Julia Extra Band 398

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DIE BRAUT DES ITALIENISCHEN MILLIARDÄRS von GRAHAM, LYNNE
"Heirate mich." Wie bitte? Hat Belle sich verhört? Aber Cristo Ravellis feuriger Blick erlaubt keine Zweifel: Wenn Belle ihre fünf Halbgeschwister retten will, muss sie Ja zu dem Milliardär sagen …

UNTER TAUSEND WÜSTENSTERNEN von RAYE HARRIS, LYNN
Mit dem heißblütigen Scheich Rashid al-Hassan in der Wüste: Sheridan ist hin- und hergerissen! Soll sie versuchen zu fliehen - oder die Nacht unter tausend Sternen mit Rashid genießen?

DEINE LIPPEN SIND EINFACH UNVERGESSLICH! von COX, MAGGIE
"Ich weiß, wie ruchlos du sein ka…" Lara hat das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als Gabriel sie schon sinnlich umarmt. Der Millionär, der kein Nein kennt, ist zurück in ihrem Leben!

MIT ZWEI MÄNNERN VORM ALTAR von WAY, MARGARET
Die junge Genni sehnt sich nach Blaine, solange sie denken kann. Er ist ihr Held, und jetzt führt er sie zum Altar! Wo ein anderer Mann auf sie wartet. Den sie nicht so liebt wie Blaine …

HEIß WIE DIE SONNE AFRIKAS von HARRINGTON, NINA
Überraschend trifft Kate ihren Exfreund Simon in Afrika wieder. Nie hat sie ihn vergessen, obwohl sie einfach nicht zusammenpassten. Aber warum glaubt hier bloß jeder, dass sie beide zusammengehören?


  • Erscheinungstag 05.05.2015
  • Bandnummer 0398
  • ISBN / Artikelnummer 9783733704483
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Lynn Raye Harris, Maggie Cox, Margaret Way, Nina Harrington

JULIA EXTRA BAND 398

LYNNE GRAHAM

Die Braut des italienischen Milliardärs

Für Cristo Ravelli ist es selbstverständlich, sich um seine unehelichen Halbgeschwister zu kümmern! Auch wenn er dazu Belle Kelly heiraten muss. Bezaubernd schön – und himmelschreiend widerspenstig …

LYNN RAYE HARRIS

Unter tausend Wüstensternen

Scheich Rashid al-Hassan ist fassungslos: Sheridan Sloane erwartet ein Kind – sein Kind! Es kann nur einen Weg geben: Rashid muss Sheridan zu seiner Wüstenkönigin machen …

MAGGIE COX

Deine Lippen sind einfach unvergesslich!

Millionär Gabriel Devenish weiß, dass er die Finger von Lara lassen sollte. Dieser bezaubernde Engel ist einfach zu gut für ihn! Aber wie kann sich etwas Falsches nur so verdammt richtig anfühlen?

MARGARET WAY

Mit zwei Männern vorm Altar

Blaine hat Genni aufwachsen sehen. Aus dem Mädchen wurde eine begehrenswerte Schönheit – die nun einen anderen heiratet! Und ausgerechnet Blaine soll sie zum Altar führen …

1. KAPITEL

Cristo Ravelli starrte seinen Anwalt ungläubig an. „Soll das ein verspäteter Aprilscherz sein?“, fragte er stirnrunzelnd.

Robert Ludlow, Seniorpartner bei Ludlow and Ludlow, verzog keine Miene. Er wusste, dass Cristo, ein steinreicher Investmentbanker, der sich auf Risikokapital spezialisiert hatte, kein Mann war, mit dem man spaßte. Zumindest hatte Robert bisher noch keinen Sinn für Humor an ihm entdecken können. Cristo nahm das Leben überaus ernst, ganz anders als sein gerade verstorbener und vermutlich nur wenig betrauerter Vater Gaetano.

„Ich fürchte, das ist kein Witz. Ihr Vater hatte fünf Kinder mit einer Frau in Irland.“

„Sie meinen, all die Jahre, in denen er zum Angeln auf seinen irischen Landsitz fuhr …?“

„Ich fürchte, ja. Soweit ich weiß, ist das älteste Kind fünfzehn Jahre alt.“

Fünfzehn? Aber das bedeutet ja …“ Cristo presste die sinnlichen Lippen zusammen, um eine abfällige Bemerkung zu unterdrücken. Seine dunklen Augen blitzten wütend auf. Warum überraschte ihn die Neuigkeit eigentlich? Er wusste doch, dass sein Vater ein notorischer Frauenheld gewesen war. Warum sollte Gaetano also keine unehelichen Kinder gehabt haben, wo er doch schon diverse wütende Ex-Frauen und drei eheliche Söhne hinterließ?

Cristo selbst würde nie das Risiko eingehen, ein uneheliches Kind zu bekommen. Es war ihm unbegreiflich, dass sein Vater das gleich fünf Mal geschafft hatte, zumal er nie auch nur das geringste Interesse an seinen legitimen Söhnen gezeigt hatte. Cristos Brüder Nik und Zarif würden bestimmt genauso entsetzt auf diese Neuigkeit reagieren wie er, aber er beschloss, ihnen vorerst nichts zu sagen und allein mit dem Problem fertigzuwerden.

Das Scheitern von Niks Ehe hatte Cristo schwer getroffen, und sein eigener Anteil daran bereitete ihm immer noch schlaflose Nächte. Auch ihr Bruder Zarif, frisch gebackener Herrscher eines Landes im mittleren Osten, konnte gerade keinen Skandal gebrauchen. Gaetanos unmoralisches Treiben musste daher dringend vor der Presse geheim gehalten werden.

„Fünfzehn Jahre alt“, wiederholte Cristo fassungslos. Das bedeutete ja, dass sein Vater Zarifs Mutter während ihrer ganzen Ehe betrogen hatte! „Ich muss mich für meine Reaktion entschuldigen, Robert, aber das Ganze ist ein ziemlicher Schock für mich. Was wissen Sie über die Mutter der Kinder?“

Robert hob eine ergraute Augenbraue. „Ich habe Daniel Petrie kontaktiert, den Grundstücksverwalter des irischen Landsitzes Ihres Vaters. Er hat erzählt, dass Mary Brophy in ihrem Dorf einen sehr schlechten Ruf hat“, erklärte er fast entschuldigend.

„Als Frau mit lockeren moralischen Ansichten traf sie bestimmt genau Gaetanos Geschmack. Was für Vorkehrungen hat mein Vater für diese Kinderschar getroffen?“

„Genau darüber wollte ich mit ihnen reden.“ Robert räusperte sich verlegen. „Wie Sie wissen, hat Gaetano weder die Frau noch die Kinder in seinem Testament erwähnt.“

„Wollen Sie damit etwa sagen, dass mein Vater überhaupt keine Vorkehrungen getroffen hat?“, fragte Cristo fassungslos. „Er hatte fünf Kinder mit dieser … dieser Frau und hat ihnen kein Geld hinterlassen?“

„Keinen Penny“, bestätigte Robert bedauernd. „Ich dachte erst, er hätte vielleicht privat für sie vorgesorgt, aber offensichtlich war das nicht der Fall, da die Frau sich mit der Bitte um Begleichung der Schulgebühren an mich gewandt hat. Aber Ihr Vater hat immer in der Gegenwart und nicht in der Zukunft gelebt. Er ging vermutlich davon aus, mindestens achtzig zu werden.“

„Und stattdessen starb er mit zweiundsechzig und hat mir dieses Chaos hinterlassen“, sagte Cristo wütend. „Ich werde mich persönlich um diese Angelegenheit kümmern müssen. Ich will auf keinen Fall, dass die Presse Wind davon bekommt.“

„Verständlich“, stimmte Robert zu. „Für die Medien sind Männer mit diversen Ehefrauen und Geliebten ein gefundenes Fressen.“

Cristo biss die makellosen weißen Zähne zusammen. Seine dunklen Augen blitzten zornig. Sein Vater hatte schon zu Lebzeiten genug Schaden angerichtet. Unfassbar, dass er seiner Familie auch nach seinem Tod noch keine Ruhe ließ. „Die beste Lösung wäre, wenn die Kinder zur Adoption freigegeben werden, damit man diese ganze unappetitliche Angelegenheit unter den Teppich kehren kann.“

Robert sah Cristo für einen Moment ganz verwundert an, beherrschte sich jedoch rasch. „Glauben Sie wirklich, die Mutter wird diesem Vorschlag zustimmen?“

„Sollte sie in das übliche Beuteschema meines Vaters passen, wird eine angemessene Entschädigung sie bestimmt überzeugen.“

Robert wusste, worauf Cristo anspielte, bezweifelte jedoch, dass Cristo Erfolg haben würde. Aber so, wie Cristo aufgewachsen war, konnte er sich vermutlich nicht vorstellen, dass Eltern ihre Kinder lieben konnten. Er hatte nie den Zusammenhalt erlebt, der in anderen Familien selbstverständlich war. Plötzlich war Robert dankbar dafür, dass sein Leben ihn selbst nicht so zynisch gemacht hatte.

Cristo straffte die Schultern und griff nach seinem Handy, um seine Assistentin zu bitten, ihm einen Flug nach Dublin zu buchen. Er würde diese widerliche Angelegenheit zügig erledigen und sich dann wieder seiner Arbeit widmen.

„Ich hasse die Ravellis!“, tobte Belle, das hübsche Gesicht verzerrt vor Wut. „Ich hasse sie alle!“

„Dann müsstest du auch deine eigenen Brüder und Schwestern hassen“, rief ihre Großmutter ihr ins Gedächtnis. „Und du weißt, dass das nicht der Fall ist.“

Belle zügelte ihr Temperament mühsam und sah ihre Großmutter entschuldigend an. Isa war eine kleine geschmeidige Frau mit stahlgrauem Haar und hatte die gleichen grünen Augen wie Belle. „Dieser dämliche Anwalt hat noch nicht mal auf Mums Brief wegen der Schulgebühren reagiert. Ich hasse die ganze Familie! Warum lassen sie uns um etwas betteln, was den Kindern zusteht?“

„Ich kann nachvollziehen, wie unangenehm dir das ist“, räumte Isa Kelly ein. „Aber wir dürfen nicht vergessen, dass nur Gaetano Ravelli für diese Situation verantwortlich ist.“

„Wie könnte ich das je vergessen?“, rief ihre Enkelin frustriert und sprang auf. Man hatte sie wegen der skandalösen Beziehung ihrer Mutter mit Gaetano Ravelli und deren fünf unehelichen Kindern in ihrer Schulzeit erbarmungslos gequält. Viele Menschen hatten Anstoß daran genommen, dass Mary sich mit einem verheirateten Mann eingelassen hatte. Sie war mehr oder weniger als Hure gebrandmarkt worden, und Belle hatte man gleich mit verurteilt.

„Aber Gaetano lebt nicht mehr“, erinnerte Isa sie überflüssigerweise. „Und deine Mutter leider auch nicht.“

Isas letzte Worte versetzten Belle einen schmerzhaften Stich. Ihre Mutter war erst vor einem Monat an einem Herzinfarkt gestorben. Belle war immer noch nicht über den Schock hinweg. Mary, eine lebenslustige Frau Anfang vierzig, war kaum jemals krank gewesen, hatte jedoch ein schwaches Herz gehabt, und ihre letzte Schwangerschaft war für sie vermutlich einfach zu viel gewesen. Doch Mary Brophy hatte nie auf die Stimme der Vernunft gehört. Sie war immer ihren eigenen Weg gegangen, egal welchen Preis sie dafür bezahlen musste.

Aber was auch immer man Mary Brophy anlasten konnte – und es hatte viele Menschen im Ort gegeben, die sie wegen ihrer Langzeitaffäre mit Gaetano verurteilt hatten – war sie doch eine hart arbeitende Frau gewesen, die nie ein schlechtes Wort über jemanden verloren hatte und immer hilfsbereit gewesen war. Im Laufe der Jahre waren daher sogar aus manchen ihrer erbittertsten Kritiker Freunde geworden.

Trotzdem hatte Belle nie verstanden, warum Mary einem Mann zuliebe so viele Opfer gebracht hatte. Belle hatte Gaetano Ravelli für seine Lügen, seine Selbstsüchtigkeit und sein manipulatives Verhalten verabscheut. Erschöpft strich sie sich eine rote Locke aus dem Gesicht. Sie müsste dringend zum Friseur, hatte dafür aber keine Zeit – und kein Geld.

Gut, dass ihr wenigstens das Pförtnerhaus am Fuß der gewundenen Auffahrt zu Mayhill House gehörte, dem Landsitz Gaetanos. Wahrscheinlich würden sie es verkaufen und sich etwas Billigeres suchen müssen. Gaetano hatte es vor Jahren ihrer Mutter überschrieben. Aber was nützte ihnen ein Dach über dem Kopf, wenn sie die Rechnungen nicht bezahlen konnten? Obwohl Obdachlosigkeit natürlich ein noch schlimmeres Los wäre.

