Julia Saison Band 22

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WIE EIN WEIHNACHTSWUNDER von GREEN, GRACE
Eine Weihnachtsfrau? Damian McAllister staunt nicht schlecht, als plötzlich eine bezaubernde Fremde ganz in Rot vor der Tür steht. Dabei hat sich der Star-Architekt in die Berge zurückgezogen, weil er die Feiertage hasst - und weil er längst nicht mehr an Wunder glaubt …

DIE GELIEBTE DES MILLIONÄRS von WILKINSON, LEE
Keine Frau fasziniert Daniel Wolfe wie Charlotte! Nur hat die schöne Werberin ihren eigenen Kopf. Der smarte Millionär weiß nur eine Möglichkeit, wie er ihn ihr verdrehen kann: Er lockt sie nach New York, wo das Fest der Liebe in Abertausenden von Lichtern erstrahlt …

RENDEZVOUS IM WINTER von BROOKS, HELEN
Als sie vor den Tannenbaum in Zak Hamiltons Villa tritt, wird Blossom warm ums Herz. Doch so sehr es zwischen ihr und dem verwegenen Unternehmer prickelt, würde sie am liebsten fliehen. Denn diese Zeit im Winter erinnert sie an alles, was sie eigentlich vergessen will …


  • Erscheinungstag 07.11.2014
  • Bandnummer 22
  • ISBN / Artikelnummer 9783733705473
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Grace Green, Lee Wilkinson, Helen Brooks

JULIA SAISON BAND 22

GRACE GREEN

Wie ein Weihnachtswunder

Ach, du lieber Himmel! Weihnachtsfan Stephanie bleibt unterwegs zum Familienfest mit ihrem Auto im Schneegestöber stecken! Da entdeckt sie ein Licht in einem einsamen Berghaus. Ein Mann, groß, dunkelhaarig, überwältigend attraktiv, öffnet ihr – und empfängt sie derart finster, dass sie am liebsten Reißaus nehmen würde …

LEE WILKINSON

Die Geliebte des Millionärs

Liegt es an den weiß glitzernden Flocken, die sich wie ein Brautschleier auf die Straßen im vorweihnachtlichen New York legen? Oder wieso gerät Charlotte so ins Träumen, als Daniel Wolfe ihr die traumhaft geschmückte Stadt zeigt? Ihr Boss weckt Gefühle in ihr, die sie keinesfalls zulassen kann. Denn Daniel ist der Mann, der den Tod ihres Bruders zu verantworten hat!

HELEN BROOKS

Rendezvous im Winter

Zak Hamilton, sexy Unternehmer aus London und begehrter Playboy, hat die Leidenschaft gepackt. Schon seit ihrer ersten Begegnung weiß er: Er will Blossom nicht nur für eine Affäre – spätestens Heiligabend heiratet er sie! Leider hat sich die hübsche Modefotografin für die Zukunft eines geschworen: von Männern wie ihm die Finger zu lassen!

1. KAPITEL

Damian McAllister fluchte leise und blickte mit funkelnden Augen zu dem Spielzeuggeschäft auf der anderen Straßenseite genau gegenüber von seinem Büro. Diese verdammte Neonschrift im Schaufenster! Seit Ende November blinkte sie dort drüben und trieb ihn fast zum Wahnsinn mit der Botschaft: „Frohe Weihnachten Ihnen und Ihren Lieben“.

Ich halte das nicht eine einzige Minute länger aus, dachte er und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.

Dann stand Damian auf, wobei er leicht schwankte. „Mrs Sutton!“, rief er.

Marjorie Sutton, die Chefsekretärin der „McAllister-Architekten-Gruppe“, legte seufzend den Schmalzkringel weg, den sie gerade in den Kaffee hatte tunken wollen, und ging in das angrenzende Büro.

Ihr fiel sofort auf, dass die blauen Augen ihres Chefs wütend blitzten und sein schwarzes Haar zerzaust aussah. Trotzdem wünschte sie sich – wie sie es beunruhigend oft tat, wenn man bedachte, dass sie glücklich verheiratet war –, sie wäre entweder dreißig Jahre jünger oder ihr Boss kein so vollkommener Traummann.

„Sie wünschen, Sir?“ Ihr Tonfall klang beiläufig.

Damian McAllister blickte sie finster an. „Streichen Sie alle Termine bis Neujahr. Ich fahre nämlich früher als geplant in mein Landhaus in Vermont.“ Obwohl er mit dem Rücken zum Fenster stand, hätte er schwören können, dass er den Widerschein der Neonschrift auf der Wand flackern sah.

„Fühlen Sie sich nicht gut, Mr McAllister? Sie sind blass.“

„Vermutlich werde ich krank“, erklärte er. „Wahrscheinlich hat mich die Grippe erwischt, die gerade grassiert.“ Er lockerte die graue Krawatte und öffnete den Kragenknopf.

„Und was ist mit der Party am Freitagabend?“, fragte Mrs Sutton.

„Party?“, wiederholte Damian.

„Die Cocktailparty bei Anthony Gould zur Feier seiner Verlobung. Die Einladung kam schon vor einem Monat, und Sie haben zugesagt, wie Sie sich vielleicht erinnern.“

Ja, vor einem Monat hatte er sich noch eingeredet, dass es dieses Jahr anders wäre, dass er diesmal kein Feigling sein und nicht vor Weihnachten sozusagen davonlaufen würde … Damian räusperte sich – und zuckte dabei zusammen, weil er das Gefühl hatte, ein Reibeisen verschluckt zu haben. Er zog die Schreibtischschublade auf, suchte darin herum, bis er Hustenbonbons fand, und schob sich eins in den Mund.

„Sagen Sie ab, Mrs Sutton“, forderte Damian seine Sekretärin heiser auf. „Mir ist überhaupt nicht danach zumute, mit anzusehen, wie Bostons begehrtester Junggeselle mit seiner neuesten Eroberung prahlt, und …“

„Aber Mr McAllister!“, warf Mrs Sutton ein.

Unbeeindruckt von ihrem tadelnden Tonfall, sah er sie an. Seine Augen tränten plötzlich, weil er spürte, dass er gleich niesen musste. „Rufen Sie Mr Gould an“, befahl er Mrs Sutton und nahm das Papiertaschentuch, das sie ihm zuvorkommend reichte. „Und sagen Sie ab.“

„Ja, gut. Wäre …“ Sie wartete, während Damian so heftig nieste, dass ein Bauplan auf dem Schreibtisch flatterte. „Wäre das alles, Sir?“

Damian nahm sein Jackett von der Lehne des Schreibtischsessels und zog es an. Dann ging er zur Tür und öffnete sie Mrs Sutton.

„Alles andere lege ich in Ihre fähigen Hände“, sagte Damian.

Mrs Sutton ging an ihm vorbei ins Vorzimmer, setzte sich aber nicht gleich hinter den Schreibtisch, sondern blieb wartend danebenstehen.

Damian biss die Zähne zusammen. Was war denn noch? Sollte er ihr vielleicht frohe Weihnachten wünschen? Er wollte „Fröhliche Weihnachten“, sagen, aber die Worte blieben ihm sozusagen in der Kehle stecken. Halblaut sagte er etwas Unverständliches. Das kann Mrs Sutton ja so auffassen, wie sie möchte, dachte er verzweifelt und verließ fluchtartig das Büro.

Während er aus der Tiefgarage auf die Straße fuhr, wandte er bewusst den Blick von dem Spielzeugladen namens „Paradies der Kuscheltiere“ ab. Was für ein ausgefallener Name! dachte Damian. Das rot-grüne Funkeln des Neonzeichens verfolgte ihn förmlich, und aus dem Auto neben seinem ertönte das Lied „Oh du fröhliche“.

Von Unbehagen erfüllt, biss sich Stephanie Redford auf die Lippe und sah sich suchend unter den festlich angezogenen Partygästen um. Wo war Tony? Sie musste sofort mit ihm sprechen. Was die Whitneys ihr gerade eben erzählt hatten … das konnte doch nur ein dummer Irrtum sein …

Plötzlich strich ihr jemand mit den Fingerspitzen über den Rücken. Stephanie wandte sich so rasch um, dass der Champagner aus dem Glas in ihrer Hand überschwappte. Da war Tony ja! Sein lockiges blondes Haar glänzte, und seine hellen Augen blickten warm und anerkennend.

„Mein Liebling.“ Tony streichelte ihr, zugleich zärtlich und besitzergreifend, den Arm. „Du bist ein uneingeschränkter Erfolg. Ich bin ungemein stolz auf dich. Und jetzt komm mit, ich möchte dich den Cabots vorstellen. Sie können es kaum erwarten, die zukünftige Mrs Anthony Gould kennenzulernen …“

„Tony, die Whitneys haben mit gerade erzählt, du würdest …“

„Bitte sprich etwas leiser, Liebling.“ Ein missbilligender Ausdruck erschien auf seinen klassisch ebenmäßigen Gesichtszügen. „Paula Whitney sieht gerade zu uns her.“ Tony umfasste Stephanies Arm und führte sie in die momentan leere Diele seines Penthouses.

Zum ersten Mal seit der Umgestaltung seiner Wohnung gab er hier eine Party und wollte nicht – wie Stephanie wusste–, dass irgendetwas die festliche Stimmung verdarb.

„Und jetzt, mein Schatz“, sagte er und lächelte, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht, „erzähl mir, was dich beunruhigt.“

Stephanie stellte das Champagnerglas auf einem französischen Rokokotisch ab und atmete tief durch.

„Die Whitneys“, begann sie, „haben mir gerade eben mitgeteilt, sie würden sich sehr darüber freuen, dass wir beide ihre Einladung angenommen haben, Weihnachten mit ihnen gemeinsam in Aspen zu verbringen.“

„Du wirst begeistert sein, Liebling. Sie besitzen eine Skihütte, die wie ein schweizerisches Chalet …“

„Tony“, unterbrach sie ihn, „wir haben schon vor einigen Wochen beschlossen, dass wir die Feiertage in Rockfield mit meiner Familie verbringen. Wir Redfords feiern immer gemeinsam Weihnachten. Das ist bei uns Tradition.“

Tony umfasste ihre linke Hand und blickte nachdenklich auf den Saphirring an ihrem Ringfinger, bevor er antwortete.

