Baccara Exklusiv Band 136

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SPIEL MIT DER LUST von PAIGE, LAURIE
Eine gemeinsame Zukunft mit Jon Sinclair wird es nicht geben, denn Annes Ehe mit Senator Talbot ist beschlossene Sache. Für eine Affäre aber ist noch Zeit. Und weil Anne wenigstens ein Mal spüren will, was Begehren ist, beginnt sie mit Jon ein gefährlich erotisches Spiel ...

VERLIEBT, VERFÜHRT - VERZAUBERT VON DIR von DUNLOP, BARBARA
Kristy Mahoney schwebt wie auf Wolken! Sie hat sich unsterblich in den Multimillionär Jack verliebt - und nimmt seinen Heiratsantrag glücklich an. Doch nach der Blitzhochzeit erwacht Kristy jäh aus ihren Träumen. Jack soll sie mit jemandem verwechselt haben?!

VERFÜHRT IN EINER ZÄRTLICHEN NACHT von GOLD, KRISTI
Ein Kuss eines Fremden auf dem Silvesterball - und für Joanna ist nichts mehr wie zuvor. Immer wieder kreuzt der attraktive Dr. Carlos del Rio danach ihren Weg - und immer wieder lässt er sie wissen, dass dieser Kuss nur der Auftakt zu einer großen Verführung war.


  • Erscheinungstag 18.12.2015
  • Bandnummer 0136
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723514
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Laurie Paige, Barbara Dunlop, Kristi Gold

BACCARA EXKLUSIV BAND 136

1. KAPITEL

WEIHNACHTSKÜSSE – 1 DOLLAR!

Jonathan Sinclair schmunzelte beim Anblick des provokanten Transparents, das über einer mit Ilexzweigen geschmückten Marktbude auf dem Weihnachtsbasar hing.

Als er an einer roten Ampel halten musste, konnte er die Männer beobachten, die Schlange standen, um einen Kuss zu kaufen. Die meisten waren jung – einige davon Teenager, die sich offenbar nur gemeinsam mit ihren Freunden trauten.

Die übrigen waren wohl zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt und wahrscheinlich nicht verheiratet. Sie sahen nämlich nicht aus wie Männer, die daheim von streitsüchtigen Ehefrauen erwartet würden, als die sich aus seiner Sicht alle Frauen nach der Hochzeit entpuppten.

Falls sie es nicht sogar schon vorher waren!

Wenn er an seine diesbezügliche Erfahrung zurückdachte, lief ihm nachträglich ein Schauer über den Rücken. Er war erst achtzehn gewesen, als die zwanzigjährige Tochter der Nachbarn mit dem ältesten Trick der Welt versucht hatte, ihn zur Heirat zu erpressen. Nur wenige hatten ihm damals geglaubt, als er seine Unschuld beteuerte.

Dieses Erlebnis hatte ihn geprägt. Seitdem vermutete er stets einen Hinterhalt, wenn eine Frau zu freundlich und entgegenkommend zu ihm war, und er geriet schon bei ihrem Lächeln sofort in Alarmbereitschaft.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass die Zeit knapp war. Also steuerte er die nächste Parkbucht an, die genau gegenüber der Futter- und Samenhandlung lag, wo er das von ihm bestellte Düngemittel abholen wollte. Danach hatte er vor, sofort zur Ranch zurückfahren.

Die Ranch – das waren gut einhundertzwanzig Hektar Pinienwald und Weideland, zweihundert Stück Vieh und eine gewerbliche Pflanzenzucht. Er hätte nie gedacht, dass er eines Tages sein Erbe antreten würde. Denn obwohl er als Kind dieses Fleckchen Erde sehr geliebt hatte, war er gleich nach dem High-School-Abschluss von zu Hause weggegangen, um die Welt kennenzulernen. Seine Eltern waren damals zwar beunruhigt gewesen, doch sie hatten ihn verstanden.

Die traurige Erinnerung an seine Eltern überschattete für einen Moment diesen sonnigen Tag, denn beide waren im letzten Frühjahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Es fiel ihm noch immer schwer, es zu begreifen, doch er lenkte seine Gedanken wieder in die Gegenwart.

Er wollte die Ranch erneut zu dem erfolgreichen Unternehmen machen, das es zu Zeiten seines Großvaters gewesen war. Dann würde er alles mit Gewinn veräußern und weiterziehen.

Sein Spezialgebiet war, heruntergewirtschaftete Unternehmen wieder zu sanieren und dann mit Profit zu verkaufen. Damit hatte er es bereits zu einem kleinen Vermögen gebracht, obwohl es natürlich auch Verluste gegeben hatte.

Als er aus seinem Wagen stieg, erregte das Lachen der Cowboys in der Warteschlange seine Aufmerksamkeit. Er hielt einen Moment inne, um zu sehen, was sich dort abspielte – und es verschlug ihm fast den Atem. Fasziniert starrte er die Frau an, die in der Kussbude stand. So etwas Bezauberndes und Begehrenswertes hatte er noch nie gesehen.

Sie hatte tiefschwarzes Haar, das ihr weichen Wellen auf die Schultern fiel und verführerisch in der Sonne glänzte. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie er in diese schimmernden Locken griff und ihre einladenden Lippen küsste.

Ihr strahlend lächelnder Mund war roséfarben geschminkt, doch das Rosa ihrer Wangen schien natürlich zu sein. Die Farbe ihrer Augen konnte er bei der Entfernung nicht erkennen, aber ihre Wimpern waren lang und schwarz und verliehen ihrem Blick etwas Laszives – wie nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht. Bei diesem Gedanken durchfuhr es ihn heiß.

Jon war von ihr hingerissen, und er konnte sich gut vorstellen, dass es den anderen Männern genauso erging. Die Verlockung war groß, sich ebenfalls einzureihen, wenn die Schlange nur nicht so lang gewesen wäre.

Zögernd überquerte er die Straße zu dem Geschäft. Es war geschlossen. Auf einem Schild stand, dass es um ein Uhr wieder geöffnet würde, da der Eigentümer auf dem Basar sei.

Jon sah erneut auf seine Uhr, es war fünf Minuten nach zwölf. Er könnte in der Zwischenzeit zu Mittag essen gehen, doch offensichtlich war überall geschlossen.

Als er sich suchend umblickte und einen Hotdog-Stand auf dem Weihnachtsbasar entdeckte, ging er wieder über die Straße. Erst jetzt sah er das Schild mit dem Hinweis, dass sämtliche Erträge des Basars einer neuen Sporthalle für die hiesige Schule zugutekämen. Nun gut, dann würde auch er seinen Anteil dazu beitragen, indem er sich einen Hotdog kaufte.

Erneut schallte Gelächter von der Kussbude zu ihm herüber. Er blieb einige Meter entfernt im Schatten einer Eiche stehen und beobachtete einen schüchternen Jungen vorne in der Schlange, der von seinen Freunden angestachelt wurde, sich seinen Kuss abzuholen. Als der Junge schließlich seinen Dollar überreichte, packte ihn die Schönheit in der Kussbude bei den Ohren und gab ihm einen lauten Schmatzer auf die Wange. Der Junge wurde rot wie der gekochte Hummer auf dem Plakat der Fischbude, doch dann marschierte er stolz grinsend quer über den Rasen zu seinen Freunden.

Jon zog seine Brieftasche hervor. Er hatte sechs Zwanziger bei sich. Er zuckte mit den Schultern. Es war schließlich nur Geld, außerdem wäre es für einen guten Zweck. Also steckte er sich einen Geldschein in die Brusttasche seines Hemdes und stellte sich hinten an.

Der junge Mann vor ihm grinste unverschämt in Erwartung seines Kusses. Er war Jon auf Anhieb unsympathisch.

„Das werde ich aber genießen!“, sagte er zu Jon.

„Wissen Sie, wer sie ist?“

„Ja, Anne Hyden. Ich bin mit ihr zusammen zur Schule gegangen, doch ich hatte noch niemals die Gelegenheit, sie zu küssen.“ Wieder grinste er.

Jon versuchte, seinen Missmut zu unterdrücken. „Hat sie einen festen Freund?“

„Nein.“ Der Flegel runzelte die Stirn, während er angestrengt nachdachte. „Sie verabredet sich mit niemandem. Sie hält sich wohl für was Besseres, weil ihr Onkel Bürgermeister ist. Als sie damals auf diese vornehme Schule im Norden ging, rechnete ich damit, dass sie einen reichen Kerl heiraten würde, aber sie tat es nicht. Sie soll jetzt mit einem Senator befreundet sein.“

Anne … Anne Hyden. Der Name gefiel ihm. Jon beobachtete sie, wie sie gut gelaunt ihre kleinen Küsschen verkaufte.

Bei der Vorstellung, wie gefühlvoll er sie küssen, streicheln und liebkosen würde, pulsierte das Blut heftig in seinen Adern. Das ginge natürlich nicht hier vor all den Menschen, doch mit solchen Träumereien konnte er sich gut die Wartezeit vertreiben. Er lächelte. Allerdings würde es nicht mehr lange dauern, bis er an die Reihe kam. Flink und freundlich verteilte sie ein Küsschen nach dem anderen und neckte die Männer, die sie alle zu kennen schien.

Aber in einer Kleinstadt wie Richport würde man wahrscheinlich schon nach einer Woche jeden kennen.

„Ich begreife nicht, wie der Bürgermeister dieses Benehmen dulden kann“, ertönte hinter ihm eine weibliche Stimme.

Jon drehte sich um und sah zwei plumpe junge Frauen, bei deren Anblick er das Gesicht verzog.

„Immerhin brachte sie im letzten Jahr das meiste Geld in der kürzesten Zeit zusammen“, antwortete die andere. „Und heute Morgen hatte sich der Pastor als Erster angestellt.“

Die Wartenden schoben sich langsam vorwärts. Jon wurde nervös. Als der Flegel vor ihm drankam, bemühte sich Jon, ruhig zu bleiben.

Nachdem der Flegel seinen Dollar gezahlt hatte, fasste er die lächelnde Schönheit um die Taille. Ihre Augen leuchteten plötzlich auf, sodass sich sämtliche Muskeln in Jons Körper anspannten.

„Na, Schlummer-Allyn“, sagte sie lachend, „hältst du immer noch dein Mittagsschläfchen wie damals in Mrs Browns Englischunterricht?“

Jon entspannte sich wieder, denn der Flegel bekam rote Ohren und ließ ihre Taille los. „Nein, das würde meinem Boss nicht gefallen.“

„Ja, so sind Bosse nun mal.“

Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, dann drehte er sich um und schlenderte glücklich strahlend und mit stolzgeschwellter Brust davon.

In ihren Augen war noch die Belustigung zu lesen, als sie sich Jon zuwandte.

„Lila.“

„Wie bitte?“ Die Belustigung schwand. Stattdessen bekam ihr Blick einen wachsamen Ausdruck, und sie presste sich eine Hand auf die Brust, als ob sie irgendetwas beunruhigte.

„Die Farbe Ihrer Augen. Blaugrau mit einer Spur Violett“, murmelte er heiser. „Das ist eine tödliche Mischung.“

Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder, so tief und sinnlich klang sie plötzlich, und dieses heftige Verlangen, das da in ihm aufstieg, hatte er auch noch nie verspürt.

Sie lächelte einen Moment, dann wurde sie wieder ernst.

