Eine skandalöse Winternacht

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Nein, das darf nicht wahr sein! Fünf Minuten in Johns Gegenwart können unmöglich den Schutzwall niederreißen, den Celia so mühsam um sich errichtet hat. Dabei darf sich die junge Witwe nicht den kleinsten Fehler erlauben. Wenn es ihr gelingt, den waghalsigen Auftrag der Königin zu erfüllen, kann sie endlich ein sicheres Leben führen. Ohne Ängste - und ohne einen untreuen Mann wie John Brandon! Einst hat er sie ins Unglück gestürzt. Nun soll ausgerechnet er sie auf die gefährliche Reise in das winterliche Schottland begleiten. Doch so sehr sie ihn auch hassen will, er beschwört ein Verlangen in ihr, dem sie sich ganz und gar ergeben will …


  • Erscheinungstag 02.12.2014
  • Bandnummer 310
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763923
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Whitehall Palace, Dezember 1564

Er war es!

Jäh von Schwindel erfasst suchte Celia Sutton Halt an den hölzernen Paneelen, mit denen die Wände des Audienzsaals verkleidet waren. Einem Meer aus Samt und Seide und Juwelen gleich brandete rings um sie die Menschenmenge und nahm ihr erneut die Sicht auf ihn. Für ihre Ohren klang das Stimmengewirr, das affektierte, angespannte Lachen all der Wartenden, die voller Sorge auf Anhörung bei der Königin hofften, wie das unartikulierte Gezeter einer Vogelschar.

Sie rieb sich die Augen und spähte umher, doch selbst als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte sie über die Köpfe der Leute hinweg nichts entdecken. Sie fand ihn nicht mehr, sah nicht eine Spur von der hochgewachsenen Gestalt mit dem achtlos aufblitzenden Lächeln, die sie an der Tür entdeckt zu haben glaubte. Er war fort.

Oder vielleicht war er auch niemals hier gewesen, war nur ein Trugbild ihres Geistes gewesen. Sie hatte nicht gut geschlafen – viel zu oft hatte sie bis tief in die Nacht hinein Königin Elisabeths weihnachtlichen Festlichkeiten beigewohnt. Sie hatte zu viele Sorgen, und sie zehrten an ihr.

Und doch – er hatte so … echt gewirkt.

„Nein, er war es nicht“, flüsterte sie vor sich hin. John Brandon war fort. Seit mehr als drei Jahren – drei sehr langen, harten Jahren – hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und sie würde ihn nie wieder sehen. Mehr noch, sie wollte ihn nie wieder sehen. Ein Wiedersehen mit ihm würde sie nur daran erinnern, welch törichtes Mädchen sie einst gewesen war, und daran, wie schwach sein reizvolles Gesicht sie gemacht hatte. Und gerade jetzt benötigte sie all ihre Kraft.

Sie richtete sich auf und atmete tief ein, bemühte sich um Ruhe und Haltung. Bald würde die Königin sie rufen lassen, und wenn sie zu ihr hineinging, musste sie einen klaren Kopf haben. Davon hing ihr zukünftiges Leben ab. Sie sollte jetzt vorausschauen, nicht zurück. Nicht an John Brandon denken.

Doch immer noch lauerte das Bild in ihrem Kopf, dieser flüchtige Anblick seiner sehnigen, muskulösen Gestalt, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Trotz der lodernden Glut in den riesigen Feuerstellen, trotz des Menschengedränges, trotz ihres pelzbesetzten Samtgewandes fröstelte es sie.

Auf jedem Gesicht im Saal zeichnete sich Verzweiflung ab – jeder sah seine letzte Chance darin, sich der Königin bemerkbar machen zu können. Trug sie den gleichen Ausdruck? Sie fürchtete es fast. Was würde John sagen, wenn er sie so sehen könnte? Würde er sie überhaupt erkennen?

Die Tür zu den Privatgemächern der Königin öffnete sich, und jedermann wandte den Kopf in der Hoffnung, aufgerufen zu werden. Doch die Hoffnung sank, als nur Anton Gustavson und Lord Langley heraustraten, mit denen die Königin sich wohl gerade beraten hatte. Erneut rauschte das angespannte Geplapper auf.

Celia versteifte sich, als ihr Blick dem Antons begegnete. Er war ihr lang verschollener schwedischer Cousin, erst kürzlich in England eingetroffen, um seine Ansprüche auf Briony Manor geltend zu machen, dem Besitz ihrer beider Großeltern hier in England. Dieses Gut war Celias letzte Hoffnung darauf, angenehm und unabhängig leben zu können, ohne sich den Launen eines grausamen Gemahls beugen zu müssen. Aber nachdem sie gesehen hatte, wie Anton die Königin bezauberte und alle anderen Damen bei Hofe dazu, gab sie auf diese Hoffnung nichts mehr. Er würde den Besitz zugesprochen bekommen, wodurch sie erneut der zweifelhaften Barmherzigkeit der Familie ihres verstorbenen Gatten überlassen wäre.

Anton nickte ihr skeptisch zu, und sie knickste als Antwort. Außer ihm hatte sie keine Familie mehr, doch er war ihr fremd, und sie konnte ihm kein Vertrauen schenken. Das war eine der harten Lehren, die sie aus der Bekanntschaft mit John Brandon gezogen hatte – niemals dem Äußeren oder ihren Gefühlen zu trauen. Immer vorsichtig zu sein.

Eine junge Frau, Antons neuester Flirt, trat an seine Seite und berührte zärtlich seinen Arm. Er lächelte auf sie nieder, und sie schauten einander in die Augen, als wären sie ganz allein auf der Welt.

Der Anblick machte Celia todtraurig. So hatte sie selbst einst John angeschaut, gewiss, dass er dieses strahlende Band zwischen ihnen ebenfalls spürte. Aber letztendlich hatte sich das als Täuschung herausgestellt.

Sie wandte sich von den beiden Menschen ab und tat so, als betrachtete sie die Tapisserien an der Wand, doch die lebhaften Farben des Seidengewebes verschwammen ihr vor den Augen. Sie sah nur noch einmal jenen längst vergangenen Sommertag, als die Sonne so warm und hell am wolkenlos blauen Himmel gestanden hatte, spürte den kühlen Schatten unter den uralten Bäumen, wo sie auf ihn gewartet hatte. Sich auf seine Küsse gefreut hatte, darauf, seinen kraftvollen Körper zu spüren …

Doch er war nicht gekommen, damals … obwohl er ihr doch eine gemeinsame Zukunft angedeutet hatte. Die warme Sonne war erloschen, und nur die Schatten waren geblieben.

