Romana Gold Band 28

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INSEL DER VERFÜHRUNG von GRAHAM, LYNNE
Was bildet er sich nur ein? Empört lässt Betsy ihren Chef Cristos Stephanides beim Flirten abblitzen. Bis sie allein mit ihm ist - auf einer kleinen Insel in der Ägäis. Fasziniert vom Charme des Tycoons vergisst sie in einer sommerlichen Sternennacht alle Bedenken …

MEIN GRIECHISCHER BOSS - UND GELIEBTER? von ROSS, KATHRYN
Gespannt erwartet Katie ihren neuen Boss - und erlebt einen Schock! Ins heimatliche Athen soll sie ihn begleiten. An sich nichts Schlimmes. Nur dass es sich um den Milliardär Alexander Demetri handelt: den größten Frauenheld unter griechischer Sonne … und ihr Ex!

TRAUMTAGE DER LEIDENSCHAFT von WOOD, SARA
Zusammen träumen am weißen Strand von Olympos Bay, exklusive Candle-Light-Dinner auf seiner Luxusyacht im Hafen - fast vergisst Olivia, dass sie sich von Dimitri scheiden lassen wollte. Bis ein belauschtes Telefonat die heiße Leidenschaft zwischen ihnen im Keim erstickt …


  • Erscheinungstag 21.08.2015
  • Bandnummer 28
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740764
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Kathryn Ross, Sara Wood

ROMANA GOLD BAND 28

1. KAPITEL

Cristos Stephanides hatte Frauen in Uniform nie gemocht. Wäre es anders gewesen, hätte die Welt bestimmt davon erfahren, denn in der Boulevardpresse wurde ständig über ihn berichtet. Er war die Verkörperung eines griechischen Unternehmers schlechthin, sah umwerfend gut aus und hatte eine geradezu legendäre Vorliebe für schnelle Autos, luxuriöse Villen und schöne Frauen. Seit Jahren war er die Nummer eins in den Klatschspalten.

Die junge Frau, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte, war eigentlich gar nicht sein Typ. Außerdem schien sie nicht zu bemerken, dass er sie aufmerksam beobachtete, denn die getönten Scheiben seiner Limousine ließen keinen Blick ins Wageninnere zu. Sie war schlank, groß und trug ein dunkelgrünes Kostüm, das ihre schmale Taille betonte. Ihre bemerkenswerten Kurven und ihre sensationell langen Beine waren nicht zu übersehen.

„Sieh mal, die Frau dort mit der Mütze, trägt die eine Armeeuniform?“, erkundigte sich Cristos bei seinem Cousin Spyros Zolottas.

Der korpulente ältere Mann folgte Cristos’ Blick. „Sie sieht eher wie eine Stewardess aus.“

Im nächsten Moment fuhr der jungen Frau ein Windstoß durchs Haar und blies ihr die Mütze vom Kopf. Tizianrote Locken fielen ihr wie eine Welle auf die Schultern, als sie loslief, um die Mütze zu erhaschen. Kurz vor dem Auto, in dem die beiden Männer saßen, erwischte sie sie dann. Das Sonnenlicht ließ ihr herrliches Haar leuchten, während sie versuchte, es wieder unter die Mütze zu schieben. Geblendet von der Schönheit ihres ovalen Gesichts, blickte Cristos sie an. Leuchtende große Augen, ein sinnlich geschwungener Mund und eine Haut wie Alabaster machten sie zu einer aufsehenerregenden Erscheinung.

Timon, sein Assistent, sagte ruhig: „Ich glaube, sie ist ein Chauffeur.“

Cristos sah ihn stirnrunzelnd an. Ein Chauffeur war in seinen Augen nichts anderes als ein Diener. Gespannt beobachtete er, wie die rothaarige Frau am Steuer eines Bentleys Platz nahm. Der Wagen trug das Logo einer Mietwagenfirma. Timon hatte wohl recht. „Eine merkwürdige Berufswahl für eine Frau.“

Spyros lachte in sich hinein. „Mit der Figur wird sie immer gutes Geld verdienen.“

Cristos sah ihn verärgert an. Spyros war ihm noch nie besonders sympathisch gewesen. Aber er gehörte nun einmal zur Familie, und Blut war bekanntlich dicker als Wasser.

„Denkst du gerade an deine Verlobte?“, fragte Spyros, der Cristos’ Schweigen ignorierte, anzüglich. „Petrina kommt aus einer sehr guten Familie. Sie weiß genau, wo ihr Platz ist. Und wenn nicht, wirst du es ihr schon zeigen.“

„Ich möchte jetzt nicht über sie sprechen“, erwiderte Cristos mit einem warnenden Unterton in der Stimme.

Cristos war ein Stephanides und Petrina eine Rhodias. Ihre Familien waren seit Langem privat und geschäftlich miteinander verbunden. Eine Ehe würde dieses Band noch verstärken. Sie war die Garantie dafür, dass das Vermögen und die Macht beider Familien erhalten blieben und an die nächste Generation weitergegeben werden konnten. Niemand erwartete von Cristos, dass er seiner Frau ein Leben lang treu blieb. Aber es war geschmacklos, diesen Umstand zu erwähnen. Die Vulgarität seines Cousins stieß ihn ab.

Außerdem wusste er genau, worauf der ältere Mann hinauswollte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann dieser ihn um Geld bitten würde. Bei früheren Gelegenheiten hatte Spyros sich immer irgendwelche Geschichten ausgedacht, in denen es um fehlgeschlagene Investitionen oder um geschäftliche Unternehmungen ging, die Risikokapital verlangten. Wenn er damit keinen Erfolg hatte, versuchte er, auf die Tränendrüsen zu drücken und Cristos mit Schilderungen seiner armen Familie zu beeindrucken, die unter seinem Pech leiden musste. In Wirklichkeit war Spyros ein Spieler und ein Taugenichts. Er brüstete sich damit, trotz seiner zweiundvierzig Jahre nicht einen Tag regulär gearbeitet zu haben.

Vor sechs Monaten hatte Cristos mit dieser Legende aufgeräumt und Spyros in den Aufsichtsrat seiner Londoner Reederei geholt, in der Hoffnung, dass sein Cousin in dieser neuen Umgebung ohne seine alte Clique von Schmeichlern und Schmarotzern einen neuen Anfang würde machen können. Um ihm dabei zu helfen, hatte Cristos als Erstes all seine Schulden bezahlt. Als er davon hörte, hatte sein Großvater Patras einen Lachanfall bekommen.

„Spyros ist ein Blutegel und ein Verlierer. Es gibt in jeder Familie immer so jemanden. Glücklicherweise können wir uns das leisten. Du solltest dir ihn einfach vom Hals halten. Ändern kannst du ihn nicht.“ Patras hatte gewettet, dass Spyros spätestens nach einem halben Jahr wieder zu seinen alten Gewohnheiten zurückkehren würde.

Cristos hatte die Wette angenommen. Er sah nicht ein, warum seine Familie Spyros’ verschwenderischen Lebensstil unterstützen sollte. Obwohl er seinen Großvater respektierte, war er der Überzeugung gewesen, dass man seinem Cousin Zügel anlegen musste. Doch inzwischen fürchtete er, die Wette zu verlieren. Ihm war nicht entgangen, dass Spyros in letzter Zeit auffällige Anzeichen von Stress zeigte. Offensichtlich war er den Anforderungen seines neuen Jobs nicht gewachsen.

„Du wunderst dich bestimmt, warum ich dich persönlich vom Flughafen abhole“, sagte Spyros in diesem Moment. „Ich wollte mich dafür bedanken, dass du mir noch einmal eine Chance gegeben hast. Mein Leben hat sich dadurch komplett verändert.“

Cristos war erstaunt, dass Spyros vor seinem Assistenten so offen sprach. „Ich freue mich, wenn ich dir helfen konnte.“

„Kommst du heute zu uns zum Abendessen?“, fragte Cristos’ Cousin.

Cristos hatte eigentlich andere Pläne. Seine derzeitige Geliebte würde in dem Apartment, das er ihr gekauft hatte, auf ihn warten. Nach einem langen Tag voller Meetings war eine Nacht zwischen seidenen Laken mit einer Frau, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen würde, genau das Richtige. Aber das Schicksal schien etwas anderes mit ihm vorzuhaben. Schließlich war er ein Mann mit Prinzipien. Spyros hatte zu einem ordentlichen Lebenswandel zurückgefunden, und dieser Umstand verdiente seinen Respekt.

Bevor sie in den kleinen Vorort fuhr, wo ihre Schwester Gemma mit ihrem Freund Rory lebte, fasste Betsy einen Entschluss. Sie würde nicht wieder so allergisch reagieren, egal, was Gemma zu ihr sagen würde.

Daher erwiderte sie auch nichts, als diese eine abfällige Bemerkung über den Zustand ihrer Fingernägel machte, die in der Werkstatt arg gelitten hatten. Danach folgte die spitze Bemerkung, dass Betsy in den Jeans und dem weiten Hemd wie ein Mann aussehe. Die Krönung des Ganzen aber war die Feststellung, dass sie arm wie eine Kirchenmaus sei. Normalerweise wäre daraufhin eine hitzige Diskussion mit vielen Tränen gefolgt. Aber Betsy blieb stumm und gratulierte sich selbst dazu, dass sie nicht auf die Versuchung hereingefallen war.

Unbehaglich saß Rory zwischen den beiden und versuchte, die Wogen zu glätten. Seine hilflosen Bemühungen, ein unverfängliches Thema zu finden, fruchteten jedoch nicht. Und fast tat er Betsy leid. Er wusste auch nicht, warum es ihre jüngere Schwester für nötig hielt, Betsy so anzugreifen.

Wenn überhaupt, hätte Betsy Grund gehabt, über Gemma den Stab zu brechen. Vor drei Jahren standen sie und Rory kurz vor der Verlobung. Dann hatte Gemma überraschend verkündet, dass sie schwanger und Rory der Vater des Kindes sei. Ihre Eltern hatten Betsy daraufhin überredet, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und auf Rory zu verzichten. Und sie war viel zu stolz gewesen, um einen Mann zu kämpfen, der sie hinter ihrem Rücken mit ihrer Schwester betrogen hatte. In gewisser Weise konnte sie ihn sogar verstehen, denn Gemma war wesentlich hübscher als sie. Aber tief in ihrem Herzen liebte sie Rory noch immer, und dieser Umstand lag wie ein Schatten auf ihrem Leben.