„Sie halten hier alles auf. Zeigen Sie mir mal Ihr Geld, Cowboy, andernfalls treten Sie bitte zur Seite.“

Er drückte ihr den zusammengefalteten Schein in die ausgestreckte Hand und schob seinen Hut in den Nacken. „Sagen Sie Bescheid, wenn das Geld aufgebraucht ist.“

Anne schaute verstohlen auf den Zwanzigdollarschein, und ihr Herz schlug jetzt genauso heftig wie vorhin, als sie diesen großen, schlanken Mann im Schatten der Eiche entdeckt hatte. Er hatte sie so aufmerksam und eindringlich gemustert, dass sie neugierig, aber auch auf eine merkwürdige Art beunruhigt gewesen war.

Ihre Miene verfinsterte sich, weil ihre Fantasie einmal wieder mit ihr durchging. Dennoch sollte er entschlossen sein, tatsächlich den ganzen Betrag ausnutzen zu wollen, würde es ein ziemlich langer Kuss werden.

Nervös betrachtete sie sein schmales Gesicht mit dem markanten Kinn, der geraden Nase und den grauen Augen, die sie beschwörend, ja fast leidenschaftlich anblickten. Eine Strähne seiner dunklen Haare fiel ihm in die Stirn.

Wer ist dieser Fremde, dachte sie noch, da hatten sich schon seine starken Arme um sie gelegt. Ein Schauer durchlief sie, und sie bekam weiche Knie. Sie hörte ihn irgendetwas murmeln, dann waren seine Lippen dicht über ihren.

Vor Aufregung fiel ihr nichts ein, womit sie ihn hätte zurückhalten können.

Ein Kuss im Wert von zwanzig Dollar!

„Bitte nicht“, sagte sie schließlich streng, obwohl ihr Herz erwartungsvoll klopfte. Während ihr Mund noch diese Worte formulierte, berührten sich bereits ihre Lippen.

Er schien verblüfft zu sein – oder war er erschrocken? – denn er rang nach Luft, umfasste sie noch fester und presste seinen Körper an ihren.

Zum ersten Mal in seinem Leben vergaß Jon seine wichtigste Grundregel zur Selbsterhaltung: Immer einen klaren Kopf behalten.

Als sich ihre Lippen begegneten, war er wie vom Blitz getroffen. Sämtliche Strategien, die er sonst immer parat hatte, um keine Verpflichtungen einzugehen, waren aus seinem Verstand gelöscht.

Er wusste nur eins: Diese Frau musste er haben.

Doch für den Augenblick genügte es ihm, dass er sie in den Armen halten und küssen konnte. Etwas Schöneres hatte er nie zuvor erlebt.

Sie war so anschmiegsam, und sie roch wie ein Sommergarten nach dem Regen. Das Verlangen nach ihr hatte völlig Besitz von ihm ergriffen.

Heftig atmend klammerte sie sich an seinem Hemd fest, und er triumphierte ein wenig über ihre unerwartete Reaktion. „Hm“, seufzte sie dann, fuhr zärtlich mit der Hand über sein Haar, um sogleich vor Lust fest zuzugreifen. Jon küsste sie noch leidenschaftlicher. Nur vage nahm er die Geräusche um sich herum wahr, sie konnten den dichten Nebel der Wonne nicht durchdringen.

Dann sackte Anne in sich zusammen.

Jon war bestürzt, als plötzlich ihr Kopf hintenüberfiel und ihr Körper vollkommen erschlaffte. Nach einem prüfenden Blick in ihr Gesicht stellte er fest, dass sie die Ohnmacht nicht vorspielte.

„He, Sie, junger Narr“, knurrte einer hinter ihm, „was denken Sie sich dabei, sie so zu behandeln?“

Irgendjemand packte seine Schulter. Schroff schlug er die Hand fort. Vorsichtig nahm er Anne Hyden auf die Arme und drehte sich um.

Jon sah sich einer wütenden Menge gegenüber, alle starrten ihn an.

„Wohin soll ich sie denn nun bringen?“, fragte er eine Frau, die sich durch die Menge gedrängt hatte und sich jetzt über Anne beugte. Gleichzeitig hielt er mit einem warnenden Blick den Schulkameraden auf Abstand, der Anne vorhin geküsst hatte.

„Am besten nach Hause“, erwiderte die Frau und ließ Annes Handgelenk los, nachdem sie ihren Puls gefühlt hatte. Irgendwie machte sie auf Jon den Eindruck, als ob sie den ganzen Vorfall amüsant fände. „Dort hinten wohnt sie.“ Sie deutete auf ein weiß getünchtes Haus zwischen Hibiskusbüschen auf der anderen Straßenseite.

Die hilfsbereite fremde Frau – allem Anschein nach eine Krankenschwester – schob die Leute zur Seite, um John einen Weg zu verschaffen, und forderte die Männer auf, sich erneut anzustellen. Dann nahm sie Annes Platz in der Kussbude ein. Murren des Protestes klang an sein Ohr, während er Anne nach Hause brachte.

Hin und wieder blickte er prüfend auf sie hinab. Sie hatte die Augen noch immer geschlossen und einen Arm um seinen Nacken gelegt. Ihre Wangen waren von einem attraktiven rosigen Hauch überzogen, sie atmete heftig, und ihr Herz hämmerte. Ihr Kopf sank einmal kurz nach vorn, dann schmiegte sie ihn wieder an seine Schulter, als ob sie es gewohnt wäre, in seinen Armen zu liegen.

Er stellte sich vor, sie befänden sich auf dem Weg zu einer romantischen Verabredung. Sie fühlte sich leicht und ätherisch an wie ein Engel, dennoch warm und weiblich.

Schon hatte er das Haus mit den akkurat gestutzten Sträuchern und sorgfältig angelegten Blumenbeeten erreicht. Da die Tür nicht verschlossen war, trat er ein und legte seine süße Last auf dem Sofa ab.

Nachdem er ihr die Schuhe ausgezogen und ein Kissen unter den Kopf geschoben hatte, kniete er sich vor sie hin und betrachtete sie. Ein sonderbares Gefühl der Angst schnürte ihm die Kehle zu – hoffentlich hatte er ihr nicht wehgetan.

Er beugte sich noch tiefer über sie und beobachtete sie aufmerksam. „Okay“, sagte er schließlich, „du kannst die Augen wieder aufmachen.“

Ihre Lider mit den dichten schwarzen Wimpern flatterten, dann öffnete sie sie. Die Augen, in die er blickte, waren dunkelviolett wie die Blüten eines Fliederstrauchs.

Widerstrebend kam Anne in die Wirklichkeit zurück. Sie presste sich eine Hand auf die Brust, ihr Herz klopfte noch immer sehr unregelmäßig. Merkwürdig dachte sie, dass ein Kuss eine so heftige Wirkung haben kann.

Sie nahm sich zusammen und lächelte zaghaft.

Jon runzelte die Stirn. „Warum in aller Welt bist du in Ohnmacht gefallen?“ In dieser Situation schien es ihm lächerlich, sie zu siezen.

„Es schien der einzige Ausweg. Ich wollte nicht, dass man dich verprügelt oder womöglich verhaftet, weil du so über mich hergefallen bist.“ Auch sie duzte ihn, denn ihre Schlagfertigkeit und Kessheit kamen in dem Maße zurück, wie sich ihr Herzschlag normalisierte. Er sollte nicht erfahren, dass sein Kuss der Grund für ihre Ohnmacht gewesen war. Es klang wirklich zu altmodisch.

Als sie sich vorsichtig aufsetzte und die Beine mit angewinkelten Knien zur Seite schlug, bemerkte sie, wie sein Blick an ihren Schenkeln entlangwanderte. Ein Schauer durchlief sie wie vorhin in der Kussbude.

„Übrigens, wer war dieser Flegel, mit dem du zur Schule gegangen bist?“, fragte er mit rauer Stimme. „Ist er hinter dir her?“

„Allyn?“ Das war wenigstens ein unverfängliches Thema, bei dem sie ihr inneres Gleichgewicht zurückgewinnen würde. Sie lächelte. „Nein, der ist völlig harmlos.“

Er lächelte ebenfalls. Nun, wo er wusste, dass es ihr gut ging und er keine ernst zu nehmende Konkurrenz hatte, entspannte er sich. „Wieso hätte man mich verhaften sollen? Du warst diejenige, die die Küsse verkaufte. Ich habe lediglich versucht, den Gegenwert für mein Geld zu bekommen.“

„Zwanzig Dollar! Bist du immer so verschwenderisch?“, fragte sie und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, auf die er unentwegt starrte – so als spiele er mit dem Gedanken, diesen Kuss zu wiederholen.

„Ich betrachte es nicht als Verschwendung.“

„Das war zu intim für einen Kuss in der Öffentlichkeit“, tadelte sie. „Du hast nicht einmal aufgehört, als ich dich an den Haaren zog.“

„Und ich nahm an, du tätest es vor Erregung.“ Er schüttelte den Kopf. „So etwas ist mir noch nie passiert.“

„Was?“

„Dass ich in einen Kuss so versunken war.“ Jon betrachtete sie nachdenklich. Er genoss ihren verführerischen Anblick, und sein Verlangen nach ihr wuchs erneut. Am liebsten hätte er sie sofort ihrer zauberhaft weiblichen Garderobe entledigt, um das Teufelchen zu erleben, das er in der Tiefe ihrer strahlenden Augen entdeckte. „Black irish“, murmelte er.

Verwundert zog sie die Augenbrauen hoch, die genauso schwarz waren wie ihr Haar und ihre Wimpern. „Eigenartig, so nannte meine Großmutter meinen Großvater. Er hatte die blauen Augen eines Iren, doch sein Haar war schwarz wie das eines Zigeuners. Sie sagte, das würde von der Vermischung mit dem spanischen Blut der nach der Niederlage der Armada an Land gespülten Seefahrer herrühren.“ Anne lächelte vergnügt über ihre Geschichte.

Dann bemerkte sie, dass sich sein Blick schon wieder auf ihren Mund heftete. Sie erinnerte sich an den Geschmack seines Kusses und konnte nur mit Mühe dem Drang widerstehen, mit der Zunge erneut über ihre Lippen zu fahren. War dieser Geschmack vielleicht noch vorhanden? Sein Kuss hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. Nicht nur er erlebte so etwas zum ersten Mal.

Auch sie betrachtete jetzt unverhohlen seinen Mund. Die Unterlippe war ein wenig voller als die Oberlippe, beide waren perfekt geformt.

„Sieh mich ruhig weiterhin so an, dann wirst du bei meinem nächsten Kuss wirklich Grund haben, bewusstlos zu werden.“

Ihr Herz schlug Purzelbäume. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war nicht zu leugnen. Um ihre Verwirrung zu überspielen, konterte sie kess: „So? Das willst du wirklich riskieren?“

Er ignorierte ihren spöttischen Unterton. „Du hast sehr verführerische Grübchen, weißt du das?“

„Man hat meine Grübchen ja schon als entzückend bezeichnet, aber verführerisch?“

Jon erhob sich vom Boden und setzte sich neben sie auf das Sofa, so nah, dass er mit dem Knie ihren Schenkel berührte. „Ja, verführerisch.“ Er befühlte die winzigen Grübchen mit der Fingerspitze. „Sie lenken die Aufmerksamkeit auf deinen Mund und bringen mich auf Ideen, was ich jetzt gern mit dir machen möchte.“

„Ich rate dir, deinen … äh … deine Gelüste zu zügeln. Diese Stadt ist ganz schön prüde.“

Er rückte noch näher an sie heran und stellte zu seiner Zufriedenheit fest, dass sie nicht zurückwich. Offensichtlich hatte sie keine Angst, was ihm an einer Frau gefiel.

