Historical Lords & Ladies Band 47

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HAPPY END FÜR HARRIET von ALEXANDER, MEG
England, 1815: Die tiefblauen Augen, die elegante Kleidung, die attraktive Gestalt … Gleich auf den ersten Blick verliert Miss Harriet Woodthorpe ihr Herz an Lord Ashby. Ihr Glück scheint perfekt - bis sie plötzlich von einem schlimmen Gerücht erfährt: Trachtet der Lord wirklich ihrer Schwester und deren Baby nach dem Leben? Harriet muss es herausfinden - auch wenn sie damit ihre Liebe in Gefahr bringt!

EINE BRAUT MUSS HER! von MARSHALL, PAULA
"Wenn du mir in neunzig Tagen keine Gemahlin vorstellst, bist du enterbt!" Die harten Worte seines Vaters setzen dem sorglosen Leben von Russell Chancellor, Lord Hadleigh, ein Ende: Eine Braut muss her - und zwar schnell! Die bezaubernde Mary, der er einst feurige Küsse raubte, scheint genau die Richtige. Damals hat sie ihn schmachvoll verlassen, aber nun wird er sie mit allen Mitteln zurückerobern …


  • Erscheinungstag 09.01.2015
  • Bandnummer 0047
  • ISBN / Artikelnummer 9783733761233
  • Seitenanzahl 352
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Meg Alexander, Paula Marshal

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 47

MEG ALEXANDER

Happy End für Harriet

Was für eine anmutige Dame! Die schöne Harriet durchschreitet das Tor des Landsitzes, und es ist um Lord Ashby geschehen. Mit ihr will er nicht nur das Bett teilen, sondern den Rest seines Lebens verbringen! Doch obwohl er spürt, dass sie ebenso empfindet, gibt sie sich abweisend, beinahe feindselig. Lord Ashby ist ratlos: Wie hat er sie bloß so erzürnt?

PAULA MARSHAL

Eine Braut muss her!

Was fällt ihm nur ein? Vor Jahren ließ er sie im Stich, und jetzt macht Russell Chancellor, Lord Hadleigh, ihr wieder den Hof. Niemals wird Mary seinem Werben nachgeben, zu sehr hat Russell sie verletzt. Dennoch wird sie kurz schwach und lässt zu, dass er sie leidenschaftlich küsst. Ein folgenschwerer Fehler! Nun verlangt ihr törichtes Herz nach mehr …

1. KAPITEL

Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich überrascht bin!“ Augusta Brandon schürzte verächtlich die dünnen Lippen. „Es ist typisch für George, sich da unten in Brüssel so eine kleine Unbekannte aufzugabeln.“ Sie hielt einen Moment inne, um dann empört fortzufahren: „Allerdings habe ich ihn nicht für so dumm gehalten, dass er sie auch heiratet.“

„Aber da wir es hier mit einer Tatsache zu tun haben, können wir nur versuchen, uns damit zu arrangieren“, entgegnete der hochgewachsene Mann, der mit dem Rücken zum Kamin stand. Dabei schaute er seine Cousine mit einem kaum wahrnehmbaren Ausdruck von Abscheu in den blauen Augen aufmerksam an.

„Niemals! Das werde ich ihm nie verzeihen. Wie konnte er nur auf so eine berechnende Person hereinfallen, die es lediglich auf sein Vermögen abgesehen hat. Hätte er sie nicht einfach mit einem eigenen Haus und einer Kutsche ausstatten können? Der Himmel allein weiß, wie oft er das in der Vergangenheit bereits getan hat.“

„Aber, meine Liebe, ich dachte, du würdest den höchsten moralischen Standards huldigen. Machst du dich jetzt etwa zur Fürsprecherin eines ausschweifenden Lebenswandels?“

„Hugh, dein hochmütiges Lächeln ist vollkommen unangebracht. Schließlich habe ich dich nicht hierher gebeten, um mich deinem unerträglichen Sarkasmus auszusetzen.“

Lord Ashby zog die Augenbrauen hoch. „Wenn ich mich recht entsinne, Augusta, hast du mich überhaupt nicht hierher gebeten.“ Genüsslich nahm er eine Prise Schnupftabak. „Ich bin auf Einladung deines Vaters hier, um meine neuen Cousinen kennenzulernen.“

„Pah, Cousinen! Die Töchter eines einfachen Arztes, der über keinerlei gesellschaftliche Verbindungen verfügt! Kein Mensch auf der Welt hat jemals den Namen Woodthorpe gehört.“

„Vielleicht nicht in deiner Welt“, entgegnete Hugh scharf. „Aber deine Bekanntschaften erschöpfen sich ja auch auf die Mitglieder des ton, nicht wahr? Dabei wird von Wellington berichtet, dass er großen Respekt vor Tom Woodthorpe hat. Die beiden haben seit ihrer Stationierung in Indien zusammen gedient. Da erscheint es mir ganz natürlich, dass George die Bekanntschaft von Woodthorpes Töchtern gemacht hat.“

„Was hat das denn schon zu bedeuten“, erwiderte Augusta Brandon heftig. „Wie viele Angehörige dieses Berufsstandes zählst du zu deinen Freunden?“

„Ein oder zwei, und ich habe sie als aufrechte, intelligente Männer kennengelernt, die kaum Interesse an den Nichtigkeiten der sogenannten feinen Gesellschaft haben.“

„Nur zu, halte ruhig zu George“, ereiferte sich Augusta, die das Glitzern in Hughs Augen nicht bemerkte. „Das tust du schließlich immer. Dabei hätte ich geglaubt, dass du, noch vor allen anderen, die Beleidigung unserer Familienehre erkennen würdest.“

Hugh blieb ruhig und gelassen. Er streckte eine Hand aus und berührte sacht Augustas Stirn, wo zwischen den Augen zwei steile Falten sichtbar waren. „Sieh dich vor, meine Liebe“, ermahnte er sie sanft, „dieser verbitterte Gesichtsausdruck bekommt deinem Aussehen überhaupt nicht. Ich befürchte, dass deine Falten tiefer werden.“

Erbost schlug sie seine Hand zur Seite. „Mach dich ruhig über mich lustig“, rief sie. „Aber wenn du ehrlich wärest, müsstest du zugeben, dass dir diese Heirat genau so wenig gefällt wie mir. Das Mädchen besitzt keinen roten Heller.“

„Das kümmert mich herzlich wenig.“ Lord Ashby zuckte gleichgültig die Schultern und ging hinüber zum Fenster. Er hatte das Geräusch einer heranrollenden Kutsche vernommen. „Sie sind da“, verkündete er und fügte hinzu: „Du solltest Charles aus dem Garten hereinrufen.“

Augusta klopfte energisch an die Fensterscheibe und bedeutete ihrem Gatten durch Winken, er möge zu ihr ins Haus kommen. Dann wandte sie sich erneut an Hugh, der plötzlich eigentümlich angespannt wirkte.

„Was ist los?“, wollte sie beunruhigt wissen. „Sind sie so unmöglich, wie wir vermutet haben?“

„Ich befürchte, dass dir eine schockierende Überraschung bevorsteht“, gab Hugh zurück. „Ich empfehle dir, nach Lavinia zu schicken. Du wirst ihre Unterstützung brauchen.“

„So schlimm sind diese Leute? Um Himmels willen, was sollen wir nur tun?“ Augusta zog an dem Klingelstrang und wies den unmittelbar darauf eintretenden Bediensteten an: „Lady Lavinia möchte auf der Stelle zu mir kommen.“ Während sie auf ihre Schwester wartete, tappte sie ungeduldig mit einem Fuß auf die Erde.

„Stell dich hier hinter mich“, befahl sie dem jungen Mädchen, sowie es eilig hereinkam. „Und sprich nur, wenn du direkt angesprochen wirst.“

„Hast du für mich auch irgendwelche Anweisungen?“, erkundigte sich Hugh mit sanfter Stimme, in der allerdings ein warnender Unterton mitschwang.

„Du kannst tun, was du willst“, gab Augusta schnippisch zurück.

„Wenn dem so ist …“ Hugh bewegte sich in Richtung Tür, die soeben geöffnet wurde. „Willkommen in Ihrem neuen Zuhause“, begrüßte er die eintretenden Damen und verneigte sich respektvoll. Augusta schnappte hörbar nach Luft.

Die größere der beiden Damen war das bezauberndste Geschöpf, das sie je gesehen hatte. Unter dem feschen Basthut, der mit feinstem Satinband eingefasst war, lugten goldblonde Locken hervor. Sie rahmten ein herzförmiges Gesicht mit ausdrucksvollen veilchenblauen Augen ein. Der makellose Teint rundete den Eindruck der Vollkommenheit ab.

Augusta Brandons Züge wirkten wie erstarrt. „Sie sind also Lady Swanbourne!“ Nun wusste sie, warum George so grenzenlos töricht gewesen war. Nur mit Mühe brachte sie die Andeutung eines Lächelns zustande.

„Ich freue mich aufrichtig, Sie kennenzulernen.“ Die junge Frau sprach leise, mit melodischer Stimme. „Bitte, nennen Sie mich Elizabeth. Und das muss Lavinia sein.“ Sie streckte dem hinter Augusta stehenden Mädchen freundlich eine Hand entgegen und wandte sich dann an Hugh.

