Bianca Exklusiv Band 329

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UNSER STERN DER LIEBE von STELLA BAGWELL

Liebe, Verwirrung, Rührung … all diese Gefühle stürmen auf Angela ein, als Jubal ihr einen rot blühenden Weihnachtsstern schenkt. Sicher, der attraktive Tierarzt verließ sie einst, um eine andere zu heiraten. Und doch … Kann er mit dem "Stern der Liebe" ihr Vertrauen zurückgewinnen?

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  • Erscheinungstag 06.11.2020
  • Bandnummer 329
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748821
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stella Bagwell, Marie Ferrarella, Linda Lael Miller

BIANCA EXKLUSIV BAND 329

1. KAPITEL

„Wie sehe ich aus? Kann ich so die Gäste bedienen?“ Angela Malone drehte sich vor der Köchin der Sandbur-Ranch im Kreis und machte aus Spaß einen Hofknicks.

Nachdenklich musterte Cook ihre junge Küchenhilfe. „In dem kleinen Schwarzen siehst du wie eine Prinzessin aus, wenn du die Schürze abnimmst. Aber da wir heute Abend ein Barbecue servieren, solltest du sie lieber anbehalten.“

Angela lächelte nervös. Das sogenannte kleine Schwarze war nur ein schlichtes Baumwollkleid. Außerdem befürchtete sie, dass ihr ein Missgeschick unterlaufen könnte. Sie hatte zwar die letzten zwei Jahre im Cattle Call Café gearbeitet und Erfahrung als Kellnerin gesammelt, aber gelegentlich war das Essen auf ihrer Kleidung statt auf dem Tisch gelandet, den sie gerade bediente.

Doch diese Zeiten waren hoffentlich vorbei. Sie war aufgestiegen, seit ihre Freundin Nicci Saddler Garroway ihr die Anstellung auf der Ranch in Südtexas verschafft hatte. Nun war sie die Assistentin der Köchin im sogenannten großen Haus, in dem die Matriarchin Geraldine Saddler und ihr Sohn Lex residierten. Außerdem überwachte sie die Arbeit der Zimmermädchen, erledigte Einkäufe und kümmerte sich im Allgemeinen um alle Arbeiten, die nicht von den Haushaltshilfen ausgeführt werden konnten.

„Wahrscheinlich hast du recht mit der Schürze“, überlegte Angela laut. „Aber ich möchte in Ms. Saddlers Augen präsentabel sein. Offensichtlich gibt sie heute ein richtig vornehmes Galadinner.“

Cook war groß, dünn und Anfang siebzig. Ihr schwarzes Haar wies nur vereinzelte Spuren von Grau auf, und sie pflegte sich die Lippen ebenso leuchtend rot zu bemalen wie die Fingernägel. „Sei nicht so nervös. Du hast in deinem Leben schon so viele Tische bedient.“ Sie rückte die Haarspange zurecht, die Angelas dichtes braunes Haar zurückhielt, und tätschelte ihr die Wange. „Hübsch wie ein Frühlingsmorgen. Geh die Appetithäppchen servieren, bevor Geraldine nachsehen kommt, warum wir so trödeln. Husch!“

„Ich bin schon unterwegs.“ Lächelnd nahm Angela das Tablett, stieß die Schwingtür mit einer Schulter auf und eilte den langen Korridor entlang, der in den vornehmen Salon führte. Der Duft von geräucherten Shrimps, fangfrisch aus San Antonio geliefert, wehte ihr vom Tablett in die Nase und machte ihr bewusst, dass sie seit dem Frühstück um fünf Uhr früh nichts gegessen hatte.

Wegen der Dinnerparty hatte sie schon den ganzen Tag lang alle Hände voll damit zu tun, bei der Zubereitung unzähliger raffinierter Gerichte zu helfen und darauf zu achten, dass alle Räume von den Hausangestellten gesäubert und mit frischen Blumen versehen wurden.

Als sie sich dem Salon näherte, hörte sie Stimmengewirr und Gelächter. Im Hintergrund ertönte Countrymusic. Im Geist summte sie die Melodie mit und malte sich aus, den Walzer in den Armen eines netten Mannes zu tanzen, den es nicht kümmerte, dass sie alleinerziehende Mutter war.

Sie verdrängte diese Wunschvorstellung, holte tief Luft und betrat den Salon, der bereits voller Gäste war.

Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg zu dem langen Tisch, der in der Nähe der Bar gedeckt war. Gerade wollte sie das Tablett zu den anderen Vorspeisen stellen, da ertönte hinter ihr Geraldines Saddlers Stimme. „Angie? Wenn das die Shrimps sind, dann bringen Sie sie bitte hierher. Auf dem Couchtisch ist genügend Platz.“

Angela machte kehrt und durchquerte den Raum bis zur Mitte, wo ein Sofa und mehrere Polstersessel um einen niedrigen Tisch gruppiert standen. Vorsichtig stellte sie das Tablett auf das polierte Eichenholz.

„Diese Shrimps müssen Sie unbedingt probieren, Jubal“, drängte Geraldine. „Sie zergehen auf der Zunge.“

Angela erstarrte. Ihr Herz klopfte wild. Es kann nicht sein, dass ausgerechnet er der neue Tierarzt hier und der Grund für diese Party ist! Widerstrebend hob sie den Kopf, und dann starrte sie in das Gesicht, das sie seit fünf Jahren verzweifelt zu vergessen versuchte.

Jubal. Sie wusste nicht, ob sie den Namen flüsterte oder nur mit den Lippen formte. Auf jeden Fall spürte sie das Blut in den Kopf schießen und hörte ein lautes Rauschen in den Ohren.

Sie sah einen erschrockenen Ausdruck über sein Gesicht huschen, aber sie wartete nicht ab, ob er zu ihrer Bekanntschaft stehen wollte. Hastig entschuldigte sie sich bei Geraldine und floh förmlich aus dem Raum.

Völlig außer Atem erreichte sie die Küche. Ihre Knie fühlten sich so weich an, dass sie nur noch auf einen Stuhl sinken konnte.

Cook eilte zu ihr. „Mädchen, was hast du denn? Du siehst aus, als müsstest du dich übergeben.“

Angela rang nach Atem und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. „Ich … es geht mir gut. Ich glaube, ich habe nur zu lange nichts gegessen.“

„Seltsam. Wieso fällt dir gerade jetzt ein, dass du Hunger hast?“ Cook schürzte die roten Lippen. „Was ist da drinnen passiert?“

„Nichts.“

„Hast du das Tablett fallen lassen? Bist du über jemanden gestolpert?“

Sie war tatsächlich gestolpert und gefallen – allerdings schon vor fünf Jahren. „Es ist alles okay. Ich fühle mich nur ein bisschen zittrig.“ Angela schloss die Augen und versuchte, die Panik zu dämpfen. Wie konnte sie in den Salon zurückkehren und fünf Gänge servieren, wenn er an dem Tisch saß?

„Hier. Iss das.“ Cook stellte Salzgebäck und einen Teller mit marinierten Schwarzaugenbohnen auf den Tisch. „Ich mache inzwischen die Salate fertig.“

Angelas Kehle war wie zugeschnürt, aber sie zwang sich, etwas sogenannten Texas Caviar auf einen Cracker zu häufen und in den Mund zu stecken.

Nach einigen Bissen stand sie auf und trat an die lange Arbeitsfläche. Es war kein geeigneter Augenblick, um sich von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen.

Cook warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Zuerst warst du ganz rot im Gesicht, und jetzt siehst du so weiß wie die Wand aus. Vielleicht sollte ich lieber Miss Nicci holen, damit sie dich mal untersucht. Sogar junge Leute können Herzanfälle kriegen.“

Angelas Herz war tatsächlich in Mitleidenschaft gezogen, aber auf eine ganz andere Art und Weise. „Es geht schon wieder. Nicci wird in ihrer Freizeit ständig wegen irgendwelcher Notfälle gestört. Ich will ihr diese Dinnerparty nicht verderben.“

„Aber …“

„Mach dir keine Sorgen um mich. Aus medizinischer Sicht ist bei mir alles in Ordnung.“ Sie erkannte, dass es leichter war, sich Cook anzuvertrauen, als die Wahrheit zu verbergen. „Ich habe im Salon bloß jemanden entdeckt, den ich lange Zeit nicht gesehen hatte. Weil ich dachte, ihm nie wieder zu begegnen, hat es mich aufgewühlt. Das ist alles.“

Anstatt mit persönlichen Fragen zu nerven, schlug Cook taktvoll vor: „Soll ich Alida rufen, damit sie heute Abend für dich einspringt?“

Alida war eine Hausangestellte, die schon seit mehreren Jahren für die Familien Saddler und Sanchez arbeitete. Momentan passte sie auf Angelas Tochter Melanie auf, und so sollte es auch bleiben. „Nein, danke. Es ist alles gut so, wie es ist.“

Vergeblich versuchte Jubal Jamison, sich auf das Gespräch an dem Couchtisch zu konzentrieren. Er war noch immer erschüttert von dem unverhofften Wiedersehen mit Angela. Er hatte nicht erwartet, ihr schönes Gesicht je wiederzusehen, nachdem sie vor fünf Jahren aus Cuero verschwunden war. Was trieb sie auf dieser Ranch? Anscheinend war sie eine Angestellte. Das hatte ihm niemand mitgeteilt. Natürlich nicht. Niemand auf Sandbur weiß, dass sie die Liebe deines Lebens war.

Was sollte er nun tun? Weglaufen? Ihr noch einmal den Rücken zukehren?

Diesmal nicht, schwor er sich im Stillen. Diese Gelegenheit, wieder mit ihr Kontakt aufzunehmen, durfte er sich nicht entgehen lassen. Außerdem war er bereits nach Sandbur umgezogen, wo gerade eine supermoderne tierärztliche Praxis eingerichtet wurde. Eine kostspielige Hightech-Ausrüstung war aus Dallas unterwegs und musste jeden Tag eintreffen.

Als zu Tisch gerufen wurde, folgte er wie ferngesteuert den anderen Gästen in den Speisesaal. Kurz darauf fand er sich zur Rechten von Geraldine Saddler am Kopfende der festlich gedeckten Tafel wieder.

Der Raum war lang, die niedrige Decke mit massiven Balken aus Zypressenholz überzogen. Eine lange Reihe von Bogenfenstern bot einen wundervollen Ausblick auf den Garten. Weiße Lichterketten zierten die Stämme der mexikanischen Palmen und kündeten von dem bevorstehenden Weihnachtsfest. Auf dem langen Tisch standen edle Blumenarrangements.

Jubal war in begüterten Verhältnissen aufgewachsen, aber er musste zugeben, dass die gesellschaftlichen Ereignisse in seinem Elternhaus im Vergleich zu dieser Feier bescheiden ausfielen. Trotzdem wirkten Geraldine und ihre Familie sehr bodenständig und leger.