Er war es nicht, sagte sie sich wütend. Er ist nicht hier. Nein.

Wieder öffnete sich die Tür, dieses Mal war es der Majordomus der Königin. Angespannt verstummten die Wartenden.

Celia drehte sich ihm zu und fuhr sich dabei rasch über die Augen. In den ganzen drei Jahren hatte sie nicht geweint, also würde sie nicht gerade jetzt damit anfangen.

„Mistress Celia Sutton, Ihre Hoheit die Königin wird Euch nun empfangen“, verkündete der Mann.

Neidvolle Blicke hefteten sich auf sie, doch sie ignorierte sie und trat langsam vor. Dies war ihre Chance. Sie durfte sich durch die Erinnerung an John Brandon nicht auch nur einen winzigen Moment ablenken lassen. Zu viel hatte er ihr schon genommen.

In der breiten Türleibung hing ein kleiner Spiegel, der ihr ihr Abbild zeigte – die enganliegende schwarze Haube auf dem streng aufgesteckten dunklen Haar, der hohe Pelzkragen ihres Gewandes, das Ohrgeschmeide aus schwarzem Bernstein. Sie trug Trauer um den dahingeschiedenen Gatten, den sie nicht zu betrauern vermochte. Kummer prägte ihr bleiches Gesicht, nur ihre Wangen waren leicht gerötet – in Erinnerung an jenen längst vergangenen Sommertag? In ihren grauen Augen glänzten unvergossene Tränen.

Gewaltsam unterdrückte sie sie, verschränkte fest die Hände vor der Taille, während sie dem Majordomus in die königlichen Privatgemächer folgte. Auch hier herrschte reger Betrieb, doch die Atmosphäre war lockerer, die Gespräche leicht und ungezwungen. Hofdamen in pastellfarbenen Roben saßen flüsternd und kichernd, über Stickarbeiten gebeugt, auf ringsum verstreuten Polstern und Hockern und an der in Marmor gefassten Feuerstelle. In einer Ecke hockten hübsche junge Höflinge über einem Kartenspiel und warfen den Damen zwischendurch verliebte Blicke zu.

Nur Robert Dudley, der höchste Favorit der Königin, war nirgends zu sehen. Man sagte, dass er sich nach den verstörenden Ereignissen der Weihnachtszeit – dem versuchten Anschlag auf das Leben der Königin – Tag und Nacht nur um die Sicherheit am Hofe mühte. Auch der Erste Sekretär, Lord Burghley, der doch der Königin kaum von der Seite wich, war nicht anwesend.

Königin Elisabeth saß allein an einem mit Bittschriften übersäten Tisch beim Fenster. Bleiches Sonnenlicht fiel durch das dicke Glas, sodass ihr rotgoldenes Haar ihr Haupt einem feurigen Strahlenkranz gleich umrahmte und ihr elfenbeinfarbener Teint nachgerade zu leuchten schien. Sie trug eine prachtvolle, mit weißem Pelz verbrämte Robe aus karminrotem Samt über einem goldfarbenen Unterkleid; an ihren Fingern und Ohrläppchen glühten Rubine, und in ihr Haar waren Perlenschnüre geflochten.

Zoll für Zoll war sie die junge, glanzvolle Königin, doch unter ihren dunklen Augen lagen Schatten, und sie presste die Lippen streng zusammen, so, als hätten die letzten Tage an ihren Kräften gezehrt.

Celia hatte gehört, dass nicht allein jene befremdlichen Geschehnisse die Königin bekümmerten. Gesandtschaften aus Österreich und Schweden weilten am Hofe, bedrängten sie um ihre Hand. Von Spanien und Frankreich ging eine permanente Bedrohung aus, und ihre Cousine Maria Stuart, die schottische Königin, war ihr ohnehin schon immer ein Dorn im Fleische.

Fast kam Celia zu dem Schluss, dass ihre eigenen Sorgen im Vergleich dazu eine Kleinigkeit waren. Zumindest wollte niemand sie töten oder heiraten.

„Mistress Sutton“, hub Königin Elisabeth an, „Ihr musstet lange warten, fürchte ich.“ Bei diesen Worten tippte sie auf einige Papiere vor sich, wobei die Ringe an ihren Fingern aufblitzten.

Celia sank in einen tiefen Knicks und näherte sich dem Tisch. „Ich bin sehr dankbar, dass Eure Hoheit geruhen, mir etwas von Eurer kostbaren Zeit zu schenken.“

Elisabeth machte eine abwehrende Geste. „Ihr werdet vielleicht weniger dankbar sein, wenn Ihr vernehmt, was Wir zu sagen haben, Mistress Sutton. Bitte, setzt Euch.“

Ein Lakai stürzte vor und schob Celia einen Stuhl hin, auf den sie dankbar niedersank. Sie hatte das grässliche Gefühl, dass diese Audienz nicht den von ihr so sehnlichst gewünschten Verlauf nehmen würde. „Eure Hoheit sprechen von Briony Manor?“

„Ja.“ Elisabeth hob eine Schriftrolle. „Dieses Papier hier besagt klar, dass Euer Großvater wünschte, dass der Besitz an Master Gustavsons Mutter und anschließend an ihren Sohn selbst gehen soll. Wir sind der Meinung, dass Wir das nicht übergehen können.“

Erneut umfing Celia eisige Kälte, die Kälte der Enttäuschung, des Zorns – den sie unterdrücken musste. Aber wenn sie Briony Manor nicht bekam, wohin sollte sie dann? Wo sollte sie ein Heim finden? „Ich verstehe, Euer Hoheit.“

„Es tut mir leid für Euch.“ Die Worte klangen wahrhaftig, als empfände die Königin echtes Bedauern. Sie hatte sogar ‚mir‘ anstatt des förmlichen ‚Uns‘ benutzt. „Einst, als ich noch ein Mädchen war, hatte auch ich keinen Ort, an den ich wirklich gehörte, an dem ich mich wirklich sicher fühlen konnte. Ich war vollständig von anderen abhängig – von meinem Vater, meinem Bruder, meiner Schwester. Sogar mein Leben hing von ihren Launen ab.“

Erstaunt betrachtete Celia die Königin. Sehr selten nur erwähnte Elisabeth ihre schwierige Vergangenheit. Warum nun, und warum ausgerechnet ihr gegenüber? „Euer Hoheit?“