„Bist du etwa auch prüde?“

„Ich fürchte, ja.“

„Aber du hast meinen Kuss erwidert.“

Anne schüttelte den Kopf. „Nein, das hätte ich nie getan. So bin ich nicht. Ich wollte dich nur davor warnen, das in die Tat umzusetzen, was ich in deinen Augen las.“

„Und was hast du darin gelesen?“

„Leidenschaft! Sie war dir deutlich ins Gesicht geschrieben.“

„Damit war ich ja wohl nicht allein, so wie du meinen Kuss erwidert hast. Deine Lippen bewegten sich unter meinen, und dein Herz hämmerte wie wild.“

Schön wär’s, dachte sie, und für einen Moment gingen ihr sämtliche Möglichkeiten durch den Kopf, die das Leben ihr bieten könnte: verliebt sein, sich küssen, lachen. Miteinander schlafen, in den Armen des anderen aufwachen, ein Heim und Kinder zu haben. Es waren wundervolle Illusionen – doch das alles würde es für sie nicht geben.

Auf ihr lastete ein Familienfluch.

Und plötzlich kamen alle alten, traurigen Erinnerungen wieder in ihr hoch. Wegen ihres schwachen Herzens hatte sie weder in der Schulband noch bei der Cheerleader-Truppe mitmachen können, hatte weder Basketball spielen noch sonstigen Sport treiben können. Immer war sie so zerbrechlich gewesen, nie hatte sie sich aufregen oder überanstrengen dürfen. Arme kleine Anne. Sie war sofort in Ohnmacht gefallen, als der Kapitän der Footballmannschaft ihr einmal einen zarten Kuss gegeben hatte. Alle Jungen hatten sie daraufhin gemieden, weil sie fürchteten, von Annes Tante umgebracht zu werden, falls ihr Herz versagt hätte.

Ihre Mutter hatte bei ihrer Geburt einen Herzschlag erlitten. Zwei Cousins waren kurz nach der Geburt an Herzschwäche gestorben. Sie selbst hatte Herzgeräusche, was an sich noch nicht so schlimm war, doch es war ein Hinweis für die Veranlagung zu dieser Krankheit.

Sie würde dieses Erbleiden nicht an ihre Kinder weitergeben. Sie würde ihnen kein Leben voller Einschränkungen aufzwingen, wenn es doch die ganze Welt zu entdecken galt. Sie würde nicht zusehen, wie sie starben, bevor sie begonnen hatten, richtig zu leben. Nein, das konnte und wollte sie nicht tun.

Sie holte tief Luft und schob energisch diese deprimierenden Gedanken weit von sich. Es hatte keinen Sinn, sich selbst zu bemitleiden. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, gleichmütig zu sein und das Leben leichtzunehmen, bevor andere es einem schwer machten.

Sie lächelte Jon ironisch an. „Mein Herz klopft immer schneller, wenn jemand versucht, bei mir zu landen.“

Er stand auf und blickte auf sie hinab. „Landen? Ich bin ja noch nicht einmal gestartet.“ Dann brach er in lautes Lachen aus. Als er sich wieder gefangen hatte, fragte er: „Wie wär’s mit einem Mittagessen? Die Hotdogs auf dem Basar sahen sehr einladend aus.“

„Wieso sollte ich meine Zeit mit einem Kriminellen verbringen?“, entgegnete sie eingeschnappt.

„Ich habe mein ehrlich verdientes Geld für diesen Kuss bezahlt“, erinnerte er sie, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem attraktiven Lächeln. Er schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans und verlagerte sein Gewicht auf die Absätze seiner Stiefel, während er sie beobachtete.

„Ich meinte damit deinen Überfall auf mich.“ Sie stand auch auf und schlüpfte in ihre Schuhe. „Aber ein Mittagessen wäre nicht schlecht. Es wird die Leute beruhigen, mich heil und gesund wiederzusehen. Außerdem könnte ich meine Beschützer davon abhalten, dich zu verprügeln, wenn wir zusammen auftauchen.“ Sie grinste ihn an.

Er griff nach ihrer linken Hand und warf einen Blick darauf. „Von diesen impulsiven Kameraden hat dir aber noch keiner einen Ring an den Finger gesteckt.“

„Wie aufmerksam beobachtet.“ Sie entzog ihm ihre Hand und fuhr sich mit allen Fingern durchs Haar, um ihre dichten Locken zu ordnen. Sie wusste nicht, warum, aber in diesem Moment fühlte sie sich so wahnsinnig lebendig, so stark und begierig auf das Leben wie noch nie zuvor. Sie betrachtete Jon genauer, während sie überlegte, woran es wohl lag.

„Dann wollen wir mal gehen.“ Er nahm ihren Arm.

„Schließt du nicht ab?“, fragte er, als sie über die Veranda hinaustraten.

„Tagsüber nie. Wozu auch? Es weiß sowieso jeder, dass ich den Schlüssel immer oben auf den Türrahmen lege.“

„Sind hier alle so vertrauensselig wie du?“

„Ich bin nicht vertrauensselig. Aber wenn Diebe mein Hab und Gut wollen, dann holen sie es sich auf jeden Fall. Und wenn die Tür offen ist, können sie einfach hineingehen, ohne etwas kaputt zu machen, nicht wahr? Ist doch logisch und ganz einfach.“

„Ich glaube, unsere Beziehung wird da nicht so einfach sein.“

Sie warf ihm einen überraschten Blick zu. „Wir haben keine Beziehung.“

„Wir werden eine haben“, erklärte er.

2. KAPITEL

„Wäre es sehr unhöflich, nach deinem Namen zu fragen?“ Anne stellte die beiden Cola-Gläser auf den Tisch.

„Jonathan Sinclair – für meine Freunde Jon.“ Er zog einen Stuhl für sie heran und lächelte geheimnisvoll.

„Sinclair? Wie die Sinclair-Ranch?“

„Richtig.“

Sie reichte ihm die Hand. „Anne Hyden, wie Anne Hydens Blumengarten.“

Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. „Sollte mir das etwas sagen?“

„Ich gehöre zu deinen Kunden. Wirklich. Und du hast von mir einen großen Auftrag für Weihnachten bekommen. Bis dahin sind es nur noch etwa drei Wochen“, erinnerte sie ihn. „Der Termin wird doch eingehalten, oder?“

Er hatte keine Ahnung. „Würde ich einen meiner besten Kunden im Stich lassen?“

„Das soll schon vorgekommen sein.“ Sie lächelte ironisch und setzte sich. Er nahm ihr gegenüber Platz.

Während sie ihre Hotdogs aßen, wandte er den Blick nicht von ihr, Neugier und Verlangen in den Augen. Er ist ein Mann, vor dem man sich in acht nehmen muss, urteilte Anne, einer, der für ein Frauenherz gefährlich sein kann.

„So, du hast also ein Blumengeschäft“, begann Jon, als er aufgegessen hatte.

„Ja. Als der vorige Inhaber sich zur Ruhe setzte und ich die Möglichkeit hatte, den Laden zu kaufen, wurde ein Traum für mich wahr.“

Doch bis zum Vertragsabschluss hatte sie mit ihrer Tante einen ständigen Kampf auszufechten gehabt. Sie leckte sich einen kleinen Rest Senf von den Lippen.

„Das hätte ich gern für dich getan“, murmelte er mit einem sehnsüchtigen Blick auf ihren Mund.

Sie tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. „Du bringst mich ganz durcheinander.“

„Mach ich dich nervös?“

Es war mehr als das. Er zauberte verbotene Träume hervor wie ein Magier weiße Kaninchen aus dem Hut. „Ja, weil ich nicht ganz klug aus dir werde.“

„Aber ich bin nicht gefährlich – nur hingerissen. Von dir.“

„Kommst du immer so direkt zur Sache?“

Jon wunderte sich darüber genauso. Es war völlig untypisch für ihn, aber ihre direkte Art machte es ihm leicht. „Nur, wenn etwas so außergewöhnlich ist.“

„Was ist außergewöhnlich?“ Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht.

„Unser Zusammenkommen.“ Diese Bemerkung war etwas zweideutig. Als sie verlegen an ihren Haaren zupfte, schmunzelte er. Er schien sie wirklich nervös zu machen. Aber das war nicht im geringsten damit zu vergleichen, was sie für ihn bedeutete, und er konnte es kaum abwarten, ihr seine Gefühle zu zeigen. Vorher jedoch musste er ihr etwas klarmachen.

„Ich bin kein Mann zum Heiraten“, sagte er geradeheraus und wartete auf ihre Reaktion.

„Hat dich irgendjemand danach gefragt?“, konterte sie nach einer Schrecksekunde mit betonter Höflichkeit.

Er warf den Kopf zurück und lachte. „Es fängt an, Spaß zu machen.“

„Die Jagd oder die Verführung?“ Das kleine Teufelchen tanzte wieder in ihren Augen, während sie ihn von oben bis unten musterte.

„Beides“, versicherte er aufrichtig und versuchte, ihre Gedanken zu lesen. Sie war eine wirklich interessante Frau.

„Oh, oh!“ Anne hatte die Stimme gesenkt. „Da kommen meine Verwandten.“

Er drehte sich um. Ein lebhaftes, nicht unattraktives Paar um die Fünfzig kam auf sie zu.

Als das Paar ihren Tisch erreichte, stand Anne auf und stellte die beiden vor. „Meine Tante und mein Onkel, Marge und Joseph Pauly. Onkel Joe ist der Bürgermeister, Tange Marge sitzt im Stadtrat. Dies ist Jon Sinclair.“

„Hallo! Nett, Sie kennenzulernen.“ Jon, der auch aufgestanden war, schüttelte dem Paar die Hände. Beide taxierten ihn von Kopf bis Fuß, als stünde er zur öffentlichen Besichtigung. Allem Anschein nach waren sie zu gegensätzlichen Urteilen gekommen, denn der Bürgermeister, ein etwas hagerer Mann, lächelte wohlwollend, während die mollige Stadträtin ihn weiter abschätzend musterte.

Er setzte eine trotzige Miene auf wie früher als Teenager. Wenn er etwas hasste, dann waren es selbstgerechte Menschen mit Vorurteilen.

„Geht es dir gut?“ Nachdem die Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht waren, wandte sich die Tante besorgt an ihre Nichte.

Jon registrierte mit Wohlwollen, wie gut Anne die etwas heikle Situation meisterte. Sie war nicht nur eine äußerst reizvolle Frau, sondern behielt auch stets einen kühlen Kopf. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte sie vorhin seine Bemerkung übers Heiraten hingenommen. Er mochte Frauen mit klarem Verstand.

„Natürlich geht es mir gut. Wusstet ihr eigentlich, dass Jon die Sinclair-Ranch übernommen hat? Von dort bekam ich im Herbst die Winterastern. Er liefert mir auch die Weihnachtssterne und die Pflanzen, die ich für die Dekoration des Country-Klub-Tanzfestes in der Weihnachtswoche brauche.“ Sie warf ihm einen bedeutsamen Blick zu, der ihm klarmachen sollte, dass diese Lieferung pünktlich einzutreffen habe. Er schwor sich, diese Angelegenheit sofort zu überprüfen.

„Sie züchten Blumen?“, fragte die Tante ungläubig.