Zu schade, dass man das von seinen Eltern nicht sagen konnte. Andernfalls hätten sie mehr Verständnis für seine Beziehung zu Angela bewiesen. Doch sie waren nicht für die Trennung verantwortlich. Die ging leider allein auf sein Konto. Und er zahlte seitdem einen hohen Preis dafür.

Mit jedem Gang, den Angela servierte, steigerte sie sich immer mehr in eine ohnmächtige Wut. Denn Jubal ignorierte sie während des gesamten Mahls. Eine höfliche Begrüßung war alles, was sie von ihm erwartete. Aber selbst dazu war er nicht Gentleman genug. Er besaß nicht einmal den Anstand, um auch nur Hallo zu murmeln. Dabei war seine furchtbare Ehefrau überraschenderweise nicht anwesend.

„Zum Teufel mit dem Kerl!“, schimpfte sie vor sich hin, während sie in die Küche stürmte. Dort verkündete sie: „Die Gäste stürzen sich gerade auf das Dessert.“

Cook saß an dem langen Pinientisch und hielt die knochigen Finger um einen Kaffeebecher gelegt. In ihrem hohen Alter hätte sie erschöpft sein müssen. Stattdessen sah sie zufrieden aus. „Es wird trotzdem noch eine Weile dauern, bevor sie das Haus verlassen. Aber du musst nicht darauf warten. Geh nach Hause zu deiner Kleinen. Ich sorge dafür, dass alles aufgeräumt wird.“

Angela setzte sich auf die Bank gegenüber. „Ich lasse dich nicht allein in diesem Chaos. Und wieso siehst du eigentlich so glücklich aus? Bist du gar nicht müde?“

Cook lächelte. „Natürlich bin ich müde. Aber es macht mich immer froh, gutes Essen für Geraldines Freunde auf den Tisch zu bringen. Diese berühmten Fernsehköche hätten es nicht besser machen können.“

„Ach so. Du bist stolz auf deine Leistung. Zu Recht. Ich wünschte nur …“ Angela verstummte abrupt und seufzte.

„Was denn, Kind?“

„Dass meine Mutter wie du wäre. Sie hat als Köchin in einem Restaurant gearbeitet und sich immer beklagt, dass es eine niedere Arbeit sei.“

„So ein Unsinn!“, rief Cook entrüstet. „Sie hätte zum Psychiater gehen sollen. Ich habe gegenüber den Gästen da draußen überhaupt keine Minderwertigkeitskomplexe.“ Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung des Salons, wo die Party noch immer in vollem Gang war.

„Ich auch nicht. Aber es gibt ohnehin nicht viel, was sie glücklich macht.“ Angela wusste nicht, ob ihre Mutter immer noch im Mustang Café kochte, oder ob ihre Eltern überhaupt noch auf der Farm bei Cuero lebten. Sie hatte nichts mehr von ihnen gehört, seit sie aus der Familie ausgestoßen worden war.

Seufzend stand sie auf und machte sich an die Aufräumungsarbeiten. Das Wiedersehen mit Jubal war schon schlimm genug, auch ohne dass sie über ihre Eltern grübelte, die ihr zu einem Zeitpunkt eiskalt den Rücken gekehrt hatten, als sie am meisten Hilfe gebraucht hätte.

Eine halbe Stunde später war die Ordnung in der Küche wiederhergestellt, sodass die beiden Frauen Feierabend machen konnten. Angela schnappte sich einen Karton mit Essensresten, die mindestens drei Mahlzeiten für zwei Personen ergaben, und verließ das Haus durch die Hintertür.

Über einen beleuchteten Fußweg ging sie zur Westseite, wo ihr Kleinwagen unter einer Eiche parkte. Gerade stellte sie den Karton auf den Rücksitz, als ein leises Knirschen auf dem Kies hinter ihr ertönte. Sie blickte über die Schulter und sah Jubal. Er war allein und kam direkt auf sie zu.

Sie schloss die Tür und drehte sich zu ihm um. Ihr Herz klopfte wild. Er hatte ihr so unerträglich wehgetan, dass sie abgrundtiefen Hass für ihn empfinden sollte. Aber sosehr sie es auch versuchte, sie konnte ihn nicht verabscheuen. Schließlich besaß sie das kostbarste Geschenk von ihm, das ein Mann einer Frau geben konnte.

„Hallo, Angie.“

Nur ein schwacher Lichtschein vom Haus drang zu der Stelle, an der sie standen. Sie konnte sein Gesicht kaum erkennen, aber das machte nichts. Sie hatte alles deutlich in Erinnerung behalten: die gerade Nase und das markante Kinn, die goldenen Pünktchen in den grünen Augen, das dichte braune Haar, das ihm in die hohe Stirn fiel. Seine Züge wirkten zu eindrucksvoll, um sie je zu vergessen. Sie schluckte schwer. „Hallo, Jubal.“

Er hielt die Hände lässig in die Hosentaschen gesteckt. Angela musterte seine Gestalt und stellte fest, dass er körperlich so fit wie eh und je wirkte. Seine Schultern waren breit, seine Schenkel muskulös, seine Hüften schmal wie bei ihrer ersten Begegnung, als er wegen einer kranken Ziege auf die Ranch ihres Vaters gekommen war.

Nach längerem Schweigen eröffnete er: „Ich habe eine ganze Weile auf dich gewartet und gehofft, dass du mir nicht entwischt bist. Drinnen hatte ich keine Gelegenheit, mit dir zu sprechen.“

Sie empfand Kummer und Zorn zugleich. „Ich habe ja auch bloß fünf Gänge serviert. Da war ich wohl nicht lange genug am Tisch, als dass du mich ein einziges Mal hättest ansehen und mir Hallo sagen können.“

Er atmete tief durch und strich sich mit einer Hand über das Gesicht. Angela sah ihm sein Unbehagen an. Offensichtlich wusste er nicht, wie er mit dieser Begegnung umgehen sollte. Nun, sie wollte und konnte kein Mitleid aufbringen. Er hat sich schließlich selbst gebettet und hoffentlich sehr schlecht gelegen.

„Anscheinend willst du keine Nachsicht mit mir üben.“

„Warum sollte ich?“

„Ich habe es wohl nicht anders verdient. Es tut mir leid, dass ich dich nicht früher begrüßt habe. Aber dich so unverhofft zu sehen … verdammt, das war ein Schock für mich. Was machst du hier auf Sandbur? Ich hätte nie erwartet, dich an so einem Ort anzutreffen.“

Nur mit Mühe schaffte Angela es, ihr Temperament zu zügeln. Glaubte er etwa, dass sie nur so zum Spaß Dinnergäste bediente? „Ich arbeite hier. Und du? Stellst du dich auf Du und Du mit den Reichen?“ Gespielt betroffen schlug sie sich eine Hand vor den Mund. „Oh, entschuldige, du gehörst ja zu den Reichen. Das hatte ich ganz vergessen.“

Er runzelte die Stirn, trat näher und forschte in ihrem blassen Gesicht. „Ich hätte erwartet, dass du mich mit irgendwelchen Gegenständen bewirfst, aber nicht mit diesem Sarkasmus.“

Unverhofft brannten Tränen in ihren Augen. Sie war kein rachsüchtiger Mensch. Warum benahm sie sich ihm gegenüber so schäbig? „Ich bin kein Kind mehr, Jubal, sondern eine erwachsene Frau. Und ich schätze, dass ich die Dinge – und die Menschen – inzwischen anders sehe.“

Wie wahr, dachte sie, damals war ich noch ein unbedarfter gefühlsbetonter Teenager. Bitterkeit war ein Fremdwort für sie gewesen, bis er beschlossen hatte, ihre Beziehung zu beenden und sich einer anderen Frau zuzuwenden. Nun vertraute sie niemandem mehr blind.

Jubal zog die Hände aus den Hosentaschen und verschränkte die Arme vor der Brust. Unwillkürlich heftete sie den Blick auf seine Hände. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend fiel ihr auf, dass sein Ringfinger nackt war. Es rief ihr in Erinnerung, dass Evette an diesem Abend nicht an seiner Seite war. Wo mochte sie stecken? Es war ein wichtiger Abend für Jubal und somit unerklärlich, warum die Salonlöwin nicht das Rampenlicht mit ihrem Ehegatten teilen wollte.

„Ich hatte keine Ahnung, dass du hier bist“, erklärte er. „Sonst hätte ich dich früher schon mal besucht.“

Fünf Jahre waren ohne ein Lebenszeichen von ihm vergangen, und für das Wiedersehen an diesem Abend war allein der Zufall verantwortlich. Daher fiel es Angela schwer zu glauben, dass er sie aufgesucht hätte. Folglich triefte ihre Stimme vor Sarkasmus, als sie nachfragte: „Ach, wirklich?“

Seinem grimmigen Gesicht nach zu urteilen war ihre Anwesenheit auf der Ranch ein Ärgernis für ihn. Nun, ihn um sich zu haben, ließ auch sie nicht gerade in Jubelstürme ausbrechen.

„Ich bin nicht der miese Schuft, für den du mich hältst, Angie.“

Sie hörte weder Zorn noch Boshaftigkeit aus seiner Stimme, aber es gab für ihn auch keinen Grund dafür. Schließlich hatte er bekommen, was er wollte. Es fiel ihr schwer, ein Schluchzen zu unterdrücken.

In rauem Ton erklärte sie: „Ich bin vor zwei Monaten zum Arbeiten hergekommen. Gerüchteweise habe ich gehört, dass die Ranch einen ansässigen Tierarzt eingestellt hat, aber bis heute Abend wusste ich nicht, dass du das bist. Aber keine Sorge. Ich werde dir oder deiner Familie keine Probleme machen und keine alten Geschichten aufwärmen.“

Verlegen senkte er den Blick auf seine Stiefelspitzen. „Darüber mache ich mir keine Sorgen.“

Angela wartete darauf, dass er weitersprach. Da er es nicht tat, beschloss sie, die Flucht nach vorn anzutreten. „Und wo steckt Evette? War sie etwa nicht in der Stimmung, zu deiner Party zu erscheinen?“

Er begegnete ihrem Blick, und etwas in seinen Augen ließ ihr Herz schneller schlagen.

„Ich bin nicht mehr mit Evette verheiratet.“

2. KAPITEL

„Wir haben uns ungefähr ein Jahr nach der Hochzeit getrennt“, erklärte Jubal ruhig.

Seine Miene wirkte dabei so ausdruckslos, als redete er über das Wetter und nicht über ein lebensveränderndes Ereignis.

Angela dagegen war total aufgewühlt. Er war kurz nach Melanies Geburt geschieden worden. Hätte sie davon gewusst, was wäre dann passiert? Hätte sich etwas geändert? „Eigentlich müsste ich wohl sagen, dass es mir leidtut, aber das kann ich nicht.“

Er zuckte eine Schulter, als wäre die Angelegenheit völlig bedeutungslos für ihn. „Schon gut. Mitleid würde schließlich nichts ändern.“

Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, weil er sich so gleichgültig gab. Konnte er sich denn nicht denken, dass ihre ganze Welt eingestürzt war, als er eine andere Frau geheiratet hatte? Oder kümmerte es ihn einfach nicht?

