Julia Collection Band 80

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DIAMANT MEINES HERZENS von FIELDING, LIZ
Seine Frau Belle entzieht sich ihm immer mehr. Doch der gutaussehende Unternehmer Ivo Grenville ist entschlossen, um ihre Liebe zu kämpfen. Mit fantasievollen Geschenken versucht er, ihr Herz zum zweiten Mal zu erobern. Belle aber scheint das nicht mehr zu berühren …

TAGEBUCH MEINES HERZENS von HANNAY, BARBARA
Dass er Simones Tagebuch findet, ist für den gutaussehenden Journalisten Ryan Tanner ein Wink des Schicksals. Jetzt kann er der attraktiven Frau endlich ganz nah kommen. Doch dabei erkennt er: Simone verbirgt in ihrem tiefsten Innern ein dunkles Geheimnis …

LASS ES FÜR IMMER SEIN! von BRAUN, JACKIE
Endlich hatte es der reiche Unternehmer Ethan geschafft, Claire aus seinem Herzen zu verbannen. Doch nach Jahren steht seine wunderschöne Exfrau plötzlich wieder vor ihm und weckt die Furcht, erneut von ihr verletzt zu werden. Kann er die Vergangenheit vergessen?


  • Erscheinungstag 30.04.2015
  • Bandnummer 80
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706500
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding

JULIA COLLECTION BAND 80

Bewahrst du mein Geheimnis?

MINISERIE VON LIZ FIELDING

Diamant meines Herzens

Als die junge Fernsehmoderatorin Belle von ihrem Trip zum Himalaja nach London zurückkehrt, ist sie wild entschlossen, sich von ihrem Mann zu trennen. Denn ihre Ehe mit dem gutaussehenden Millionär Ivo scheint vorbei! Auch als er ihr zu ihrem Geburtstag ein kostbares Schmuckstück schenkt, bleibt sie dabei: Sie will keine Diamanten! Sie will seine Liebe ...

Tagebuch meines Herzens

Simone ist zutiefst erschüttert. Sie hat ihr Tagebuch von ihrer Reise zum Himalaja in Sydney verloren – und ausgerechnet ein Journalist hat es gefunden. Zum Glück ist Ryan Tanner ein feinfühliger und äußerst attraktiver Mann. Wie gerne würde sie in seinen Armen liegen und sich ihm ganz anvertrauen. Allerdings darf er ihr dunkles Geheimnis nie erfahren …

Lass es für immer sein!

Über zehn Jahre ist es her, dass sie sich gegenseitig Liebe schworen. Doch ihr Ehe scheiterte. Trotzdem beginnt Claires Herz erneut zu rasen, als ihr Exmann Ethan sie nach ihrer Rückkehr vom Dach der Welt mit einem leidenschaftlichen Kuss empfängt. Aber reichen seine Zärtlichkeiten, um all die Missverständnisse zu zerstreuen, an denen ihre Ehe zerbrach?

PROLOG

„Das Auto ist da, Belle! Und wie üblich steht eine Armee von Paparazzi Spalier.“ Ivos Gesicht war ausdruckslos.

Offensichtlich wartete er darauf, dass sie noch einen Rückzieher machte, ihm sagte, sie würde nicht fahren. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen.

Ich werde nicht weinen, schwor sie sich. Sie weinte niemals.

Warum verstand er nicht, dass sie die gesponserte Radtour durch den Himalaja nicht aus Jux unternahm, sondern ihr dieses Projekt wirklich am Herzen lag? Immerhin ging es darum, Spenden für Hilfsorganisationen aufzubringen, die sich weltweit um Straßenkinder kümmerten.

Indem Ivo verlangt hatte, sie solle kurzfristig absagen und stattdessen die Gastgeberin für eine Wochenendgesellschaft auf seinem Landsitz spielen, machte er eins deutlich: Ihren Beruf oder gar wohltätige Aktionen hielt er für weniger wichtig als ihre Rolle als Ehefrau.

Als Ivo die Haustür öffnete, hatte Belle schon ein Lächeln für die Kameras aufgesetzt. Für einen Moment blieb sie mit ihm auf der Schwelle stehen, dann gingen sie nebeneinander zum Wagen, wo sich der Chauffeur ihres Gepäcks annahm. Es bestand aus einem Rucksack mit dem Nötigsten für drei Wochen.

Ivo blickte ernst auf sie herunter, während er ihre Hand nahm. „Pass gut auf dich auf, Belle.“

„Ach, Ivo …“ Gerade noch hielt sie sich zurück, ihn zu bitten, er solle sie zum Flughafen begleiten. „Auf dem Heimweg lege ich einen Zwischenstopp in Hongkong ein. Falls du dann zufällig dort etwas zu erledigen hättest, könnten wir einige Tage …“

Doch er kommentierte ihr Angebot nicht. Nie versprach er etwas, was er nicht halten konnte. Zärtlich küsste er sie auf die Wangen, bevor er ihr ins Auto half. „Pass auf dich auf“, wiederholte er und schloss die Tür.

Während der Wagen anfuhr, wandte Belle sich um. Ivo eilte bereits die Treppe zum Haus hinauf, zurück zu seiner Arbeit.

Ab jetzt war sie allein.

1. KAPITEL

„So viel vom neunten Tag des großen Radfahrabenteuers. Morgen gibt es, wie man mir sagte, nur eine sanfte Steigung.“ Belle wischte sich über die feuchte Stirn und lächelte in die Kamera. „Die Organisatoren hier haben wirklich Humor! Aber wenn es Ihnen, liebe Zuschauer, ein gutes Gefühl verschafft, zu sehen, wie ich mich für einen guten Zweck schinde … oder auch, wenn Sie mich bemitleiden … oder ich Ihnen ganz egal bin, denken Sie bitte an eins: Jede Spende, egal wie gering, ist von großem Nutzen!“

Belle lächelte nochmals strahlend und schaltete ihr Satellitentelefon aus. Dann erst merkte sie, dass ihr nicht Schweiß, sondern Blut übers Gesicht lief.

„Dir ist doch klar, dass der Fotograf dich absichtlich zu Fall gebracht hat“, meinte die Amerikanerin Claire Mayfield kurz darauf, als sie zusammen im Zelt saßen, das sie mit Simone Gray teilten, die aus Australien stammte.

„Er hat mir wieder aufs Rad geholfen“, hielt Belle dagegen.

„Erst nachdem er dich geknipst hatte! Du solltest dich bei den Organisatoren beschweren. Immerhin hättest du dich ernsthaft verletzen können.“

„Jammern ist nicht erlaubt.“ Belle zuckte zusammen, als Simone sich der Wunde am Oberschenkel widmete, nachdem sie die an der Stirn gereinigt hatte.

„Tut mir leid“, entschuldigte sich Simone. „Gleich hast du es überstanden.“ Sie warf den Tupfer weg und trug Heilsalbe auf. „Heutzutage genügt es den Medien nicht, wenn Frauen wie wir uns quälen, um Geld für Straßenkinder aufzubringen. Nein, sie wollen dich mit der Nase im Dreck sehen.“

Als Herausgeberin einer Frauenzeitschrift wusste Simone, wovon sie sprach.

„Eine Fernsehmoderatorin wie du, Belle, lernt wahrscheinlich, damit zu leben“, vermutete Claire. „Aber dass man nicht einmal hier vor ihnen sicher ist!“

„Man muss an die Quote denken“, antwortete Belle sachlich. „Bisher bin ich als Typ ‚blondes Dummchen‘ ganz gut angekommen, und zur Abwechslung sollen die Zuschauer mich zerzaust und verschwitzt sehen, statt durchgestylt von Kopf bis Fuß wie in meiner Frühstücksshow. Jetzt lechzen die Medien anscheinend auch noch nach meinem Blut.“

„Ganz schön clever, wie du das alles durchschaust“, meinte Claire anerkennend.

„Man braucht mehr als nur blondes Haar und eine ansehnliche Oberweite, um beim Fernsehen an der Spitze zu bleiben“, bemerkte Simone. „Die Hilfsorganisationen für Straßenkinder bekommen also Unterstützung, deine Fernsehgesellschaft bekommt die Quoten … und was bekommst du für deine Mühen?“

„Ich?“, fragte Belle erstaunt.

„Du hättest in London bleiben und dort dein Publikum zu Spenden bewegen können, aber du bist hier. Dafür musst du doch einen Grund haben.“

„Vielleicht wollte ich mein Gewissen beschwichtigen und mich gut fühlen“, überlegte Belle laut. „Ihr nicht auch?“

„Wenn es darum geht“, erwiderte Claire und ließ sich stöhnend auf ihren Schlafsack sinken, „funktioniert es bei mir nicht. Ich fühle mich nicht gut. Ganz im Gegenteil: Mir tut alles weh.“

„Vielleicht kommt das gute Gefühl später noch“, versuchte Belle sie zu trösten. „Mittlerweile kann ich für mich behaupten, dass ich einige Kilo verloren und dafür einige Muskeln aufgebaut habe, was als Bilanz …“

„Nein, so war das nicht gemeint.“ Simone sah ungewohnt bedrückt aus. „Was hast du wirklich bei dieser Tour gewonnen? Ganz im Ernst.“

Belle atmete tief durch. Jetzt ging es um die Wahrheit. Darum, dass sie wenigstens für kurze Zeit auf ihr bequemes Leben verzichtete. Sich anstrengte und den Elementen aussetzte. Etwas Wirkliches tat.

Doch das tue ich trotz aller Strapazen nicht, gestand sie sich ein. Sie versteckte sich vielmehr. Vor der Welt, vor ihrem Mann … und vor sich selbst.

„Hier oben habe ich Weitblick gewonnen“, sagte sie schließlich, nicht sicher, wohin das Gespräch führen würde. „Bei der Rast heute Nachmittag habe ich zurückgeschaut und die Straße gesehen, wie sie sich bis ins Tal hinunter windet.“

Wie sollte sie ihre Gefühle weiter beschreiben? Sie betrachtete die zierliche Amerikanerin Claire und die schlanke, große Australierin Simone, die mit ihr vom Beginn der Tour das Zelt und die Mühen teilten.