„Mädchen in deinem Alter hängen normalerweise am Samstagabend auf Partys herum“, bemerkte Gemma in diesem Moment. „Ich verstehe einfach nicht, warum du immer noch keinen Freund gefunden hast.“

Betsy konnte sich nur noch mit Mühe beherrschen. Fast hätte sie erwidert, dass sie ja einen Freund gehabt hätte, bevor ihre Schwester ihn ihr abspenstig gemacht hätte. Aber sie wollte weiteren Ärger auf jeden Fall vermeiden. Daher griff sie zu einer Notlüge.

„Es gibt da jemand bei der Arbeit, den ich sehr nett finde.“

Überrascht blickte ihre Schwester sie an. „Und wie heißt er?“

„Joe …“ Betsy biss sich auf die Lippe und blickte starr auf ihren Teller. Ihr war der Appetit vergangen. Denn ihr war klar, dass auf eine Lüge viele andere folgen würden. Joe existierte allerdings tatsächlich und hatte sie sogar schon zwei Mal um eine Verabredung gebeten. „Er hat vor zwei Wochen bei uns angefangen.“

„Wie alt ist er? Und wie sieht er aus?“ Gemmas Interesse war geweckt.

„Ende zwanzig. Er ist groß, blond und sieht sehr gut aus.“

Ihre Schwester war erfreut. „Es wird auch langsam Zeit, dass du …“

Rory hingegen sah Betsy stirnrunzelnd an. „Was weißt du über ihn? Es gibt eine Menge komischer Typen. Sei bitte vorsichtig!“

Gemmas Freude verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Sie sah plötzlich aus, als hätte man ihr einen Schlag versetzt. Betsy stöhnte insgeheim. Ihre Schwester empfand es immer als persönliche Beleidigung, wenn Rory sich für sie interessierte. Um von dem unerfreulichen Thema abzulenken, beugte Betsy sich zu ihrer kleinen Nichte herunter und hob sie hoch. Sie spielte eine Weile mit ihr und verkündete dann, dass sie leider gehen müsse, weil sie morgen früh aufzustehen hätte.

Kaum war sie in ihre kleine Wohnung in Hounslow zurückgekehrt, rief ihre Mutter an.

„Gemma hat sich über dich geärgert“, begann sie das Gespräch. Ein Satz, den Betsy nicht zum ersten Mal hörte. Am liebsten hätte sie den Hörer aufgelegt, doch dann zwang sie sich, ihrer Mutter zuzuhören.

„Ich hätte die beiden nicht besuchen sollen“, erwiderte sie müde. „Es gibt immer nur Stress.“

„Wenn Rory sich endlich überwinden könnte, deine arme Schwester zu heiraten, wäre es damit vorbei“, meinte ihre Mutter seufzend. „Was denkt er sich nur dabei? Sie haben ein gemeinsames Kind, er verdient gut als Anwalt – worauf wartet er eigentlich noch?“

„Mom, das geht uns wirklich nichts an. Wir …“

„Aber du musst es doch wissen! Du kennst Rory besser als jeder andere. Er bricht Gemma das Herz, wenn er so weitermacht.“

„Viele Paare leben heutzutage ohne Trauschein“, gab Betsy geduldig zu bedenken.

„Dich wollte er schließlich heiraten. Oder hast du das schon vergessen? Kein Wunder, dass deine Schwester verletzt ist. Sie glaubt immer noch, dass er dich lieber mag als sie.“

„Unsinn!“ Wie oft musste sie sich die Geschichte noch anhören? Gemma und ihre Mutter waren offensichtlich übereingekommen, dass sie Schuld an der ganzen Geschichte hatte. Dabei war sie es, die von Rory betrogen worden war! Womit hatte sie das nur verdient? Warum sollte sie die Tiraden ihrer Schwester in geduldigem Schweigen ertragen? Und warum stellte sich ihre Mutter auf Gemmas Seite? Vielleicht kam es daher, dass die beiden sich sehr ähnlich sahen und gleiche Ansichten über die Welt und das Leben hatten. Schon als kleines Kind hatte Betsy sich mit der Tatsache abfinden müssen, dass ihre Schwester das Lieblingskind ihrer Mutter war. Als Baby hatte Gemma einen Herzklappenfehler gehabt, und alle waren ständig um sie besorgt gewesen. Und auch nach ihrer Genesung blieb sie der Mittelpunkt der Familie. Ihre Eltern vergötterten Gemma, besonders nach der Geburt ihrer Tochter Sophie.

Im Vergleich dazu war Betsy immer das schwarze Schaf der Familie gewesen. Ihr Geschmack in Kleiderfragen und ihre Interessen waren in den Augen ihrer Mutter nie einer jungen Frau angemessen gewesen. Am besten hatte sie sich mit ihrem Großvater verstanden, der leider inzwischen tot war. Gemeinsam hatten sie seine Oldtimer repariert, was Betsy viel Spaß gemacht hatte. Auch in ihrer Freizeit hatte sie sich, anders als andere Mädchen, mehr für Autos interessiert als für Jungen. Betsy war eine Spätentwicklerin gewesen. Der Erfolg, den ihre Schwester beim anderen Geschlecht hatte, hatte sie eingeschüchtert.

Mit achtzehn lernte sie dann Rory in einem Sportclub kennen. Zuerst waren sie nur locker befreundet gewesen, doch dann bat er sie, mit ihm auszugehen. Das war der Anfang vom Ende gewesen, dachte Betsy jetzt. Sein Verrat hatte sie tief getroffen. Danach hatte sie keine Lust auf weitere amouröse Abenteuer gehabt.

Als Betsy am nächsten Morgen bei der Arbeit erschien, traf sie als Erstes Joe Tyler, der gerade die Kühlerhaube einer Limousine polierte. Betsy wusste nicht genau, was sie von ihm halten sollte. Kein Zweifel, er sah gut aus, schien ihr aber ziemlich arrogant zu sein. Vor zwei Wochen hatte er bei „Imperial“ angefangen und bisher noch kein Wort über die miese Bezahlung, die langen Arbeitszeiten und die verwöhnte Kundschaft verloren. Alles Themen, über die in der Firma dauernd geredet wurde. Genau wie Betsy war er ein Einzelgänger und ausgesprochen wortkarg. Wie lang ist es eigentlich her, dass ich mit jemandem ausgegangen bin, überlegte Betsy. Zu lang, entschied sie und begrüßte den jungen Mann herzlich.

„Hallo, Joe. Du hast doch gesagt, du könntest Karten für das Autorennen in Silverstone bekommen. Gilt dein Angebot noch?“

„Na klar“, erwiderte er und lächelte sie an.

Wieder war sie sich nicht sicher, ob sie ihn mochte oder nicht. Offensichtlich war er Erfolg bei Frauen gewohnt. Nun, sie würde es ihm nicht leicht machen, so viel stand fest.

Sechs Wochen nach seinem ersten Besuch in London kehrte Cristos aus Südfrankreich zurück.

Timon holte ihn wie gewohnt vom Flughafen ab und reichte ihm einen versiegelten Umschlag.

Cristos sah ihn fragend an. „Was ist das?“

„Der Umschlag ist von Spyros.“

Cristos zog eine Glückwunschkarte aus dem Kuvert, die von Spyros unterschrieben war. „Ich habe aber nicht Geburtstag“, sagte er befremdet.

Timon sah gestresst aus, erwiderte aber nichts, sondern führte Cristos zu einer Limousine, die ihm bekannt vorkam. War dies die Überraschung, die Spyros für ihn geplant hatte? So viel Einfühlungsvermögen hätte er seinem Cousin gar nicht zugetraut.

Timon sah sich zu einer Erklärung genötigt. „Ihr Cousin wollte Ihnen eine Freude machen. Er bestand darauf, dass ich diesen Wagen für Sie reservieren lasse. Ich konnte nichts dagegen machen, ich …“

„He, ist ja gut.“ Beruhigend legte Cristos seinem Assistenten eine Hand auf die Schulter und betrachtete erfreut die weibliche Gestalt am Steuer. Das war tatsächlich eine Überraschung!

Die junge Frau stieg aus und ging auf ihn zu. Diesmal erschien sie ihm fast noch schöner als beim ersten Mal. Sie war perfekt gebaut und bewegte sich mit der geschmeidigen Grazie einer Tänzerin. Wie mochte sie wohl in einem Seidenkleid aussehen? Seide, die unter seinen Fingern knistern würde, wenn er ihr das Kleid auszog. Cristos dachte nicht eine Sekunde lang an die Möglichkeit, dass er sie nicht besitzen könnte. Wenn er eine Frau haben wollte, bekam er sie auch. Ein- oder zweimal hatte ihn seine starke Libido in Schwierigkeiten gebracht, denn auch die Frauen seiner Freunde oder Geschäftspartner waren stets bereit gewesen, mit ihm ins Bett zu gehen. Nicht eine Einzige hatte ihn je zurückgewiesen.

„Ihre Bodyguards sind nicht sehr erfreut über diesen Einfall“, warnte Timon ihn. „Die Zeit reichte einfach nicht, um die Firma richtig zu durchleuchten.“

„Kein Problem“, erwiderte Cristos, der den Blick nicht von der jungen Frau lassen konnte. Ihre Haltung verriet Stolz und den Willen zur Unabhängigkeit. Ob sie Schwierigkeiten machen würde? Er liebte Herausforderungen, aber er war auch pragmatisch veranlagt. Er hatte nur dieses eine Wochenende.

„Die Firma ist sehr klein. Vielleicht bieten die Leute nicht den Sicherheitsstandard, an den Sie gewöhnt sind, und …“

„Aber vielleicht ist der Service deshalb ja viel besser“, ergänzte Cristos mit funkelnden Augen. „Jetzt hör auf, dir Sorgen zu machen. Hast du nichts im Büro zu tun?“

Timon verstand den Hinweis und verabschiedete sich rasch.

Betsy fühlte sich nicht besonders wohl in ihrer Haut. Ihr Chef hatte ihr ans Herz gelegt, alles zu tun, um den neuen Kunden zufriedenzustellen. Er hatte ihr gesagt, dass es sich um einen reichen ausländischen Geschäftsmann handle. Natürlich versprach er sich davon weitere Aufträge. Sie war überrascht gewesen, dass er sie damit beauftragt hatte. Das war eine große Ehre, denn normalerweise bekamen die männlichen Chauffeure die lukrativsten Aufträge. Dann waren Cristos Stephanides’ Bodyguards erschienen und hatten in der kleinen Firma für einigen Wirbel gesorgt. Die Männer hatten kein Hehl aus ihrer Verachtung für die Firma gemacht und die Nase über die schäbigen Büros und die Mietfahrzeuge gerümpft. Betsy waren sie wie Gangster aus einem Mafiafilm erschienen, und ihre Freude über den Auftrag hatte einen kleinen Dämpfer bekommen.