Es war kaum zu fassen, dass der Vater ihres Kindes, den sie fünf Jahre lang nicht gesehen hatte, nun vor ihr stand und mit ihr über das Scheitern seiner Ehe mit einer anderen Frau sprach. Es erschien ihr wie eine lächerliche Szene aus einer Seifenoper. Und es machte sie unglaublich wütend. In bitterem Ton bestätigte sie schließlich: „Stimmt. Die Dinge sind nicht mehr zu ändern.“

Er verzog das Gesicht. „Evette gehört zu den Menschen, die nicht aufhören, bis sie ihren Willen durchgesetzt haben. Und dann ist das Spielchen für sie vorbei.“

Hatte die Tochter des Bürgermeisters ihn so behandelt? Wie ein Spielzeug? Eine Schachfigur? Die Vorstellung bekümmerte Angela noch mehr. „Was ist mit eurem Kind? Lebt es bei dir oder bei ihr?“

Abrupt verwandelte sich sein Gesicht in eine starre Maske. „Sie hat es im sechsten Monat verloren.“

Oh Gott, wie furchtbar! Für ihn, aber auch für mich. Angela hatte sich kampflos in die Trennung gefügt, damit er sein Kind ungestört mit Evette aufziehen konnte. Die Erkenntnis, dass ihr Verzicht ganz umsonst erfolgt war, traf sie wie ein Tiefschlag. Ihr Herz war längst gebrochen, doch nun erst fühlte sie sich, als würde es in winzige Stücke gerissen.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Dass ich Mitleid mit dir habe? Oder mit mir? Mit uns allen? Ich kann dir unmöglich erklären, wie ich mich jetzt fühle.“ Sie schüttelte den Kopf, drehte sich zu ihrem Auto um und murmelte vor sich hin: „Ich fahre jetzt lieber nach Hause.“

Jubal konnte sie nicht gehen lassen. Seit fünf Jahren verfolgten ihn die Erinnerungen an sie bei Tag und bei Nacht. Er hatte versucht, Angie zu vergessen und sich einzureden, dass es besser war, sie ihr eigenes Leben führen zu lassen. Dennoch beschäftigte ihn ständig, wo sie sein mochte und was aus ihrer Beziehung geworden wäre, wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten.

Seit dem unverhofften Wiedersehen im Salon schlugen seine Gefühle Purzelbäume. Jetzt verspürte er den Drang, sie zu berühren, um sich zu überzeugen, dass sie real und nicht bloß ein Ausbund seiner Fantasie war. „Angie, warte! Können wir nicht noch ein bisschen reden?“

„Worüber denn?“

Ihm schoss durch den Kopf, dass sie noch attraktiver geworden war. Ihr herzförmiges Gesicht war schmaler und ausdrucksvoller, die helle Haut wirkte noch glatter und zarter. Die braunen Augen erschienen ihm nun dunkler und sinnlicher, die rosigen Lippen voller.

Die Zeit ändert vieles, dachte er. Doch das Bedauern, das er mit sich herumschleppte, und die Leidenschaft zu ihr, die noch immer in ihm loderte, waren unvermindert ausgeprägt. Er räusperte sich. „Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?“

Angela blickte ihn über die Schulter an. Ihre zusammengepressten Lippen verrieten, dass sie nicht mit ihm reden wollte. Und der Gedanke wirkte niederschmetternd auf ihn.

Schließlich erwiderte sie knapp: „In Goliad.“

So nah und doch so fern …

Die Entfernung zwischen ihnen hatte keine dreißig Minuten betragen. Erstaunlich, dass sie sich nicht schon früher ganz zufällig über den Weg gelaufen waren. Hätte er gewusst, dass sie ganz in seiner Nähe war, hätte er sie dann aufgesucht?

Nein, das wollte er nicht glauben. Er hatte sich entschieden, Evette zu heiraten und zu der Mussehe zu stehen. Angela zu verlassen, war ihm unglaublich schwergefallen. Hätte er sie danach wiedergesehen, wäre es ihm vermutlich nicht gelungen, sich ihr fernzuhalten. Und nach der Scheidung? Da hatte er sich wie ein totaler Versager gefühlt und sich eingeredet, dass sie ohne ihn besser dran war.

„Aha. Dann hattest du wohl Zeit genug, um viele nette Leute hier in der Gegend kennenzulernen“, bemerkte er hintergründig.

„Einige. Die Saddlers und die Sanchez’ gehören zu den Nettesten.“

Trotz ihrer Arbeitskleidung und der abgespannten Gesichtszüge sah sie in seinen Augen wundervoll aus. Unwillkürlich rückte er näher zu ihr. „Bestimmt. Aber darauf will ich nicht hinaus. Ich versuche herauszufinden, ob du verheiratet bist.“

Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte etwas in ihren Augen auf. Doch dann wurde ihr Gesicht geradezu unheimlich ruhig. „Nein. Ich bin immer noch Single. Nicht, dass es dich etwas angeht. Und jetzt muss ich wirklich nach Hause.“

Sie öffnete die Fahrertür, doch bevor sie einsteigen konnte, war Jubal an ihrer Seite und packte sie am Arm. Dass sie nicht liiert war, rief Hoffnung in ihm hervor. Daran wollte er sich klammern – ebenso wie an Angela. Mit leiser und rauer Stimme sagte er: „Angie, es tut mir leid wegen heute Abend. Und dass ich dir so viel Kummer gemacht habe.“

Sie schloss die Augen, wie um ihn aus ihrem Leben auszuschließen. „Ich will nichts davon hören. Deine Entschuldigungen sind zu lahm und kommen zu spät.“

Jubal spürte einen Stich. Früher einmal hatte sie ihm blind vertraut, ihn respektiert, ihn geliebt. Er wollte die alte Angie zurück. Und so versuchte er, diplomatisch zu sein. „Hör mal, da wir beide hier arbeiten, sollten wir versuchen, zivilisiert miteinander umzugehen.“

Sie öffnete die Augen und starrte ihn kalt an. „Sandbur ist eine riesige Ranch. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir uns öfter über den Weg laufen.“

Das heißt so viel wie: Ich will nichts mit dir zu tun haben. Konnte er etwas anderes erwarten? Er hatte ihr sehr wehgetan und verdiente nicht, dass sie ihn höflich oder respektvoll behandelte. Aber er wollte es. Und er wollte sie. „Nicht wahrscheinlich, aber möglich. Ich bin vor ein paar Tagen in das Haus am Nordende eingezogen.“

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Wie schön für dich. Ich wohne auch hier auf der Ranch. In dem Haus, in dem Darla Ketchum mit ihrer Tochter gelebt hat. Jetzt wissen wir beide, welche Orte wir meiden müssen. Und ich wäre sehr glücklich, wenn ich dich nie wiedersehen müsste. Also halte dich von mir fern. Verstanden?“

Schlimmer noch als die bissigen Worte war für Jubal der Sarkasmus in ihrer Stimme. Ihren begründeten Zorn akzeptierte er, aber er hasste die Kälte. Er wollte in Angie das Verlangen entfachen, das in ihm auf den ersten Blick wieder aufgelodert war.

Ohne über sein Verhalten nachzudenken, schloss er die Finger fester um ihren Arm und zog sie an sich. „Okay, Angie, du hast mir gezeigt, was in dir vorgeht“, murmelte er. „Jetzt ist es an der Zeit, dass ich dir einen Hinweis auf meine Gefühle gebe.“

Mit weit aufgerissenen Augen stemmte sie sich gegen seine Brust. „Jubal …“

Er senkte den Mund auf ihren in einem Kuss voll Frustration und Sehnsucht. Sie schmeckte genauso wie in seiner Erinnerung: süß, exotisch, betörend. Vor fünf Jahren hatte er nicht genug von ihr bekommen können, und so war es offensichtlich noch immer. Sein Körper reagierte bereits und brannte darauf, sie wieder zu lieben.

In einiger Entfernung wurde ein Motor gestartet; in den dunklen Schatten ganz in der Nähe bellte ein Hund. Die Geräusche drangen in Jubals Bewusstsein vor und veranlassten ihn, den Kopf zu heben.

Verblüfft starrte Angela ihn an und versuchte, etwas auf seinem Gesicht zu finden, das den Kuss erklärte. Aber es wirkte verschlossen, und sie geriet ins Schwimmen und fühlte sich zu aufgewühlt, um zu sprechen.

„Angie, ich …“, er rang nach Atem, „… tue heute Abend anscheinend nichts anderes, als mich entschuldigen.“

Nein, du hast viel mehr getan. Du hast meine Welt auf den Kopf gestellt. Wieder mal. Es brauchte einen einzigen Kuss, um ihr zu beweisen, dass sie noch nicht über Jubal hinweg war. „Ich weiß nicht, was du dir denkst, aber ich bin nicht mehr dein Mädchen. Und du hast kein Recht, mich zu küssen – oder überhaupt mit mir zu reden.“

„Verdammt, Angie, deine Nähe lässt mich die Zeit vergessen, die wir getrennt waren. Heute Abend kommt es mir vor, als würde ich dich zum allerersten Mal sehen.“

Heftig entzog sie ihm ihren Arm. „Sieh zu, dass du diese Hirngespinste hinter dich bringst, Doc. Denn nichts wird mich dazu bringen, alles das zu vergessen, was du mir angetan hast.“

Angela wartete nicht auf eine Antwort. Sie stieg in ihr Auto und schlug die Tür zu. Ohne einen einzigen Blick in Jubals Richtung startete sie den Motor und legte den Rückwärtsgang ein. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er hastig zur Seite sprang. Dann kamen ihr die Tränen und verschleierten ihre Sicht.

Am nächsten Morgen, während Angela dem endlosen Geplapper ihrer viereinhalbjährigen Tochter lauschte und ihr beim Anziehen half, versuchte sie, ihre Erschöpfung zu verbergen und ein fröhliches Gesicht zu machen.

„Mommy, ich habe heute ganz doll Hunger. Kann ich Bacon haben?“

„Sicher. Aber du musst auch dein Müsli essen.“

„Super! Und kann ich auch Würstchen kriegen?“

„Wir haben keine mehr.“ Angela schloss den Reißverschluss der Bluejeans und griff nach einem pinkfarbenen Sweater. „Ich bringe dir welche mit, wenn ich einkaufen gehe.“

„Was machen wir denn heute?“, wollte Melanie wissen. Da das Mindestalter für den einzigen Kindergarten in der Umgebung fünf Jahre betrug, verbrachte sie Tag für Tag auf der Ranch, und weil sie für gewöhnlich sehr artig war, halfen Bewohner und Angestellte gern, auf sie aufzupassen. „Können wir zu Jess gehen?“

Jess war der Sohn von Matt und Juliet Sanchez und somit Geraldines Großneffe. Er war erst knapp zwei Jahre alt, und Melanie liebte es, mit ihm Mutter und Kind zu spielen.