„Stephanie, wir heiraten bald. Dann bist du eine Gould, und wir werden unsere eigenen Traditionen einführen. Du wirst dich in ganz anderen Kreisen als bisher bewegen, nämlich meinen Kreisen. Meine Freunde mögen dich, Liebling.“

Stephanie befreite die Finger aus seinem Griff. Obwohl es im Penthouse angenehm warm war, schien ihr die Luft plötzlich frostig geworden zu sein. „Du hast es mir versprochen, Tony“, sagte Stephanie. „Meine Eltern freuen sich schon darauf, dich kennenzulernen und …“

„Liebling!“ Tony sah sie schmeichelnd an. „Ich hatte bisher angenommen, die Whitneys würden dieses Jahr zu Weihnachten ins Ausland fahren, aber irgendwie hat das nicht geklappt, deshalb haben sie ihre Freunde zum Skifahren nach Aspen eingeladen, und das wird ganz großartig, weil …“

„Ich will nicht nach Aspen fahren.“ Unverwandt sah Stephanie Tony an. „Sondern nach Hause.“

Die bisher nur schwelende Spannung zwischen ihnen flackerte sozusagen mit einem Mal hell auf, und Stephanie war erschüttert. Tony spürte die Spannung offensichtlich ebenfalls. Plötzlich sah er argwöhnisch aus, und an seinem Hals zuckte ein winziger Nerv.

Unvermittelt lächelte Tony und umarmte Stephanie. „Ach, Schatz“, sagte er reuig, „haben wir etwa unseren ersten Streit?“ Er ließ ihr keine Gelegenheit, zu antworten, sondern presste sie an sich und küsste sie.

Stephanie leistete kurz Widerstand, dann seufzte sie leise und gab nach. Sie liebte Tony doch. Es war angenehm, seinen Körper an ihrem zu spüren und leidenschaftlich geküsst zu werden. Ihre Anspannung ließ nach.

Tony liebt mich ebenso sehr wie ich ihn, und er hat mir geschworen, sein Leben der Aufgabe zu widmen, mich glücklich zu machen, sagte Stephanie sich. Er würde sie jetzt nicht enttäuschen, nicht in einer so wichtigen Angelegenheit.

Sie lächelte ihn zärtlich an. „Wir fahren also nach Rockfield?“, fragte sie sanft.

Unvermittelt ließ er sie los. „Stephanie.“ Man merkte ihm deutlich an, wie gereizt er war. „Hast du mir nicht zugehört? Wir fahren nach Aspen. Du weißt doch, wie wichtig die Whitneys für mich sind. Sie waren meine ersten Klienten, nachdem ich meine Anwaltspraxis eröffnet hatte, und sie sind immer noch meine wichtigsten Klienten.“

„Du verstehst nicht, worum es mir geht, Tony.“ Zittrig fuhr sich Stephanie durchs lange dunkelbraune Haar. „Versprochen ist versprochen. Du musst den Whitneys sagen, dass wir beide schon andere Pläne gemacht haben. Das verstehen sie sicher. Mir kamen sie nämlich sehr nett vor.“

„Um eins völlig klarzustellen: Ich fahre nach Aspen. Du hast die Wahl. Entweder verbringst du Weihnachten mit deiner Familie in Vermont oder mit mir in Colorado.“

Ungläubig sah Stephanie ihn an. „Lässt du mir die Wahl, oder stellst du mir ein Ultimatum?“

Tony zuckte die Schultern. „Wenn du es so auffassen willst, bitte.“

Wie konnte sie es denn sonst auffassen? Tony glaubte vielleicht, er würde ihr die Wahl lassen, aber er irrte sich. Sie, Stephanie, hatte ihren Eltern versprochen, an den Feiertagen nach Hause zu kommen.

Mit bebenden Fingern streifte sie den Verlobungsring ab und hielt ihn Tony hin. Er blickte starr darauf. Offensichtlich war er völlig erstaunt.

Wahrscheinlich ist es das erste Mal, dass jemand nein zu Anthony Howard Gould sagt, dachte Stephanie und versuchte, ihre wachsende Niedergeschlagenheit im Zaum zu halten.

Der Ring klirrte leise, als sie ihn auf den Tisch fallen ließ. „Dann hole ich jetzt meine Sachen“, sagte Stephanie.

„Du machst einen Fehler, Stephanie. Tu mir das nicht an.“ Tonys Stimme klang drängend. „Was soll ich denn den Whitneys sagen? Was soll ich …“

Stephanie eilte an ihm vorbei in sein Schlafzimmer, dankbar dafür, dass sie die aufsteigenden Tränen noch unterdrücken konnte. Sie hoffte, sie würde es weiterhin schaffen, bis sie in ihrem Auto saß.

Ihre Stofftasche lag halb offen auf dem Bett, ein Stück schwarze Spitze sah daraus hervor … von dem hauchdünnen, sündhaft teuren schwarzen Negligé, das sie, Stephanie, später am Abend hatte anziehen wollen, wenn sie und Tony zum ersten Mal …

Heftig zog sie den Reißverschluss der Tasche zu. Dann zog sie sich den wadenlangen roten Mantel an, hängte die Tasche über die Schulter und eilte zurück in die Diele.

Stephanie wurde schwer ums Herz, als sie Tony noch an derselben Stelle stehen sah. Er war sehr blass. Einen Moment lang wurde sie unsicher. Sie presste die Lippen zusammen und zog den Mantel fester um sich, wie um sich zu schützen. War ihr Entschluss falsch?

Nein! Wenn Tony nicht an Versprechen glaubte, dann gab es für sie beide keine gemeinsame Zukunft.

Er hatte eine Seite seines Charakters enthüllt, die Stephanie bisher nicht bemerkt hatte. Eine Seite, die ihr nicht gefiel. Sicher ist die schon immer vorhanden gewesen, aber ich war ja blind vor Liebe, dachte sie. Dann gestand sie sich ehrlich ein, dass sie ebenso geblendet gewesen war von der Begeisterung, dass einer der begehrtesten Junggesellen Bostons sich um sie bemüht hatte.

Es war dumm von mir, mich mit einem Mitglied der „oberen Zehntausend“ einzulassen, tadelte sie sich bitter und schüttelte den Kopf. Das war ein Fehler gewesen, den sie niemals wieder machen würde.

Der weiche Teppich dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, als sie zum Lift eilte. Sie hörte nur das dumpfe Pochen ihres Herzens. Nachdem sie den Lift betreten hatte, sah sie noch einmal flüchtig in die Diele. Tony stand nicht mehr dort. Er hat nicht mal gewartet, bis ich weg bin, sondern ist schon wieder zu seinen Gästen gegangen, dachte Stephanie niedergeschlagen.

„Tony Gould ist ein Schuft“, sagte Janey, mit der Stephanie die Wohnung teilte, und setzte sich auf Stephanies Bett. Sie sah zu, wie Stephanie hübsch verpackte Plüschtiere in eine riesige Plastiktüte stopfte. „Er fährt also tatsächlich nach Aspen. Hoffentlich bricht er sich beim Skilaufen ein Bein.“

Stephanie erwiderte nichts auf diese hartherzigen Bemerkungen. „Geschafft“, sagte sie triumphierend, nachdem sie eine gut halbmetergroße Plüschgiraffe in der Tüte verstaut hatte.

„Tony ist nicht einfach nur ein Mistkerl“, fügte Janey hinzu, und ihre grauen Augen blickten verächtlich. „Er muss völlig den Verstand verloren haben. Glaubt er etwa, er findet noch mal eine Frau wie dich? Im Leben nicht. Und jetzt spreche ich nicht nur von deinem Aussehen, obwohl du so attraktiv bist, dass du Filmstar werden könntest. Du bist außerdem einer der nettesten Menschen, die ich kenne.“

Stephanie band die Plastiktüte mit einem Stück Schnur zu und stellte sie zu den drei anderen neben die Tür. Dann wandte Stephanie sich Janey zu und sagte energisch: „Ich möchte nicht mehr über Tony sprechen.“

„Na schön. Aber er wollte dich doch in seinem Jaguar nach Rockfield bringen, und jetzt musst du mit deinem alten Lieferwagen fahren, der, wie du genau weißt, alles andere als verlässlich ist. Der Motor stottert und …“

„Ich bitte meinen Vater, sich den Wagen anzusehen, wenn ich zu Hause bin.“

„Du solltest den Wagen überprüfen lassen, bevor du losfährst, Stephanie.“

„Das kann ich mir momentan nicht leisten.“

„Klar, du hast ja dein Konto geplündert, um dir die Louis-Féraud-Bluse für Tonys Party zu kaufen.“ Janey seufzte. „Du hast in der falschen Liga zu spielen versucht, Schätzchen, und …“

„Janey!“ Stephanies Stimme klang warnend.

Janey sah finster drein. „Ich mach’ mir doch nur Sorgen, dass du irgendwo unterwegs stecken bleibst, und das ist bei dem Schnee und Eis kein Vergnügen. Warum fährst du nicht mit dem Bus nach Hause?“

„Kannst du dir vorstellen, wie ich all die Taschen und Tüten in einen Bus mitnehme?“

„Lass die Spielsachen hier. Den Kindern macht das sicher nichts aus.“

„Du meinst, es würde meinen Neffen und Nichten nichts ausmachen, wenn sie diesmal keine Kuscheltiere bekämen? Du irrst dich, Janey. Meine selbst gemachten Plüschtiere sind für sie der Höhepunkt des Festes.“ Stephanie wischte sich die Hände an der cremefarbenen Hose ab. „Würdest du jetzt aufhören zu nörgeln und mir stattdessen helfen, die Tüten zum Wagen zu tragen? Ich möchte mich nämlich auf den Weg machen.“ Sie ging zum Frisiertisch, wobei sie blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, und setzte sich die rote Mütze mit dem weißen Rand verwegen schief auf. Das sah flott aus, aber sie fühlte sich genau das Gegenteil, nämlich traurig und verletzt.

Dann rang sie sich ein strahlendes Lächeln ab.

„Okay, ich bin bereit“, sagte sie und zog den roten Mantel an.

Janey stand vom Bett auf, und das taillenlange flammend rote Haar umgab sie wie ein Schleier. „Hast du deine Eltern angerufen?“, fragte sie. „Wissen sie, dass du einen Tag früher als geplant nach Hause fährst?“

„Nein … ach, verflixt, wie bist du denn da unten hingeraten?“ Stephanie bückte sich und hob einen Teddybären auf, der unter den Schaukelstuhl gerutscht war. Der Teddy war – wie sie fand – ihr bestes Werk: aus nussbraunem Plüsch, weich und kuschelig, mit Glasaugen und einem fast lebensechten Ausdruck. Sie öffnete die Reisetasche und legte den Teddy oben auf ihre Sachen. Als sie die Tasche schließen wollte, tauchte der Kopf des Bären wieder auf, weil nicht genug Platz war. Der Teddy sah aus, als wollte er sagen: Ich brauche Luft! Unwillkürlich lächelte Stephanie und befestigte die Verschlüsse, so gut es ging.

