Heimliche Nächte mit Holly

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Wie eine Göttin liegt sie vor ihm auf dem großen Sofa, ihr Haar in weichen Wellen aus Karamell und Gold um ihren Kopf herum ausgebreitet … Luiz Casella brennt vor Verlangen nach seiner Geliebten Holly George. Doch nur einige Nächte im Monat sind für sie im ländlichen Yorkshire reserviert. Die Tage gehören seinem Milliardenimperium in London. Von dem Holly nichts weiß, denn seit über einem Jahr hält er seine wahre Identität vor ihr geheim! Luiz ahnt nicht: Heute Nacht wird Holly ihn etwas fragen - und plötzlich stehen seine heimlichen Nächte in ihren Armen auf dem Spiel …


  • Erscheinungstag 20.01.2015
  • Bandnummer 2163
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701338
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Verbissen trat Luiz Casella das Gaspedal seines silbernen Sportwagens noch weiter durch. Die Luxuskarosse raste in einem irrsinnigen Tempo über die schmale Landstraße. Er musste völlig verrückt geworden sein. Was machte er hier draußen überhaupt? Im tiefsten Winter auf einer einsamen Straße irgendwo in Yorkshire. Glaubte er etwa, die Natur besiegen zu können? Auf der einen Seite der Straße lagen endlose schneebedeckte Felder, die andere wurde von schroffen Berghängen begrenzt. Nur ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit und sein Wagen würde an den vereisten Felsen zerschellen.

Luiz war sich der Gefahr durchaus bewusst. Aber er musste das hier tun. Den Tod herausfordern. Hier draußen, weit entfernt von der Sicherheit seiner exklusiven Stadtvilla in London. Es war der einzige Weg, diesen brennenden Schmerz in ihm zu betäuben.

Mittlerweile war fast ein Jahr vergangen seit dem Tod seines Vaters. Mario Casella hatte zum Zeitpunkt des Unglücks noch mitten im Leben gestanden. Luiz erinnerte sich, wie sein Vater ihn gedrängt hatte, endlich eine Familie zu gründen und ein geregeltes Leben zu führen. Er hatte ihm sogar gedroht, von Brasilien zu ihm nach London zu fliegen, um ihn zur Vernunft zu bringen. Einen Tag später hatten sie seinen leblosen Körper aus den Überresten der kleinen Cessna geborgen.

Luiz’ Mutter hatte ihm am Telefon schluchzend von dem tödlichen Unfall erzählt. Noch am gleichen Tag war Luiz nach Brasilien geflogen, um ihr zur Seite zu stehen. Als einziger Sohn musste er nun die Rolle des neuen Familienoberhauptes einnehmen. Er kümmerte sich um alles, von der Organisation der Beerdigung bis zur Beseitigung des Chaos im Unternehmen seines Vaters, das sein unerwarteter Tod ausgelöst hatte.

Luiz war der Fels in der Brandung, an den sich seine Mutter, seine drei Schwestern und auch die Geschäftspartner seines Vaters klammerten. Er erlaubte sich keinerlei Anzeichen von Schwäche, sondern tat, was getan werden musste. Er arrangierte den Verkauf der Familienvilla, weil seine Mutter den Gedanken nicht ertragen konnte, allein in dem großen Haus zurückzubleiben. Ohne auch nur eine Träne zu vergießen, sortierte er die wichtigsten Erinnerungsstücke aus, um sie für seine Mutter aufzuheben, bis sie stark genug war, sich damit zu beschäftigen.

Als er Wochen später nach London zurückkehrte, konnte er seiner Trauer immer noch nicht freien Lauf lassen. Denn er musste sich um sein eigenes Unternehmen kümmern. Nach wenigen Tagen war er wieder ganz in seinen stressigen Arbeitsalltag eingetaucht und absolvierte ein Pensum, bei dem jeder andere vermutlich früher oder später zusammengebrochen wäre. Gnadenlos fuhr er fort, fremde Unternehmen aufzukaufen, um seinen Reichtum immer weiter zu vermehren.

Die letzte Übernahme eines bankrotten Elektronikunternehmens im Nordosten Englands ermöglichte es ihm schließlich, seinem Londoner Büro einen Tag lang den Rücken zu kehren. Endlich würde er ein wenig Zeit haben, um an seinen Vater zu denken und zu trauern. Und einen Teil seiner angestauten Wut und Frustration über die Ungerechtigkeit des Lebens abzureagieren.