Doch an diesem Tag arbeitete Angela nicht im Haushalt der Sanchez’. Nach der Party am vergangenen Abend galt es, im Saddler-Haus Ordnung zu schaffen. „Tut mir leid. Heute können wir Jess nicht besuchen. Wir müssen Cook helfen.“

Während Melanie über diese Auskunft grübelte, erinnerte Angela sich unwillkürlich an den vergangenen Abend. An Jubal und seinen betörenden Kuss.

Was mochte er sich dabei gedacht haben? Glaubte er, dass er sie wie ein Spielzeug jederzeit benutzen und wieder wegwerfen konnte? Oder hatte er sie wirklich vermisst? War es möglich, dass er noch immer etwas für sie empfand?

Sei nicht albern. Er hat sich für eine andere Frau entschieden. Wenn er je etwas für dich gefühlt hat, hätte er es damals bewiesen, nicht jetzt nach fünf Jahren.

Zum Glück brachte die Stimme der Vernunft sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Doch das änderte nichts daran, dass sein Kuss eine freudige Erregung ausgelöst und Angela für einen flüchtigen Moment in eine Zauberwelt entführt hatte.

„Mommy! Du hörst ja gar nicht zu!“

Sie schreckte aus ihren Gedanken auf. „Entschuldige, Honey. Was hast du gesagt?“

„Kann ich Mr. Fields mitnehmen? Bitte!“

Mr. Fields war ein rot getigerter Kater, den Angela in einem Baumwollfeld gefunden hatte. Das ehemals winzige Kätzchen mit einem verletzten Ohr hatte sich inzwischen zu einem stattlichen Tier entwickelt, das geduldig Melanies übereifrige Zuwendungen ertrug.

„Von mir aus. Aber er muss draußen auf dem Patio bleiben. Und wenn er sich mit Geraldines Katze zankt, bringen wir ihn nach Hause. Okay?“

„Okay! Danke, Mommy. Ich hole ihn.“ Im selben Moment rannte sie aus dem Schlafzimmer.

Angela sprang auf, lief ihr nach und erwischte sie gerade noch an der Haustür. „Nicht jetzt, Mel! Du musst zuerst frühstücken. Danach holen wir ihn.“

Eine Viertelstunde später, nach einem schnellen Frühstück, verfrachtete Angela ihre Tochter und den roten Kater ins Auto. Das kleine Haus lag zwar am Südende der Ranch, aber nur eine gute Meile vom großen Haus entfernt, sodass die Fahrt zwischen einem Wirrwarr an Stallungen und Pferdekoppeln hindurch kaum drei Minuten dauerte.

Die erste Dezemberwoche hatte kühles Wetter nach Südtexas gebracht. Das Laub färbte sich allmählich rot und gelb. Das Weihnachtsfest stand vor der Tür, und schon wurden auf der Ranch alle möglichen Feiern geplant. Angela stand eine arbeitsreiche Zeit bevor, aber das störte sie nicht. Ihr neuer Job war gut bezahlt und ermöglichte ihr, in diesem Jahr zum ersten Mal schöne Geschenke für Melanie zu kaufen.

Sobald sie die Küche betraten, ließ Cook ihren Topfkratzer fallen, hockte sich hin und breitete die Arme aus. Melanie lief zu der alten Frau und schlang ihr die Arme fest um den Nacken.

Dem äußeren Anschein nach glaubte man kaum, dass Cook so sanft und liebevoll sein konnte, wie sie sich dem Kind gegenüber verhielt. Die beiden waren vom ersten Augenblick an ein Herz und eine Seele.

Von Nicci wusste Angela, dass Cook ihren Ehemann in sehr jungen Jahren verloren hatte und es seitdem vorzog, ganz allein zu leben.

„Du siehst aber heute Morgen hübsch aus mit deinen Zöpfen.“ Cook strich Melanie über den Kopf. „Mein Mann hatte genauso braune Haare wie du – wie die Farbe von einem Dauerlutscher.“

Verwirrt verzog Melanie das Gesicht. „Was ist das denn?“

Cook lachte. „Ein Bonbon am Stiel, das nach Karamell schmeckt und ganz lange hält. Wenn deine Mutter im Supermarkt keinen findet, dann mache ich einen für dich, ja?“

„Du willst sie doch nicht etwa verwöhnen, oder?“, warf Angela ein und setzte Melanie mit einem Malbuch an den Tisch.

„Bald kommt Weihnachten. Das ist die Zeit zum Verwöhnen.“ Cook stand auf und kehrte an die Arbeit zurück.

„Was soll ich jetzt tun? Ist Miss Geraldine schon bereit für ihr Frühstück?“

„Sie will heute Morgen nur Toast. Du kannst die Töpfe hier abtrocknen, und dann machen wir Kaffeepause.“

„Aber ich habe diesen Job nicht angenommen, um herumzusitzen und Kaffee zu trinken!“

„Geraldine erwartet nicht, dass du von früh bis spät schuftest. Das kannst du mir ruhig glauben.“

„Wenn du meinst“, räumte Angela ein. Auf keinen Fall wollte sie Cook verärgern, die wie eine Mutter für sie und wie eine Großmutter für Melanie geworden war.

„Diese Person gestern Abend, wegen der du dich so aufgeregt hast – ist da alles wieder in Ordnung?“

Nachdenklich hielt Angela im Abtrocknen inne. In der vergangenen Nacht hatte sie lange wach gelegen, den Kuss im Geist immer wieder durchlebt und sich gefragt, wie Jubal auf die Mitteilung reagieren würde, dass er Vater war. Würde er am Leben seines Kindes teilhaben wollen, nachdem er das Baby mit Evette verloren hatte? Oder würde er nichts von seiner Tochter wissen wollen? Diese Fragen beschäftigten sie unablässig. „Ich bin mir nicht sicher.“

„Es ist nicht zufällig der neue Tierarzt, oder?“

„Zufällig doch.“

„Das habe ich mir gleich gedacht.“

Müde seufzend lehnte Angela sich an einen Unterschrank. „Wir kennen uns von früher in Cuero, bevor er die Tochter des Bürgermeisters geheiratet hat.“

„Ich habe aber gar keine Frau bei ihm gesehen.“

„Sie sind geschieden. Das hat er mir gestern Abend erzählt.“

„Oh. Und wie denkst du darüber?“

„Ich versuche, gar nicht an Jubal Jamison zu denken. Es ist besser, ihn zu vergessen.“

Scharfsinnig blickte Cook über die Schulter zu Melanie und dann zurück zu Angela. „Nun, wenn du das glaubst.“

Etwa sechs Meilen nördlich des Haupthauses ritten Jubal, Matt Sanchez und Lex Saddler zu einer Herde von dreihundert Brahman-Kühen und ihren Kälbern. Die beiden Cousins hatten Jubal zu diesem Ausritt eingeladen, damit er sich mit dem Vieh auf Sandbur und der Qualität des Grünfutters vertraut machen konnte.

Bisher hatte er nur gesunde Tiere und für diese Jahreszeit überraschend üppige Weiden vorgefunden. „Diese Muttertiere sind in einem exzellenten Allgemeinzustand“, verkündete er. „Ich wüsste nicht, was an der Ernährungsweise geändert werden sollte.“

„He, Doc, du bist von meinem Schlag!“, rief Lex, ein junger und verwegener Hüne mit weizenblondem Haar. „Wir werden gute Kumpel, das merke ich jetzt schon.“

Matt, dunkelhaarig und ernster als sein Cousin, stieß ein Schnauben aus. „Wie du merkst, Jubal, ist er immer froh zu hören, dass er weniger arbeiten muss.“

Lex grinste. „Warum etwas ändern, das gut ist? Stimmt’s nicht, Doc?“

„Nun, alles, was ich sehe, scheint bestens zu sein.“

Während sie durch die Herde ritten, inspizierte Jubal die Tiere. Obwohl er nach Anzeichen von Krankheit oder Unwohlsein suchte, kreisten seine Gedanken immer wieder um die Szene, die sich am Abend zuvor mit Angela abgespielt hatte.

Seit dem Wiedersehen war er ziemlich durcheinander. In den letzten fünf Jahren hatte er den gesamten Süden von Texas bereist und sie nie zu Gesicht bekommen oder auch nur ein Wort über sie gehört.

Nicht im Traum hätte er gedacht, sie hier auf Sandbur anzutreffen, geschweige denn, sie in die Arme zu schließen und zu küssen, als wären sie noch immer ein Liebespaar. Seine Vernunft hatte ausgesetzt, als sich ihr weicher Körper an seinen geschmiegt hatte und ihre Lippen nachgiebig unter seinen geworden waren. Ganz wie in alten Zeiten. Oder ist das nur Wunschdenken?

„He, Jubal, guck mal!“, rief Matt und deutete zu einer Kuh. „Da stimmt was nicht mit dem Euter.“

„Lass uns mal nachsehen.“

Matt fing die Kuh ein und befestigte das Lasso an seinem Sattelknauf. Jubal stieg vom Pferd in das kniehohe Gras und untersuchte das Muttertier. „Die Zitzen sind entzündet“, verkündete er. „Sie braucht ein paar Tage lang Antibiotika. Sonst müsste das Kalb mit der Flasche aufgezogen werden.“

Lex wandte sich an Matt und grinste. „Führst du sie zum Stall? Du hast sie schließlich schon eingefangen.“

„Himmel, nein! Womöglich nimmt sie meinen alten Gaul auf die Hörner. Willst du sie etwa sechs Meilen lang im Schlepptau haben?“

Lex holte sein Handy aus der Hemdtasche. „Ich lasse lieber ein paar Jungs mit einem Hänger kommen.“

Jubal hielt eine Hand hoch. „Moment mal. Die Kuh muss bei der Herde bleiben, wo sie sich sicher fühlt. Der Transport und die isolierte Stallhaltung würde sie zu sehr stressen. Ich komme in den nächsten Tagen her und versorge sie.“

„Ich habe doch geahnt, dass wir dich aus irgendeinem guten Grund angeheuert haben, Doc“, verkündete Lex mit einem sonnigen Lächeln.

Matt gab zu bedenken: „Vergiss nicht, dass ich es war, der darauf beharrt hat, dass wir den Doc brauchen.“ Er wandte sich an Jubal. „Ich hoffe, du bereust nicht schon, dass du den Job angenommen hast.“

Er bereute, dass er Angela vor fünf Jahren verloren hatte. Dieser Job hatte ihn zu ihr zurückgeführt. Und diesmal wollte er alles richtig machen. „Nicht mal eine Sekunde lang“, antwortete er voller Überzeugung.

3. KAPITEL

Zwei Tage später half Angela in der Küche im großen Haus, zwei riesige Körbe mit Zellophan zu umwickeln.