„Stephanie, was ist nun mit deinen Eltern?“

„Ich habe sie nicht informiert, dass ich früher komme. Wenn sie wüssten, dass ich allein fahre, würden sie sich nur Sorgen machen.“

„Und was ist mit deinem ‚Paradies der Kuscheltiere‘?“

„Meine Assistentin Joyce kümmert sich um den Laden, und ihre Tochter Gina hilft ihr. Gina erwartet im Juni ein Baby. Sie und ihr Freund sparen für die Hochzeit, deshalb kommt ihr das Extrageld gelegen.“

„Du scheinst ja alles gut im Griff zu haben.“ Janey nahm zwei der orangenfarbenen Plastiktüten und ging in den Flur. „Wie lange bist du voraussichtlich unterwegs?“, fragte sie Stephanie, die an der Tür stand und einen letzten prüfenden Blick ins Zimmer warf.

„Vier bis fünf Stunden“, antwortete Stephanie und folgte, die anderen Taschen tragend, ihrer Freundin in die Eingangshalle des dreistöckigen Hauses. „Zwei Tage vor Weihnachten herrscht sicher schon dichter Verkehr, aber da es in den letzten Tagen nicht geschneit hat, müssten die Straßen ansonsten frei sein. Also erreiche ich Rockfield noch vor Einbruch der Dunkelheit – mit ein bisschen Glück.“

Das Wetter war noch gut, als Stephanie Boston verließ, doch in Montpellier, wo sie tankte, hatte sich der Himmel mit drohend dunkelgrauen Wolken bezogen.

„Heut’ wird es früh dunkel“, meinte der Tankwart und blickte zum Himmel. „Außerdem ist ein heftiger Sturm angekündigt. Haben Sie’s noch weit?“

„Ich fahre nach Rockfield.“

„Ach ja? Dann passen Sie auf den schmalen Bergstraßen auf, sobald Sie die Autobahn verlassen haben. Die sind im Winter ziemlich problematisch.“

Stephanie lächelte zustimmend und nahm sich vor, tatsächlich sehr vorsichtig zu sein. Dann drehte sie den Zündschlüssel. Nichts tat sich. Nach sechs vergeblichen Versuchen, den Motor zu starten, schickte sie sich ins Unvermeidliche. Heute würde sie wahrscheinlich nicht mehr die „problematischen Bergstraßen“ zu bewältigen haben. Sie zog den Mantel enger um sich, stieg sie aus und ging zur Werkstatt der Tankstelle. Es war so kalt, dass ihr die Luft in der Nase prickelte.

Ein Mechaniker begleitete Stephanie zu ihrem Auto zurück und inspizierte den Motor. „Klar können wir das reparieren“, sagte der Mechaniker dann. „Aber wir haben erst später Zeit dafür. Nach neun Uhr abends können Sie den Wagen haben.“

Ach, du lieber Himmel, wie soll ich mir bis dahin die Zeit vertreiben? fragte Stephanie sich.

Der Mechaniker beschrieb ihr den Weg zu einem nahe gelegenen Einkaufszentrum, wo sie einige Stunden ziellos herumbummelte, dann einen Hamburger aß und mehrere Tassen Kaffee trank, bevor sie in ein Kino ging. Als sie es um Viertel vor neun verließ, wehte durch die Straßen ein eisigkalter Wind, der nach Schnee roch. Rasch ging Stephanie zur Tankstelle zurück.

Die Reparatur war ausgeführt worden und kostete einen ziemlich hohen Betrag, den sie mittels Kreditkarte beglich. Wenn die Abrechnung kommt, habe ich sicher wieder Geld auf dem Konto, dachte Stephanie wenig später und bog auf die Autobahn ab. Wenigstens war der Wagen jetzt wieder verlässlich.

Der Schneesturm brach erst mit voller Wucht herein, nachdem Stephanie die Autobahn verlassen hatte. Sie fuhr gerade über eine Brücke, als plötzlich der Schnee so dicht herunterwirbelte, dass sie sekundenlang überhaupt nichts mehr sah. Rasch schaltete sie den Scheibenwischer ein.

Ach, du lieber Himmel! Sie verlangsamte das Tempo und blickte angestrengt in das dichte Schneetreiben. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen? Wenn doch nur Tony bei ihr wäre …

Oh nein! Den Gedanken konnte sie streichen. Anthony Howard Gould war ein Schwindler, bei ihm war alles nur schöner Schein, einen guten Charakter hatte er nicht. Ich brauche Tony so dringend wie ein Loch im Kopf, dachte sie sarkastisch.

Nach einer Stunde wurde Stephanie klar, dass sie irgendwo falsch abgebogen sein musste, weil sie sich bei dem Schneesturm nicht richtig hatte orientieren können. Sie hätte nämlich inzwischen schon den sanft ansteigenden Berghang hinauffahren müssen, der nach Rockfield führte, und nicht bergab Richtung … ja, wohin eigentlich?

Erschrocken bemerkte sie, dass die Neigung gefährlich steil wurde. Stephanie bremste, aber der Wagen beschleunigte immer mehr. Verdammt! Warum wurde das Auto nicht langsamer?

Von Panik erfüllt, trat sie aufs Bremspedal, und der Wagen geriet ins Schleudern. Krampfhaft umklammerte Stephanie das Steuer und versuchte verzweifelt, in der Dunkelheit und in dem Schneegestöber etwas zu erkennen.

Die Schneewehe bemerkte sie erst, als sie mitten darin steckte.

Damian McAllister stöhnte und barg das unrasierte Gesicht verzweifelt im Kissen.

„Verschwindet!“ Seine Stimme klang heiser. „Um Himmels willen, geht weg und lasst mich allein …“

Es wurde weiterhin unbarmherzig geklingelt und an die Haustür geklopft – laut, hartnäckig und fordernd. Die Türglocke klang so schrill, dass sie selbst Tote aufgeweckt hätte. Und Damian wäre am liebsten tot gewesen …

Zuerst hatte er geglaubt, der Lärm würde nur in seinem Kopf existieren als ein weiteres Symptom der Grippe, die ihn folterte, seitdem er hier war. Von Boston kommend, hatte er es gerade noch geschafft, mit weichen Knien ins Haus und in sein Schlafzimmer zu wanken.

Wahrscheinlich wird jetzt jeden Moment die Haustür eingeschlagen, dachte Damian stöhnend. Was immer der Besucher wollte, er würde offensichtlich nicht gehen, bevor er es bekommen hatte.

Dann steh lieber auf, und bring es hinter dich, sagte Damian sich.

Er brauchte mehrere Minuten, um das Bett zu verlassen, Jeans anzuziehen und den Reißverschluss zuzumachen, wobei er die ganze Zeit fluchte. Er gelangte schließlich zur Schlafzimmertür, wobei er sich an den Möbeln abstützte. Ein größeres Problem war, die Treppe zu bewältigen. Er schaffte es, nach unten zu gehen, obwohl er auf der letzten Stufe mehr als bereit war, alles aufzugeben. Wie spät war es eigentlich? Und welcher Wochentag? Er war bei Dienstag angekommen und hatte alle Lampen angelassen. Vor den Fenstern herrschte undurchdringliches Dunkel.

Damian schwankte durch die Diele und taumelte gegen die Haustür. Als er den Riegel zurückzog, klingelte es wieder, und das Geräusch ließ fast sein Trommelfell platzen.

„Moment“, sagte Damian heiser. „Nicht so ungeduldig.“

Er öffnete die Tür.

Und gleichzeitig passierte zweierlei: Erstens traf ihn ein so eisigkalter Luftzug, dass ihm der Atem stockte, und zweitens sah Damian, dass vor der Tür eine Frau stand.

Ungläubig blickte er sie an, und sie betrachtete ihn zugleich verwundert und erschrocken. Ihr langer roter Mantel war mit Schnee bedeckt, sie trug schwarze Stiefel und eine rote Mütze mit weißem Rand.

Über die Schulter hatte sich die Frau einen Sack gehängt, einen weichen weißen Ledersack, aus dem oben ein … tatsächlich … ein Teddybär herausschaute.

Mit zittriger Stimme sagte die Unbekannte: „Dem Himmel sei Dank.“ Sie stellte den Sack hin. „Ich dachte schon, es wäre niemand zu Hause!“

Der Weihnachtsmann, dachte Damian wie benommen. Nein, die Weihnachtsfrau! Aber hätte sie nicht durch den Kamin ins Haus kommen müssen?

Er schauderte. Die Knie wurden ihm weich, und er musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht umzufallen. Eisig blies ihm die Winterluft über die nackte Brust.

„Gehen Sie weg“, sagte Damian heiser. „Sie sind an der falschen Adresse. Bei mir findet Weihnachten nicht statt.“

Er wollte die Tür zumachen, aber die Unbekannte kam näher und sah ihn dabei flehend an.

„Warten Sie“, bat sie.

Er bemerkte, dass ihre Augen grün und von dichten dunklen Wimpern umrahmt waren. Die Lider waren gerötet. Vor Kälte? Oder hatte die Frau geweint?

Damian zögerte. Eine innere Stimme – die Stimme der Vernunft – versuchte, ihm etwas zuzuflüstern …

„Dürfte ich reinkommen und kurz telefonieren?“, bat die Unbekannte. „Ich hatte einen Unfall. Mein Lieferwagen ist in einer Schneewehe stecken geblieben, gleich vor Ihrer Auffahrt, und …“

„Sind Sie verletzt?“, fragte Damian.

„Nein, ich habe einen Schock erlitten, aber wehgetan habe ich mir nicht. Ich möchte dringend eine Werkstatt anrufen und jemand bestellen, der meinen Wagen abschleppt. Dann sind Sie mich wieder los. Ehrlich!“

Lieferwagen? Der Weihnachtsmann – oder auch die Weihnachtsfrau – fuhr doch mit einem Rentierschlitten herum, oder? Überleg dir gut, worauf du dich einlässt, sagte die innere Stimme Damian, aber da die Unbekannte ihn so verzweifelt um Hilfe gebeten hatte, achtete er nicht auf die Warnung.

Nachgiebig seufzte er und winkte die Fremde herein.

Sie schüttelte den Schnee von den Stiefeln, nahm den Sack und kam dann erst ins Haus, umweht von einem Schwall kalter Luft und einem zarten Hauch Parfüm.

Damian schloss die Tür und folgte, leicht schwankend, der Unbekannten ins Wohnzimmer.

„Wo ist denn das Telefon?“, fragte sie.

„Dort drüben“, antwortete er heiser, schauderte wieder und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust. „Bitte, bedienen Sie sich.“

Sie stellte den Sack hin. Starr blickte der Teddy oben heraus, während die Fremde die Mütze abnahm und die dichten, seidigen dunkelbraunen Locken ausschüttelte. Ihre Stirn war sanft gerundet, die Nase gerade, und Grübchen zeigten sich in den Wangen.

Die junge Frau knöpfte den Mantel auf und sagte halblaut: „Wenn Sie nichts dagegen haben, ziehe ich ihn aus, sonst ist mir nachher, wenn ich wieder nach draußen gehe, schrecklich kalt.“ Obwohl Damian nicht antwortete, zog sie den Mantel aus, schüttelte den daran haftenden Schnee in den Kamin und hängte den Mantel über eine Sessellehne.