Jon erlaubte sich ein breites Grinsen und versuchte, die Lage einzuschätzen. „Ja, Madame, und zwar auf einem der schönsten Fleckchen Erde von ganz Texas“, betonte er.

Anne stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite. „Trag nicht zu dick auf, Sinclair, du hast es hier mit cleveren Politikern zu tun.“

Jon versuchte, nach ihrem Tadel schuldbewusst auszusehen, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen. Soviel Spaß wie im Moment hatte er seit Jahren nicht mehr gehabt. Aber Anne war eine Herausforderung, der er nicht widerstehen konnte.

Der Onkel grinste ihn an, aber die Tante wirkte verärgert. Dieser alte Drachen würde ihn noch ein gutes Stück Arbeit kosten. Er nahm sich vor, sie ein wenig aufzutauen, doch bevor er ihr ein Kompliment über ihr Kleid machen konnte, drehte sie ihm den Rücken zu und wandte sich wieder an ihre Nichte.

„Ich komme gerade von der Kussbude. Ellen meint, du hättest heute schon mehr als genug Küsse verkauft.“ Tantes Stimme klang vorwurfsvoll. „Und Schlummer-Allyn sagte, du wärst in Ohnmacht gefallen.“ Sie legte Anne eine Hand auf die Stirn. „Ich sagte dir doch, du solltest nicht die ganze Zeit in der Sonne zubringen.“

„Na ja, es war für einen guten Zweck.“ Anne lächelte Jon zu und trat einen Schritt zur Seite, um sich der übertriebenen Fürsorge ihrer Tante zu entziehen. „Ich habe fast einhundert Dollar eingenommen.“

„Ja, und du schuldest mir noch etwas.“ Jon sah sie herausfordernd an.

„Du wirst deinen Kuss noch bekommen, Cowboy.“

„Einen? Es fehlen noch neunzehn!“

Bei dem Gedanken an weitere neunzehn Küsse dieser Art rang sie nach Luft. „Dafür habe ich nicht genug Puste.“

„Wir werden kleine Pausen machen“, versicherte Jon und sah ihr tief in die Augen. Lachen und Verlangen lagen in seinem Blick. Er konnte einem wirklich den Kopf verdrehen. Der Wunsch, ihm nahe zu sein, jagte Anne einen sehnsüchtigen Schauer durch den Körper.

„Kommt Randall diese Woche nach Hause?“, unterbrach die Tante brüsk ihr Geplänkel.

„Nein, nicht, dass ich wüsste.“

Anne fing Jons forschenden Blick auf. „Wer ist Randall?“, wollte er wissen, ohne sich um Onkel und Tante zu kümmern, die ihre Unterhaltung neugierig verfolgten.

„Unser hiesiger Senator“, antwortete Anne. „Während der Legislaturperiode hält er sich in Austin auf.“

„Ach so, ein Politiker.“ Mit diesen Worten und einem lässigen Achselzucken tat er den Senator als unwichtig für ihn ab.

„Ja, und wir treffen uns“, fügte Anne hinzu und wartete auf Jons erneute Reaktion.

„Ist es etwas Ernstes?“ Er schien beunruhigt.

„Also“, mischte Tante Marge sich entrüstet ein, „das geht Sie nun wirklich nichts an!“

Er schob seinen Hut aus der Stirn, steckte die Hände in die Gesäßtaschen und verlagerte sein Gewicht auf die Absätze. Eine Haltung, die er offensichtlich immer dann einnimmt, wenn er nachdenkt, stellte Anne fest.

Wenn er so stand, spannte sich seine Jeans eng über die schmalen Hüften, und in ihrer Fantasie spürte Anne noch einmal seinen kräftigen Körper. Sie fühlte sich so unglaublich zu ihm hingezogen – ganz anders als bei Randall. Wenn der, zweifellos attraktive, Politiker sie küsste, geriet ihr Herz niemals außer Kontrolle. Er war immer so fürsorglich.

War es womöglich eine Trotzhaltung von ihr, sich auf Jon Sinclair einzulassen, weil er genau das Gegenteil zu sein schien? Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er nur einen Flirt suche. Und sie selbst? Wollte sie noch ein letztes verrücktes Abenteuer, bevor alles unwiderruflich wurde?

„Leisten Sie uns Gesellschaft?“, fragte Jon jetzt ihre Tante und ihren Onkel. „Ich würde Sie gern zu einem Hotdog, oder was immer Sie möchten, einladen.“

Das war ein kluger Schachzug. Anne lächelte ihm wohlwollend zu.

„Danke, wir haben schon gegessen, aber eine kühle Limonade würde jetzt bestimmt guttun“, sagte Onkel Joe geradeheraus. Jon hatte den Eindruck, als sähe er so etwas wie Übermut in dessen Augen blitzen. Onkel und Nichte hatten offenbar dieselbe Art Humor.

„Ja, da würde ich auch nicht Nein sagen.“ Schnell blickte Marge von Anne zu Jon. „Ich werde Ihnen tragen helfen.“ Schon lief sie ihm voraus zum Getränkestand.

Jon zog eine Augenbraue hoch, folgte ihr aber wortlos. Sobald sie außer Hörweite waren, wandte sich Tante Marge mit einem missbilligend Blick an ihn.

„Anne hat einen Herzfehler“, sagte sie eindringlich. „Sie darf nicht im geringsten aufgeregt werden.“

Damit hatte er nicht gerechnet. Er schaute sich nach Anne um. Sie erschien ihm wie das blühende Leben – rosige Wangen, klare Augen, ein lächelnder Mund, eine zauberhafte Figur. Dieser Anblick ließ nicht nur sein Herz in die Höhe schnellen.

War diese Warnung nur eine Gehässigkeit der Tante? Sie machte wirklich kein Geheimnis daraus, dass sie den Senator für ihre Nichte vorzog. Doch das musste Anne selbst entscheiden. Sie war schließlich alt genug.

In einer abwehrenden Geste hob er die Hände. „Ich denke nicht daran, Anne aufzuregen.“

„Das ist kein Spaß, Mr Sinclair.“

„Ich lache auch gar nicht.“ Er sah sie betont ruhig an, doch sein alter rebellischer Geist machte sich wieder bemerkbar. Wann immer man ihm nahelegte, etwas zu unterlassen, fühlte er sich herausgefordert, es erst recht zu tun. Sicher, Rebellion konnte auch in einer Katastrophe enden.

„Also, welche Absichten haben Sie im Hinblick auf meine Nichte?“, fragte sie, als sie vor dem Getränkestand stehen blieben.

Er schaute sie kühl an. „Ich glaube, das geht nur Anne und mich etwas an. Sie ist alt genug, nicht wahr?“

„Sie ist fünfundzwanzig. Und sie ist noch Jungfrau.“

„Ich bin einunddreißig. Und ich bin es nicht mehr.“ Jon ignorierte ihr entrüstetes Japsen, wandte sich um und bestellte vier Limonaden.

Auf dem Rückweg strafte ihn die Tante mit Schweigen, doch das war ihm ganz recht.

Anne sah in zwei versteinerte Gesichter und seufzte dramatisch. „Na, hat dir meine Tante den medizinischen Befund über mich mitgeteilt?“

„Ja.“ Jon blickte sie prüfend an.

„Und du planst immer noch, mich zu verführen?“, fragte sie neugierig. Normalerweise suchten die Männer das Weite, sobald sie merkten, mit welcher Verantwortung die Rolle verbunden war, in die sie gedrängt wurden.

„Anne!“ Tante Marge war empört.

„Ja“, erwiderte Jon und grinste.

Anne fügte noch einen letzten Hauch von Grün in das Gebinde aus gelben und rosafarbenen Rosen. Dann begutachtete sie ihr Arrangement und nickte zufrieden.

Doc Adamson hatte den riesigen Blumenstrauß zum neununddreißigsten Geburtstag seiner Cousine, Ellen Adamson, bestellt. Während der letzten zwei Jahre hatte sie seine Praxis mit liebevoller Sorgfalt geführt, doch dies war das erste Mal, dass er ihr Blumen schenkte. Vielleicht war es ja ein Zeichen für eine Veränderung in ihrer Beziehung.

Für den Bruchteil einer Sekunde erlaubte sich Anne, von einer eigenen Hochzeit zu träumen. Von einer Hochzeit mit Jon. Sie schüttelte den Kopf. Sollte sie jemals heiraten, würde es wohl jemand wie Randall sein, der nicht zu viel von ihr erwartete.

Ihre Tante und ihr Onkel mochten ihn und hatten sie zu dieser Verbindung ermutigt. Obwohl Randall ihr mehrere Male zu verstehen gegeben hatte, dass er mehr wolle, hatte Anne sich immer geschickt um eine endgültige Antwort gedrückt. Sie war noch nicht soweit, sich zu binden.

Im Moment jedenfalls war sie von einer inneren Unruhe erfasst, von einer Sehnsucht nach Abenteuer und Liebe. Doch es war wohl klüger, wenn sie sich keine Hoffnung mehr auf Feuerwerk und Leidenschaft in ihrem Leben machte. Außerdem gab es aufregende Liebesgeschichten sowieso nur in Romanen und im Kino.

Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf – all das könnte Jon Sinclair ihr geben! Nein, eine aufregende Liebesaffäre war kindische Fantasie. Randall war wohl die vernünftigere Wahl. Das hieß, sollte sie sich überhaupt jemals entschließen zu heiraten.

Aber hatte nicht jeder das Recht, sich auszutoben, bevor er sesshaft wurde, eine Familie gründete und sich für ein stilles Glück und Verantwortung entschied? Nein, das war nur eine weitere verrückte Idee.

Anne war etwas entsetzt über die Irrwege ihres Verstandes, sie war doch sonst immer so vernünftig gewesen. Außerdem sollte sie auch an Randalls Söhne denken. Einer hatte gerade mit dem College angefangen, und der jüngere lebte noch zu Hause und ging zur High-School. Sie mochte die Jungs und würde ihnen eine vorbildliche Mutter sein. Wie gesagt, falls sie heiratete.

Die kleine Glocke über der Tür klingelte und kündigte einen Kunden an. Anne lugte um die Ecke. „Hallo, Ellen!“, rief sie, als sie ihre Freundin sah. „Ich komme sofort.“ Schnell wickelte sie den Blumenstrauß in Papier ein.

„Ich dachte, ich schau mal, ob du Zeit für einen Kaffee hast“, sagte Ellen Adamson und bewunderte eine Weihnachtsgirlande. Montags, wenn der Doktor Hausbesuche machte, war die Praxis geschlossen, und Ellen hatte Zeit für sich selbst.

„Einen Moment noch!“ Anne zog sich die Lippen nach und überprüfte ihr Haar, das sie während der Arbeit zusammengebunden trug.

„So, jetzt können wir gehen.“ Anne hängte das Schild „Bin gleich zurück“ in die Tür.

Die beiden Freundinnen kehrten nur zwei Türen weiter in ein Restaurant ein und setzten sich an ihren Stammtisch, der am Fenster unter den herabhängenden Zweigen einer Kübelpflanzen stand.

„Das war vielleicht ein Kuss am Samstag“, begann Ellen.

„Findest du?“ Anne versuchte, unbeteiligt auszusehen, was ihr nicht gelang.