„Ich möchte, dass Sie diese Sachen zu Jubal bringen“, erklärte Geraldine. „Nicht in die Praxis, sondern in sein Haus. Das sind lauter nützliche Dinge für sein neues Zuhause und einige Leckereien. Männer können sich nicht besonders gut selbst versorgen. Sie wissen doch, wie Sie dorthin gelangen, oder?“

Angela war verblüfft. Sie mochte ihre Chefin gern und war bereit, fast alles zu tun, um sie zufriedenzustellen. Aber Jubal aufsuchen? Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn nie wiedersehen wollte. Was sollte er von ihr denken, wenn er sie nun vor seinem Haus vorfahren sah? „Ich glaube schon. Es liegt im Norden, auf der anderen Seite vom Hügel.“

„Das stimmt. Aber der Weg ist zu uneben für Ihr Auto. Nehmen Sie lieber meinen alten Truck.“ Die große, schlanke Frau mit den silbergrauen Haaren raffte das Zellophan auf einem Korb zusammen und verschnürte es mit einem dicken Bindfaden.

„Und was ist, wenn er nicht da ist?“

„Das macht nichts. Ich bezweifle, dass er die Tür abgeschlossen hat. Bringen Sie die Körbe einfach hinein, und stellen Sie die verderblichen Waren in den Kühlschrank.“

Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht da sein! „Ja, Ma’am. Ich kümmere mich sofort darum.“

Cook betrat die Küche und fragte: „Worum kümmerst du dich sofort?“

Geraldine drehte sich zu ihr um. „Ich schicke Angie mit diesen Körben zu Jubals Haus. Ich möchte, dass er sich hier auf der Ranch richtig wohlfühlt. Vielleicht tragen diese Dinge dazu bei.“

Mit gerunzelter Stirn und einem Seitenblick auf Angela sagte Cook zu Geraldine: „Es ist nicht nötig, dass sie sich auf den Weg macht. Ich schicke lieber Alida hin.“

„Alida hat im Sanchez-Haus zu tun“, widersprach Geraldine, „und Angie wird sich schon zurechtfinden. Sie ist schließlich nicht hilflos.“

Angela wusste, dass zwischen den beiden Frauen seit Jahrzehnten ein Vertrauensverhältnis herrschte. Sie wollte nicht der Grund für ein Zerwürfnis sein und warf deshalb hastig ein: „Das ist kein Problem für mich, Cook. Ich bringe die Sachen weg und bin im Nu wieder hier.“

Argwöhnisch wollte Geraldine wissen: „Stimmt hier etwas nicht?“

„Es ist alles in Ordnung, Miss Geraldine. Cook möchte nur, dass ich ihr bei einem Gericht helfe, das wir für heute Abend geplant haben.“

Geraldine blickte auf ihre Armbanduhr. „Nun, bis zum Dinner ist es noch lange hin. Ihnen bleibt genug Zeit, ihr zu helfen.“

„Ja, Ma’am.“ Angela wandte sich ab, griff nach einem der riesigen Körbe und ging hinaus.

Cook folgte ihr mit dem anderen Korb und wollte wissen: „Warum hast du dich eingemischt? Ich hätte dir diese Aufgabe ersparen können. Für mich ist es ganz offensichtlich, dass du eigentlich nicht zu Jubal fahren willst.“

„Schon gut. Er ist wahrscheinlich sowieso nicht zu Hause.“

„Vielleicht solltest du offen zu Geraldine sein und ihr sagen, dass es böses Blut zwischen dir und dem Doc gibt.“

„Kein böses Blut, nur schmerzliche Erinnerungen.“ Sie hatten den Truck erreicht, und Angela stellte den Korb vorsichtig auf die Ladefläche. „Außerdem darf ich mich nicht bei Miss Geraldine beklagen. Ich bin hier nicht wichtig und könnte jederzeit ersetzt werden. Jubal dagegen – alle hier auf der Ranch finden ihn prima, und sein Job ist sehr wichtig.“

Pikiert entgegnete Cook: „Du bist wichtig für mich. Zählt das etwa gar nichts?“

Lächelnd küsste Angela sie auf die Wange, nahm ihr den Korb ab und stellte ihn in das Auto. „Es bedeutet mir sogar sehr viel. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich weiß schon, wie ich mich ihm gegenüber zu verhalten habe.“ Nach dieser tapferen Behauptung stieg sie ein und fuhr los.

Während sie über den unbefestigten Weg holperte, der von anhaltenden Regenfällen im Herbst ausgewaschen war, stellte sie die Heizung höher und spähte zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. Der Winter im Süden von Texas dauerte nie lange, bildete aber eine ungemütliche Zeit für Mensch und Tier. An diesem Morgen fröstelte sie besonders stark, doch das lag vermutlich nicht am Wetter.

Jubals Haus aus Zedernholz war nach Westen ausgerichtet und lag auf einem kleinen grasbewachsenen Hügel. Ein schmaler Bach verlief an der Vorderseite. Angela fuhr über die schmale Brücke, die das flache Gewässer überspannte, schaltete einen Gang hinunter und trieb das alte Gefährt die Anhöhe hinauf. Sie parkte im Schatten eines riesigen Baumes, der gleich neben der Auffahrt stand. Zu ihrer Erleichterung war kein anderes Fahrzeug vor dem Haus oder der Scheune zu sehen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie hoffentlich die Körbe hineinbringen und sich wieder auf den Weg machen, bevor Jubal auftauchte.

Sie setzte sich die Kapuze ihres Sweatshirts zum Schutz gegen den kalten Wind auf und eilte mit einem Korb zur Veranda. Ein Hauch von Rauch stieg ihr in die Nase. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah weiße Wolken aus dem roten Backsteinschornstein auf dem Dach aufsteigen.

Auf der Veranda standen Korbmöbel und eine Reihe Topfpflanzen. Es sah behaglich und einladend aus, wie für eine Familie gemacht. Aber Jubal hatte keine Familie. Dass sein Baby nicht zur Welt gekommen war, schockierte Angela noch immer. Im Laufe der Jahre hatte sie sich oft vorgestellt, wie er und Evette ihr Kind gemeinsam aufzogen, während sie selbst und Melanie ganz allein zurechtkommen mussten.

Herrje, warum kannst du das alles nicht vergessen und die Vergangenheit ruhen lassen?

Mehrmals klopfte sie an, ohne eine Antwort zu erhalten, drückte schließlich die Klinke und fand die Tür unverschlossen. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, während sie den Geschenkkorb hineinstellte. Dann eilte sie zurück zum Truck und holte den zweiten Korb.

Einige Minuten später räumte sie gerade die Lebensmittel in den Kühlschrank, da hörte sie ein Fahrzeug kommen. Das ist bestimmt Jubal, dachte sie mit einem bangen Gefühl. Zu dieser Jahreszeit gab es für niemanden sonst einen Anlass, an diesem entlegenen Ort vorbeizukommen.

Sie bekämpfte den Drang zur Flucht und wartete mit wachsender Aufregung auf ihn.

Schließlich trat er ein, erblickte sie und blieb abrupt stehen. Überrascht sagte er: „Ach, du bist’s. Ich habe Geraldines Truck gesehen und dachte, sie wäre hier.“ Er sah, dass ihre Wangen gerötet waren. Ob vor Verlegenheit, vor Zorn oder einfach vor Kälte, wusste er nicht. Jedenfalls schien sie sich sehr unwohl zu fühlen.

„Miss Geraldine hat mich mit Geschenkkörben hergeschickt. Es sind Lebensmittel dabei, die ich in den Kühlschrank stellen musste.“

Jubal freute sich, Angela zu sehen, aus welchem Grund auch immer. Er wünschte nur, sie wäre glücklicher. Langsam schob er sich den schwarzen Stetson aus dem Gesicht und trat zu ihr.

Im klaren Licht des Morgens wirkte sie noch zierlicher, als er sie in Erinnerung hatte. Sie reichte ihm gerade mal bis zur Brust, doch die Rundungen, die sich unter Jeans und Sweatshirt abzeichneten, wirkten mindestens so reizvoll wie früher. „Ich freue mich, dass du sie gebracht hast.“ Er ging zum Tisch und wühlte in einem der Körbe.

Angela versuchte, seine Nähe zu ignorieren und sich einzureden, dass er nicht mehr wie der verführerische Cowboy aussah, in den sie sich mit gerade einmal neunzehn Jahren verliebt hatte. Doch sie musste sich eingestehen, dass er nach wie vor eine Sinnlichkeit ausstrahlte, die ihr immer noch gewaltig unter die Haut ging.

„Das sieht gut aus“, bemerkte er. „Ich muss mich bei Geraldine bedanken, dass sie so aufmerksam ist.“

„Ich richte es ihr aus, sobald ich wieder im Ranchhaus bin.“ Sie wandte sich ab und durchquerte hastig den Raum.

„Warte, Angie.“

Mit klopfendem Herzen blieb sie stehen und sah über die Schulter zu ihm zurück. Einen Moment lang, während sie sein Gesicht musterte, trafen sich ihre Blicke, und sie erinnerte sich unwillkürlich an seinen stürmischen Kuss.

Er räusperte sich. „Das Wetter ist heute sehr ungemütlich. Warum bleibst du nicht einen Moment und wärmst dich am Kamin auf?“

Wollte er rücksichtsvoll sein? Glaubte er, dass er die Versäumnisse der Vergangenheit durch Höflichkeit ungeschehen machen konnte? Vergiss es, ermahnte sie sich, Jubal will nichts von dir. „Das ist sehr gastfreundlich von dir. Vor allem nach den hässlichen Dingen, die ich zu dir gesagt habe.“

Er zog eine Schulter hoch. „Du warst aufgebracht. Ich bin einfach nur froh, dass du dich darauf eingelassen hast, mich doch wiederzusehen – aus welchem Grund auch immer.“

Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, ohne die Vergangenheit noch mehr heraufzubeschwören. Also bemerkte sie nur: „Ein paar Minuten könnte ich noch bleiben.“

Einladend deutete er zur Tür, und Angela ging voraus in das Wohnzimmer.

Der Raum war mit bequemen Ledermöbeln und farbenfrohen indianischen Teppichen ausgestattet. Ein knisterndes Feuer im Kamin strahlte eine angenehme Wärme aus.

Jahrelang hatte sie sich ausgemalt, wie Jubal und Evette ein glückliches Familienleben führten. Nun musste sie diese Vorstellung revidieren und wusste nicht, wie sie zu der veränderten Situation stand. Einerseits freute sie sich zu hören, dass Evette ihn nicht auf Dauer für sich gewonnen hatte. Andererseits tat ihr der Verlust seines Babys leid. Es war ein unschuldiges Opfer in der ganzen Angelegenheit. Genau wie Melanie.

Angela wandte sich vom Kamin ab und sah Jubal groß und stark mitten im Raum stehen. Einmal mehr wurde ihr bewusst, wie attraktiv er war und wie verletzlich es sie machte, mit ihm allein zu sein.

„Kennst du die Familie, die vorher hier gewohnt hat?“, erkundigte er sich.