„Darf ich mich vorstellen, Lady Swanbourne“, sagte er galant. „Mein Name ist Hugh Ashby; ich bin Georges Cousin.“ Mit unverhohlener Bewunderung musterte er Elizabeth, die unter seinem Blick errötete. Schnell drehte sie sich zu der jungen Frau um, die mit ihr hereingekommen war.

„Darf ich Sie mit meiner Schwester Harriet bekannt machen? Und mit Adam und Justin, meinen Brüdern.“

Ein knappes Neigen des Kopfes war alles, wozu sich Augusta zur Begrüßung durchringen konnte. „Ihre Schwester? Aber Sie sehen ihr nicht im Geringsten ähnlich.“

„Wir sind nur Halbschwestern, Madam“, schaltete sich Harriet ein. Die dunkle, wohlklingende Stimme schien so gar nicht zu ihrer äußeren Erscheinung zu passen. Sie war eher klein und trug eine mausgraue Pelisse sowie einen einfachen runden Hut. Weder eine Feder noch irgendein schmückendes Band lockerten den bescheidenen Eindruck auf.

Neben ihrer Schwester, die einen Kopf größer war und wie eine Lichtgestalt wirkte, sah Harriet bedeutungslos aus. Sie hatte kurze braune Locken und leicht getönte Haut. Sommersprossen zogen sich über die kleine, gerade Nase, und auch die kräftigen Augenbrauen entsprachen nicht dem gängigen Schönheitsideal. Sie reckte das Kinn ein wenig vor und sah Hugh herausfordernd an.

Ihm stockte der Atem. Ihre Augen, eine faszinierende Mischung von Braun und Grün, waren überwältigend, beinahe zu groß für das kleine Gesicht und von langen, dunklen Wimpern umrahmt. Unter den perfekt geschwungenen Brauen hervor traf ihn ein unerschrockener Blick.

Falls Harriet merkte, dass Hugh sie ungeniert anstarrte, ließ sie es sich nicht anmerken. Vielmehr beugte sie sich zu den beiden Jungen hinab, die sie an der Hand hielt, und lächelte sie aufmunternd an.

„Das scheinen mir zwei prächtige Burschen zu sein“, bemerkte er leichthin. „Wie alt sind sie?“

„Adam ist zehn, Justin sechs Jahre alt.“

„George hätte uns vorwarnen sollen“, ertönte Augustas Stimme. „Wir haben nicht so viele Mitglieder der Familie erwartet. Sie, Lady Swanbourne, werden selbstverständlich Georges Zimmer bewohnen. Aber was die anderen angeht …“

„Ich bin sicher, dass meine Schwester irgendwo ein Plätzchen für uns finden wird“, warf Harriet rasch ein, obwohl sie nicht angesprochen worden war.

„Vielleicht gibt es ja irgendwo einen Dachboden?“, schlug Augusta bissig vor.

Hugh warf ihr einen Blick zu, unter dem sie dunkelrot wurde. Bevor sie zu einer weiteren boshaften Bemerkung ansetzen konnte, sagte er: „Augusta beliebt zu scherzen. Dieses Haus ist groß genug, um eine ganze Armee darin unterzubringen.“ Wieder schaute er Harriet an und erkannte, dass ihre gelassene Miene nur aufgesetzt war. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Hugh vermutete, dass sie außer sich vor Zorn war.

„Willst du nicht Tee servieren lassen, Augusta?“, schlug er mit gedämpfter Stimme vor. „Ich bin sicher, die Damen würden nach der langen Reise eine Erfrischung begrüßen.“

„Selbstverständlich.“ Augusta war gänzlich unberührt davon, dass er sie an ihre Pflichten als Gastgeberin erinnerte. Sie bedeutete Elizabeth, sich neben sie zu setzen, und zog dann unnötig heftig an der Klingelschnur.

„Sie werden mir sicherlich gern etwas über meinen Bruder berichten, Lady Swanbourne. Wie geht es George? Ich muss gestehen, dass diese plötzliche Heirat uns alle ziemlich schockiert hat.“

Elizabeth spürte, wie ihr Gesicht vor Verlegenheit von einem rosigen Schimmer überzogen wurde. „Das tut mir leid“, versicherte sie. „Wir hatten keine so überstürzte Hochzeit geplant. Aber Napoleon marschiert mit seinen Truppen in nördlicher Richtung durch Frankreich. George ist der festen Überzeugung, dass Napoleon die Alliierten angreifen will. Und deshalb wollte er mich zu seiner rechtmäßigen Ehefrau machen, bevor …“ In Elizabeths Stimme, die bei diesen Worten leiser geworden war, schwang plötzlich ein leichtes Zittern mit.

Harriet streichelte ihrer Schwester beruhigend die Hände. „Bitte, Lizzie, du darfst dich damit nicht so sehr belasten.“ Und an die anderen Anwesenden gerichtet, fuhr sie fort: „Der französische Kaiser wird möglicherweise nicht über die Grenzen seines eigenen Landes hinaus marschieren, aber es war Georges ausdrücklicher Wunsch, seine Gattin nach England in Sicherheit bringen zu lassen. Mein Vater stimmte darin mit ihm überein.“

„Ich finde es verwunderlich, dass Ihre Frau Mama Sie nicht begleitet hat“, meinte Augusta boshaft. „Ihre Brüder sind noch sehr jung, und dass Sie alle ohne ausreichenden Schutz reisen durften …“

„Aber wir haben die Reise gewiss nicht schutzlos unternommen, Lady Brandon.“ Harriet war erbost über die unterschwellige Kritik an ihrer Mutter, wahrte jedoch Haltung. „Colonel Leggatt begleitete uns nach London, da er Depeschen des Duke of Wellington zu überbringen hatte.“

„Und unsere Mutter“, warf Elizabeth ein, „hat immer schon ihren Platz in erster Linie an der Seite unseres Vaters gesehen. Da sie wusste, dass wir in Sicherheit waren, wollte sie ihn keineswegs allein zurücklassen.“ Elizabeth vermied den Blickkontakt mit Harriet. Sie erinnerten sich beide nur zu gut an die hitzigen Debatten in Brüssel. Doch Mrs Woodthorpe, die, wenn es sein musste, bekanntermaßen über eiserne Entschlossenheit verfügte, hatte schließlich ihren Willen durchgesetzt.

„Ich verstehe.“ Augusta Brandon reichte Elizabeth in einer übertrieben höflichen Geste den Schlüssel für die Teedose. „Da Sie ja jetzt hier die Hausherrin sind, möchten Sie den Tee wohl selber aufbrühen.“ Ihr säuerlicher Gesichtsausdruck ließ keinerlei Zweifel daran, wie sehr sie es verabscheute, hinter Georges Ehefrau zurücktreten zu müssen.

„Oh bitte … Nein … Ich möchte nicht … Ich meine, gehen Sie bitte so vor, wie Sie es gewohnt sind.“

Bevor Augusta etwas entgegnen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und ein junger Mann, dessen Alter Harriet auf ungefähr neunzehn Jahre, so alt wie sie selber war, schätzte, stürmte herein.

„So ein Mist“, rief er aus und strich sich mit allen zehn Fingern durch das zerwühlte Haar. „Ich wollte pünktlich hier sein, um euch alle zu begrüßen. Wer von den Damen ist denn nun Georges Gattin?“

„Das bin ich“, antwortete Elizabeth und streckte ihm eine Hand entgegen. „Ich hätte dich überall erkannt. Du musst Piers sein.“

Die Ähnlichkeit des jungen Mannes mit George war in der Tat verblüffend. Er verfügte über eine stattliche Figur und hatte wie George dunkle Locken und strahlend blaue Augen. Elizabeth musterte den jüngeren Bruder ihres Gemahls freundlich.

„Piers, dir mangelt es mal wieder an jeglicher Beherrschung. Deine Einstellung zu dem, was gemeinhin gute Erziehung genannt wird, erstaunt mich stets aufs Neue. Du kommst hier hereingestürmt wie ein junger Bulle und hast kein Wort für Charles oder mich übrig.“ Augusta war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.

Piers wirkte zerknirscht und bemühte sich, den schlechten Eindruck, den er womöglich gemacht hatte, zu korrigieren. Er verneigte sich vor Harriet, begrüßte höflich seine Schwester und deren Mann, warf Lavinia ein Lächeln zu und schüttelte Hugh die Hand. Dann beugte er sich zu den beiden kleinen Jungen hinunter.

„Seid ihr fertig mit eurem Tee?“, erkundigte er sich. „Ich glaube, ihr würdet gern die Stallungen sehen.“

Justin und Adam, die bislang auf Harriets Geheiß still am Fenster gesessen hatten, strahlten ihn an. Doch bevor sie antworten konnten, sprach bereits wieder Augusta.

„Setz dich, Piers“, befahl sie barsch, „und lungere hier nicht so herum. Wir sprachen gerade über die Hochzeit deines Bruders.“

„Er ist ein Glückspilz!“ Piers schaute Elizabeth mit unverhohlener Bewunderung an. „Wie hat er es nur geschafft, dich für sich zu gewinnen?“

Augustas konsternierter Gesichtsausdruck angesichts dieser, für sie, unverfrorenen Bemerkung reizte Harriet zum Lachen. Geistesgegenwärtig nahm sie ein Taschentuch aus ihrem Retikül und presste es gegen die Lippen, wobei sie einen Hustenanfall vortäuschte. Interessiert schaute Hugh auf ihren gesenkten Kopf.