Auch jetzt war ihr klar, dass sie unter Beobachtung stand. Sie hob den Kopf und sah eine männliche Gestalt auf sich zukommen. Plötzlich hatte sie den Eindruck, als würde die Zeit stillstehen. Der Mann war groß, schlank und so attraktiv, dass es ihr den Atem verschlug. Aber dann zwang sie sich, ganz normal zu reagieren.

„Mr Stephanides …“ Glücklicherweise hatte sie ihre Stimme wiedergefunden.

„Guten Tag! Sie sind …?“

„Betsy Mitchell“, erwiderte sie und öffnete ihm den Wagenschlag.

„Betsy …“ Er sprach ihren Namen wie ein Kosewort aus. Seine Stimme war tief und seidenweich und klang so sexy, dass Betsy unwillkürlich erschauerte. „Darf ich Sie so nennen?“

„Mitchell wäre mir lieber, Sir“, erwiderte sie förmlich.

Cristos sah sie überrascht an. Er war an Widerspruch nicht gewöhnt. Aus der Nähe sah er, dass sie längst nicht so groß war, wie er zunächst gedacht hatte. Und obwohl sie sich alle Mühe gab, kühl und professionell zu erscheinen, wirkte sie, wie er feststellte, ziemlich nervös. Sein Interesse war jedenfalls geweckt.

„Betsy ist mir aber lieber“, betonte er und sah sie eindringlich an.

Sie war gezwungen, ihm in die Augen zu sehen, und spürte, dass ihr Herz plötzlich schneller schlug. Er ließ den Blick langsam über ihr Gesicht gleiten und schließlich auf ihren vollen Lippen ruhen. Unwillkürlich befeuchtete sie diese und schluckte trocken, während er anzüglich lächelte.

Sie war so fasziniert von ihm, dass sie ihn am liebsten stundenlang angesehen hätte. Aber dann stieg er ein, und Betsy erwachte aus ihrer Erstarrung und nahm am Steuer Platz. Plötzlich merkte sie, wie feucht ihre Hände waren, und ärgerte sich über die unverschämte Art, mit der Cristos sie betrachtet hatte. Als wäre sie ein Pferd, das auf dem Markt zum Verkauf stand. Gleichzeitig musste sie sich eingestehen, dass sie ihn ausgesprochen attraktiv fand. Aber das war ja auch kein Wunder. Jede Frau wäre von einem solchen Mann beeindruckt gewesen.

„Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Sir?“, erkundigte sie sich.

Cristos schüttelte den Kopf. „Nein, es gibt kein stilles Wasser an Bord.“

Dabei hatte sich Betsy solche Mühe gegeben, die Bar mit allen gängigen Getränken zu bestücken. Sie hatte gehofft, seinen hohen Ansprüchen genügen zu können. Aber er war eben ein Kunde der Luxusklasse mit einem exquisiten Geschmack. Mineralwasser mit Kohlensäure war ihm wahrscheinlich ein Gräuel. Bei der nächsten Tankstelle hielt sie daher an und stieg aus. Cristos kurbelte das Fenster herunter.

„Warum halten Sie an?“, fragte er.

„Sie wollten doch stilles Wasser haben, Sir. Mein Chef hat mich gebeten, Ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen.“

„Eine großartige Anweisung“, erwiderte er und sah sie verführerisch an.

Erneut merkte Betsy, welche Wirkung seine starke animalische Ausstrahlung auf sie hatte, denn sie fühlte sich wie das Kaninchen vor der Schlange. Wie gebannt blickte sie ihn an, nahm seine geschwungenen Lippen, die hohen Wangenknochen, die gebräunte Haut und vor allem seine bernsteinfarbenen Augen wahr, in deren Blick man zu versinken drohte. Nur mit Mühe kehrte sie in die Realität zurück.

Als sie das Mineralwasser holte, merkte sie, wie weich ihre Knie waren. Unglaublich, welche Wirkung dieser Mann auf sie hatte! Sie kam sich vor wie ein verliebter Teenager. So etwas hatte sie noch nie erlebt.

In diesem Moment kam ihr der Chef der Bodyguards entgegen und fuhr sie zornig an: „Wer hat Ihnen die Erlaubnis gegeben, von der geplanten Route abzuweichen? Sie haben Mr Stephanides in einem offenen Wagen ohne Schutz zurückgelassen. Sind Sie völlig verrückt geworden?“

Betsy sah ihn überrascht an. „Niemand hat mir gesagt, dass ich eine Erlaubnis brauche, um anzuhalten.“

„Dann teile ich es Ihnen eben jetzt mit“, erwiderte er aufgebracht. „Tun Sie so etwas nie wieder, oder ich werde dafür sorgen, dass Sie Ihren Job verlieren.“

Ohne zu antworten, ging Betsy zum Wagen zurück und nahm am Steuer Platz. Sie zitterte vor Empörung. Was fiel dem Mann ein, sie so einzuschüchtern? Schließlich machte sie ihre Arbeit nicht erst seit gestern. Aber sie war nun einmal in einer kleinen Firma beschäftigt, die normalerweise nicht mit so gewichtigen Kunden zu tun hatte. Hoffentlich war das Ganze bald vorbei. Je eher sie Cristos an sein Ziel brachte, desto besser.

„Was war denn los?“, fragte er besorgt. „Was wollte mein Bodyguard von Ihnen?“ Dorius war der Chef der Truppe, und es hatte seinetwegen schon öfter Ärger gegeben. Er vergriff sich manchmal im Ton und ging mit Menschen um, als wären sie ein lästiges Übel. Cristos war nicht entgangen, wie allergisch Betsy auf das Eingreifen des Mannes reagiert hatte. Am liebsten wäre Cristos aus dem Wagen gesprungen, um ihn in seine Schranken zu weisen.

„Er … er wollte wissen, warum wir vom Weg abgewichen sind“, erklärte sie.

Doch Cristos war nicht entgangen, dass Dorius Betsy zur Schnecke gemacht hatte.

„Haben Sie sich über ihn geärgert?“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als diesem eingebildeten Kunden ihr Herz zu öffnen.

Doch Cristos wusste genau, dass sie ihn belog, und es ärgerte ihn. Offensichtlich war sie verletzt und wollte es nur nicht zugeben. Aber ihm konnte sie nichts vormachen. Dazu besaß er viel zu viel Menschenkenntnis. Außerdem fiel ihm auf, wie langsam sie mit einem Mal fuhr und dass sie sich ohne ersichtlichen Grund am Armaturenbrett zu schaffen machte. Der Vorfall hatte sie anscheinend mehr aufgeregt, als sie zugeben wollte.

Betsy musste plötzlich an die schreckliche Woche denken, die hinter ihr lag. Es war ein Fehler gewesen, Joe Tylers Einladung anzunehmen. Sie waren zwar miteinander ausgegangen, aber am Ende des Abends hatte er sie wie ein Flittchen behandelt. Er wurde im Auto zudringlich, und sie konnte sich seiner nur mit Mühe erwehren. Das gefiel ihm natürlich überhaupt nicht, und er beschimpfte sie laut. Als Betsy schließlich ausstieg, zitterte sie am ganzen Leib. Sie war heilfroh gewesen, als sie endlich wieder zu Hause war.

Deshalb dachte sie auch nicht daran, jetzt dem Charme eines reichen Griechen zu verfallen. Cristos war von ihrer Welt so weit entfernt wie der Mensch vom Mars. Am besten ignorierte sie ihn einfach. Entschlossen gab sie Gas und blickte nur noch starr geradeaus auf die Autobahn.

Noch nie war Cristos von einer Frau derartig ignoriert worden, und es gefiel ihm gar nicht. Er klopfte an die Scheibe, die den vorderen und hinteren Teil des Wagens voneinander trennte. Widerwillig ließ Betsy sie herunter.

„Ja, bitte, Sir?“

„Fahren Sie an der nächsten Abfahrt herunter. Es gibt dort ein Hotel, wo wir Kaffee trinken können.“

„Ist das denn im Plan vorgesehen?“

„Das ist mir egal“, erwiderte Cristos. „Ich arbeite an diesem Wochenende nicht und kann tun und lassen, was ich will.“

Betsy hatte ein mulmiges Gefühl, wenn sie an die Reaktion der Bodyguards im Wagen hinter ihnen dachte. Ein weiterer Halt passte ihnen bestimmt nicht. Aber Cristos war nun einmal der Boss.

Wenige Minuten später erreichten sie einen hübschen Landgasthof. Betsy stieg aus und öffnete Cristos die Tür.

„Ich hasse es, stundenlang im Auto eingeschlossen zu sein“, meinte er. „Hätten Sie Lust, mit mir einen Kaffee zu trinken?“

Betsy sah ihn alarmiert an. Plötzlich fielen ihr die kleinen goldenen Pünktchen in seinen braunen Augen auf. Für einen Mann hatte er viel zu lange Wimpern. Bedauernd schüttelte sie den Kopf.

„Danke, Sir, lieber nicht. Ich bleibe besser beim Wagen.“

Er sah sie stirnrunzelnd an. „Sie haben mich wohl nicht verstanden. Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.“

Wohl oder übel musste Betsy sich fügen. In diesem Moment hielt der andere Wagen, und einer der Bodyguards eilte auf sie zu. Cristos stellte ihn auf Griechisch zur Rede. Mit Genugtuung stellte sie fest, wie der Mann den Kopf einzog und schnell zum Auto zurückging. Offensichtlich hatte Cristos ihn in seine Schranken verwiesen.

Das Hotel, das zunächst wie ein einfaches Landhaus auf Betsy gewirkt hatte, erwies sich als Luxusoase. Doch Betsy fühlte sich nicht wohl in dieser Umgebung. Cristos hingegen schien sich hier wie zu Hause zu fühlen. Er begrüßte die Dame an der Rezeption wie eine alte Bekannte und führte Betsy dann in einen kleinen Salon, wo im Kamin ein gemütliches Feuer prasselte.

„Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir!“, forderte er sie auf und wies auf ein Ledersofa.

Betsy schüttelte jedoch entschieden den Kopf. „Nein, das … würde sich nicht schicken.“

„Bitte überlassen Sie es mir zu beurteilen, was sich schickt und was nicht.“

„Sir!“ Betsy sah ihn warnend an. Sie musste wohl deutlicher werden. „Mein Job ist es, Sie an Ihr Ziel zu bringen. Außerdem ist es ganz allein meine Sache, wie und mit wem ich meine Freizeit verbringe.“

„Du liebe Güte, sind Sie immer so streng?“ Er betrachtete sie amüsiert. „Wäre es denn so schlimm, wenn Sie mit mir einen Kaffee trinken? Ich würde mich über Ihre Gesellschaft wirklich sehr freuen.“

„Aber warum?“, fragte sie misstrauisch und musste erneut an den Abend mit Joe denken. Ohne Cristos näher zu kennen, wusste sie, dass er ihr weitaus gefährlicher werden könnte als Joe.