Nervös rieb sie sich die Hände. „Nein. Sie waren schon weg, als ich hergekommen bin.“

„Geraldine hat mir erzählt, dass sie an die Westküste ziehen mussten, weil der Mann Atemwegsbeschwerden hatte.“

„Ja. Cook sagt, dass es allen sehr leidgetan hat.“

Er nickte bedächtig. „Ich habe den Eindruck, dass fast jeder, der hier einmal zu arbeiten anfängt, sein Leben lang bleiben möchte. Geht es dir auch so?“

Legte er es darauf an, sie nach ihren Zukunftsplänen auszuhorchen? Oder wollte er nur Konversation treiben? So oder so, es erschien ihr seltsam, wenige Schritte von ihm entfernt zu stehen und seine Stimme zu hören, nachdem er so lange Zeit nur eine Erinnerung für sie gewesen war. Sie wusste nicht, was ihr lieber war – seine reale problematische Gegenwart oder die Erinnerung an innige harmonische Zeiten.

„Momentan konzentriere ich mich einfach darauf, mein Studium zu beenden. Dieser Job ist ein Segen, weil Miss Geraldine mir genug Zeit lässt, um zu lernen.“

Er sah sie interessiert an. „Ach, du bastelst an einem Collegeabschluss?“

Habe ich früher den Eindruck erweckt, dass es mein größter Karrierewunsch ist, seine Ehefrau zu werden? Wie peinlich! Angela wandte den Blick ab. Sie waren kaum drei Monate liiert gewesen, da hatte sie bereits Pläne für eine gemeinsame Zukunft geschmiedet und allen Ernstes geglaubt, dass sein Verhältnis mit der Tochter des Bürgermeisters, das er als Zeitvertreib bezeichnete, der Vergangenheit angehörte. Auf Evettes Drängen, zu ihr zurückzukehren, war er zunächst auch gar nicht eingegangen; erst durch ihre Schwangerschaft hatte sich das Blatt gewendet.

„Ja. Ich will Lehrerin werden. Aber jetzt sind gerade Semesterferien.“ Sie sah Bewunderung in seinen Augen. Das überraschte sie und machte sie nachdenklich. Vor fünf Jahren hatten sie eine leidenschaftliche Beziehung geführt, sich aber eigentlich nicht wirklich kennengelernt.

„Das wusste ich gar nicht. Ich bin beeindruckt.“

Sie versuchte, sich einzureden, dass es ein nichtssagendes Kompliment war, das ihr nichts bedeutete. Doch wider Willen freute sie sich darüber. Sie zuckte die Achseln. „Ich mag Kinder und glaube, dass mir die Arbeit mit ihnen gefallen wird.“

„Unterstufe oder Oberstufe?“

„Beides, sofern ich das Examen bestehe.“

„Du bist eine kluge Frau. Du schaffst das schon.“

Angela unterdrückte ein Stöhnen. Da war es wieder, dieses charmante Lächeln, das damals ihr Herz erobert und ihr das Gefühl gegeben hatte, ein ganz besonderer Mensch in seinem Leben zu sein.

Sie durfte sich nicht wieder davon betören lassen, sondern musste stark bleiben und daran denken, dass sie ihm nicht vertrauen konnte. „Nun, bis dahin dauert es noch lange. Ich brauche mindestens noch ein Semester, bevor ich mich zum Examen melden kann, und danach muss ich das Referendariat absolvieren.“

Während sie die Wärme der Flammen spürte, fiel ihr auf, dass es sehr sauber und aufgeräumt im Raum aussah. Das überraschte sie nicht. Jubal war ihr als ordentlicher Mensch in Erinnerung geblieben. Doch es wunderte sie, dass keine Familienfotos zu sehen waren. Das einzige Anzeichen dafür, dass er überhaupt Angehörige besaß, war ein Bild von seiner Schwester auf einem Tischchen.

Sie wusste, dass er seiner Familie sehr nahegestanden hatte, auch wenn er gelegentlich nicht deren Meinung teilte. Dagegen war die Bekanntschaft zwischen ihr und den Jamisons flüchtig und eher angespannt geblieben. Seine Eltern hatten seine Beziehung zu einer viel jüngeren Frau, noch dazu aus armseligen Verhältnissen, ganz und gar nicht gutgeheißen.

Angela konnte es ihnen nicht verdenken. Sie wusste, dass sie nur das Beste für ihren Sohn wollten. Nun fragte sie sich, ob es womöglich zu einem Bruch in der Familie gekommen war. „Ich muss jetzt zurückfahren. Cook wartet auf mich.“

Er blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Du hast es ja sehr eilig, von mir wegzukommen. Was hat das zu bedeuten? Dass ich dir unter die Haut gehe, oder dass du meinen Anblick nicht ertragen kannst?“

Sie ging auf ihn zu. Ihre Miene wirkte so kalt und unnahbar wie der Winterhimmel und ließ Jubal noch mehr frösteln als der eisige Wind, der über Sandbur fegte.

Schroff erwiderte sie: „Ich weiß ja nicht, was in dir vorgeht. Aber ich habe jedenfalls kein Interesse daran, da weiterzumachen, wo wir damals aufgehört haben.“

Jubal war sich selbst nicht sicher, ob er die Verbindung auffrischen wollte, und horchte in sich hinein. Noch vor einigen Tagen hätte er sich einreden können, dass Angela der Vergangenheit angehörte und nichts mehr in seinem Leben zu suchen hatte. Doch nun musste er sich eingestehen, wie sehr er noch immer an ihr hing. „Was würdest du sagen, wenn ich interessiert wäre?“

Einen flüchtigen Moment lang zitterte ihre Unterlippe. Doch dann verschwand dieses untrügliche Anzeichen von Verletzlichkeit, und ihre Miene verfinsterte sich. „Dass du deine Zeit verschwendest“, erwiderte sie tonlos.

Fast fünf Jahre lang hatte er sie zu vergessen versucht und sich eingeredet, dass sie sicherlich längst mit einem anderen Mann verheiratet war. Nun, als er ihr seidiges braunes Haar und die rosigen Wangen musterte, erkannte er, dass er eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Er hätte sie bis ans Ende der Welt suchen sollen. In rauem Ton murmelte er: „Ich kann dir nicht verdenken, dass du mich hasst.“

„Hass ist ein sehr starkes Wort. Dazu bin ich gar nicht fähig. Ich bereue einfach nur, dass ich dir jemals vertraut habe.“

Jubal stöhnte unwillkürlich. Was konnte er nur tun oder sagen, um sein Fehlverhalten von damals wiedergutzumachen? Ihm war klar, dass es mit einigen schönen Worten nicht getan war, dass es viel Zeit brauchte. Doch er wusste ebenso, dass er sofort versuchen musste, sich mit ihr auszusöhnen, weil er sonst keine Chance mehr zu einer Langzeitbeziehung bekam. „Angie, der Himmel weiß, dass ich Evette nicht heiraten wollte. Ich hatte einfach keine andere Wahl.“

„Ich bin keine neunzehn und glaube nicht mehr alles, was aus dem Mund eines Mannes kommt. Schon gar nicht aus deinem. Also beleidige bitte nicht meine Intelligenz, indem du mir so einen Unsinn auftischst.“

Sie musste ihn nicht erst darauf hinweisen, dass sie nicht mehr das naive Mädchen war, das ihm bei der ersten Begegnung den Kopf verdreht hatte. Sie sah ihn nicht mehr voll Liebe und Bewunderung an. Nun sprachen Misstrauen und Eigensinn aus ihren Augen. Er strich sich durch das Haar. „Angie, es hat mich total zerrissen, dass ich mich von dir abwenden musste.“

„Mag sein. Aber offensichtlich hast du es geschafft, dich wieder genügend zusammenzunehmen, um sie zu heiraten, und ich …“

„Sie hat mir keine andere Wahl gelassen!“

Sie starrte ihm in die Augen und konterte stahlhart: „Du hättest die Dinge anders handhaben können. Du hättest ihr Unterhalt und Unterstützung bei der Erziehung des Kindes anbieten können. Aber du musstest nicht so weit gehen und sie gleich heiraten!“

„Im Leben ist nicht immer alles nur richtig oder falsch, schwarz oder weiß. Und nur zu deiner Information: Ich habe Evette diese Möglichkeiten angeboten. Sie wollte nichts davon hören. Sie hat beharrlich damit gedroht, Tabletten zu schlucken und sich und das Baby umzubringen.“

Angela schüttelte den Kopf. „Evette ist viel zu sehr in sich selbst verliebt, um sich etwas anzutun. Das weißt du genau. Sie war die Stadtprinzessin. Sie wollte nicht hinnehmen, dass sie etwas nicht kriegen kann, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Und das Baby war ein willkommenes Mittel, um dich zu angeln.“

Sie drehte sich zum Kamin um. Während sie in die Flammen starrte, fuhr sie in vorwurfsvollem Ton fort: „Am Anfang habe ich dich dafür bewundert, dass du mir offen von deiner Affäre mit Evette erzählt hast. Aber du hast mir auch versichert, dass dein Verhältnis zu ihr nie ernst gewesen und längst beendet wäre. Dann hat sich herausgestellt …“

„Es war mir wirklich nicht ernst, und von meiner Seite aus war es vorbei.“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick über die Schulter zu. „Du hast immerhin mit der Frau geschlafen!“

„Das war, bevor ich dich kennengelernt habe, nicht danach. Außerdem ist Sex nicht dasselbe wie Liebe.“

„Ach so, und das rechtfertigt alles?“

„Nein. Nichts von dem, was mit uns passiert ist, war richtig. Aber es wäre besser für uns beide, wenn du verstehen könntest …“

„Das kann ich nicht und werde ich nie.“ Sie holte die Handschuhe aus ihren Taschen und zog sie mit ruckhaften Bewegungen an. „Ich habe genug gehört. Es ist hoffnungslos. Zwischen uns ist es schon lange aus. Alles wieder aufzuwärmen, hat keinen …“ Sie verstummte abrupt, denn er war zu ihr gestürmt und packte sie an den Schultern.

Jubal beobachtete, wie sie die Augen schloss und ihre weichen Lippen zu zittern begannen. Er sehnte sich danach, den Kopf zu senken und ihren Kummer wegzuküssen. Doch er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er nur körperliche Befriedigung bei ihr suchte. Beschämt versicherte er: „Angie, ich wollte dir nie wehtun.“

„Aber du hast es getan.“ Ihre Stimme klang erschüttert, vorwurfsvoll, verbittert.

Nicht zum ersten Mal ging ihm durch den Kopf, dass seine damalige Fehlentscheidung nicht nur sein eigenes Leben beeinträchtigte, sondern sich auch sehr drastisch auf Angela auswirkte. Leise und schuldbewusst sagte er: „Ich bitte dich, mir zu verzeihen.“

Ihr Verstand drängte sie, schleunigst zu verschwinden. Doch ihre Knie wurden weich. Als er sie an sich zog, sank sie in seine Arme. Dann legte sie ihm die Hände auf die muskulöse Brust und schuf genügend Freiraum zwischen ihnen, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. „Warum sollte es dir jetzt noch wichtig sein, dass ich dir verzeihe? Dass du mich verlassen hast, belastet dein Gewissen doch längst nicht mehr.“

Ein gequälter Ausdruck trat auf sein Gesicht. „Ich bin nie über dich hinweggekommen, Angie.“

Wie gern wollte sie ihm glauben! Weil sie ihn nie vergessen hatte, ob es ihr nun gefiel oder nicht. „Bitte, Jubal …“

„Da ist etwas, das du wissen musst. Evettes Baby war nicht von mir. Nach der Fehlgeburt hat sie es mir gestanden. Der richtige Vater war ein verheirateter Geschäftsmann aus Victoria.“

„Großer Gott!“, flüsterte sie schockiert.