Nach außen hin erschienen sie als Frauen, die alles besaßen, was man sich nur wünschen konnte. Und doch hatten sie instinktiv erkannt, dass sie alle an einer verborgenen Sehnsucht litten, an einem tief greifenden Mangel in ihrem scheinbar so perfekten Leben.

Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Und nun waren sie echte Freundinnen.

Das war für Belle eine neue Erfahrung. Weder als Kind noch im Heim oder später in der brutalen Welt des Fernsehens hatte sie jemals eine Freundin gehabt.

Alle, mit denen sie zu tun hatte, benutzten sie doch nur, um ihre eigenen Umsätze zu steigern. Ihre Schwägerin Miranda verachtete sie deswegen.

Und mein Mann, der alles, was er anfasst, zu Geld macht … und nur eins nicht kontrollieren kann, und das ist sein Verlangen nach mir – er verachtet sich dafür, mich so sehr zu begehren, dachte Belle niedergeschlagen.

Weder er noch seine Schwester machten sich die Mühe, hinter ihr Image als „blonde Sexbombe“ zu blicken, zu dem sie nur zufällig gekommen war. Den beiden war anscheinend egal, wer sie wirklich war.

Ihre zwei Begleiterinnen, die vor Kurzem noch völlig Fremde gewesen waren, kannten sie inzwischen schon besser, denn sie hatten sie in den verletzlichsten Momenten erlebt. Sie hatten dieselben Erfahrungen mit ihr geteilt. Deshalb wusste sie, dass Simone und Claire verstehen würden, was sie empfunden hatte beim Blick auf die unter ihr liegende Straße.

Der steile, mühsame Anstieg mit den vielen Kurven war wie ein Sinnbild ihres Lebens …

Bevor sie sich weiter offenbarte und womöglich nicht mehr zurückkonnte, wechselte sie lieber das Thema. „Wie viele Tage dauert diese Tortur noch?“

„Drei“, antwortete Simone so rasch, als wäre sie auch froh, dass ihre Frage nicht zu weiteren tiefsinnigen Enthüllungen geführt hatte.

„Wie soll ich denn das ohne ein richtiges Bett mit sauberen Laken durchstehen?“, fragte Claire.

„Ohne ein Bad“, fügte Simone leidend hinzu.

„Oder eine Maniküre“, steuerte Belle bei und tat so, als würde sie ihre Nägel begutachten. Aber eigentlich interessierte es sie wesentlich mehr, dass Simone ebenso erleichtert war wie sie, den Moment der Selbsterkenntnis umgangen zu haben. „In London muss ich mir künstliche anbringen lassen. Meine sind viel zu kurz. Und so schmutzig.“

Plötzlich überkamen sie düstere Erinnerungen, und sie ballte die Hände zu Fäusten.

„Was macht ihr als Erstes, wenn ihr in Hongkong ankommt?“, wollte Belle wissen.

„Nachdem ich heißes Wasser in die Wanne habe laufen lassen, meinst du?“ Claire lächelte breit. „Ich rufe den Zimmerservice an und bestelle Räucherlachs mit Kresse auf hauchdünnem Roggenbrot. Und Schokoladentorte als Nachtisch.“

„Oh ja! Ich lasse mir dazu noch eine Flasche eisgekühlten Champagner kommen“, fügte Belle hinzu.

„Wozu das gesunde Grünzeug?“, meinte Claire. „Ich bin für Schokoladentorte von Anfang an.“

„Die wir gemeinsam in einem Whirlpool verzehren“, ergänzte Belle.

„Tolle Idee!“ Claire klang begeistert. „Aber wird dein Mann dich nicht für sich beanspruchen, Belle?“

„Ivo?“ Das Lächeln verging Belle.

„Er trifft dich doch in Hongkong, oder?“

Einen Augenblick lang erlaubte sie sich die Fantasie, er würde sie tatsächlich am Ende ihrer großen Reise erwarten und sie in die Arme schließen. Sie ins Bett tragen und sie leidenschaftlich und zärtlich zugleich lieben …

Belle schüttelte den Kopf und wollte Ivo rechtfertigen. Dringende Geschäftstermine waren immer eine gute Entschuldigung. Doch plötzlich brachte sie das nicht fertig.

„Um die Wahrheit zu gestehen: Bei mir und Ivo hängt der Haussegen schief. Er wollte nicht, dass ich mich auf die Sache hier einlasse.“

„Wie bitte?“ Claire runzelte die Stirn. „Ich dachte immer, er würde voll hinter dir stehen. Ich habe doch schon oft genug Bilder von euch beiden in den Zeitschriften gesehen. So, wie er dich ansieht, denkt man, ihr würdet die perfekte Ehe führen.“

Die Presse brachte gern Fotos, auf denen Ivo ihr beim Aussteigen half und sie so verlangend anblickte, als könne er es kaum erwarten, sie wieder nach Hause zu bringen und sich ihr ganz privat zu widmen. So etwas förderte die Mythen, die sich um ihre Wirbelwindromanze und die Traumhochzeit auf einer tropischen Insel gebildet hatten.

Ivos Verlangen war immerhin echt. Was alles andere betraf …

„Also, auch wenn es euch enttäuscht, ich bin nichts weiter als eine Vorzeigefrau“, erklärte Belle, bevor sie es sich anders überlegen konnte. „Normalerweise nimmt sich ein reicher Mann in späteren Jahren eine Jüngere als zweite Frau, aber ich werde vermutlich abgeschoben, wenn er sich eine richtige Partnerin sucht, mit der er Kinder haben und alt werden möchte.“ Bitter runzelte sie die Stirn. „Letztes Wochenende hat er diverse Geschäftspartner auf seinen Landsitz zur Jagd eingeladen. Ich sollte dabei sein. Weil er mich vorführen wollte. Ich bin die Gastgeberin, die am meisten vorzuweisen hat.“

Belle verzog das Gesicht und setzte sich wie ein Pin-up-Girl in eine Positur, die ihren wohlgeformten Busen bestens zur Geltung brachte.

„Und dass es dabei nicht um den Intelligenzquotienten geht, muss ich nicht extra betonen, oder?“, fügte sie hinzu.

„Das gesellschaftliche Leben eines Großindustriellen zu organisieren erfordert doch mehr als nur eine gute Figur“, hielt Simone dagegen.

„Ja, aber das erledigt Ivos Schwester, sie wohnt bei uns.“

Miranda war nicht nur Ivos persönliche Sekretärin, sie hatte auch alle Kurse absolviert, die eine höhere Tochter abzulegen hatte: Pensionat in der Schweiz, Haubenkochseminare in Paris und dem Elsass, Kurse in Charme und Benehmen für Debütantinnen mit entsprechendem Hintergrund …

„Wenn deine Ehe nicht mehr ist als eine Show, warum bleibst du dann bei deinem Mann?“, wollte Simone unverblümt wissen.

„Ich bleibe bei Ivo, weil er mir Sicherheit gibt. In jeder Hinsicht. Ich werde an seiner Seite nie mehr frieren müssen oder unter Hunger und Existenzangst leiden.“

Das war zumindest ein Teil der Wahrheit. Dass sie, Belle, sich bei ihm sicher fühlte und echte Leidenschaft für ihn empfand, gab sie gern zu. Nur nicht den einen, entscheidenden Fehler: dass sie sich wirklich in ihn verliebt hatte.

„Du bist doch clever und auch ohne Hilfe erfolgreich“, protestierte Simone.

„Das sieht vielleicht jetzt noch so aus“, gab Belle zu, „aber beim Fernsehen ist niemand so wenig gefragt wie eine Moderatorin, die ihr Ablaufdatum überschritten hat.“

Während sie das sagte, war ihr klar, dass es sich nur um Ausflüchte handelte. Sie hatte bisher gut verdient, war nicht extravagant gewesen, und Ivo hatte ihr Geld gewinnbringend investiert. Sie brauchte und wollte nur eins von ihrem Mann: Zuneigung. Und das war das Einzige, was er ihr nicht geben konnte.

Doch die Leere in ihrem Leben war schon vorhanden gewesen, bevor sie ihn getroffen hatte. Nicht allein er war schuld, wenn ihre Beziehung hohl erschien. Nein, sie selbst hatte genauso viel Anteil daran. Nun war der Moment gekommen, ein Ende zu machen. Einen Trennungsstrich zu ziehen. Ivo freizugeben …

Bisher hatte sie nicht den Mut gehabt, sich das einzugestehen.

„Wenn ihr die ungeschminkte Wahrheit hören wollt“, sagte Belle schließlich, „hier ist sie: Ich hasse meinen Beruf, und ich hasse meine Ehe.“

Dafür gab sie allerdings nicht Ivo die Schuld. Er wurde von seinem Verlangen genauso behindert wie sie von ihren Ängsten. Anders gesagt: Sie taten sich gegenseitig nicht gut, wie ihr jetzt auffiel.

„Ich hasse mein Leben!“, ergänzte sie heftig und fügte kurz danach hinzu: „Nein, ich hasse eher mich selbst.“

„Aber Belle, du …“

Sie schüttelte den Kopf, denn sie wollte sich jetzt nicht von ihren Freundinnen trösten lassen. Von diesen beiden ganz besonderen Frauen verdiente sie keinen Zuspruch!