„Ich wollte dir zu Hilfe eilen, doch da warst du bereits in Ohnmacht gefallen. Das kam ja ziemlich plötzlich.“

Anne räusperte sich. „Danke, aber es war nicht so schlimm. Ich war etwas panisch, dann wurde mir schwarz vor den Augen. Als ich wieder zu mir kam, entschloss ich mich, weiter die Ohnmächtige zu spielen. Meine Tante wäre auf Jon losgegangen, wenn sie diesen Kuss gesehen hätte.“

„Einige von den Jungs waren drauf und dran einzuschreiten, als du deine dramatische Vorstellung gabst. Einen Moment lang war ich auch besorgt.“

„Wirklich?“

„Hm. Bis ich dein Gesicht sah.“ Ellen lächelte verständnisvoll. „Du sahst vollkommen selig aus. War der Kuss so umwerfend?“

Anne zögerte. „Ja.“

„Oh.“ Ellen betrachtete sie einen Augenblick. „Dieses Ja klang sehr ehrlich.“

Anne strich sich den Pony aus der Stirn. „Ist es dir auch so heiß hier?“

„Nein, aber du bist rot geworden. Das wird ja immer interessanter. Was gedenkst du zu tun im Hinblick auf Jon Sinclair?“

„Ich weiß es nicht. Hast du einen Rat für mich?“ Sie war sich nicht sicher, wie viel sie von ihren verrückten Gedanken, die ihr seit Samstag im Kopf herumgeisterten, preisgeben sollte – auch nicht ihrer besten Freundin gegenüber.

„Tu es“, riet Ellen ihr.

„Ich soll es tun?“

„Genau.“

Anne runzelte die Stirn. „Sprechen wir über dasselbe?“

„Das hoffe ich doch. Ich denke, ein heißer, stürmischer Flirt ist genau das, was dir fehlt.“

Anne musste lachen. „Der Gedanke war mir auch schon gekommen.“

Ellen wurde ernst. „Ich kann nicht mit ansehen, wie du dich begnügst mit – wie soll ich sagen – mit weniger, als du verdienst. Randall ist immerhin zwanzig Jahre älter als du.“

„Ist das ausschlaggebend?“

„Vielleicht. Trotzdem braucht jeder so eine wilde, verrückte und unerfüllte allererste Liebe. Das darfst du auf keinen Fall versäumen.“

Anne sah, wie Ellen wehmütig ihren Gedanken nachhing. Ihre Freundin war einmal verheiratet gewesen, aber die Ehe war schiefgegangen.

„Ja, jeder sollte einmal so eine Leidenschaft erlebt haben.“

„So ein Ratschlag von der rechten Hand eines Arztes? Was ist denn mit Safer Sex und so?“

„Ich habe nicht gesagt, dass du nicht vorsichtig sein sollst, doch das eine schließt das andere nicht aus.“

„Jon Sinclair sagte, er sei kein Mann zum Heiraten.“

Ellen stutzte, dann lächelte sie amüsiert. „So ein arroganter Kerl“, murmelte sie. „So weit ist es also schon. Nach einem Kuss bereits vom Heiraten sprechen – da muss es ihn ganz schön erwischt haben.“

Anne schlug die Augen nieder. „Ich hoffe es.“

Nach diesem Geständnis guckte Ellen etwas irritiert, hatte sich aber schnell wieder gefangen. „Ach, wird das schön!“ Sie freute sich aufrichtig über die bevorstehende Liebesaffäre.

„Du meinst also, man müsste einen leidenschaftlichen Flirt haben, bevor man bürgerlich wird und heiratet?“, fragte Anne und träumte von wilder und zärtlicher Erotik. „Aber ich habe Randall wirklich sehr gern.“

„Ich habe meinen Hund auch sehr gern, aber als Partner wünsche ich mir ganz bestimmt jemand anderen. Hast du dir jemals vorgestellt, mit Randall auf einer einsamen Insel zu leben?“

„Nein.“

Vor Annes innerem Auge tauchte ein Bild auf: ein braungebrannter Jon Sinclair, der in abgerissener Jeans knöcheltief im Wasser stand und mit einer selbst geschnitzten Harpune versuchte, Fische für das gemeinsame Abendessen zu fangen.

„Na, wie gefällt er dir als Robinson Crusoe?“, unterbrach Ellen Annes Träumereien.

„Du setzt mir Flausen in den Kopf.“

„Es wird Zeit, dass es jemand tut. Ich glaube, deine Tante Marge hat vom Tage deiner Geburt an versucht, aus dir eine alte Jungfer zu machen.“

Es war kein Geheimnis, dass die beiden Frauen sich nicht besonders gut verstanden. Ellen glaubte, Tante Marge behüte Anne zu sehr, Marge hingegen, Ellen habe einen schlechten Einfluss auf ihre Nichte.

Nach Annes Ansicht beruhte die übertriebene Fürsorglichkeit ihrer Tante darauf, dass diese miterlebt hatte, wie Annes Mutter bei ihrer Geburt starb. Onkel Joe und Tante Marge hatten sie großgezogen, weil ihr Vater aus beruflichen Gründen viel reisen musste und nur sehr selten nach Hause kam.

Natürlich meinte Tante Marge es gut. Außerdem war auch sie von diesem Fluch betroffen, der auf der Familie lastete, denn ihre zwei Kinder waren ebenfalls an Herzfehlern gestorben. Anne liebte ihre Tante und war bemüht, deren Einmischung in ihr Leben nicht übel zu nehmen. Sie war schließlich nur um ihre Gesundheit besorgt.

Anne schüttelte betrübt den Kopf, als ihr wieder ihre Reaktion auf Jon Sinclairs Kuss einfiel. „Ich bin nicht sicher, ob mein Herz ein stürmisches Liebesabenteuer verkraftet.“

„Aber du wirst es nicht erfahren, bevor du es nicht versucht hast.“

„Hattest du eigentlich jemals eine Affäre?“

Ellen brauchte eine Weile für die Antwort. „Einmal. Es ist sehr lange her.“

„Hat dein Herz damals auch so stark geklopft, dass du dachtest, es würde dir in der Brust zerspringen?“

„Natürlich. Das gehört dazu.“

Der bestellte Kaffee und die Muffins wurden serviert, und sie wechselten das Thema. Die Erinnerung an diesen aufsehenerregenden Kuss schien allerdings in den Köpfen sämtlicher Einwohner herumzuspuken, denn noch bevor Anne ihren Kaffee ausgetrunken hatte, war sie bereits von fünf Personen gefragt worden, ob es ihr inzwischen besser gehe.

„Offensichtlich ist dein Liebesleben bereits Stadtgespräch“, bemerkte Ellen trocken.

Jon Sinclair stieß die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett und trat an das Fenster seines Schlafzimmers, von dem aus er eine fantastische Aussicht auf den Fluss hatte.

Er war unruhig und erregt, bereit für heiße Liebesspiele, doch sein Bett war leer. Gestern, als er allein in einem Fischrestaurant unten im Hafen zu Abend gegessen hatte, hatte er die Chance für ein paar nette Stunden nicht genutzt – es wäre die falsche Frau gewesen. Er konnte Anne Hyden nicht vergessen, und die Erinnerung an sie machte ihn allmählich wahnsinnig.

Er runzelte die Stirn über seine dummen Gedanken, wandte sich vom Fenster ab und zog sich an. Wenig später fuhr er mit seinem Pick-up aufs Feld, um an seiner Bewässerungsanlage zu arbeiteten. Dann trafen Pedro, sein Vorarbeiter, und dessen Sohn ein, und während die beiden die Rohre zusammenfügten, fuhr er in die Stadt, um zusätzliche Bauteile einzukaufen.

Der erste Mensch, dem er begegnete, war Anne Hyden. Sie wollte gerade ihren Laden betreten, als sie ihn entdeckte. Sie blieb stehen und winkte ihm zu.

Er war überrascht, denn er hatte vermutet, dass sie kühl und zurückhaltend reagieren würde.

Er stieg aus seinem Pick-up und deutete auf das Restaurant. „Wie wär’s mit Frühstück?“

„Ich habe gerade gegessen.“ Die frechen Grübchen erschienen wieder.

„Dann kannst du mir beim Essen Gesellschaft leisten.“ In Gedanken küsste er ihre Grübchen.

„Okay.“

Sie verwirrte ihn schon wieder, weil sie stets anders reagierte, als er erwartete. Er griff nach ihrer Hand. „Ich habe bereits zwei Nächte von dir geträumt“, beklagte er sich und beobachtete sie unauffällig von der Seite, um zu sehen, wie sie es aufnahm.

„Wie furchtbar für dich!“ Sie lachte, und Jon runzelte die Stirn.

„Hast du jetzt dein Geschäft nach hier verlegt?“, erkundigte sich die Kellnerin bei Anne, als sie eintraten, während sie Jon einen neugierigen Blick zuwarf.

„Es scheint so. Jetzt möchte ich bitte einen Tee.“

Jon bestellte Rühreier und Kaffee und fragte Anne: „Du warst heute schon einmal hier?“

Sie nickte. „Ja, vorhin mit Ellen Adamson. Wir haben übrigens über dich gesprochen.“

„Wer ist Ellen Adamson?“ Er versuchte, dem Namen ein Gesicht zuzuordnen, aber ihm fiel niemand ein.

„Die Sprechstundenhilfe von Dr. Adamson. Sie war es, die dir am Samstag sagte, du solltest mich nach Hause bringen.“

„Ach ja. Ist sie Krankenschwester?“

„Nein, aber sie arbeitet in Dr. Adamsons Praxis, seit vor zwei Jahren seine Frau gestorben ist. Als Teenager war Ellen mein Babysitter. Dann zog sie fort, und als sie wieder zurückkam, wurden wir die besten Freundinnen.“

Der Kaffee und der Tee wurden gebracht. Jon schaute Anne schweigend zu, wie sie Zucker und Sahne in ihren Tee gab. „Du fragst ja gar nicht.“

„Was?“

„Was Ellen und ich über dich geredet haben.“

„Ich habe mich nie besonders darum gekümmert, was die Leute über mich reden.“ Er nahm einen Schluck Kaffee.

„Sie ist der Meinung, dass wir eine Romanze haben sollten.“

Vor Schreck hätte er beinahe seinen Kaffee über den Tisch geprustet, dann verschluckte er sich.

Sie klopfte ihm besorgt den Rücken.

„Und wie denkst du darüber?“, fragte er, als er sich wieder beruhigt hatte.

„Ich finde die Idee interessant.“ Das kleine Teufelchen in ihren Augen funkelte ihn an.

„Wie interessant?“

„Das kommt darauf an, was du anzubieten hast.“

„Ich lade dich zum Essen ein, heute Abend bei mir.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist zu direkt. Ich finde, du solltest mir erst einmal richtig den Hof machen. Ganz romantisch, mit Kerzenschein und Liebesgeflüster und allem, was dazugehört.“

Er protestierte leise brummend.

Sie musterte ihn lächelnd und mit hochgezogenen Augenbrauen. „Aber wenn dir das zu viele Umstände macht …“

„Was heißt hier Umstände? Für dich würde ich sogar durchs Feuer gehen“, erwiderte er schnell. „Ich hatte nur gehofft, ich brauchte es nicht zu tun.“ Sein Essen wurde serviert.

„Aber durch die Jagd wird die Trophäe doch viel begehrenswerter, findest du nicht?“ Anne sah ihn gespielt unschuldig an.

„Ich habe das Gefühl, dass du mich bis zum Umfallen rennen lassen würdest“, murmelte er finster und streute sich energisch Pfeffer auf die Eier. „Doch das Rennen ist erst vorüber, sobald einer die Ziellinie überquert hat, und das werde ich sein.“

Er ist sich seiner Sache völlig sicher, stellte Anne im Stillen fest. Vielleicht würden sie ja beide gewinnen.