Sein Wagen stand am Flughafen schon für ihn bereit. Die lange Fahrt durch die verschneite Winterlandschaft würde Luiz’ guttun. Eigentlich hatte er den direkten Weg nehmen wollen, doch die kleinen einsamen Landstraßen waren einfach unwiderstehlich. Er hatte auf sein Navigationsgerät verzichtet, und nun war er hier. Mitten im Nirgendwo.

Im Licht der Abenddämmerung beobachtete er durch die Windschutzscheibe die unzähligen tanzenden Schneeflocken vor ihm. Handy und Radio hatte er ausgeschaltet. Die einzigen Geräusche waren der tosende Wind draußen und das leise Schnurren seines Sportwagens.

Ob sein Vater Schmerzen gehabt hatte, bevor er starb? Er musste gewusst haben, dass dies sein Ende war. In dem Moment, in dem das Flugzeug sich im freien Fall befunden hatte. Wie ein Vogel, dem die Flügel abgeschnitten worden waren. Woran mochte er zuletzt gedacht haben?

Luiz konnte sich nicht vorstellen, dass er irgendetwas in seinem Leben bereute. Sein Vater war das beste Beispiel dafür, wie weit man es mit Intelligenz und Lebensfreude bringen konnte. Er hatte sich aus ärmsten Verhältnissen hochgearbeitet, bis zu dem Punkt, an dem Geld keine Rolle mehr spielte, weil er so viel davon hatte. Dann hatte er seine Jugendliebe geheiratet, die all die Jahre zu ihm gehalten und ihn unterstützt hatte. Zusammen hatten sie vier Kinder. Nein, es gab sicher nichts, was er bereute.

Der Gedanke tröstete Luiz ein wenig. Doch die Trauer und der Schmerz darüber, dass der einzige Mann, den er jemals wirklich bewundert hatte, für immer aus seinem Leben verschwunden war und so viele Fragen nie beantwortet würden, blieben.

Seine Hände krampften sich um das Lenkrad. Er spürte, wie Tränen in seine Augen stiegen, und presste die Lippen fest aufeinander. Unwillkürlich beschleunigte er noch weiter. Er musste blinzeln, denn der Tränenschleier vor seinen Augen nahm ihm die Sicht.

Und dann passierte es. Die Felswand neben ihm kam immer näher.

Blitzartig riss Luiz das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Doch es war zu spät. Er hörte, wie das Metall des Wagens auf Stein traf. Im nächsten Moment verlor er die Kontrolle über den Wagen, der in Richtung Feld schleuderte. Dann wurde es dunkel um ihn herum.

Irgendetwas drückte gegen sein Gesicht. Es war ganz still, bis auf den heulenden Wind. Langsam kam Luiz wieder zu sich. Der Airbag hatte ganze Arbeit geleistet. Auch sein Wagen schien den Aufprall an der Felswand relativ unbeschadet überstanden zu haben. Doch sein Bein war verletzt. Er hatte Schwierigkeiten, sich aus dem Wagen zu hieven. Als er es endlich geschafft hatte, schleppte er sich so weit wie möglich von dem Fahrzeug fort. Der Tank musste noch fast voll sein, und es war nicht unwahrscheinlich, dass das ganze Ding in Flammen aufgehen würde.

Nach wenigen Metern wurde Luiz klar, dass er zu Fuß nicht weit kommen würde. Er konnte mit dem einen Bein kaum auftreten. Und es schneite noch immer heftig. Die Schneeflocken blieben in seinem Haar hängen und an seiner maßgeschneiderten und in dieser Situation völlig unpraktischen Anzughose. Sein Kaschmirpulli würde in spätestens einer halben Stunde komplett durchweicht sein. Und seinen Mantel hatte er im Wagen zurückgelassen. Er sah sich um. Um ihn herum war es stockfinster. Offensichtlich wohnte hier in der Gegend niemand.

Luiz biss die Zähne zusammen und humpelte langsam zurück auf die Straße. Wenigstens hatte er sein Handy dabei. Irgendwo würde er schon wieder Empfang haben, wenn er einfach der Straße folgte.

