Erobert von dem Prinzen der Wüste

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Ich wünsche dir noch ein schönes Leben, Sharif! Scheich Sharif bin Nazih al-Aktoum ist fassungslos. Normalerweise sinken ihm die schönsten Frauen willenlos in die Arme. Aber Irene Taylor ist offensichtlich anders! Dabei versucht er seit 48 Stunden, sie zu verführen. Doch mit ihrer Absage ist sein männliches Interesse an dieser Traumfrau mit den aufregenden Kurven nicht gestorben. Im Gegenteil. Wenn er Irene nicht mit kostbaren Geschenken und seinem feurigem Charme locken kann, dann muss der Prinz der Wüste eben zu anderen Waffen greifen …


  • Erscheinungstag 20.01.2015
  • Bandnummer 2162
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701321
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Vom ersten Augenblick an war ihm klar, dass er sie haben musste!

Sharif bin Nazih al-Aktoum, Emir von Makhtar, hatte gerade noch über den Scherz eines Freundes gelacht, als er sich umdrehte und plötzlich diese Frau entdeckte. Sie stand ganz allein im Mondschein am Ufer des riesigen Comer Sees.

Ihr weißes Kleid leuchtete im silbrigen Licht der Novembernacht, und ihr pechschwarzes langes Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern. Sie hatte ein bildhübsches Gesicht, hielt die Augen jedoch fest geschlossen und formte mit ihren sinnlichen Lippen lautlose Worte.

Sein Gelächter verstummte. War sie ein Geist? Eine Traumerscheinung?

Vermutlich nur ein weiterer Hochzeitsgast! Nichts Besonderes jedenfalls. Andererseits …

Fasziniert starrte er sie an. Gerade eben hatte er sich noch über den Bräutigam lustig gemacht – einen notorischen Playboy, der den Fehler begangen hatte, seine Haushaltshilfe zu schwängern. Die frischgebackene Braut war zwar äußerst attraktiv und schien auch loyal und sehr nett zu sein. Trotzdem würde Sharif selbst sich niemals in eine solche Falle locken lassen. Nicht bis zum bitteren Ende, nicht bis …

Hastig brach er diesen Gedankengang ab und wies mit dem Kinn in Richtung Seeufer. „Wer ist das?“

„Wen meinst du?“

„Die Frau da am Wasser.“

Sein Freund, der Herzog von Alzacar, reckte den Hals. „Ich sehe dort niemanden.“

Zwischen ihnen beiden und der Unbekannten amüsierten sich unzählige Partygäste auf der Terrasse, tranken Champagner und genossen die milde Herbstluft. Die abendliche Hochzeitszeremonie war kurz zuvor in einer mittelalterlichen Kapelle abgehalten worden, und nun wartete man auf den Dinnerempfang.

Wieso konnte sein Freund den schwarzhaarigen Engel nicht entdecken?

„Bist du blind?“, fragte Sharif ungeduldig.

„Beschreib sie mir mal!“

Fast wäre Sharif dieser Aufforderung nachgekommen, aber er biss sich rechtzeitig auf die Zunge. Der spanische Herzog war als unverbesserlicher Schwerenöter verschrien, und Sharif hatte den plötzlichen Impuls, die Fremde vor anderen Männern beschützen zu wollen. Es kam ihm vor, als wäre sie nicht von dieser Welt. Irgendwie magisch … mystisch.

„Egal“, brummte er. „Entschuldige mich.“ Entschlossen steuerte er auf den Pfad zu, der hinunter zum Ufer führte.

„Lass dich nicht vom Mondschein verhexen, mein Freund!“, rief ihm der Herzog von Alzacar lachend hinterher. „Sonst werde ich beim nächsten Mal noch zu deiner Vermählung eingeladen!“

Sharif ignorierte diese Spitze. Mit einer erhobenen Hand gab er seinen Leibwächtern zu verstehen, dass sie sich im Hintergrund halten sollten. Wo war seine geheimnisvolle Elfe geblieben? Hatte er sie schon verloren? Oder sich alles nur eingebildet?