„… aber es wird keinen Verlierer geben“, fügte er hinzu, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Ich werde dich mit mir über die Ziellinie nehmen.“

„Ach.“

„Deine Tante erzählte mir, du wärst noch Jungfrau.“

Verärgert schüttelte Anne den Kopf. „Woher will sie das denn wissen?“

„Mehr sagst du nicht dazu?“ Nachdenklich und fast ein wenig mitleidig schaute er sie an.

„Ich war schon mal verlobt. Da war ich noch auf dem College“, sagte Anne mit gedämpfter Stimme, da die Kellnerin gerade frischen Kaffee brachte.

„Soso.“ Jon wollte gar nicht wissen, was passiert war. Wahrscheinlich war die Beziehung ohnehin nicht über ein paar Küsse hinausgegangen.

Als die Kellnerin Jons Kaffeetasse nachfüllte, beugte sie sich dabei über ihn und berührte seine Schulter. Diese herausfordernde Geste irritierte Anne, und sie fragte sich, ob sie womöglich eifersüchtig sei.

„Ich gehe jetzt wieder ins Geschäft. Es sind noch einige Aufträge zu erledigen, die heute Nachmittag ausgeliefert werden müssen.“

„Einen Moment, ich bringe dich hin.“

„Nein, bleib hier und trink deinen Kaffee aus, solange er heiß ist.“ Sie stand auf.

Jon stand ebenfalls auf. „Wenn du jetzt gehen musst, dann bin ich fertig.“

„Eine sehr diplomatische Antwort.“

„Und wahr.“ Jon legte einen Geldschein auf den Tisch, nahm Anne bei der Hand und verließ mit ihr das Restaurant.

Sie betraten das Blumengeschäft, und er sah sich um. „Sehr hübsch“, kommentierte er.

Als sie nach hinten ging, um ihre Tasche abzulegen, folgte er ihr. Anne sah den Ausdruck in seinen Augen, und ihre Pupillen weiteten sich. „Ich denke nicht …“

„Gut“, murmelte er und nahm sie in die Arme.

Mit einem Aufseufzen lehnte sie sich an seine Brust, schloss die Augen und wartete auf seinen Kuss. Als nichts geschah, öffnete sie sie wieder und stellte verwirrt fest, dass er sie beobachtete.

„Möchtest du das Liebesgeflüster jetzt hören oder später?“, fragte er lächelnd.

Sie brauchte weniger als eine Sekunde für die Entscheidung. „Später“, sagte sie, umfasste seinen Kopf und zog ihn zu sich herunter.

„Ich liebe aggressive Frauen“, murmelte er noch, bevor sie seinen Mund mit ihren Lippen verschloss. Als sie sich jedoch an ihn schmiegte und seine Erregung spürte, bekam sie Angst. Er war so groß und kräftig. Vielleicht war es doch nicht klug von ihr gewesen …

„Öffne deine Lippen“, flüsterte er.

„Ich mag keine Zungenküsse.“

„Das war früher.“ Ehe sie weiter protestieren konnte, liebkoste er mit der Zunge ihre Lippen. Es war ein atemberaubendes Gefühl. Instinktiv öffnete sie den Mund, drängte sich noch enger an seinen harten Körper und merkte, wie seine Erregung sich allmählich auf sie übertrug. Schwer atmend griff sie in sein Haar und zog seinen Kopf näher zu sich heran.

Jon drückte sie gegen die Wand, und sein Kuss wurde immer fordernder. Mit den Händen begann er jetzt ihre Brüste zu streicheln, sodass sich ihre Knospen unter dem Top aufrichteten.

Plötzlich fühlte Anne, wie ihr wieder schwindelig wurde. Doch diesmal wehrte sie sich dagegen. Sie wollte nicht noch einmal in Ohnmacht fallen, um auch nur eine Sekunde dieser Wonnen zu versäumen.

Die Klingel an der Eingangstür ertönte.

„Hallo, ist jemand da?“

Nur mit Mühe brachte Anne ihre Gefühle unter Kontrolle. Jon hingegen schien die Störung überhaupt nicht zu bemerken. Sie schob ihn von sich, drehte den Kopf zur Seite und rief:

„Ich komme gleich! Ich bin gerade beschäftigt!“

„Die Post ist da. Ich lege sie auf den Ladentisch.“

„Ja, danke.“ Es kostete sie große Anstrengung, ein klares Wort hervorzubringen.

„Bis morgen.“

Die Türglocke ertönte erneut, dann war es wieder still im Laden.

„Ist er weg?“, raunte Jon.

„Ja.“

Er holte ein paar Mal tief Luft und schaute sie etwas betroffen an. „Das ist mir jetzt schon zum zweiten Mal passiert.“

„Was?“

„Dass ich deinetwegen alles um mich herum vergessen habe.“

„Ich weiß.“

Nur widerstrebend ließ er sie los. „Meine Einladung zum Essen gilt weiterhin.“

„Vielleicht sollten wir lieber noch einmal darüber nachdenken“, warf Anne vorsichtig ein, da ihr Körper bei jeder seiner Berührungen verrückt spielte. Wahrscheinlich hatte ihre Tante recht, ihr Herz war für Aufregungen dieser Art nicht geschaffen.

„Warum?“ Er trat einen Schritt zurück und sah an sich hinab. Ihr Blick folgte seinem. Er war immer noch voll Verlangen nach ihr, und ihre eigene Sehnsucht nach ihm machte Anne ganz schwach. Doch sie war sich nicht sicher, ob es ihr gefiel, dass jemand anderes eine derartige Macht über sie hatte. Die ganze Sache war schon viel zu ernst für einen Flirt.

„Jetzt habe ich noch achtzehn gut!“ Er wandte sich dem Ausgang zu.

„Dieser hat aber mindestens doppelt gezählt“, protestierte Anne.

Er drehte sich noch einmal um und sah sie zärtlich an. „Keine Chance, es wird korrekt gezählt. Wann sehe ich dich wieder?“ Allein und ungestört, war der unausgesprochene Sinn dieses Satzes.

„Ich weiß nicht.“

„Hast du Angst?“, fragte er herausfordernd.

„Ja.“

„Ich auch“, sagte er, nickte ihr zu und verließ den Laden.

Anne lehnte sich gegen die Wand und presste eine Hand auf ihr immer noch heftig schlagendes Herz. Sie vermisste Jon jetzt schon.

3. KAPITEL

„Hallo! Was machen Sie denn hier?“

Ellen Adamson trat aus der Arztpraxis und kam mit einem Lächeln auf Jon zu.

„Ich habe auf Sie gewartet. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit? Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.“ Jon steckte die Hände in die Gesäßtaschen seiner Hose. „Vielleicht können wir etwas essen gehen.“

Ellen zögerte kurz, dann nickte sie.

„Es betrifft Anne“, begann Jon zaghaft, während sie zu dem Restaurant hinübergingen.

„Wieso in aller Welt habe ich nur geahnt, dass dieser Name gleich fallen wird?“, meinte Ellen scherzhaft.

Er hielt ihr die Tür auf, und Ellen steuerte gleich ihren Stammtisch am Fenster an. Nachdem die Kellnerin die Speisekarten und Getränke gebracht hatte, sagte Ellen: „Gehen Sie aufs Ganze.“

„Wie bitte?“ Jon war sicher, dass er sich verhört hatte.

„Sie sollen die Liebe mit Anne genießen“, erklärte sie ihm ruhig. „Sie braucht dringend etwas Abwechslung in ihrem Leben.“

„Damit wir uns richtig verstehen. Ich habe nicht vor, für immer hierzubleiben“, warf Jon ein.

„Warum nicht? Dies ist Ihre Heimatstadt und ein schöner Platz, um eine Familie zu gründen und endlich sesshaft zu werden.“

„Das ist typisch weiblich.“

Ellen ignorierte die ironische Bemerkung. „Egal, ich wünsche Anne ein wunderschönes Liebeserlebnis, bevor sie in ewiger Langeweile versinkt.“

Jon nahm einen Schluck Wasser, ihm war plötzlich heiß geworden. Außerdem wollte er etwas Zeit gewinnen. Doch dann entschloss er sich, zur Sache zu kommen. „Annes Tante sagte mir, sie hätte einen Herzfehler, stimmt das?“

Ellen nickte.

„Kann es gefährlich werden für sie – ich meine, wenn … Wie ernst ist ihre Krankheit?“

Ellen betrachtete ihn mit einem verständnisvollen Blick. „Machen Sie sich keine Sorgen“, beruhigte sie ihn. „Es ist auf keinen Fall so schlimm, dass eine normale Beziehung zwischen Mann und Frau Annes Gesundheit gefährden könnte.“

Doch sie vermochte seine Bedenken nicht ganz zu zerstreuen. „Immerhin ist sie in meinen Armen ohnmächtig geworden. Auch wenn sie hinterher behauptete, es wäre nur gespielt gewesen, denke ich, dass es zum Teil echt war. Und ihr Herz klopfte so übermäßig stark.“ Er dachte daran, dass sie sich den Küssen genauso hingegeben hatte wie er.

„Na klar. Was kann man auch anderes erwarten, wenn man von einer Tante wie Marge großgezogen wurde?“ Ellen war erbost.

„Das müssen Sie mir näher erklären.“

Ellen seufzte. „Ihr ganzes Leben lang wurde Anne immer übermäßig behütet. Sie durfte nicht am Sport teilnehmen und sich grundsätzlich nicht aufregen. Es ist schon ein Wunder, dass sie sich überhaupt ein eigenes Leben hat aufbauen können. Aber sie hat es geschafft und ist damit sehr glücklich. Und sie denkt sogar an eine Heirat.“

Jons Miene verfinsterte sich. „Der Senator mag ja in Ordnung sein, aber er ist nicht der Richtige für Anne. Sie liebt ihn nicht.“

„Das ist wahr. Trotzdem spielt sie mit dem Gedanken, ihn zu heiraten. Doch dann trifft sie plötzlich einen Mann, durch den sie Gefühle erlebt, die sie vorher nie kannte. Sie haben sie wachgerüttelt.“ Jetzt lächelte Ellen.

„Wie ernst ist ihr Herzfehler denn?“

„Eine der Herzklappen schließt nicht richtig. Sollte sie irgendwann ganz ihren Dienst versagen, müsste ihr eine neue eingesetzt werden. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass es überhaupt passieren wird. Anne kann ein völlig normales Leben führen.“

Jon warf Ellen einen skeptischen Blick zu. „Aber dieses unglaubliche Herzklopfen während unserer Küsse konnte sie nicht vortäuschen.“

„Wenn ein Mensch sein ganzes Leben lang vor aller Aufregung bewahrt wurde, was, glauben Sie, passiert, wenn er sich zum ersten Mal richtig verliebt? Denken Sie nicht auch, dass das dann ein bisschen überwältigend ist?“

„Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Sie glauben also, es wäre nicht gefährlich für Anne, wenn ich mit ihr schlafe?“ Er spürte, wie er bei dieser Frage errötete.