Ein Lächeln glitt über sein südländisches aristokratisches Gesicht. Nach all den Monaten, in denen er sein Leiden immer nur unterdrückt hatte, fühlten sich diese körperlichen Schmerzen fast gut an …

Zwei Kilometer weiter hielt Holly George inne. Sie war gerade dabei, ihren letzten Rundgang durch die Außenanlagen ihres geliebten Tierheims zu machen, als sie in der Ferne das Geräusch eines Aufpralls hörte.

Holly war in dieser wilden einsamen Landschaft aufgewachsen und kannte die Gegend wie ihre Westentasche. Sie kannte die plötzlichen Wetterumschwünge mit all ihren typischen Geräuschen. Erst recht im tiefsten Winter, wenn die Stille fast greifbar war.

Hastig schloss sie das Tor zur Weide von Buster, dem Esel, einem Neuankömmling, und eilte zurück in ihr Cottage. Ihr lockiges blondes Haar fiel ihr lang über den Rücken, als sie die Wollmütze abnahm.

Jemand ist von der Straße abgekommen. Es war ihr sofort klar gewesen, als sie den lauten Knall gehört hatte. Einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie Andy anrufen sollte, ihren besten Freund, der ihr mit dem Tierheim half. Doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Andy hatte sich seit Wochen auf diesen Kochkurs in der Stadt gefreut, der von seinem Lieblingskoch aus dem Fernsehen gegeben wurde. Sie würde ihm jetzt nicht den Spaß verderben und ihn zu einer Rettungsmission nötigen.

Ben Firth hingegen würde es gefallen, wenn er und seine Jungs ihre Feuerwehrwagen wieder einmal einsetzen konnten. Und Abe, der Arzt im Ort, würde sich ebenfalls sofort auf zur Unfallstelle machen. Wenn sie bloß wüsste, wo genau sie suchen mussten. Die umliegenden Berge sorgten für ein ordentliches Echo. Geräusche aus der Ferne waren hier in der Gegend sehr schlecht zu orten. Sie kannte jedoch sämtliche gefährlichen Straßenabschnitte.

Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war Holly George ungewöhnlich reif, vernünftig und obendrein praktisch veranlagt. Sie war die harten Winter und die schwierigen Bedingungen im ländlichen Yorkshire gewohnt. Manchmal dachte sie, dass praktisch und vernünftig nicht gerade typisch weibliche Eigenschaften waren. Vielleicht war das der Grund für ihren Mangel an Verehrern. Zudem gab es hier nicht sehr viel Auswahl und der Märchenprinz würde wohl kaum einfach mal so an ihre Tür klopfen. Doch der Gedanke, ihr Cottage und die Tiere zu verlassen, um in eine der großen Städte zu ziehen, machte sie geradezu krank. Sie vermisste die Clubs, Bars und Restaurants nicht, auch wenn ihre Freunde das immer glaubten.

Ihr Vater war ein Farmer gewesen, sie war mit Tieren aufgewachsen. Sie liebte es, früh aufzustehen und ihre Vierbeiner zu füttern. Und jedes Jahr freute sie sich auf das Frühjahr, wenn die kleinen Lämmer geboren wurden. Ihr Vater war kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag gestorben. Es war ihr schwergefallen, die Farm zu verkaufen. Doch sie wusste, allein wäre sie mit der ganzen Arbeit vollkommen überfordert. Und so hatte sie sich von dem Geld ein kleines Tierheim aufgebaut. Viel war von dem Erbe nicht übrig geblieben, aber sie hatte ihr eigenes kleines Häuschen auf dem Gelände. Mehr brauchte sie nicht.

Während der letzten Monate jedoch hatte sie immer öfter daran denken müssen, dass die Zeit auch für sie nicht stehen blieb. Und dass ihre Freunde in London gerade die beste Phase ihres Lebens hatten. Bisher hatte sie nur eine einzige feste Beziehung gehabt. James hatte Tiermedizin studiert, und sie hatten sich bei einem der vielen Tierpflegekurse kennengelernt, die sie belegt hatte. Er war ihr sofort sympathisch gewesen. Als sie ihre Beziehung nach einem Jahr beendet hatten, waren sie gute Freunde geblieben.

Manchmal überlegte Holly, ob sie ihn zu leicht aufgegeben hatte. Denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie noch einmal jemanden finden würde, mit dem sie sich so gut verstehen würde wie mit James.