„Ich habe eine Schwester“, gestand Belle. „Irgendwo. Jedenfalls habe ich sie nicht mehr gesehen, seit sie vier Jahre alt war.“

„Was ist denn passiert?“ Claire runzelte die Stirn. „Haben eure Eltern sich scheiden lassen? Ist eure Familie daran zerbrochen?“

„Familie?“ Belle lachte freudlos. „Ich bin nicht wie du und Simone! Ich habe mich für diese Tour zugunsten von Straßenkindern gemeldet, weil ich ihr Leben nur zu gut kenne.“ Sie fühlte sich wie eine Trinkerin, die bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker zum ersten Mal zugab, dass sie ein Problem hatte. „Mein richtiger Name ist Belinda Porter, und ich war früher selbst ein Straßenkind.“

Das hatte sie noch niemandem erzählt, nicht einmal Ivo. Im Gegenteil, sie hatte stets alles versucht, um es aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen. Sogar ihrem Ehemann hatte sie die Geschichte von den fürsorglichen Pflegeeltern aufgetischt, die leider bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, und von dem Kurs auf der Handelsschule. In Wahrheit hatte sie gleich nach der Schule einen nicht sehr vielversprechenden Job bei einem Callcenter angenommen und war dort, wie jeder wusste und nachprüfen konnte, bei einer Benefizsendung fürs Fernsehen entdeckt worden.

„Ich habe gebettelt, nur um zu überleben“, erklärte Belle leise. „Wie die Kinder, denen wir hier helfen wollen.“

Einen Moment lang schwiegen alle drei, dann fragte Claire: „Was ist mit deiner Schwester passiert?“

Wieso zucken sie nicht angewidert zurück? dachte Belle. Wieso zeigten sie Mitgefühl und Verständnis?

„Nichts Schlimmes“, erzählte sie. „Unsere Mutter starb allerdings. Die Behörden haben alles versucht, um mich in einer Pflegefamilie unterzubringen, aber ich war, wie ich jetzt im Rückblick einsehe, genau die Sorte Mädchen, die anständigen Frauen Albträume verursacht. Unsere Mutter hatte uns immer beschützt, aber ich hatte auf der Straße zu viel gesehen, ich wusste zu viel. Also war ich ein Problemfall und bedeutete nur Scherereien. Daisy war noch jung genug, um sich neu anzupassen, und sie war richtig niedlich. Hellblonde Locken, himmelblaue Augen, ein echtes Püppchen. Für mich war es zu spät, aber sie hatte noch die Chance auf ein richtiges Familienleben.“

„Das muss sehr schlimm für dich gewesen sein.“

Claire verstand intuitiv, wie schmerzlich es gewesen war, abgelehnt zu werden – und dafür war Belle ihr dankbar.

„Komisch war, dass ich wie eine Puppe hieß. Aber der Name hat nie zu mir gepasst.“

„Immerhin hast du hellblondes Haar.“

Belle lächelte breit. „Ja, dank den Bemühungen eines sündhaft teuren Friseurs in London. Er wird Anfälle bekommen, wenn er demnächst mein Haar sieht.“

Da es hier nicht nur keinen Friseur, sondern auch keine Garderobiere gab, die ihr am folgenden Morgen eine saubere und gebügelte Hose überreichte, griff sie zum Nähzeug, um den Riss in der Shorts selber zu flicken.

„Daisy war anders als ich“, berichtete sie und konzentrierte sich aufs Einfädeln. „Ich hasste sie dafür, dass sie lächeln konnte, einfach so … und mit dem Lächeln in anderen den Wunsch weckte, sie zu bemuttern. Und zu lieben.“ Ihre Hände begannen so sehr zu zittern, dass sie den Versuch aufgab, den Faden durch die Öse zu schieben. „Ich hasste sie so sehr, dass ich froh war, als sie adoptiert wurde und ich ihr den Rücken kehren konnte. So habe ich meine Schwester verloren.“

„Auch ich habe jemand sozusagen am Wegesrand verloren“, gestand Claire unvermittelt und zuckte die Schultern, als die beiden anderen sie erstaunt anblickten. „Es muss an der Gegend hier liegen, dass man plötzlich an Dinge denkt, die man lange verdrängt hatte.“ Sie nahm Belle Hose, Nadel und Faden ab und begann, den Riss zu flicken. „Hier ist das Leben auf das Notwendigste beschränkt. Es gibt keine Ablenkungen.“

„Wen hast du zurückgelassen?“, erkundigte Simone sich leise. Sie wirkte trotz der Sonnenbräune plötzlich blass.

„Meinen Mann Ethan. Ein anständiger, hart arbeitender Mann.“

„Ich wusste gar nichts von deiner Ehe“, bemerkte Belle.

„Sie wurde ja auch schon wieder geschieden, bevor die Öffentlichkeit davon erfahren konnte. Kurz, schmerzlos und völlig diskret.“

„So einfach kann es nicht gewesen sein.“

„Ihr würdet euch wundern, wie sehr Geld die Dinge vereinfacht!“ Claire klang eher bedrückt als zynisch. „Zu meiner Verteidigung kann ich nur anführen, dass ich erst einundzwanzig war und unbedingt von meinem Vater wegwollte. Der ließ sich aber nicht so leicht abschütteln. Er hat meinen Mann dafür bezahlt, mich zu verlassen. Ich war so schwach, nichts dagegen zu unternehmen.“

„Mit einundzwanzig warst du ja noch blutjung!“

„Ich hätte trotzdem mehr Stärke zeigen müssen. In letzter Zeit habe ich ziemlich oft an Ethan gedacht, vielleicht wegen all dem.“ Claire machte eine umfassende Handbewegung. „Ich arbeite für meinen Vater, aber die gesamte Belegschaft hält mich eher für einen Witz, für die verwöhnte Prinzessin, die sich ein bisschen beschäftigen will, wenn sie nicht gerade an die nächste Maniküre und das nächste Paar Designerschuhe denkt. An dieser Benefizradtour nehme ich teil, um zu beweisen – wenigstens mir selbst –, dass ich es kann, dass ich mehr bin als nur eine verhätschelte höhere Tochter.“

„Wieso würde es dir helfen, Ethan zu finden?“, fragte Belle. „Immerhin hat er das Geld deines Vaters genommen und dich sitzen gelassen.“

„Warum auch nicht? Ich habe ja nichts gesagt und nichts getan, um ihn zurückzuhalten.“ Claire schüttelte den Kopf. „So etwas untergräbt das Selbstwertgefühl eines Mannes, meint ihr nicht? Ich möchte ihn finden und um Entschuldigung bitten. Wenn er mir vergibt, kann ich mir vielleicht endlich selbst verzeihen, was ich ihm angetan habe.“

Simone hielt sich plötzlich die Hand vor den Mund und unterdrückte ein Stöhnen. „Und wer wird mir vergeben?“, fragte sie verzweifelt.

Als Claire ihr tröstend die Hand drückte, erzählte Simone ihre Geschichte, die so schrecklich war, dass sie sogar Belles in den Schatten stellte.

Nachdem sie ihren Bericht beendet hatte, herrschte einen Moment lang betroffenes Schweigen, dann legten Belle und Claire gleichzeitig die Arme um sie.

„Ich kann beinah nicht glauben, dass ich euch das alles erzählt habe“, sagte Simone schließlich mühsam. „Und ich wundere mich, dass ihr noch was von mir wissen wollt.“

„Ich kann nur nicht verstehen, warum du deine Geschichte so lang in dir verschlossen hast“, erwiderte Claire sanft.

„Manche Geheimnisse sind so schlimm, dass man erst unter besonderen Umständen den Mut findet, sie in die richtigen Worte zu fassen“, meinte Belle. „Wie es scheint, muss jede von uns sich ihrer Vergangenheit stellen, um die Geister zu bannen.“

„Diese Reise wird wohl erst richtig anfangen, wenn wir wieder zu Hause sind“, bestätigte Claire leise. „Das hier war nur der Anfang.“

Belle schluckte trocken. „Ja, und es war das einfache Stück des Wegs.“

„Wenigstens sind wir jetzt nicht mehr allein, sondern können uns gegenseitig unterstützen.“

„Wie denn, Claire? Du gehst nach Amerika zurück, Simone nach Australien und ich nach England. Um dort nach Daisy zu suchen, die wer weiß wo ist. Und wer weiß, wo ich demnächst sein werde?“ Belle schloss kurz die Augen.

Plötzlich empfand sie abgrundtiefe Angst. Am liebsten hätte sie die Uhr zurückgestellt bis zu dem Moment, als sie sich auf der Straße umgedreht und hinter sich geblickt hatte. Aber sie musste jetzt weitermachen. Nach vorn blicken, nicht zu den Dämonen, die ihr auf dem Fuß folgten.

Als hätte Claire ihre Furcht gespürt, umfasste sie ermutigend ihre Hand, Simone nahm die andere.

„Es geht nicht nur darum, Daisy zu finden“, sagte Belle, dankbar für die Unterstützung. „Ich habe jetzt so lange mein Image verkörpert, dass ich nicht mehr weiß, wer ich wirklich bin. Jetzt möchte ich eine Weile allein sein, von all der Heuchelei loskommen.“

„Tu nichts Unüberlegtes“, riet Simone ihr eindringlich. „Ivo könnte dir helfen.“

Heftig schüttelte Belle den Kopf. „Ich habe ihn lang genug als Stütze benutzt. Manche Reisen muss man allein machen.“

„Nicht ganz allein“, hielte Claire dagegen. „Du hast doch uns.“

„Ja, wir halten zusammen und sind für dich da. Sind füreinander da! Heutzutage ist Kommunikation ja kein Problem mehr. Ich bin gern bereit, dir eine virtuelle Schulter zum Anlehnen zu bieten, und das rund um die Uhr.“

Die drei Frauen blickten sich an und legten, wie zu einem Schwur, die Hände übereinander, zu ergriffen, um sprechen zu können.

Belle hatte niemanden in London benachrichtigt, wann genau sie am Flughafen eintreffen würde. Da sie beschlossen hatte, sowohl den Job als auch ihre Ehe aufzugeben, hätte sie es heuchlerisch gefunden, sich entweder von einem Fahrer des Senders oder von Ivos Chauffeur abholen zu lassen.