„Ich kümmere mich gern um die Kinder“, sagte Isa mit fester Stimme. „Mary war meine Tochter und ich will nicht, dass du den Preis für ihre Fehler bezahlst.“

„Die Kinder würden dich doch völlig überfordern“, protestierte Belle. Ihre Großmutter mochte fit wie ein Turnschuh sein, aber sie war schon siebzig. Belle hatte kein gutes Gefühl dabei, ihr eine solche Last aufzubürden.

„Du bist extra auf eine Universität gegangen, die weit weg von hier liegt, um eurer Situation zu entfliehen, und du wolltest sofort nach deinem Abschluss nach London ziehen“, erinnerte Isa sie.

„Es kommt eben nicht immer so, wie man sich das vorstellt. Die Kinder haben innerhalb von zwei Monaten beide Eltern verloren. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen können, ist, dass ich auch noch weggehe.“

„Bruno und Donetta gehen beide aufs Internat, also sind sie während der Schulzeit versorgt“, widersprach die ältere Frau. „Die Zwillinge sind auf der Grundschule. Nur Franco ist zu Hause, aber da er schon zwei ist, kommt er bald in den Kindergarten.“

Kurz nach dem Tod ihrer Mutter hatte Belle das noch genauso gesehen. Sie war ihrer Großmutter sehr dankbar für das großzügige Angebot gewesen, sich um die Kinder zu kümmern, hatte jedoch auch ein schlechtes Gewissen deswegen gehabt. Nachdem sie sich selbst davon überzeugt hatte, wie viel Arbeit auch nur drei Kinder machten, konnte sie das Isa auf keinen Fall zumuten. Sie selbst war erst dreiundzwanzig und fühlte sich trotzdem manchmal völlig überfordert.

Als es an der Hintertür klopfte, zuckten die beiden Frauen erschrocken zusammen. Stirnrunzelnd öffnete Belle die Tür und sah zu ihrer Erleichterung einen guten Freund auf den Stufen stehen. Mark Petrie und Belle waren zusammen zur Schule gegangen.

„Komm rein“, forderte sie den schlanken dunkelhaarigen Mann auf. „Setz dich. Kaffee?“

„Danke, gern.“

„Wie geht es Ihnen, Mark?“, fragte Isa lächelnd.

„Gut. Ich mache mir eher Sorgen um Belle.“ Mark warf Isas Enkelin einen Blick voll unverhüllter männlicher Bewunderung zu. „Hör mal, ich komme direkt zur Sache. Ich habe heute meinen Vater am Telefon gehört. Er muss mit jemandem aus Gaetano Ravellis Familie geredet haben, mit dem ältesten Sohn, glaube ich, Cristo.“

Belle verkrampfte sich beim Klang dieses Namens. Sie stellte Mark einen Becher Kaffee hin. „Wie kommst du darauf?“

„Cristo ist Gaetanos Nachlassverwalter. Er hat meinen Vater über deine Mutter ausgefragt, aber er weiß noch nicht, dass Mary tot ist. Mein Vater ist ja gerade erst von seiner Australienreise zurückgekommen und es hat sich noch niemand die Mühe gemacht, ihn darüber zu informieren“

„Na ja, dein Vater und meine Mutter waren nicht gerade Busenfreunde“, bemerkte Belle trocken. Es hatte im Laufe der Jahre viel böses Blut gegeben zwischen dem Grundstücksverwalter Daniel Petrie und Mary, die als Haushälterin auf Mayhill House gearbeitet hatte. „Warum sollte ihm also jemand davon erzählen?“

Cristo Ravelli, dachte Belle voller Abscheu. Der steife Banker und unglaublich gut aussehende älteste Sohn Gaetanos, den wohl noch niemand je hatte lächeln sehen … Im Laufe der Jahre hatte sie sich oft im Internet über Gaetanos kompliziertes Liebesleben informiert, anfänglich aus Neugier und später, um Antworten auf die Fragen zu bekommen, die ihre arme vertrauensselige Mutter sich nie zu fragen getraut hatte. Sie wusste daher über die Ehefrauen, die Söhne und die skandalösen Affären Bescheid.

Gaetano Ravelli hatte einen enormen Frauenverschleiß gehabt und jede Menge Herzen gebrochen. Geheiratet hatte er jedoch nur reiche Frauen. Belles arme Mutter hatte daher nie eine Chance auf einen Ehering gehabt.

„Anscheinend wollen die Ravellis, dass Gaetanos uneheliche Kinder mit Mary zur Adoption freigegeben werden.“

„Adoption?“, fragte Belle fassungslos.

„Offensichtlich will die Familie damit die ganze Affäre unter den Teppich kehren.“ Mark verzog bedauernd das Gesicht. „Eine Adoption würde peinliche Spuren verwischen.“

„Aber hier geht es um Kinder, die eine Familie und ein Zuhause haben!“, protestierte Belle entsetzt. „Sie gehören zusammen, verdammt noch mal!“

Mark räusperte sich verlegen. „Bist du eigentlich der gesetzliche Vormund der Kinder?“

„Klar. Wer sonst?“

„Aber das hast du nicht schriftlich, oder? Du solltest dir vielleicht einen Anwalt suchen, bevor sich womöglich herausstellt, dass die Gaetanos mehr Entscheidungsbefugnis haben als du.“

„Aber das wäre absolut lächerlich!“, wandte Belle ein. „Gaetano hatte nie etwas mit den Kindern zu tun.“

„Er hat aber zumindest die Schulgebühren der älteren Kinder bezahlt und deiner Mutter das Pförtnerhaus überschrieben“, rief Mark ihr ins Gedächtnis. „Er war vielleicht ein mieser Vater, aber materiell hat er für das Notwendigste gesorgt. Was Gaetanos Söhnen ein größeres Mitspracherecht gewähren könnte als dir, was die Zukunft der Kinder angeht.“

„Aber Gaetano hat keins der Kinder in seinem Testament erwähnt“, wandte Belle ein und hob herausfordernd das Kinn.

„Das spielt keine Rolle. Gesetz ist Gesetz“, erklärte Mark, ganz eifriger Jurastudent.

„Adoption!“ Schockiert ließ Belle sich zurück auf ihren Stuhl sinken. „Das ist ja völlig absurd.“

„Wenn Mary nur lange genug gelebt hätte, um sich darum zu kümmern, dass die Kinder abgesichert sind.“ Isa seufzte niedergeschlagen. „Habe ich als Großmutter der Kinder vielleicht etwas zu sagen?“

„Das bezweifle ich“, wandte Mark ein. „Sie sind ja erst nach Marys Tod in das Pförtnerhaus gezogen, um mit den Kindern zusammenzuleben.“

„Ich könnte ja so tun, als sei ich ihre Mutter“, schlug Belle aus einer plötzlichen Eingebung heraus vor.

„Wie bitte?“ Isa starrte ihre Enkelin verdutzt an. „Mach dich nicht lächerlich, Belle!“

„Wieso lächerlich? Cristo Ravelli hat keine Ahnung von Mums Tod. Solange er glaubt, dass sie noch am Leben ist, wird er sich bestimmt nicht in unsere Lebensverhältnisse einmischen.“ Belle sah ihre Großmutter triumphierend an.

„Niemals kannst du eine Frau in den Vierzigern spielen!“, protestierte Mark.

Belle überlegte fieberhaft. „Ich brauche vielleicht nicht ganz so alt auszusehen. Nur alt genug, um einen fünfzehnjährigen Sohn zu haben. Ich könnte locker Anfang dreißig sein.“

„Ein solcher Betrugsversuch ist viel zu riskant“, wandte Isa ein. „Cristo Ravelli würde die Wahrheit bestimmt irgendwann herausfinden.“

„Wie denn? Als ein Ravelli wird er bestimmt nicht im Dorf herumlaufen und neugierige Fragen stellen. Er hätte keinen Grund, meine Identität in Frage zu stellen. Ich stecke mir einfach das Haar hoch und benutze viel Make-up. Dann klappt das bestimmt.“

„Belle, ich weiß ja, dass du zu jedem Schabernack aufgelegt bist, aber das wäre schwerwiegender Betrug. Ich würde mir das an deiner Stelle gut überlegen“, wandte Mark ein.

Die Küchentür ging auf, und ein am Daumen lutschender kleiner Junge mit schwarzen Locken kam herein. Er kletterte seiner ältesten Schwester auf den Schoß. „Müde“, sagte er. „Arm.“

Belle drückte ihren jüngsten Halbbruder zärtlich an sich. „Ich bringe ihn nach oben und lege ihn ins Bett“, flüsterte sie, hob ihn hoch und stand mühsam auf. Der Kleine war ganz schön schwer.

Oben legte Belle den kleinen Franco in das neben ihrem Bett stehende Gitterbettchen und blieb für einen Moment vor dem Fenster stehen, von dem aus man einen malerischen Blick auf das georgianische Herrenhaus und den weitläufigen Park Mayhills hatte.

Belle war erst acht Jahre alt gewesen, als die frisch verwitwete Mary bei Gaetano Ravelli als Haushälterin angefangen hatte.

Belles Vater war ein Trinker gewesen, der unter Alkoholeinfluss gewalttätig geworden war. Eines Tages war er in betrunkenem Zustand vor ein Auto gelaufen. Nur wenige Menschen hatten um ihn getrauert, zuallerletzt Belle, die in ständiger Angst vor den Wutanfällen und den Fäusten ihres Vaters gelebt hatte. Mutter und Tochter hatten auf ein neues und schönes Leben gehofft, als Mary Haushälterin geworden war. Doch leider hatte Mary sich unsterblich in ihren neuen Chef verliebt – und sich ihren Ruf spätestens mit der Geburt von Belles erstem Halbbruder Bruno hoffnungslos ruiniert.

Jemand wie Cristo Ravelli hatte bestimmt keine Ahnung, unter welchen Umständen die weniger Privilegierten lebten. Er sah fantastisch aus, war hochintelligent und schon fast obszön erfolgreich. Als Sohn einer sehr reichen italienischen Prinzessin war er praktisch mit dem Silberlöffel im Mund geboren worden. Sein Stiefvater war ein ungarischer Bankier, sein Zuhause ein venezianischer Palast, und er war nur auf die besten Schulen gegangen.

Kein Wunder, dass ihm der Erfolg nur so aus den Poren strömte. Schließlich hatte er keine Ahnung, wie es war, ständig gedemütigt, ignoriert oder gehänselt zu werden. Belle konnte wetten, dass er sich nie für seine Abstammung hatte entschuldigen müssen.

Das Einzige, was er auszustehen gehabt hatte, mochte sein Vater Gaetano gewesen sein, der pädagogisch eine Katastrophe gewesen war. Bruno zum Beispiel war erst dreizehn gewesen, als Gaetano ihn beschuldigt hatte, schwul zu sein. Bruno hatte ihm erzählt, Maler werden zu wollen, und für Gaetano waren alle Künstler homosexuell. Belles kleiner Bruder hatte so darunter gelitten, dass er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.

Belle lief noch jetzt ein Schauer bei der Vorstellung über den Rücken, ihn um ein Haar für immer verloren zu haben. Vor allem Bruno brauchte die Unterstützung seiner Familie. Belle würde alles dafür tun, dass ihre Geschwister zusammenbleiben konnten.

Mark brach gerade auf, als sie wieder nach unten kam. „Du hast das doch nicht ernst gemeint, dass du dich als Mary ausgeben willst, oder?“, fragte er, als Belle ihn zur Tür brachte.

Sie straffte entschlossen die Schultern. „Doch, wenn das die einzige Möglichkeit ist, die Familie zusammenzuhalten!“

Der Abend dämmerte bereits, als Cristo seinen Wagen in die lange Zufahrt von Mayhill House lenkte. Er war bisher noch nie in Gaetanos irischem Schlupfwinkel gewesen.

Als er vor dem Haus bremste, sah er eine junge Frau mit einem Hund über den weitläufigen Rasen gehen. Cristo runzelte missbilligend die Stirn. Er mochte keine unbefugten Eindringlinge. Doch den Bruchteil einer Sekunde später ertappte er sich dabei, ihre rote Lockenmähne und ihr hübsches herzförmiges Gesicht fasziniert anzustarren. Ihr loses Oberteil umspielte üppige Brüste, und ihre hautenge Jeansshorts betonte ihre langen schönen Beine und ihren knackigen Po. Der Anblick der schönen Unbekannten verschlug ihm förmlich den Atem. Zu seiner Bestürzung spürte er, wie seine Lenden sich regten.

Er biss die Zähne zusammen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte. Seine Arbeit war ihm wichtiger als Sex, denn sie gab ihm Energie, während Sex für ihn nur ein Mittel zum Stressabbau war.

Irritiert schloss Cristo die schwere Eingangstür auf und stieg über einen Stapel unberührter Post in die große, mit schwarz-weißen Fliesen im Schachbrettmuster bedeckte Eingangshalle. Eine dünne Staubschicht lag auf den Möbeln, was darauf schließen ließ, dass das Haus nicht bewohnt war. Cristo war überrascht. Irgendwie hatte er damit gerechnet, dass Mary Brophy sich mit ihren fünf Kindern bereits hier eingenistet hatte.