Er hatte einen Arbeitsplatz im Süden gefunden und konnte sich eine Wochenendbeziehung nicht vorstellen, während Holly ihr Tierheim nicht aufgeben wollte, um zu ihm zu ziehen. Vielleicht hätte sie es tun sollen. Schließlich wurde sie nicht jünger …

An der Tür zögerte sie einen Moment und betrachtete sich im Spiegel neben der Garderobe.

Dieses Gesicht passte nicht zu den bunten Lichtern der Stadt. Und was ihre Figur anging, war sie auch nicht gerade gemacht für die angesagteste Mode. Für enge Kleidung empfand Holly sich als viel zu füllig. Und sie hasste es, Make-up zu tragen. Ihre blauen Augen betonte sie nur zu besonderen Anlässen mit Mascara und Eyeliner. Ihre Gesichtszüge waren weich und fast zu weiblich, um wirklich sexy zu wirken.

Sie griff nach ihrer Mütze und wandte sich seufzend zur Tür. Es hatte keinen Sinn, unzufrieden mit seinem Körper zu sein, man musste ihn nehmen, wie er war.

Während sie über den Hof zu ihrem Wagen lief, sah sie, dass das Schneetreiben zugenommen hatte. Zum Glück sprang der Motor sofort an, kaum, dass sie den Schlüssel im Zündschloss gedreht hatte.

Sie entschied sich, zunächst die Straße mit den gefährlichsten Kurven abzufahren. Hier hatten sich während der letzten Jahre unzählige Unfälle ereignet.

Holly hatte richtig getippt. Sie sah den zerbeulten Wagen am Straßenrand bereits von Weitem. Er stand auf dem Feld und sah ziemlich übel aus. Instinktiv fuhr sie schneller. Dann sah sie die winkende Gestalt im Licht ihrer Scheinwerfer. Es war ein Mann. Und er schien allein zu sein.

Vorsichtig fuhr sie an den Straßenrand, sprang aus dem Wagen und lief besorgt auf ihn zu. Er trug nicht einmal eine Jacke, und er wirkte arg mitgenommen. Als sie den Arm um ihn legte, um ihn zu stützen, spürte sie durch den Wollpulli hindurch seine festen Muskeln.

„Sind Sie allein, oder ist noch jemand im Wagen?“, fragte sie ängstlich.

„Nein, ich bin allein“, stieß Luiz hervor, das Gesicht schmerzverzerrt. Jeder Schritt tat höllisch weh. Langsam humpelten sie zu Hollys Wagen.

„Ihr Auto …“

„Ist ein Totalschaden.“

„Ich werde jemanden verständigen, der es für Sie abschleppt.“

„Das können Sie sich schenken. Ich brauche es nicht mehr.“

Verwundert sah sie ihn von der Seite an. Es war ein ziemlich teuer wirkender Sportwagen. Wollte er ihn hier einfach stehen lassen? Vielleicht ließe sich ja doch noch etwas reparieren.

Als sie ihm die Autotür öffnete und er sich stöhnend auf den Sitz sinken ließ, war er ihr einige Sekunden lang ganz nah. Die Wärme seines Körpers und sein männlicher Duft brachten sie für einen kurzen Moment aus der Fassung.

Schnell fing sie sich wieder und stieg auf ihrer Seite ein. Sie musste dafür sorgen, dass er von einem Arzt untersucht wurde. Womöglich war er ernsthaft verletzt, und sie hatte es nicht einmal gemerkt? Sollte sie ihn nach Angehörigen fragen, die sie kontaktieren sollte? Oder sollte sie ihn erst einmal selbst untersuchen? Vielleicht hatte er sich etwas gebrochen?

Gerade wollte sie ihm eine Frage stellen, als sie bemerkte, dass er sie von der Seite ansah. Erst jetzt fiel ihr auf, wie attraktiv der Mann war. Sie konnte den Blick gar nicht mehr von ihm abwenden. Seine Augen waren dunkel und geheimnisvoll. In seinem kurzen schwarzen Haar funkelten noch immer vereinzelte Schneeflocken. Das schlanke markante Gesicht strahlte etwas unglaublich Maskulines aus. Mit seiner golden schimmernden Haut wirkte er irgendwie exotisch.

Erstaunt bemerkte sie, wie ihr Herz raste und das Blut in ihre Wangen stieg. Es war ein sehr seltsames Gefühl und überhaupt nicht vertraut.