„Piers, du kannst später die Schwächen deines Bruders auflisten“, schlug er vor. „Diese jungen Damen hier müssen sehr erschöpft sein. Gewiss möchten sie sich eine Weile ausruhen, bevor sie deinen Vater kennenlernen.“

Augusta verschluckte den Kommentar, der ihr auf den Lippen lag, nach einem schnellen Blick in Hughs Gesicht. Stattdessen begnügte sie sich mit einer neuen spitzen, an Elizabeth adressierten Bemerkung. „Der Duke fühlt sich nicht wohl“, erklärte sie. „Er leidet unter einem Schock.“

Befriedigt sah sie, dass sie die beabsichtigte Wirkung erzielt hatte, denn die junge Lady Swanbourne wurde plötzlich sehr blass. „Ich hoffe sehr“, gab Elizabeth erschrocken zurück, „dass es nicht die Nachricht von Georges und meiner Vermählung war, die dieses Unglück …“

„Nein, selbstverständlich nicht“, warf Hugh rasch ein. „Unser verehrter Duke ist schon seit Monaten krank.“

Augusta musste erkennen, dass sie für den Moment ins Hintertreffen geraten war. „Ich werde Sie jetzt verlassen, Lady Swanbourne“, verkündete sie in eisigem Tonfall. „Da Sie nunmehr angekommen sind, gibt es für meine weitere Anwesenheit keinen Grund.“

„Nein, bitte, Sie dürfen nicht meinetwegen gehen“, bat Elizabeth. „Falls Sie sich jedoch von dem Wohlergehen Ihres Vaters überzeugen …“

„Sie werden mir zugestehen, dass ich seinen Zustand am besten beurteilen kann.“

„Oh ja, natürlich“, beeilte sich Elizabeth zu versichern und erhob sich von ihrem Stuhl. Es schien müßig, noch länger darauf zu hoffen, dass Augusta sich etwas umgänglicher zeigen würde. „Dann entschuldigen Sie uns jetzt, bitte.“

„Dürfen die Jungen mit mir kommen?“, bat Piers eifrig, und Elizabeth wechselte einen Blick mit ihrer Schwester.

„Unseren Segen habt ihr“, versicherte Harriet und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Aber du musst aufpassen, dass sie dich nicht ärgern.“

„Ach, Harriet! Du weißt doch, dass wir versprochen haben, brav zu sein.“ Beide Kinder schauten vorwurfsvoll zu ihr auf.

„Dann lauft los!“ Als sie sich umwandte, sah sie sich Auge in Auge Hugh gegenüber. Offen und unerschrocken hielt sie seinem Blick stand. Sie musterte ihn ebenso kritisch wie er sie.

Wie ein richtiger Gentleman sieht er aus, dachte sie, groß und kräftig gewachsen. Piers überragte ihn zwar noch um einige Inches, doch Hugh hatte eine von Autorität geprägte Ausstrahlung. Dadurch konnte er wohl jede beliebige Gesellschaft dominieren. Seine Kleidung bestach durch raffinierte Schlichtheit. Harriet erkannte in Hugh sogleich einen Mann, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen.

Er verfügte über eine besondere Art von Attraktivität allein schon dadurch, dass er eine ungeheure Energie ausstrahlte. Die dunkelblauen Augen schienen tief in sie hineinsehen zu können, und um dem intensiven, fast schon intimen Blick zu entkommen, machte Harriet auf dem Absatz kehrt und folgte ihrer Schwester.

Hugh kämpfte mit den unterschiedlichsten Gefühlen und bemühte sich, sie unter Kontrolle zu bringen. Doch die Emotionen waren überwältigend, und er brach in Gelächter aus.

„Du findest diese Gestalten lustig, mein Lieber? Das überrascht mich nicht, obwohl ich die Situation ganz und gar nicht amüsant einschätzen kann. Die beiden Frauen sind einfach unmöglich!“

„Verzeih, liebe Augusta. Darum geht es mir im Moment gar nicht.“ Hugh hatte vielmehr überlegt, ob Harriet wohl Mängel an ihm gefunden hatte, und diese Vorstellung war einfach zu komisch für ihn.

„Elizabeth ist wunderschön“, war jetzt Lavinias zaghafte Stimme zu vernehmen.

Augusta bedachte sie mit einem bitterbösen Blick. „Du gehst am besten sofort hinter diesen Personen her“, befahl sie streng. „Dieses Mädchen, das aussieht wie eine Zigeunerin, kann das Zimmer neben dem seiner Schwester haben.“

„Aber … Ist es nicht ziemlich klein?“

„Gut genug für sie. Ich glaube kaum, dass sie jemals in einem Haus wie diesem gelebt hat.“

„Aber wenigstens scheint Lady Swanbourne warmherzig und freundlich zu sein“, gab Charles Brandon, Augustas Mann, der sich bis zu diesem Moment schweigsam verhalten hatte, einen Kommentar ab. „Sie wird für deinen Vater sorgen, und als Hausherrin wird sie den Wunsch haben …“

„Ihre Wünsche interessieren mich nicht. Sie ist ein absolutes Nichts! Wenn du jetzt die Kutsche vorfahren lassen würdest, Charles.“ Augusta winkte ihren Gatten ungeduldig fort.

„Du tätest gut daran, Augusta, dir in Erinnerung zu rufen, dass Elizabeth die Schwiegertochter des Duke und rechtmäßige Ehefrau seines Erben ist.“ Hugh sprach sehr eindringlich. „Sie ist jetzt die Herrin hier, ob dir das nun passt oder nicht.“

„Ich beneide sie nicht um diese Aufgabe“, gab Augusta mit einem hässlichen Lachen zurück. „Ein kranker alter Mann und ein Haus voller undisziplinierter Dienstboten! Davon abgesehen, hat sie überhaupt keine Ausstrahlung. Sie ist eine Milch-und-Wasser-Kreatur, wenn ich mich nicht gewaltig irre.“

„Würdest du ihre Schwester auch so einschätzen?“

„Bitte, Hugh, erwähne dieses unmögliche Geschöpf nicht noch einmal. Diese Harriet ist eine vorlaute, anmaßende Person ohne Anspruch auf eine feinere Lebensart. Ich werde sie einfach ignorieren.“

Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und blieb neben ihr stehen. „Augusta“, sagte er, „sei keine Närrin! Willst du etwa eine Familienfehde starten? George kann deine Haltung nur negativ bewerten.“

„Wenn ich meinen Bruder sehe, wird er etwas zu hören bekommen. Er ist blind und taub für jegliche Vernunft. Dass er sich von einem hübschen Gesicht so hat blenden lassen!“

„Ja, Lady Swanbourne ist eine Schönheit, nicht wahr? Ich glaube, ich habe noch nie zuvor eine Frau gesehen, deren Gesicht und Figur dermaßen perfekt sind.“

„Nun, ich muss zugeben, dass sie rein äußerlich vom Schicksal sehr begünstigt wurde, aber George müsste allmählich gelernt haben, seinen Appetit zu zügeln. Ich lasse mich von Elizabeths engelsgleichem Aussehen gewiss nicht täuschen. Ich glaube, sie hat meinem Bruder ein Eheversprechen abverlangt, bevor sie mit ihm das Bett teilte.“

Hugh sah sie lange an. Sein Blick war eiskalt. „Du hast eine unglaubliche Boshaftigkeit in dir, liebe Cousine. Das ist mir auch schon bei anderer Gelegenheit aufgefallen. Deine letzte Bemerkung war vulgär.“

Augusta wurde dunkelrot. „Du wagst es, mich zu kritisieren?“

„Irgendjemand muss dich auf deine Unzulänglichkeiten hinweisen“, erwiderte Hugh ungerührt. „Elizabeth ist Georges Frau, und daran kannst auch du nichts ändern.“

„Ich habe es nicht nötig, mich von dir beleidigen zu lassen.“ Augusta erhob sich. „Ich wünsche dir viel Freude mit deinen neuen Verwandten. Du wirst sie zweifelsohne schnellstmöglich deinen Freunden präsentieren wollen.“

„Das wird mich keine Überwindung kosten. Lady Swanbourne ist wie ein Diamant allererster Güte. Das musst selbst du zugeben.“

„Wie bedauerlich, dass sie bereits vergeben ist. Wenn du dich anstrengst, kann du ja vielleicht noch die Schwester gewinnen.“

Augustas schrille Stimme drang klar und deutlich durch das geöffnete Fenster nach draußen. In dem darüber liegenden Zimmer konnte Harriet jedes Wort verstehen. Zunächst wollte sie spontan von ihrem Fenster zurücktreten, doch als sie hörte, wie unten über sie gesprochen wurde, blieb sie wie angewurzelt stehen.