Damian bemerkte wie nebenbei, dass die Fremde einen dicken roten Pullover und eine cremeweiße, enge Hose trug, die sie in die schwarzen Stiefel gestopft hatte. Eine Hose, die den sehr attraktiven, knackigen …

„Wo bin ich hier eigentlich?“, fragte die Frau, wandte sich um und lächelte entschuldigend. „Ich muss den Leuten vom Abschleppdienst doch die genaue Adresse mitteilen.“

Damian hatte das Gefühl, vom brennenden Fieber verzehrt zu werden, gleichzeitig hatte ihn ein Anfall von Schüttelfrost gepackt. Die Stimme der Fremden schien wie ein Echo in seinem Kopf nachzuhallen. Plötzlich wünschte Damian sich nur noch, wieder ins Bett zu gehen und sich unter der Decke zu verkriechen.

„Sie sind hier bei McAllister an der Straße nach Tarlity“, brummelte Damian. „Übrigens, ich habe die verflixte Grippe und bin nicht in der Lage, mich um Sie zu kümmern. Fühlen Sie sich wie zu Hause, bis der Abschleppwagen kommt. Rufen Sie Bob Grantham an. Er hat die einzige Autowerkstatt in der Gegend, und man kann sich auf ihn verlassen.“ Damian hob grüßend die Hand und wandte sich so rasch um, dass ihm schwindlig wurde. Dann ging er schwankend zur Treppe.

Als er es endlich bis oben geschafft hatte, hörte er die Fremde im Wohnzimmer sprechen. Anscheinend hatte sie Bob Grantham erreicht.

Damian ging in sein Schlafzimmer und machte die Tür zu. Dann taumelte er zum Bett, ließ sich hineinsinken und zog die Daunendecke über die eiskalten Schultern. Noch während er befürchtete, ihm würde niemals wieder warm werden, schlief er ein.

2. KAPITEL

„Tut mir leid, junge Frau, aber heute Abend schaffen wir es nicht mehr.“

„Sind Sie sicher, Mr Grantham? Ich bin hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, im Haus eines völlig Fremden gestrandet.“ Stephanie blickte verstohlen zur Treppe und fügte leise hinzu: „Der Mann könnte ein Massenmörder sein.“

Dröhnendes Gelächter erklang aus dem Telefonhörer, und sie zuckte zusammen.

„Sie rufen doch vom Haus Mr McAllisters an, stimmt’s?“

„Ja, genau.“

„Ich kenne Mr McAllister seit Jahren. Der Mann ist ein Eigenbrötler, aber genauso wenig ein Massenmörder wie ich. Das können Sie mir glauben, Miss. Also, ich schicke morgen früh jemanden vorbei. Das heißt, wenn das Wetter es erlaubt.“ Und ohne ein weiteres Wort legte Mr Grantham den Hörer auf.

Und was mache ich jetzt? fragte sich Stephanie und legte ebenfalls auf. Es gab nur eine Möglichkeit: Sie musste den mürrischen McAllister bitten, die Nacht in seinem Haus verbringen zu dürfen. Nein, nicht bitten, verbesserte sie sich. Sie würde ihm mitteilen, dass sie die Nacht hier verbringen musste.

Rasch zog sie die Stiefel aus und ging zögernd zur Treppe. Obwohl es warm im Haus war, schauderte Stephanie.

Mr Grantham hatte sich zwar für ihren Gastgeber verbürgt, aber wer garantierte ihr, dass der Mann oben tatsächlich McAllister war? Der Unbekannte konnte ja auch Mr McAllister mit einer Axt erschlagen haben und nun auf sein nächstes Opfer lauern … Ihr Herz pochte laut.

Im oberen Stockwerk entdeckte sie vier Türen, drei davon standen offen. Sie ging auf Zehenspitzen den Flur entlang und schaute in die Zimmer. Keines sah bewohnt aus. Stephanie ging zur vierten Tür und öffnete sie vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter.

In dem schwachen Licht, das vom Treppenabsatz her ins Zimmer fiel, erkannte Stephanie ein großes Bett mit einer Daunendecke darauf. Unter der Decke lag ein Mann, dessen schwarzes Haar sich dunkel wie ein Schatten von dem weißen Kissen abhob.

„Mr McAllister“, sagte Stephanie leise und ging ins Zimmer. „Sind Sie wach?“

Keine Antwort.

Zögernd ging sie weiter und war nach einigen Schritten nahe genug am Bett, um den Mann zu berühren. Leicht legte sie ihm die Hand auf die Brust. „Mr McAlli…“

Der Mann zuckte zusammen, stöhnte laut und sagte heiser: „Verschwinden Sie!“ Dann rutschte er tiefer unter die Decke.

„Ich muss heute Nacht hierbleiben“, erklärte Stephanie. „Das wollte ich Ihnen nur sagen. Ist es Ihnen recht?“

Zuerst dachte sie, er hätte sie nicht gehört. Als sie sich gerade umdrehen wollte, streckte er den Arm unter der Decke hervor, den Daumen nach oben gewandt. Dann ließ er den Arm schlaff über die Bettkante hängen.

„Danke“, flüsterte Stephanie, verließ leise das Zimmer und schloss die Tür.

Aus dem Nebenraum holte sie eine Decke und ein Kissen, ging damit zurück ins Wohnzimmer und richtete auf dem Sofa ein Bett her.

Dann erkundete sie das Erdgeschoss, weil sie das Bad suchte, und entdeckte eine modern eingerichtete Küche, ein Esszimmer, ein behagliches Fernsehzimmer und endlich ein Gäste-WC.

Sie wusch sich flüchtig, putzte sich die Zähne und zog ein knielanges rotes T-Shirt als Nachthemd an. Nachdem sie das Haar im Nacken zusammengebunden hatte, ging sie wieder ins Wohnzimmer zurück und knipste unterwegs alle Lampen aus, bis auf die auf dem Couchtisch. Bevor Stephanie sich unter die Decke kuschelte, wollte sie auch die Lampe neben sich ausknipsen, aber sie zögerte nervös, als sie sah, wie unheimlich die Schatten im Zimmer wirkten. Sie lagen auf den Orientteppichen, den hohen Bücherregalen, den weich gepolsterten Sesseln … und dem großen, düsteren Ölbild, das ihr einen Schauder verursachte.

Hier ist es wie in einem Gruselschloss, dachte sie beklommen.

Und bevor sie einschlief, war ihr letzter Gedanke: Sollte der Mann oben doch ein verrückter Mörder mit einer Axt sein, dann hoffe ich nur, dass die scharf und mein Ende rasch und schmerzlos ist.

War das eine fürchterliche Nacht gewesen! Damian McAllister drehte sich auf den Rücken und blickte müde zur Decke. Halluzinationen waren ja eine Sache – er hatte sie schon mehrmals bei hohem Fieber erlebt –, aber Halluzinationen wie die in den vergangenen Stunden waren etwas anderes. Sie waren ihm so wirklich und greifbar erschienen wie die Matratze, die er unter sich spürte.

Sicher, er war daran gewöhnt, zur Weihnachtszeit Albträume zu haben. Sie hatten ihn schon als Kind gequält. In den vergangenen fünf Jahren waren sie allerdings schlimmer geworden, seit …

Mit bebenden Fingern strich er sich über die Lider.

Denk nicht daran, ermahnte er sich und verdrängte mühsam die Erinnerungen.

Er schob die Decke beiseite und stand auf. Seine Knie waren so weich, dass er Angst hatte umzusinken, aber er schaffte es ins Badezimmer.

Dort stützte er die Hände auf den Waschtisch und betrachtete sich finster im Spiegel.

„Ach, du lieber Himmel!“, sagte Damian leise. Er sah aus wie ein steckbrieflich gesuchter Verbrecher: das schwarze Haar war völlig zerzaust, Bartstoppeln bedeckten das Kinn, und die Augen waren blutunterlaufen.

„Ich brauche dringend eine Dusche und eine Rasur“, sagte Damian. Allerdings war er sich ziemlich sicher, er würde in der Duschkabine zusammenbrechen. Zuerst musste er etwas in den Magen bekommen, am besten schönen, heißen Kaffee.

So sehr sehnte er sich nach einer Tasse Kaffee, dass er hätte schwören können, er würde den aromatischen Duft frisch gekochten Kaffees wahrnehmen …

„Und der Sturm, der seit gestern den Nordosten Vermonts heimsucht, zeigt keine Anzeichen dafür, sich abzuschwächen.“

Verdammt! Stirnrunzelnd schaltete Stephanie das Radio aus, das sie zehn Minuten zuvor eingeschaltet hatte, als sie in die Küche gekommen war. Sie goss sich eine Tasse Kaffee ein und ging damit zur verglasten Terrassentür. Starr blickte Stephanie nach draußen. Die Mühe hätte ich mir sparen können, dachte sie bedrückt. Man sah nur dichtes Schneetreiben. Dass Mr Grantham bei dem Wetter einen Wagen schickte, war so unwahrscheinlich wie ein Ausflug zum Mond.

Da saß sie nun in diesem einsam gelegenen Haus fest mit einem …

„Oh, hallo und guten Morgen!“

Stephanie wirbelte herum und blickte mit großen Augen den Mann an, der an der Küchentür stand und sich mit beiden Händen am Türrahmen abstützte. McAllister. Falls er tatsächlich McAllister war …

Er trug dieselben Jeans wie nachts. Außerdem sah er noch genauso finster aus … wie Amerikas meistgesuchter Verbrecher. Aber wenigstens hielt er keine Axt in der Hand.

Allerdings würde er keine Waffe brauchen, um mich zu überwältigen, dachte Stephanie und ließ den Blick über seine muskulösen Arme, die dunkel behaarte Brust und die kräftigen Schenkel gleiten.

Schließlich blickte sie ihm ins Gesicht und stellte fest, dass er interessiert ihre Beine betrachtete. Sie trug noch das kurze Nachthemd, denn es war so früh am Morgen, dass sie sich sicher gewesen war, sie könne erst mal ungestört eine Tasse Kaffee trinken, bevor sie duschte und sich anzog. Das war ein Fehler gewesen.

„Ich falle Ihnen nur ungern zur Last“, sagte Stephanie. „Aber Sie haben mir gestern Nacht erlaubt hierzubleiben.“

„Sie existieren also wirklich.“ Um seine Lippen zuckte es.

„Wirklich?“, wiederholte Stephanie verwirrt.

„Ja, ich dachte, Sie wären Frau Weihnachtsmann.“

Ungläubig zog sie die Brauen hoch.