Da bemerkte er direkt vor sich eine Bewegung und atmete erleichtert aus. Sie war nur ein Stück weiter am Ufer entlanggegangen, und er folgte ihr lautlos. Ihr Gang war geschmeidig und elegant. Als er sie fast erreicht hatte, trat er versehentlich auf einen Ast, und sie fuhr erschrocken herum.

Schweigend sahen sie sich an.

Sie war nicht – wie er – in Weiß gekleidet, obwohl er das von Weitem angenommen hatte. Ihr Kleid war zartrosa, genau wie ihre Wangen, die einen starken Kontrast zu dem schwarzen Haar bildeten.

Sharif schätzte die junge Frau auf Anfang zwanzig, und aus der Nähe wirkte ihr Gesicht nicht im herkömmlichen Sinne hübsch, sondern eher markant und ausdrucksstark. Nur ihre Lippen waren weich und voll, und in ihren großen braunen Augen lag eine unbestimmte Weisheit, die er nicht richtig einordnen konnte.

Außerdem schwammen sie in Tränen.

„Wer sind Sie?“, wollte sie wissen.

Sharif blinzelte und zog die Stirn in Falten. „Sie kennen mich nicht?“

Sie schüttelte den Kopf. „Müsste ich das denn?“

Diese Frau stammte wirklich aus einer anderen Welt. Schließlich war der Emir von Makhtar – steinreicher Scheich und betörender Frauenheld – praktisch weltberühmt. Schon häufiger hatte Sharif mit seinem Gefolge an einem einzigen Abend in der Öffentlichkeit siebenstellige Summen ausgegeben, und er machte regelmäßig Bekanntschaft mit den schönsten Frauen dieser Erde. Nicht weniger als sechs Leibwächter hielten sich zu seinem Schutz permanent in seiner Nähe auf, und es kursierten die wahnwitzigsten Gerüchte über ihn.

Wusste sie tatsächlich nicht, mit wem sie es zu tun hatte? Oder gab sie das bloß vor, um sich wichtig zu machen? Misstrauisch kniff er die Augen zusammen und zuckte mit den Achseln. „Ich bin Gast auf dieser Hochzeit.“

„Ach so. Genau wie ich.“

„Wieso weinen Sie?“

„Tu ich nicht.“ Eine einsame Träne lief ihr über die Wange.

„Ach, nein?“

„Nein.“

Er legte den Kopf schief. „Sind Sie vielleicht in den Bräutigam verliebt? Weinen Sie deshalb?“

„Nein!“

„Viele Frauen sind es. Man erzählt sich, halb London war außer sich vor Liebeskummer, nachdem Cesare Falconeri seine Verlobung mit der Haushälterin bekannt gegeben hatte.“

„Emma ist meine Freundin!“

„Dann planen Sie also, sie zu hintergehen und ihn zu verführen, sobald die Flitterwochen vorbei sind?“

Sie starrte ihn an, als wäre er verrückt geworden. „Mit welcher Sorte Frau umgeben Sie sich eigentlich? Ich würde niemals … Ich könnte nie und nimmer …“ Kopfschüttelnd wischte sie sich die Tränen aus den Augen. „Ich freue mich für die beiden. Sie sind füreinander bestimmt.“

„Aha.“ Solche Statements langweilten ihn zu Tode. „Es geht demnach nicht um den Bräutigam. Sie weinen um einen anderen Mann.“

Er sah, wie sie die Zähne zusammenbiss.

„Nein.“

„Was ist es dann?“

„Das geht Sie überhaupt nichts an!“

Jetzt machte er einen Schritt auf sie zu und hörte, wie sie scharf den Atem einsog, während sie zurückwich. Gut so. Sie reagierte demnach genauso empfindsam auf ihn, wie er auf sie – trotz ihres vorlauten Mundwerks.

