich mal einen Glücksgriff getan?

Er räusperte sich. „Sie sind nicht zufällig Schauspielerin, oder?“ Am liebsten hätte er Möchtegern-Schauspielerin gesagt, aber das hatte er sich im letzten Moment verkniffen.

Sie runzelte die Stirn. „Schauspielerin? Nein, natürlich nicht, Sir.“

„Und … haben Sie mal eine Model-Karriere in Betracht gezogen?“

Sie musste lächeln. „Nein, Sir, ganz bestimmt nicht.“

Sehr gut! Er versuchte sich die wichtigsten Punkte aus ihrem Lebenslauf ins Gedächtnis zurückzurufen. Soweit er sich erinnerte, hatte sie nicht nur einen Abschluss in Design, sondern auch Business-Erfahrung.

Auf dem Papier sah das sehr gut aus, aber er wusste, dass viele Bewerber ihren Lebenslauf recht fantasievoll aufhübschten.

„Gibt es einen besonderen Grund, dass Sie sich bei einem Modeunternehmen beworben haben?“

„Der Job passt zu meiner Ausbildung. Und außerdem“ – sie lächelte entwaffnend – „interessiere ich mich auch privat sehr für Mode. Ist doch toll, wenn man schon früher als der Rest der Welt an die neueste Kollektion kommt.“

Jetzt lächelte auch er, fast gegen seinen Willen. „Dann sind Sie bei uns goldrichtig. Unsere Mitarbeiter bekommen nämlich einen großzügigen Rabatt.“

„Ich weiß“, erwiderte sie schelmisch lächelnd.

„Ich merke schon, Sie haben sich gut über uns informiert“, kommentierte er. „Das gefällt mir.“

Natürlich würde die junge Dame sich erst noch im Alltag bewähren müssen, aber der erste Eindruck war wirklich mehr als positiv. Sie sah nicht nur gut aus, sie hatte auch Grips!

„Ich nehme an, Ihre Vorgängerin hat Sie schon kurz eingewiesen. Ganz wichtig ist, dass Sie sich mit meinem Terminplan vertraut machen. Möglicherweise gibt es einige Meetings und Events, zu denen Sie mich begleiten müssen. Das ist dann jeweils neben dem Termin vermerkt, bitte achten Sie darauf. Und bitte schauen Sie im Laufe des Tages immer wieder auf den Plan. Ich habe nämlich die Angewohnheit, dort spontan und ohne Vorwarnung etwas zu ändern.“

Er nippte an seinem Kaffee. Genau richtig! Nicht zu viel Kaffeesahne, nicht zu wenig.

„Regelmäßig auf den Terminplan schauen. Wird gemacht, Sir.“

„Vielen Dank. Das wäre im Moment alles.“

Wieder wandte sie sich zum Gehen. Und wieder hielt er sie im letzten Moment zurück.

„Ach, und noch etwas, Lillian.“

Sie wandte sich zu ihm um. „Ja, Sir?“

„Der Kaffee ist richtig gut. Ich hoffe, für Tee sind Sie ebenso begabt.“

„Ich werde mir Mühe geben.“

Sie verließ das Büro und schloss die Tür hinter sich. Nigel lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und lächelte versonnen.

Kaum war die Tür zu Nigel Stathams Büro ins Schloss gefallen, begannen Lilys Knie zu zittern. Sie schaffte es gerade noch zu ihrem Sekretärinnenschreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die erste Runde in ihrer falschen Identität hatte sie überstanden. Aber es würden noch viele weitere folgen …

Lillian. Eigentlich fand sie den Namen ziemlich daneben. Aber es musste ja ein Name sein, auf den sie automatisch reagierte. Und da hatte sich eine Kombination ihrer beiden Vornamen – Lily und Ann – förmlich aufgedrängt.

Für ihren falschen Nachnamen hatte sie Kindheitserinnerungen bemüht. George – so hatten ihre Schwestern und sie ihren ersten Hund genannt. Ein träger, gutmütiger Basset, den ihr Vater herrenlos auf dem Parkplatz aufgelesen hatte.

Ihre Mutter war von dem Familienzuwachs überhaupt nicht begeistert gewesen, bis sie feststellte, dass George Himmel und Hölle zusammenbellte, wenn ein Fremder das Grundstück betrat. Seitdem schätzte sie ihn als Wachhund und schloss ihn in ihr Herz.

Lily war also ab sofort Lillian George. Lillian … oje, in ihren Ohren hörte sich das eher nach einer biederen Bibliothekarin um die fünfzig an.

Irgendwie fühlte sie sich auch so. Wenigstens was ihre Kleidung anging. Sie liebte es flott, pfiffig, farbenprächtig. Nicht so eintönig, wie sie jetzt gekleidet war. Aber für ihren Job bei Ashdown Abbey wollte sie seriös wirken. Obendrein wollte sie sich so weit wie möglich von ihrem wahren Ich unterscheiden, damit man sie nicht mit Zaccaro Fashions in Verbindung brachte.

Falscher Name, anderes Outfit, Brille, dunkler getöntes Haar – sie konnte nur beten und hoffen, dass das als Tarnung reichte.