Vielleicht bin ich aber auch nur dumm, sagte sie sich, als sie die schier endlose Schlange am Taxistand sah und sich entschied, lieber die U-Bahn zu nehmen.

Bis zum Ende des Monats würde sie noch arbeiten müssen, dann lief ihr Vertrag aus. Ihr Agent zog im Moment bestimmt alle Register, um einen neuen lukrativen Kontrakt für sie auszuhandeln. Er würde nicht verstehen, warum sie nicht weitermachen wollte.

Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie es selber noch verstand. In der klaren Luft des Himalajas hatte ihr Weg ganz klar vor ihr gelegen, als sie mit Simone und Claire den Pakt geschlossen hatte, dass sie alle ihr Leben ändern würden.

Nun fühlte sie sich angesichts der alltäglichen Wirklichkeit unendlich allein und erschauerte in der kühlen Novemberluft.

In der U-Bahn setzte sie sich und nahm sofort ein Buch aus der Tasche, um Augenkontakt mit den Passagieren ihr gegenüber zu vermeiden, aber die Vorsichtsmaßnahme war gar nicht nötig.

Niemand erkannte sie hier, so eingemummt wie sie war, dazu ohne Make-up, das Haar unter einem Schal verborgen.

Seltsam, wie schnell man sich von einer Berühmtheit in eine Frau verwandeln konnte, der niemand einen zweiten Blick schenkte! Wer wäre sie denn jetzt, ohne die ständige Hilfe der Leute, die sich um ihr Aussehen und ihr Image kümmerten, ohne das Sicherheitsnetz ihrer Ehe und ihres Berufs?

Wie wenig würde es brauchen, aus der sogenannten zivilisierten Gesellschaft ausgestoßen zu werden … wie es ihrer Mutter passiert war? Manchmal genügte eine falsche Entscheidung, um zum Außenseiter zu werden und ins Bodenlose zu fallen.

Wieder überkam sie Furcht – und der Impuls, ihre hochfliegenden idealistischen Pläne aufzugeben und sich dankbar in ihr bequemes Leben zurückzuflüchten.

Daisy braucht mich nicht und hat mich wahrscheinlich längst vergessen, sagte sich Belle.

Wahrscheinlich führte sie ein perfektes Leben, und es wäre sehr egoistisch von ihr, die jüngere Schwester mit verstörenden Erinnerungen zu belasten, nur um das eigene Gewissen zu beschwichtigen.

Wäre es nicht besser, erst einmal festzustellen, ob Daisy überhaupt Hilfe brauchte – und wenn ja, diese anonym zu leisten? Sie war jetzt neunzehn und wahrscheinlich Studentin. Es wäre vermutlich peinlich für sie, mit einer Schwester konfrontiert zu werden, die ihren Erfolg allein ihrer Oberweite und einer sexy Stimme verdankte.

Und noch schlimmer: Wenn die Boulevardpresse herausfand, dass sie, Belle Davenport, eine Schwester hatte, würden sie nicht ruhen, bis sie die ganze Geschichte ans Licht gezerrt hätten. Kein junges Mädchen konnte diese Art Publicity brauchen!

Also nichts überstürzen, sagte sich Belle und stieg vor der U-Bahn-Station in ein Taxi, dessen Fahrer sie freundlich begrüßte. „Willkommen zu Hause, Miss Davenport.“

Seine Worte waren wie Balsam für ihre Seele, und sie fühlte sich plötzlich nicht mehr unsicher.

„Meine Verkleidung nutzt also nichts?“, scherzte Belle.

„Sie müssten einen Sack über dem Kopf haben, damit man Sie nicht erkennt“, erwiderte der Fahrer galant und fädelte sich, nachdem sie ihr Ziel genannt hatte, in den Verkehr ein. „Meine Frau wird ganz aus dem Häuschen sein, wenn sie hört, dass ich Sie im Taxi hatte. Sie hat ihre Radtour gespannt verfolgt und selbst gespendet.“

Belle plauderte ein bisschen mit dem Fahrer, dann holte sie ihr Handy aus der Tasche und checkte die Mailbox. Es waren fast lauter Aufforderungen, sich bei diesem und jenem zu melden.

Ja, sie war beliebt, und es gab keinen Grund, sich unsicher zu fühlen.

Dann erschien eine Nachricht von Claire. „Ich wünschte, du wärst meine Schwester! Viel Glück und alles Liebe.“

Simone hatte sich ebenfalls gemeldet. „Hast du auch so viel Angst?“, lautete die Frage.

Belle wollte nicht glauben, dass die brillante, erfolgreiche Simone Angst haben konnte. Doch auch sie hatte ja ein dunkles Geheimnis, das ihr keine Ruhe ließ.

Es war Belle schwergefallen, sich in Hongkong von den neuen Freundinnen zu trennen. Nun hatten sie Verbindung mit ihr aufgenommen, gerade in dem Augenblick, als ihr Entschluss zu wanken begann …

Sie tippte als Antwort für Claire: „Das wünschte ich mir auch!“

Dann brauchte ich nämlich nicht auf die Suche nach Daisy zu gehen, gestand Belle sich ein und begann für Simone zu tippen: „Wir müssen es nicht tun, wenn wir …“

Nein, das war nicht, was Simone jetzt brauchte! Sie hatten sich versprochen, sich gegenseitig zu ermutigen und zu unterstützen.

Kurz schloss Belle die Augen. Am liebsten hätte sie sich in die Sicherheit ihres goldenen Käfigs gerettet und die Tür hinter sich zugeschlagen. Nun hieß es: Kämpfen oder fliehen.

Die Entscheidung würde ihr ganzes weiteres Leben bestimmen.

Tief durchatmend löschte sie die Buchstaben und schrieb stattdessen: „Bin starr vor Angst. Aber wir schaffen es!“

Inzwischen waren sie vor dem vornehmen Stadthaus in Belgravia angekommen, das seit Generationen im Besitz von Ivos Familie war. Belle bezahlte, nahm ihren Rucksack und stieg aus.

Jetzt lag es an ihr, zu beweisen, dass sie tatsächlich schaffte, was sie sich vorgenommen hatte.

2. KAPITEL

Belle ging durch die offene Eingangstür, und in der Halle wurde ihr schwer ums Herz, als sie entdeckte, dass Vorbereitungen für eine der großartigen Gesellschaften im Gange waren, die ihre Schwägerin Miranda so präzise plante wie ein General seinen Feldzug.

Und ich bin dabei, eine Bombe platzen zu lassen, dachte Belle und ging zur Bibliothek, in der sie mit ziemlicher Sicherheit Ivo finden würde. Es war zwar Samstag und erst kurz nach neun Uhr, aber bestimmt arbeitete er bereits, nur eben zu Hause statt in seinem Firmenbüro.

Er blickte nicht hoch, als sie die Tür öffnete, und so hatte sie Gelegenheit, ihn eine Weile unbemerkt zu betrachten. Einen Ellbogen hatte er auf den Schreibtisch gestützt und die Stirn auf die Hand, während er sich einem vor ihm liegenden Dokument widmete.

Ivo besaß die Fähigkeit, sich voll und ganz auf eine einzige Sache zu konzentrieren, ob es nun der Erwerb einer neuen Gesellschaft oder ein Gespräch im Lift mit seinem Hausmeister war … oder Sex mit seiner Ehefrau.

Wenn er doch nur wenigstens einmal eine Schwäche gezeigt hätte, auch einmal einen schlechten Tag gehabt hätte wie normale Menschen!

Plötzlich bemerkte Belle die Schatten unter seinen Augen, und es gab ihr förmlich einen Stich. Ganz besonders, als ihr zum ersten Mal auffiel, dass sich silberne Fäden in die dunkle Strähne mischten, die ihm in die Stirn fiel.

Er ist müde, dachte sie besorgt. Wenn er seine Angestellten so geschunden hätte wie sich selbst, hätte er es mit der Gewerkschaft zu tun bekommen. Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihn in die Arme genommen, um den Stress zu vertreiben.

Wäre liebend gern einfach nur Ivos Frau gewesen …

Er strich sich übers Gesicht und schloss kurz die Augen, um neue Kräfte zu sammeln. Dann schien ihm einzufallen, dass er die Tür gehört hatte, und blickte endlich auf.

„Belle?“ Das klang, als könne er nicht glauben, sie zu sehen. Langsam stand er auf, anscheinend um Worte verlegen, was ihm sonst nie geschah.

Es war aber auch kein Wunder, so abgerissen, wie sie aussah! So hatte er sie noch nie zu Gesicht bekommen. Der Vorteil getrennter Schlafzimmer lag darin, dass man sich seinem Partner immer perfekt präsentieren konnte.

„Ich habe dich erst morgen erwartet“, sagte Ivo schließlich.

Es klang zwar nicht wie ein Vorwurf, aber eine echte Freudenkundgebung konnte man es auch nicht nennen!

„Ich habe einen früheren Flug nehmen können.“

„Wie bist du denn vom Flughafen hierhergekommen?“ Er riss sich zusammen und konzentrierte sich auf die praktischen Aspekte. „Warum hast du nicht angerufen? Miranda hätte dir den Wagen geschickt.“

Nicht er, Ivo, sondern seine immer anwesende, stets hilfsbereite Schwester! Die so zielstrebig und perfekt war wie er. Zu reich, um sich um einen Beruf kümmern zu müssen, wartete sie auf den richtigen Mann, den, der ihre Ansprüche bezüglich Vermögen und Status erfüllte und in ihr die perfekte Ehefrau sah.

Inzwischen war Miranda die eigentliche Hausherrin, die alles bestens im Griff hatte. Zum Beispiel hatte sie Belle nach den Flitterwochen eine eigene Suite zugewiesen, damit Ivo nicht gestört wurde, wenn seine Frau morgens um vier Uhr aufstand, um zur Arbeit zu gehen.