In ihrem Blick lag eine bemerkenswerte Tiefe, von der Sharif sich magisch angezogen fühlte. Als würden sich darin Geheimnisse verbergen, die es sich zu entdecken lohnte. Er wollte die Wärme ihrer Haut spüren … diese Frau bot ihm genau die Abwechslung, die er jetzt gerade brauchte.

Gekonnt setzte er sein gewinnendstes Lächeln auf. „Verraten Sie mir doch bitte, weshalb Sie Ihre kostbaren Tränen vergießen, Signorina“, bat er mit sanfter Stimme. „Verraten Sie mir, wieso Sie hier ganz allein am Ufer stehen!“

Sie öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Dann sah sie zur Seite. „Ich habe doch schon gesagt, ich weine nicht.“

„Und Sie haben behauptet, mich nicht zu kennen.“

„Korrekt.“

Nach der ersten Lüge fiel ihr die zweite offenbar nicht schwer. Gut zu wissen! Nachdenklich betrachtete er ihre aufregend kurvige Erscheinung. Das rosafarbene Kleid lag eng am Körper und brachte ihre Reize gut zur Geltung.

Die junge Frau errötete unter seinen Blicken, was sie noch begehrenswerter machte. Für Sharif stand fest, dass er sie erobern musste. Nicht nur, um sich von diesem Hochzeitszirkus abzulenken, sondern weil ihm schon seit etlichen Monaten eine gewisse Aufregung im Leben fehlte!

Ob sie nun wusste, wer er war, oder nicht. Mit ihr konnte man sich bestimmt hervorragend amüsieren, auch wenn sie optisch etwas von seinem gewöhnlichen Beuteschema abwich. Normalerweise verabredete er sich bevorzugt mit großen Blondinen. Aber diese unbekannte Schönheit am Seeufer stellte für ihn eine ganz besondere Verlockung dar.

„Es wird allmählich kühl“, bemerkte er und bot ihr seinen Arm an. „Lassen Sie uns zur Villa zurückkehren. Dann können wir unser Gespräch bei einem Glas Champagner fortsetzen.“

„Ich soll mit Ihnen zusammen etwas trinken?“

„Sie sind doch nicht etwa verlobt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nicht verlobt.“

„Das hätte ich auch nicht vermutet.“

Ihre Augen wurden schmal. „Wieso?“

„Dafür sind Sie nicht der Typ“, entgegnete er lächelnd.

Zu seiner Verwunderung machte sie diese Bemerkung wütend. Offenbar fühlte sie sich ernsthaft beleidigt.

„Und warum nicht?“, zischte sie gereizt.

Die Unterhaltung nahm eine Wendung, die ihm nicht passte. Schließlich wollte er seine kleine Elfe nach allen Regeln der Kunst verführen. Da war es strategisch unklug, sie vorher gegen sich aufzubringen.

Er runzelte die Stirn. „Warum regen Sie sich denn so auf? Habe ich etwas Falsches … ach, ich verstehe schon!“

„Ach ja?“

„Na, ich kenne zumindest den Grund, weshalb Sie hier am See allein sein wollten.“ Selbstsicher zog er die Augenbrauen hoch und nickte. „Ich hatte ganz vergessen, wie sensibel Frauen auf Hochzeitsfeiern reagieren. Wahrscheinlich haben Sie schon vorhin während der Zeremonie im Kerzenschein heimlich Tränen vergossen und vom Wunder der Liebe geträumt?“ Bei dem Wort Liebe bleckte er die Zähne, als hätte er einen bitteren Geschmack auf der Zunge. „Und zu Hause wartet wohl ein netter Bursche, von dem Sie sich einen Antrag erhoffen? Sie fühlen sich einsam, und das macht Sie gleichzeitig traurig und wütend. Sie sind es leid, auf Ihr Glück zu warten.“

Ruckartig drehte sie den Kopf zur Seite, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst. „Sie irren sich, sogar gewaltig!“

„Freut mich zu hören“, murmelte er und meinte jedes Wort ernst. Solange es keinen anderen Mann gab, der ihm seine Beute streitig machen konnte, war er zufrieden. „Was immer auch der Grund für Ihre trübselige Stimmung sein mag, ab sofort ist Schluss damit! Heute Abend wollen wir uns amüsieren. Vielleicht sogar die ganze Nacht lang …“, fügte er vielsagend hinzu.