Er ließ die Arme sinken und lehnte sich schwer gegen den Türrahmen. „Sie hatten nämlich einen roten Mantel an, eine rote Mütze mit weißem Rand auf dem Kopf, und Sie hielten einen Sack mit Spielzeug in der Hand.“

„Ach so.“ Stephanie lachte leise. „Das war kein Sack, sondern meine Reisetasche. Den Teddy habe ich nur oben auf meine Sachen gesetzt, und dann ging der Verschluss nicht mehr ganz zu.“

Ihr Gastgeber rieb sich die Brust und gähnte, wobei er perfekte Zähne sehen ließ. „Nach dem Aufwachen dachte ich, ich hätte letzte Nacht an Halluzinationen gelitten, aber jetzt sehe ich, dass das nicht stimmt. Und Ihr Rentierschlitten … ich meine, Ihr Auto steckt in einer Schneewehe fest?“

„Ja. Als ich den Hügel hinunterfuhr, ist der Wagen ins Schleudern geraten und neben Ihrer Auffahrt von der Straße in den Schnee gerutscht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, als ich das Haus hier entdeckte und sah, dass alle Lampen brannten, was ja bedeutete, dass jemand da war. Aber dann geriet ich in Panik, als …“

„Ich so lange brauchte, um die Tür zu öffnen“, beendete er den Satz. „Irgendwie erinnere ich mich schwach daran, Ihnen gesagt zu haben, Sie sollten sich wie zu Hause fühlen.“ Er blickte auf die Kaffeetasse in ihrer Hand. „Wie ich sehe, haben Sie mich beim Wort genommen.“

Stephanie wies auf die zweite Tasse auf dem Tisch. „Gleich wollte ich Ihnen Kaffee ans Bett bringen.“

„Wenn ich das gewusst hätte!“, erwiderte er amüsiert.

Flirtet er etwa mit mir? fragte sich Stephanie. Lieber Himmel, das hatte ihr noch gefehlt! „Sahne und Zucker?“

„Nur Sahne, bitte.“

Er ging auf den Tisch zu, fing aber unvermittelt zu schwanken an.

Besorgt musterte Stephanie ihn. „Sind Sie okay? Sie sehen aus, als …“

Plötzlich gaben seine Knie nach. Sie eilte zu ihm und versuchte, ihn zu stützen. Wie ein kleines Boot, das einen riesigen Dampfer aufzuhalten versucht, dachte sie, als er schwer gegen sie sank und Halt suchend den Arm um ihre Schultern legte.

„Ich hätte im Bett bleiben sollen“, brummelte er.

„Dann bringe ich Sie nach oben“, bot Stephanie, stoßweise atmend, an. Sein Gewicht drückte sie fast nieder. „Kommen Sie.“

Sie wollte ihn zur Tür führen, aber er ging in die entgegengesetzte Richtung los. Dann verlor er das Gleichgewicht, und sie war nicht in der Lage, ihn aufrecht zu halten. Gemeinsam taumelten sie durch die Küche und stießen schließlich neben der Tür heftig gegen die Wand.

Dort blieben sie, wie in einer innigen Umarmung, stehen.

Stephanie spürte seinen unregelmäßigen Herzschlag, sein raues Haar und die feinen Schweißperlen auf seiner glatten Haut, und blickte rasch zu ihm auf.

Er hatte den Kopf an die Wand gelehnt und sah sie aus halbgeschlossenen Augen an. Seine Wimpern waren beneidenswert dunkel und dicht.

Stockend sagte er: „Sie sind ein hübscher Anblick.“

Beim Sprechen schloss er die Augen, und Stephanie erkannte, dass er kurz davor war, ohnmächtig zu werden.

„Sie sind alles andere als ein hübscher Anblick“, erwiderte sie und zog seinen Arm fester um ihre Schultern.

Ihr Gastgeber lachte heiser. „Das ist wahr.“

„Kommen Sie ins Wohnzimmer, und legen Sie sich aufs Sofa.“

„Ich will in mein Bett.“

„Das schaffen Sie nicht. Um Himmels willen, tun Sie doch einfach, was ich Ihnen sage.“

„Jawohl, Gnädigste.“

Sie stolperten gemeinsam ins Wohnzimmer, und sie führte ihn zum Sofa. Bevor er darauf sank, zog sie rasch die Decke weg. Sein Kopf fiel schwer aufs Kissen.

„Decken Sie mich zu“, bat er mühsam. „Mir ist eiskalt.“

Stephanie war froh, ihn zuzudecken, denn sie hatte noch nie einen so gut gebauten Mann gesehen, und sie wäre sich wie eine Voyeurin vorgekommen, wenn sie ihn länger betrachtet hätte. Einen kurzen Blick wagte sie aber doch, bevor sie ihn zudeckte.

Er ist überhaupt nicht mein Typ, dachte sie. Sein Haar war ein bisschen zu lang, sein markantes Gesicht unrasiert, und er war kräftig und muskulös. Wahrscheinlich ein rauer, ungehobelter Naturbursche … aber er schien doch harmlos zu sein.

„Soll ich Ihnen den Kaffee bringen?“, fragte Stephanie und merkte dann, dass er bereits schlief.

Erschöpft von der Anstrengung, ihn zum Sofa zu lotsen, setzte sie sich in einen Sessel und blickte ihren unfreiwilligen Gastgeber nachdenklich an.

Warum war er hier allein? Ausgerechnet zu Weihnachten, dem schönsten aller Familienfeste?

Sie konnte es kaum noch erwarten, endlich nach Hause zu ihren Angehörigen zu kommen.

Aber dieser Mann hielt nichts von Weihnachten. Das hatte er ihr ja am Vorabend unmissverständlich gesagt.

Warum machen Sie sich nichts aus Weihnachten? hätte sie den Unbekannten am liebsten gefragt.

Sogar im Schlaf wirkte er abweisend und unzugänglich. Das lag an den senkrechten Falten zwischen den Brauen, die tief eingekerbt zu sein schienen. Wie magisch angezogen, blickte sie unwillkürlich auf seine Lippen. Sie wirkten fest und sinnlich zugleich.

Stephanie seufzte.

Er bewegte sich, sagte halblaut etwas, das wie „Ashley“ klang, und schlief weiter. Erst mittags wachte er wieder auf.

Damian erinnerte sich, der jungen Frau morgens gesagt zu haben, sie sei hübsch. Das war nicht ganz richtig gewesen. Er betrachtete sie nun, ohne dass sie es merkte. Sie saß ihm gegenüber auf dem anderen Sofa und las in einem Magazin. Inzwischen hatte sie einen smaragdgrünen Pullover und eine dunkelblaue Stretchhose angezogen und das lockige Haar mit einer smaragdgrünen Schleife zusammengebunden. Er betrachtete das fein geschnittene Gesicht, den schön geschwungenen Mund und das dunkelbraune Haar mit dem rötlichen Schimmer. Sie ist nicht hübsch, sondern schön, dachte Damian. So schön, dass sie einem Mann unversehens das Herz stehlen konnte, wenn er nicht aufpasste. Wenn er an Weihnachten glauben würde, dann könnte er auch an Wunder glauben. Und dann würde er jetzt denken, die junge Frau wäre zu ihm geschickt worden, wäre ihm vom Schicksal bestimmt. Als ein Weihnachtswunder.

Aber Weihnachten und Wunder waren für andere da. Niemals für ihn.

Damian räusperte sich. „Sie sind ja noch immer hier.“

Sie blickte auf, schlug das Magazin zu und legte es weg. „Ja. Wie fühlen Sie sich?“

„Auf dem Weg der Besserung.“

„Gut.“

Er dehnte die verspannten Muskeln und verschränkte dann die Hände im Nacken. „Welcher Tag ist heute?“

„Der vierundzwanzigste Dezember.“

Damian lächelte ironisch. „Schon? Und wohin waren Sie unterwegs, als Sie gestern in meiner Schneewehe gelandet sind?“

„Nach Hause. Um Weihnachten zu feiern.“ Sie trug silberne Ohrringe mit grünen Steinen, deren Farbe genau zu ihren grünen Augen passte. „Eigentlich werde ich erst heute erwartet. Aber ich wollte sie überraschen und bin deshalb einen Tag früher losgefahren.“

„Mit ‚sie‘ meinen Sie Ihre Familie?“

„Ja. Alle meine Angehörigen leben in Rockfield: meine zwei Großmütter, meine Eltern, etliche Tanten und Onkel, meine vier Brüder mit ihren Frauen, und eine ganze Schar Neffen und Nichten, angefangen von einem Baby bis hin zu einem Jungen im Teenageralter mit Akne und verrückt spielenden Hormonen.“

Meine Güte, was für eine große Familie, dachte Damian neiderfüllt. „Und denen bringen Sie einen einzigen Teddy mit?“

Sie lachte hell. Unwillkürlich dachte er an einen klaren, sprudelnden Bach.

„Natürlich nicht. Ich habe eine ganze Wagenladung Geschenke im Auto.“ Eben noch hatten ihre Augen geleuchtet, jetzt blickte sie wieder ernst. Leise seufzend stand sie auf, ging ans Fenster und schaute hinaus, obwohl sie draußen wahrscheinlich nur dicht fallenden Schnee sah. Sie stand lang unbeweglich da. Stille breitete sich aus, abgesehen vom gelegentlichen Heulen einer Windbö.

Schließlich wischte die junge Frau über die Scheibe, die von ihrem Atem beschlagen war, und bewegte sich rastlos.

„Sie möchten unbedingt weiterfahren“, bemerkte Damian.

Sie wandte sich ihm zu. Ihre Miene wirkte angespannt. „Ich habe vorhin noch mal Mr Grantham angerufen. Er schickt erst dann jemand mit dem Abschleppwagen her, wenn der Sturm nachgelassen hat und die Straßen geräumt sind. Es könnte sein, dass ich hier noch eine Nacht bleiben muss.“

Damian schob die Decke beiseite und stand auf. Er schwankte leicht, aber als Stephanie ihm zu Hilfe eilen wollte, riss er sich zusammen. „Ich bin okay“, versicherte er ihr. „Mir war nur kurz schwindlig.“ Er ging zu ihr und hielt ihr die Hand hin. „Übrigens, ich bin Damian McAllister.

„Stephanie Redford“, stellte die junge Frau sich vor und schüttelte ihm die Hand.

Wieder nahm er Stephanies Parfüm wahr, einen zarten Duft, der ihn an Moos und Rosen denken ließ … und an zärtliche, sinnliche Küsse.

Damian schluckte trocken, ließ ihre Hand los und strich sich über das raue Kinn. Das sind gefährliche Gedanken, sagte er sich.

„Ich gehe jetzt nach oben, um zu duschen“, verkündete er.

„Inzwischen mache ich uns etwas zu essen.“

„Die Vorratskammer ist ziemlich leer.“

Stephanie lächelte. „Aber nicht völlig.“

Wieder überkam ihn ein leichtes Schwindelgefühl. „Gut.“

Während Damian nach oben ging, pfiff er leise und nachdenklich vor sich hin. Gereizt gestand er sich ein, dass er sich gefragt hatte, wie es sich wohl anfühlen mochte, ihr die Finger in das dichte lockige Haar zu schieben.