„Harriet?“, hörte sie Lord Ashbys sagen. „Warum nicht? Es ist wohl nicht einfach für sie, stets in Gesellschaft einer solch außergewöhnlichen Schönheit zu sein. Doch wahrscheinlich verfügt sie über andere Qualitäten, und ihre Augen sind wahrlich bemerkenswert.“

Harriet hörte den amüsierten Unterton in Lord Ashbys Stimme, und sie wurde blass vor unbändigem Zorn. Möglicherweise wollte er lediglich Augusta reizen, doch das gab ihm weder das Recht, ihren, Harriets, Namen ins Spiel zu bringen, noch sich über ihr Aussehen auszulassen.

„Aber, mein lieber Hugh! Kann es sein, dass sie dich auf den ersten Blick gefesselt hat? Was hast du nur für einen Geschmack! Und welch eine Verbindung für dich! Du solltest keine Zeit verlieren und dich sofort um sie bemühen.“

„Deine Versuche, sarkastisch zu sein, sind lächerlich“, beschied er sie. „Allerdings danke ich dir für dein Interesse an meinen Aussichten, in den Ehestand zu treten.“

„Sie wird rund und fett sein, bevor sie vierzig Jahre alt ist“, stieß Augusta erbittert hervor.

„Wie nett von dir, mich darauf hinzuweisen.“ Die Versuchung, Augusta bis aufs Blut zu reizen, war einfach unwiderstehlich. „Aber ich schwärme sowieso nicht für Bohnenstangen.“

„Du bist unmöglich!“ Augusta griff nach ihrem Kaschmirschal und dem Retikül. „Ich gehe jetzt zu meinem Vater, um mich zu verabschieden, und du kannst mir glauben, dass ich danach so bald keinen Fuß mehr in dieses Haus setzen werde.“

„Ich bin untröstlich.“ Hugh schlenderte zur Tür und öffnete sie für Augusta.

Ein Stockwerk höher atmete Harriet mehrmals tief durch. Sowohl Lady Brandon als auch Lord Ashby waren einfach unerträglich. Sie warf einen Blick zum Bett. Zum Glück hatte Elizabeth von dem Gespräch unten nichts mitbekommen. Das Leben in diesem Haus versprach schwierig für ihre Schwester zu werden.

„Lizzie, kann ich irgendetwas für dich tun?“ Harriet trat an das Bett und schaute besorgt in Elizabeths blasses Gesicht. Diese hatte auf der Überfahrt unter der stürmischen See gelitten, und die Reise in der Kutsche hierher war ebenfalls beschwerlich gewesen.

„Ich bin lediglich müde. Lass mir nur eine halbe Stunde Zeit, dann werde ich wieder frisch sein.“ Elizabeth lächelte, doch auf Harriet machte sie nicht den Eindruck, als ob sie sich so bald erholt haben würde. „Wo sind die Jungen?“, wollte Lizzie wissen.

„Wahrscheinlich noch bei Piers. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Sie konnten es kaum abwarten, endlich herumrennen und sich bewegen zu dürfen.“

Elizabeth seufzte. „Piers ist George so ähnlich“, stellte sie verträumt fest. „Und Lavinia hat mir auch gut gefallen.“

„Mir fällt auf, dass du Lady Brandon noch gar nicht erwähnt hast.“

„Oh Harriet, ich fand sie schrecklich! Ich weiß nicht, wie ich mit ihr umgehen soll.“

„Ich glaube kaum, dass du viel mit ihr zu tun haben wirst“, gab Harriet zurück. „Vor wenigen Augenblicken hat sie Lord Ashby darüber informiert, dass sie nicht die Absicht hat, dies Haus in absehbarer Zukunft erneut mit ihrer Anwesenheit zu beehren.“

„Meinetwegen?“

„Seinetwegen gerade so viel wie deinetwegen. Die beiden hatten unten eine ziemlich heftige Auseinandersetzung.“

„Davon habe ich nichts gemerkt. Ich hoffe inständig, dass ich nicht der Anlass dazu war“, sagte Elizabeth besorgt. „Es kann ihr nicht gefallen, mich hier als Herrin des Hauses zu sehen.“

„Sie steht ihrem eigenen Haushalt vor.“ Harriet zuckte gleichgültig die Schultern. „Meine Sympathien gelten ihrem Gatten.“

„Er kam mir sehr … zurückhaltend vor“, bekräftigte Elizabeth. „Offensichtlich ist Lord Ashby der Einzige, der mit Lady Brandon umzugehen weiß.“

„Das kann ich nur unterstreichen. Die beiden sind gut aufeinander eingespielt.“ In der Erinnerung an den belauschten Wortwechsel musste Harriet unwillkürlich lachen.

„Oh Harriet, findest du ihn unsympathisch? Ich fand ihn sehr zivilisiert und freundlich.“

„Ach, mein liebes Schwesterherz, was soll ich nur mit dir machen? Du siehst in jedem Menschen etwas Gutes. Schaust du denn niemals hinter die glatte Fassade?“

„Ich … ich weiß nicht, was du meinst.“ Elizabeth schien verunsichert.

„Lord Ashby ist genau der Typ von Mann, den ich verabscheue. Seine guten Manieren sind bedeutungslos, denn sie dienen nur als Maske für seinen arroganten Charakter. Er würde uns seinen Unmut niemals direkt zeigen, aber hinter unserem Rücken …“

„Nein, Lizzie, du bist ungerecht“, fiel Elizabeth ihr ins Wort. „George hält große Stücke auf ihn, und er hat sich intensiv um den alten Duke gekümmert. Das war bestimmt nicht einfach für ihn.“

„Zweifellos hat er seine Gründe für derart nobles Verhalten.“ Harriet ließ sich in ihrer Meinung nicht beirren.

„Bitte, denk nicht so schlecht über ihn, nachdem du ihn doch gerade erst kennengelernt hast. Er hat so eine gewisse Ausstrahlung … Ich meine, niemand würde wagen, entgegen seinen Wünschen zu handeln.“

„Ach nein? Dann wird es Zeit, dass ihn jemand herausfordert. Er scheint diesen Haushalt ganz und gar unter Kontrolle zu haben, und das darfst du ihm nicht gestatten.“

„Harriet, du würdest doch nicht etwa …? Elizabeth schaute ihre Schwester misstrauisch an.

„… ich würde nicht darauf bestehen, dass du hier die Herrin bist? Und ob ich das tun würde!“ Harriet hielt inne, als sie Elizabeths entsetzte Miene bemerkte, und lachte liebevoll. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich anständig aufführen. Lord Ashby kann von Herzen gern hier schalten und walten, wie es der alte Duke für wünschenswert hält. Aber er wird jede Hoffnung aufgeben müssen, dich oder mich zu kontrollieren.“

„Ich bin der festen Überzeugung, dass das nicht in seiner Absicht liegt. Und ohne Lord Ashbys Hilfe“, setzte Elizabeth hinzu, „wäre Georges Vater nicht in der Lage, sich um seine Besitztümer zu kümmern.“

„Und ist sich Seine Lordschaft dieses Wertes wohl bewusst?“ Harriet kam in den Sinn, wie Lord Ashby sie mit einer Mischung aus kühler Selbstsicherheit und Bewunderung in den Augen gemustert hatte. Die markanten Falten, die sich von der Nase zu seinen Mundwinkeln zogen, verliehen seinem Gesicht einen Ausdruck von leiser Verachtung. Zwar konnte niemand etwas für sein Aussehen, doch Harriet musste sich eingestehen, dass ihre negative Meinung über Lord Ashby durchaus von seiner äußeren Erscheinung bekräftigt wurde.

„Du darfst dich nicht in diese Dinge hineinsteigern“, bat Elizabeth. „Es ist doch verständlich, dass Georges Familie von unserer Eheschließung alles andere als begeistert ist. Aber George bestand darauf, und ich wollte weder ihm noch mir das Glück versagen, bevor er …“ Mit tränenerstickter Stimme brach sie ab, und mitfühlend schloss Harriet sie in die Arme.

„Du bist wirklich ein Gänschen, Lizzie“, rief sie liebevoll aus. „Eine Redensart besagt, dass nur die Guten jung sterben. Und da dein George ein manchmal recht hinterlistiger Mann ist, wird er wahrscheinlich ewig leben.“ Harriet war längst nicht so leicht zumute, wie ihre Worte vermuten ließen.

„Mach bitte keine Scherze darüber. Dir ist die Gefahr, in der er schwebt, so gut bewusst wie mir. Wenn nur dieses Monster Napoleon nicht von Elba entflohen wäre! George hätte mich niemals fortgeschickt, wenn er nicht fest davon überzeugt wäre, dass der französische Kaiser Brüssel erobern will. Ich habe ihn angefleht, in seiner Nähe bleiben zu dürfen. Doch er ließ einfach nicht mit sich reden.“ Elizabeths Tränen flossen nun ungehindert.