Die junge Frau hat es wirklich in sich, dachte Cristos. Offensichtlich war sie nicht die leichte Beute, für die er sie auf den ersten Blick gehalten hatte. Trotzdem wusste er, dass er auf sie Eindruck gemacht hatte, wie auf die meisten Frauen. Oft genügte das schon, um sie zu verführen. Betsy hingegen schien eine weitaus härtere Nuss zu sein. Vielleicht hatte sie schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht. Nun, das erhöhte den Reiz natürlich noch. Es gab nichts Spannenderes als Wild, das zu fliehen versuchte. Er musste sich wohl etwas mehr ins Zeug legen.

„Weil … weil ich es schön fände, wenn Sie mir Gesellschaft leisten würden“, erwiderte er schließlich galant.

Seine Begründung überzeugte Betsy jedoch nicht. Bisher war es ihr noch nie passiert, dass ein Kunde so persönlich geworden war. Sicherlich hatten ihr strenges Outfit und ihre Zurückhaltung das Ihre dazu beigetragen, die Männer auf Abstand zu halten. Deshalb war sie auf eine Situation wie diese einfach nicht vorbereitet.

„Sind Sie verheiratet?“, fragte Cristos interessiert. „Oder leben Sie mit jemandem zusammen?“

„Nein, ich …“

„Nun kommen Sie schon her! Ich werde Sie nicht fressen, das verspreche ich Ihnen.“

Langsam wurde es Betsy peinlich. Sie setzte sich langsam aufs Sofa und war froh, als der Ober erschien und sich nach ihren Wünschen erkundigte. Cristos, der offensichtlich merkte, wie unbehaglich ihr zumute war, versuchte, sie mit Geschichten aus seinem Leben aufzuheitern. Während er ihr von einer Hochzeit berichtete, zu der er vor Kurzem eingeladen worden war, studierte sie aufmerksam seine Züge. Alles an ihm faszinierte sie.

Nachdem der Ober den Kaffee gebracht hatte, trank sie ihn, ohne von seinem Geschmack etwas wahrzunehmen. Dann nahm sie auf Cristos Bitte hin ihre Mütze ab, sodass ihr das rote Haar kaskadengleich auf die Schultern fiel. Sein bewundernder Blick verunsicherte sie, weshalb sie auf seine Fragen nur einsilbig antwortete. Ja, sie sei fünfundzwanzig und Single, arbeite seit drei Jahren für die Firma „Imperial“ und sei seit frühester Kindheit an Autos interessiert gewesen. Betsy, die zunächst gar nicht glauben konnte, dass er sich tatsächlich für ihr Leben interessierte, entspannte sich langsam.

Doch irgendwann nahm das Gespräch eine persönliche Wendung, und Betsy hatte keinen Zweifel mehr, was hinter Cristos’ Anteilnahme steckte. Abrupt setzte sie ihre Kaffeetasse ab.

„Ich bin Ihr Chauffeur“, erklärte sie. „An allem anderen bin ich nicht interessiert.“

Cristos schüttelte den Kopf. „Das kann ich einfach nicht glauben“, erwiderte er ruhig.

Betsy schoss das Blut ins Gesicht. „Ich muss ein Gemälde auch nicht gleich kaufen, wenn es mir gefällt.“

„Was wollen Sie damit sagen?“ Er sah sie alarmiert an. „Die Situation ist vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, aber …“

„Das ist mir egal! Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, und wiederhole noch einmal, dass ich nicht interessiert bin. Ich denke nicht daran, Ihretwegen meinen Job zu verlieren. Falls es Ihnen bisher noch nicht aufgefallen sein sollte – ich verdiene mir damit meinen Lebensunterhalt. Sie können mich als Fahrer zwar mieten, aber privat stehe ich Ihnen nicht zur Verfügung.“

Cristos blickte sie verblüfft an. Sie wirkte in diesem Moment wie eine wütende Löwin und sah schöner aus denn je. Nichts hätte er lieber getan, als ihr die Uniform vom Leib zu reißen und genau das zu tun, was sie ihm vorgeworfen hatte. Sie sollte dankbar sein, dass er sich überhaupt für sie interessierte. Ihr Angriff hatte ihn völlig überrascht. Es war noch nie passiert, dass ihm eine Frau in aller Öffentlichkeit eine Szene machte. Leider konnte er nicht so reagieren, wie er es normalerweise gern getan hätte. Nicht weit von ihnen saßen seine Bodyguards in einem anderen Separee und taten so, als ginge sie das alles gar nichts an. Aber er hätte wetten können, dass ihnen kein Wort der Unterhaltung entgangen war. Sprachlos verfolgte er, wie Betsy hocherhobenen Hauptes den Raum verließ.

Was für ein arroganter Kerl, dachte sie wütend, als sie ins Auto stieg und die Tür zuknallte. Hatte er wirklich geglaubt, er bräuchte ihr nur ein paar Minuten lang zuzuhören, und sie würde freiwillig mit ihm aufs Zimmer gehen? Denn das war ja wohl seine Absicht gewesen, als er sie zum Kaffee eingeladen hatte. Wirkte sie tatsächlich so dumm, als würde sie auf einen derart plumpen Annäherungsversuch hereinfallen? Oder so billig, als würde sie sich ihm freiwillig an den Hals werfen? Hätte sie dafür ein extra großes Trinkgeld bekommen? Oder wie hatte er sich die Belohnung vorgestellt? Als sie ihn jetzt näherkommen sah, versteifte sie sich unwillkürlich.

Cristos sah wirklich zum Fürchten aus. Er blieb vor dem Wagen stehen und schien nicht gewillt zu sein, die Tür selbst zu öffnen. Wohl oder übel musste Betsy also aussteigen und ihm den Wagenschlag öffnen. Er hätte sich sonst wohl nicht vom Fleck gerührt.

„Vielen Dank“, sagte er kalt und stieg dann ein.

Noch nie hatte sie jemanden so gehasst wie ihn! Eine Stunde lang fuhr sie weiter, ohne ein Wort zu sagen, verließ dann die Autobahn und bog schließlich auf eine Landstraße ab. Hier musste sie das Tempo drosseln, als plötzlich ein Traktor aus einer Seitenstraße kam und sich zwischen sie und den Wagen der Bodyguards schob.

Endlich richtete Cristos wieder das Wort an sie.

„Um es ein für alle Mal klarzustellen“, begann er, „ich bin an flüchtigen Abenteuern auch nicht interessiert.“

„Und ich nicht an einem Gespräch darüber“, erwiderte Betsy bestimmt. „Wenn Sie wirklich mit mir sprechen wollen, warten Sie damit, bis ich nicht mehr im Dienst bin. Dann bin ich auch nicht gezwungen, höflich zu Ihnen zu sein.“

„Das müssen Sie mir gegenüber auch nicht sein. Das verlangt kein Mensch von Ihnen“, erwiderte Cristos ärgerlich.

„Ach nein? Das sehe ich aber ganz anders.“

Plötzlich stockte Betsy der Atem, denn sie erblickte einen hellen, metallischen Gegenstand, der wie aus dem Nichts auf sie zugeflogen kam. Er fiel klirrend auf die Straße und wurde augenblicklich von den Rädern der Limousine überrollt. Im nächsten Moment platzte ein Reifen, dann ein zweiter. Der Wagen kam ins Schlingern, ohne dass Betsy es verhindern konnte. Sie schlitterten über die Straße und landeten schließlich im Graben. Kaum hatte sie sich von dem Schock erholt, wurde auch schon die Tür aufgerissen, und jemand zerrte sie gewaltsam aus dem Auto.

Benommen erkannte Betsy Joe Tyler, der sie hasserfüllt anstarrte. „Joe?“, fragte sie überrascht und konnte sich auf sein Erscheinen keinen Reim machen.

„Schlaf gut, Betsy“, sagte er höhnisch.

Und erst jetzt sah sie, dass er eine Waffe in den Händen hielt. Im nächsten Moment erhielt sie einen Schlag in den Magen und rang nach Luft. Bevor sie das Bewusstsein verlor, hörte sie wie aus weiter Ferne Joe noch sagen: „Was fällt dir ein, meine Freundin anzumachen, du griechischer Bastard? Ihr beide werdet euch noch wundern!“

Im nächsten Moment wurde sie ohnmächtig und sank auf dem Sitz in sich zusammen.

2. KAPITEL

Cristos kam als Erster wieder zu sich. Benommen sah er sich um und stellte fest, dass er auf einem Bett lag und sich in einer ihm völlig unbekannten Umgebung befand. Neben ihm entdeckte er Betsy, die noch immer ohnmächtig zu sein schien. Die Mütze war ihr vom Kopf gerutscht, ihr rotes Haar auf dem Kissen ausgebreitet. Erneut fiel ihm auf, wie makellos ihre Haut war. Sie wirkte so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Bei diesem Gedanken hätte er fast laut gelacht.

Unschuldig – Betsy war offenbar das genaue Gegenteil! Noch nie war er auf eine Frau so wütend gewesen. Anscheinend hatte sie alles geplant und ihn mit voller Absicht in diese Falle gelockt. Aber so etwas machte man nicht mit einem Mann wie ihm. Das würde Betsy Mitchell schon noch erfahren. Dumm nur, dass sie von ihrem Komplizen ebenfalls hereingelegt worden war. Damit hatte sie wahrscheinlich nicht gerechnet.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Betsy erwachte. Dann merkte sie, dass sie schreckliche Kopfschmerzen hatte. Ihre Glieder fühlten sich schwer wie Blei an. Außerdem war ihr sehr heiß, und sie verspürte schrecklichen Durst. Was war nur mit ihr los, und wo befand sie sich? Normalerweise ging sie nie angekleidet ins Bett. Dann kehrte ganz langsam die Erinnerung zurück. Joes letzte Worte fielen ihr ein, und jetzt erinnerte sie sich auch an den Schlag, den er ihr versetzt hatte. War sie deshalb ohnmächtig geworden? Und was war mit Cristos? Wo war er?

Joe hatte sich ganz offensichtlich rächen wollen, weil sie ihn zurückgewiesen hatte. Eine andere Erklärung gab es nicht für sein Verhalten. Unvermittelt setzte Betsy sich auf. Er musste verrückt geworden sein. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie nur einen Schuh trug. Sie erhob sich schwankend und durchquerte langsam das Zimmer. Die Tür stand offen, Licht fiel herein.