Und er hatte sich sogar vorgestellt, mit dieser Frau auf weichem Moos zu liegen, eingehüllt in Rosenduft – und sie leidenschaftlich zu küssen.

Er runzelte die Stirn. Seine Gefühl sagte ihm, dass Stephanie Redford keine Frau war, die leichtfertig einen Mann küsste, ohne sich viel dabei zu denken. Sie war schön und begehrenswert – und ein wirklich nettes Mädchen. Ganz sicher glaubte sie an Liebe und Ehe und das ganze Drumherum.

Weihnachten, zum Beispiel, war ihr ganz offensichtlich sehr wichtig.

Ihm nicht.

Fluchend öffnete er die Zimmertür. Er musste sich ganz fest vornehmen, Stephanie nie zu küssen, denn er wusste genau: wenn er sie jemals küssen würde, könnte er sie nie mehr vergessen.

Tränen liefen Stephanie über die Wangen. Leise schluchzend fuhr sie sich hastig mit dem Pulloverärmel übers Gesicht, während sie zum Radio eilte, um es auszuschalten.

Ich hätte doch wissen müssen, dass alle Sender heute Weihnachtslieder bringen, sagte sie sich.

Und dann auch noch ausgerechnet „Stille Nacht“! Das hatte sie unerträglich gerührt.

Zur Weihnachtszeit reagierte sie immer sehr gefühlsbetont, aber dieses Jahr war es besonders schlimm wegen der geplatzten Verlobung.

„Oh, was für ein appetitlicher Duft!“

Wie gelähmt blieb Stephanie stehen. McAllister! Hoffentlich hatte sie alle Tränenspuren beseitigt. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab und drehte sich um. Im ersten Moment meinte sie, an der Tür würde ein ihr völlig fremder Mann stehen. Sie blinzelte ungläubig und stellte dann fest, dass es doch McAllister war.

Und den Mann hatte sie als ungehobelten Naturburschen eingestuft? Sozusagen nicht viel zivilisierter als einen Neandertaler? Nachdem er geduscht und sich rasiert hatte, sah er einfach überwältigend attraktiv aus: Sein Gesicht war markant, das Kinn fest und energisch, und die Wangenknochen waren ausgeprägt, ebenso die Linien neben seinem Mund. Das dunkle Haar glänzte pechschwarz, und die stahlblauen Augen wirkten jetzt strahlend und klar. Er trug Jeans und einen blauen Pullover, der genau denselben Farbton wie seine Augen hatte.

McAllister sah nicht mehr aus wie ein steckbrieflich gesuchter Verbrecher, den jeder Polizist zu fangen versuchte. Nein, er war ein Traummann, den wahrscheinlich alle Frauen einzufangen versuchten, die nur einen Funken Sinnlichkeit besaßen.

Stephanies Herz pochte wild. Stockend sagte sie: „Ach, da sind Sie ja. Ich habe Würstchen, Milch und Eier im Kühlschrank gefunden. Das Brot ist nicht mehr ganz frisch, aber durchaus noch in Ordnung, glaube ich.“ Da der Toast gerade fertig war, nahm sie die Scheiben aus dem Toaster und butterte sie, wobei sie endlich den Blick von McAllister abwenden konnte. „Möchten sie Rührei oder Spiegelei?“, erkundigte sie sich.

„Spiegelei, bitte. Ich gieße schon mal den Kaffee ein.“

Ale er an ihr vorbeiging, nahm sie den Duft seines Rasierwassers wahr, einen würzigen, ausgesprochen maskulinen Duft.

Sie atmete tief durch und schlug die Eier in die Pfanne.

Schließlich war das späte Frühstück fertig. McAllister rückte für Stephanie höflich einen Stuhl zurecht und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.

„Danke“, sagte sie und schob McAllister das Sahnekännchen zu. „Sie tun doch Sahne, aber keinen Zucker in den Kaffee, stimmt’s?“

Er sah sie verblüfft an. „Sind Sie Hellseherin?“ Seine blauen Augen glitzerten.

„Nein.“ Sie lachte leise. „Ich habe Ihnen Kaffee angeboten, als Sie heute Morgen nach unten kamen. Erinnern Sie sich nicht mehr?“

„Jetzt ja. Verschwommen.“ Er goss Sahne in den Kaffee, rührte um und trank durstig einen Schluck. „Der ist gut, schön stark.“

Einige Minuten lang aßen sie schweigend. Unvermittelt ging Stephanie der Gedanke durch den Kopf, dass jemand, der sie beide jetzt durchs Fenster beobachten würde, sie für ein glücklich verheiratetes Paar halten könnte … Aber sie war nicht glücklich. Ihr war sogar unbehaglich zumute – seit McAllister nicht mehr wie ein Furcht einflößender Neandertaler wirkte, sondern sich in den attraktivsten Mann verwandelt hatte, der ihr jemals begegnet war.

„Und nun“, sagte er und lehnte sich zurück, „erzählen Sie mir doch ein bisschen über sich, bitte. Womit, zum Beispiel, verdienen Sie sich den Lebensunterhalt?“

Stephanie aß das letzte Stück Toast und sah McAllister schalkhaft an. „Raten Sie!“

„Geben Sie mir einen Hinweis.“

„Den haben Sie schon bekommen.“

„Ach ja?“ Er fuhr sich durchs Haar. „Mal überlegen. Sie sind Köchin?“

„Nein, versuchen Sie’s noch mal.“

So eindringlich sah er sie an, als könnte er die Antwort von ihrem Gesicht ablesen. „Sie machen Autos absichtlich für eine Schrottwagenmietfirma kaputt?“

Stephanie lachte hell, drehte sich um und nahm den Teddy von der Anrichte, den sie zuvor dorthin gesetzt hatte. „Das mache ich“, erklärte sie und warf McAllister den Teddy zu. „Ich entwerfe Plüschtiere und lasse sie von einer Firma in Montpellier nach meinen Anweisungen herstellen.“

Er fing den Bären auf und hielt ihn vorsichtig fest.

So vorsichtig hält ein Mann auch ein Baby, wenn er nicht daran gewöhnt ist, dachte sie amüsiert.

Plötzlich wirkten seine Züge angespannt, und er setzte den Bären rasch zurück auf die Anrichte.

„Und dann verkaufen Sie die Tiere?“, fragte McAllister ausdruckslos.

„Ja, in meinem Laden. Das heißt, ich habe die Räume nur gemietet“, erklärte Stephanie.

„Wo? In Montpellier?“

„Nein, in Boston“, antwortete sie und bemerkte, dass er sie überrascht ansah. „Seit drei Jahren bin ich dort. Die ersten beiden Jahre waren hart, aber jetzt geht es aufwärts.“ Stephanie lächelte. „Wenn Sie mal nach Boston kommen, schauen Sie doch im Laden vorbei. Er heißt ‚Paradies der Kuscheltiere‘.“

Dass der Name sehr ausgefallen war, wusste sie. Genau deshalb hatte sie ihn ja ausgesucht. Die meisten Leute, die ihn zum ersten Mal hörten, lächelten. McAllister lächelte nicht, sondern blickte sie starr an. Seine Augen wirkten plötzlich hart, und er runzelte finster die Stirn, so finster, als hätte Stephanie ein unanständiges Wort gesagt.

„Was ist denn los?“, fragte sie.

Er schob den Stuhl zurück und stand auf. „Nichts.“ Seine Stimme klang so schroff, wie es sein Benehmen war. „Trinken Sie den Kaffee doch im Wohnzimmer aus, während ich die Küche aufräume.“

Was, um Himmels willen, habe ich gesagt oder getan, das ihn in so schlechte Laune versetzt hat? fragte Stephanie sich. Glaubte er etwa, ihre Einladung, sie in Boston im Laden zu besuchen, wäre … wäre ein eindeutig zweideutiges Angebot gewesen? Ach, du lieber Himmel!

Stephanie wurde rot. Rasch goss sie sich noch Kaffee nach, stand auf und ging zur Tür. McAllister lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt, wartend an der Anrichte.

Nun eilte Stephanie so rasch weiter, dass der Kaffee beinahe übergeschwappt wäre, und stellte sich im Wohnzimmer ans Fenster.

Aus der Küche ertönte lautes Geschirrklappern. Es klang, als würde jemand seinen Zorn und seine Frustration an den Tellern und der Bratpfanne auslassen.

Falls McAllister gereizt ist, weil er glaubt, ich wollte mich ihm an den Hals werfen, dann soll er mal sein eigenes Verhalten unter die Lupe nehmen, dachte Stephanie trotzig. Vielleicht hätte sie ihm ins Gedächtnis rufen sollen, wie er darauf reagiert hatte, dass sie ihm Kaffee ans Bett hatte bringen wollen. „Wenn ich das gewusst hätte“, hatte er erwidert. Es hatte vielsagend geklungen. Und als sie ihn ins Wohnzimmer zu bringen versucht hatte und sie, wie in einer innigen Umarmung, gegen die Wand getaumelt waren, da hatte er sie, Stephanie, verlangend angesehen und mit verführerischer Stimme gesagt: „Sie sind ein hübscher Anblick.“

Missmutig ging Stephanie zum Regal und betrachtete die Bücher darauf. Schließlich wählte sie eine gebundene Ausgabe des Thrillers „Zu früh ins Grab“, den sie schon seit Langem hatte lesen wollen. Sie machte es sich auf dem Sofa bequem, begann aber nicht sofort zu lesen, sondern blickte starr vor sich hin.

Damian McAllister legte ganz offensichtlich keinen Wert auf ihre Gesellschaft. Na gut, dann würde sie ihm ab jetzt unmissverständlich zu verstehen geben, dass sie ihrerseits keinen Wert auf seine legte.

Endlich schlug sie das Buch auf. Auf der ersten Seite stand in schwungvoller Handschrift geschrieben: „Für meinen geliebten Schatz Damian von Ashley.“

„Miss Redford!“

Erschrocken fuhr Stephanie zusammen. Sie war beim vierten Kapitel des Thrillers und gerade an der Stelle angelangt, als der Mörder sich an sein zweites ahnungsloses Opfer anschlich. Rasch wandte sie sich um.

Hinter ihr stand ihr Gastgeber, eine Axt in der Hand …

Stephanies Herz schien einen Schlag lang auszusetzen, und ihr wurde ganz flau zumute. Fest presste sie das Buch an die Brust, als wäre es ein Schutzschild. „Was …“

„Ich gehe nach draußen und hacke etwas Feuerholz.“

„Sollten Sie sich heute nicht lieber noch schonen?“, fragte Stephanie stockend.

„Ich brauche frische Luft.“ Die Axtschneide glitzerte im Licht.

Stephanie schluckte trocken. „Na gut, dann gehen Sie eben nach draußen“, erwiderte sie zittrig, und ihr war egal, falls McAllister das auffiel.