Noch immer hielt er ihr seinen Arm hin, doch sie starrte ihn regungslos an und brauchte fast eine Minute, ehe sie ihre Sprache wiederfand. „Ist das etwa Ihre Vorstellung von Smalltalk?“, fragte sie scharf.

„Ich kürze nur gern überflüssige Umwege ab und komme direkt zum Punkt“, erklärte er trocken.

„Das ist also Ihre Erklärung für dieses unmögliche Benehmen?“, erkundigte sie sich empört und hob ihr Kinn. „Entschuldigen Sie mich!“

Damit ließ sie ihn stehen, als wäre der Emir von Makhtar nichts weiter als ein gewöhnlicher Bittsteller. Das war ihm definitiv noch nie passiert!

Fassungslos sah Sharif ihr nach.

Sie sind es leid, auf Ihr Glück zu warten.

Die Worte des attraktiven Arabers hallten in ihr nach, und Irene Taylors Schritte wurden allmählich langsamer.

War sie es wirklich leid, auf ihr Glück zu warten? Eilig blinzelte sie die frischen Tränen fort. Mit unbeabsichtigter Grausamkeit hatte er die Ängste ans Licht gezerrt, mit denen sie schon den ganzen Tag über kämpfte – trotz oder gerade wegen der bezaubernden Hochzeit ihrer Freundin.

Irene war dreiundzwanzig Jahre alt und wartete schon ihr ganzes Leben lang auf den Einen, den Richtigen, auf ihren Liebsten. Inzwischen glaubte sie, er würde ihr nie mehr über den Weg laufen.

Seit ihrer Kindheit träumte sie fantasievoll von ihrem späteren Leben, ihrem Zuhause und einer eigenen Familie. Damals war sie von ihrem ersten Tag in der Vorschule heimgekommen, völlig in Tränen aufgelöst. Niemand war dort gewesen, der sie in Empfang genommen hätte, aber die Nachbarin Dorothy Abbott hatte das weinende Mädchen mit der zerbrochenen Brotdose durchs Fenster beobachtet.

Sie hatte Irene sofort zu sich ins Haus geholt, ihren blutenden Kratzer an der Stirn verarztet und ihr selbst gebackene Kekse mit frischer Milch hingestellt. Für Irene war das in dem Moment der Himmel auf Erden gewesen. Sie hatte sich geborgen und aufgehoben gefühlt.

Wie wunderbar wäre es, in einem kleinen Cottage zu wohnen mit einem weißen Zaun davor … Kuchen backen, im Garten arbeiten und das alles mit einem ehrlichen, liebevollen Partner an der Seite? Seit diesem Tag nach der Vorschule wollte Irene irgendwann das Leben führen, das Dorothy und Bill Abbott sich aufgebaut hatten. Die beiden waren vierundfünfzig Jahre verheiratet gewesen und hatten sich bis zu ihrem Todestag aufopfernd umeinander gekümmert.

Irene hatte auch schon früh erfahren, wie sie als Erwachsene niemals leben wollte! Ihre Mutter war eine schwere Alkoholikerin gewesen, und ihre wesentlich ältere Schwester Melissa hatte zu jeder Tages- und Nachtzeit diverse Herren empfangen, die sich mit ihr vergnügten und ihr anschließend Geld zukommen ließen.

Damals schon stand für Irene fest, dass sie es aus eigener Kraft zu einer besseren Existenz schaffen wollte. Nach der Highschool schuftete sie sich in diversen Jobs die Finger wund, kam jedoch auf keinen grünen Zweig, da ihre Mutter und ihre Schwester teilweise auf diese dürftigen Verdienste angewiesen waren.