Langsam schlenderte er durch die verlassenen Räume und landete schließlich in der Küche, wo sein Blick auf den offen stehenden leeren Kühlschrank fiel. Missbilligend verzog er das Gesicht. Einer der Knöpfe des Wandtelefons war mit dem Etikett „Haushälterin“ versehen. Er nahm den Hörer ab und presste ihn mit unnötiger Heftigkeit.

„Ja?“, hörte er nach einer Weile eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung, als er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, jemanden zu erreichen.

„Hier ist Cristo Ravelli. Ich bin im Haus. Warum wurde hier nichts für meine Ankunft vorbereitet?“, fragte er barsch.

Belle am anderen Ende der Leitung stellten sich beim Klang seiner ungeduldigen Stimme sämtliche Nackenhaare auf. Ihre grünen Augen blitzten wütend auf. „Vielleicht liegt das ja daran, dass die Haushälterin seit Mr Ravellis Absturz mit dem Hubschrauber kein Gehalt mehr bekommen hat.“

Cristo war nicht an freche Antworten gewöhnt und presste gereizt die Lippen zusammen. „Ich habe diese Anordnung nicht erteilt.“

„Tja, das macht keinen Unterschied. Niemand arbeitet gern umsonst“, gab Belle zurück.

Cristo unterdrückte einen Fluch. Er war hungrig und müde und nicht in der Stimmung für eine Auseinandersetzung. „Ich nehme an, Sie sind die Haushälterin?“

Jetzt kam der Moment der Wahrheit. Belle zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, aber nur, bis sie ihre Geschwister vor ihrem inneren Auge in einem Waisenhaus sah. „Äh … ja“, antwortete sie nervös.

„Dann machen Sie, dass Sie herkommen und Ihren Job erledigen. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie gut bezahlen werde. Ich brauche etwas zu essen, ein Bett …“

„Es gibt mehrere Läden im Dorf. Sie müssten auf dem Weg zum Haus an einigen vorbeigekommen sein“, protestierte Belle.

„Diese Aufgaben übertrage ich gerne Ihnen“, erklärte Cristo glatt, bevor er den Hörer auflegte. Ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, die dummdreiste Haushälterin an ihre Pflichten zu erinnern? Aber da er nur zwei Tage bleiben wollte, bevor er das Haus zum Verkauf anbot, brauchte er sich über sie nicht den Kopf zerbrechen.

Belle hingegen war nach dem Telefonat weitaus weniger gelassen als Cristo. Jetzt oder nie. Sie konnte sich nicht als Marys Tochter ausgeben und dann plötzlich ihre Meinung ändern. Entweder sie zog das jetzt durch, oder sie erzählte Cristo Ravelli, dass die Haushälterin und heimliche Geliebte seines Vaters tot war.

Doch als ihr wieder einfiel, welchen Einfluss sie auf das Leben der Kinder haben konnte, wenn sie sich als deren Mutter ausgab, fielen die Zweifel von ihr ab. Hastig ging Belle nach oben, um sich etwas anzuziehen, das sie optisch älter machte.

Sie durchwühlte ihre Garderobe und entschied sich für ihren einzigen Rock, ein langärmeliges T-Shirt und High Heels. Ihre Mutter hatte nie flache Absätze oder Jeans getragen. Nachdem sie sich umgezogen hatte, ging sie ins Badezimmer, kämmte sich das Haar aus dem Gesicht und zog eine Grimasse, als sie ihr blasses Gesicht sah, das sie jünger aussehen ließ, als sie war. Ob sie wirklich älter wirken würde, wenn sie sich das Haar hochsteckte und viel Make-up auftrug? Ihr fielen die Smokey Eyes ein, zu denen eine Freundin sie mal überredet hatte, und holte die Utensilien aus ihrer Make-up-Tasche.

Großzügig trug sie Lidschatten auf, verwischte die Ränder und fügte jede Menge Kajal hinzu. Na ja, ich sehe jedenfalls anders aus als sonst, dachte sie nervös, als sie Mascara und Rouge auftrug und sich die Lippen mit leuchtend rosa Lipgloss anmalte.

„Ich wollte dich gerade zum Abendessen rufen …“ Isa Kelly erstarrte, als ihre Enkelin die Treppe hinunterkam. „Wo um alles in der Welt willst du in diesem Aufzug hin?“

Belle versteifte sich. „Warum? Sehe ich so komisch aus?“

„Also, wenn du dich vorbeugst, kann ich bestimmt deine Unterwäsche sehen“, kommentierte Isa.

Ein peinliches Schweigen breitete sich aus, wurde jedoch wenige Sekunden später von lauten Kinderstimmen unterbrochen. Ein dunkelhaariger Junge und ein Mädchen von jeweils acht Jahren rissen die Hintertür auf und betraten lautstark streitend den Flur.

„Wenn ihr nicht aufhört, euch zu zanken, geht ihr heute früher ins Bett“, ermahnte Belle die Zwillinge Pietro und Lucia.

Die beiden Kinder klappten die Münder zu, senkten die zerzausten Köpfe und schossen an ihrer ältesten Schwester vorbei die Treppe hoch.

„So, und jetzt erzähl, warum du dich so aufgetakelt hast“, hakte Isa nach.

„Cristo Ravelli hat gerade angerufen. Er braucht eine Haushälterin.“ Belle fasste das Telefonat rasch zusammen. „Ich muss also mindestens zehn Jahre älter aussehen.“

Isa sah die junge Frau entgeistert an. „Du kannst dich unmöglich als Mary ausgeben. Das ist eine völlig verrückte Idee. Damit kommst du nie durch.“

Trotzig hob Belle das Kinn. „Es ist zumindest einen Versuch wert. Ich habe nämlich noch ein Hühnchen mit Cristo Ravelli zu rupfen. Offensichtlich weiß er nicht das Geringste über Mum! Ich glaube, er weiß noch nicht einmal, dass sie als Haushälterin für seinen Vater gearbeitet hat!“

„Ich bezweifle, dass er so ignorant ist. Ich will nicht, dass du die Einkäufe dieses Mannes erledigst, kochst und sein Bett machst, schon gar nicht in diesem Aufzug!“

„Was stimmt denn nicht damit?“

„Du könntest einen falschen Eindruck erwecken.“

„Das bezweifle ich.“ Belle zog sich den Stretchrock über die Hüften. „Soweit ich weiß, ist Ravelli kein Sexbesessener wie sein Vater.“

Isa presste die Lippen zusammen. „Das ist eine sehr respektlose Bemerkung, Belle.“

„Ich habe eine Tatsache festgestellt, kein bloßes Gerücht.“

„Gaetano war immerhin der Vater der Kinder. Vielleicht kein guter, aber du solltest trotzdem nicht so abfällig über ihn reden, wenn sie in der Nähe sind!“

Belle errötete schuldbewusst. „Darf ich mir deinen Wagen leihen, Gran?“

„Ja, natürlich.“ Als Isa auffiel, dass Belle sie mit Erfolg von ihren Bedenken wegen des Betrugsversuchs abgelenkt hatte, legte sie eine Hand auf die Haustür, bevor Belle sie öffnen konnte. „Denk gut darüber nach, was du tust, Belle. Wenn du diesen Mann erst mal hintergehst, gibt es keinen Weg mehr zurück, und er wird vielleicht sehr ungehalten reagieren, wenn er die Wahrheit herausfindet … was nur eine Frage der Zeit ist“, gab sie zu bedenken.

„Cristo ist ein Ravelli, Gran. Clever, ausgebufft und skrupellos. Wenn ich mit ihm erfolgreich verhandeln will, dann muss ich jeden Vorteil nutzen, den ich habe. Und der besteht im Augenblick darin, mich als Mum auszugeben.“

2. KAPITEL

Belle fuhr zur Tankstelle im Dorf, um das Nötigste für die Küche in Mayhill zu besorgen. Cristo Ravelli erwartete bestimmt von ihr, dass sie kochte, aber das konnte sie nicht – zumindest nichts, wofür man mehr als einen Dosenöffner und eine Mikrowelle brauchte. Nach kurzem Nachdenken entschied sie sich für Omelett mit Salat und Knoblauchbrot. So etwas würde sogar sie hinbekommen, oder? Sie hatte ihre Mutter und ihre Großmutter schon oft bei der Zubereitung von Omeletts beobachtet.

Nervös parkte sie ihren Wagen an der Rückseite des Hauses. In den Zimmern brannten noch keine Lampen, und die Hintertür war verschlossen. Genervt trug sie die Einkaufstaschen zur Haustür, stieg die Treppe hoch und drückte auf die Klingel.

Cristo war gerade am Telefon. Er öffnete die Tür und prallte überrascht zurück, als eine schlanke Rothaarige in hochhackigen Schuhen an ihm vorbeistapfte. Das sollte die Haushälterin sein? Irgendwie hatte er sich die ganz anders vorgestellt.

Verstohlen ließ er den Blick über die Rothaarige gleiten. Ihre Figur war wirklich atemberaubend! Und diese Beine! Beine, die ihn an das Mädchen von vorhin auf dem Rasen erinnerten. Er hob den Blick zum Gesicht der Frau, deren große grüne Augen unter all dem schweren Make-up fast untergingen. Sie war absolut nicht sein Typ, viel zu aufgetakelt.

Nein, Cristo fühlte sich eher zu zierlichen kühlen Blondinen mit blauen Augen hingezogen. Er verdrängte diesen Gedanken rasch und musterte die bemerkenswerten Brüste der Rothaarigen. Sie waren genauso schön wie ihre Beine.

Belle, die die Wirkung ihres vollen Busens auf das männliche Geschlecht schon zur Genüge kannte, nutzte ihrerseits die Gelegenheit, Cristo Ravelli zu betrachten. Er war zweifellos der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Er hatte volles schwarzes Haar, das er kurz geschnitten trug, ein markantes Gesicht und umwerfende dunkle Augen, die von absurd langen schwarzen Wimpern umrandet wurden. Sein Dreitagebart betonte seine unglaublich männliche Ausstrahlung, und unter seinem zweifellos teuren Geschäftsanzug zeichneten sich breite Schultern ab, schmale Hüften und lange muskulöse Beine.

Bei seinem Anblick beschleunigte sich Belles Herzschlag. Das sind nur die Nerven, versuchte sie sich zu beruhigen. Nerven und Adrenalin, weil sie ihn hintergehen wollte. Nervös machte sie auch, dass Cristo extrem groß gewachsen war, groß genug sogar, um ihr das Gefühl zu geben, zierlich zu sein, obwohl sie locker einsdreiundsiebzig groß und mit den hohen Absätzen sogar noch größer war.

„Ich trage das mal eben runter in die Küche und fange an zu kochen“, sagte sie und hob demonstrativ die Hände mit den ausgebeulten Einkaufstüten.

Beim Anblick ihrer sich unter dem dünnen Jerseyoberteil deutlich abzeichnenden Brüste musste Cristo schlucken. „Sie sind die Haushälterin meines Vaters?“, fragte er ungläubig. Irgendwie hatte er mit einer bodenständigen Landfrau unbestimmbaren Alters gerechnet.

Belle stellte die Tüten auf dem Boden ab und hob trotzig das Kinn. „Ja, ich bin Mary Brophy.“

Cristo musterte die Frau verwirrt. „Sie waren also die … Geliebte meines Vaters?“

Belles Magen krampfte sich bei dem Wort schmerzlich zusammen, aber ihr fiel auch keine treffendere Bezeichnung für die kompromittierende Position ihrer toten Mutter ein. „Ja“, bestätigte sie errötend.

Cristo ertappte sich dabei, dass er sie im Geiste auszog, was ihn umso mehr irritierte, als er ja genau wusste, wer sie war. Die Frau nämlich, die mindestens fünfzehn Jahre lang das Bett seines Vaters geteilt hatte – eine Zeitspanne, die noch keine andere Frau bei dem schnell gelangweilten Gaetano geschafft hatte. Bei ihrem Anblick wunderte ihn das jedoch nicht. Offensichtlich gab diese Frau sich viel Mühe mit ihrem Aussehen. Auch nach fünf Kindern hatte sie noch die schlanke Taille eines jungen Mädchens, und ihre zarte Haut unter dem vielen Make-up war fest und faltenfrei. Sie war eigentlich viel zu jung, um die Geliebte seines Vaters gewesen zu sein.

„Waren Sie wirklich Gaetanos Haushälterin?“, wiederholte er verwirrt.

„Ja.“ Entschlossen griff Belle wieder nach den Tüten. „Sind Sie einverstanden mit Omelett und Salat?“, fragte sie und ging Richtung Küche.

Die ist ja echt scharf, dachte Cristo benommen. Er konnte sie sich immer noch nicht als Mutter von fünf Kindern vorstellen. Fünf! Er folgte ihr zur Küche. „Sie müssen sehr jung gewesen sein, als Sie meinem Vater begegnet sind“, bemerkte er von der Tür aus.

Belle, die gerade Lebensmittel im Kühlschrank verstaute, versteifte sich für einen Moment. „So jung nun auch wieder nicht“, antwortete sie ausweichend. Am liebsten hätte sie Cristo gebeten, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, aber es wäre unklug, ihn zu verärgern. Schließlich brauchte sie seine Unterstützung, auch wenn es nicht sehr realistisch war, dass er ihr helfen würde.