„Ich weiß, wie Ihr Euch fühlen müsst, Mistress Sutton. Wir sind uns in mancher Hinsicht ähnlich, denke ich. Und daher habe ich das Gefühl, dass ich einen großen Gefallen von Euch erbitten kann.“

Erbitten? Oder verlangen? „Natürlich werde ich tun, was ich nur kann, um Euer Hoheit zu Diensten zu sein.“

Wieder tippte Elisabeth auf die Papiere vor sich. „Ihr habt gewiss die Gerüchte bezüglich meiner Cousine Königin Maria vernommen. Sie scheint für meine Höflinge stets von größtem Interesse zu sein.“

„Ich … nun, ja, Euer Hoheit, manchmal höre ich etwas über sie. Beziehen sich Euer Hoheit auf ein spezielles Gerücht?“

Elisabeth lachte. „Oh, ja, es gibt in der Tat viele. Doch ich beziehe mich darauf, dass sie eine Heirat ins Auge gefasst haben soll. Man sagt, sie erhoffe sich eine Verbindung, die ihrer ersten Ehe mit dem König von Frankreich vergleichbar wäre. Ich hörte, sie habe Don Carlos von Spanien im Sinn, König Phillips Sohn.“

„Dieses Gerücht ist auch mir zu Ohren gekommen, Euer Hoheit“, bestätigte Celia. Allerdings hatte sie auch gehört, dass Don Carlos dem Irrsinn verfallen sei, doch selbst eine solch große Schönheit wie Königin Maria war anscheinend gerne bereit, um des Titels ‚Königin von Spanien‘ willen über so etwas hinwegzusehen.

Jäh schlug Elisabeth mit der Faust auf den Tisch, sodass ein Tintenfass scheppernd zu Boden fiel. „Das darf nicht sein! Eine so mächtige Verbindung darf meine Cousine nicht eingehen. Sie bedeutet auch so schon Ärger und Bedrohung genug. Ich riet ihr, einen englischen Edelmann zu ehelichen. Ich brauche an ihrem Hof jemanden, dem ich trauen kann.“

„Euer Hoheit?“, fragte Celia verwirrt. Wie konnte sie bei einer solchen Aufgabe behilflich sein?

Elisabeth senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Seht ihr, Mistress Sutton, ich habe einen Plan. Aber zu seiner Durchführung brauche ich Hilfe.“

„Wie kann ich wohl dabei helfen, Euer Hoheit? Ich kenne keinen Kandidaten für die Hand der schottischen Königin.“

„Oh, darum werde ich schon Sorge tragen. Ich habe den perfekten Kandidaten – jemanden, dem ich völlig vertrauen kann. Noch darf ich nicht sagen, wer es ist, aber ich verspreche, Ihr werdet bald schon alles Nötige erfahren.“ Die Königin lehnte sich in ihrem Sessel zurück und griff nach einer der Schriftrollen. „Indessen sucht die Countess of Lennox, die sowohl meine als auch Marias Cousine ist, um einen Pass für ihren Sohn Lord Darnley nach. Er wünscht seinen Vater aufzusuchen, der nun in Edinburgh residiert.“

Celia nickte. Auch von diesem Ersuchen wusste sie sehr wohl, da Lady Lennox ihr gegenüber in den vergangenen Tagen gewisse indiskrete, vertrauliche Äußerungen hatte fallen lassen, des Inhalts, dass Lady Lennox hoffte, Königin Maria werde Lord Darnley, wenn sie ihn erst einmal gesehen hatte – groß, blond und engelhaft schön – ehelichen und zum König von Schottland machen. Da auch er von königlichem Geblüt war, würde das außerdem Marias Anspruch auf das Erbe des englischen Throns stärken.

Celia war sich nicht so sicher, ob der Plan gelingen konnte, der ganz und gar von Lord Darnley abhing. Selbst sie, die doch noch nicht sehr lange am Hofe weilte, erkannte sehr wohl, dass hinter seiner hübschen Fassade ein Trunkenbold und Aufschneider lauerte, der überdies an Damen gar nicht allzu sehr interessiert zu sein schien.

„Ja, Euer Hoheit?“, äußerte sie jedoch nur.

„Es scheint, Lady Lennox hat sich in letzter Zeit mit Euch angefreundet.“

„Lady Lennox nahm mich hier sehr freundlich auf. Doch sie erzählt mir kaum etwas, außer, dass sie ihren Gemahl vermisst.“

„Ich zögerte bisher, Lord Darnley nordwärts reisen zu lassen. Er scheint mir jemand zu sein, auf den man besser ein Auge hat. Doch Lord Burghley rät mir dazu, und so bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ihm der Pass gewährt werden sollte. In einer Woche wird er nach Schottland aufbrechen.“

„So bald, Euer Hoheit?“ Celia war überrascht, dass zur Zeit überhaupt jemand auf den Gedanken kommen sollte, zu reisen. Seit Menschengedenken hatte es keinen so kalten Winter mehr gegeben. Sogar die Themse war völlig zugefroren. Wer vernünftig war, blieb daheim an seinem Feuer.

„Ich bin der Überzeugung, dass Zeit in dieser Sache von höchster Wichtigkeit ist“, sagte die Königin. „Und Lord Darnley scheint begierig darauf, zu reisen. Ich wünsche, Mistress Sutton, dass Ihr Euch der Reisegesellschaft anschließt.“

Celia versuchte, die Königin nicht wie eine blöde Bauernmagd anzustarren. Was sollte sie nur sagen? Wie ihre durcheinanderpurzelnden Gedanken ordnen? Sie, nach Schottland reisen? „Ich fürchte, ich verstehe nicht recht, inwiefern ich Euch in Edinburgh von Nutzen sein könnte, Euer Hoheit.“

Elisabeth seufzte ungeduldig. „Ich überlasse Euch der schottischen Königin Maria als Hofdame – eine freundliche Geste an meine Cousine. Mistress Sutton, ich brauche dort eine Dame, die alles aus nächster Nähe beobachtet. Für bestimmte Dinge sind Männer ja durchaus gut, und natürlich wird Lord Burghley seine Spione in der Reisegesellschaft unterbringen. Aber eine Frau sieht vieles, wofür Männer blind sind – besonders, was andere Frauen betrifft. Ich muss erfahren, wie Maria in Wahrheit über diese mögliche Heirat denkt. Und ich muss wissen, ob sie diesbezüglich … beeinflussbar ist.“

„Und Euer Hoheit glauben, dass ich das meistern kann?“, fragte Celia vorsichtig.