Nachdem Dorothy und Bill gestorben waren, hatte Irene sich unendlich einsam gefühlt und war daher bereitwillig und naiv auf die Avancen des freundlichen Bürgermeistersohns hereingefallen. Sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt, hätte es allerdings besser wissen müssen! Carter war letztendlich der Grund gewesen, weshalb sie ihrer Heimatstadt den Rücken gekehrt hatte.

Ich wollte mich bloß mit dir amüsieren, Irene. Das ist alles. Du bist nicht der Typ Frau, den ich heiraten würde. Er hatte freudlos gelacht. Mal im Ernst, hast du echt gedacht, ein Mann wie ich – mit meinem Hintergrund – würde sich ernsthaft auf jemanden wie dich einlassen? Allein deine Familie … das passt nie und nimmer zusammen.

Ja, sie hatte sich eingeredet, er würde sich ernsthaft auf sie einlassen. Das Ganze war jetzt zwei Jahre her. Zum Glück war sie mit Carter nie im Bett gelandet. Aber die Demütigung, ihn vergeblich zu lieben, hatte ihr gereicht, um Colorado endgültig hinter sich zu lassen. Zuerst war sie zum Arbeiten nach New York geflohen, anschließend nach Paris.

Obwohl sie sich einredete, unbedingt einen Neuanfang zu wollen, ohne jemals ihren Schritt zu bereuen, träumte sie heimlich davon, eines Tages selbstbewusst, schlank und kultiviert in ihr kleines Heimatstädtchen zurückzukehren. Wie in einem Film von der einzigartigen Audrey Hepburn. Sie würde in einem eleganten schwarzen Kleid über die Straße gehen, mit dunkelrot geschminkten Lippen den Passanten zulächeln und darauf warten, dass der zutiefst beeindruckte Carter ihr gegenüber Abbitte leistete. In ihrer Fantasie war er von ihrem neuen Ich überwältigt und legte ihr nicht nur seine Liebe, sondern auch seinen guten Namen zu Füßen.

So ein Blödsinn! Allein der Gedanke an diese Märchenszene trieb ihr mittlerweile die Schamesröte ins Gesicht. Energisch wischte sie die letzten Tränen fort. Als wenn ein Aufenthalt in New York oder Paris aus ihr den Menschen machen könnte, mit dem Carter sein Leben verbringen würde! Designerklamotten und teure Frisuren änderten nichts daran, dass sie aus übelsten Verhältnissen stammte. Der Weg hinauf in die einhundert Jahre alte, legendäre Linsey Mansion der Carters blieb ihr auf ewig verwehrt.

Schlimmer noch, sie würde in einem erbärmlicheren Zustand nach Hause zurückkehren, als sie fortgegangen war: arbeitslos, pleite und kein einziges Pfund leichter als früher. Dabei hatte sie fest daran geglaubt, etwas aus sich und ihrem Leben machen zu können.

Nach dem unglücklichen Vorfall, der sie vor sechs Monaten ihre Anstellung gekostet hatte, war Irene voller Hoffnung gewesen, in Paris einen neuen Job zu finden. In der Zwischenzeit hatte sie von ihren mageren Ersparnissen gelebt – und von dem kleinen Erbe, das die Abbotts ihr vermacht hatten.

Sie blieb stehen und presste sich ihre Finger fest an die Schläfen. Wie hatte dieser seltsame Scheich sich ausgedrückt? Was immer auch der Grund für Ihre trübselige Stimmung sein mag, ab sofort ist Schluss damit! Heute Abend wollen wir uns amüsieren. Vielleicht sogar die ganze Nacht lang …

Wieso ausgerechnet mit ihr? In ihrer Heimatstadt hätte sie ein unmoralisches Angebot wie dieses auf den schlechten Ruf ihrer Familie zurückgeführt. Sie hatte sich immer eingeredet, sie dürfe die Anfeindungen der Menschen nicht persönlich nehmen. Aber wieso dachte dieser Araber schlecht von ihr? Er traute ihr sogar zu, dass sie Emmas Ehemann verführen wollte! Und dann erwartete er noch, dass sie bereitwillig mit ihm selbst die Nacht verbrachte …