Regel Nummer eins und unumstößlich: Ivo durfte nicht gestört werden. Nicht einmal von seiner Frau.

Kein Wunder, dass ich mir hier bloß wie ein Gast vorkomme, dachte Belle. Sie wurde nur wegen der einen Sache geduldet, die auch die perfekteste Schwester nicht bieten konnte. Sex.

Beinah hätte sie sich dafür entschuldigt, niemand informiert zu haben, dass sie einen Tag früher zurückkommen würde, doch sie riss sich zusammen und zuckte gespielt gleichmütig mit den Schultern.

„Es war weniger Aufwand, die U-Bahn zu nehmen“, erklärte sie. „Nein, bleib“, bat sie dann hastig, als er zu ihr kommen wollte. „Ich bin seit vierundzwanzig Stunden unterwegs und nicht unbedingt taufrisch. Besser, wir verschieben den Begrüßungskuss.“

Ivo sah kurz so aus, als wollte er widersprechen, ja, er wirkte ungewohnt verunsichert. Normalerweise war sie diejenige, die sich hütete, ihre Gefühle zu zeigen oder auszudrücken, denn sie hatte Angst, ein unbedachtes Wort würde das Gebäude ihrer Ehe einstürzen lassen.

Nur nachts, in der Zurückgezogenheit des Schlafzimmers, schmolz Ivos spröde Höflichkeit wie Schnee in der Sonne, sobald sie ihn berührte. Dann riss der Strom der Leidenschaft die Barrieren ein, die tagsüber zwischen ihnen standen. Ja, in der Hitze des Begehrens schien ihr manchmal alles möglich zu sein. Sogar, Ivo nahezukommen …

Doch sobald der Rausch der Sinne vorüber war, gab es keine Zärtlichkeit, keine Gespräche über ihr Alltagsleben. Er interessierte sich nicht für ihre Welt, und es lag ihm nichts daran, seine Sorgen mit ihr zu teilen. Er verspürte nicht das Bedürfnis, sie beim Einschlafen in den Armen zu halten, sie warm und tröstlich an sich zu pressen, sondern er ließ sie allein und widmete sich wieder seinem wahren Leben.

Sie war nicht seine Gefährtin, nur seine legitime Geliebte, weniger Ehefrau als Konkubine.

Belle seufzte leise. Es würde schwer werden, Ivo zu sagen, was sie plante – aber bei ihm zu bleiben wäre noch schwerer.

„Können wir reden, Ivo?“

„Jetzt?“

„Ja, jetzt gleich.“

„Möchtest du dich nicht zuerst frisch machen?“, schlug er vor und warf einen verräterischen Blick auf die Papiere auf dem Schreibtisch.

„Lieber Himmel, Ivo, es ist Samstag“, erwiderte Belle heftig. Sie wollte das Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen. „Die Börse ist heute geschlossen.“

„Es geht nicht um Aktien“, begann er und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Ich brauche nur noch zehn Minuten, höchstens fünfzehn.“

Und sie war wochenlang von ihm getrennt gewesen! Jeder andere Mann hätte alles stehen und liegen lassen, um sich mit ihr zu befassen, sie nach ihren Erlebnissen zu fragen, ihr zu sagen, wie sehr er sich freue, dass sie wieder bei ihm war.

Hätte Ivo das getan, wären ihr die Worte, die ihr förmlich die Kehle abschnürten, nie über die Lippen gekommen. Aber für ihn kamen zuallererst die Geschäfte. Es gab nur eine Schwäche, die er sich gestattete: sinnliche Leidenschaft. Und mehr als das verband ihn nicht mit ihr, seiner Ehefrau.

„Geh doch schon mal nach oben“, schlug er vor und setzte sich wieder. „Sobald ich hiermit fertig bin, komme ich nach. Dann können wir reden.“

Oh nein, so funktioniert das nicht, konterte Belle im Stillen. In einer Viertelstunde würde sie unter der Dusche stehen, und Ivo würde zu ihr kommen. Er würde ihr mit seinem Körper vermitteln, was er mit Worten nicht konnte, nämlich wie sehr er sie vermisst hatte.

Aber ganz bestimmt würden sie nicht reden!

Und später würde sie, noch wie benommen von seinen Liebkosungen, aufwachen. Allein. Er würde schon wieder in der Bibliothek über den Papieren sitzen, und neben ihr auf dem Kissen würde ein wunderschönes Schmuckstück liegen, womit er – ohne Worte – ausdrücken wollte, dass er bezüglich ihrer Reise in den Himalaja egoistisch und uneinsichtig gewesen war.

Sie würde es, was immer es war, beim Abendessen tragen, um zu zeigen, dass sie seine stumme Entschuldigung akzeptierte.

Ähnliches war schon oft vorgekommen. Aber nicht heute!

„Nein, Ivo! So lange kann ich nicht warten … mit dem Gespräch.“

Während sie ihn betrachtete – die ausgeprägten Wangenknochen, die schmale Nase und den wohlgeformten Mund, der ihr so viel sinnliches Vergnügen bereiten konnte –, fiel es ihr zunehmend schwerer, sich auf die Worte zu besinnen, die ihre Ehe beenden würden.

Ivo saß da, die Fingerspitzen aneinandergelegt, und wartete.

„Es ist sehr kompliziert“, begann sie schließlich.

„Dann empfehle ich dir, es möglichst einfach zu formulieren.“ Seine energische Stimme klang ungewohnt weich.

Keine Tränen, befahl sich Belle, obwohl sie am liebsten geweint hätte. Aber sie weinte nie!

„Es tut mir leid, Ivo, aber ich kann nicht länger mit dir leben.“ Direkter und unmissverständlicher ließ es sich nicht ausdrücken. „Ich gebe dich frei.“

„Frei?“

„Wir waren uns doch von Anfang an darüber im Klaren, dass es keine Ehe ist, die bis ans Ende unserer Tage hält. Dass jeder von uns jederzeit gehen kann. Und ich verlasse dich jetzt, Ivo“, fügte sie hinzu, als er nicht reagierte.

Falls sie gehofft hatte, er würde einmal Gefühle zeigen, wurde sie enttäuscht. Sein Leben lang hatte er seine Empfindungen verborgen.

Oder er hatte keine.

Doch das wollte sie nicht glauben.

Als er schließlich reagierte, war es – ganz typisch – sachlich. „Wo willst du denn wohnen?“

Das war alles? Er fragte sie nicht einmal nach ihren Gründen? Glaubte er etwa, sie hätte einen anderen Mann gefunden? Ein ekelhafter Gedanke!

„Ist das wichtig?“, fragte Belle zurück.

„Ja! Weil … Miranda muss doch wissen, wohin sie dir die Post nachsenden soll.“

Beinah hätte sie etwas sehr Grobes über seine Schwester gesagt, doch Miranda traf nun wirklich keine Schuld an dem ganzen Fiasko. Und da Belle sich vor Ivo nicht verstecken, sondern nur erst einmal Abstand schaffen wollte, verriet sie ihm, was sie vorhatte.

„Die Mieter sind letzten Monat aus meiner Wohnung ausgezogen. Ich werde dort leben.“

„Das genügt doch nicht, wenn …“

„Es ist genau das, was ich will“, unterbrach sie ihn, bevor er wieder das Kommando übernahm und ihr Leben für sie regelte.

Ivo sah nicht sehr glücklich aus, akzeptierte jedoch ihre Entscheidung. „Na gut. War das alles, was du mir sagen wolltest?“

Nein! hätte sie am liebsten gerufen, blieb aber still.

Da nickte er nur kurz und widmete sich wieder der Arbeit, die sie unterbrochen hatte.

Belle hatte das Gefühl, von ihm durch eine Wand aus Eis getrennt zu sein. Nun blieb ihr nichts weiter zu tun, als das Nötigste zu packen und das Haus umgehend zu verlassen.

Als sie zur Treppe eilte, kam Miranda gerade aus dem Esszimmer. „Belle! Was machst du denn hier? Du solltest doch erst morgen kommen.“

„Ich freue mich auch, dich zu sehen“, erwiderte Belle sarkastisch und blieb nicht einmal stehen.

Ivo hatte den Blick auf das Dokument vor sich gerichtet, nahm es aber nicht wahr. Plötzlich trat seine Schwester in die Bibliothek.

„Was ist denn mit Belle los?“, fragte Miranda pikiert, wartete aber nicht auf eine Antwort. „Sie hätte so höflich sein können, mich zu informieren, dass sie schon heute kommt.“

„Weshalb sollte sie?“, konterte er. „Hier ist …“ Das Wort Zuhause blieb ihm förmlich in der Kehle stecken, aber seine Schwester ließ ihn ohnehin nicht ausreden.

„Darum geht es nicht, Ivo. Selbst wenn ich bis heute Abend einen Tischherrn für sie auftreibe, muss ich die ganze Sitzordnung neu planen.“

„Keine Sorge. Belle wird …“

„Nicht zum Essen erscheinen?“ Miranda entspannte sich sichtlich. „Dem Himmel sei Dank! Sie sieht erbärmlich aus nach ihren Strapazen, aber die Leute würden sie wahrscheinlich trotzdem hofieren. So wie immer. Ein Lächeln von ihr genügt, und alle liegen ihr zu Füßen.“

„Sei still“, herrschte er sie an. Das kam so selten vor, dass sie jetzt erschrocken verstummte. „Das Essen ist abgesagt.“

„Abgesagt?“ Sie lachte unsicher, dann bemerkte sie seinen Ausdruck. „Nein, Ivo, ich kann doch nicht so kurzfristig absagen. Welchen Grund soll ich denn bitte dem Botschafter und dem Außenminister nennen?“

„Das ist mir egal! Falls dir nichts einfällt, probier es damit: Meine Frau hat mich heute verlassen, und mir ist nicht nach Small Talk zumute. Das werden sie sicher verstehen.“

„Belle verlässt dich? Wieso denn? Außer … ach so, ich verstehe. Wer ist …“

„Manda, bitte“, unterbrach er sie schroff, benutzte aber immerhin ihren Kosenamen aus der Kinderzeit. „Kein weiteres Wort!“

Mir ist der Gedanke ja auch sofort durch den Kopf gegangen, gestand Ivo sich beschämt ein. Belle war allerdings immer ehrlich zu ihm gewesen. Sie hatte zugegeben, dass sie vor allem Sicherheit wollte.