Auf der Schwelle blieb Betsy wie erstarrt stehen, blinzelte und rieb sich dann die Augen. Auf den Anblick, der sich ihr bot, war sie nicht vorbereitet. Nicht weit von ihr entfernt erstreckte sich ein schimmernder Sandstrand, dahinter glitzerte und funkelte das tiefblaue Meer. Die Schönheit der Szenerie raubte ihr den Atem. Halluzinierte sie etwa? Als sie die Kontrolle über die Limousine verloren hatte, hatte es noch geregnet, und sie waren in England auf dem Land gewesen. Es war einer jener typischen englischen Frühlingstage gewesen, an denen das Wetter zwischen Sonne und Regen wechselte. Jetzt dagegen schien sie sich am Mittelmeer zu befinden. Was war nur mit ihr geschehen?

In diesem Moment erblickte sie Cristos, der hinter einem Felsen hervorkam. Erleichtert sah sie ihn an. Es war ihm nichts passiert. Sie hätte es sich nie verziehen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Während er sich ihr näherte, stellte sie fest, dass er Krawatte und Jackett abgelegt und die Knöpfe seines hellgrauen Hemdes geöffnet hatte. Ihr fiel auf, wie breit seine Schultern waren. Sein dunkles Haar war ein wenig zerzaust, was ihn jünger erscheinen ließ. Der Dreitagebart betonte seine sinnlichen Lippen. Kein Zweifel, er war einer der attraktivsten Männer, die ihr je begegnet waren, und Betsy fühlte sich unwiderstehlich von ihm angezogen.

Bei ihrem Anblick blieb Cristos unvermittelt stehen.

„Wo sind wir?“, fragte er mit rauer Stimme.

Betsy konnte sich seinen schroffen Ton nicht erklären. Woher sollte sie wissen, wo sie sich befanden?

„Ich habe keine Ahnung.“

„Verkauf mich nicht für dumm“, fuhr er sie verärgert an.

Betsy sah ihn entgeistert an. „Was wollen Sie damit sagen?“

„Komm schon! Du steckst doch mit diesen Kidnappern unter einer Decke.“

„Wie bitte?“

„Anscheinend hast du nicht damit gerechnet, dass deine Komplizen dich loswerden wollten, oder?“

„Meine Komplizen? Ich bitte Sie … dich … wie kannst du so etwas glauben?“ Betsy hatte den Eindruck, als würde sie träumen. Aber es war kein schöner Traum.

„Ich habe gehört, wie du diesen Gangster beim Namen genannt hast.“

Gangster? Von wem redete er nur? Betsy hatte den Eindruck, dass ihre Kopfschmerzen von Minute zu Minute schlimmer wurden.

„Meinst du Joe?“, fragte sie verwirrt. „Ja, ich war auch erstaunt, als er plötzlich auftauchte. Er arbeitet für unsere Firma. Keine Ahnung, was er …“

„Du hast aber den Eindruck gemacht, als würdest du dich sehr freuen, ihn zu sehen.“

„Freuen? Ganz im Gegenteil. Ich war total schockiert. Mir war zuerst überhaupt nicht klar, was passiert war. Ich dachte, wir hätten einen Unfall gehabt.“ Sie fuhr sich über die Stirn, auf der Schweißperlen standen. Was kein Wunder bei dieser Hitze war. Oder war es der Stress?

„Sie haben uns einen Metallhaken vors Auto geworfen, stimmt’s? Ich dachte zuerst wirklich, es sei nur ein Unfall.“

Cristos schüttelte den Kopf. „Gib dir keine Mühe. Du wirst mich nicht davon überzeugen, dass du mit der Sache nichts zu tun hast.“

Betsy sah ihn entsetzt an. „Aber ich habe wirklich nichts damit zu tun. Bitte, glaub mir doch! Nur weil ich Joe kenne, heißt das noch nicht, dass ich …“

„Beleidige nicht meine Intelligenz!“ Cristos’ Stimme klang plötzlich eiskalt.

„Ich habe dir doch schon gesagt, dass er bei uns arbeitet. Mehr weiß ich nicht über ihn.“

„Nein? Und warum hat er dich dann als seine Freundin bezeichnet?“ Er sah sie triumphierend an.

Betsy biss sich auf die Lippe. „Wie meinst du das?“

„Wie ich es gesagt habe. Wenn ihr nur Arbeitskollegen seid – was sollte die Bemerkung dann?“

„Ich … ich habe keine Ahnung, wirklich nicht. Gut, ich bin einmal mit ihm ausgegangen, aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, mich …“

„Betsy! Zum letzten Mal, hör auf, mich anzulügen. Du steckst bis zum Hals mit in dieser miesen Nummer. Nun gib es doch endlich zu!“

Plötzlich war sie den Tränen nahe.

Cristos beugte sich vor und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Versteh doch endlich! Man hat mich entführt. Mein Leben ist in Gefahr. Und ich bin nicht der Mann, der so etwas einfach hinnimmt. Ich denke nicht daran, ruhig auf einer Insel im Mittelmeer auszuharren und darauf zu warten, was die Kidnapper sich als Nächstes ausdenken. Hast du das kapiert?“

„Wir sind auf einer Insel?“ Energisch machte Betsy sich von ihm los. Plötzlich hatte sie Angst, denn Cristos sah wirklich zum Fürchten aus. Er war viel größer und stärker als sie. Bei einem Kampf mit ihm hätte sie keine Chance. Außerdem glaubte er ihr offensichtlich nicht. Aber konnte sie es ihm verübeln? Er hatte ja recht. Etwas Furchtbares war geschehen. Er war entführt worden. Wer konnte schon sagen, was die Kidnapper mit ihm vorhatten? Wie hätte sie sich an seiner Stelle gefühlt? Und was musste er von ihr gedacht haben, als er erfuhr, dass sie einen der Gangster mit Namen kannte?

„Sag mir jetzt sofort, wo wir sind“, befahl Cristos. „Wie heißt diese Insel? Ich muss mir überlegen, wie wir von hier wieder wegkommen können.“

„Aber ich weiß es nicht, wirklich nicht. Bitte, glaub mir!“ Sie sah ihn flehentlich an.

„Ich glaube dir kein Wort“, erwiderte er grimmig. „Du warst der Köder und ich so dumm, darauf hereinzufallen.“

Betsy zitterte plötzlich am ganzen Leib. Schließlich kannte sie diesen Mann überhaupt nicht und konnte nicht ahnen, wie er unter Stress reagierte. Außerdem bestand kein Zweifel daran, dass sie in Gefahr waren. Trotzdem glaubte er, dass sie mit den Kidnappern unter einer Decke steckte. Nun wollte er Informationen von ihr haben, die sie ihm nicht geben konnte. Was sollte sie tun, wenn er gewalttätig wurde? Wieder fiel ihr die hässliche Szene im Auto mit Joe ein.

„Ich war kein Köder“, erwiderte sie beschwörend, „und habe mit dieser Entführung nichts zu tun. Glaub mir, ich bin über das Ganze genauso entsetzt wie du!“

„Lächerlich!“ Cristos war fest entschlossen, sich nicht von ihr einwickeln zu lassen. „Du gehörst zu der Bande. Aber dein Freund wollte dich wohl opfern.“

Betsy stampfte mit dem Fuß auf, und ihre Augen funkelten. „Er ist nicht mein Freund! Wie oft soll ich es dir noch sagen?“

„Lüg mich nur weiter an! Aber ich sage dir, du wirst es bereuen!“ Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht, und Betsy meinte, die Gefahr, die von ihm ausging, fast körperlich zu spüren. Einem plötzlichen Impuls gehorchend, drehte sie sich um und lief, so schnell sie konnte, zum Strand. Cristos machte keine Anstalten, ihr zu folgen. Sie hörte zwar, wie er ihr etwas nachrief, achtete aber nicht darauf, sondern rannte einfach blindlings weiter. Sie wollte nur fort von ihm, bevor er ihr etwas antun konnte!

Cristos sah ihr nach und stieß einen lauten Fluch aus. Er hatte die Angst in ihren Augen bemerkt und verspürte trotz seiner Wut auf Betsy plötzlich Gewissensbisse. War er zu hart gewesen? Noch nie in seinem Leben hatte er eine Frau geschlagen. Das war einfach nicht sein Stil. Keine Frau hatte sich bisher vor ihm fürchten müssen. Er war ein Mann, der jede Situation im Griff hatte und stolz auf seine Selbstkontrolle war. Es war falsch gewesen, ihr Angst einzujagen. Nur sie konnte ihm helfen, dieser Falle zu entkommen. Jetzt verfluchte er sein unbändiges Temperament.

Betsy lief durch die Dünen, bis sie nicht mehr konnte. Dann ließ sie sich in den Sand sinken und rang nach Luft. Endlich war sie in Sicherheit!

Nun konnte sie auch in Ruhe über ihre Lage nachdenken. Doch sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich keinen Reim auf das Ganze machen, und beim Gedanken an Joe Tyler wurde ihr eiskalt. Inzwischen traute sie ihm alles zu. War dies überhaupt sein richtiger Name? Plötzlich fiel ihr ein, dass der Auftrag von Cristos Stephanides bereits vor drei Wochen erfolgt war, und zwar bevor Joe für die Firma zu arbeiten begonnen hatte. Handelte es sich um ein abgekartetes Spiel? Hatte er von Anfang an geplant, Cristos zu kidnappen? Er hatte sich immer von den anderen Männern ferngehalten. Aber warum hatte er sich dann so sehr für sie interessiert? War auch dies ein falsches Spiel gewesen?

Mit einem Mal spürte Betsy, wie heiß die Sonne auf sie niederbrannte. Sie suchte Schutz unter einem Baum und versuchte zu ignorieren, wie durstig sie war. Nicht weit von ihr lag das Haus, in dem sie aufgewacht war. Seine Terrakottaziegel glänzten in der Sonne. Dahinter verbarg sich ein kleineres Gebäude. Vielleicht ein Bootshaus? So weit sie auch blickte, überall erstreckten sich weißer Sandstrand und das funkelnde Meer. Eigentlich war es eine Traumszenerie. Aber sie hätte jetzt alles für ein Glas Wasser gegeben. Irgendwo musste es hier doch welches geben! In der Ferne graste eine Schafherde. Bestimmt war eine Quelle in der Nähe.

Schließlich fand Betsy eine und trank dankbar das sprudelnde Wasser. Dann ließ sie sich erschöpft unter einem Baum nieder und fiel in einen tiefen Schlaf.

Als sie wieder erwachte, sah sie erschrocken auf ihre Uhr. Sie hatte anscheinend stundenlang geschlafen, denn es dämmerte bereits. Sie stand langsam auf und ging den Strand entlang. Plötzlich stolperte sie über einen Stein und rieb sich den schmerzenden Fuß.