„Aber George wäre sehr ungehalten, wenn er sehen könnte, wie du deinen Ängsten freien Lauf lässt“, entgegnete Harriet energisch. „Komm, wir wollen die Situation nicht schlimmer machen, als sie ist. Besser wäre es, du würdest dein Gesicht waschen und ein anderes Kleid anziehen. Wir werden in Kürze dem Duke unsere Aufwartung machen. Soll er seine Schwiegertochter etwa als verängstigtes Wesen mit rot geweinten Augen kennenlernen?“

„Du hast ja recht“, stimmte Elizabeth zu. „Es war sehr egoistisch von mir, nur an mich zu denken. Ich hoffe so sehr, dass Georges Vater eine Zuneigung zu mir fasst.“

„Es wird ihm gar nichts anderes übrig bleiben. Du bist die sanftmütigste Person auf der Welt und viel zu gut für diese hochnäsige Familie.“

Harriets Aufmerksamkeit galt im nächsten Moment den Geräuschen, die sie von unten hören konnte. Hufe klapperten, und eine Kutsche rollte vor. Schnell trat sie ans Fenster und sah, dass Augusta Brandon sich soeben von einer kleinen Gruppe Leute verabschiedete und hastig in das Gefährt einstieg, gefolgt von ihrem Mann.

„Lady Brandon reist ab“, verkündete Harriet fröhlich. Als Elizabeth Anstalten machte aufzustehen, fügte sie hinzu: „Aber du bleibst, wo du bist. Es ist jetzt sowieso zu spät, ihr eine gute Reise zu wünschen.“ Dann trat sie einen Schritt vom Fenster zurück, weil sie nicht gesehen werden wollte.

Doch genau in dieser Sekunde schaute Hugh nach oben und erkannte sie. Wieder sah er sie auf seine bedeutungsvolle Art und Weise an, und Harriet verspürte den kindischen Drang, ihm die Zunge herauszustrecken. Doch sie unterdrückte den Impuls und erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ärgerlich registrierte sie, dass Lord Ashbys Augen kurz aufleuchteten. Er hob eine Hand zum Gruß und warf Harriet ein vielsagendes Lächeln zu. Zu ihrem Leidwesen spürte sie, dass ihr eine verräterische Röte in die Wangen stieg. Hastig trat sie hinter den schweren Vorhang zurück.

2. KAPITEL

Harriet war noch immer tief in Gedanken versunken, als Kathie in das Zimmer kam, ein frisch gebügeltes Kleid über jedem Arm.

„Ich dachte, dass du vielleicht das gelbe anziehen würdest“, erklärte Elizabeth. „Kathie hielt es für angemessener als das lavendelfarbene Musselinkleid.“

„Das ist vollkommen in Ordnung“, versicherte Harriet und lächelte ihre ehemalige Kinderfrau voller Zuneigung an. „Kathie, meine Liebe, hast du dich inzwischen gut eingerichtet?“

„Ich bin zufrieden, danke. Lady Lavinia hat dafür gesorgt, dass ich das Zimmer neben den Jungen bekomme.“

„Wie freundlich sie ist!“, rief Elizabeth aus. „Du musst zugeben, Harriet, dass sie ganz und gar nicht arrogant ist.“

„Nein, sie hat eine Heidenangst vor ihrer Schwester, genauso wie ich vor dir.“ Harriets vor Vergnügen funkelnde Augen straften ihre Worte Lügen.

Elizabeth ging jedoch ernsthaft auf ihre Schwester ein. „Harriet, wie kannst du so etwas sagen! Du hast vor nichts und niemand Angst. Ich wünschte, ich hätte nur halb so viel Mut wie du. Ich werde noch lange nicht vergessen, wie beherzt du all unsere Probleme auf der Reise angegangen bist.“

„Ach was“, wischte Harriet den Einwand ihrer Schwester beiseite. „Dabei handelte es sich lediglich um mein angeborenes Bedürfnis, andere nach meiner Pfeife tanzen zu lassen.“

„Ein wahres Wort, Miss Harriet. Wir alle können ein Lied davon singen“, bestätigte Kathie und streifte ihr energisch das gelbe Kleid über den Kopf. „Schon als Kind mussten Sie immer Ihren Willen durchsetzen. Richtig widerspenstig waren Sie.“

Elizabeth mochte nichts davon hören. „Aber, Kathie, waren wir nicht unendlich dankbar für die Tatkraft, mit der sich Harriet um alles gekümmert hat?“

„Das mag wohl wahr sein.“ Die alte Kinderfrau hatte begonnen, Harriets Locken zu bürsten. „Ich warte auf den Tag, an dem sie ihren Meister findet.“

„Genug jetzt.“ Harriet nahm Kathie die Bürste aus der Hand. „Kümmere dich jetzt um meine Schwester. Ich sehe jetzt so gut aus, wie es überhaupt möglich ist.“ Sie betrachtete sich in dem Ankleidespiegel. Das Kleid in der Farbe von Narzissen stand ihr, wenn es sie auch weder größer wirken lassen noch ihre Haarfarbe in Goldblond verwandeln konnte. Aber im Grunde genommen war es ihr sowieso egal. Die Menschen mussten sie eben so nehmen, wie sie war.

Es klopfte an der Tür, und ein Diener verkündete: „Lord Ashby lässt Ihnen, Lady Swanbourne, seine Hochachtung übermitteln. Wenn es Ihnen genehm ist, wäre der Duke jetzt bereit, Sie zu empfangen.“

„Ja, selbstverständlich.“ Elizabeth schaute voller Furcht zu ihrer Schwester hinüber.

„Du siehst bezaubernd aus“, versicherte Harriet beruhigend und begleitete sie nach draußen, wo sie dem Diener durch ein Labyrinth von Gängen in den hinteren Teil des Hauses folgten. Vor einer massiven Eichentür blieb der Lakai stehen und klopfte kräftig an. Auf Lord Ashbys laut vernehmliches „Herein!“, öffnete er den Damen die Tür und zog sich dann zurück.

Der Raum lag im Halbdunkel, da die schweren Vorhänge zum Schutz gegen das helle Sonnenlicht zugezogen waren. Lediglich Lord Ashbys hochgewachsene Gestalt war konturenhaft zu erkennen. Er bedeutete den Damen, näher zu treten, und ging zu einem großen Schaukelstuhl, der neben dem imposanten Kamin, mit der hohen Rücklehne zur Tür, stand.

Erst als sie direkt vor ihm stand, konnte Elizabeth den Mann in dem Stuhl sehen. Harriet, die sich etwas zurückhielt, hörte sie scharf Luft holen und stellte sich schnell neben ihre Schwester.

Nun konnte sie deren Reaktion verstehen. Der alte Duke bot einen erschreckenden Anblick. Er schien irgendwann groß und kräftig gewesen zu sein, doch die Krankheit hatte dazu geführt, dass er fast bis aufs Skelett abgemagert war. In dem ausgemergelten Gesicht schienen nur noch die Augen zu leben. Sie waren fast schwarz und glitzerten böse.

Mit einer Behändigkeit, die man einem so zerbrechlich wirkenden Mann nicht zugetraut hätte, griff er nach dem Buch, das auf einem Tischchen neben ihm lag, und warf es wütend in Richtung Fenster. Ein unterdrückter Schrei erklang.

Harriet erkannte jetzt, dass Lavinia dort im Schatten stand.

„Die Vorhänge“, knurrte der Duke. „Ich kann nichts sehen …“

Sowie es im Zimmer hell war, wandte er sich an Elizabeth. „Komm näher.“ Er umklammerte mit einer Hand ihr Handgelenk und zwang sie mit erstaunlicher Kraft, sich auf den Schemel zu seinen Füßen zu setzen. Schweigend musterte er sie.

Plötzlich hörte Harriet ein seltsames Geräusch, bei dem sie spürte, wie sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufrichteten. Nach einigen Schrecksekunden erkannte sie erleichtert, dass der alte Mann lachte!

„George weiß, was gut ist“, verkündete er. „Du bist ein nettes Frauenzimmer. Brütest du schon etwas aus?“

Elizabeth wurde ob dieser intimen, in derart ungehörige Worte gekleideten Fragen vor Scham bis zum Haaransatz dunkelrot, und Lavinia murmelte einen schwachen Protest vor sich hin.

„Vater“, sagte sie nervös, „ich denke nicht …“

„Das tust du nie“, rief der Duke zornig. „Scher dich davon, wenn du eine deutliche Sprache nicht ertragen kannst.“

Lavinia beeilte sich, zur Tür zu kommen. Als sie an ihr vorbeiging, legte Harriet ihr eine Hand auf den Arm. „Wärest du bitte so freundlich“, bat sie, „nachzusehen, ob meine Brüder wieder da sind?“ Es überraschte sie nicht, Tränen in den Augen des Mädchens zu sehen, und Zorn wallte in ihr auf. „Ich werde gleich nach unten kommen und mit dir sprechen.“

Dem Duke waren Harriets halblaut gesprochene Worte nicht entgangen. „Sieh mal an, wen haben wir denn hier?“, stieß er grollend hervor.

„Euer Gnaden, darf ich Ihnen meine Schwester Harriet vorstellen? Sie hat mich auf der Reise von Brüssel hierher begleitet.“

„Harridan? Also so etwas wie eine alte Vettel!“ Der alte Mann musterte sie unverfroren. „Der Name scheint gut zu ihr zu passen!“

„Verzeihen Sie, Euer Gnaden, aber zu meinem großen Leidwesen scheinen Sie mich falsch verstanden zu haben. Daher werde ich deutlicher sprechen. Mein Name ist Harriet.“

In dem folgenden Schweigen hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Es wurde nur von Lord Ashby gebrochen, der einen eigentümlichen Laut von sich gab. Dann, zur Überraschung aller Anwesenden, brach der Duke in Gelächter aus.