Ratlos schüttelte sie den Kopf und kühlte mit den Handrücken ihre heißen Wangen. Zugegeben, sie hatte sich extrem zu dem fremden Mann hingezogen gefühlt. In dieser weißen Gewandung wirkte er geheimnisvoll und exotisch auf sie. Seine fast schwarzen Augen und die sinnlichen Lippen waren genauso aufregend wie seine kraftvolle Statur. Er war männlich, erotisch, mit einer Aura von Macht und Reichtum – jedenfalls schloss sie das aus der Tatsache, dass sich eine Reihe Furcht einflößender Bodyguards in seiner Nähe aufhielten.

Wenn Carter sich schon außerhalb ihrer Liga bewegte, war dieser Scheich geradezu Teil einer völlig fremden, unerreichbaren Dimension. Einer unbekannten Galaxie, wenn man so wollte. Weshalb sollte sich ein Mann wie er ausgerechnet für sie interessieren?

Um Emmas willen hatte Irene sich heute große Mühe gegeben, hübsch auszusehen. Sie trug sogar Kontaktlinsen anstelle ihrer dicken Brille und hatte sich ein zauberhaftes Designerkleid ausgeliehen. Aber das alles war keine ausreichende Erklärung für den spontanen Annäherungsversuch eines Fremden. Und für diese plötzliche Vertrautheit zwischen ihnen …

Vielleicht war sie einfach leichte Beute gewesen … ganz allein am Seeufer und offensichtlich in einem emotional aufgewühlten Zustand? Diese unheimlich dunklen Augen hatten ihr anscheinend direkt in die Seele geblickt. Eine erschreckende Vorstellung!

Und zu Hause wartet wohl ein netter Bursche, von dem Sie sich einen Antrag erhoffen? Sie fühlen sich einsam, und das macht Sie gleichzeitig traurig und wütend. Sie sind es leid, auf Ihr Glück zu warten.

Ich kann nicht nach Colorado zurück! schoss es ihr durch den Kopf.

Andererseits hatte sie nicht mehr als zwanzig Euro in der Tasche, ihr Pariser Apartment war nur noch bis Ende der Woche bezahlt, und sie hatte den Heimflug bereits gebucht.

Mit einer hellen Glocke läutete Emma von der oberen Terrasse herunter und rief auf diese Weise die Dinnergäste zusammen. Ihr frisch angetrauter Ehemann Cesare Falconeri stand neben ihr unter zahlreichen cremefarbenen Lampions, und ihr gemeinsamer Sohn lag gähnend in den starken Armen seines Vaters. Lächelnd gab Cesare seiner Emma einen innigen Kuss.

Emma hatte ihre große Liebe gefunden, sie hatte geheiratet und war Mutter eines zuckersüßen Babys. Cesare und sie waren unbeschreiblich glücklich miteinander. Und sie würden niemals Geldsorgen haben, weil Cesare mit seinen Hotels Milliarden verdiente. Die beiden hatten Irene sogar ein Flugticket zur Hochzeitseinladung beigelegt. Von Paris nach Italien, und das Ganze erster Klasse! Für Irene war es eine einmalige Erfahrung gewesen, von vorn bis hinten bedient und verwöhnt zu werden.

Allerdings brauchte sie keinen Luxus im Leben. Sie wollte bloß wissen, dass sie eines Tages das Gleiche wie Emma und auch Dorothy Abbott erleben durfte: Irene wollte einen loyalen Mann finden, der sie liebte und respektierte. Und sie wünschte sich ein fröhliches Leben, gesunde Kinder und ein gemütliches Heim.