Er nickte ihr flüchtig zu, wandte sich um und ging den schmalen Flur entlang, der zur Hintertür führte. Kurz darauf fiel die Tür krachend ins Schloss.

Erleichtert seufzte Stephanie und lachte unsicher. Ich habe eine zu lebhafte Fantasie, tadelte sie sich. Der Thriller war einfach nervenzerfetzend spannend, und als McAllister dann so unvermutet mit der Axt aufgetaucht war …

Sie legte das Buch weg und stand auf. Frische Luft hätte sie jetzt auch gern gehabt. Wenn McAllister sie gebeten hätte, ihn nach draußen zu begleiten, hätte sie zugestimmt. Aber er hatte sie nicht gefragt. Er wollte lieber allein sein.

Gedankenversunken ging sie ans Fenster und blickte hinaus auf die verschneite Landschaft. Plötzlich atmete Stephanie tief durch. Es schneite nicht mehr! Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel, Eiszapfen hingen glitzernd und funkelnd an der Dachrinne, und im Hintergrund erstreckte sich ein weites Tal mit schneebedeckten Bäumen entlang eines zugefrorenen Flusses.

Das ist das Winterwunderland, dachte Stephanie beeindruckt, wandte sich lächelnd um und eilte zum Telefon.

Sie rief Mr Grantham an und erfuhr, dass die Schneepflüge schon unterwegs waren und man ihr voraussichtlich am frühen Abend einen Abschleppwagen schicken würde.

Dem Himmel sei Dank, dachte Stephanie, als sie den Hörer auflegte, denn sie konnte es fast nicht mehr erwarten, endlich nach Hause zu kommen.

Und trotzdem … obwohl McAllister sich so abweisend und schroff benahm, machte sie sich Sorgen um ihn. Auf ihr Mitgefühl oder Interesse legte er sichtlich keinen Wert. Aber sie würde in den nächsten Tagen sicher an ihn denken und sich fragen, wie es ihm gehen mochte, hier draußen so ganz allein.

Und wer war eigentlich Ashley, deren Namen er im Schlaf gesagt hatte und die ihm das Buch … und ihre Liebe dazu … geschenkt hatte?

War Ashley noch mit ihm zusammen? Und falls ja, warum war sie dann nicht hier? Falls nein, warum träumte er dann noch von ihr und flüsterte ihren Namen?

Das ist ein Rätsel, ein Geheimnis, und wird es wohl auch immer für mich bleiben, dachte Stephanie bedauernd.

3. KAPITEL

Erst als es dunkel wurde, kehrte McAllister ins Haus zurück. Stephanie hörte, wie die Hintertür ins Schloss fiel, danach Schritte in der Diele.

Schließlich kam er ins Wohnzimmer. Sein Gesicht war von der Kälte gerötet, ein Schwall eisiger Luft folgte ihm, und er trug einen Armvoll Holz. Den brachte er zum Kamin und machte Feuer, das schon nach wenigen Minuten hell flackerte.

Erst danach zog McAllister den Parka aus, ließ ihn auf einen Sessel fallen und wischte sich die Hände an den Jeans ab.

„Sie waren offensichtlich auch fleißig“, meinte er, als er den appetitanregenden Duft aus der Küche wahrnahm. „Was haben Sie denn gekocht?“

„Einen Nudelauflauf“, antwortete Stephanie beiläufig. „Sie sollten endlich Lebensmittel einkaufen, Mr McAllister. Sonst sterben Sie entweder an Lungenentzündung, oder Sie verhungern.

„Möchten Sie einen Drink?“, fragte er schroff. „Whisky, Wein – was Sie wollen.“

Am liebsten hätte sie ihn abblitzen lassen, aber der Gedanke an ein Glas Wein war zu verführerisch. Immerhin war Heilig Abend, ein Abend zum Feiern und Fröhlichsein, aber bisher hatte sie wenig Grund zum Feiern gehabt. In diesem Haus schon gar nicht. Hier gab es ja nicht mal einen einzigen Stechpalmenzweig als festliche Dekoration.

„Ein Glas Weißwein hätte ich gern“, sagte Stephanie endlich.

„Kommt sofort.“

McAllister ging in die Küche und kam kurz darauf mit einem Glas Weißwein zurück, das er Stephanie reichte. Für sich hatte er einen Whisky on the Rocks zubereitet. Leise klirrten die Eiswürfel, als er sein Glas hob.

„Prost!“, sagte McAllister.

„Prost“, wiederholte Stephanie und fügte, ohne zu überlegen, hinzu: „Und fröhliche Weihnachten.“

Er brummelte etwas Unverständliches und ging zum Fenster.

Beim Anblick seines Spiegelbilds auf dem Glas dachte sie, was für ein mürrischer Mensch er doch war. Wieder einmal runzelte er finster die Stirn.

„Es wird Sie freuen, zu hören“, begann Stephanie zuckersüß, „dass Sie mich bald los sein werden. Ich habe vorhin Mr Grantham angerufen, und er hat mir versprochen, am frühen Abend einen Abschleppwagen herzuschicken.“

McAllister wandte sich ihr zu. „Und was tun Sie, falls Ihr Wagen fahruntüchtig ist?“

„Mr Grantham meinte, in dem Fall könnte ich mit dem Abschleppwagen nach Tarlity mitfahren und von dort aus ein Taxi oder den Bus nehmen.“

„Haben Sie noch andere Anrufe getätigt?“

„Nein“, erwiderte Stephanie kurz angebunden. „Und keine Sorge, ich bezahle Ihnen die drei Telefonate mit Mr Grantham, weil ich wirklich …“

„Miss Redford“, unterbrach McAllister sie, und es klang müde, „ich pfeife auf das Geld. Ich dachte mir nur, es könnte jemand geben, der sich Sorgen macht, wenn er weiß, dass Sie noch nicht zu Hause angekommen sind.“

„Oh.“ Plötzlich war sie zerknirscht. „Entschuldigen Sie, dass ich so schroff war.“

„Und?“, fragte er rau. „Gibt es jemand?“

„Wie bitte?“

„Jemand in Ihrem Leben.“

Damit meinte er natürlich einen Mann. Aber warum McAllister plötzlich so wütend klang, verstand Stephanie nicht. Und auf keinen Fall würde sie ihm von Tony erzählen, der jetzt in Aspen Weihnachten feierte … mit den Whitneys und ihrer attraktiven Tochter Tiffany, die schon seit Jahren für Tony schwärmte.

„Nein“, antwortete Stephanie beiläufig. „Es gibt niemanden in meinem Leben. Im Moment nicht.“ Mehr wollte sie dazu nicht sagen. „Und jetzt erzählen Sie mir doch ein bisschen mehr über sich, Mr McAllister. Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?“

Er war zum Kamin gegangen und lehnte sich an die Einfassung. Bei der Frage wurde sein Ausdruck abweisend.

„Ich zeichne.“ Das klang seltsam ausweichend. Dann blickte McAllister zu dem Gemälde, das Stephanie in der Nacht zuvor einen unheimlichen Schauder verursacht hatte. „Und ich male. Deshalb habe ich mir hier das Haus gebaut. Die Landschaft ist … aber ich brauche Ihnen ja nichts über die Schönheit Vermonts zu erzählen.“

Sie stellte ihr Glas ab, ging zu dem Ölgemälde und betrachtete es aus einem Meter Entfernung. „Das Bild haben Sie gemalt?“

„Ja.“

„Sie sind außergewöhnlich talentiert“, bemerkte sie nach einer Weile und wandte sich ihm wieder zu. Er lehnte noch immer am Kamin und beobachtete sie.

„Das ist keine sehr aussagekräftige Kritik“, erwiderte McAllister betont beiläufig, was sie aber nicht täuschte.

Stephanie betrachtete erneut das Bild und zögerte kurz. Schließlich sagte sie: „Die Wirkung des Bilds ist erstaunlich, so lebendig und dramatisch, und die Spiegelungen auf dem See sind wirklich meisterlich ausgeführt …“

„Aber?“, fragte McAllister dazwischen.

Er hatte also den zweifelnden Ton gehört. Verflixt! Sie straffte die Schultern. „Aber ich hätte das Bild nicht gern bei mir zu Hause. Es ist zu … aufwühlend.“

„Aufwühlend?“, hakte er kühl nach.

„Ja, und irgendwie bedrückend. Das düstere Tal, die schwarzen Wolken, der bedrohlich wirkende Raubvogel, der über dem verwundeten Hirsch schwebt …“

„Das ist ein Adler, Miss Redford.“

„Ich weiß“, erwiderte sie ungeduldig. „Aber er wirkt nicht majestätisch, sondern irgendwie … unheimlich.“ Leise seufzend schnitt sie ein Gesicht, ging zum Sofa zurück und setzte sich. „Tut mir leid, das wollten Sie sicher nicht hören, aber es ist meine ehrliche Meinung. Ich bevorzuge Bilder, die mir Freude bereiten. Es gibt genug Hässliches auf der Welt. Man muss es sich ja nicht sozusagen ins Haus holen.“ Sie zögerte kurz und fügte dann hinzu: „Wenn ich das Bild in einer Galerie gesehen hätte, hätte ich mir gedacht, der Künstler war sicher sehr unglücklich, als er das Bild …“

„Meine Güte, können Sie ein Gemälde nicht einfach betrachten, ohne nach tieferen Bedeutungen zu schürfen?“ McAllister klang wütend und stellte heftig sein Glas auf den Kaminsims. „Aber heutzutage ist ja jeder ein Hobbypsychologe. Habe ich etwa Ihren verflixten Teddybären angesehen und gesagt: ‚Sie sind sehr talentiert, Miss Redford, und das Fell dieses kleinen Bären hat einen bezaubernden Braunton … aber ich möchte den Bären nicht im Haus haben, weil er mich daran erinnert, dass nicht alle Familien glücklich sind und manches Kind kein Geschenk zu Weihnachten bekommt‘?“

Entsetzt sah Stephanie McAllister an und wurde blass. Sie ertrug es einfach nicht, wenn man laut und wütend mit ihr redete. Das schmerzte sie fast wie ein Schlag. „Entschuldigen Sie mich.“ Ihr war die Kehle wie zugeschnürt, und in ihren Augen brannten Tränen. Rasch stand sie auf und eilte in die Diele. Hoffentlich schaffe ich es bis ins Bad, bevor ich mich völlig in Tränen auflöse, dachte Stephanie.

Aber McAllister holte sie ein, legte ihr die Hände auf die Schultern und zwang sie, sich umzudrehen. Und er sah, dass sie jetzt weinte.