Cristos hatte die Insel inzwischen mehrmals umrundet und dabei immer wieder nach Betsy Ausschau gehalten. Als er sie nicht fand, war sein Ärger in Besorgnis umgeschlagen. Als sie jetzt auftauchte, ging er langsam auf sie zu. Sie stand wie ein Reiher auf einem Bein und rieb sich den anderen Fuß mit Salzwasser ein. Offensichtlich hatte sie sich verletzt.

„Betsy! Komm her!“ Er winkte ihr.

Sie hatte ihn zuerst gar nicht wahrgenommen und blickte erschrocken auf. In diesem Moment wurde sie von einer großen Welle erfasst und ruderte hilflos mit den Armen. Doch die Strömung war unheimlich stark und drohte, sie in die Tiefe zu ziehen. Betsy schnappte nach Luft und versuchte mit aller Kraft, den Kopf über Wasser zu halten. Cristos beobachtete ihren Kampf, dann sprang er ins Wasser und schwamm auf sie zu.

Betsy hatte das Gefühl, als würden ihr die Lungen platzen, so viel Salzwasser hatte sie inzwischen geschluckt. Im nächsten Moment wurde sie von starken Armen gepackt, aus dem Wasser gezogen und sicher an Land gebracht. Dort beugte sich Cristos besorgt über sie.

„Es … es geht schon wieder“, keuchte sie erschöpft.

Er sagte etwas auf Griechisch zu ihr, doch sie antwortete nicht. Dann schossen ihr Tränen in die Augen, denn ihr wurde plötzlich klar, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte.

Cristos half ihr langsam hoch und führte sie zurück zum Haus. Er ging überraschend fürsorglich mit ihr um.

„Was ist mit deinem Fuß?“, fragte er besorgt.

„Geht schon wieder.“

Im Haus brachte er sie als Erstes ins Badezimmer und untersuchte ihren Fuß. Plötzlich merkte er, dass Betsy zitterte.

„Keine Angst, ich werde dir nichts tun“, beruhigte er sie. „Du bist bei mir sicher. Hast du das verstanden?“

Sie nickte benommen. „Könnte ich … ich glaube, ich würde jetzt gern ein Bad nehmen.“

„Das ist keine gute Idee. Die Wunde ist ziemlich tief. Du solltest eine Weile kein Wasser daran lassen.“

„Wie du meinst.“ Sie sah ihn so kläglich an, dass es ihn mitten ins Herz traf.

„Ich sehe bestimmt schrecklich aus, oder?“, fragte sie. „Wie eine Wasserratte.“

Cristos schüttelte den Kopf. „Nein, eher wie eine Seejungfrau“, erwiderte er bewundernd. Sie hatte durch die Sonne etwas Farbe bekommen, was das Blau ihrer Augen noch intensiver erscheinen ließ. So blau wie das Meer, das ich so liebe, dachte er.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Betsy verunsichert. „Oder warum siehst du mich so an?“

Cristos zögerte zu antworten.

„Nein, es ist alles in Ordnung“, erwiderte er rau.

„Gut, dann lasse ich mir jetzt ein Bad ein“, sagte sie.

Er rührte sich nicht vom Fleck, sondern blieb mit verschränkten Armen vor ihr stehen.

„Wieso bist du eigentlich vor mir davongelaufen?“, fragte er herausfordernd. „Hattest du Angst, ich würde dich schlagen? In meinem ganzen Leben habe ich noch keiner einzigen Frau Gewalt angetan. Glaub mir, das habe ich nicht nötig. Ich habe dich den ganzen Nachmittag gesucht, während du …“

„Hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht? Ich habe dich nicht gebeten, dich um mich zu kümmern. Ich bin nämlich schon erwachsen. Ob du es glaubst oder nicht, auch für mich war es ein Schock, auf einer unbekannten Insel zu erwachen. Und du warst so wütend, dass ich …“ Sie verstummte mitten im Satz, denn plötzlich wurde ihr klar, dass derselbe Mann, vor dem sie vorhin noch Angst gehabt hatte, ihr auch das Leben gerettet hatte. Dafür konnte sie ihm wenigstens danken, auch wenn es ihr schwerfiel.

„Ich … vielen Dank, dass du mich gerettet hast“, sagte sie schließlich zögernd.

„Kein Problem. Ich würde niemals zulassen, dass dir etwas passiert. Und sei es nur, damit ich dich unversehrt der Polizei ausliefern kann, wenn du wirklich mit den Gangstern unter einer Decke steckst.“

Wütend sah sie ihn an. „Verschwinde endlich! Ich will jetzt in Ruhe ein Bad nehmen!“

Zufrieden drehte er sich um und verließ das Zimmer. Er hatte erreicht, was er wollte. Es war ein Kinderspiel, sie aus der Fassung zu bringen.

Erleichtert sank Betsy in das Schaumbad. Dann sah sie sich interessiert in dem Raum um, der mit blauen Mosaiksteinen gekachelt war. Keine Kosten waren hier gescheut worden. Das Haus sah von außen ein wenig verwahrlost aus, aber die Innenausstattung war äußerst luxuriös. Merkwürdig, wann immer sie etwas über Entführungen gelesen hatte, waren die Opfer in dunkle Keller oder Verliese gesteckt worden.

Nach dem Bad schlüpfte sie in einen flauschigen Morgenmantel und ging ins Schlafzimmer. Auch dieser Raum, in dessen Mitte ein breites Holzbett stand, war in mediterranen Farben gehalten. Die Bettwäsche bestand aus feinstem weißen Leinen und war mit Spitze versehen.

Plötzlich erschien Cristos im Türrahmen. Er hatte sich inzwischen rasiert und trug das Haar zurückgekämmt. Erneut fiel Betsy auf, wie attraktiv er war.

„Ich habe draußen geduscht“, erklärte er.

Misstrauisch betrachtete sie seine beigefarbene Kakihose und das kurzärmelige schwarze Hemd.

„Woher hast du die Sachen?“

„Sie haben mir meinen Koffer dagelassen. Soll ich mir deinen Fuß ansehen? In der Küche habe ich einen Verbandskasten gefunden.“

Seine Hände fühlten sich angenehm kühl auf ihrer feuchten Haut an. Sein Haar glänzte im Licht, und Betsy war versucht, die Finger hineinzuschieben. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, und ließ es stumm geschehen, dass er sie geschickt mit Salbe und Pflaster verarztete.

„Ich kann dir gern ein Hemd von mir leihen“, schlug er dann vor.

Sie errötete leicht und schüttelte den Kopf. Warum machte seine Nähe sie nur so verlegen? Sie kam sich vor wie ein Schulmädchen. „Wie findest du das Haus?“, fragte sie. „Nicht unbedingt das, was man von Kidnappern erwarten würde, oder?“

„Nein, es ist mehr wie ein kleines Luxusnest für die Flitterwochen. Im Zimmer nebenan haben sie uns einen riesigen Blumenstrauß und eine Flasche Champagner hingestellt. Wahrscheinlich, damit wir unsere Ankunft feiern können.“ Er lachte bitter.

„Ein Nest für die Flitterwochen?“ Betsy sah ihn ungläubig an.

Cristos nickte. „Ja, so kommt es mir vor. Gibt es für Frischverheiratete etwas Besseres als eine verlassene Insel, auf der man von niemandem gestört wird?“ Er ging nach nebenan und kehrte kurz darauf mit einem blauen Freizeithemd in der Hand zurück.

Betsy zog es dankbar über und krempelte die Ärmel hoch. Jetzt fühlte sie sich schon viel besser. Bis auf die Tatsache, dass Cristos sie nicht aus den Augen ließ. Ein kurzer Gedanke durchzuckte sie. Ahnte er, dass sie unter dem Hemd nichts anhatte?

„Ich habe wahnsinnigen Hunger, du nicht auch?“, verkündete sie betont harmlos und ging schnell in die Küche. Dort sah sie sich suchend um. „Hoffentlich gibt es etwas zu essen.“

„Kannst du kochen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin die schlechteste Köchin der Welt. Starke Männer haben an meinem Tisch schon Tränen vergossen.“

„Wie hast du sie denn dann getröstet?“, erkundigte er sich neugierig.

Sie lachte. „Es war nur ein Witz. Meine Kochkünste sind, glaub ich, gar nicht so übel.“

Sein forschender Blick ließ sie erröten.

„Hast du nun Hunger oder nicht?“, fragte sie.

Er nickte. „Und wie!“

Glücklicherweise war der Kühlschrank zum Bersten voll mit allem, was man sich nur wünschen konnte. Bewundernd beobachtete Cristos, wie sie in Windeseile ein leckeres Mahl zubereitete.

„Wie, glaubst du, haben sie uns hierher gebracht?“, erkundigte sich Betsy, als sie schließlich am Esstisch saßen.

„Ich denke, sie haben uns als Frachtgut an Bord eines Flugzeugs gebracht. Und dann ging es weiter mit dem Boot.“ Er lachte, aber seine Miene blieb ernst. „Eine merkwürdige Art, um nach Hause zu kommen.“

„Nach Hause?“

„Wir befinden uns auf einer griechischen Insel.“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich weiß es einfach. Vergiss nicht, ich bin Grieche. Ich würde meine Heimat immer erkennen.“

Betsy erwiderte darauf nichts und konzentrierte sich aufs Essen. Wie arrogant und selbstsicher er war! Normalerweise schüchterten sie solche Menschen ein. Cristos wusste alles, kannte alles, war offenbar überall schon gewesen. Im Vergleich zu ihm kam sie sich jung und unwissend vor. Schließlich schob sie ihren Teller von sich und erhob sich.

„Ich gehe jetzt ins Bett.“

Cristos nickte. „Ja, ruh dich nur aus. Lass uns morgen früh aufstehen. Ich habe mir überlegt, dass wir Holz sammeln und ein großes Feuer machen sollten. Vielleicht kommt uns dann jemand zu Hilfe.“

Das war eine gute Idee. Aber Betsy dachte nicht daran, ihn noch mehr in seinem Ego zu bestätigen. Daher nickte sie nur und verließ die Küche. Wenig später sank sie erleichtert aufs Bett, wo ihr vor lauter Müdigkeit sofort die Augen zufielen.

Eine tiefe, männliche Stimme weckte sie am nächsten Morgen. „Zeit zum Aufstehen!“

Betsy blinzelte verwirrt. Im Halbdunkel hatte sie zunächst Probleme, sich zu orientieren. Doch dann wusste sie wieder, wo sie war. Aber warum lag Cristos neben ihr? Aus der Nähe betrachtet, fielen ihr wieder seine klassischen Züge und seine ungewöhnlich langen Wimpern auf. Unvermittelt setzte sie sich auf. Hatten sie etwa die Nacht im selben Bett verbracht?

Er schien ihre Gedanken zu erraten.

„Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mit einer Frau im Bett gelegen, ohne mit ihr zu schlafen“, erklärte er trocken.

Betsy konnte es nicht fassen. „Willst … du etwa behaupten, du hast die ganze Nacht hier neben mir verbracht?“

3. KAPITEL

Cristos sah amüsiert zu, wie Betsy aus dem Bett sprang. Ihre Eile hatte etwas Komisches. Es war, als wäre er ein Aussätziger, von dem sie gar nicht schnell genug wegkommen konnte. Unglaublich, wie süß und verführerisch sie am frühen Morgen aussah. Noch unglaublicher aber war, dass er sich beherrscht und sie nicht angerührt hatte. Dabei war sie so sexy!

„Du brauchst gar nicht so zu tun, als hättest du noch nie mit einem Mann das Bett geteilt“, bemerkte er trocken.

„Ich tue nicht so, es ist so“, gab sie hitzig zurück. „Und ich finde das auch gar nicht lustig!“

Er blickte sie überrascht an. „Heißt das, du bist lesbisch?“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie schluckte. „Es ist viel einfacher, als du glaubst.“

Cristos lehnte sich in den Kissen zurück und betrachtete sie. „Dann kommt ja nur noch eines in Betracht.“

Betsy verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an. „Was denn?“

„Dass du noch unschuldig bist. Aber das kann ich einfach nicht glauben.“

„Warum nicht? Was ist daran so ungewöhnlich?“

Danach herrschte zunächst Schweigen. Cristos war ganz offensichtlich total überrascht, und Betsy brannten die Wangen, und sie wünschte sich, den Mund gehalten zu haben. Abrupt drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand ins Badezimmer. Warum schämte sie sich, weil sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte? Das war schließlich kein Verbrechen.

Rory war ihr einziger richtiger Freund gewesen, und vorher hatte sie sich nichts aus dem anderen Geschlecht gemacht. Sie waren zwei Monate miteinander liiert gewesen, dann war er für ein Jahr nach London gegangen, um dort zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr hatte Betsy sich erst wieder an ihn gewöhnen müssen und nicht den Wunsch verspürt, sofort mit ihm ins Bett zu steigen. Obwohl er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten, war sie dazu noch nicht bereit gewesen. Rory war darüber nicht glücklich gewesen, und Betsys Zurückhaltung hatte ihre Beziehung sehr belastet. Nur so hatte es ihrer Schwester überhaupt gelingen können, sich an ihn heranzumachen.

Sie war also tatsächlich noch unschuldig. Fand er sie deshalb so anziehend? Unterschied sie das von anderen Frauen? Cristos musste die Nachricht erst einmal verdauen. Zunächst einmal brauchte er jetzt unbedingt eine kalte Dusche.

Zu ihrer Überraschung fand Betsy einen Haufen Kleider in einem der Schränke. „Was glaubst du, wem sie gehören?“, fragte sie Cristos, der plötzlich hinter ihr stand.

Er betrachtete die Sachen kritisch. „Sie scheinen ganz neu zu sein“, meinte er und lachte. Wer auch immer die Kleider gekauft hatte, hatte offensichtlich einen ziemlich vulgären Geschmack.

Betsy zog ein Gesicht. „Na ja“, sagte sie abschätzig und hielt sich ein Kleid an, das einen tiefen Ausschnitt hatte und auf einer Seite geschlitzt war. „Nicht unbedingt das, was ich tragen würde.“ Doch dann fand sie zu ihrer Freude flache Sandaletten und streifte sie sich über. Sie waren ihr zwar ein bisschen zu groß, stellten aber immer noch die bessere Alternative zum Barfußlaufen dar.

„Sieh mal, hier scheint auch Bekleidung für den Strand zu sein. Die kannst du doch jetzt gut gebrauchen.“ Tatsächlich waren alle Kleidungsstücke in Betsys Größe vorhanden. Ein Zufall? Wohl kaum! Jemand hatte sich große Mühe gemacht, ihren Aufenthalt auf der Insel so angenehm wie möglich zu gestalten.

Betsy entschied sich nach längerem Überlegen für einen fliederfarbenen Bikini und wickelte sich einen blauen Sarong um die Hüften. Zu dieser frühen Morgenstunde war es noch angenehm kühl, aber später würde es mit Sicherheit wieder sehr heiß werden. Als sie im Freien war, sog sie die frische Seeluft in tiefen Zügen ein. Dann ging sie wieder zurück ins Haus. In der kleinen Lobby erblickte sie den Blumenstrauß und die Flasche Champagner, die Cristos erwähnt hatte. Die Blumen ließen bereits die Köpfe hängen. Plötzlich bemerkte sie den Zettel, den jemand unter die Vase geschoben hatte. Stirnrunzelnd betrachtete Betsy die Nachricht, die sie nicht entziffern konnte.

„Cristos, sieh mal“, rief sie und reichte ihm den Zettel. „Was steht darauf?“

Er sah sich den Zettel an. „Das ist Griechisch“, sagte er. „Woher hast du den Zettel?“

„Er lag unter der Vase.“

Cristos schüttelte den Kopf. „Gestern war er noch nicht da, denn er wäre mir bestimmt aufgefallen.“

„Aber das kann doch gar nicht sein“, protestierte Betsy. „Was steht denn drauf?“

„Es ist ziemlich lächerlich. Sie versprechen, dass uns nichts geschehen wird. Ob das Lösegeld nun bezahlt wird oder nicht, sie werden uns kein Haar krümmen und uns schließlich freilassen. Das Ganze ist wirklich ein Witz! Aber damit erzähle ich dir ja nichts Neues.“

„Wie meinst du das?“ Sie sah ihn entgeistert an.

Er knüllte den Zettel zusammen und warf ihn wütend in den Papierkorb. „Gestern war diese Nachricht noch nicht da. Deshalb gibt es dafür nur eine einzige Erklärung: Du selbst hast sie dorthin gelegt.“

„Ich? Bist du jetzt völlig verrückt geworden?“

„Wenn das ein Versuch sein soll, mir den Aufenthalt hier zu versüßen, so ist er hiermit gescheitert“, erklärte Cristos grimmig. „Ich muss die ganze Zeit über an meinen Großvater Patras denken. Er ist dreiundachtzig und ein alter Knochen. Er hat bereits meine Eltern und meine kleine Schwester beerdigt. Das ist ihm nicht leichtgefallen. Einen weiteren Verlust würde er nicht verwinden.“

Betsy war sprachlos. „Traust du mir wirklich zu, dass ich mit den Kidnappern unter einer Decke stecke? Womit habe ich dieses Misstrauen eigentlich verdient?“

„Das Ganze macht überhaupt keinen Sinn“, erklärte Cristos wütend. „Man hat mich entführt, aber statt gefesselt und geknebelt in einem Keller zu liegen, bin ich mit einer attraktiven jungen Frau auf einer griechischen Insel gelandet. Kommt dir das nicht selbst merkwürdig vor?“

„Doch, aber was habe ich damit zu tun?“

Cristos beugte sich vor, und seine Augen funkelten. „Es gibt einfach zu viele Zufälle. Ich habe dich zum ersten Mal vor sechs Wochen gesehen, als du …“

„Vor sechs Wochen?“

„Am Flughafen. Der Wind hat dir die Mütze vom Kopf geblasen, und du hast versucht, sie einzufangen. Ich saß im Auto und habe dich dabei beobachtet. Du dagegen hast mich nicht sehen können. Ich war wie geblendet von deiner Schönheit und hätte nie gedacht, dass ich dich wiedersehen würde. Dann kam ich aus London zurück, und plötzlich warst du mein Chauffeur. Diese Überraschung hatte ich meinem Cousin zu verdanken.“

Betsy wurde immer verwirrter. „Was hat denn dein Cousin mit der Geschichte zu tun?“

„Er bestand darauf, dass wir eure Firma engagieren sollten und du mich fahren solltest. Als Überraschung, sozusagen.“

Jetzt wurde Betsy mit einem Mal alles klar. Kein Wunder, dass ihr Chef darauf bestanden hatte, dass sie den Auftrag übernahm. Wahrscheinlich war längst alles von langer Hand arrangiert worden. Und sie hatte gedacht, es hätte mit ihren Fahrkünsten zu tun!

„Dein Cousin hat offensichtlich auch gedacht, ich sei zu mehr bereit, als nur deinen Wagen zu fahren, stimmt’s?“, fragte sie Cristos mit funkelnden Augen.

Er schüttelte den Kopf. „Das habe ich nicht behauptet. Er hat nur dafür gesorgt, dass ich dich wiedersehe. Nicht mehr und nicht weniger.“

„Das glaubst du doch selbst nicht!“ Betsy lachte verächtlich. „Wenn du mich fragst, ist das Ganze eine abgekartete Sache. Nur schade, dass man mich vorher nicht gefragt hat.“

„Warum regst du dich eigentlich so auf? Was ist denn so schlimm daran? Du hast mir von Anfang an gefallen, und ich habe mich sehr gefreut, dich wiederzusehen.“

„Das habe ich gemerkt.“ Betsys Augen funkelten. „Du hast gerade mal zwei Stunden mit mir verbracht, dann wolltest du schon mit mir ins Bett gehen. Ist das für dich etwa normal?“

„Moment, Moment.“ Cristos hob abwehrend die Hand. „Jetzt beruhige dich erst einmal und versuche, die Sache mit meinen Augen zu sehen. Nur weil ich dich kennenlernen wollte, habe ich die Ratschläge meiner Bodyguards in den Wind geschlagen. Ich habe nicht an meine persönliche Sicherheit gedacht und wollte nur …“

„Was? Mit mir ins Bett gehen, wie ich bereits sagte“, entgegnete Betsy wütend. „Ist das etwa auch meine Schuld? Machst du mich jetzt für deinen unersättlichen sexuellen Appetit verantwortlich?“

Cristos schüttelte den Kopf. „Bist du immer so aggressiv zu Männern, die etwas von dir wollen? Kein Wunder, dass du keinen Freund hast.“

Ohne ein Wort zu sagen, gab Betsy ihm eine schallende Ohrfeige. Dann erschrak sie über ihre Kühnheit.

Cristos hielt sich die schmerzende Wange. „War das schon alles?“

„Ich … ich wollte dir nicht wehtun. Bitte, entschuldige“, sagte sie stockend. „Ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist.“

„Wenn du willst, dass ich dir verzeihe, hat das seinen Preis. Ich wünsche mir dafür einen Kuss von dir.“

„Einen Kuss?“ Sie blickte ihn entsetzt an.