Langsam schlenderte sie weiter und gesellte sich zu den übrigen Gästen. Die Hochzeitstafel war üppig mit Blumen und Kerzen geschmückt, und in allen vier Ecken der Terrasse standen große Gasheizungen, die eine wohlige Wärme in die Novembernacht strahlten. Trotzdem fröstelte Irene.

Ihr fuhr jedes Mal ein Stich ins Herz, wenn sie Emmas kleine Familie betrachtete, auch wenn sie ihrer Freundin dieses Glück wirklich gönnte. Nur ließ sich der nagende Gedanke einfach nicht abschütteln, dass ihr selbst möglicherweise keine rosige Zukunft vergönnt war.

Irene schluckte schwer und wandte sich ab, um im nächsten Augenblick gegen eine Wand aus Muskeln zu prallen. Einer ihrer hochhackigen Schuhe rutschte unter ihr weg, und sie stieß taumelnd einen leisen Schrei aus. Sofort griff eine kräftige Hand nach ihrem Arm und stützte sie.

„Vielen Dank.“ Dann erkannte sie, mit wem sie da zusammengestoßen war. Natürlich handelte es sich um diesen arroganten Scheich, der ihr am Seeufer nachgestellt hatte. „Ach, Sie sind es!“

Darauf antwortete er nicht, sondern wartete schweigend ab, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Seine Handfläche lag warm auf ihrer Haut und löste die wundersamsten Gefühle in ihr aus. Im sanften Schein der Lampions sah er noch viel attraktiver aus als zuvor.

Hastig zog sie ihren Arm zurück. „Dankeschön“, wiederholte sie in feindseligem Ton. Leider ließ er sich davon nicht abschrecken.

„Sie haben mir rüdes Verhalten vorgeworfen, dabei habe ich mir gar nichts zuschulden kommen lassen“, erwiderte er leise.

Unbewusst rieb sie die Stelle, wo er sie berührt hatte. „Sie haben mich beleidigt.“

„Weil ich Sie eingeladen habe, die Nacht mit mir zu verbringen?“, fragte er verwundert. „Wie kann man das als Beleidigung auffassen?“

„Machen Sie Witze? Wie könnte man es denn sonst verstehen?“

Belustigt sah er sie an. „Normalerweise verstehen Frauen ein solches Angebot als Kompliment.“

Beinahe hätte sie das Gesicht verzogen. Frauen! dachte sie geringschätzig. Wahrscheinlich standen sie bei ihm Schlange und gaben ihm ständig das Gefühl, unwiderstehlich zu sein!

„Wie schön für Sie“, bemerkte sie trocken. „Offenbar reichen bei Ihnen ein paar billige Worte, um damit eine Frau ins Bett zu locken. Tut mir leid, wenn das bei mir nicht funktioniert.“

Ihre aufsässige Art schien ihn zu irritieren. Kein Wunder, diesen Umgang war er als junger, attraktiver Scheich sicherlich nicht gewohnt.

„Sind wir uns früher schon einmal begegnet? Gibt es einen bestimmten Grund für Ihre Feindseligkeit?“

„Nein, wir sind uns nie begegnet. Und ja, ich habe tatsächlich einen guten Grund für meine Feindseligkeit.“

„Der wäre?“

„Hören Sie mal, mir ist schleierhaft, weshalb Sie es ausgerechnet auf mich abgesehen haben. Denn ich kenne Männer wie Sie.“

„Männer wie mich?“

„Muss ich wirklich noch deutlicher werden? Das könnte Ihre Gefühle verletzen. Andererseits …“ Nachdenklich wiegte sie den Kopf hin und her. „Aber vermutlich haben Sie gar keine.“