„Siehst du, Angie, ich wurde manipuliert, belogen, verraten. Evette hat mich nur benutzt. Als ihr Lover sich weigerte, sich scheiden zu lassen und sie zu heiraten, hat sie sich an ihren Ex, den alten Trottel, erinnert. Ich dachte, ich hätte ehrenwert gehandelt. Ich wollte, dass dieses Kind in einer intakten Familie aufwächst. Aber letztendlich waren meine Bemühungen umsonst, und ich habe dich dadurch verloren.“

Überwältigt von der Sinnlosigkeit, der Ungerechtigkeit konnte Angela kaum atmen, geschweige denn denken. Sie musste fort von ihm, bevor sie in Tränen ausbrach.

Hastig riss sie sich los und stolperte zur Tür hinaus. Als sie den Truck erreichte, zitterte sie am ganzen Körper. Ohne einen Blick zurück fuhr sie davon. Sie wollte nicht wissen, ob Jubal ihr ebenso nachblickte wie sie ihm damals vor fünf Jahren, als er aus ihrem Leben verschwunden war.

Sie stellte die Heizung auf die höchste Stufe und hoffte darauf, dass die warme Luft das Zittern ihres Körpers vertrieb. Sie wollte verhindern, dass Cook sie in einem derart aufgewühlten Zustand sah und ausfragte, warum sie nicht mit Jubal und Melanie Vater, Mutter, Kind spielte.

Gewiss ließ sich nicht verhindern, dass er Melanie irgendwann zu Gesicht bekam. Was dann? Würde er sich die Fakten zusammenreimen?

Du musst es ihm sagen. Er hat ein Kind verloren, das er für seines gehalten hat. Er konnte nicht wissen, dass du zur selben Zeit von ihm schwanger warst. Selbst wenn er dir wehgetan hat, er hat ein Anrecht darauf, von der Existenz seiner Tochter zu erfahren.

Doch wie sollte sie den Mut aufbringen, Jubal die Wahrheit zu gestehen?

Zwei Abende später saß Angela auf der Couch und blätterte in einem Lehrbuch für das kommende Semester. Melanie ließ sich mit einem Armvoll Märchenbücher in einen Sessel fallen und bettelte: „Liest du mir was vor, Mommy? Bitte! Die Geschichte von dem Elefanten, der den kranken kleinen Jungen zum Doktor bringt.“

Angela lächelte nachsichtig und griff zu dem Buch. „Das Märchen gefällt dir, oder?“

„Ja! Weil der Junge wieder gesund wird. Und weil alle glücklich sind. Sogar der Elefant.“

„Komm her zu mir, damit du dir die Bilder ansehen kannst.“

Eine halbe Stunde später waren insgesamt vier Geschichten vorgelesen. Gerade griff Angela zu dem nächsten Buch, da klopfte es.

Eifrig sprang Melanie auf und lief zur Tür. „Da ist wer! Vielleicht ist es Jess.“

„Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Mel. Wir müssen zuerst nachsehen, wer da ist, bevor wir die Tür aufmachen.“ Angela schaltete das Licht auf der Veranda ein und spähte durch das kleine Sichtfenster. Ein Mann stand mit dem Rücken zur Tür auf der kleinen Veranda. Auch ohne sein Gesicht zu sehen, wusste sie, dass es Jubal war. Sie hatten sich weder gesehen noch gesprochen, seit sie die Körbe bei ihm abgeliefert hatte. Was will er jetzt hier?

Ungeduldig trat Melanie von einem Fuß auf den anderen. „Wer ist das, Mommy? Ist es Jess?“

Schweren Herzens machte Angela sich bewusst, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihn hereinzubitten und zu hoffen, dass er in Melanies kindlichem Gesicht nicht seine eigenen Züge wiedererkannte. „Das ist ein guter Freund. Also benimm dich anständig. Okay?“

Melanie grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich bin ganz brav, Mommy, das weißt du doch.“

Angela holte tief Luft und öffnete die Tür. Jubal drehte sich um. Zu ihrer Überraschung hielt er einen Weihnachtsstern in den Händen und trug eine große Schachtel unter einem Arm. Doch es war das verführerische Lächeln auf seinem Gesicht, das ihre Aufmerksamkeit fesselte.

„Hallo, Angie. Ich hoffe, ich störe nicht.“

Was sollte sie sagen? Dass er seit fünf Jahren ihre Tage, ihre Nächte, ja sogar ihre Träume störte? Nein. Die Vergangenheit immer wieder aufzuwärmen, konnte nur einen schalen Beigeschmack herbeiführen. Sie wollte auf höfliche unpersönliche Weise mit ihm umgehen. Doch ihr Herz pochte wild – als wollte es ihrem klugen Plan Hohn sprechen. „Du störst nicht. Komm rein.“

Er schickte sich an, über die Schwelle zu treten, doch da tauchte Melanies neugieriges Gesicht hinter Angelas Beinen auf und ließ ihn stutzen.

Angela hielt den Atem an, bis ihr schwindlig wurde.

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass du babysittest.“ Zögernd trat er ein. „Wahrscheinlich hätte ich vorher anrufen sollen. Aber ich hatte Angst, dass du mich dann nicht kommen lässt. Also habe ich mich selbst eingeladen.“

Sie holte tief Luft, blickte zu Melanie und dann zu ihm. Sie sah so viel Ähnlichkeit zwischen den beiden, doch er merkte anscheinend nichts davon. Zumindest noch nicht. „Ich babysitte nicht, Jubal. Das ist Melanie, meine Tochter.“

4. KAPITEL

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Jubal sich von seiner Verblüffung erholte. „Du hast eine Tochter? Davon wusste ich ja gar nichts. Du hast sie nie erwähnt.“

Angela gab sich gelassen, doch in Wirklichkeit fühlte sie sich, als würde ein Vulkan in ihr ausbrechen. „Es hat sich einfach nie eine Gelegenheit ergeben, darüber zu sprechen.“

Sein Blick verriet, dass er ihr die Erklärung nicht abkaufte, doch er hakte nicht nach. Stattdessen hockte er sich vor Melanie und reichte ihr die Hand.

Sie blieb nie lange scheu gegenüber Fremden und legte vertrauensvoll ihre winzige Hand in seine große. Während sie ihn unverhohlen musterte, neigte sie den Kopf von einer Seite zur anderen. „Wie heißt du denn?“

„Jubal. Und du heißt Melanie?“

Sie nickte eifrig. „Melanie Jane Malone.“

Fragend blickte er zu Angela hoch. Dass der Familienname mit ihrem Mädchennamen übereinstimmte, wunderte ihn offensichtlich. Sie sagte nichts dazu. Sie brachte keinen einzigen Ton heraus. Tochter und Vater zum ersten Mal zusammen zu sehen, schnürte ihr die Kehle zu.

Zum Glück richtete er die Aufmerksamkeit wieder auf Melanie. „Das ist ein sehr hübscher Name.“

„Meine Mommy nennt mich Mel. Meistens. Besonders, wenn sie sauer ist.“

„Ich wette, deine Mommy wird nicht oft sauer, oder?“

Sie kicherte und schüttelte den Kopf. Dadurch flog ihr das braune Haar ins Gesicht, und sie klemmte es sich kokett wie ein Teenager hinter ein Ohr. „Nein. Sie ist ganz doll lieb!“ Um ihren Standpunkt zu unterstreichen, hängte sie sich mit beiden Armen an die Beine ihrer Mutter.

„Das glaube ich gern.“ Jubal stand langsam auf und musterte Angela, als sähe er sie zum ersten Mal.

Sie schluckte schwer und zwang sich, an ihre Manieren zu denken. Sie deutete zur Couch. „Möchtest du dich nicht setzen?“

Er reichte ihr die Topfblume. Sie war prachtvoll gewachsen; die samtigen Blätter leuchteten in sattem Rot und Grün. „Ich dachte mir, dass du vielleicht Freude daran hast.“

Angela hatte noch nie einen Weihnachtsstern besessen. Zu dieser Jahreszeit war die Erfüllung zu vieler anderer Bedürfnisse vorrangig, da blieb kein Geld für Blumen übrig. Umso mehr rührte sie das Geschenk. „Er ist wunderschön. Vielen Dank.“ Sie nahm ihm den Topf ab und stellte ihn auf den niedrigen Couchtisch.

„Hier habe ich noch etwas.“ Er reichte ihr eine große Pralinenschachtel und räusperte sich. „Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dich geärgert habe, als du vorgestern bei mir warst.“

Bevor sie darauf eingehen konnte, fragte Melanie: „Was ist denn da drin, Mommy? Kann ich was davon haben?“

„Das sind Süßigkeiten. Du darfst dir zwei nehmen. Aber zuerst musst du dich bei Jubal bedanken.“

Artig sagte Melanie „Danke schön“, suchte sich zwei Pralinen aus und setzte sich auf den Fußboden, um sie dort genüsslich zu verzehren.

Angela drehte sich zu Jubal um. Inzwischen hatte er sich die Jacke ausgezogen, den Hut abgenommen und auf das Sofa gesetzt. Er machte es sich bequem, und das störte sie. Sie fürchtete, dass er in Melanie seine Tochter erkannte, wenn er sich länger in ihrer Nähe aufhielt. Andererseits fühlte es sich seltsam richtig an. Er schien einen leeren Platz im Haus auszufüllen. Oder war es eine leere Stelle in ihrem Herzen? Lieber Gott, lass mich bitte nicht so emotional denken! Mach, dass ich mich nicht wieder in ihn verliebe!

Sie hielt ihm die Schachtel hin. „Möchtest du?“

Lächelnd beugte er sich vor und nahm eine Praline. „Es ist die Zeit für Süßigkeiten.“

Sie erinnerte sich an seinen gesunden Appetit und Tausende andere Kleinigkeiten über ihn. Sie hatten aber nie Weihnachten miteinander verbracht, und nun fragte sie sich, wie wichtig er das Fest nahm. „Cook sagt, dass man Weihnachten mit dem Magen und mit der Seele feiern muss.“ Sie stellte die Schachtel außer Reichweite von Melanie auf den Tisch und setzte sich zwei Polster entfernt von Jubal auf die Couch.