„Ach, um Himmels willen.“ Er seufzte rau, zog sie an sich und presste ihr Gesicht an seine Brust. „Seien Sie doch nicht so unerträglich sensibel! Ich wollte nur …“

„Sensibel?“ Wütend hob Stephanie den Kopf. „Sie könnten Sensibilität nicht mal dann erkennen, wenn die Ihnen eins auf die Nase geben würde, Mr McAllister.“ Ihre Augen funkelten, und ihr Atem ging stoßweise. „Wenn Sie wüssten, was Sensibilität ist, wären Sie jetzt nicht in dieser Situation …“

„Ich habe an dieser Situation nichts auszusetzen.“ Seine Stimme klang heiser. Behutsam wischte er Stephanie eine Träne von der Wange. „Im Gegenteil, ich finde sie äußerst … interessant.“

Beinahe hätte Stephanie laut gestöhnt. Sie fand es nicht bloß interessant, sie fühlte sich wie elektrisiert. Sobald McAllister sie in die Arme genommen hatte, war ihr Zorn verraucht. Aber nun schob sie McAllister weg und trat einen Schritt zurück.

„Ich finde, Mr McAllister“, sagte sie stockend, „dass Sie zu weit gehen.“

Er lächelte. „Ich glaube, Sie haben recht.“

„Das ist keine Glaubensfrage“, erwiderte sie schroff.

„Jawohl, Gnädigste.“

Stephanie ließ ihn stehen und ging, den Kopf hoch erhoben, ins Bad.

Das war knapp, dachte Damian und ging in die Küche. Nur ein Kuss … und er wäre verloren gewesen. Es war wie ein Traum gewesen, Stephanie im Arm zu halten. Sie war eine Frau, wie jeder Mann sie sich wünschte. Er begehrte sie. Und wie er sie begehrte! Sie war so süß, weiblich, schön und duftete so gut … am liebsten hätte er all die Stellen geküsst, auf die sie das Parfüm aufgetragen hatte. Auch jetzt noch hing der Duft in der Luft und brachte ihn fast um den Verstand.

So wie die Leuchtschrift im Schaufenster ihres Ladens ihn im vergangenen Monat fast um den Verstand gebracht hatte. Die Welt war wirklich klein. Ausgerechnet diese Frau, die sich für Kinder und Spielzeug und Weihnachten begeisterte, musste bei ihm sozusagen hereinschneien. Er wollte nichts von ihr wissen.

Nein, das stimmte nicht. Er wollte alles über sie wissen … und sie besitzen.

Frustriert fuhr er sich durchs Haar. Seine Gedanken und Gefühle waren völlig in Aufruhr.

In der Küche nahm Damian ein Geschirrtuch, holte den Auflauf aus dem Ofen und stellte ihn auf einen Korkuntersetzer auf der Anrichte. Der Auflauf sah sehr appetitlich aus mit der goldbraunen Käsekruste.

Noch vor einer halben Stunde beim Holzhacken hatte ich großen Hunger, jetzt ist er mir vergangen, dachte Damian. Das hieß, Hunger hatte er noch immer – aber nicht auf Essen.

Er hörte Stephanie in die Küche kommen und sagte, ohne sich umzudrehen: „Der Auflauf sieht gut aus.“

„Danke, das ist eins meiner bewährtesten Rezepte.“

„Möchten Sie noch ein Glas Wein?“

„Nein, danke, eins ist genug.“

Endlich wandte Damian sich um und sah, dass sie in einer Hand das Weinglas hielt, in der anderen den Drink, den er sich gemixt hatte. Als Stephanie die Gläser auf den Tisch stellte, nahm Damian wieder ihr zartes Parfüm wahr und fluchte im Stillen.

Stephanie trank einen Schluck und sagte dann: „Ich trinke nie mehr als ein Glas, wenn ich noch fahren muss.“

Natürlich, sie würde bald abfahren. Sobald der Abschleppwagen kam, würde sie weg sein.

„Richtig.“ Damian nahm einen Löffel. „Setzen Sie sich. Ich serviere.“

Zwischen ihnen herrschte eine Spannung, die früher nicht zu spüren gewesen war. Eine knisternde, beunruhigende, gefährliche Spannung.

Damian stellte die Teller auf den Tisch und setzte sich. Er schob Stephanie Pfeffer und Salz zu.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Sie wollen wahrscheinlich nachsalzen. Ich habe das Essen nicht stark gewürzt.“

„Ich bin mir sicher, der Auflauf schmeckt gut“, sagte Damian.

Das Essen war tatsächlich hervorragend. Es überraschte ihn, dass sein Appetit zurückkehrte. Appetit aufs Essen. Der andere Hunger, der sehnliche Wunsch, Stephanie zu küssen, war ja nie verschwunden.

Damian blickte auf und merkte, dass sie nicht aß. Sie saß da, die Hände verschränkt, und blickte ihn an. Ihre Augen waren so grün wie Laub im Frühling …

„Wer ist Ashley?“, fragte sie.

Stephanie hielt kurz den Atem an. Wieso hatte sie das gefragt? Das hatte sie nicht beabsichtigt gehabt. Und als sie nun sah, wie McAllister rot wurde, wusste sie, sie hatte einen großen Fehler gemacht. Nervös wartete sie auf McAllisters Reaktion.

„Wer, zur Hölle, hat Ihnen von Ashley erzählt?“, fragte er leise, und es klang drohend.

Dass er den Namen im Schlaf geflüstert hatte, wollte sie ihm lieber nicht sagen. Stattdessen erklärte sie beiläufig: „In dem Buch, das ich mir zum Lesen genommen habe, steht Ashleys Name.“

„Sie war meine Frau.“ McAllisters Miene wirkte zornig und abweisend. „Vor fünf Jahren ist sie gestorben.“

„Oh! Das tut mir …“

„Leid? Wie kann Ihnen jemand leidtun, den Sie nie getroffen haben?“, fragte er aufgebracht. „Ashley und ich waren verheiratet. Jetzt ist sie tot. Ende der Geschichte.“ Er funkelte sie an. Dann atmete er tief durch, wahrscheinlich um sich zu beruhigen, und widmete sich wieder dem Essen.

Stephanie war elend zumute. Sie wünschte sich sehnlich, sie hätte das Buch und den Namen darin nie gesehen. Normalerweise mochte sie Nudelauflauf, aber jetzt stocherte sie nur darin herum. Schließlich schob sie den Teller weg und stieß dabei den Pfefferstreuer an, der klappernd umfiel.

Finster blickte McAllister sie an.

Mit bebenden Fingern stellte Stephanie den Pfefferstreuer wieder aufrecht hin. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen“, sagte sie. „Ich möchte meine Sachen packen. Der Mann vom Abschleppdienst müsste bald hier sein.“

Sie stand auf, McAllister ebenfalls. Wenigstens hat er gute Manieren, aber im Grunde ist er ungehobelt, dachte sie. Mr Grantham hatte McAllister als Eigenbrötler beschrieben, und das war ihr Gastgeber wahrscheinlich nicht freiwillig. Wer wollte sich schon mit einem Mann abgeben, dessen Stimmungen sich so rasch und unerklärlich änderten?

Während sie ihre Sachen in die Reisetasche packte, beruhigte Stephanie sich wieder. Plötzlich verspürte sie Mitgefühl für McAllister. Er hatte seine Frau verloren, die er sicher geliebt hatte. Vielleicht war er früher, als sie noch lebte, anders gewesen. Vielleicht hatte Ashleys Tod ihn so schroff und mürrisch gemacht.

Stephanie seufzte. Warum mache ich mir dauernd Sorgen um andere Menschen? fragte sie sich. Bei Damian McAllister war das reine Zeitverschwendung, denn sie würde ihn, sobald sie sein Haus verlassen hatte, niemals wiedersehen.

Da klingelte es. Ob das der Mann von der Abschleppfirma war?

„Ich mache auf“, rief McAllister.

Stephanie ging in die Diele. Vor der Tür stand ein großer, kräftiger Mann, der warme Wintersachen trug. Was er zu McAllister sagte, konnte Stephanie nicht verstehen. Unten am Ende der Auffahrt blitzte gelbes Licht. Der Abschleppwagen.

Stephanie eilte zur Tür. „Haben Sie meinen Wagen aus der Schneewehe gezogen?“, fragte sie eifrig.

„Er ist nicht von der Abschleppfirma“, sagte McAllister mürrisch.

„Es gibt da ein Problem, Miss“, erklärte der Fremde. „Ihr Wagen steckte so tief im Schnee, dass ich ihn nicht rechtzeitig gesehen habe. Der Schneepflug hat ihn plattgemacht. Tut mir leid, aber Sie hätten ein Warndreieck oder so aufstellen sollen.“

Plötzlich wurden Stephanie die Knie weich. McAllister führte sie ins Wohnzimmer zurück und drückte sie in den Sessel am Kamin.

„Bleiben Sie hier“, befahl er ihr. „Ich kümmere mich darum.“ Er nahm den Parka von dem Sessel, auf den er ihn zuvor hatte fallen lassen. „Sitzenbleiben“, wiederholte McAllister im Kommandoton, als sie aufstehen wollte. „Ich sagte doch, dass ich mich um alles kümmere.“

Kraftlos sank Stephanie wieder zurück, während McAllister nach draußen ging und die Haustür krachend zuwarf.

Plattgemacht. Mein Wagen hat Totalschaden, dachte Stephanie, von Panik erfüllt. Und jetzt? Wie sollte sie jemals nach Hause kommen?

Zittrig stand sie auf, ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Dieses Weihnachtsfest würde mit Sicherheit nicht eins ihrer schönsten werden.

Plötzlich hörte sie, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde, dann rief McAllister: „Wo, zum Kuckuck, sind Sie?“

Stephanie eilte aus der Küche. „Hier.“

McAllisters Gesicht war von der Kälte gerötet, sein Haar vom Wind zerzaust, und seine Augen blickten ausdruckslos.

„Holen Sie Ihre Sachen“, sagte er. „Ich fahre Sie nach Hause.“

Ungläubig sah sie ihn an. „Sie wollen mich nach Rockfield bringen? Nein. Das ist nicht nötig.“

„Möchten Sie lieber zu Fuß gehen?“ Seine Stimme klang scharf.

„Natürlich nicht. Aber da die Straßen jetzt geräumt sind, kann mich jemand hier abholen. Ich rufe meine Eltern an und …“

„Machen Sie Witze? Das Letzte, was ich will, ist eine Horde Redfords in meinem Haus. Also, holen Sie jetzt Ihre Sachen.“ Sein Ton klang übertrieben geduldig. „Und dann machen wir uns auf den Weg.“

„Sie sind wirklich der unhöflichste Mann, dem ich jemals begegnet bin.“

Autor

Lee Wilkinson

Lee Wilkinson wuchs im englischen Nottingham als einziges Kind sehr liebevoller Eltern auf. Nach dem Abschluss auf einer reinen Mädchenschule versuchte sie sich in verschiedenen Berufen, u.a. war sie Model für Schwimmbekleidung. Mit 22 traf sie Denis. Sie heirateten ganz traditionell in Weiß, verbrachten ihre Flitterwochen in Italien und...

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