Adoption! dachte sie wieder fassungslos. Kein normaler Mensch würde es auch nur wagen, einen solchen Vorschlag zu machen.

„Ich dachte, Sie wohnen hier im Haus.“ Vergeblich versuchte Cristo, den Blick von Belles schlanken Oberschenkeln loszureißen.

„Ich habe hier nur gewohnt, wenn Gaetano hier war“, antwortete sie zögernd.

„Und den Rest der Zeit?“ Soweit Cristo wusste, war sein Vater nur drei oder viel Mal im Jahr nach Irland gekommen und war nie länger als zwei Wochen am Stück geblieben.

„Ich wohne im Pförtnerhaus beim Tor“, antwortete Belle widerstrebend und richtete sich auf, um Salat und Eier auf die steinerne Arbeitsplatte zu legen.

Cristo runzelte irritiert die Stirn. Sie und die Kinder würden das Haus räumen müssen, bevor er Mayhill zum Verkauf anbot. Natürlich würde er ihr eine Entschädigung für die Unannehmlichkeiten zahlen.

Ihr Haar loderte im Licht der Lampe wie Flammen auf. Kleine Locken ringelten sich an ihrem langen eleganten Nacken. Immer noch ungläubig musterte er ihr geschwungenes Kinn und ihren üppigen geschminkten Mund. Sie musste viel älter sein, als sie aussah, um einen fünfzehnjährigen Sohn zu haben. Oder hatte sein Vater ihr eine Schönheitsoperation spendiert?

Belle packte das Knoblauchbrot aus und legte es auf ein Ofenblech. Sie wünschte, Cristo würde endlich gehen. Seine Gegenwart machte sie nervös und ungeschickt. Außerdem musste sie noch die Schränke nach Kochutensilien durchsuchen. Belle war fast nie hier im Herrenhaus gewesen …

Ihre grünen Augen verdunkelten sich vor Wut, als sie daran dachte, dass sie und ihre immer größer werdende Geschwisterschar bei ihrer Großmutter im Dorf wohnen mussten, wenn Gaetano mal wieder einen Besuch angekündigt hatte. Wenn er da gewesen war, hatte Mary immer alles stehen und liegen lassen.

Sie hatte wie verrückt Sport getrieben, war zum Friseur gegangen und hatte sich etwas Neues zum Anziehen gekauft, um so gut wie möglich für ihren Liebhaber auszusehen. Belle hatte sich schon früh vorgenommen, lieber zu sterben, als einem Mann so verzweifelt gefallen zu wollen. Allerdings hatten Marys erbärmliche Loyalität und ihre Hingabe ihr keine Vorteile eingebracht.

Belle wusch rasch den Salat, gab ihn in eine Schüssel und versuchte, aus der Erinnerung das Lieblingsdressing ihrer Mutter zu machen. Danach machte sie sich an das Omelette. Zu ihrer Erleichterung war Cristo inzwischen verschwunden.

Er hatte widerspruchslos akzeptiert, dass sie Mary Brophy war, aber warum auch nicht? Marks Vater, der Grundstücksverwalter Daniel Petrie, würde zwar früher oder später erfahren, dass die Frau, die er so lange abgelehnt hatte, tot und begraben war, doch Belle hielt es für unwahrscheinlich, dass er sich die Mühe geben würde, das Cristo Ravelli zu erzählen. Mit diesem beruhigenden Gedanken im Kopf wandte sich Belle wieder dem Abendessen zu. Mit einem Gasherd hatte sie es noch nie zu tun gehabt! Aber irgendwie würde sie schon herausfinden, wie er funktionierte …

Cristo verging der Appetit beim Anblick des Essens schnell. Zögernd stach er mit der Gabel in das Omelett, das so fest wie eine Gummimatratze war. Der Salat war mit Öl durchtränkt und das Knoblauchbrot angebrannt, obwohl die Haushälterin sich große Mühe gegeben hatte, das Schwarze abzuschneiden. Angewidert schob er den Teller weg. Sie konnte offensichtlich nicht kochen. Hatten sie und sein Vater immer auswärts gegessen?

Genervt stand Cristo auf. Was machte er eigentlich hier? Er wollte nichts mit dieser schrecklichen Frau und den Folgen ihrer schmutzigen Langzeitaffäre mit seinem Vater zu tun haben. Leider blieb ihm keine andere Wahl als zu bleiben. Mary Brophy und ihre Kinder waren ein Problem, das zu ignorieren er sich nicht leisten konnte. Außerdem gab es sonst niemanden, der das Problem lösen konnte.

Belle legte gerade einen Stapel Bettwäsche auf Gaetanos Bett im ersten Stock, als sie ein Geräusch hinter sich hörte und Cristo in der Tür stehen sah. Prompt zog sie den Kassenbon aus ihrer Rocktasche und reichte ihn ihm. „Das schulden Sie mir übrigens noch.“

Cristo kramte eine Banknote aus seiner Brieftasche hervor und musterte dann stirnrunzelnd die vergoldeten Möbel und Spiegeln und das üppig drapierte Himmelbett. „War das das Zimmer meines Vaters?“

„Ja.“

„Dann schlafe ich woanders. Dieses viktorianische Bordelldesign ist nicht mein Ding“, sagte er abfällig.

Belle musste zugeben, dass die Möbel schrecklich aussahen. Sie nahm den Stapel Bettwäsche und ging zu einem der wenigen Gästezimmer mit angeschlossenem Bad.

„Als ich das mit dem Design gesagt habe, wollte ich Sie übrigens nicht beleidigen“, sagte Cristo. Er hielt es für unklug, es sich schon jetzt mit ihr zu verscherzen. Abfällige Bemerkungen über ihre Rolle als die Geliebte seines Vaters waren daher völlig unangebracht, zumal die Frau nicht gerade davon profitiert zu haben schien. Cristo überraschte das nicht. Gaetano war für seinen Geiz bekannt gewesen.

Er war aus jeder Scheidung wohlhabender als vorher hervorgegangen, obwohl die Schuld am Scheitern seiner Ehen immer bei ihm gelegen hatte. Dass Gaetanos heimliche Geliebte bis zum Schluss seine Haushälterin geblieben war, wunderte ihn daher gar nicht, und auch nicht ihre billige Kleidung. Was eine Schönheitsoperation jedoch umso unwahrscheinlicher machte.

„Keine Sorge, ich hatte mit den Möbeln nichts zu tun. Gaetano hat vor etwa zehn Jahren eine Innenarchitektin beauftragt“, erklärte Belle. Sie wusste noch, wie verletzt ihre Mutter gewesen war, dass Gaetano ihr nicht diese Aufgabe anvertraut hatte. Dabei hatte Mary wirklich keinen guten Geschmack gehabt. Das in sämtliche Rosaschattierungen dekorierte Pförtnerhaus war der beste Beweis dafür.

Cristo beobachtete fasziniert, wie Belle das Bett bezog – und welch aufregende Auswirkung diese Tätigkeit auf ihre Hüften und Brüste hatte. Ihr zartes Profil mit der kleinen Nase und den vollen Lippen war leicht gerötet. Sein Körper reagierte so heftig auf ihren Anblick, dass er ihr gereizt den Rücken zudrehte. Die Geliebte seines Vaters war schließlich kein Sexobjekt. Aber warum zog sie sich dann so aufreizend an? Er war auch nur ein Mann.

Belle beobachtete Cristo aus dem Augenwinkel. Seine distanzierte Aura, seine natürliche Autorität und Überlegenheit erinnerten sie an seinen Vater, der Belle bei ihren seltenen Begegnungen kaum je zur Kenntnis genommen hatte. Plötzlich bereute sie, in die Rolle der Haushälterin geschlüpft zu sein. Dadurch war sie ihm automatisch unterlegen.

Mit unnötiger Heftigkeit schüttelte sie die Bettdecke aus. Als sie einen Stapel Handtücher ins Bad trug, verfolgte Cristo sie mit dem Blick. Mensch, hatte der Kerl einen Sex-Appeal! Sie spürte, wie ihre Brustwarzen unter ihrem Spitzen-BH hart wurden, und empfand ein Gefühl der Hitze in ihrem Unterleib – eine äußerst verstörende Reaktion. Kein Zweifel, sie fühlte sich körperlich zu ihm hingezogen. Was möglicherweise bedeutete, dass sie nicht besser als ihre Mutter war.

„Ich würde mich morgen früh gern unter vier Augen mit Ihnen unterhalten“, murmelte Cristo, als sie zurückkam. „Sagen wir um zehn?“

Belle nickte. „Wann wollen Sie die Kinder sehen?“

Cristo erstarrte. „Ich will sie nicht sehen.“

Belle wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. War dieses mangelnde Interesse ein gutes oder schlechtes Zeichen für ihre Geschwister? Bedeutete es, dass die Adoption nur ein dummes Gerücht war? Sie musterte Cristos schmales attraktives Gesicht stirnrunzelnd. Seine kalte Reserviertheit und Hartherzigkeit waren erschreckend. Maß er Blutsbanden denn keinerlei Bedeutung bei? Die meisten Menschen würden schon allein deshalb die Kinder kennenlernen wollen, aber Cristo Ravelli war anscheinend eine Ausnahme.

Belle spürte plötzlich fast so etwas wie Hass in sich aufsteigen. Weigerte er sich zu akzeptieren, dass die Kinder zur Ravelli-Familie gehörten? Offensichtlich waren Mary Brophys Kinder nicht gut genug für ihn, so, wie Mary nie gut genug für Gaetano gewesen war. Wütend ging Belle nach unten, um die Küche aufzuräumen und nach Hause zu gehen. Hoffentlich erwartete er nicht auch noch von ihr, ihm Frühstück zu machen.

Als sie das Essen, das sie für ihn gekocht hatte, im Mülleimer fand, wurde sie noch wütender. Okay, das Abendessen war ihr nicht gerade gut gelungen, aber mal im Ernst! Er hatte es auch nicht anders verdient!

Nachdem Gaetano damals vor all den vielen Jahren den halben Sommer mit Mary verbracht hatte, hatte er ihr gestanden, dass er eine sehr unglückliche Ehe führte. Damit war Marys Hoffnung auf ein Happy End für ihre Romanze sofort gestiegen. Doch Gaetano hatte seine arabische Frau nie um eine Scheidung gebeten. Im Laufe der Jahre hatten die Medien immer wieder über seine außerehelichen Affären berichtet, doch Belles Mutter hatte sich geweigert, ihnen Glauben zu schenken. Auch nicht, nachdem Belle ihr verräterische Fotos im Internet gezeigt hatte. Mary hatte Gaetano immer verteidigt.

„Er fühlt sich in seiner Ehe gefangen und einsam. Es ist nur ein geschäftliches Arrangement. Sie war schon lange vor der Ehe eine Freundin, und er liebt sie nicht. Er braucht eine Gastgeberin für seine Geschäftspartner, und sie kommt aus einem Land, in dem eine Frau einen Mann braucht, um einigermaßen frei leben zu können“, hatte Mary erklärt. „Ich kann ihm seine Ehe nicht zum Vorwurf machen, Belle. Ich bin total ungebildet. Ich könnte einer Prinzessin nie das Wasser reichen.“

Mary Brophy war Gaetano Ravelli von ihrer ersten Begegnung an so verfallen gewesen, dass sie ihn nur durch eine rosarote Brille gesehen hatte. Ihre Trauer nach Gaetanos Hubschrauberunfall war unendlich gewesen.

„Ich weiß, dass du das nicht verstehst“, hatte sie zu Belle gesagt, „aber Gaetano war die Liebe meines Lebens. Ich weiß, dass er mich nicht heiraten wollte, aber niemand ist perfekt. Ich hatte weder sein Geld noch seine gute Herkunft und kann ihm deshalb keinen Vorwurf daraus machen. Wenn man jemanden liebt, akzeptiert man seine Schwächen, und er war einfach zu sehr Snob, um eine so gewöhnliche Frau wie mich zu heiraten.“

Belle wurde immer noch wütend bei der Erinnerung. Kein Wunder, dass Mary ein so schlechtes Selbstwertgefühl gehabt hatte. Sie war in ihrer Ehe geschlagen worden und hatte als Geliebte eines verheirateten Mannes geendet. Das Leben ihrer Mutter war immer hart gewesen, aber wie Großmutter Isa immer wieder sagte, war sie selbst für ihre falschen Entscheidungen verantwortlich, wenn es um Männer ging …

Isa wartete schon auf Belle, als sie ins Pförtnerhaus zurückkehrte. „Und?“, fragte sie. „Hat er dir wirklich abgenommen, dass du eine Frau in den Vierzigern bist?“

„Er glaubt, ich habe seinen Vater kennengelernt, als ich noch sehr jung war.“ Belle schüttelte irritiert den Kopf. „Ich soll morgen um zehn zu ihm kommen. Wahrscheinlich will er mit mir über die Zukunft der Kinder reden.“

Die ältere Frau seufzte tief. „Mir gefällt das nicht, Belle. Ehrlich währt immer noch am längsten.“

„Aber ich habe es nicht mit einem netten ehrlichen Mann zu tun.“

„Mach nicht den Fehler, deinen Hass auf Gaetano auch auf seinen Sohn zu übertragen.“

Belle presste wütend die Lippen zusammen. „Er will noch nicht mal die Kinder sehen.“

Ihre Großmutter schüttelte betrübt den Kopf. „Wenn deine Mutter doch nur bessere Entscheidungen getroffen hätte.“

Cristo schlief unruhig. Er träumte, dass er eine Frau mit langen Beinen durch eine neblige Landschaft jagte. Jedes Mal, wenn er näherkam, lief sie lachend schneller. Ihr Widerstand stachelte seine Begierde nur noch weiter an, doch als er sie schließlich einholte, war sie plötzlich eine andere Frau mit hellblondem Haar und großen blauen Augen. Schweißgebadet wachte er auf, überwältigt von Wut, Frustration und Schuldgefühlen wegen der einzigen Frau, die er noch nicht mal in seinen Träumen haben konnte: Betsy, die Frau seines Bruders Nik.