Miranda ging tatsächlich, ohne noch etwas zu sagen. Er lehnte sich zurück und verschwendete keinen Gedanken mehr an die Dokumente, die er vorhin noch für so wichtig erklärt hatte. Es war natürlich nur ein Vorwand gewesen, der Versuch, Zeit zu gewinnen, denn er hatte mit einem Blick in Belles Augen erkannt, was ihm bevorstand.

Diesen Ausdruck hatte er befürchtet, seit er sie geheiratet hatte. Er wusste, dass ihr Sicherheit allein eines Tages nicht mehr genügen würde, denn sie war eine leidenschaftliche, warmherzige, gefühlvolle Frau.

Und er hatte doch nur die endgültige Zurückweisung noch ein bisschen hinauszögern wollen. Wenigstens einen Tag.

Wenigstens eine Stunde …

Seit er Belle kannte, opferte er jeden Morgen einige kostbare Minuten, um sie im Fernsehen während ihrer Sendung zu beobachten. In den vergangenen Wochen hatte er die Veränderung gespürt, die während der Radtour in ihr vorging. Ja, er hatte gespürt, wie die Distanz zwischen ihnen immer größer wurde.

Hatte dieser Prozess vielleicht schon vor ihrer Abreise begonnen, und er hatte es nur nicht wahrhaben wollen? Hatte er deswegen noch im letzten Moment versucht, sie von ihrem Plan abzubringen?

Ivo öffnete eine Schublade und schob das Ticket für den Flug nach Hongkong beiseite. Er hatte ihn gebucht, nachdem er hilflos hatte zusehen müssen, wie Belle dastand und strahlend in die Kamera lächelte, obwohl Blut ihr übers Gesicht lief.

Dann hatte er ihr doch nicht entgegenreisen können, da es bei einem seiner lukrativsten Projekte zu einer ernsten Krise gekommen war.

Er hatte sich gesagt, es mache nichts aus, denn er konnte sie ja immer noch in London vom Flughafen abholen! Ihr bei der Gelegenheit das Brillantcollier überreichen, das er extra für sie hatte anfertigen lassen.

Aber auch daraus war nun leider nichts geworden …

Belle hielt sich nicht mit Duschen auf. Sie wollte nicht eine Minute länger als nötig in diesem Haus bleiben. Was sollte sie nur mitnehmen? Da sie am Montag wieder zur Arbeit musste, reichten Jeans, T-Shirts und Unterwäsche nicht. Aber für welches der Dutzenden von Outfits sollte sie sich entscheiden?

Ihre Garderobe war so gestylt, dass sie bei Männern Verlangen weckte und bei Frauen die Sehnsucht, sie, Belle Davenport, zur besten Freundin haben zu wollen.

Es war keine leichte Vorgabe gewesen, aber Designer und Stilberater hatten es zusammen geschafft. „Belle Davenport“ war mittlerweile quasi ein Markenname, und manchmal wusste sie beinah nicht mehr, was an ihr echt war und was nur äußerer Schein.

Vielleicht hatte sie deshalb schon seit Längerem das Gefühl, nur noch im Leerlauf zu funktionieren? Wenn sie nur einmal innehielt, um nachzudenken, würde sich womöglich der Boden unter ihr öffnen und ein Abgrund sie verschlucken.

Ein schauriger Gedanke! Plötzlich ertrug sie das alles nicht länger. Wahllos stopfte sie das Nötigste in eine Reisetasche: Unterwäsche, Schuhe, Pullover und T-Shirts. Was brauchte sie noch? Make-up natürlich!

In fliegender Hast nahm sie einen gläsernen Cremetiegel vom Frisiertisch. Ihre Hände bebten mittlerweile so sehr, dass ihr das Gefäß aus den Fingern glitt und auf dem schönen Parkettboden zerschellte. Creme spritzte auf die Dielen und den antiken Teppich.

Stöhnend bückte sich Belle, um die Scherben einzusammeln.

„Lass das lieber!“, hörte sie Ivo plötzlich neben sich sagen. „Du könntest dich schneiden.“ Er nahm ihre Hand und zog sie von den Glassplittern weg.

Bei der Berührung überlief ein Prickeln ihre Haut. Seine Hand fühlte sich kühl an, trotzdem schien Hitze von ihr auszugehen und sie bis ins Innerste zu wärmen.

So war es schon immer gewesen, wenn er sie berührte. Die Verlockung wurde beinah übermächtig, sich an ihn zu schmiegen, sich von ihm umarmen zu lassen und ihn zu umarmen … ihm zu sagen, sie würde ihn niemals verlassen.

Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn und betrachtete die Wunde, die noch immer nicht völlig verheilt war. Seine graugrünen Augen wirkten heute grau und traurig, wie das Meer im Winter.

Und sie war daran schuld! Hastig wandte sie sich von Ivo ab und sammelte weiter Tiegel und Tuben ein. Nun sah sie nur noch sein Spiegelbild, und das war einfacher zu ertragen.

„Ist es, weil ich nicht wollte, dass du bei der Tour mitmachst?“, fragte er und stellte sich hinter sie. Sanft massierte er ihre verkrampften Schultern mit den Fingerspitzen, und sofort ließ ihre Anspannung nach. Oft war dies die Ouvertüre zu innigen Momenten gewesen, in denen sie ohne Worte auskamen.

Seine Berührung ließ sie sehnsüchtig erschauern und untergrub ihren festen Entschluss. Sie hatte mit der Flucht zu lange gezögert! Nun glaubte er, sie hätte nur einen Trotzanfall wie ein kleines Kind, das den Teddy aus dem Kinderwagen warf, weil es seinen Willen nicht bekam. Dass sie nur auf eine versöhnliche Geste von ihm wartete …

Dass er sie bei sich behalten wollte, war verständlich, aber er durfte ihre Schwäche nicht für seine Zwecke ausnutzen!

„Nein, Ivo, das ist nicht der Grund, warum ich dich verlasse. Der liegt vielmehr darin, dass wir keine richtige Ehe führen. Wir teilen überhaupt nichts miteinander. Und ich möchte etwas, was du mir nicht geben kannst.“

„Was ich habe, gehört auch dir.“ Er wurde blass. „Du bist meine Frau, Belle.“

„Nein, ich bin deine Schwäche. Dein Zeitvertreib. Du begehrst mich. Ich kann dein Verlangen befriedigen.“

„Und umgekehrt? Befriedige ich dich nicht?“

„Körperlich sehr wohl, und das weißt du, Ivo. Das allein macht aber noch keine Ehe aus.“

„Du bist müde“, meinte er beschwichtigend, und sein Atem strich ihr sanft über die Haut.

Was er sagte, zählte weniger, aber dass er ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, wog sehr viel. Ihr Körper reagierte darauf auf vertraute Weise und entspannte sich.

Natürlich spürte Ivo seine Wirkung auf Belle, und im Vertrauen auf die Macht, die er über ihre Sinne hatte, drehte er sie zu sich um. Sie schmiegte sich an ihn und wartete darauf, dass er ihr sagte, wie sehr er sie vermisst hatte. Dass er fragte, was mit ihr nicht stimmte. Dass er endlich einmal wirklich mit ihr redete!

Doch er zog etwas aus der Tasche, das glitzerte und funkelte, als er es ihr um den Nacken legte.

„Ich habe das für dich machen lassen zur Erinnerung an unseren Jahrestag nächsten Monat, Belle.“

„Aber unser Hochzeitstag ist doch nicht …“

„Aber es ist der Tag, an dem wir uns kennengelernt haben.“

Belle fühlte sich wie gespalten. Sie stand da, geborgen in seinen Armen, und gleichzeitig schien sie sich selbst zuzusehen, wie sie nahezu überwältigt war von diesem funkelnden Beweis, dass er die Erinnerung an den Moment schätzte, als sie in sein Leben getreten war.

„Nein“, flüsterte sie, als die Juwelen ihre Haut berührten … ein Collier aus einer Reihe Brillanten. Wunderschön.

Aber kalt.

Wenn Ivos Herz aus Gold wäre, hätte er es mir wahrscheinlich längst geschenkt, dachte sie wehmütig. Aber sie wollte etwas, was zu geben er nicht fähig war. Etwas, von dem sie früher geglaubt hatte, es auch nicht geben zu können.

Es kostete sie ungeheure Willenskraft, den Kopf zu heben und sich von Ivo zu lösen. Sie trat einen Schritt zurück, und er war so überrascht, dass ihm die Kette aus der Hand glitt und zu Boden fiel.

„Nein!“, wiederholte Belle energisch. Ihm ging es nicht um Verlangen, nicht einmal um Lust. Ihm ging es nur darum, sie zu beherrschen!

Sie nahm die Tasche, wandte sich um und verließ das Zimmer. Ihr tat alles weh, schlimmer noch als am ersten Tag der Radtour. Das war nur körperlicher Schmerz gewesen.

Nun schien ihr das Herz zu brechen. Ihre Reaktion bewies ihr, falls sie es noch bezweifelt hatte, wie sehr sie Ivo liebte. Wahre Liebe verlangte notfalls Opfer. Er hatte ihr vertraut und fraglos alles akzeptiert, was sie ihm über ihr früheres Leben vorgelogen hatte.

Ja, sie hatte in ihrem Leben zwei absolut egoistische Dinge getan. Zum einen hatte sie erlaubt, von Daisy getrennt zu werden. Zum anderen hatte sie Ivo erlaubt, sie zu heiraten.