Elisabeth lachte. „Dessen bin ich mir sicher. Ich habe Euch während der letzten Tage beobachtet, Mistress Sutton, und bemerkt, dass Euch kaum etwas entgeht. Dass Ihr hinschaut und zuhört. Eine solche Person brauche ich. Nicht eine herumstolzierende Hofschranze, die nichts als den Schnitt ihrer Robe im Kopf hat. Für mich ist es lebenswichtig, zu erfahren, was meine Cousine tut. Von der Wahl ihres Ehegatten hängt die Sicherheit unserer nördlichen Grenzen ab.“

Abermals nickte Celia. Wie jedermann sonst wusste auch sie, wie unberechenbar die schottische Königin sein konnte. Und Celia schaute und horchte in der Tat; denn nur so konnte eine alleinstehende Frau überleben. Außerdem war ihr klar, dass sie nicht wählerisch sein konnte. Ohne eigenes Vermögen, ohne eigenen Landbesitz, ohne Ehemann und Familie als Stütze war sie ganz auf die Gunst der Königin angewiesen.

Doch besser das als die herzlosen Almosen ihrer Schwiegereltern.

„Natürlich würden Eure Bemühungen belohnt“, erklärte Elisabeth. „Sobald Königin Marias Heirat zu unserer Zufriedenheit in die Wege geleitet ist und Ihr zurück an meinem Hof seid, wird auch für Euch eine Heirat in Aussicht gestellt, die beste, die ich für Euch arrangieren kann. Das verspreche ich, Mistress Sutton, sodass Ihr für immer gut situiert seid.“

Ein eigenes Landgut, ein schöner Besitz, wäre Celia lieber als ein Ehemann. Nach ihrer Erfahrung waren Ehemänner zu nichts nütze. Doch vorerst würde sie akzeptieren, was die Königin ihr bot – und später neu verhandeln.

„Was hieße ‚gut situiert‘?“, fragte sie.

Die Königin lächelte, zog ein zusammengefaltetes Blatt unter der Mappe auf ihrem Tisch hervor und reichte es Celia. „Hier steht alles, was Ihr wissen müsst, Mistress Sutton. Ich beabsichtige, Maria den Namen meines bevorzugten Kandidaten zu unterbreiten. Seid Ihr erst an ihrem Hofe und habt Botschaften für mich, übergebt sie meinem Vertrauensmann; er wird sie mir auf schnellstem Wege zukommen lassen.“

Celia schob das Papier in ihren Ärmel. „Vertrauensmann, Euer Hoheit?“

„Ja. Ihr sollt ihn gleich kennenlernen.“ Sie winkte dem Majordomus, der sich mit einer Verneigung hinter eine Tapetentür zurückzog. Nur einen Augenblick später kam er zurück, gefolgt von einem hochgewachsenen, schlanken Mann, der modisch mit dunklem Samt und Seide angetan war.

John Brandon! Er war es also doch gewesen! Keine Illusion.

Bei seinem Anblick erhob Celia sich halb, sank aber sofort wieder auf ihren Sitz zurück. Ihr wurde eisig kalt.

Als er sie sah, riss er die Augen – diese sommerhimmelblauen Augen, die sie einst so sehr geliebt hatte – weit auf. Einen kurzen Moment lang las sie in deren Tiefen eine Empfindung; der Hauch eines Lächelns erschien auf seinen Lippen. Doch dann verschleierte sich sein Blick, und sie fand nichts mehr darin als die blasierte Langeweile, die von Höflingen gerade so gepflegt wurde. Nichts deutete drauf hin, dass er sie erkannt hatte.

„Ah, Sir John, da seid Ihr ja!“ Die Königin winkte ihn zu sich und streckte ihm eine Hand entgegen, über die er sich mit einer verschnörkelten Verneigung beugte. Dabei lächelte er so aufreizend, dass Elisabeth lachen musste.

„Eure Hoheit strahlen heller als die Sonne“, beteuerte er. „Mitten im Winter spendet Ihr uns noch Licht und Wärme.“

„Schmeichler!“ Die Königin lachte noch mehr.

Celia erinnerte sich noch gar zu genau an dieses Lächeln und daran, wie auch sie jedes Mal, wenn er es ihr schenkte, lachen musste und errötete. Damals war das Lächeln halb unter einem kurz geschorenen Bart verborgen gewesen. Nun war John glatt rasiert und zeigte offen seine klaren, scharf geschnittenen Züge, auf denen nun dieses Lächeln noch viel verführerischer blitzte.

Aus dem Augenwinkel nahm Celia wahr, dass einige der jungen Hofdamen kicherten und seufzten. Ja, auch daran erinnerte sie sich sehr gut – an das Empfinden, unter diesem glutvollen Lächeln dahinzuschmelzen. Doch das war nun lange her, und sie hatte die schmerzlichen Folgen erfahren, die es mit sich brachte, John Brandons Zauber zu erliegen.

„Sir John, dies ist Mistress Celia Sutton, die ebenfalls die Reise nach Schottland antreten wird.“ Königin Elisabeth senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. „Alle ihre Botschaften sollen mir ganz persönlich zugestellt werden. Ihr, Sir, werdet das übernehmen und außerdem in Edinburgh für ihre Sicherheit sorgen.“

Ganz kurz runzelte John die Stirn, als hörte er das nicht gern. Doch es konnte ihm kaum unangenehmer sein, als es Celia zuwider war. Ihr sank das Herz; sie war entsetzt und verwirrt. Mit ihm würde sie reisen müssen? Ihm vertrauen?

Ihr erster Gedanke war, aufzuspringen, zu schreien, dass sie diese Aufgabe nicht übernehmen könne, und aus dem Raum zu laufen. Doch sie biss sich auf die Lippen, dass es fast blutete, und zwang sich, zu schweigen und zu bleiben, wo sie war. Sie konnte, durfte der Königin nichts abschlagen. Und wohin hätte sie auch laufen sollen?