Gereizt sprang Cristo aus dem Bett und ging unter die Dusche. Es war nicht seine Absicht gewesen, die Ehe seines Bruders zu zerstören. Betsy hatte sich hilfesuchend an ihn gewandt, nachdem Zarif ihr etwas Schlimmes über Nik erzählt hatte. Etwas, das eigentlich Cristo seinem Bruder Zarif anvertraut hatte. Ein Fehler, der sich bitter gerächt hatte.

Deswegen war es auch allein Cristos Aufgabe, sich jetzt um den Schlamassel in Irland zu kümmern. Sein Bruder Nik hatte seine eigenen Probleme, und Zarif hatte schon genug unter den Nachwirkungen zu leiden, die seine unbedachte Bemerkung hervorgerufen hatte.

Seitdem hatten die drei Brüder kaum noch ein Wort miteinander gewechselt.

3. KAPITEL

„Ganz schön altjüngferlich“, verkündete Isa am nächsten Morgen, als sie sah, was Belle diesmal trug. „Ist das ein Rock deiner Mutter?“

„Ja, ich habe ein paar Sachen von ihr aufgehoben, zur Erinnerung. Er ist ein bisschen weit, aber mit dem Gürtel geht’s.“

„Das gilt leider nicht für diese Strickjacke und diese Perlenkette.“ Isa seufzte. „Du siehst aus wie eine junge Frau, die verzweifelt älter wirken will.“

„Stimmt, aber das siehst du nur, weil du die Wahrheit weißt. Es ist jetzt heller Tag, und ich muss einen besseren Eindruck machen als gestern Abend.“

„Sogar das Tageslicht durchdringt nicht diese dicke Schicht Make-up“, entgegnete ihre Großmutter trocken. „Aber du hast recht – es macht dich älter.“

„Hör mal, ich weiß selbst, dass Cristo irgendwann die Wahrheit herausfinden wird, aber ich will erst diese Adoptionsidee vom Tisch haben.“

„Auch auf die Gefahr hin, ihn gegen dich aufzubringen?“, wandte Isa ein. „Gaetano hat sich immer äußerst schnell provozieren lassen!“

„Mit seinem Sohn werde ich schon fertig werden.“

„Wie denn? Sein Reichtum und sein Intellekt machen Cristo zu einem höchst gefährlichen Gegner. Du solltest ihn nicht unterschätzen!“

Als Belle auf hohen Absätzen die Auffahrt hochstöckelte, versuchte sie sich einzureden, dass Geld nicht alles war, genauso wenig wie Intelligenz. Außerdem war sie auch nicht gerade dumm. Sie hatte einen sehr guten Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht und war Cristo um eine wichtige Information voraus – zumindest solange er sie für Mary Brophy hielt. Anders als ihre Mutter scheute sie nicht davor zurück, mit schmutzigen Mitteln zu kämpfen.

Cristo beobachtete sie vom Wohnzimmerfenster aus. Diesmal trug sie zwar keinen Minirock, aber ihre hochhackigen Schuhe betonten ihre tollen Beine trotzdem. Er biss die Zähne zusammen und verdrängte diesen Gedanken. Na schön, sie war attraktiv. Na und? Die Geliebten seines Vaters waren immer Schönheiten gewesen, während die Ehefrauen eher unscheinbar gewesen waren. Gaetano waren Geld und Klasse bei Ehefrauen wichtiger gewesen als gutes Aussehen.

Cristo fragte sich, mit welchem Betrag er Mary Brophy überzeugen konnte. Die Frau stand schließlich ohne einen Penny da. Da er ein geschickter Verhandlungspartner war, rechnete er nicht mit großem Widerstand. Außerdem konnte sie nicht sehr helle sein, wenn sie dem alten Mann fünf Kinder geboren hatte und sich trotzdem mit der Position der Haushälterin hatte abspeisen lassen.

Zu seiner Überraschung empfand Cristo plötzlich so etwas wie Mitgefühl für sie. Vielleicht sollte er sie nicht allzu hart anfassen.

Belle holte tief Luft und versuchte, sich nach außen hin ruhig und gelassen zu geben, als sie das mit Möbeln vollgestopfte dämmrige Wohnzimmer betrat. Als Cristo sich zu ihr umdrehte, spielten ihre Sinne sofort wieder verrückt. Sie versteifte den Rücken und holte tief Luft.

Cristo musterte sie eingehend von Kopf bis Fuß. Zusätzlich zu dem altmodischen Rock trug sie eine Strickjacke, die eher zu einer alten Jungfer passte, hatte es jedoch unerklärlicherweise mit einem Make-up kombiniert, das einer Straßenhure würdig wäre. Irgendetwas stimmte hier nicht. Was auch immer man über Gaetano sagen konnte, er war ein Frauenkenner gewesen und sehr kultiviert. Nie im Leben wäre er wiederholt nach Irland zu der Frau zurückgekehrt, die gerade vor ihm stand.

„Mr Ravelli“, begrüßte sie ihn atemlos und wandte das Gesicht ab, um aus dem Fenster zu sehen. Cristo musterte ihr flammendrotes Haar, ihr zartes Profil, ihren vollen Mund und ihre von langen Wimpern umrahmten großen Augen, die so grün waren wie irisches Gras. Gereizt presste er die Lippen zusammen, als ihm wieder ihre sexuelle Anziehungskraft bewusst wurde. Sie hatte jede Menge von jenem gewissen Etwas, das Männer so scharf machte, dass sie nicht mehr klar denken konnten.

Er verspürte plötzlich den verrücken Impuls, sie in die Arme zu nehmen, an sich zu pressen und auszuprobieren, ob ihr üppiger Mund sich genauso gut anfühlte wie er aussah. Er ballte die Hände zu Fäusten, um eine drohende Erektion zu unterdrücken. Gleichzeitig versuchte er sich mit den Gedanken an Geschäftliches von ihrem Mund, ihren Brüsten und ihren Beinen abzulenken. Es irritierte ihn maßlos, was für eine Wirkung diese Frau auf ihn hatte.

Errötend wich Belle seinem Blick aus. Sie war so erregt, dass ihr das Blut in den Adern pulsierte und sie schwer atmete. Sie fühlte sich wie von einem gefährlichen Raubtier in die Enge gedrängt. Gleichzeitig fielen ihr jede Menge Kleinigkeiten an ihm auf: seine schmalen dunklen Augenbrauen, die Röte in seinen Wangenknochen und die Vertiefungen darunter, die seinen sinnlichen Mund betonten. Er sah wirklich unglaublich gut aus.

Das sich zwischen ihnen ausdehnende Schweigen war plötzlich so spannungsgeladen, dass ihr Körper vor Anspannung förmlich schmerzte. Es war, als gäbe es nur noch sie beide auf der Welt … und ihre körperliche Reaktion auf ihn.

Scharf einatmend trat Cristo einen Schritt zurück. Es nervte ihn, dass ihre Wirkung auf ihn seinen sonst immer so messerscharfen Verstand trübte. „Miss Brophy.“

„Mrs.“

Cristo runzelte die Stirn. „Sie sind verheiratet?“

„Ich bin seit vielen Jahren verwitwet“, antwortete Belle kurz angebunden und ging zum Fenster, um sich von ihren Empfindungen abzulenken. Sie brauchte jetzt volle Konzentration.

„Ich habe Sie hierhergebeten, um Ihre Zukunft und die Ihrer Kinder mit Ihnen zu besprechen“, hörte sie Cristo hinter sich sagen und drehte sich wieder zu ihm um.

„Gaetano hat uns in einer ziemlich unsicheren Lage zurückgelassen.“

„Sie meinen vermutlich Ihre finanzielle Lage. Es war sehr nachlässig von meinem Vater, nicht rechtzeitig für Sie und die Kinder vorzusorgen.“

„Allerdings. Aber er hat mir das Haus übertragen“, betonte Belle in dem Versuch, loyal zu wirken. Sie konnte es sich nicht erlauben, ihren Hass auf den alten Herren durchblicken zu lassen.

Cristo zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Welches Haus?“

„Das Pförtnerhaus. Er hat es mir vor Jahren überschrieben, um zu gewährleisten, dass wir immer ein Zuhause haben.“ Belle wunderte sich darüber, dass er das zum ersten Mal zu hören schien. Als Nachlassverwalter müsste er das doch eigentlich wissen. „Aber in Anbetracht der laufenden Kosten und der Kinder werde ich es vielleicht verkaufen müssen.“

„Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment!“, sagte Cristo, ging ins Nebenzimmer und zog sein Handy aus der Tasche, um den Anwalt seines Vaters anzurufen. Robert Ludlow würde wissen, ob ihr wirklich ein Teil des Besitzes gehörte.

Robert war zunächst verwirrt über Cristos Frage, sah jedoch sofort in Gaetanos Unterlagen nach und stieß tatsächlich auf eine Vereinbarung, die vor fünfzehn Jahren getroffen worden war. Robert entschuldigte sich ausgiebig bei Cristo, das übersehen zu haben.

Auf den neuesten Stand gebracht, ging Cristo zufrieden zurück zu Mary Brophy. Anscheinend war die Frau nicht richtig informiert. Unter gar keinen Umständen würde sie das Pförtnerhaus verkaufen.

Belle ging nervös im Wohnzimmer auf und ab, als Cristo mit der unbewussten Anmut eines Mannes, der sich in der stärkeren Position wähnt, ins Wohnzimmer zurückschlenderte.

„Ich fürchte, das Pförtnerhaus gehört Ihnen nicht“, sagte er.

„Das kann nicht sein!“ Belle hob trotzig das Kinn. „Ihr Vater hat mir versichert, dass es mir gehört!“

„Aber nur zu Ihren Lebzeiten, danach wird es wieder in den Mayhill-Besitz übergehen“, erwiderte Cristo glatt.

Belle hatte das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. „Das hat Gaetano mir aber anders erklärt.“

„Mein Vater konnte sehr geschickt mit Worten umgehen. Er hat Ihnen vielleicht suggeriert, dass das Pförtnerhaus Ihnen gehört, aber Sie haben nur ein Nutzungsrecht.“

Wut flammte in Belle auf. Gaetano! Dieser ekelhafte manipulative Kerl! Wie hatte er ihre Mutter, die ihn aufrichtig geliebt hatte, nur so täuschen können? Ihr schoss das Blut ins Gesicht. „Dieses Wohnrecht zu meinen Lebzeiten … gilt das auch für meine Kinder, wenn ich … tot bin?“

„Ich fürchte, nein.“ Cristo Ravelli lächelte mit falschem Bedauern. „Aber so weit ist es ja noch nicht. Sie können das Haus natürlich nicht verkaufen oder größere Veränderungen vornehmen, aber Sie haben das Recht, dort zu wohnen, solange Sie wollen.“

Belle wurde blass. Was für eine schreckliche Neuigkeit! Ihre Mutter war tot, sodass Belles Recht, im Pförtnerhaus zu wohnen, erloschen war. Sie und die Kinder waren praktisch obdachlos.

„Mein Vater war sehr … penibel, wenn es um Geld und Besitz ging“, fuhr Cristo fort. „Aber ich bin gern bereit, Ihnen ein anderes Haus zu suchen und es auf Ihren Namen zu übertragen.“

Belle fiel es schwer, sich auf Cristos Worte zu konzentrieren. „Warum sollten Sie das tun wollen?“

„Es wird leichter, diesen Landsitz zu verkaufen, wenn auch das Pförtnerhaus unbewohnt ist.“

„Dieser …“ Belle gelang es nicht länger, ihre Wut zu zügeln. „Dieser … Bastard! Wie konnte er so etwas nur seinen eigenen Kindern antun?“

„Mein Vater war alles andere als sentimental“, erklärte Cristo nüchtern. „Und er hat ein ziemliches finanzielles Chaos hinterlassen. Ich hätte aber einen Vorschlag, der alle Ihre Probleme mit einem Schlag lösen würde …“

Als Belle ihn vor sich stehen sah, so gelassen, selbstsicher und kontrolliert, hasste sie plötzlich auch ihn mit jeder Faser ihres Körpers.