Nun war es an der Zeit, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, statt sie zu verdrängen und zu vertuschen. Es war höchste Zeit, ihre Fehler zu korrigieren.

Ihr Rucksack stand noch in der Halle und sah in der eleganten Umgebung völlig fehl am Platz aus.

Sie war hier ebenfalls immer fehl am Platz gewesen. Eine Fremde im eigenen Leben.

Belles Apartment war klein und ein bisschen schäbig, aber es fühlte sich wie ein richtiges Zuhause an. Sie hatte es gekauft, nachdem sie ihren ersten Vertrag mit dem Sender abgeschlossen hatte.

Ihre Karriere als Moderatorin glich einem Märchen. Sie war ganz zufällig entdeckt worden, als sie bei einer großen Benefizsendung im Fernsehen zu denen gehörte, die die Telefonate annahmen. Der Moderator hatte auf den begeisterten Zuspruch der Zuschauer reagiert und Belle als Gast zu seiner üblichen Frühstückssendung eingeladen.

Dort konnte er nicht viel mit ihr anfangen und bat sie, mehr im Scherz, den Wetterbericht zu verkünden. Aus unerfindlichen Gründen rührte ihre Verlegenheit angesichts ihrer sehr schwachen Geografiekenntnisse die Herzen der Zuschauer.

In einer Klatschkolumne erschien ein Bericht über die „bezaubernd naive Blondine“, und schon wenige Wochen später hatte sie einen Agenten und einen Vertrag mit einem Privatsender. Zuerst befragte sie Leute auf der Straße zu allen möglichen Themen, angefangen von Lebensmittelpreisen bis zu den neuesten Trends.

Plötzlich war sie bei ihrer Bank eine angesehene Kundin, vor allem, nachdem sie ihren Wunsch geäußert hatte, Geld in eine Wohnung zu investieren. Sich eine Unterkunft zu sichern war ihr dringendstes Anliegen.

So unwahrscheinlich es schien, aber sie verschwand nicht bald wieder in der Versenkung, sondern arbeitete sich von einer Art „komischer Nummer“ zur Moderatorin der Sendung hoch. Und sie angelte sich wie nebenbei einen Multimillionär als Ehemann.

Nun war ihr Auskommen mehr als gesichert.

Die Wohnung hatte Belle trotzdem behalten, nicht nur als gute Geldanlage, sondern weil sie an ihrem ersten richtigen Zuhause hing.

Nachdem die bislang letzten Mieter ausgezogen waren, hatte sie das Apartment nicht weitervermietet, weil sie meinte, es müsse neu hergerichtet werden.

Oder hatte sie sich unbewusst auf die Trennung von Ivo vorbereitet?

Fröstelnd stellte Belle ihr Gepäck ab und schaltete die Heizung ein. Kurz berührte sie die eine Wand, wie um sich zu versichern, dass diese solide war. Dabei glitzerte der Brillant in ihrem Ehering, und sie musste an ihre Hochzeit denken.

Ivo hatte versprochen, sich um sie zu kümmern und sie zu beschützen. Er hatte sein Versprechen gehalten. Dass sie sich inzwischen nach mehr sehnte, war nicht seine Schuld. Sie zog den Ring vom Finger und legte ihn in eine Schublade im Schlafzimmer.

Dann wurde sie aktiv und begann, sich in der Wohnung einzurichten. Nachdem sie das Bett bezogen und die Wäsche in die Maschine gesteckt hatte, machte sie sich eine Tasse Tee und setzte sich damit an den Computer.

Als Erstes schrieb sie Claire und Simone, dass sie gut in London angekommen war … und was sich seither ereignet hatte.

Dabei fiel ihr ein, wie Simone gemeint hatte, Ivo könne doch bei der Suche nach Daisy helfen. Der Gedanke war verführerisch, aber sie durfte ihm nicht nachgeben, denn die Suche nach ihrer Schwester war ganz allein ihre Aufgabe.

Im Internet suchte sie nach Informationen über Adoptionsrecht. Eine Neuerung bestand darin, dass nicht nur die leibliche Mutter berechtigt war, über die Behörde Kontakt mit dem Kind aufzunehmen, sondern auch andere Angehörige. Allerdings nur, wenn das Adoptivkind von sich aus Verbindung mit der ursprünglichen Familie wünschte.

Und weshalb sollte Daisy diesen Wunsch verspüren?

Trotzdem füllte Belle das Onlineformular mit ihren Daten und allen relevanten Informationen aus, falls Daisy sich doch einmal bei der Behörde melden sollte. Ansonsten gab es auch spezielle Agenturen, die dem Verbleib von Adoptivkindern nachspürten. Diesen Weg würde sie aber erst später in Erwägung ziehen.

Jetzt hatte sie nämlich noch ein dringenderes Problem: ihr Haar. Sie rief ihren Friseur an und bat um einen sofortigen Termin.

3. KAPITEL

Shoppen war keineswegs Belles bevorzugter Zeitvertreib, aber als sie am Sonntag allein aufwachte und sich bewusst wurde, dass sie auch allein bleiben würde, schien sich der Tag wie eine endlose Wüste vor ihr auszudehnen.

Was blieb ihr also anderes übrig, als einkaufen zu gehen? Vor allem, da sie für Montag nichts zum Anziehen hatte, was sich fürs Fernsehen eignete.

Natürlich wäre es das Vernünftigste gewesen, Ivo anzurufen und mit ihm zu verabreden, dass sie zumindest einen Teil ihrer umfangreichen Garderobe abholte, aber … nachts hatte sie sich so einsam gefühlt, und wenn er wieder versuchen sollte, seine sinnliche Macht über sie auszunutzen, würde sie möglicherweise nicht stark genug sein, ihm zu widerstehen.

Sie bestellte ein Taxi und ließ sich zu einem dieser riesigen Shoppingcenter bringen, die in England ja glücklicherweise auch sonntags geöffnet hatten.

Ihre Berater beim Fernsehen hatten ihr oft genug eingetrichtert, dass man entweder die Frisur oder das Styling ändern könne, aber nicht beides zugleich.

Belle pfiff darauf! Sie war es endgültig leid, ihr Leben nach den Regeln anderer zu gestalten.

Auf Anhieb verliebte sie sich in einen olivgrünen, gerade geschnittenen Blazer, genau die Art Jacke, die sie, wie ihr Modeberater immer gewarnt hatte, nicht tragen konnte. Mit knapp einem Meter fünfundsechzig sei sie einfach zu klein, und ihre Kurven kämen nicht zur Geltung, hatte er behauptet.

Allerdings war Belle nach den Anstrengungen der Radtour schlanker und straffer als je zuvor, und mit dem neuen Kurzhaarschnitt fühlte sie sich sogar größer.

Also nahm sie nicht nur diesen Blazer, sondern auch noch einen ganz ähnlichen aus feinem braun und beige meliertem Tweed, der hervorragend zu ihrer neuen Haarfarbe passte: hellbraun mit unzähligen Strähnchen in verschiedensten Nuancen von Blond. Außerdem kaufte sie sich Rollkragenpullover, klassische Hemdblusen, mehrere Hosen – sie trug vor der Kamera sonst nur Röcke – und flotte Stiefeletten.

Mehr als einmal warf man ihr prüfende Blicke zu, aber ihr neuer Look war so gut wie eine Verkleidung. Dass man sie nicht erkannte, begeisterte sie, denn plötzlich fühlte sie sich frei.

Als sie an einem Fotoautomaten vorbeikam, beschloss sie spontan, Bilder machen zu lassen und an Claire und Simone zu schicken, die sich bestimmt mit ihr über den gelungenen Streich ihr neues Aussehen betreffend freuen würden.

Dann entdeckte Belle einen Einrichtungsladen und beschloss, auch der Wohnung einen neuen Look zu verpassen. Das würde ihr helfen, die Zeit sinnvoll zu verbringen, wenn sie demnächst ihren Job aufgab.

Die Arme voller Tragetaschen, Kataloge und Musterbücher, ließ sie sich ein Taxi bestellen, um in die Innenstadt zurückzufahren. An diesem Punkt überlegte sie, ob sie sich nicht ein eigenes Auto zulegen sollte.

Als sie zu Beginn ihrer Fernsehkarriere noch das blonde Dummchen markierte, über das man sich nur lustig machen konnte, hatte man ihr einen Fahrkurs bezahlt. Belle hatte ihn mit Bravour absolviert und zu ihren bemerkenswertesten Leistungen vor der Kamera hatten danach eine Rallye, einige Runden in einem Rennwagen und als Höhepunkt ein Schleuderkurs in einem Doppeldeckerbus gehört. Letzteres hatte ihr einen neuen Vertrag gesichert.

Ja, fahren konnte sie gut, und sie hatte auch schon einen kleinen Wagen besessen. Als Ivos Frau brauchte sie den allerdings nicht mehr, da ihr Tag und Nacht sein Chauffeur zur Verfügung stand.

Auf der Fahrt zurück in die Innenstadt unterhielt Belle sich angeregt mit dem Taxifahrer über Gebrauchtwagen. Er erwies sich als gute Quelle für Informationen über die besten Händler. Außerdem arrangierte er für sie per Handy eine Testfahrt in einem schicken kleinen BMW Cabrio.

Am Montagnachmittag war Belle noch nicht lange zu Hause, als es an ihrer Haustür klingelte. Zuerst dachte sie, es wären vielleicht Reporter, die wissen wollten, welche Story hinter ihrem neuen Look steckte, den die Zuschauer morgens zum ersten Mal präsentiert bekommen hatten. Da weder ihr Agent noch ihr PR-Berater die Beweggründe erklären konnten – sie hatte sich mit den beiden nicht abgesprochen –, wandten sich die Klatschkolumnisten nun vermutlich direkt an sie.