Rasch wieder gefasst, verneigte John sich noch einmal und sagte: „Ich bin stets Eurer Hoheit gehorsamer Diener.“

Selbstgefällig lächelnd wie eine Katze lehnte Elisabeth sich in ihrem Sessel zurück. „Kommt schon, Sir John, dies ist doch sicher Meilen von den schwierigen Aufgaben entfernt, die ich sonst von Euch erbitte. Mistress Sutton ist immerhin sehr hübsch, nicht wahr? Bestimmt wird es Euch nicht schwerfallen, ihr auf der langen Reise Gesellschaft zu leisten.“

Unter der Neckerei der Königin erstarrte Celia, während John ihr einen nur mäßig interessierten Blick schenkte. „Ich fürchte, in Gegenwart Eurer Hoheit bin ich unfähig, andere Frauen zu bemerken.“

Wieder lachte Elisabeth. „Dennoch erwarte ich, dass Ihr beide sehr gut zusammenarbeitet. Eure Mutter war Schottin, Sir John, nicht wahr?“

An Johns Kiefer zuckte ein Muskel. „Ja, Euer Hoheit.“

„Sie weilte sogar bei Hofe, als Königin Marie de Guise, Marias Mutter, regierte, meine ich zu wissen?“, fragte Elisabeth beiläufig, als wären jene Jahre unter Marie de Guises Regentschaft unwichtig gewesen, in denen die englischen Heere erbittert gegen die Schotten gekämpft hatten. „Daher solltet Ihr in der Lage sein, Mistress Sutton hilfreich zur Seite zu stehen, damit sie sich am schottischen Hofe zurechtfindet. Vielleicht begegnet Ihr ja dort sogar Familienangehörigen.“

„England ist meine Familie, Eure Hoheit“, entgegnete John knapp.

Das tat Elisabeth mit einer Handbewegung ab. „Ihr seid entlassen, Mistress Sutton, Sir John. Gewiss gibt es manches für die Reise vorzubereiten, und ich habe vor dem heutigen Bankett noch all diese Bittgesuche zu erledigen.“

Celia erhob sich langsam von ihrem Sitz und knickste mit zitternden Beinen. Noch konnte sie nicht ganz glauben, was während dieser kurzen Audienz geschehen war. Zwar brauchte sie sich nicht mehr zu sorgen, wo sie unterkommen und wovon sie leben sollte, dafür musste sie sich mit dem plötzlichen Auftauchen John Brandons anfreunden, und mit dem Gedanken daran, nach Schottland zu reisen, wo sie Königin Maria ausspähen sollte. Von all dem drehte sich ihr der Kopf.

Wäre es nicht so grässlich ernst gewesen, hätte sie glatt darüber lachen können.

John verneigte sich noch einmal vor der Königin, dann geleitete der Majordomus sie beide hinaus. Er führte sie nicht in den von Menschen erfüllten Empfangssaal, sondern durch eine verborgene Pforte in ein kleines, schwach erhelltes Gelass. Nach der vorhergehenden Helligkeit konnte Celia nichts erkennen, nur einige Tapisserien traten undeutlich auf den dunkel getäfelten Wänden hervor.

Sie rieb sich die Augen und atmete tief ein. Als sie die Hände sinken ließ, war der Haushofmeister fort – und sie war mit John allein.

Er musterte sie eindringlich; seine kraftvollen Schultern waren angespannt, doch seine Miene verriet nichts.

„Guten Tag, Celia“, sagte er leise. „Es ist lange her, nicht wahr?“

2. KAPITEL

Im Dämmerlicht des Raums hielt Celia den Blick auf John geheftet. Ein schwacher Lichtstrahl fiel auf sein Gesicht und zeigte ihr, dass die Jahre ihn verändert hatten, genau so, wie sie auch sie selbst verändert hatten. Er war sehniger, härter; seine blauen Augen, mit denen er sie wachsam musterte, kühler und frostiger.

Einst waren sie von warmem Blau wie der Sommerhimmel gewesen, hatten Celias Herz erweicht und ihren Widerstand durchbrochen. Nun aber war ihr Herz verhärtet und lag ihr taub und gefühllos und schwer wie ein Stein in der Brust. Und das war besser so. Gefühle trogen, waren unzuverlässig, man konnte ihnen nicht trauen.

Besonders, wenn es um diesen Mann ging.

Celia wich zurück, bis sie das harte Holz der Wandverkleidung im Rücken spürte. Er stand reglos da, betrachtete jedoch unverwandt ihr Gesicht. Ihr kam es vor, als folgte er ihr, als drückte er sich in diesen stummen Schatten gegen sie, als berührte sie sein harter, heißer Körper, so, wie es einst gewesen war. Als forderte er eine Reaktion heraus.

Krampfhaft bemüht, seinem Blick nicht auszuweichen, ihre Schwäche nicht zu zeigen, verkrallte sie die Hände in den Stoff ihrer Röcke.

Als sie endlich ihre Stimme wiederfand, sagte sie: „Ja, es ist tatsächlich lange her.“

Zu genau erinnerte sie sich noch, wann sie ihn das letzte Mal gesehen hatte: Es war daheim gewesen, unter einem Baum, ihrem verborgenen Treffpunkt. Er hatte sich dicht an sie gepresst, sodass ihr Rücken am rauen Stamm des Baumes lehnte, so wie sie sich nun gegen die harte Wand drückte. Und er hatte sie geküsst, heiß geküsst, hatte ihren Mund in Besitz genommen, verlangend, fordernd, hatte ihr die Röcke hochgeschoben und ihre Blöße gesucht. Und sie, seinem Drängen folgend, war ihm damals mit der gleichen Leidenschaft begegnet. An jenem Tag hatte ein so verzweifeltes Begehren zwischen ihnen geglüht, wie sie es nie zuvor gekannt hatte, und hatte sie dazu gebracht, von einer romantischen, strahlenden, gemeinsamen Zukunft träumen.

Und am nächsten Tag war er fort gewesen. Verschwunden, ohne auch nur ein einziges Wort.

„Aber noch immer nicht lange genug“, fügte sie kalt hinzu, „denn ich gedachte nicht, Euch je wiederzusehen.“

Immer noch musterte er sie von Kopf bis Fuß, erfasste ihr nüchternes Gewand, ihre Finger, an denen kein Ring prangte, ihr streng aufgestecktes Haar. Ganz kurz sah sie ein anderes Bild vor sich – John, wie er die Nadeln aus ihrem Haar löste, die schwere, seidige Masse durch seine Finger gleiten ließ. Elfenhaar hatte er es genannt und sein Gesicht darin vergraben …

Erneut heftete er den Blick seiner blauen Augen auf ihr Gesicht, sah sie so durchdringend an, als wollte er ihre Gedanken lesen.

Einst hatte sie ihm alles geschenkt, was sie hatte, hatte sich ihm ganz und gar hingegeben. Sie hoffte, dass sie nicht noch einmal so töricht wäre. Fest und kalt begegnete sie seinem Blick. Sollte er doch versuchen, in ihr zu lesen, sie einzuwickeln! Die vernarrte, dumme, unbesonnene Celia gab es nicht mehr. John hatte sie getötet – und gründlich nachgeholfen hatten dabei ihr naiver Bruder und später ihr elender Gemahl.