Cristo beobachtete, dass sie tief Luft holte und ihre grünen Augen im Sonnenlicht vor Wut aufblitzten. Sie war offensichtlich sehr emotional und hatte ein explosives Temperament, etwas, was er bei Frauen überhaupt nicht schätzte.

„Und Ihr … Vorschlag?“, wiederholte Belle zitternd vor Wut.

„Ja. Ich wollte Ihnen vorschlagen, Ihre Kinder zur Adoption freizugeben“, erklärte Cristo seelenruhig. „Es wäre zweifellos das Beste für sie, ihre fragwürdige Herkunft hinter sich zu lassen und die Chance zu bekommen, ein normales Leben zu führen.“

„Ich kann nicht fassen, dass Sie es wagen, mir so etwas ins Gesicht zu sagen“, zischte Belle.

„Dieses Opfer soll sich natürlich für Sie lohnen“, fuhr Cristo so unbeirrt fort, als sei sein Vorschlag der normalste der Welt. „Mein Vater hätte dafür sorgen müssen, dass Sie ein Zuhause und ein finanzielles Auskommen haben, aber da er das nicht getan hat, werde ich mich an seiner Stelle darum kümmern.“

„Keine anständige Mutter würde ihre Kinder einem finanziellen Vorteil opfern“, erklärte Belle voller Verachtung. „Mit was für Frauen haben Sie es eigentlich sonst zu tun?“

„Das geht Sie nichts an“, entgegnete Cristo scharf.

„Um Himmels willen, diese Kinder sind Ihre eigenen Brüder und Schwestern!“

„So sehe ich sie nicht und werde sie auch nicht so sehen“, gab Cristo hochmütig zurück.

„Warum? Sind sie nicht gut genug für den Namen Ravelli?“, fuhr Belle ihn an. „Die Kinder der Haushälterin … nicht besonders nobel, oder? Nicht ganz die richtige Abstammung. Aber ich sage Ihnen mal was …“

„Nicht, solange Sie sich nicht im Griff haben“, fiel Cristo ihr schneidend ins Wort.

„Sie sind bestimmt auch noch stolz darauf, ein Eisberg zu sein, oder?“, erwiderte Belle unerschrocken und verzog verächtlich die Lippen. „Also, ich schäme mich nicht dafür, emotional zu sein und mich für das Richtige einzusetzen, ganz egal, wie unwillkommen oder schwierig es ist!“

„Kommen Sie bei Ihren Tiraden auch je mal zum Punkt?“, fragte Cristo ätzend.

Belle ballte die Hände zu Fäusten. Bisher hatte sie noch nie das Bedürfnis verspürt, jemanden zu schlagen, aber sie hätte ihm liebend gern eine Ohrfeige verpasst. Wie konnte er es wagen, auf sie und ihre Geschwister herabzublicken und so zu tun, als stünden sie tief unter ihm? Wie konnte er es wagen, vorzuschlagen, ihre Brüder und Schwestern von den Menschen zu trennen, die sie liebten, und sie bei Adoptivfamilien unterzubringen?

Verstand er denn nicht, wie grausam es wäre, die Kinder von ihren Geschwistern loszureißen, zumal sie nach dem Verlust ihrer Eltern ein verzweifeltes Bedürfnis nach Sicherheit hatten? Wusste er denn nicht, dass Mary Brophy vielleicht einen schlechten Geschmack in Bezug auf Männer gehabt hatte, aber eine sehr liebevolle Mutter gewesen war?

„Mein Punkt ist der.“ Belles Stimme zitterte buchstäblich vor Emotionen. „Meine Mutter mag nur eine Haushälterin und jahrelang die Geliebte Ihres Vaters gewesen sein, aber sie war ein toller und liebevoller Mensch, und nach ihrem Verlust verdienen ihre Kinder das Beste, was ich ihnen geben kann.“

„Ihre … Mutter?“, wiederholte Cristo. „Mary Brophy war Ihre Mutter?“

Belle erstarrte vor Schreck. Es überlief sie eiskalt, als ihr bewusst wurde, dass sie sich bei ihrem leidenschaftlichen Versuch, Cristo zu überzeugen und ihre Mutter zu verteidigen, gerade verraten hatte. Sie hatte total vergessen, dass sie sich eigentlich für sie ausgeben wollte.

„Wenn Sie nicht Mary Brophy sind … wo ist sie? Und wer sind Sie?“, hakte Cristo nach. Er fand es unglaublich, dass die Frau vor ihm versucht hatte, ihn zum Narren zu halten.

„Ich bin Belle Brophy. Meine Mutter ist etwa einen Monat nach Ihrem Vater gestorben. Sie hatte einen Herzinfarkt“, gestand Belle resigniert. Zu blöd, dass ihr Temperament so mit ihr durchgegangen war. Aber anscheinend wirkten Cristo Ravellis Gefühllosigkeit und seine zur Schau gestellte Überlegenheit wie ein rotes Tuch auf sie.

„Sie hatten also nie die Absicht, mir zu sagen, dass Ihre Mutter tot ist. Sie haben gelogen, um das Pförtnerhaus zu behalten“, sagte Cristo verächtlich.

Belle war empört über seine voreilige Schlussfolgerung. „Das hatte nichts mit dem Pförtnerhaus zu tun! Ich dachte schließlich noch vor ein paar Minuten, dass es meiner Mutter gehört hat und daher nach ihrem Tod an uns fällt“, rief sie ihm ins Gedächtnis. „Aber ich hielt es für unwahrscheinlich, dass sie sich meine Zukunftspläne für die Kinder anhören, wenn Sie wissen, dass ich nur die Schwester und nicht die Mutter bin.“

Cristo hatte keine Geduld mit Menschen, die ihn belogen und versuchten, ihn zu hintergehen. Er musste plötzlich an die langbeinige Rothaarige auf dem Rasen denken. Vermutlich war das Belle Brophy gewesen.

Wütend ging er einen Schritt auf sie zu. „Sie haben sich für Ihre Mutter ausgegeben! Sind Sie verrückt oder einfach nur dumm?“

Belles Herzschlag beschleunigte sich, als sie sein wütendes Gesicht sah. Aus einem Impuls heraus rannte sie an ihm vorbei zur Tür. Sie hielt es nie lange in der Gegenwart eines wütenden Mannes aus, da sie in ihrer Kindheit die Erfahrung gemacht hatte, dass Wut schnell in körperliche Gewalt ausartete.

Cristo hielt sie an einem Unterarm fest. „Sie gehen jetzt nirgendwohin!“

„Lassen Sie sofort meinen Arm los!“, schleuderte Belle ihm ins Gesicht. „Ich habe einen Fehler gemacht, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, handgreiflich zu werden!“

„Ich bin nicht handgreiflich!“, erwiderte Cristo heftig. „Aber Sie schulden mir zumindest eine Erklärung für Ihr seltsames Verhalten!“

Ihre grünen Augen blitzten wütend auf, als sie sich von ihm losriss. „Sie sind ein Ravelli! Der Tag, an dem ich Ihnen etwas schulde, muss erst noch kommen!“

Cristo beobachtete, wie sie mit klackernden Absätzen durch die Eingangshalle marschierte, den schlanken Rücken stocksteif. Rote Korkenzieherlocken hatten sich aus ihrem schlecht geknoteten Chignon gelöst. „Kommen Sie sofort zurück!“, brüllte er, am Ende mit seiner Geduld.

Belle wirbelte wütend herum. Als sie ihn auf sich zukommen sah, griff sie nach einer schweren Vase auf dem Tisch neben sich und hob sie wie eine Waffe. „Wagen Sie es ja nicht, näherzukommen!“, drohte sie.

„Benehmen Sie sich immer wie eine Irre?“, fragte Cristo. Es fiel ihm sehr schwer, seine Wut zu zügeln.

„Ich bringe Sie vor Gericht und zwinge Sie dazu, die Kinder anzuerkennen!“, fauchte Belle. „Sie haben einen Anspruch auf einen Teil des Erbes, und Sie können nichts dagegen tun. Außerdem bin ich keine Irre.“

Cristo überlief es kalt, als er ihre Drohung hörte. Bei einer Gerichtsverhandlung würde Gaetanos sämtliche schmutzige Wäsche gewaschen werden. Die Medien würden sich auf jedes schlüpfrige Detail stürzen wie die Aasgeier. „Beruhigen Sie sich erst mal“, sagte er. „Lassen Sie uns in Ruhe darüber reden.“

„Ich traue Ihnen nicht!“, gab Belle zurück. „Lassen Sie mich gehen, oder ich werfe mit dieser Vase nach Ihnen!“

Cristo verstand sich selbst nicht, als er trotz ihrer Warnung weiterging. Es war eigentlich offensichtlich, dass er kein vernünftiges Wort aus ihr herausbekommen würde, solange sie in diesem Zustand war.

Wie angekündigt schleuderte Belle die Vase in seine Richtung – und floh. Porzellan zerschellte mit einem lauten Scheppern auf dem Fliesenboden, als sie die Haustür aufriss und die Eingangsstufen hinablief.

Cristo folgte ihr vor das Portal und beobachtete, wie sie die Auffahrt heruntermarschierte, den Kopf so hoch erhoben wie eine verletzte Königin. Was für eine völlig durchgeknallte Irre! Wie sollte er mit einer solchen Frau verhandeln? Aber er musste das irgendwie schaffen, wenn er keinen langwierigen und öffentlichen Rechtsstreit riskieren wollte.

4. KAPITEL

„Na ja, wenigstens ist die Katze jetzt aus dem Sack. Ist das nicht eine Erleichterung?“, sagte Isa zu Belle. „Zumindest wissen wir jetzt alle, woran wir sind.“

Belle strich sich mit dem Unterarm eine Locke aus der erhitzten Stirn, wischte die Arbeitsplatten ab und trocknete sich die Hände. Nach ihrer Rückkehr ins Pförtnerhaus hatte sie einen Putzanfall bekommen, um ihre überschüssige Energie loszuwerden.

Ihre Großmutter, die bei Stress immer sehr gelassen blieb, hatte Belle, als die ihr das schlimmstmögliche Szenario ausgemalt hatte – Obdachlosigkeit nämlich – ruhig daran erinnert, dass Bruno und Donetta erst in ein paar Wochen nach Hause zurückkehren würden und sie bis dahin noch massenhaft Zeit hatten, eine neue Unterkunft zu finden. Belle hatte sich die Frage verkniffen, wie sie denn bitteschön die Miete bezahlen sollten.

Der Hund Tag begann lautstark zu bellen, als es an der Tür klingelte, und stürzte in den Flur.

Als Belle die Tür öffnete, stand Cristo Ravelli auf der Schwelle. Da sie diesmal keine Schuhe mit hohen Absätzen trug, überragte er sie mit seinen einsneunzig noch höher als sonst schon. Er strahlte eine rohe Energie aus. Sein dunkles schönes Gesicht war kühl und beherrscht. „Miss Brophy?“

„Belle“, korrigierte sie ihn schroff.

Cristo musterte ihre rote Lockenmähne und ihr zartes porzellanblasses Gesicht mit den grasgrünen Augen und den vollen geröteten Lippen. Ohne das billige Make-up sah sie absolut atemberaubend aus.

Errötend öffnete Belle den Mund, um ihn zu fragen, was er von ihr wollte, doch Tag nutzte die Gelegenheit, sich angriffslustig auf den Besucher zu stürzen.

Rasch sprang Cristo die Stufe hinunter, als der kleine Hund knurrend nach seinen Knöcheln schnappte. Belle hockte sich hin. „Nein, Tag, nein!“, protestierte sie wenig überzeugend.

Cristo hatte den Eindruck, dass sie dem Hund am liebsten erlaubt hätte, ihn bei lebendigem Leib zu fressen.

„Nimm ihn doch hoch!“, hörte er eine ältere Frau im Flur sagen.

Belle nahm den tobenden kleinen Hund auf den Arm. „Sorry, er ist Männern gegenüber sehr misstrauisch.“

„Kommen Sie doch rein, Mr Ravelli“, bat Isa Kelly ihn höflich über ihre hockende Enkelin hinweg.

Belle hob ruckartig den Kopf. Ihre grünen Augen blitzten wütend auf. „Ich hatte eigentlich nicht vor, ihn reinzu…“

„Mr Ravelli ist unser Gast“, unterbrach ihre Großmutter sie. „Er wird reinkommen, und ihr werdet euch wie zivilisierte Menschen unterhalten.“

Tag knurrte Cristo von Belles Arm aus an. „Ihr Vater hat ihn getreten und meiner auch“, erklärte sie Cristo widerwillig. „Deshalb mag er Männer nicht. Er ist inzwischen zu alt, um sich umzugewöhnen.“

Cristo schlenderte in ein hässliches Wohnzimmer mit rosa Wänden, knallpinken Sofas und so vielen Rüschen und künstlichen Blumen, dass er sich vorkam wie in einem Alptraum. „Ich konnte Hunde noch nie ausstehen.“

Ein kleiner Junge mit Lockenschopf umklammerte eins seiner Beine, was es ihm schwer machte, sich zu setzen.

„Nicht, Franco“, ermahnte Belle das Kind.

„Und Kinder genauso wenig“, fügte Cristo hinzu.