„Durch körperliche Liebe ist noch niemand zu Schaden gekommen. Außer vielleicht jene Männer in den mittleren Jahren, die versuchen, ihre verlorene Jugend zurückzuholen“, fügte Ellen in ihrer trockenen Art hinzu. „Ich hoffe, Sie lassen sich Anne nicht von so einem wegnehmen. Sie braucht jemanden, der ihr die Augen öffnet für alles, was sie bisher versäumt hat. Auch wenn Sie ihr nicht mehr bieten wollen oder können als eine leidenschaftliche Romanze, so wird sie hinterher wenigstens wissen, wonach sie beim nächsten Mal schauen muss. Sie ist ein erstklassiger Mensch. Ich möchte nicht, dass sie sich mit einer zweitklassigen Liebe zufriedengibt.“

Die Vorstellung, Anne könnte jemand anderen lieben, der dann ihr Lachen und diese unbeschreiblichen Küsse mit ihr erleben würde, gefiel Jon überhaupt nicht. Er lächelte gequält. Wahrscheinlich träumte er demnächst von einem Rosengarten und dem Getrappel von Kinderfüßchen.

„Danke, dass Sie mich beruhigt haben. Selbstverständlich möchte ich Anne nicht wehtun, egal, was Esmeralda denkt.“

„Wer ist Esmeralda?“

„Tante Marge.“ Er grinste spitzbübisch und freute sich schon auf den Machtkampf mit der alten Xanthippe.

Ellen lachte schadenfroh. „Das möchte ich auf keinen Fall versäumen.“ Sie musterte ihn einen Augenblick, dann fügte sie sanft hinzu: „Wenn Sie Anne gehen lassen, sind Sie ein Dummkopf.“

„Ich bin kein Mann zum Heiraten!“

Als die Kellnerin mit der Bestellung kam, lachte Ellen immer noch. Jon schmunzelte. Sein Protest war wohl etwas zu heftig ausgefallen.

Eines jedoch wusste er genau – weder hatte er sich bis jetzt Gedanken darüber gemacht, ob er für eine Frau gut genug war, noch hatte er eine feste Beziehung in Erwägung gezogen. Bis Anne kam.

Anne saß an einem Tisch gleich neben der Tür und hakte die Gästeliste ab. Wie jeden ersten Freitag im Monat fand das Essen der Mitglieder der Handelskammer statt. Da der Gastredner, ein Universitätsprofessor aus Austin, wegen Krankheit absagen musste, hatte Randall Talbert dessen Aufgabe übernommen.

„Guten Abend.“ Eine sonore Stimme ließ sie hochblicken.

Von den sorgfältig gekämmten schwarzen Haaren über das maßgeschneiderte Tweedsakko bis zu den blank geputzten Schuhen machte Jon in seinem sportlich eleganten Outfit den Eindruck eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Anne war angenehm überrascht.

Er betrachtete sie genauso eingehend. Anne trug ein weißes Kleid, eine weiße Jacke mit rot gestickten Blumen und eine passende rote Schleife, mit der sie ihr Haar im Nacken zusammengebunden hatte. Beide spürten, wie die Sehnsucht nach dem anderen sie erfüllte.

„Diese Frisur steht dir gut“, sagte er.

Sie ertappte sich dabei, wie sie sich eine Locke aus dem Gesicht strich. Schnell ließ sie die Hand sinken und fuhr mit dem Finger über die Gästeliste. Jon Sinclair machte sie nervös. Sie musste achtsam sein.

„Ich finde deinen Namen nicht. Bist du angemeldet?“ Sie wusste sehr gut, dass das nicht der Fall war.

„Dein Onkel sagte mir vorhin, ich könnte bei Einlass zahlen.“

„Oh. Wo hast du ihn getroffen?“

„Auf der Bank. Er erwähnte, dass dein Senator hier heute Abend eine Rede halten wird. Da sagte ich mir, schau dir mal die Konkurrenz an.“

Anne lächelte, während ihr das Herz bis zum Halse schlug. Ihre Tante hatte sie täglich angerufen und an ihren „Zustand“ erinnert. Doch ein kleines Abenteuer würde ihr sicher nicht schaden …

Als Jon seinen Eintritt bezahlte, hielt er dabei Annes Hand fest. „Wo wirst du sitzen?“

„Ich weiß noch nicht.“ Vergeblich versuchte sie, ihre Hand zurückzuziehen.

„Dann werde ich dir einen Platz neben mir frei halten. Oder hast du schon jemand anderem zugesagt?“

„Nein, eigentlich nicht.“ Normalerweise saß sie bei Randall, da er jedoch als Gastredner am Kopf der Tafel saß, konnte sie sich ihren Platz frei wählen. Trotzdem – sie war sich nicht sicher, ob sie so nahe bei Jon Sinclair sein wollte.

Er nickte eindringlich, als hätten sie es fest abgemacht. Dann ließ er ihre Hand los und schlenderte zu Onkel Joe und Randall hinüber. Sie runzelte die Stirn über diese Anmaßung, doch sie konnte den Blick nicht von ihm wenden, während ihr Onkel ihn den anderen Herren vorstellte. Jon war der Jüngste zwischen ihnen.

Sie beobachtete, wie er sich mit Randall unterhielt und lachte, als wären sie alte Freunde.

Dann war es Zeit, die Plätze einzunehmen. Randall kam zu ihr und sagte: „Es ist unumgänglich, dass ich am Rednertisch sitzen muss. Willst du dich zu mir setzen?“

„Nein, nein. Es ist nicht nötig.“ Sie fühlte sich ein wenig schuldig, als sie seine Enttäuschung sah, und fügte versöhnlich hinzu: „Komm doch hinterher zu mir nach Hause. Es gibt Kirschkuchen, und ich werde uns Kaffee kochen.“

Randall lächelte erfreut, und um seine Augen erschienen attraktive Lachfalten. „Großartig.“

Verblüfft stellte Anne fest, wie grau sein Haar schon war. Und die hohe Stirn, die sie stets bewundert hatte – rührte sie nicht vielleicht davon her, dass ihm allmählich die Haare ausgingen? Ihr Blick verdüsterte sich ein wenig. Sie wusste, woher diese verräterischen Gedanken kamen.

Als sie Jons tiefes, herzliches Lachen hörte, versuchte sie ihn über Randalls Schulter hinweg zu erspähen. Strahlend weiße Zähne kontrastierten zu einem sonnengebräunten Gesicht. Ob er wohl am ganzen Körper so braun war? In ihrer Fantasie streichelte sie seine warme Haut.

„Was hast du gesagt?“ Aufgeschreckt blickte sie Randall an.

„Ich überlege gerade, ob Jon Sinclair sich hier endgültig niederlässt. Jeder Mann kommt nach Hause zurück, wenn er bereit ist, eine Familie zu gründen.“

„Ach? Hast du diese Weisheit in einem Psychologiekurs gelernt?“

Randall schüttelte den Kopf. „Nein, meine Liebe, das ist Lebenserfahrung.“ Auch er sah zu Jon hinüber.

„Er wäre gut für unsere Stadt. Er ist ein cleverer Geschäftsmann. Sollte ich Gouverneur werden, hätte ich ihn gern in meiner Mannschaft. Ich habe mich mit einigen Leuten unterhalten, die mit ihm zusammengearbeitet haben. In den letzten dreizehn Jahren hat er über ein Dutzend Firmen vor einem drohenden Konkurs bewahrt und sie anschließend gewinnbringend verkauft. Er mag Herausforderungen.“

„Ich nahm an, er hätte nur die Ranch.“

„Die hat er sich derzeit zur Aufgabe gemacht.“

„Ihr sprecht über den jungen Sinclair?“ Dr. Adamson war zu ihnen getreten.

„Hallo, Doc. Ja, wir haben gerade über seine beruflichen Erfolge gesprochen“, erklärte Randall.

„Er ist ein tatkräftiger und beherzter Bursche“, stimmte der Doktor zu. „Ich kann mich noch erinnern, wie stürmisch er als Jugendlicher war. Einige nannten ihn das schwarze Schaf unserer Stadt, doch er war nur voller revolutionärer Ideen.“ Der Doktor wurde nachdenklich. „Die Tochter von Skagg hätte ihn beinahe hereingelegt.“

„Wie denn das?“, erkundigte sich Anne überrascht.

„Sie behauptete, er hätte sie geschwängert, aber er schwor, sie nie angerührt zu haben.“

„Hast du ihm geglaubt?“ Anne konnte ihre Neugier nicht verbergen.

„Ja. Der junge Sinclair sagte, er würde für das Kind aufkommen, sofern ein Bluttest seine Vaterschaft bewiesen hätte. Als das Mädchen merkte, dass sie eine Heirat mit Jon auf diese Weise nicht erzwingen konnte, rückte sie mit der Wahrheit heraus. Und siehe da, der Vater des Babys war ein Angestellter ihres Vaters. Sie hatte befürchtet, ihr Vater würde ihn erschießen, wenn er es herausbekäme. Sie war sicher, einem Sinclair hätte er nichts getan.“

„Nun ist es genug damit“, unterbrach Randall ihn.

Anne war erleichtert. Sie schenkte Randall noch ein Lächeln, ehe er zu seinem Platz ging, und schlich sich dann zu Jon Sinclair, der ihr galant den Stuhl zurechtrückte.

„Dein Senator scheint ein netter Kerl zu sein.“

„Ja, ist er.“

„Macht es dir nichts aus, dass du ihn betrügen wirst?“

Anne bemühte sich, ihn frostig anzublicken. „Worüber redest du überhaupt?“

„Jeder Mann erwartet ein wenig Leidenschaft von seiner zukünftigen Frau. Hast du ihm schon einmal diese Seite von dir gezeigt?“

Anne wurde rot. „Natürlich.“

„Nein, hast du nicht.“

„Woher willst du das denn wissen?“

„Weil Männer und Frauen, die miteinander schlafen, sich auch sonst körperlich nahekommen und sich unbewusst anfassen. Das trifft auf dich und deinen Senator nicht zu.“

Anne überlegte. Es war ihr schon aufgefallen, dass ihre verheirateten Freunde sich oft wie zufällig berührten, aber sie hatte nie darüber nachgedacht.

Der Kellner kam und servierte das Hauptgericht.

„Hühnchen!“

„Magst du kein Hühnchen?“, fragte Anne.

Jon schmunzelte. „Nachdem ich von zu Hause ausgezogen war und eine Weile als Rausschmeißer in einer Bar gearbeitet hatte, jobbte ich in einer Hühnerfarm. Danach wurde ich Vegetarier.“ Jon verzog das Gesicht. „Aber ich lernte eine Menge über Hühnerzucht.“

„War das die erste Firma, die du saniert hast?“

„Woher weißt du das?“

„Randall hat es mir erzählt. Er meinte, wenn er Gouverneur würde, hätte er dich gern in seiner Mannschaft.“

„Politik? Das ist mir viel zu bürokratisch.“

„Dann erzähl mir über diese Firmen, die du gerettet hast.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“

„So spricht ein wahrer Held“, spottete sie. „War die Hühnerfarm die erste Gesellschaft, die du gekauft hast?“

„Ich sagte dem Firmeninhaber nur, wie man rationeller verfahren könnte, und er gab mir freie Hand. Nach acht Monaten zahlte er mir einen Bonus, und ein Jahr später war ich sein Teilhaber. Nach einem weiteren Jahr haben wir das Unternehmen mit gutem Gewinn an Tyson Foods verkauft. Das war meine erste Erfahrung mit dem Kapitalismus – und ich habe viel daraus gelernt.“

„Was zum Beispiel?“

„Aufzupassen, dass einem Niemand in den Rücken fällt, und Bescheid zu wissen über die Konkurrenz innerhalb und außerhalb der Firma.“

„Also war ein langjähriger Angestellter neidisch auf deinen Erfolg und versuchte zu intrigieren? Hat er Betriebsgeheimnisse an die Konkurrenz verkauft?“

„Du bist ganz schön scharfsinnig. Ja, der Neffe des Chefs hatte Angst um seine Position und versuchte deshalb, unsere Transaktionen zu sabotieren.“

„Doch du hast sein schändliches Treiben aufgedeckt und gestoppt“, ergänzte Anne.