„Mit meinen eigenen Waffen geschlagen“, rief er, plötzlich gut gelaunt, aus. „Lady Swanbourne, Ihre Schwester hat keinerlei Respekt vor Autoritätspersonen.“

Nach kurzem Zögern erwiderte Elizabeth: „Harriet hat eine Neigung zu unkontrolliert lebhaften Äußerungen und kann daher gelegentlich ihre Zunge nicht im Zaum halten.“ An ihre Schwester gewandt, fuhr sie fort: „Harriet, Seine Gnaden fühlt sich nicht wohl …“

„Wohl genug, um mit dieser jungen Dame fertig zu werden“, unterbrach der alte Mann. „Und nun, Lady Swanbourne, berichten Sie mir von meinem Sohn.“

Elizabeth vergaß ihre Furcht vor dem Duke, als sie ihm von George erzählte. Doch schon nach wenigen Minuten spürte sie, wie sein Interesse nachließ. Er wurde müde, und zögernd erhob sie sich und ging in Richtung Tür.

„Ihre Schwester bleibt noch ein Weilchen bei mir, Madam, damit wir uns besser kennenlernen“, erklärte er zu ihrer Überraschung. „Du, Hugh, wirst Lady Swanbourne in den Salon geleiten.“ Der Duke grinste zufrieden, als er mit Harriet allein war.

„So, Miss, Sie haben also meine älteste Tochter erzürnt, Lavinias Partei ergriffen, Hugh überrascht und mir widersprochen. Und all das innerhalb kürzester Zeit. Sie sind ja noch nicht einmal einen halben Tag hier. Was haben Sie dazu zu sagen?“ Er versuchte, sie mit einem strengen Blick einzuschüchtern, doch Harriet straffte lediglich die Schultern.

„Nichts, Euer Gnaden“, entgegnete sie fest. „Es stimmt alles, aber ich glaube, ich hatte gute Gründe für mein Verhalten.“

„Aufsässig, wie? Einige guten Manieren sind manchmal recht angebracht.“

„Wie recht Sie haben.“ Harriets Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie das Benehmen des Duke für ungehörig hielt.

„Nur mal angenommen, ich würde entscheiden, dass ich Sie nicht hier haben will. Was dann?“ Er verzog das Gesicht zu einer boshaften Miene.

„Dann würde ich das Haus verlassen.“ Harriet ließ sich nicht verunsichern. Sie hatte vom ersten Moment an gewusst, von welchem Kaliber der Duke war. Wenn sie nur das geringste Zeichen von Schwäche erkennen ließ, würde er sie verachten.

„Und wohin würden Sie gehen?“

„Ich habe viele Freunde in England.“

„Ach ja, tatsächlich? Und würden diese Freunde ein willensstarkes, aufsässiges Frauenzimmer aufnehmen, das auf Biegen und Brechen seinen eigenen Weg geht?“

Zur Antwort schenkte Harriet ihm ein bezauberndes Lächeln.

„Sie Wildfang! Verschonen Sie mich mit Ihren Tricks. Ich kenne Frauen wie Sie. Sie würden jeden Mann herumkriegen.“ Seine Furcht einflößende Miene schien jetzt nur gespielt zu sein.

„Ein Kompliment aus Ihrem Munde, Sir?“ Harriet nahm unaufgefordert auf dem kleinen Schemel Platz. „Verzeihen Sie, Euer Gnaden, aber für mich sind Sie ein Schwindler. Ich glaube, Sie jagen den Menschen gerne Angst ein, nur um sich zu amüsieren.“

Er schnaubte unwillig. „Sie haben auf jeden Fall keine Angst vor mir.“

„Nein, ich finde Sie eher unterhaltsam“, versetzte Harriet, erhob sich und stellte sich neben ihn. Geschickt rückte sie die Kissen zurecht, damit der Duke bequemer sitzen konnte.

„Machen Sie nicht solch ein Aufheben um mich“, wehrte er ab. „Ich kann mich selber um mich kümmern.“

„Daran hege ich keinerlei Zweifel“, erklärte Harriet. „Leider muss ich Sie jetzt verlassen, Sir. Die anderen warten gewiss schon mit dem Dinner auf mich.“

„Lassen Sie sie warten“, versetzte der Duke mürrisch, und Harriet musste lachen.

Spontan neigte sie sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Ich komme bald wieder“, versprach sie. „Aber jetzt müssen Sie sich ausruhen.“

„Ich tue den lieben langen Tag nichts anderes.“ Als sie sich anschickte zu gehen, hielt er sie fest. „Du wirst doch bleiben, Mädchen?“ In den so schroff ausgestoßenen Worten lag eine anrührende, flehende Bitte, der sich Harriet nicht verschließen mochte. Sie versicherte ihm, dass sie nicht abreisen würde, und beobachtete, wie er sich daraufhin entspannte und die Augen schloss.

„War es sehr schlimm für dich?“, erkundigte sich Elizabeth besorgt, als Harriet in den Schlafraum kam, und fügte hinzu: „Du ahnst ja gar nicht, wie sehr ich mich vor ihm fürchte.“ Sie beaufsichtigte gerade die Zofe dabei, wie diese die Reisekoffer auspackte. „Er ist noch unzugänglicher als Lady Brandon.“

„Der Duke ähnelt ihr nicht im Geringsten“, widersprach Harriet. „Er und ich haben uns prächtig verstanden, und dir wird es ganz ähnlich ergehen.“

„Ich werde mich nie in seiner Gegenwart entspannt fühlen. Oh, wie sehr wünschte ich, George wäre bei mir.“

„Ach, Lizzie, du weißt doch: Hunde, die bellen, beißen nicht. Du musst dich ihm unerschrocken stellen, dann hast du nichts zu befürchten.“

„Das kann ich nicht.“ Elizabeth seufzte. „Außerdem ist er sehr krank.“

„Und er langweilt sich schrecklich, meine Liebe. Ich glaube, er liegt da oben meistens allein und grübelt. Ihm fehlt etwas, womit er seinen Geist beschäftigen kann.“

„Ich würde ihm gern Gesellschaft leisten. Aber ich habe keine Ahnung, worüber ich mit ihm reden sollte.“

Harriet überlegte kurz. „Du könntest ihm von Wellington erzählen“, schlug sie dann vor. „Der General hat dich stets gut leiden können.“

„Er war nur wegen George so freundlich zu mir“, wehrte Elizabeth bescheiden ab.

„Unsinn! Wellington hat ein Faible für hübsche Frauen. Ich finde, er flirtet gerne und gut und wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Wo sind die Jungen?“, erkundigte sich Harriet.

„Sie haben zu Abend gegessen, und nun kümmert sich Kathie um sie.“ Elizabeth stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich glaube, wir müssen jetzt nach unten gehen.“

Auf dem Weg zur Treppe trafen Elizabeth und Harriet ihren Bruder Adam, der auf sie zugerannt kam, dicht gefolgt von Justin. „Wir hatten immensen Spaß“, stieß er atemlos hervor. „Ihr solltet die Ställe sehen! Lord Ashbys Pferd ist ein spanischer Hengst, und er ist der Einzige, der ihn halten kann. Sagt Piers. Und Piers hat mir versprochen, mir das Reiten beizubringen.“

„Mir auch“, meinte Justin. „Und es gibt sechs Welpen. Ich darf einen haben, wenn ich möchte. Und ich wünsche mir nichts sehnlicher als einen kleinen Hund.“

Harriet beugte sich zu Justin hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Nase. „Natürlich darfst du einen haben“, stimmte sie zu. „Aber jetzt ist es allerhöchste Zeit für euch beide, zu Bett zu gehen.“

„Es ist noch viel zu früh“, protestierte Adam halbherzig, denn er ahnte, dass Harriet in diesem Punkt unnachgiebig bleiben würde.

„Nein, es ist ganz im Gegenteil schon ziemlich spät“, bestätigte sie seine Vermutung. „Außerdem müsst ihr morgen in aller Frühe aufstehen, weil es so viel zu tun gibt.“

„Piers hat mehrere Terrier und will uns mit auf Rattenjagd im Schuppen nehmen.“

„Genau. Und ich glaube kaum, dass er Lust hat, auf Langschläfer zu warten. Wo ist denn Kathie?“

„Da kommt sie schon.“ Adam lehnte sich über das Treppengeländer und winkte der alten Kinderfrau zu, die gerade die Stufen erklomm. Harriet empfand auf einmal ein leises Schuldgefühl.

„Du musst ja vollkommen erschöpft sein, Kathie. Ich werde die Jungen zu Bett bringen, damit du dich ein wenig ausruhen kannst.“

„Das kommt überhaupt nicht infrage“, wehrte Kathie energisch ab. „Lord Ashby wartet bereits mit den anderen unten im Salon.“

„Nun gut, wenn du meinst. Aber du wirst dich dann später hinlegen, nicht wahr?“ Harriet sah die ältere Frau besorgt an. Kathie stand schon seit Elizabeths Geburt in den Diensten der Familie Woodthorpe, lehnte es aber vehement ab, sich aufs Altenteil zu begeben. Sie litt unter rheumatischen Beschwerden, und aufgrund ihres immer schlechter werdenden Sehvermögens gingen ihr die Arbeiten nur noch langsam von der Hand. Aber an ihrem Pflichtgefühl und ihrer Ergebenheit ihren Schützlingen gegenüber gab es absolut nichts zu bemängeln.