Als Franco zu Cristo aufblickte, stellte der zu seinem Schreck fest, dass der Kleine Gaetanos Augen geerbt hatte. Diese Erkenntnis war ein solcher Schock, dass er sich trotz der Last an seinem Bein hinsetzte.

„Mann!“, stellte Franco befriedigt fest.

„Ihm fehlt eine männliche Bezugsperson“, erklärte Belle und setzte den Hund ab, um stattdessen den Jungen auf den Arm zu nehmen. Sie trug das laut protestierende zappelnde Kind in die Küche.

Cristo ignorierte den unter dem Sofatisch knurrenden Hund. Es war ihm schleierhaft, warum der aggressive kleine Kerl sich auf einen Kampf einließ, den er nur verlieren konnte. Cristo selbst verschwendete grundsätzlich keine Zeit an aussichtslose Fälle.

Als Belle kurz darauf mit einem Tablett mit Kaffee und Keksen zurückkam, stand Cristo steif auf. Er fühlte sich förmlich erstickt von all dem Rosa. „Ich möchte nicht, dass Sie wegen der Kinder vor Gericht gehen.“

„Ach, wirklich?“, gab Belle trocken zurück. „Meine Brüder und Schwestern sind schon viel zu lange ignoriert und übergangen worden. Ich will nur, dass sie bekommen, was ihnen zusteht.“

„Vor ein paar Jahren hat Gaetano fast seinen gesamten Grundbesitz verkauft und den Erlös in Fonds in Übersee angelegt, zu denen kein irisches Gericht Zugang hat“, erklärte Cristo. „Mit Ausnahme des Verkaufserlöses von Mayhill gibt es kein Geld, auf das Sie für Ihre Geschwister Anspruch erheben könnten.“

„Ich will kein Vermögen für sie.“

„Ich hätte einen Vorschlag.“

„Warum überrascht mich das nicht?“ Belle verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Küchentür. Flüchtig fragte sie sich, wie ein Mann in einem Geschäftsanzug bloß so vital und fit aussehen konnte.

Cristo musterte ihre gertenschlanke Figur in der engen ausgeblichenen Jeans und dem weit ausgeschnittenen schwarzen T-Shirt, das ihr über eine schmale weiße Schulter gerutscht war. Sein Blick blieb an einem hervorlugenden schwarzen BH-Träger hängen. Unwillkürlich fragte er sich, ob sie am ganzen Körper so hellhäutig war. Seine prompte Erektion ließ ihn solche Gedanken jedoch schnell bereuen.

„Ich werde eine Zahlung an Ihre Geschwister veranlassen, wenn sie mir zusichern, ihre Rechte nicht gerichtlich durchsetzen“, sagte er und wandte sich halb von Belle ab, um sich mit einem Blick aus dem Fenster abzulenken.

„Wir wollen keine Almosen“, sagte Belle und hob trotzig das Kinn.

„Das wären keine. Wie Sie selbst gesagt haben, handelt es sich um die Kinder meines Vaters. Meiner Familie wäre ein Rechtsstreit sehr unangenehm.“

Belle rührte sich keinen Millimeter vom Fleck. „Warum sollte ich darauf Rücksicht nehmen?“

„Publicity ist ein zweischneidiges Schwert“, warnte Cristo sie. „Die Medien lieben Skandale. Ihre Mutter wird nicht gerade gut dabei wegkommen. Schließlich hat sie sich mit einem verheirateten Mann eingelassen.“

Belle errötete. „Daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern. Außerdem ist Mums Ruf sowieso schon ruiniert. Ich muss an die Zukunft der Kinder denken. Ich will, dass sie in den Genuss der Vorteile des Namens Ravelli kommen.“

„Kein Gericht kann ihnen das Recht auf diesen Namen gewähren, wenn die Eltern nicht verheiratet waren“, wandte Cristo ein. Belles Starrköpfigkeit fiel ihm allmählich auf die Nerven. „Seien Sie doch nicht so unvernünftig. Wenn Sie das Gericht nicht einschalten und mir erlauben, die Sache diskret zu behandeln, werde ich mich sehr großzügig erweisen. Ein besseres Angebot bekommen Sie nicht.“

„Verzeihen Sie mir meinen Mangel an Vertrauen“, ätzte Belle. „Aber nach dem, was ich heute über die Eigentumsrechte an diesem Haus erfahren habe, scheint es mir angeraten, Versprechungen von einem Ravelli mit Vorsicht zu genießen.“

„Denken Sie doch, was Sie wollen, aber ich werde nicht zulassen, dass Sie diese widerliche Angelegenheit an die Öffentlichkeit zerren“, erklärte Cristo grob. „Sollten Sie sich nicht daran halten, werde ich Sie mit allen Mitteln bekämpfen. Und ich warne Sie – Sie wollen mich nicht zum Feind haben.“

„Kämpfen Sie, so viel Sie wollen, ich gehe trotzdem vor Gericht“, erwiderte Belle stur. „Ich habe nichts zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen.“

Cristo unterdrückte einen Schauder bei der Vorstellung, welchen Schaden eine Hetzkampagne der Medien bei seinem Bruder Zarif anrichten konnte.

„Ich möchte, dass meine Geschwister den gleichen Lebensstil genießen können, den sie gehabt hätten, wenn Gaetano meine Mutter geheiratet hätte“, fuhr Belle fort. „Ich finde es unfair, dass sie den Preis für seine Versäumnisse bezahlen müssen.“

„Sie können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen.“ Ungeduldig ging Cristo Richtung Flur. Er hielt es keine Sekunde länger in diesem Wohnzimmer aus.

„Das will ich ja auch gar nicht. Ich will nur, dass der Schaden, der meinen Geschwistern zugefügt wurde, wiedergutgemacht wird.“

„Warum lassen Sie nicht einfach die Vergangenheit ruhen und blicken nach vorn?“

„Leichter gesagt als getan!“

Im Flur angekommen, drehte Cristo sich abrupt zu ihr um. „Sie sind die unvernünftigste Frau, die mir je begegnet ist.“

Als Belle seinen Blick erwiderte, schien für einen Moment die Zeit stehen zu bleiben. Ihr Atem beschleunigte sich.

„Aber aus irgendeinem Grund finde ich das unglaublich sexy“, fügte Cristo mit rauer Stimme hinzu, während er ihr das T-Shirt mit einem Finger sanft wieder zurück über die nackte Schulter schob.

„Ich werde nicht so schnell klein beigeben. Ich bin nicht so naiv wie meine Mutter“, sagte Belle hitzig.

„Wachen Sie auf, cara. Sie sind nur ein Kind, das versucht, in der Liga der Großen mitzuspielen“, gab Cristo zurück.

Der sexy Unterton in seiner Stimme jagte Belle einen Schauer der Erregung über den Rücken. Ihr stockte der Atem. „Ein Kind?“, fragte sie verächtlich. „Etwas Beleidigenderes fällt Ihnen nicht ein?“

„Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen.“

Aus der Nähe konnte Belle in seinen dunklen Augen winzige goldene Flecken sehen, die wie Sterne funkelten. Seine Hand lag noch immer auf ihrer Schulter, und sein anziehender männlicher Duft mit einem schwachen Hauch Cologne war absolut aufregend. Er nahm sie förmlich mit seinem Blick gefangen, sodass Belle sich nicht von der Stelle rühren konnte.

Und dann senkte er den Kopf und küsste sie mit einem Hunger, der in Belle ein wahres Feuerwerk an Empfindungen auslöste. So leidenschaftlich war sie noch nie geküsst worden. Ihre körperliche Reaktion darauf war so heftig, dass sie sich schon bald nicht mehr unter Kontrolle hatte. Sie ließ die Hände von seinen breiten Schultern in sein volles dunkles Haar gleiten und gab sich seinem fordernden Kuss vollkommen hin.

Cristo zog sie noch enger an sich, ließ die Hände an ihrem Rücken hinabgleiten und presste sie gegen seine Erektion. Lustvoll keuchte sie an seinem Mund auf. Alles in ihr sehnte sich plötzlich danach, mit ihm zu schlafen. Ihre Begierde war so intensiv, dass es fast schmerzte.

Erschrocken schob sie ihn von sich weg. „Nein, wir tun das jetzt nicht!“, sagte sie mit fester Stimme.

Cristo trat einen Schritt zurück und holte tief Luft. Maledizione! Er war so erregt, dass sein Blick ganz verschleiert war. „Falls ich mich recht erinnere, waren wir dabei stehen geblieben, dass ich Sie davon abzubringen versuche, mit Ihren privaten Familienangelegenheiten vor Gericht zu gehen“, murmelte er.

Belle sah ihn irritiert an. Wie konnte man nach einem so leidenschaftlichen Kuss so kühl reagieren? Anscheinend verlor Cristo Ravelli nie die Selbstbeherrschung. Sie empfand seine Gleichgültigkeit als verletzend, und sie war wütend auf sich selbst, dass sie sich nicht eher gegen ihn zur Wehr gesetzt hatte. Aber, großer Gott, konnte der Mann küssen! Eine demütigende Erkenntnis, die sie nicht so einfach abschütteln konnte, sosehr sie das auch versuchte.

Belle hatte schon oft Männer geküsst, auch wenn es bisher dabei geblieben war. Sie hatte immer gehofft, eine Art Erdbeben zu erleben, das auf eine echte körperliche Anziehung schließen ließ. Und jetzt erlaubte sich das Schicksal einen grausamen Scherz mit ihr, indem es ihr diesen lang ersehnten besonderen Kuss von dem falschen Mann servierte. Cristo Ravelli war zweifellos in jeder Hinsicht unpassend für sie. Er war steif, kalt und gefühllos, während sie warmherzig, emotional und impulsiv war.

„Tut mir leid. Ich werde das tun, was das Beste für meine Geschwister ist, und das ist, ein Gericht die Angelegenheit klären zu lassen“, beharrte sie.

„Dazu haben Sie kein Recht“, erwiderte Cristo kalt. „Es könnte anderen Menschen großen Schaden zufügen. Sie und Ihre Geschwister sind nicht die einzigen Menschen, die von dieser Situation betroffen sind.“

„Ist mir doch egal. Ich will, dass meine Brüder und Schwestern sich offen zu ihrer Herkunft bekennen können.“

„Was Sie wollen, ist unmöglich.“ Cristo drehte sich zur Tür um.

„Ich will nur Gerechtigkeit.“

Cristo war frustriert. Bisher hatte er immer eine Lösung für seine Probleme gefunden. Schadensbegrenzung war seine Spezialität. Was sollte gerecht daran sein, wenn Zarifs Thron von der Nachricht von Gaetanos geheimer Familie in Irland erschüttert wurde? Wie der Vater, so der Sohn, würden Zarifs Gegner bestimmt frohlocken.

Mary Brophy hatte sich in vollem Bewusstsein auf einen verheirateten Mann eingelassen und Kinder von ihm bekommen. Ihre Tochter Belle hatte daher nicht das Recht, plötzlich die Familiengeschichte neu schreiben zu wollen. Außerdem würden diese Kinder keineswegs stolz auf ihre Herkunft sein, wenn erst mal ihre schmutzige Familienwäsche in aller Öffentlichkeit gewaschen wurde. Vermutlich würden die Medien Hackfleisch aus ihnen machen. Bisher war noch keins von Gaetanos Kindern stolz auf den Vater gewesen.

Ironischerweise hatte Cristo früher immer gedacht, ein besserer Mensch zu werden als sein Vater. Inzwischen fragte er sich manchmal, was aus diesem Traum geworden war und wann sein Zynismus dieses ehrenwerte Ziel ausgelöscht hatte. Bisher war es ihm noch nicht einmal eingefallen, das Schicksal von Mary Brophys Kindern aus deren Perspektive zu betrachteten. Aber sogar ihm war bewusst, dass Belle Brophy viel zu jung und ihre Großmutter zu alt war, um volle Verantwortung für Gaetanos Kinder zu übernehmen.

Und dann, ganz plötzlich, fiel ihm die perfekte Lösung für sein Problem ein. Wenn er alle Punkte berücksichtigte, die ihm und Belle wichtig waren, ließ seine Idee keine Fragen offen.

Gaetanos und Marys Affäre würde vertuscht und die Abstammung der Kinder vor den Medien geheim gehalten werden. Und was Belle anging, war die Rolle, die er ihr zudachte, absolut perfekt für sie. Genüsslich malte er sich aus, wie sich Belle, äußerst spärlich bekleidet, im Bett seiner Londoner Wohnung räkelte …

Die Vorstellung, seine Freiheit einem höheren Ziel zu opfern, erschien ihm plötzlich fast verlockend.

Belle konnte nicht schlafen. Wieder und wieder spielte sie Cristos Kuss im Kopf durch, bis ihr ganz heiß wurde und sie sich unbehaglich im Bett hin und her wälzte. Außerdem zerbrach sie sich immer noch den Kopf darüber, ob sie vor Gericht gehen sollte oder nicht.

Mir bleibt keine andere Wahl, dachte sie. Es hatte nie eine andere Option gegeben, und sie hatte nicht die Absicht, Cristo Ravellis Versprechungen zu glauben. Man konnte ihm bestimmt genauso wenig über den Weg trauen wie seinem Vater.