Er zuckte die Schultern. „Wenn es dir nicht gefällt, machen wir es nie wieder.“

Betsy errötete tief. „Wie kannst du nur eine Sekunde lang glauben, dass es mir gefallen würde?“, gab sie zurück. „Die Mühe kannst du dir sparen. Vor ein paar Minuten hast du mir erst vorgeworfen, dass ich mit den Kidnappern unter einer Decke stecke. Wieso willst du mich dann jetzt küssen?“

„Ich bin einfach neugierig“, erwiderte er, „und möchte wissen, wie du schmeckst.“ Er kam näher, und sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Atmosphäre im Zimmer war plötzlich zum Zerreißen gespannt.

Betsy sah ihn wie hypnotisiert an, während er langsam näherkam. Dann streifte sein Atem ihre Wange. Sie wollte sich abwenden, aber ihr Verlangen war stärker als ihre Furcht.

„Ich warne dich, ich bin sicher, dass es mir nicht gefallen wird“, stieß sie hervor.

Doch im nächsten Moment berührten seine Lippen ihre. Unwillkürlich legte sie ihm die Arme um den Nacken und zog ihn zu sich herab. Ein nie gekanntes Verlangen hatte sie erfasst. Sie wollte sich in ihm verlieren, sich ihm hingeben, wie sie sich noch nie hingegeben hatte.

„Lass uns ins Bett gehen“, flüsterte Cristos ihr mit rauer Stimme ins Ohr.

Ihr war, als würde sie aus einem Traum gerissen. Entgeistert sah sie Cristos an und schluckte. Plötzlich war sie wieder in der Realität und musste sich beschämt eingestehen, dass sie Cristos nicht hatte widerstehen können. Und auch jetzt wollte sie ihn noch, ihr ganzer Körper verlangte nach ihm.

Plötzlich merkte sie auch, wie hart ihre Brustspitzen geworden waren. Sie war so erregt, dass ihr sogar das Atmen schwerfiel. Cristos blieb ihre Reaktion nicht verborgen, und sein Lächeln hatte plötzlich etwas Triumphierendes, was Betsy mit einem Schlag in die Gegenwart zurückbrachte. Sie zwang sich, sich von ihm zu lösen, und sagte mit heiserer Stimme: „Das Feuer … wir wollten doch ein Feuer machen …“

Cristos sah sie an, fassungslos, dass sie seinem Charme widerstehen konnte, und folgte ihr dann nach draußen.

Im Freien fuhr Betsy sich über die erhitzte Stirn und verfluchte sich wegen ihrer Schwäche. Um ein Haar hätte sie seinem Werben nachgegeben. Aber in letzter Minute war es ihr noch gelungen, dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Das war knapp gewesen, sehr knapp. Hoffentlich merkte Cristos nicht, wie sehr seine Zärtlichkeiten sie erschüttert hatten.

„So … willst du jetzt etwa behaupten, es hätte dir nicht gefallen?“, fragte er.

Betsy schüttelte den Kopf. „Nein, aber … ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal passiert. Das ist der reine Wahnsinn!“

„Vielleicht hast du recht“, erwiderte er. „Wir sollten nichts Unbedachtes tun. Außerdem habe ich keinen Schutz dabei. Du etwa?“

Betsy schüttelte den Kopf und wurde knallrot. Im Vergleich zu Cristos kam sie sich plötzlich sehr unerfahren vor. Sie war entsetzt über ihre Bereitwilligkeit, sich ihm hinzugeben. Für ihn schien es dagegen das Normalste von der Welt zu sein. Er war es bestimmt gewohnt, dass er nur zu pfeifen brauchte, damit die Frauen angerannt kamen. Aber für Betsy galten andere Regeln, und sie war heilfroh, dass sie am Ende stark genug gewesen war, der Sache Einhalt zu gebieten.

Trotzdem war sie tief erschüttert, denn sie hätte nie gedacht, dass sie so leidenschaftlich sein könnte. Wie war es möglich, dass ein Mann, den sie kaum kannte, ein solches Verlangen in ihr auszulösen vermochte? Das war ja nicht einmal Rory gelungen. Dessen Küsse hatten ihr zwar gefallen, aber sie hatte darüber nicht den Verstand verloren. Sie war auch nie in Gefahr gewesen, bei ihm die Kontrolle zu verlieren. Deshalb hatte sie geglaubt, von Natur aus eher kühl zu sein. Aber jetzt hatte Cristos sie eines Besseren belehrt, und das schockierte sie.

„Der beste Platz für ein Feuer ist meiner Meinung nach die Nordspitze des Strands“, sagte er ruhig, obwohl er noch immer sehr erregt war.

„Vielleicht sollten wir uns vorher ein wenig umsehen“, schlug Betsy vor. „Es kann ja sein, dass wir noch einen besseren Platz finden.“

„Das glaube ich kaum.“ Dann zählte Cristos die Gründe auf, warum er die Nordspitze für ideal hielt. Betsy hörte ihm fasziniert zu und musste sich schließlich geschlagen geben. Offensichtlich hatte er alles gut durchdacht.

Glücklicherweise fanden sie eine Menge Treibholz am Strand. Betsy sammelte es, und Cristos begann, es aufzuschichten. Das machte er so geschickt, dass sie ihn insgeheim bewunderte.

„Pass auf, dass du dich nicht verbrennst“, warnte er sie, als das Feuer schließlich in Gang war. „Vielleicht solltest du dir etwas überziehen.“

„Das ist nicht nötig. Keine Angst, ich kann schon auf mich selbst aufpassen.“

„Meinst du?“ Er sah sie spöttisch an. „Diesen Eindruck habe ich von dir bisher aber nicht.“

Sie biss sich auf die Lippe. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte sie provozierend.

„Wo soll ich anfangen? Hast du nicht gemerkt, dass die Türen der Limousine nicht verschlossen waren, als wir entführt wurden? Wieso wärst du beinah um ein Haar ertrunken! Ich könnte noch mehr Beispiele aufzählen, wenn ich es wollte. Was ist also so schlimm daran, wenn ich versuche, dich vor einem Sonnenbrand zu bewahren?“

Frustriert versetzte Betsy einem Holzscheit einen Stoß mit dem Fuß. „Das sind doch alles nur Behauptungen“, erwiderte sie ärgerlich. „In Wirklichkeit bist du verärgert, weil ich nicht mit dir schlafen wollte.“

„Meinst du?“ Im nächsten Moment umspannte er ihre Taille mit beiden Händen und hob sie unvermittelt hoch.

„Was soll das?“, rief Betsy und versuchte mit Leibeskräften, sich zu befreien. „Lass mich auf der Stelle los!“

„Gut, wie du willst.“ Vorsichtig ließ Cristos sie wieder herunter. „Aber ich warne dich: Schrei mich nicht so an! Das mag ich nämlich gar nicht!“

„Und ich mag es nicht, wenn man mich dauernd herumkommandiert“, erwiderte Betsy, der es langsam reichte.

„Wieso bist du dann Chauffeur geworden?“, gab er zurück.

„Irgendwann werde ich meine eigene Firma haben. Bis dahin muss ich eben solche Jobs annehmen, ob es mir passt oder nicht.“

„Bevor du eine eigene Firma aufmachst, solltest du dir lieber professionelle Hilfe holen“, belehrte er sie in einem Ton, den sie unerträglich fand.

„Du bist wirklich das Letzte“, sagte sie verächtlich.

„Warum?“

„Willst du das wirklich wissen? Du bildest dir ein, alles zu wissen, und lässt dir von niemandem etwas sagen. Wenn du es genau wissen willst, ich habe ein Diplom in Betriebswirtschaft und weiß genau, was ich tue, und brauche von niemandem Rat.“

Dann drehte sie sich um und ging wieder ins Haus. Fünf Minuten später kam Cristos ihr nach. Ohne ein weiteres Wort nahm er Betsy bei der Hand und zog sie ins Badezimmer. Dort streifte er ihr die Träger ihres Bikinioberteils ab. Die Sonne hatte Betsy mehr verbrannt, als ihr aufgefallen war. Er griff nach einer Flasche Lotion und begann, sie mit sanften Bewegungen einzucremen.

Frustriert ließ sie es geschehen.

„Warum musst du nur immer recht behalten?“, seufzte sie.

„Weil ich eben immer recht habe“, erwiderte er und reichte ihr die Flasche. „Hier, du kannst allein weitermachen. Hoffentlich siehst du heute Abend nicht wie ein Hummer aus.“

„Weißt du, was dein Problem ist?“, erwiderte sie. „Man hat es dir im Leben bisher viel zu leicht gemacht. Du hast bestimmt immer bekommen, was du wolltest, oder?“

Er lachte vergnügt. „Wie kommst du denn darauf? Was ist nun? Soll ich dich weiter eincremen oder nicht?“

„Tu, was du nicht lassen kannst.“

Cristos nahm ihr die Flasche ab und machte sich wieder ans Werk. Er machte seine Sache wirklich sehr gut. Betsy hätte nie geglaubt, dass die Berührung eines Mannes sie so sehr erregen könnte. Ihr ganzer Körper schien unter Strom zu stehen, was Cristos nicht verborgen blieb.

„Soll ich lieber aufhören?“, fragte er rau.

Betsy schüttelte den Kopf. Ihr wurde immer heißer, das Verlangen nach ihm raubte ihr den Atem. Vor ihrem geistigen Auge erschienen Bilder ungezügelter Leidenschaft. Sie verspürte nur noch einen Wunsch: endlich mit Cristos vereint zu sein. Gleichzeitig war ihr dieser Gedanke so neu, dass sie vor lauter Angst erstarrte. Sie sah in den Spiegel, und Cristos’ Anblick versetzte ihr einen Stich ins Herz.

Sie musste plötzlich daran denken, wie oft sie in ihrem Leben Entscheidungen hatte treffen müssen und wie oft sie schon Fehler gemacht hatte! Dabei hatte sie immer versucht, auf der sicheren Seite zu sein. Sie wäre gern Automechanikerin geworden und hatte stattdessen sechs Semester an der Universität studiert, weil ihre Eltern es so wollten. Ein Jahr lang arbeitete sie danach in einem Großraumbüro als Sekretärin. Obwohl sie gut verdiente, hasste sie den Job. Auch in ihrem Privatleben gab sie sich alle Mühe, um sich vor unangenehmen Erfahrungen zu schützen. Daher war sie über das Erlebnis mit Rory auch so entsetzt. Sie hatte sich bisher immer für das geringste Risiko entschieden. Cristos hingegen bedeutete für sie eine Megagefahr. Sie musste verrückt sein, sich auf ihn einzulassen.

Autor

Sara Wood
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Kathryn Ross wurde in Afrika geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England und Irland. Eigentlich ist sie ausgebildete Therapeutin, aber die Liebe zum Schreiben war stärker, und schließlich hängte sie ihren Beruf an den Nagel.
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