In dieser Hinsicht kam es ihr auch zugute, dass Zaccaro Fashions noch nicht so bekannt war. Ihre Schwestern und sie gehörten nicht gerade zu den Menschen, auf die die Fotografen sich stürzten. Sicher, gelegentlich tauchten sie mal in den Zeitungen auf, aber dann eher, weil ihre Familie so wohlhabend war. Als Besitzerinnen eines Modeunternehmens waren sie öffentlich bisher kaum in Erscheinung getreten.

Allmählich begann Lily sich zu beruhigen. War doch alles gut gelaufen bisher! Die Personalabteilung hatte sie eingestellt, der Chef hatte sie gesehen und offenbar für gut befunden. Auf jeden Fall hatte er ihren kleinen Schwindel nicht aufgedeckt.

Alles lief ganz normal, soweit sie es beurteilen konnte.

Wie ruhig es hier war! Bei Zaccaro Fashions hätte man jetzt Stimmen, Lachen, das Surren von Nähmaschinen gehört. Aber nicht hier. Hier, in diesem Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen, waren natürlich Verwaltung und Produktion strikt getrennt.

Die Stille kam ihr plötzlich fast verdächtig vor. Das Surren von Nähmaschinen hätte sie beruhigt. Aber das gab es hier ja nicht. Nur diese Stille …

Reiß dich zusammen, Lily, ermahnte sie sich. Nigel Statham glaubt, du bist seine neue Assistentin, also benimm dich gefälligst auch so.

Sie beschloss, sich mit dem Computer zu beschäftigen. Zwar hatte ihre Vorgängerin ihr das Betriebssystem erklärt, aber es gab bestimmt einige Tricks und Feinheiten, die sie sich noch aneignen musste.

Und ganz wichtig: der Terminplan des Chefs! Den musste sie immer im Auge behalten, damit sie nicht von unangekündigten Änderungen überrascht wurde.

Plötzlich musste sie an ihre Schwestern denken, und das schlechte Gewissen regte sich. In den Tagen zwischen ihrer Bewerbung und ihrer Einstellung bei Ashdown Abbey hatte sie ihnen nichts von der ganzen Sache erzählt, und als sie überraschend früh ihren Job hatte antreten können, hatte sie ihnen nur einen Brief hinterlassen. Darin hatte sie ihnen beschieden, dass sie sich um eine persönliche Angelegenheit kümmern müsse. Es könne einige Zeit dauern, aber sie sei auf keinen Fall in Gefahr. Die Schwestern sollten sich keine Sorgen machen und auch nicht versuchen, sie aufzuspüren. Sie würde sich so bald wie möglich mit ihnen in Verbindung setzen.

Lily konnte nur hoffen, dass ihre Schwestern sich wirklich keine Sorgen machten. Aber sie war einfach noch nicht bereit, ihnen alles zu erzählen. Eines Tages würde sie es natürlich tun. Bei einer guten Flasche Wein. Und sie würden sich sicher köstlich darüber amüsieren.

Wenn alles gut ausging.

Falls alles gut ausging.

Bevor sie ihren Job angetreten hatte, hatte sie sich mit dem Detektiv Reid McCormack getroffen. Er sollte heimlich alle Angestellten von Zaccaro Fashions überprüfen. Lily glaubte zwar nicht, dass dabei etwas herauskam, aber sicher war sicher.

Sie hatte dem Detektiv gesagt, dass sie eine Zeit lang nicht in der Stadt wäre, ihn aber einmal in der Woche anrufen würde, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Das war sicherer, als wenn er sie zu erreichen versuchte. Ob im Apartment der Schwestern oder auf ihrem Handy, während sie in ihrer geheimen Mission unterwegs war – das konnte nur zu Komplikationen führen.

Im Stillen hoffte sie, dass der Detektiv nichts Negatives herausfinden würde. Denn es würde sie sehr schmerzen, wenn herauskam, dass jemand aus ihrem engen Umfeld sie hintergangen hatte.

Aber bis zum ersten Austausch mit dem Detektiv war es noch lange hin. Jetzt musste sie sich erst einmal auf ihren neuen Job und ihre eigenen Nachforschungen konzentrieren.

Sie vertiefte sich in Nigels Terminkalender. Heute schien ein relativ ruhiger Tag für ihn zu sein. Die meiste Zeit würde er im Büro verbringen. Er hatte eine Verabredung zum Mittagessen und nachmittags ein Gespräch per Konferenzschaltung, aber es war kein Termin dabei, zu dem Lily ihn hätte begleiten müssen. Zum Glück! Denn jedes Zusammentreffen mit Personen aus der Modebranche barg die Gefahr, dass jemand sie erkannte.

Vorsorglich sah sie sich auch gleich noch die Termine für den Rest der Woche an und nahm sich vor, sie in ein paar Stunden erneut zu checken. Wie Nigel Statham gesagt hatte – es konnte sich jederzeit ohne Vorankündigung etwas ändern!

Autor

Heidi Betts
Die Liebesaffäre der preisgekrönten Autorin Heidi Betts mit dem Romance-Genre begann schon in der Grundschule, als sie sich in Liebesromane anstatt in ihre Hausaufgaben vertiefte. Es dauerte nicht lange, bis sie den Entschluss fasste, eigene Romane zu schreiben.

Ihr erstes Buch wurde vom Dorchester Verlag im Jahr 2000 veröffentlicht, gefolgt von...
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