Irgendwann stand sie auf. Nachdem sie den Kindern Frühstück gemacht hatte, brachte sie die Zwillinge zur Schule und teilte ihrer Großmutter mit, dass sie mit dem kleinen Franco an den Strand gehen würde.

Als Cristo am Strand ankam, hatte er das Vergnügen, Belle zum ersten Mal entspannt zu sehen. Der Wind wehte ihr die wilde Lockenmähne aus dem Gesicht. Sie warf gerade einen Stein ins Meer, während der sich an ihrem Bein festklammernde kleine Junge aufgeregt auf und ab sprang und der Hund laut kläffend um sie herumlief. Als das Tier Cristo entdeckte, schoss es angriffslustig auf ihn zu.

„Aus!“, donnerte Cristo.

Tag krümmte sich, warf sich auf den Rücken und streckte sämtliche vier Beine in die Luft, die Augen schreckensgeweitet.

„Sie brauchen ihn doch nicht gleich so anzubrüllen“, sagte Belle vorwurfsvoll und eilte zu dem kleinen Tier, um es zu streicheln. „Sehen Sie nur, welche Angst er hat! Er ist sehr sensibel.“

„Ich bin auch etwas sensibel, wenn es um Bisswunden geht“, entgegnete Cristo sarkastisch.

„Mann!“, sagte der Kleine begeistert und steuerte zielstrebig auf Cristos linkes Bein zu. Erstarrend fragte Cristo sich, ob seine Idee wirklich so gut war. Er war kein Familienmensch. Er hatte absolut keine Ahnung, wie ein Familienleben funktionierte und hatte eigentlich auch keine Lust, es herauszufinden.

Belle sah ihn verunsichert an. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen leuchteten grün über ihrer zierlichen sommersprossigen Nase. Ihre Lebendigkeit und Schönheit fegten sämtliche Bedenken hinweg. Cristo dachte plötzlich nur noch an Sex, an viel Sex, und zwar so intensiv, dass es schmerzte.

Belle stand auf, den verängstigten Hund an die Brust gepresst. „Hat Isa Ihnen verraten, wo ich bin?“

„Wie kommen Sie denn darauf? Ich könnte doch einfach nur spazieren gehen.“

Süffisant hob Belle eine Augenbraue und musterte Cristos schlanken kräftigen Körper. Es verblüffte sie, dass ein Mann, der meistens im Anzug rumlief, so gut gebaut war. Er hatte noch nicht mal den Ansatz eines Bauches. Offensichtlich hielt er sich fit.

Obwohl sie Anzüge eigentlich langweilig fand, hatte Cristos dunkler Maßanzug nicht nur Klasse, sondern saß auch so eng, dass er ihre Aufmerksamkeit auf Stellen lenkte, die ihr normalerweise bei Männern nicht ins Auge fielen. Errötend riss sie den Blick von der deutlichen Wölbung in seinem Schritt los und senkte sie zu seinen Lackschuhen, die mit Sand bedeckt waren. Warum gab er nicht einfach zu, dass er nach ihr gesucht hatte?

„Nie im Leben sind Sie in diesem Aufzug spazieren gegangen.“

„Sand kann man leicht abklopfen“, erwiderte Cristo ungerührt.

Belle setzte den Hund ab und musterte Cristos extrem attraktiven Gesichtszüge errötend. Sie kam sich plötzlich so unbeholfen und befangen vor wie ein Schulmädchen in der Gegenwart ihres Idols. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn förmlich mit Blicken verschlang, schoss ihr das Blut noch heftiger ins Gesicht.

Cristo bückte sich, um die Hände des kleinen Jungen von seinem Bein zu lösen. Belle hatte erwähnt, dass dem Jungen eine männliche Bezugsperson fehlte. Cristo konnte sich das gut vorstellen. Weder in seiner Kindheit noch später hatte Gaetano ihn je berührt oder sich auch nur nach seinem Befinden erkundigt. „Wir müssen reden“, sagte er kurz angebunden.

„Es gibt nichts mehr zu reden. Wir haben schon gestern Abend alles gesagt.“ Achselzuckend hielt Belle dem Jungen eine Hand hin und drehte sich um, um zurück zum Wasser zu gehen. „Komm mit, Franco!“

„Nein!“, protestierte der Kleine und klammerte sich wieder an Cristos Hose fest.

Cristo seufzte tief. „Ich habe Mayhill House heute Morgen zum Verkauf angeboten“, sagte er zu Belles Rücken.

Sie blieb abrupt stehen und erstarrte. Entsetzt wurde ihr bewusst, dass sie und die Kinder vielleicht bald auf der Straße sitzen würden. In Isas kleiner Einzimmerwohnung im Dorf war jedenfalls nicht genug Platz für sie alle. Sie blickte aufs Meer, aber das Plätschern der Wellen verfehlte die gewohnte beruhigende Wirkung auf sie. Tränen standen ihr in den Augen, als sie sich zu Cristo umdrehte. „Hätte das nicht noch ein paar Wochen Zeit gehabt?“

Cristo kam nur langsam näher, da Belles kleiner Bruder sich schon wieder hartnäckig an seinem Hosenbein festhielt. „Nein, ich will den Landsitz so schnell wie möglich verkaufen. Gaetanos Leben hier soll ein Geheimnis bleiben.“

„Und was wird aus uns? Wohin sollen wir gehen?“, fragte Belle wütend. „So ein Umzug erledigt sich nicht von heute auf morgen.“

„Sie haben mindestens einen Monat Zeit, um etwas Neues zu finden“, erwiderte Cristo ungerührt, während er beobachtete, wie ihr der Wind das blaue T-Shirt gegen die Brüste wehte. Unter dem dünnen Stoff zeichneten sich hart ihre Brustwarzen ab, sodass seine Libido erst recht verrücktspielte. Er biss die Zähne zusammen.

„Das reicht nie im Leben. Bruno und Donetta werden zu Beginn der Sommerferien nach Hause kommen. Fünf Kinder brauchen viel Platz. Sie sind übrigens auch Ihre Geschwister, also sollte es Ihnen nicht egal sein, was mit ihnen passiert!“

„Deshalb wollte ich Ihnen auch vorschlagen, dass wir heiraten und ihnen gemeinsam ein Zuhause geben“, erwiderte Cristo brüsk. Zum wahrscheinlich ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, ob er wirklich wusste, was er tat.

Belle starrte ihn völlig entgeistert an. „Heiraten?“, wiederholte sie. Hatte sie irgendetwas verpasst? „Wovon um alles in der Welt reden Sie da eigentlich?“

„Sie haben gesagt, dass Ihre Geschwister vom Namen und Wohlstand der Ravellis profitieren sollen. Das geht nur, wenn ich Sie heirate und die Kinder adoptiere.“

Belle wich einen Schritt zurück. „Soll das ein Witz sein?“, fragte sie verwirrt, als sie die Sprache endlich wiedergefunden hatte.

„Warum sollte ich über so etwas Ernstes Witze machen?“

Belle zuckte die Achseln. „Woher soll ich das wissen? Sie hielten es ja auch für akzeptabel, die Kinder zur Adoption freizugeben.“

„Ich scherze nicht“, wiederholte Cristo mit Nachdruck. Ein Sonnenstahl durchdrang die Wolkendecke und erhellte sein schmales markantes Gesicht.

Belle sah ihn wieder voller Bewunderung an. Er hatte die glühende dunkle Schönheit eines gefallenen Engels, und seine goldgefleckten Augen waren einfach umwerfend.

„Als praktisch veranlagter Mann schlage ich Ihnen die einzig vernünftige Lösung vor. Eine nämlich, die all unsere Wünsche erfüllt“, fuhr Cristo glatt fort. „Wie Sie wissen, will ich eine Gerichtsverhandlung vermeiden, damit die Geschichte von Gaetano und seiner Haushälterin nicht publik wird. Sie müssten mir allerdings schriftlich versichern, dass Sie mit niemandem über die Abstammung der Kinder reden. Für die Öffentlichkeit sind sie einfach Ihre verwaisten Geschwister, was ja auch stimmt.“

Belle holte tief Luft. „Ich kann immer noch nicht glauben, was Sie mir da vorschlagen.“

„Sie lassen mir keine andere Wahl. Ihre Drohung mit der Gerichtsverhandlung setzt mich ganz schön unter Druck. Wären Sie denn bereit, das Ganze außergerichtlich zu regeln?“

Belle zögerte keine Sekunde mit ihrer Antwort. „Nein.“

Spöttisch hob Cristo eine Augenbraue. „Sehen Sie? Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als Ja zu sagen.“

„So einfach ist das nicht“, protestierte Belle empört.

„Nicht? Mit dieser Lösung biete ich Ihnen alles, was Sie angeblich wollen.“

Belle blinzelte schockiert. Sie fühlte sich von Cristo in die Enge gedrängt. „Na ja, schon, aber … eine Ehe? Damit habe ich beim besten Willen nicht gerechnet!“

Ihre Sturheit ging Cristo allmählich auf die Nerven. Ohne eitel zu sein, wusste er, dass er reich, gut aussehend und begehrenswert war. Er hatte bisher noch nie einer Frau einen Heiratsantrag gemacht. Sie sollte sich eigentlich geschmeichelt fühlen. Es war ihm schleierhaft, dass sie so lange zögerte.

„Geben Sie mir bis heute Abend Zeit, es mir zu überlegen“, murmelte Belle.

Cristo presste die Lippen zusammen. „Na schön. Übrigens will ich eine echte Ehe“, fügte er prononciert hinzu.

„Eine echt…?“ Belle verstummte und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. Ihr schoss das Blut ins Gesicht, als ihr bewusst wurde, worauf er hinauswollte. „Sie wollen, dass ich mit Ihnen schlafe?“

„Natürlich“, antwortete Cristo so ungerührt, als sei ein solches Ansinnen das Normalste und Selbstverständlichste der Welt. „Ich habe nicht vor, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten und mit anderen Frauen zu schlafen als meiner eigenen. Das gilt natürlich auch für Sie. Eine offene Ehe wäre für die Kinder kaum ein geeignetes Vorbild.“

Belle fand das einleuchtend, aber bei der Vorstellung, das Bett mit ihm zu teilen, errötete sie vor Verlegenheit. Ihre mangelnde sexuelle Erfahrung war ihr sehr unangenehm. Als Teenager hatte sie alles getan, um den Jungs im Dorf nicht den Eindruck zu vermitteln, dass sie wie ihre Mutter war. Wieder und wieder hatte sie beweisen müssen, anders zu sein. Nein zu sagen, war nicht nur eine Frage des Stolzes, sondern auch des Selbstschutzes gewesen. Als sie älter wurde, hatten andere Bedenken sie davon abgehalten, einem Mann wirklich zu trauen und Gefühle zuzulassen.

Cristo reichte ihr eine Visitenkarte. „Hier steht meine private Handynummer. Sagen Sie mir bis sieben Uhr Bescheid, Belle. Ich werde dann sofort anfangen, die nötigen Vorkehrungen zu treffen.“

5. KAPITEL

„Tu’s nicht … tu’s nicht …“, hallten Isas Worte wie eine Totenglocke in Belles Ohren wieder, als sie aus dem von Cristo geschickten Auto stieg, mit dem sie für die Trauungszeremonie abgeholt worden war. Sie trug ein schlichtes Vintage-Kleid aus Spitze mit U-Boot-Ausschnitt – das Hochzeitskleid ihrer Mutter.

Was für eine Ironie. Meine Mutter hat ihren Ravelli nie zum Altar bekommen, aber ich schon, dachte Belle in einer Mischung aus Schuldbewusstsein und Genugtuung. Natürlich wusste sie, dass man das nicht miteinander vergleichen konnte. Cristo war nicht Gaetano und hatte nicht die Sünden seines Vaters begangen, aber trotzdem.

Im Dorf war sie das Gesprächsthema Nummer eins. Niemand konnte sich erklären, wie es ihr gelungen war, sich einen Mann zu angeln, der erst wenige Wochen zuvor zum ersten Mal nach Irland gekommen war. Vor der alten Kirche hatten sich sogar einige Leue versammelt, um ihr zu gratulieren, obwohl Cristo ausdrücklich darauf bestanden hatte, dass sie unter sich blieben.

Natürlich hatte er sehr geschickt dafür gesorgt, sich die Unterstützung und den Respekt der Einheimischen zu sichern, indem er Mayhill House nicht verkauft, sondern dem Dorf als Gemeindezentrum zur Verfügung gestellt hatte. Mit Geld konnte man viel erreichen, vor allem in einer Region, wo die Einkommen niedrig und die Jobs rar gesät waren. Das Herrenhaus würde aus dem Dorf eine Touristenattraktion machen und sein Erhalt vielen Menschen Arbeit geben.

Selbstverständlich herrschte stillschweigendes Übereinkommen darüber, dass die Nutznießer von Cristos Großzügigkeit nie wieder ein Wort über die Affäre seines Vaters mit Mary Brophy und die Geburt ihrer Kinder verlieren würden.

Autor

Lynn Raye Harris

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