„Miss Harriet, Sie sind ja fast so schlimm wie Ihr verehrter Herr Papa. Immerzu machen Sie sich Sorgen um mich. Schluss jetzt damit. Gehen Sie jetzt gefälligst nach unten.“

„Jawohl, Kathie.“ Der Kinderfrau entging Harriets Lächeln, denn diese wandte sich bereits an Elizabeth. „Komm, Lizzie“, sagte sie, „wir müssen wohl oder übel gehorchen.“ Arm in Arm gingen die Schwestern die breiten Stufen hinunter.

Lord Ashby lehnte gedankenverloren an dem Kaminsims, als Elizabeth und Harriet den Salon betraten. Er sah sehr elegant aus in seinen cremefarbenen Pantalons, zu denen er ein schneeweißes Hemd, eine geschmackvoll bestickte Weste und einen Frackrock aus feinstem Tuch mit silbernen Knöpfen trug.

Wie üblich schien er vollkommen gelassen und mit sich selbst in Einklang zu sein. Harriet fragte sich, ob er wohl innerhalb des Hauses eine eigene Suite zur ständigen Verfügung hatte. Es kam ihr unwahrscheinlich vor, dass er zwischenzeitlich nach Hause geritten war, um sich umzukleiden.

Der Gedanke daran, dass er sich möglicherweise meistens in demselben Haus aufhielt wie sie, beunruhigte Harriet. Und das lag nicht nur an der Unterhaltung zwischen ihm und Lady Brandon, die sie belauscht hatte.

Von Anfang an hatte in seinen Augen ein seltsamer Ausdruck von Herausforderung gelegen, wann immer er sie angesehen hatte. Harriet war sicher, dass sie sich das nicht eingebildet hatte, denn als Hugh ihr jetzt entgegen trat, fiel ihr dieser Blick erneut auf. Sie nickte nur kurz zur Begrüßung und freute sich, dass Lord Ashby anscheinend überrascht war über diese knappe Geste.

„Ich hoffe, wir sind nicht zu spät gekommen“, erklärte Elizabeth nervös.

„Nein, ganz und gar nicht, Lady Swanbourne“, versicherte Hugh. „Das Essen wird serviert, wann immer es Ihnen genehm ist. Nur Piers wird wahrscheinlich zu spät erscheinen. Sie sollten ihn deswegen zur Ordnung rufen.“

„Oh nein, das würde ich nicht tun. Er hatte alle Hände voll zu tun mit meinen Brüdern, und wir sind ihm sehr dankbar für seine Fürsorge.“

„Ihm hat es Spaß gemacht, sich um die Jungen zu kümmern. Er genießt es, wenn jemand Interesse zeigt, an dem, was ihm am Herzen liegt.“ Lavinia brach verlegen ab. Sie war es nicht gewohnt, ungefragt eine Meinung abzugeben.

Elizabeth ließ sich auf einem Sofa nieder und klopfte einladend auf den Platz neben sich. „Komm, Lavinia, setz dich zu mir. Ich habe mich so darauf gefreut, dich kennenzulernen. George spricht sehr oft von dir.“

„Wirklich?“ Lavinia lächelte glücklich. „Er ist der liebste Mensch auf der Welt, und wir vermissen ihn alle sehr.“

„Ich auch“, gestand Elizabeth. „Er hat mir davon erzählt, wie du als Kind einmal hinter deinem Kätzchen auf einen Baum geklettert bist und er dir helfen musste, wieder herunterzukommen. Kannst du dich noch daran erinnern?“

„Oh ja, natürlich“, rief Lavinia aus. Sie vergaß ihre Scheu und fing an, Elizabeth von anderen Begebenheiten aus ihrer Kindheit zu erzählen.

Hugh schlenderte hinüber zu Harriet. „Ich fürchte, wir sind jetzt überflüssig“, erklärte er mit einem charmanten Lächeln. „Ich freue mich, dass sich Lady Swanbourne offenbar von den Strapazen der Reise erholt hat.“

„Ja, besonders die Überfahrt hat ihr zu schaffen gemacht, da sie unter Seekrankheit leidet.“

„Und Sie nicht?“

„Ich leide unter herzlich wenig, Lord Ashby.“ Harriets Stimme war kühl und beherrscht.

„Das kann ich mir vorstellen. Sie sind gewiss eine große Stütze für Ihre Eltern.“

Harriet wusste nicht genau, wie sie darauf reagieren sollte. „Es ist sehr freundlich von Ihnen, das zu sagen“, gab sie schließlich höflich zurück und setzte hinzu: „Bleiben Sie lange hier?“

„Ah, Sie können es wohl kaum abwarten, mich loszuwerden, Miss Woodthorpe? Oh, verzeihen Sie, das war eine taktlose Frage von mir. Ich bringe Sie damit aus der Fassung.“

„Nein, ganz bestimmt nicht. Das kann ich Ihnen versichern.“ Doch trotz ihrer Beteuerung hatte Harriet Mühe, eine unbeteiligte Miene zu wahren. Lord Ashbys Augen funkelten, und sie wusste, dass er sich über sie lustig machte.

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet“, erinnerte sie ihn.

„Es ist sehr freundlich von Ihnen, sich so interessiert zu zeigen.“ Hughs Lächeln vertiefte sich. Ihm war klar, dass Harriet es kaum erwarten konnte zu erfahren, wann er abreisen würde.

„Ich bin ein häufiger Gast in diesem Haus“, erklärte er schließlich. „Meine Besitztümer und die des Duke grenzen aneinander, sodass wir viele gemeinsame Aufgaben haben. Ich wohne zwar nicht hier, doch sollten Sie oder Ihre Schwester meine Hilfe benötigen, kann ich innerhalb einer Stunde bei Ihnen sein.“

„Ich verstehe.“ Harriet runzelte ein wenig die Stirn. „Aber könnte nicht auch Piers …“

„Er ist erst vor Kurzem aus Oxford zurückgekehrt.“ Hugh bemerkte Harriets überraschten Gesichtsausdruck. „Ja, Sie haben recht. Es war reine Zeitverschwendung, ihn zum Studieren zu schicken. Er will nichts anderes, als die Fahne des Königreichs hochzuhalten. Er plant, Napoleon im Alleingang zu verscheuchen.“

„Es ehrt ihn, dass er sein Vaterland verteidigen will“, gab Harriet ein wenig steif zurück.

„Sehr richtig.“ Lord Ashby verneigte sich zustimmend. „Aber trotzdem wird Piers vorläufig keine Gelegenheit dazu haben. Der Duke hat Sorgen genug, und Piers ist schließlich erst achtzehn Jahre alt.“

„Ich habe ihn für älter gehalten.“

„Ja, er ist auffallend groß und kräftig und hat sicherlich nur die besten Absichten. Aber ich kann nicht gestatten …“

Sie können nicht gestatten?“, wiederholte Harriet verständnislos.

„Miss Woodthorpe, ich vermute, dass Sie noch sehr wenig über diese Familie wissen.“ Hugh schaute sie ruhig an. „Vielleicht erlauben Sie mir, Sie bald einmal ein wenig darüber aufzuklären. Aber ich sehe, dass Piers gerade kommt, natürlich zu spät und nicht verlegen um eine glaubhafte Entschuldigung. Er wird Ihr Tischherr sein.“ Lord Ashby ging, ohne Harriets Antwort abzuwarten, zu Elizabeth hinüber und bot ihr galant einen Arm.

Harriet fand ihre Meinung über ihn bestätigt. Hinter der Maske von Charme und tadellosen Manieren verbarg er seinen unbeugsamen Willen. Sie hatte keine Zweifel mehr daran, dass er der wahre Herr in diesem Hause war, und schwor sich, ihn in die Schranken zu weisen.

Elizabeth war schon schüchtern genug, ohne den autoritären Lord Ashby stets an ihrer Seite zu haben. Sie würde niemals den Mut und die Kraft aufbringen, über dieses herrschaftliche Anwesen mit seinem Personal zu bestimmen, wenn Lord Ashby jeden ihrer Schritte kritisch beobachtete.

„Harriet, du siehst gar nicht glücklich aus.“ Piers grinste sie freundschaftlich an, während er ihr den Arm bot, um sie zu Tisch zu geleiten. „Ich darf doch Harriet sagen, nicht wahr? Von den Jungen höre ich ohne Unterlass: ‚Harriet dies, Harriet das‘.“

„Dann scheint es uns beiden ähnlich ergangen zu sein.“ Harriet schüttelte ihre schweren Gedanken ab und strahlte ihn an. „Lizzie und ich hören den ganzen Tag immer nur von Piers. Aber ich muss dich warnen. Du hast in Adam und Justin zwei ergebene Bewunderer gefunden. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob es nun der spanische Hengst, die Hundewelpen oder die Aussicht auf die Rattenjagd ist, worin das Rezept deines Erfolgs begründet liegt.“

Piers lachte fröhlich. „Du hast nichts gegen die Ratten?“, erkundigte er sich vorsichtig. „Die Jungen werden nicht in Gefahr geraten.“

„Dessen bin ich mir sicher. Aber du darfst nicht zulassen, dass sie dich ärgern. Das kann leicht passieren, weil sie dir auf Schritt und Tritt folgen werden.“

„Sie werden eure Mutter vermissen“, warf Lavinia mitfühlend ein.