„Sitzen Sie bequem?“, presste sie hervor, mit einer Stimme, die sie kaum als ihre eigene erkannte.

„So bequem, wie man halt sitzt mit einem aufgerissenen Bein.“

Holly schnappte nach Luft. Erst jetzt sah sie das viele Blut an seinem Hosenbein.

„Sie müssen sofort ins Krankenhaus!“ Hastig startete sie den Wagen. Draußen schneite es noch immer, und der Wind hatte zugenommen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Räder auf der vereisten Straße griffen.

„Wie weit ist es?“

„Ziemlich weit.“ Holly musste sich zwingen, auf die Straße zu schauen. Zu gern hätte sie noch einmal sein schönes Gesicht angesehen. „Sie sind nicht von hier, stimmt’s?“

„Merkt man das?“ Luiz lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe und betrachtete das Profil seiner Retterin von der Seite. Bei ihrem Anblick beschlich ihn ein seltsames Gefühl. War das möglich? Hatte er den Unfall vielleicht gar nicht überlebt? Diese Frau war wohl das engelhafteste Wesen, das ihm je in seinem Leben begegnet war. Große kornblumenblaue Augen, rote Apfelbäckchen und langes blondes Haar, das ihr in wilden Locken über den Rücken fiel. So ganz anders als die geglätteten Frisuren, die er von den Frauen aus London kannte.

„Sie haben nicht die richtige Kleidung an. Bei diesem Wetter würde niemand, der hier aus der Gegend kommt, mit so dünnen Sachen das Haus verlassen.“ Sie lächelte, dann runzelte sie die Stirn. „Ich fürchte, wir werden es bei diesen Straßenverhältnissen nicht bis zum Krankenhaus schaffen. Es ist wirklich ziemlich weit. Aber ich könnte versuchen, einen Rettungshubschrauber für Sie zu organisieren.“

Betroffen sah Luiz sie an. Es war ziemlich verantwortungslos von ihm, sich in eine solche Situation zu bringen. Jetzt mussten sich fremde Leute um ihn kümmern.

„Ich komm’ schon klar. Ein Rettungshubschrauber ist nicht nötig.“

„Das soll wohl ein Scherz sein.“ Als sie lächelte, sah er die Grübchen in ihren Wangen. Er war noch immer völlig fasziniert von ihrem Gesicht.

„Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt“, murmelte sie dann verlegen und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin Holly George.“

Er nahm sie und schüttelte sie. „Also Holly George … Dann verraten Sie mir doch einmal, was Sie hier draußen treiben bei diesem Wetter? Machen Ihre Eltern sich keine Sorgen?“

„Ich wohne alleine“, erklärte sie und konzentrierte sich auf die Fahrbahn. „Und zwar ganz in der Nähe. Ich hab den Aufprall Ihres Wagens gehört und bin sofort hergekommen. Ich kenne die Straßen hier. Eigentlich wollte ich Ben und Abe noch Bescheid geben, aber sie hätten ewig gebraucht, um hier rauszukommen. Das ist das Problem, wenn man so weit draußen wohnt. Wenn man im Winter in Schwierigkeiten gerät, muss man sich zu helfen wissen.“

„Wer sind Ben und Abe?“

„Ben ist unser Feuerwehrhauptmann im Ort, und der alte Abe ist unser Doktor.“

„Klingt nach einem gemütlichen kleinen Örtchen …“

„Was haben Sie hier draußen gemacht?“

„Ich wollte bloß ein paar düstere Gedanken abschütteln“, erklärte er und wandte den Blick ab.

Irritiert sah sie zu ihm herüber. Was meinte er damit? Am liebsten hätte sie nachgehakt, aber irgendetwas sagte ihr, dass dieser Mann hier so schnell nichts von sich preisgeben würde.

„Sehen Sie die Lichter da vorne?“, fragte sie stattdessen und bog in die vertraute Hofzufahrt ein. „Das ist mein Haus mit den angrenzenden Stallgebäuden. Ich ähm … ich leite ein Tierheim.“

„Was machen Sie?“

„Ich leite ein Tierheim. Wir haben gerade fünfzig Tiere da. Hunde, Katzen, zwei Pferde, ein Esel … Letztes Jahr hatten wir sogar ein paar Lamas, die zum Glück von einem Kinder-Bauernhof aufgenommen wurden.“

Hunde, Pferde und ein Esel. Eine völlig fremde Welt für Luiz. Diese Frau könnte genauso gut von einem anderen Planeten stammen.