Natürlich könnte es auch mein Agent sein, sagte sie sich dann. Bestimmt hatte er morgens ihre Sendung gesehen und wollte nun wissen, was sie sich dabei gedacht hatte, ihr Image zu zerstören, an dem sie so lange gearbeitet hatten. Sicher fragte er sich schon, wie er ihr neues Aussehen erklären – und vermarkten konnte.

Das war ihr allerdings egal. Deshalb kümmerte sie sich ebenso wenig um das Klingeln, wie sie sich um die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter gekümmert hatte.

Stattdessen blieb sie am Computer sitzen und checkte gespannt, ob sie schon Nachrichten von der Adoptionsbehörde bekommen hatte. Leider nicht!

Als Nächstes klickte sie eine Website an, auf der Adoptierte ihr Schicksal schilderten.

Wieder klingelte es, diesmal länger. Wer immer dort unten war, würde so schnell nicht aufgeben. Und da sie sich ja irgendwann dem ganzen Wirbel stellen musste, konnte sie es auch gleich hinter sich bringen.

Seufzend stand sie auf und meldete sich an der Gegensprechanlage.

„Belle … ich bin’s. Ivo.“

Belle stockte der Atem. Ivo? Was konnte er nur wollen? Er müsste doch eigentlich in seinem Büro sitzen und sich um seinen Konzern kümmern. Nicht um persönliche Angelegenheiten. Das tat er nachmittags nie …

Ohne etwas zu sagen, drückte sie auf den automatischen Türöffner. Da es in dem alten Haus keinen Lift gab und sie im obersten Stock wohnte, blieb ihr ein bisschen Zeit, um sich zu fassen, bevor sie die Tür öffnete.

Einen Moment lang stand Ivo nur da und betrachtete sie. Dann hob er die Hand, als ob er sich überzeugen müsste, dass er sich nicht täuschte und sie tatsächlich kurzes, stufig geschnittenes Haar hatte. Doch bevor er sie berührte, ließ er die Hand sinken und presste seine Finger in die Handfläche.

„Belle, du siehst …“ Zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen fehlten ihm die Worte.

„Anders aus, wolltest du sagen?“, beendete sie den Satz.

Ivo schüttelte den Kopf, aber das passende Eigenschaftswort ließ weiterhin auf sich warten. Er hob einen dicken Umschlag hoch, als wäre das Erklärung genug für sein Kommen.

Und sie hatte kurz entgegen besseren Wissens gehofft, er hätte einen anderen Grund! Obwohl sie nicht sagen konnte, wonach sie sich genau sehnte.

Bewusst gleichmütig meinte sie: „Ich dachte, Miranda sollte mir die Post nachschicken.“

„Ja, aber es hat sich so viel angesammelt, als du auf deiner Radtour warst. Vielleicht ist einiges davon wichtig.“

So wichtig, dass er es nicht mit einem Kurier hat schicken können? dachte sie skeptisch und wollte den Umschlag nehmen, den er aber nicht losließ.

„Ich war früher schon mal da“, informierte Ivo sie überraschend.

Um sich nichts anmerken zu lassen, erwiderte sie bemüht beiläufig: „Ich habe einen Briefkasten, in den du meine Post hättest stecken können.“

„Es ging nicht nur um die Briefe“, gab er endlich zu. „Du bist später zu Hause als üblich.“

„Ich habe auch einen unüblichen Tag hinter mir. Wegen meiner langen Abwesenheit gab es einiges zu klären. Außerdem musste ich zu zwei Sitzungen, die länger gedauert haben.“

Dass es darum gegangen war, zu erklären, dass sie ihren Vertrag nicht verlängern würde, der demnächst auslief, war ihr fast wie ein Kinderspiel vorgekommen. Ivo zu sagen, dass sie sich von ihm trennen würde, war ihr hingegen wirklich schwergefallen.

„Anschließend habe ich mir ein Auto gekauft“, berichtete Belle weiter. So lässig, als würde es nur um ein Paar Schuhe gehen.

„Du hast was?“ Es klang weniger wie eine Frage als ein Protest dagegen, dass sie gewagt hatte, eigenmächtig eine so weitreichende Entscheidung zu treffen.

„Ein BMW Cabrio gekauft. Silbergrau. Nur circa dreißigtausend Kilometer gefahren. Morgen wird es geliefert.“

„Es ist ein Gebrauchtwagen?“ Nun klang er besorgt. „Hoffentlich ein geprüfter. Du hast ihn doch nicht etwa privat gekauft, oder?“

„Wäre das so schlimm?“ Wenn sie geahnt hätte, wie wenig gelassen er auf diese Neuigkeit reagierte, hätte sie sich schon längst ein Auto gekauft.

„Es könnte gestohlen sein. Oder aus mehreren Unfallwagen zusammengebastelt. Und der Kilometerstand ist mit ziemlicher Sicherheit falsch.“

„Ach nein.“ Wenn er sie wie ein blondes Dummchen behandelte, würde sie ihm die Rolle gern weiter vorspielen. Sie hatte ja genug Übung. „Es ist sicher alles in Ordnung. Ich habe den Wagen vom Schwager des Taxifahrers, der mich gestern nach Hause gebracht hat.“

Ivo sah aus, als unterdrücke er nur mühsam ein Stöhnen. „Wie heißt er?“

„Der Taxifahrer?“

„Sein Schwager!“

Wenn er mit den Zähnen geknirscht hätte, wäre Belle nicht erstaunt gewesen. Das hatte er jetzt davon, dass er sie behandelte, als könnte sie allein nicht klarkommen. Wenn er öfter ihre Sendung gesehen hätte, würde er wissen, dass sie mehrmals über die Risiken beim Gebrauchtwagenkauf berichtet hatten.

„Ach so, Mike. Ein wirklich netter Mann. Warte mal, ich habe irgendwo noch seine Visitenkarte.“ Sie suchte in der Handtasche, die auf dem Garderobentisch lag, und reichte Ivo die Geschäftskarte.

Nach einem Blick darauf fragte er ungläubig: „Mike Wade ist der Schwager deines Taxifahrers?“

„Ja, warum denn nicht?“ Mike besaß eines der renommiertesten Autohäuser Londons und war Hauptimporteur für BMW in Großbritannien. Er war also alles andere als ein zwielichtiger Gebrauchtwagenhändler. „Er lässt dir schöne Grüße ausrichten. Angeblich spielst du mit dem Gedanken, dir ein kleineres und sparsameres Modell zuzulegen.“

Und so genüsslich es hätte sein müssen zu entdecken, dass sie Ivo an der Nase herumführen konnte und auch er nicht immer völlig beherrscht war, tat es ihr plötzlich leid. Er war ja nur ihretwegen besorgt und wollte sichergehen, dass alles in Ordnung war mit ihr.

„Warum bist du wirklich hier, Ivo?“, fragte Belle sanft.

„Wegen deiner Sachen.“ Er fuhr sich durchs Haar. „Was soll damit passieren? Du brauchst doch bestimmt das eine oder andere.“

„Ja.“ Ihn hatten also nicht Eifersucht getrieben, schon gar nicht Sehnsucht, sondern nur praktische Erwägungen! Und er hatte ja recht. Sie konnte sich nicht von Kopf bis Fuß völlig neu einkleiden. Das wäre viel zu teuer, selbst für ihre Verhältnisse.

Außerdem musste sie demnächst zu einer Preisverleihung, für die sie sich schon ein ganz tolles Abendkleid gekauft hatte, ein echtes Modell von Balenciaga. Bei der Gelegenheit würde sie zum ersten Mal ohne Ivo in der Öffentlichkeit erscheinen, und vielleicht fiel es weniger auf, wenn sie eine aufsehenerregende Robe trug!

„Außerdem müssen wir darüber reden, wie es nun weitergehen soll“, fügte Ivo hinzu.

„Dann komm bitte rein“, sagte sie und ging in die Küche voraus. „Bist du hungrig? Das Mittagessen scheint schon ewig lang her zu sein.“

Als er nicht antwortete, sah sie sich um und merkte, dass er ihr nicht gefolgt, sondern ins Wohnzimmer gegangen war und dort auf den Bildschirm ihres Laptops blickte, auf dem noch die Seite mit den Adoptionsberichten zu sehen war.

Rasch ging sie zu ihm.

„Ich habe dich beim Arbeiten gestört“, stellte Ivo fest.

„Beim Recherchieren für ein neues Projekt“, erklärte Belle und zwang sich, den Laptop nicht auszuschalten. Das hätte Ivo sicher misstrauisch oder neugierig gemacht. „Möchtest du etwas essen?“, erkundigte sie sich. „Allerdings habe ich nicht sehr viel da.“

Ein Signal verkündete, dass eine E-Mail eingetroffen war. Es kostete Belle viel Willenskraft, nicht sofort nachzusehen, ob es Nachrichten über oder sogar von Daisy gab. Sie wandte sich um und ging wieder in die Küche.

Diesmal folgte Ivo ihr.

„Ich kann Toast anbieten, dazu Sardinen, Käse oder Rührei“, zählte Belle auf.

„Wir könnten ja ausgehen“, schlug er vor.

Anscheinend fühlte er sich in der Küche fehl am Platz – und er wirkte auch so in seinem eleganten Anzug und dem maßgeschneiderten Seidenhemd.

„Lieber nicht.“

„Irgendwohin, wo es ruhig ist“, beharrte er, nicht daran gewöhnt, dass man seine Anregungen nicht befolgte.

Diesmal widersprach sie nicht, sondern nahm einfach den Karton mit Eiern aus dem Kühlschrank. „Weißbrot ist im Brotkasten“, informierte sie Ivo und schlug die Eier in eine Schüssel.

Einen Moment blieb er reglos stehen, dann legte er ihre Post auf den Tresen und holte das Brot aus dem Kasten.

„Du wusstest nicht, dass ich kochen kann, stimmt’s?“, meinte Belle, um ein unverfängliches Thema bemüht, und nahm den Schneebesen zur Hand.

Autor

Liz Fielding

In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding – in Wales

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