„Ja, und ich habe daraus gelernt.“

„Was denn?“

„Dass es gefährlich ist, zwischen familiäre Fronten zu geraten. Ein Außenstehender verliert unweigerlich dabei.“

„Und was hast du verloren?“ Jon schien ihre Neugier nicht aufzufallen.

„Die Tochter des Chefs, mit der ich liiert war. Als ihr Cousin behauptete, ich würde den Ausverkauf der Firma betreiben, glaubte sie ihm.“

„Inwiefern?“

Jon war überrascht über sich selbst. In den ganzen vergangenen zehn Jahren hatte er nie soviel über sich preisgegeben wie in diesem Moment, und das einer Frau gegenüber, die er kaum kannte. Allerdings hatte er das Gefühl, als wäre er schon ewig mit ihr befreundet, ja, als wäre sie ein Teil von ihm. Was für ein alberner, sentimentaler Gedanke.

„Er behauptete, mit meiner Geschäftspolitik würde ich die Firma ruinieren und einem großen Konzern die Übernahme ermöglichen.“

„Doch stattdessen machtest du Profit“, sagte Anne anerkennend.

Schon bei diesem kleinen Lob glaubte er, sein Herz würde verrückt spielen. Das war genauso absonderlich wie die Vorstellung, sie wäre ein Teil von ihm.

Der Vorsitzende hielt die Begrüßungsrede und kündigte den Senator an. Jon hatte ihn während seiner Unterhaltung mit Anne vollkommen vergessen. Ob es ihr wohl genauso gegangen war?

Höflicher Applaus ertönte, als Randall sich jetzt an das Publikum wandte. Unter dem Tisch griff Jon nach Annes Hand. Sie sah ihn überrascht an, dann blickte sie wieder nach vorn. Sie wirkte so energiegeladen und munter – es war kaum zu glauben, dass sie Probleme mit dem Herzen haben sollte. Das jedoch sollte ihn nicht daran hindern, ein Verhältnis mit ihr anzufangen. Aber er würde sehr rücksichtsvoll mit ihr sein …

Er hielt ihre kleine, zarte Hand ganz fest, gab sich einige Minuten lang seiner Fantasie hin und legte sie sich dann auf den Oberschenkel.

Anne versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf Randalls Rede zu lenken, doch es war hoffnungslos. Als Jon ihre Hand schließlich losließ, wusste sie nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Bevor sie ihre Hand jedoch diskret zurückziehen konnte, ergriff er sie erneut. Mit der Kuppe seines Zeigefingers streichelte er die Innenfläche ihrer Hand, dann strich er zärtlich an jedem einzelnen ihrer Finger entlang.

Als Anne bewusst wurde, dass Jon mit seiner Hand eine Art Liebesspiel vollzog, durchflutete eine seltsame Welle von Wärme ihren ganzen Körper.

Plötzlich wurde sie durch das Gelächter der anderen aufgeschreckt. Anne sah Jon vorwurfsvoll an. Sie musste sich konzentrieren, denn Randall erkundigte sich hinterher stets nach ihrer Meinung, und sie wusste nicht einmal das Thema seines Vortrags.

Jon war noch immer nicht bereit, ihre Hand freizugeben, und sie drückte fest ihren Daumennagel in seinen Handrücken. Da er nicht reagierte, versuchte sie, ihm einen warnenden Blick zuzuwerfen. Doch als er ihrem Blick begegnete und sie das Verlangen in seinen Augen sah, konnte sie ihn nur noch wie hypnotisiert anstarren.

Randall hatte seine Rede beendet, und der plötzlich einsetzende Applaus holte sie in die Gegenwart zurück. Sie entzog Jon ihre Hand und klatschte ebenfalls lebhaft Beifall. Jon tat es ihr gleich.

In der Hoffnung, Randalls Anwesenheit würde sie auf den Boden der Tatsachen zurückbringen, stand Anne auf und flüchtete sich an seine Seite.

Jon folgte ihr etwas langsamer und gesellte sich zu den beiden. „Das war eine großartige Rede“, sagte er zu Randall. „Sie sollten wirklich in Erwägung ziehen, nach Washington zu gehen.“

„Vielleicht“, sagte Randall und nickte. „Doch nicht bevor mein jüngster Sohn die High-School abgeschlossen hat. Die Familie geht vor.“

„Natürlich. Wie wäre es mit einem Kaffee?“

Anne brauchte einen Moment, ehe sie bemerkte, dass Jon die Frage an sie gerichtet hatte.

„Nein, danke. Ich habe schon etwas vor.“

„Ich würde mich gern noch mit Ihnen unterhalten“, sagte Randall zu Jon und wandte sich an Anne. „Hast du noch ein Stück Kirschkuchen für Jon Sinclair?“

„Ja, sicher. Möchten Sie uns Gesellschaft leisten?“, fragte sie Jon höflich.

„Ja, gern. Vielen Dank.“ Er lächelte.

Sie traute dem harmlosen Lächeln keinen Augenblick. Jedenfalls überspielten Jon und der Senator die Situation gut. Bei Anne angekommen, diskutierten sie dann intensiv über die politische Lage, während sie Kaffee kochte und den Kirschkuchen aufteilte.

„Wie geht es Sean?“, erkundigte sie sich, als sie mit einem Tablett zurück ins Wohnzimmer kam. Jon sprang auf, um ihr zu helfen.

„Prima, er lässt dir bestellen, dass sein Ballabschlag besser geworden ist.“

Anne lachte. Sein Ball hatte sie neulich am Kopf getroffen. Randall stimmte in ihr ansteckendes Lachen mit ein, während Jon verständnislos lächelnd von einem zum anderen blickte.

„Sag ihm, dass ich mich beim Fangen zu dumm angestellt habe.“

„Ja, das werde ich.“ Randall blickte auf seine Uhr, dann zu Jon und lehnte sich zurück. Er war offensichtlich nicht bereit, das Feld zu räumen, solange der jüngere Kavalier noch anwesend war.

Anne wurde nervös und stellte das Geschirr zusammen. Sie nahm das Tablett und murmelte: „Ich hole noch Kaffee.“

Kräftige Hände nahmen ihr das Tablett ab. „Ich werde helfen.“

Sie ließ Jon das Geschirr in die Küche tragen. „Stell es hier auf den Tresen.“

„Ich werde es am besten gleich abwaschen, dann trocknet nichts an.“

Anne nickte und ging ins Wohnzimmer, um Kaffee nachzuschenken. Als sie in die Küche zurückkehrte, stellte sie überrascht fest, dass Jon tatsächlich abwusch.

Sie lehnte sich an den Tresen und sah ihm dabei zu. Nachdem er das Küchentuch aufgehängt hatte, stand er plötzlich vor ihr, die Hände links und rechts von ihr auf die Arbeitsfläche gestützt.

„Jon, nicht … Randall …“

Sie kämpfte kurz mit sich und entschloss sich dann, einen kleinen Kuss zuzulassen. Je eher es vorbei war, je früher könnten sie ins Wohnzimmer zurückgehen.

Er beugte sich über sie, und sie legte ihm vorsichtshalber die Hände auf die Brust, um ihn auf Abstand zu halten. Doch als er sie dann küsste, begann ihr das Blut in den Schläfen zu pochen.

Sie schloss die Augen, vergaß den Gast, der nur zwei Türen weiter wartete, und gab sich ganz Jons Küsse hin.

„Anne?“

Sie reagierte nicht.

„Anne“, sagte Jon mit rauer Stimme. „Wir müssen sofort aufhören, sonst …“

Widerstrebend öffnete sie die Augen und schaute ihn seufzend an.

„Wir müssen wieder ins Wohnzimmer, wir haben einen Gast.“

„Oh!“ Erschrocken schlug sie sich an die Stirn.

„Ja, ja.“ Lächelnd nahm Jon sie an die Hand und ging mit ihr zurück.

„Ich wollte schon einen Suchtrupp nach euch aussenden“, empfing Randall sie.

„Ich hatte darauf bestanden, beim Abwasch zu helfen“, erklärte Jon. „Meine Mutter brachte mir bei, dass man so das Herz einer Frau gewinnt.“

Anne fuhr sich mit zitternden Fingern durchs Haar. Randall sah wortlos von einem zum anderen.

„Ich muss gehen. Der Tag auf der Ranch fängt früh an“, meinte Jon schließlich.

Zögernd begleitete Anne ihn zur Tür und wünschte ihm eine gute Nacht. Jon legte ihr einen Finger unters Kinn.

„Nein, tu’s nicht“, flüsterte sie.

„Ich kann nicht anders“, entgegnete er und gab ihr einen kurzen, aber innigen Kuss.

Anne wehrte sich nicht, obwohl ihr klar war, dass Randall sie beide durch die offene Tür sehen konnte.

„Jetzt sind es noch vierzehn.“ Nach diesem Hinweis verschwand er in der Dunkelheit.

Anne ließ die Eingangstür ins Schloss fallen, ging ins Wohnzimmer und setzte sich zu Randall aufs Sofa. Er rutschte neben sie. „Endlich allein.“

So sehr sie auch gehofft hatte, Jon würde frühzeitig gehen, so sehr wünschte sie sich nun, er wäre noch da. Sie konnte jetzt nicht mit Randall allein sein.

„Ihr kennt euch, nicht wahr? Seit wann?“, fragte Randall.

„Seit letzten Samstag.“ War es tatsächlich erst sechs Tage her? Es kam ihr vor, als kenne sie ihn schon ihr ganzes Leben lang. „Er war auf dem Basar. Zwei Tage später traf ich ihn dann noch einmal zufällig in der Stadt.“

Randall blickte sie lange an. „Hast du dich in ihn verliebt?“

Als er ihr zärtlich die Wange streichelte, traten Anne Tränen in die Augen.

Sie versuchte zu lachen. „Nein, natürlich nicht.“

„Nur ein Blinder würde nichts merken.“

Anne war bestürzt, dass sie sich so schlecht verstellen konnte. „Nein, es ist nichts – nichts von Bedeutung.“

Randall sah sie ernst an. „Du kannst mir etwas vormachen, aber betrüg dich nicht selbst. Wenn es die große Liebe deines Lebens ist, lass sie nicht an dir vorübergehen.“

„Die große Liebe? Sei nicht albern! Es ist nur …“ Verwirrt suchte sie nach einer Erklärung.

„Nur Sex? Damit fängt es meistens an.“ Er strich mit dem Finger über ihre Lippen. „Du hast nie gezittert, wenn ich dich geküsst habe.“

„Natürlich nicht. Du bist ein Gentleman.“

Zu ihrer Überraschung lachte Randall, allerdings klang es etwas verbittert. „Ich hätte nie vermutet, dass das eine Beleidigung sein könnte.“

Autor

Laurie Paige
Laurie Paige lebte mit ihrer Familie auf einer Farm in Kentucky. Kurz bevor sie ihren Schulabschluss machte, zogen sie in die Stadt. Es brach ihr das Herz ihre vierbeinigen Freunde auf der Farm zurück lassen zu müssen. Sie tröstete sich in der örtlichen Bibliothek und verbrachte von nun an ihre...
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