„Und was machen Sie?“, erkundigte sie sich. „Ich meine, was arbeiten Sie, wenn ich fragen darf?“

„Was ich arbeite …?“

Er überlegte einen Moment. Holly hielt vor dem hell erleuchteten Cottage, und als sie sich zu ihm umwandte, stockte ihm für eine Sekunde der Atem. Ihr Lächeln war einfach umwerfend. Und ihre Augen waren von einem ungewöhnlich strahlenden Blau, was noch von den dichten schwarzen Wimpern betont wurde. Unwillkürlich ließ er den Blick zu ihren Händen gleiten, und ihm fiel auf, dass sie keinen Ring am Finger trug. Sie trug überhaupt keinen Schmuck. Und ihre Kleidung war sportlich, schlicht und praktisch – Jeans, Kapuzenpulli und eine abgetragene olivgrüne Wachsjacke. Dazu warme Fellstiefel und eine Wollmütze mit einem Weihnachtsmotiv. Sie war der natürlichste Mensch, dem er seit sehr langer Zeit begegnet war.

„Und Ihr Name … Wie heißen Sie?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, öffnete Holly die Fahrertür und stieg aus dem Wagen. „Warten Sie, ich komme rüber auf Ihre Seite und helfe Ihnen beim Aussteigen“, rief sie ihm zu. „Und dann gucken wir uns Ihre Verletzung an und überlegen, was wir machen. Ich habe jede Menge Verbandszeug da. Wenn es nur eine oberflächliche Wunde ist, dann kann ich sie auch versorgen.“

Als er sich auf sie stützte und Holly seinen männlichen Körper und seine Wärme spürte, schien ihr Herz für einen Augenblick auszusetzen. Wie immer, wenn sie nervös war, fing sie an, irgendetwas Zusammenhangloses zu erzählen. Langsam gingen sie durch das Schneegestöber über den Hof auf ihr Häuschen zu.

In der Küche ließ ihr Gast sich stöhnend auf einen ihrer alten Holzstühle fallen. Als er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ, musste er fast lachen. Genau so hatte er sich ihre Einrichtung vorgestellt. Jede Menge Holz und rustikaler Charme. Die Fliesen des Küchenbodens wirkten uralt, ebenso wie der abgenutzte Teppich unter dem Esstisch. An einer Wand stand eine Anrichte, auf der jede Menge zusammengewürfeltes Geschirr gestapelt war. Dazwischen waren kleine gerahmte Bilder und allerhand Nippes drapiert. Ein Innenausstatter würde sich die Haare raufen.

Und dennoch … Jetzt, wo er ihr kleines Häuschen gesehen hatte, war sie ihm fast noch sympathischer. Er beobachtete, wie sie aus einem der Schränke einen Erste-Hilfe-Koffer hervorkramte und damit zu ihm zurückkam.

„Ich helfe Ihnen, die Hose auszuziehen“, murmelte er, doch sie winkte schnell ab.

Das kam überhaupt nicht infrage. Er brachte sie so schon genug durcheinander. Seine Präsenz ließ ihre Küche noch kleiner erscheinen, als sie es ohnehin bereits war. So eine Wirkung hatte Holly noch nie bei einem Mann erlebt. Und sie schaffte es kaum, überhaupt den Blick von ihm abzuwenden. Er sah so unglaublich gut aus. Und er schien sie magisch anzuziehen.

„Ich schneide sie auf. Das geht schneller.“

Sie kniete sich vor ihm nieder und beugte sich über sein Bein. Und mit einem Mal wurde Luiz von einer völlig unerwarteten Erektion übermannt. Scharf sog er die Luft ein. Was machte diese Frau bloß mit ihm? Sie war doch überhaupt nicht sein Typ. Sie war weder superschlank noch in irgendeiner Form zurechtgemacht. Alles an ihr schien weich und wohlgeformt zu sein. Durch ihren ausgeblichenen Kapuzenpulli konnte er ihre vollen Brüste erahnen. Mit ihrem natürlichen Look wirkte sie einfach wahnsinnig verführerisch. Wie eine reife Frucht.