Harriet setzte sich am Esstisch neben das junge Mädchen. „Unser Vater hielt es für das Beste, dass wir alle gemeinsam nach England fuhren, und George stimmte ihm zu. Sollte Napoleon Brüssel belagern, wird es eine wahre Flut von Flüchtlingen geben. Vater hat in Spanien bereits diese Erfahrung gemacht.“

„Es muss furchtbar sein.“

„Am schlimmsten ist die Panik in letzter Minute. Wir haben nicht gewagt zu warten, bis es fast keine Pferde oder Kutschen mehr gibt, ganz zu schweigen von Plätzen für die Überfahrt.“

„Ich wünschte, ich könnte dort sein.“ Piers klang enttäuscht. „Ich werde nie wieder eine so großartige Gelegenheit haben, für mein Vaterland zu kämpfen. Als der französische Kaiser im Süden Frankreichs ankam, wurde behauptet, er würde niemals wieder eine Armee auf die Beine stellen können. Und nun stehen sogar die Franzosen, die gegen ihn waren, auf seiner Seite.“

„Piers, sei still. Du wirst Elizabeth traurig machen“, versuchte Lavinia, seinem Redefluss Einhalt zu gebieten.

„Ach was! Unser lieber George wird uns ausführlich alles berichten, wenn es zu einer Schlacht kommen sollte.“ Piers brach ab, als er Hughs Blick bemerkte.

Lord Ashby gelang es, die Konversation in eine harmlose Richtung zu lenken. Er erklärte, Lady Swanbourne müsse schon bald ihre Antrittsbesuche bei den Nachbarn machen und auch die Pächter ihres Schwiegervaters kennenlernen.

Elizabeth schien von diesen Aussichten verunsichert. Doch als Hugh die ausgezeichneten Geschäfte in Bath, nur fünf Meilen entfernt, erwähnte, hellte sich ihre Miene wieder auf.

„Vielleicht möchte Lavinia mit uns kommen“, schlug Harriet vor. „Sie kann unsere Fremdenführerin sein.“

Lavinia errötete vor Freude. „Das würde mir große Freude machen“, versicherte sie und sah zu Elizabeth hin, die soeben aufstand, um die Damen aus dem Speisezimmer zu führen.

Sie plauderten angeregt, als sich Piers und Hugh eine Weile später zu ihnen gesellten.

„Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich mit dir zu unterhalten“, wandte sich Elizabeth an ihren jungen Schwager. „Du kannst es wohl kaum noch erwarten, Neuigkeiten von George zu hören.“

„George ist ein prima Kerl.“ Piers nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz. „Er hat meine Partei ergriffen, als Lavinia versuchte, mich wie ein Baby zu behandeln.“

„Das habe ich nicht getan“, widersprach seine Schwester, und schon bald entspann sich zwischen den Geschwistern und Elizabeth eine lebhafte Unterhaltung. Harriet beobachtete die drei glücklich. Sie würden bestimmt schon bald gute Freunde sein.

„Ihre Schwester ist wirklich bezaubernd, scheint sich dessen aber überhaupt nicht bewusst zu sein. So eine Charaktereigenschaft ist selten zu finden.“ Lord Ashby war neben Harriet getreten.

„Sie ist bis auf den Grund ihrer Seele herzensgut, manchmal sogar zu gut“, erwiderte sie leise.

„Und Sie selber können das wohl nicht von sich behaupten, oder?“ In seinen Augen erschien wieder das amüsierte Glitzern.

„Sehr richtig, Lord Ashby.“ Harriets Stimme klang betont kalt und unpersönlich, doch Hugh schien davon unbeeindruckt zu sein. Unbekümmert fuhr er fort:

„Ich finde es erstaunlich, dass George sie für sich gewinnen konnte. Ihre Schwester muss doch unzählige Angebote bekommen haben.“

„Oh ja, doch Elizabeth ist hoffnungslos romantisch veranlagt. Sie hätte niemals aus einem anderen Grund als aus tiefer Liebe geheiratet.“

„Halten Sie das für eine weitere weibliche Schwäche?“, erkundigte er sich amüsiert. „Sie klingen, als ob sie derartige Beweggründe nicht gutheißen.“

Doch Harriet war entschlossen, sich nicht aufs Glatteis locken zu lassen. „Ich freue mich, dass sie so glücklich ist, wenn sie sich auch verständlicherweise sehr um Georges Sicherheit sorgt. Bitte, entschuldigen Sie mich jetzt, Lord Ashby. Ich muss nach meinen Brüdern schauen.“

„Laufen Sie vor mir davon, Miss Woodthorpe?“, hielt Hugh sie zurück. „Ich frage mich, warum Sie meine Gegenwart also so … sagen wir, störend empfinden.“

„Welch eine seltsame Wortwahl, Mylord. Ich würde Ihre Anwesenheit nicht so beschreiben. Lassen Sie mich sagen, dass ich Ihr Verhalten eher als unglückselig empfinde.“

„Ich verstehe.“ Seine Augen wirkten sehr dunkel und unergründlich, doch Hugh machte keinerlei Anstalten, auf Harriets Worte einzugehen. Stattdessen begleitete er sie an die Tür und umschloss, als sie den Knauf drehen wollte, ihre Hand.

Harriet zuckte unter der unerwarteten Berührung zusammen. Mit übertriebener Hast riss sie die Tür auf und eilte hocherhobenen Kopfes hinaus. Unwillig und zornig spürte sie, dass sie zitterte. Das Gefühl seiner schmalen, angenehm kühlen Finger auf ihrer Haut verunsicherte sie zutiefst. Eine solche Empfindung war ihr völlig fremd, und Harriet verdrängte sie auf der Stelle. Gewiss spielte ihre Fantasie ihr einen üblen Streich.

Adam und Justin schliefen tief und fest, doch Harriet kehrte trotzdem nicht gleich in den Salon zurück. Sie ging zum Fenster, um es weit zu öffnen, denn in der Kammer war es unerträglich stickig.

Harriet setzte sich auf die Fensterbank und atmete tief ein und aus. Eine leichte Brise strich angenehm kühl über ihre erhitzten Wangen. Es war ein anstrengender Tag gewesen, der sie mehr Kraft gekostet hatte als die lange Reise von Brüssel hierher. Voller Sehnsucht dachte sie an ihr Zuhause und die Liebe, von der ihre ganze Familie dort eingehüllt gewesen war.

Ihr Vater war ein geselliger Mann, und oftmals war das Haus erfüllt gewesen von dem Lachen seiner stets gut gelaunten Freunde. Aber hier in England musste sie ständig vor irgendetwas auf der Hut sein.

Aber vor was? Harriet runzelte die Stirn. Augusta Brandons Feindseligkeit ließ sie unberührt, da sie darin lediglich die Ablehnung einer arroganten, hochnäsigen Frau erkannte. Piers und Lavinia hatten sich ihr gegenüber reizend verhalten, und der greise Duke war nicht annähernd so bedrohlich, wie er gerne wirken wollte.

Harriet war ehrlich genug, um sich selbst den Grund für ihre Unruhe einzugestehen. Sie fühlte sich ständig von Lord Ashby provoziert. Er brachte sie dazu, sich von ihrer schlechtesten Seite zu zeigen. Es war bestimmt nur eine Frage der Zeit, bevor sie in einen handfesten Streit gerieten.

Unbewusst straffte sie die Schultern ein wenig. Jemand musste ihm zeigen, dass nicht alle Frauen seine selbstverständliche Überlegenheit anerkannten oder seine herausfordernden Fragen duldeten, mit denen er anscheinend nur zu gern sein Gegenüber verwirrte.

Leichtfertig hatte er ihr gegenüber Lady Brandon kritisiert. Doch Harriet konnte ebenfalls sehr kritisch sein. Es würde ihr die größte Freude bereiten, seine Aura von kühlem Selbstbewusstsein zu erschüttern. Zwar wusste sie im Moment noch nicht, wie sie das anstellen sollte, doch sie würde keine Gelegenheit auslassen, ihn in die Schranken zu weisen.

Dieser unmögliche Mann war drauf und dran gewesen, sie zu fragen, ob sie ebenfalls schon Heiratsanträge bekommen habe. Zweifellos hatte er sie damit in Verlegenheit stürzen wollen, zumal sie ja seiner Meinung nach, mit Ausnahme ihrer Augen, keinerlei äußerliche Vorzüge aufzuweisen hatte.

Autor

Meg Alexander
Ihr Roman „Süße Versuchung“ ist bei CORA in der Reihe Historical Lords & Ladies erschienen. Doch Meg Alexander fing schon früh an zu schreiben: bereits in ihrer Kindheit begeisterte sie mit kleinen Bühnenstücken, die ihre Brüder, Schwestern und Cousins zur Familienunterhaltung an Weihnachten aufführten. Mit 19 Jahren heiratete sie und...
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