„Ich denke immer noch an dich, Celia“, sagte er plötzlich.

Eilends suchte sie ihre Überraschung zu verbergen. Er, an sie denken? Gewiss nicht. Außer vielleicht, um über ihre Einfalt zu lachen. Über die Unschuld vom Lande, die so rasch seinem Charme verfallen war, über die Tändelei, mit der er sich im ländlichen Exil die Zeit vertrieben hatte.

Celia lachte abfällig. Auf die förmliche Anrede verzichtend antwortete sie kalt. „Ich dachte, am Hofe gäbe es viel zu viel zu tun, um der Nostalgie zu frönen, John. All die Turniere, die es zu gewinnen, die Damen, um die es zu buhlen gilt. Sicherlich ist doch für einen Mann mit deinen … Vorzügen … jeder Augenblick vollends ausgefüllt.“ Sie ließ ihren Blick über seinen Körper gleiten, über die breiten Schultern, hinab zu den geschmeidigen Hüften, bis zu den langen Beinen in den hohen Lederstiefeln. Die Jahre hatten ihn kein bisschen verweichlicht.

Beim Anblick der Ausbuchtung in seinen Beinkleidern wandte sie hastig den Kopf ab. Diesen Teil seines Körpers hatte sie zu gut in Erinnerung … heiße, samtene Härte, die sich an sie drückte.

„Ja“, fuhr sie verkniffen fort, „du musst fürwahr beschäftigt sein.“

In diesem Augenblick schien seine eiserne Beherrschung zu reißen. Wie ein Falke sich auf seine Beute stürzt, packte er sie hart bei den Armen und schob sie gegen die Wand. Seine blauen Augen, die ihr so eisig erschienen waren, flammten nun wie glühende Blitze.

Celia merkte, wie ihre sorgsam errichteten Mauern bröckelten, und kämpfte um Fassung. Nein, das durfte nicht wahr sein! Fünf Minuten in Johns Gegenwart konnten unmöglich den Schutzwall niederreißen, den sie so mühsam um sich errichtet hatte. Sie wand sich in seinem Griff, doch er hielt sie unerbittlich fest.

„Lass mich los!“, stieß sie wütend hervor, doch er nahm sie nur noch fester zwischen der Wand und seinem Körper ge­fangen. Seine Wärme, dieses lebenssprühende Feuer, das ureigenster Teil von ihm war, umfing sie wie samtene, unzerreißbare Bande und weckte in ihr die Erinnerung an die Zärtlichkeit und das Begehren, die sie einst für ihn empfunden hatte.

„Was ist dir geschehen, Celia?“, fragte er mit rauer Stimme.

„Was meinst du?“, keuchte sie, verharrte völlig reglos und schaute hoch zu ihm. In seinem Kiefer zuckte ein Muskel, und er hatte seine Lippen wie im Zorn zusammengepresst. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Hände in den hohen Kragen seines Wamses krallte und fester und fester zuzog, bis er sie losließ. Bis sie ihm so wehgetan hatte wie er ihr damals.

„Du siehst aus wie die Celia, die ich kannte“, murmelte er. Langsam ließ er eine Hand über ihren vom samtenen Ärmel verhüllten Arm gleiten, hinab zu ihrem bloßen Handgelenk. In seinen Augen glühte ein Feuer auf, als er ihren eiligen Puls spürte; er verflocht seine Finger mit den ihren.

Sie stand wie angewurzelt. Wahrhaftig fühlte sie sich wie die angepeilte Beute eines über ihr kreisenden Falken, zu verstört, um sich aus dem Bann zu lösen.

„Du bist noch schöner als damals.“ Seine Stimme war sanft und tief. „Doch dein Blick ist hart.“

Celia bäumt sich in seinem Griff auf. „Du meinst, ich bin nicht mehr das törichte, leichtgläubige Mädchen, das sich von schönen Worten verführen lässt? Ich habe meine Lektion gelernt, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, John, und ich bin dankbar dafür.“

Er hob ihre Hand und betrachtete ihre Finger, die zarte, helle Haut, die gepflegten Nägel, und strich sacht über den ungeschmückten Ringfinger. Celia versuchte, sich zu befreien, doch trotz des trügerisch zärtlichen Griffs hielt er sie eisern fest.

„Du bist unverheiratet?“

„Nicht mehr verheiratet.“ Bitter lachte sie auf. „Dank Gottes Güte! Und ich beabsichtige nicht, je wieder zu heiraten.“

Zu ihrem Schrecken hob er ihre Hand noch weiter und drückte ihr seinen Mund in die Handfläche. Seine feuchten, glutheißen Lippen auf ihrer Haut … Unwillkürlich bebten ihr die Knie, ihr verräterischer Körper wurde schwach bis ins Mark, sodass sie sich fester gegen die Wand stützen musste. Diese Schwäche, dieser Ansturm dringenden Begehrens, das sie doch alles hinter sich geglaubt hatte, machten sie wütend. Sie versteifte sich und baute mühsam, Stein um Stein, ihren Schutzwall wieder auf.

„Ich mag mich verändert haben, John, du aber offensichtlich nicht“, sagte sie kalt. „Du nimmst dir immer noch, was du willst, ohne einen Gedanken an andere zu verschwenden. Du bist ein Eroberer, der fortwirft, was ihm keinen Spaß mehr bereitet.“

Sein Mund verharrte unversehens. Langsam hob er den Kopf und sah ihr in die Augen. Fast hätte sie unter der nackten, elementaren Wut seines Blickes aufgekeucht. Das Blau seiner Augen war nun beinahe schwarz, drohend wie Gewitterwolken.

„Du weißt gar nichts von mir“, flüsterte er, und durch die Sanftheit seines Tonfalls klang es umso nachdrücklicher. „Weißt nicht, was ich in meinem Leben schon alles habe tun müssen.“

Ich weiß, dass du mich verlassen hast, schrie es in ihrem Kopf; du hast mich in die grausamen Hände eines Ehegatten gejagt, in ein Leben, das mir keinen Zufluchtsort welcher Art auch immer übrig ließ. Sie musste sich auf die Lippe beißen, um die Worte nicht herauszuschreien. Stattdessen sagte sie: „Ich weiß, dass ich nicht mit dir zusammen für die Königin arbeiten will.“

„So wenig wie ich mit dir“, gab er zurück. Mit einem letzten kalten Blick auf ihre Gestalt ließ er sie los und wirbelte herum. Sichtbar angespannt blieb er stehen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Aber die Königin hat es befohlen. Willst du dich etwa ihren Anordnungen widersetzen?“

Celia schob sich die Hände hinter den Rücken und presste sie gegen die Wand; anders hätte sie sich nicht davon abhalten können, ihm die weichen Wellen seines hellbraunen Haares glatt zu streichen, die er sich gerade so zerzaust hatte. „Natürlich nicht.“

„Dann reisen wir also nach Edinburgh.“

Tief sog er die Luft ein, und Celia glaubte förmlich zu sehen, wie er seine geistige Rüstung wieder zurechtrückte.