„Probieren Sie es ruhig aus!“

„Man merkt sofort, dass Sie ein skrupelloser Playboy sind, der mir schon nach fünf Minuten unterstellt, ich würde meiner Freundin den Ehemann ausspannen wollen. Angeblich verzehre ich mich ja auch nach einem Lover, aber – wie praktisch – da bieten Sie sich gleich als Liebhaber an! Was fällt Ihnen eigentlich ein, so zu tun, als könnten Sie mir direkt in die Seele blicken? Und dann provozieren Sie mich auch noch, indem Sie mit mir die Nacht verbringen wollen. Ja, das alles könnte ich Ihnen an den Kopf werfen, aber natürlich tue ich das nicht. Immerhin ist dies Emmas Hochzeit, und sie verdient einen perfekten Tag. Ich möchte hier keine Szene veranstalten. Mir hat man nämlich beigebracht, einfach den Mund zu halten, wenn man einem anderen Menschen nichts Nettes sagen kann.“ Vielsagend hob sie die Augenbrauen. „Manche Leute haben nämlich noch Manieren. Wenn Sie mich jetzt also bitte entschuldigen?“

Sie kam nur ein paar Schritte weit, ehe er sie am Handgelenk festhielt. Stumm starrte sie zuerst auf seine Finger, dann in sein Gesicht. Sofort ließ er sie wieder los.

„Selbstverständlich, meine Liebe.“ Beschwichtigend hob er beide Hände. „Sie haben recht, ich habe mich danebenbenommen. Das tut mir aufrichtig leid.“ Er lächelte. „Je besser ich Sie kennenlerne, desto mehr sehe ich ein, dass ich mich in Ihnen getäuscht habe. Natürlich sind Sie nicht auf der Suche nach einem Liebhaber. Ohnehin würde kein Mann, der seinen Verstand beisammen hat, dafür infrage kommen. Das wäre ja, als würde man versuchen, einen Kaktus zu verführen.“ Seine ironische Verbeugung gab ihr den Rest. „Vergeben Sie mir, Teuerste! Und erlauben Sie mir bloß nicht, Sie aus Ihrer selbstgewählten Einsamkeit zu befreien!“

Seine weißen Gewänder raschelten leicht, als er sich abwandte und Irene einfach stehen ließ. Fassungslos und mit weit aufgesperrtem Mund sah sie ihm nach, während er in der Menge verschwand. Dann biss sie die Zähne aufeinander. Dieser Idiot!

Wütend stampfte sie mit einem Fuß auf. Was fiel ihm ein? Ihre selbstgewählte Einsamkeit? Nicht zu glauben!

Wenigstens war sie ihn endlich los, das machte es leichter, einen klaren Gedanken zu fassen. Männer wie ihn kannte sie zur Genüge – oder nicht? Ein offensichtlich steinreicher Scheich, umringt von breitschultrigen Bodyguards und in traditioneller Robe, tauchte eher selten in Colorado auf. Nicht einmal ihre Mutter oder ihre Schwester hatten es geschafft, ein solch exotisches Exemplar mit nach Hause zu bringen.

Trotzdem ist er ein Playboy, dachte sie missmutig.

Und diese tiefdunklen Augen … Ihr Herz war vor Aufregung völlig aus dem Takt gekommen, als sie sich beide im Mondlicht am Seeufer unterhalten hatten. Und seine Berührung hatte etwas ganz Besonderes in Irene ausgelöst. Vielleicht auch nur deswegen, weil sie schon den ganzen Tag darüber nachdachte, wann ihr wohl endlich die große Liebe über den Weg lief.

Gut, dass sie diesen Kerl vergrault hatte! Er war ja sowieso davon überzeugt, dass sich kein normaler Mann für sie interessieren könnte. Na und? Besser so! Sie wollte lieber allein und ungeküsst bleiben, als zuzulassen, dass jemand ihr Herz brach und darauf herumtrampelte.

Sie wollte mehr im Leben!

Autor

Jennie Lucas

Jennie Lucas wuchs umringt von Büchern auf! Ihre Eltern betrieben einen kleinen Buchladen und so war es nicht weiter verwunderlich, dass auch Jennie bald deren Leidenschaft zum Lesen teilte. Am liebsten studierte sie Reiseführer und träumte davon, ferne Länder zu erkunden: Mit 17 buchte sie ihre erste Europarundreise, beendete die...

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