Sie entschuldigte sich, dass sie die teure Hose zerschnitt, während er sich vorstellte, wie Holly wohl nackt aussah. Wie sie sich ihm hingab. Als er leise aufstöhnte, sah sie ihn erschrocken an.

„Habe ich Sie verletzt?“

Er schüttelte den Kopf. Wie sie wohl reagieren würde, wenn er ihr sagte, was seine Reaktion tatsächlich ausgelöst hatte?

„Sie sind wirklich sehr tapfer. Sie sagen mir doch, wenn es wehtut, oder?“, fuhr sie fort. Als sie die Wunde gereinigt hatte, verschwand sie kurz, um im nächsten Moment mit einem Glas Wasser und ein paar Tabletten zurückzukehren.

„Schmerzmittel“, erklärte sie und hielt ihm beides hin. „Sie sind sehr stark. Aber sie helfen super.“ Ihre Haut brannte, als er ihr in die Augen schaute. Es war merkwürdig mit ihm. Jedes Mal, wenn er sie ansah, fühlte es sich an wie eine zärtliche Berührung. „Sie haben mir immer noch nicht Ihren Namen verraten“, sagte sie betont fröhlich, um das peinliche Schweigen zu überbrücken, während sie sich zwang, den Blick von seinem stark behaarten Bein abzuwenden. Er wirkte so unglaublich maskulin …

„Ach ja“, entgegnete er und räusperte sich. „Luiz. Luiz … Gomez.“ Er hoffte, der Gärtner ihrer Familienvilla in Brasilien würde es ihm verzeihen, dass er sich seinen Nachnamen ausgeborgt hatte. Der Gedanke war ihm spontan gekommen. Hier draußen, mit dieser Frau zu seinen Füßen, würde er eine andere Identität annehmen. Nur für ein paar Stunden. Er würde nicht mehr der arbeitssüchtige milliardenschwere Unternehmer sein, der vor seinen eigenen Dämonen davonlief. Es war doch keine Sünde, sich eine kleine Atempause von dem stressigen Alltag seines Lebens zu gönnen, oder?

„Luiz … Darf ich du sagen?“, erkundigte sie sich zögernd und fuhr fort, als er nickte. „Wo kommst du her?“

„Ich lebe in London, aber ich komme ursprünglich aus Brasilien.“ Er lächelte. Sie schien begeistert. Dann entspannte er sich ein wenig, als sie sofort begann, ihm von all den Ländern zu erzählen, die sie eines Tages besuchen wollte. Währenddessen wickelte sie, nachdem sie Gaze mit etwas Salbe auf die Wunde gelegt hatte, einen Verband um sein Bein. Er würde dennoch einen Arzt aufsuchen müssen, erklärte sie. Möglicherweise müsste er auch eine Weile Antibiotika einnehmen.

Sie lachte, als er sie fragte, ob sie eine Ausbildung als Krankenschwester hätte. Ihr Lachen gefiel ihm. Unwillkürlich dachte er, dass er es gern öfter hören würde.

„Ich könnte die Wunde auch nähen“, sagte sie lächelnd. „Aber ich nehme an, dafür traust du mir noch nicht genug, stimmt’s? Deswegen hab ich erst mal nur den Verband drumgewickelt. Den Rest kannst du dann einen Arzt machen lassen.“

Luiz murmelte bloß, dass man Frauen auch besser nicht traue. Er habe da seine Erfahrungen gemacht. „Meinst du, ich kann hier irgendwo übernachten?“, erkundigte er sich dann und sah aus dem Fenster, als hoffte er, eine gemütliche Gaststätte im Garten zu erspähen. Er wartete Hollys Antwort gar nicht erst ab. Er hatte sich bereits entschieden. Das hier war genau das, was der einflussreiche Luiz Casella jetzt brauchte. Eine Auszeit auf dem Land. An einem Ort, an dem ihn niemand finden würde. Mit einer Frau, die sich um ihn kümmerte und für die er nichts weiter als ein verletzter Fremder sein würde. Der Mann, um den sich alle Frauen rissen, konnte sich endlich einmal entspannen und das Gefühl genießen, dass sein gut gefülltes Bankkonto ausnahmsweise mal nicht die geringste Rolle spielte.

Hier draußen würden sie ganz allein sein …

Autor

Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

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