Über die Schulter hinweg warf er ihr einen amüsierten Blick zu. „Ich sehe dich heute Abend beim Tanzfest, Celia.“

Sie schaute ihm nach, wie er die Kammer verließ und die Tür hinter sich schloss. Schwer lastete die Stille darin, erdrückte sie fast, bis sie hätte schreien mögen.

Langsam ließ sie sich an der Wand niedergleiten, bis sie, ihre Röcke um sich gebauscht, am Boden hockte. In ihrem Kopf hämmerte es, sie schlug die Hände vors Gesicht und kämpfte gegen die Tränen an, die zu fallen drohten.

Eigentlich hatte sie gedacht, noch schlimmer, noch schwieriger könnte ihr Leben nicht werden. Aber weit gefehlt. Sir John Brandon war die größte, schlimmste Schwierigkeit überhaupt.

Gottverdammt! Celia Sutton.

John stieß den Stapel Schriftstücke so heftig von sich, dass ein Teil zu Boden flatterte, und sackte schwer in seinem Sitz zurück. Es war äußerst wichtig, das alles zu lesen, damit er wusste, womit er in Schottland zu rechnen hatte. Dennoch stand vor seinen Augen nur eins, dachte er nur an eins – an Celia.

Celia. Celia.

Wild fuhr er sich mit allen zehn Fingern durchs Haar, doch er konnte sie sich nicht aus dem Sinn schlagen. Ihre kühlen grauen Augen – wie sie ihn damit in dem dämmrigen Gelass gemustert hatte, den Blick über seinen Körper hatte gleiten lassen, als gingen ihr genau die gleichen Erinnerungen durch den Kopf wie ihm selbst. Erinnerungen an die Glut von Haut auf Haut, Mund auf Mund, an suchende, tastende Hände.

Ihre Seufzer, wenn er sie nahm, sich mit ihr fester und ehrlicher verband als je mit einer Frau zuvor – oder danach.

Doch im nächsten Augenblick war ihr Blick hart und abweisend geworden, eisig wie die gefrorene Themse draußen vor seinem Fenster. Fort war seine Celia; die Frau, an die sich zu erinnern ihn in all den Jahren voller Widrigkeiten aufrecht gehalten hatte – es gab sie nicht mehr.

Oder vielleicht war sie nur verborgen, verschanzt hinter den gekreuzten Schwertern, die er in den Augen jener neuen, harten Celia zu sehen geglaubt hatte. Unbestreitbar hatte sie sich abgeschottet, weil ihre Seele zutiefst verletzt worden war, und so viel sie einander auch einst bedeutet hatten, sie würde seine Nähe nicht mehr zulassen. Und das zu Recht, denn eine der Wunden in ihrer Seele hatte er ihr zugefügt.

Einst hatte er in der ganzen großen Welt nichts anderes gewollt als sie. Sie hatte Gefühle in ihm erweckt, die er für immer verloren geglaubt hatte. Einen kurzen, strahlenden Augenblick lang hatte er sogar an eine gemeinsame Zukunft zu glauben gewagt.

Nach all den Jahren war dieses Band immer noch vorhanden. Als er sie vorhin berührt hatte, war es ihm so vorgekommen, als könnte er ihre Gedanken spüren, ihre Wut, ihre Leidenschaft. Und da war Hass gewesen, der Lust so ähnlich, dass er ihn fast auf den Lippen hatte spüren können, weil er Sehnsüchte beschwor, die er nicht weniger stark empfand.

Er hatte seine gesamte Beherrschung aufbringen müssen, um sie nicht zu Boden zu drücken, ihre Röcke hochzuschieben, ihre Hüften mit beiden Händen zu umfassen und ihren Duft zu schmecken, zu riechen. Sie zu fühlen, bis ihre Mauern fielen und seine Celia wieder zum Vorschein kam. Das Mädchen, das ihn einst zum Lächeln gebracht hatte.

Er ächzte, denn ihm wurde sein Beinkleid eng; seit er sie berührt hatte, war er erregt und wurde nun noch härter. Allein, sich zu erinnern, wie sie schmeckte – wie sommerwarmer Honig –, wie sie einst die Hände in sein Haar gewühlt und ihn dichter an sich gezogen hatte, machte ihn wahnsinnig vor Begehren.

Aber angesichts des mordlustigen Blicks, den sie soeben gezeigt hatte, waren Erinnerungen wohl das Einzige, was ihm noch gestattet war.

Er stand auf, ging zum Fenster seines kleinen Gemachs und öffnete es. Obwohl er sein Wams abgelegt hatte und nur ein leichtes Leinenhemd trug, stemmte er sich dem eisigen Wind entgegen. Die Kälte sollte ihn an seine Aufgabe gemahnen, ihn an seine Pflicht zurückrufen. Noch nie hatte er darin gefehlt, der Königin zu dienen. Auch jetzt dufte er nicht scheitern, so sehr Celia ihn auch ablenkte.

Draußen sah er den Fluss, ein gefrorenes, silbernes Band, grau und kalt wie Celias Augen.

So kalt wie dieses Jahr war es in der Weihnachtszeit seit Menschengedenken nicht gewesen, eisig genug, um die Themse bis zum Grund zufrieren zu lassen, sodass man auf ihrer Fläche einen Jahrmarkt aufgebaut hatte. Inzwischen war es etwas wärmer geworden, doch immer noch drifteten Eisschollen auf dem Wasser, und wer sich ins Freie wagte, hüllte sich bis über die Ohren in wärmende Gewänder.

Und in dieser Kälte würde er nach Schottland reisen müssen – mit Celia. Lange Tage, die sie Wärme suchend gemeinsam in einem Wagen zubringen würden, und noch längere Nächte in abgeschiedenen Gasthäusern, einander verbunden in Gefahr, in den Diensten der Königin. Bestimmt würde Celia sich ihm dann öffnen? Bestimmt konnte er dann ihre Schutzwehr nach und nach niederbrechen, bis seine Celia wieder zum Vorschein kam?

Nein! John schlug so hart mit der Hand auf das Fensterbrett, dass das von der Kälte spröde Holz riss. Und noch einmal: Nein! Das Ziel dieser Reise war es nicht, ihm zu ermöglichen, sich erneut an Celia zu verlieren, von etwas zu träumen, das er nie haben konnte. Stattdessen ging es darum, die Bedrohung aus dem Weg zu räumen, die Königin Maria darstellte, solange im Raum stand, dass sie sich durch eine unbedachte Heirat in eine für England ungünstige Allianz begab. Das beides durfte er niemals vergessen.

Falls er und Celia je eine Chance gehabt hatten, war die längst verspielt.

Es klopfte an der Tür.

„Herein!“, bellte John harscher als gewollt. Er war ziemlich gereizt; das musste er unbedingt in den Griff bekommen.

Doch offenbar konnte er seine Laune nicht völlig verbergen. Denn als sein Freund Lord Marcus Stanville eintrat und Johns Miene sah, hob er die dunkelblonden Brauen und äußerte: „Wenn ich mir von dir nicht die Nase blutig schlagen lassen will, sollte ich wohl besser später wiederkommen.“

John grinste zögernd und schüttelte den Kopf. Er ließ sich wieder auf einen Stuhl sinken und rieb sich verlegen den Nacken. „Die Damen bei Hofe würden mir nie vergeben, wenn ich dein hübsches Gesicht verunstaltete.“

Marcus gab das Grinsen zurück und warf die langen dunkelblonden Haare, die die Damen so liebten, in den Nacken. Wären die beiden Männer nicht seit ihrer Kindheit befreundet gewesen – sie waren nach dem Tode ihrer Eltern bei den gleichen Pflegeeltern aufgewachsen –, hätte John einen solchen Schönling sicher verabscheut. Doch er wusste, dass hinter den feinen Zügen ein kluger Geist wohnte und die lässige Haltung über einen flinken Schwertarm hinwegtäuschte. Mehr als einmal hatten sie sich gegenseitig das Leben gerettet.

„In der Tat mögen sie mein Gesicht gerade so, wie es ist.“ Marcus ließ sich nachlässig in einen Sessel fallen. „Aber die eine oder andere wohlüberlegt platzierte Wunde könnte vielleicht im Herzen einer gewissen Dame Mitgefühl erwecken …“

„Lady Felicity?“

„Aye. Sie ist ein hartherziges Frauenzimmer.“

John lachte. „Du bist nur nicht daran gewöhnt, jemandem hinterherzulaufen. Die meisten Frauen werfen sich dir ja schon zu Füßen, wenn du sie nur anlächelst.“

Marcus schnaubte. „Sagt der Mann, bei dem alle Frauen Londons Schlange stehen, um sein Bett zu teilen.“

Düster verzog John das Gesicht, denn er musste unwillkürlich an Celias graue Augen denken, aus denen sie ihn eisigen Blickes gemustert hatte. „Nicht alle Frauen“, brummte er.

„Was?“ Marcus lachte. „Sag bloß nicht, eine Dame hätte Sir John Brandon widerstanden! Wie überaus unwahrscheinlich! Sollte gar der jüngste Tag gekommen sein?“

Mit raschem Griff packte John ein dickes Buch und warf es nach seinem Freund, der sich duckte, es auffing und umgehend zurückwarf.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich das eines Tages erleben würde! Kein Wunder, dass du so finster dreinschaust.“

„Erfreu dich dran, solange du noch kannst, denn schon bald werden wir unterwegs zu dem verfluchten, froststarrenden Edinburgh sein.“

Marcus wurde ernst. „Ja, in der Tat. Ein Auftrag, der mir nicht sonderlich schmeckt. Kindermädchen für diesen Trunkenbold Darnley zu spielen! Ich wette, der Teufel selbst könnte den nicht vor Ärger bewahren.“

„Ich glaube, es steckt mehr dahinter.“

Die Hände auf die Knie gestützt, beugte Marcus sich vor. „Also hast du mit Burghley gesprochen?“

„Noch nicht, aber gewiss werden wir morgen zu ihm befohlen.“

„Wird es ähnlich ablaufen wie bei unserer Reise nach Paris?“

An Paris und an das, was dort geschehen war, erinnerte John sich sehr gut. An die Täuschungsmanöver, an die Gefahr. An die Sorge darüber, wie es Celia derweilen ergangen war. „Die schottische Königin war Elisabeth schon immer ein Dorn im Fleische.“

„Und wir werden ihn ziehen müssen?“

„Ich fürchte, ja. Auf die eine oder andere Art.“ Und die ganze Zeit über würde John mit seinem eigenen Dorn zurechtkommen müssen – einem Dorn mit, ach, so zarter, heller Haut hinter der scharfen Spitze. „Die Königin schickt noch eine weitere Person mit.“

Marcus stöhnte laut. „Außer Darnley und seinen Kumpanen?“

„Aye. Mistress Celia Sutton.“ Allein ihren Namen auszusprechen, ihn über seine Zunge gleiten zu lassen, drehte ihm fast das Herz im Leibe um. Die zärtlichen Gefühle, die er einst für sie gehegt hatte, waren ihm nun eine Qual.

„Celia Sutton?“ Marcus machte große Augen. „Die könnte einem mit einem Blick die Eier abfrieren.“

John lachte rau, dachte an die Erregung, die gerade erst nachgelassen hatte. Ein Blick von ihr, eine Berührung, der Duft ihrer Haut, und er war fast schmerzhaft hart geworden. „Sie kommt als persönliche Gesandte Ihrer Majestät – quasi die Verkörperung der tiefen Zuneigung, die die Königin für ihre Cousine hegt.“

„Da hätte sie genauso gut einen vergifteten Ring schicken können“, sagte Marcus abfällig „Obwohl – irgendetwas hat Mistress Sutton an sich, das …“ Er brach ab und musterte John abschätzend.

Autor

Amanda McCabe
Amanda McCabe schrieb ihren ersten romantischen Roman – ein gewaltiges Epos, in den Hauptrollen ihre Freunde – im Alter von sechzehn Jahren heimlich in den Mathematikstunden.
Seitdem hatte sie mit Algebra nicht mehr viel am Hut, aber ihre Werke waren nominiert für zahlreiche Auszeichnungen unter anderem den RITA Award.
Mit einer...
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