„Eine kluge Frau. Isst du gar keine?“

„Nein. Ich habe zu viel zu Abend gegessen. Cook hat Schmorbraten gemacht und darauf bestanden, dass ich eine Riesenportion mit nach Hause nehme.“

„Cook“, murmelte er verwundert. „Ich wollte Lex schon fragen, ob sie wirklich so heißt oder nur so genannt wird.“

„Sie heißt eigentlich Hattie Thibodeaux, aber sie wird nur ganz selten Hattie genannt. Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Ich mag sie sehr gern.“

Er musterte sie aufmerksam. „Dir scheint sehr viel an ihr zu liegen.“

Die Lampe auf dem Beistelltisch tauchte ihn in einen goldenen Schein. Angela versuchte, die hellen Strähnen in seinen Haaren ebenso zu ignorieren wie die goldenen Flecken in seinen grünen Augen. Sah er schon immer so blendend aus? Hatte ihr Herz bei seinem Anblick schon vor Jahren so schnell gepocht wie in diesem Moment? Sie räusperte sich. „Cook hat mich und Melanie ganz besonders herzlich hier auf Sandbur empfangen.“

Melanie erklärte unerwartet: „Cook ist meine Granny. Sie sagt, dass sie für immer meine Granny ist. Und sie ist hübsch.“

Jubal drehte sich zu ihr um, und seine Miene wurde ganz sanft.

Angela fragte sich unwillkürlich, wie er Evettes Fehlgeburt verkraftet haben mochte. Sie wusste, dass er nur das Beste für das Kind gewollt und es liebevoll aufgezogen hätte, obwohl er nicht der leibliche Vater war. So weit glaubte sie an ihn.

„Deine Eltern sind bestimmt sehr stolz auf ihre Enkelin“, vermutete er. „Verbringst du Weihnachten bei ihnen?“

Sie spürte einen Stich in der Brust und starrte auf ihren Schoß. „Nein. Hier auf der Ranch werden zu dieser Jahreszeit viele Partys gefeiert. Ich werde keine Gelegenheit haben, meine Familie zu besuchen.“

„Aber Geraldine würde dir doch bestimmt Urlaub geben. Sie ist keine Sklaventreiberin.“

„Das stimmt. Sie ist eine sehr nette Chefin. Ich hätte meine Arbeit nicht als Ausrede benutzen dürfen.“ Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. „Ehrlich gesagt, habe ich meine Familie seit Jahren nicht mehr gesehen. Wir hatten … nun, wir haben uns entfremdet.“

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Was ist denn passiert?“

Du, wollte Angela sagen. Aber das durfte sie nicht. Wenn sie auch nur andeutete, dass er der Grund für die tiefe Kluft zwischen ihr und ihren Eltern war, würde er den Grund wissen wollen. Und sie war einfach noch nicht bereit, ihm zu gestehen, dass er eine Tochter hatte.

Seufzend erklärte sie: „Du weißt ja vielleicht noch, wie prüde meine Eltern damals waren. Nun, daran hat sich nichts geändert. Sie haben über gewisse Dinge sehr engstirnige Ansichten, die ich nicht teilen kann.“

Sie merkte selbst, dass ihre Erklärung lahm klang. Aber sie durfte ihm nicht eingestehen, dass ihre Eltern sie wegen der Schwangerschaft als „liederliches Frauenzimmer“ abgestempelt und aus dem Haus geworfen hatten – damit der gute Ruf der Familie nicht durch die Schande ruiniert wurde. Ihr war strikt verboten worden, es je wieder zu betreten, solange sie nicht durch das heilige Sakrament der Ehe von einigen ihrer Sünden reingewaschen war.

Sie dachte nicht gern an jene Zeiten zurück. Einsam und verängstigt hatte sie sich während der schweren Monate der Schwangerschaft als Kellnerin durchgeschlagen und danach darum gekämpft, ein Zuhause für sich und ihr Kind zu schaffen.

Jubal runzelte nachdenklich die Stirn und blickte zu Melanie. „Es ist sehr traurig, wenn eine Familie zu Weihnachten nicht zusammen sein kann.“

Angela strich sich verstohlen mit den Handflächen über die Hosenbeine und hoffte, dass er ihr die Nervosität nicht anmerkte. „Mach dir darüber keine Gedanken. Sie wissen von Melanie und wollen mit uns beiden nichts zu tun haben. Ich habe es akzeptiert und möchte sowieso nicht, dass meine Tochter einer derartigen Engstirnigkeit ausgesetzt wird.“ Sie stand auf. „Wenn du mich bitte entschuldigst, gehe ich jetzt Kaffee kochen.“

Er schickte sich an, ihr zu folgen, entschied sich dann aber dagegen und blieb sitzen. Er beobachtete ihre Tochter und dachte über den Vater nach. Wo mochte er stecken? Warum hatte Angela ihn nicht geheiratet? Oder war sie von ihm geschieden?

Während ihm diese Fragen durch den Kopf gingen, stand die Kleine auf und lief zu ihm. Er lächelte sie an, und sie kicherte und lehnte sich vertrauensvoll an sein Knie.

Jubal wunderte sich, wie klein ihre Hände waren, und wie sich ihr Mund kräuselte, als sie ihn neugierig musterte. Er besaß keine Erfahrung im Umgang mit kleinen Kindern. Seine einzige Schwester Carlotta war älter als er und hatte keinen Nachwuchs.

„Kannst du auf einem Pferd reiten?“, wollte Melanie wissen.

„Ja. Du auch?“

„Nein. Aber ich kann bei Gracia auf dem Sattel sitzen und mich an ihr festhalten. Das darf ich manchmal. Wenn sie nett ist.“

Er wusste, dass Gracia, die Tochter von Matt und Juliet, im Teenageralter war und ihre Freizeit überwiegend dem Dressurreiten widmete.

Melanie warf ihre braunen Ringellocken zurück. „Kannst du lesen?“

Er unterdrückte ein Lächeln, um diesen kleinen Engel nicht zu kränken. „Ja. Du auch?“

Sie kicherte, und es klang so fröhlich und lieblich wie Weihnachtsglocken. „Nee, du Dussel. Ich bin doch erst vier. Aber Mommy sagt, ich lerne es, wenn ich zur Schule komme.“

„Und wann ist das?“, erkundigte Jubal sich und dachte dabei, dass Angela nicht lange gewartet hatte, um sich in die Arme eines anderen Mannes zu werfen. Doch das konnte er ihr kaum verdenken.

„Nächstes Jahr komme ich in den Kinder… Kindergatten.“

„Ach so, in den Kindergarten. Da lernst du bestimmt ganz viel.“

Melanie patschte ihm mit einer Hand auf das Knie.

Jubal vermutete, dass sie ihm damit ihre Zuneigung zeigen wollte, und zu seiner Verwunderung rührte ihn diese kleine Geste.

„Mommy sagt, dass ich schlau bin.“

„Ich glaube, deine Mommy hat recht.“

Kichernd wandte sie sich ab und holte einen Stapel Kinderbücher vom Tisch. „Liest du mir eine Geschichte vor? Ich kenne alle schon, aber ich will sie noch mal hören.“ Sie kletterte auf die Couch, kuschelte sich an seine Seite und reichte ihm die Bücher.

Vor lauter Verwunderung über ihre vertrauensselige Haltung kam Jubal gar nicht in den Sinn, dass die Situation ein absolutes Novum für ihn war, oder dass ihn die Cowboys in der Schlafbaracke aufziehen würden, wenn sie davon wüssten. Er griff zu dem obersten Buch und fragte: „Gefällt dir dieses hier?“

„Und wie!“, rief sie mit großem Nachdruck. „Da ist ein Pony, das hat seinen Schwanz verloren. Weil eine Ziege ihn aufgegessen hat, als es geschlafen hat. Und das Pony denkt, dass jeder es auslacht, weil sein Schwanz weg ist.“

Er nickte ernst. „So etwas habe ich schon oft erlebt.“

Ungläubig verzog sie das Gesicht. „Hast du schon mal ein Pony ohne Schwanz gesehen?“

„Na klar. Ziegen fressen manchmal Sachen, die sie nicht fressen sollten. Aber der Schwanz vom Pony wächst wieder nach. Genauso, wie deine Locken wieder wachsen, wenn eine Elfe sie aufisst.“

Sie patschte sich mit beiden Händen auf die Haare. „Das ist albern. Keine Elfe kriegt meine Haare!“

Nicht, wenn ich es verhindern kann, dachte Jubal. Er griff zu dem Buch und begann zu lesen. „Es war einmal ein glänzendes schwarzes Pony mit großen braunen Augen, das hieß Shadow und lebte auf einer Farm mit seinen Freunden und …“

Eine Weile später, als Angela mit dem Kaffee ins Wohnzimmer zurückkehrte, blieb sie abrupt in der Tür stehen und betrachtete das Bild, das sich ihr bot: Jubal las aus einem Kinderbuch vor; Melanie war mit dem Kopf in seiner Armbeuge eingeschlafen. Vater und Tochter vereint – wie es sein sollte. Wie oft hatte sie davon geträumt!

Aber er weiß nicht, dass er eine Tochter hat, und sie glaubt, dass ihr Vater irgendwo ganz weit weg lebt.

Diese Fakten machten Angela das Herz schwer. Doch sie versuchte, die Düsterkeit abzuschütteln. „Wie ich sehe, hat Mel dich als Vorleser eingespannt.“

Er grinste. „Ja. Anscheinend ist sie müde geworden.“

Sie stellte zwei dampfende Kaffeebecher auf den Tisch. „Ich bringe sie ins Bett.“

„Lass mich das machen“, bat er.

„Okay.“ Angela führte ihn in das Kinderzimmer. Ein Nachtlicht verbreitete einen schwachen Schein. Sie ging voraus zum Bett und hob unterwegs Spielzeug auf, um den Weg frei zu machen. Am Fußende schlief Mister Fields auf einer Patchworkdecke. „Entschuldige, dass es hier so unordentlich ist.“ Sie schlug die Zudecke zurück. „Eigentlich lasse ich sie immer aufräumen, bevor sie schlafen geht. Aber dein Besuch hat den Ablauf durcheinandergebracht.“

„Das tut mir leid. Aber zumindest sieht es hier durch das Spielzeug bewohnt aus.“ Sanft legte er Melanie auf das Bett.

Angela deckte sie zu und küsste sie auf die Wange. Als sie sich vom Bett abwandte, beobachtete Jubal sie mit einem unverhohlenen Verlangen, das ihr unter die Haut ging. Sie brachte kein Wort heraus und deutete zur Tür.

Leise verließen sie den Raum. Im Wohnzimmer setzten sie sich ein kleines Stück voneinander entfernt auf das Sofa und tranken den Kaffee.

Sie fragte sich, was sie nun sagen sollte. So oft hatte sie sich erträumt, dass sie zu dritt als glückliche intakte Familie miteinander lebten. Wie würde Jubal reagieren, wenn er wüsste, wie oft sie in den vergangenen Jahren an ihn gedacht hatte?

Nach einer Weile brach er das angespannte Schweigen, indem er bemerkte: „Du bist in einem sehr schönen Haus untergebracht worden. Offensichtlich mag man dich hier auf Sandbur sehr gern.“

Sie zuckte die Schultern. Die Vorstellung, dass ihr besondere Privilegien gegenüber den anderen Angestellten eingeräumt wurden, gefiel ihr gar nicht. Sie wollte nichts geschenkt. Doch sie konnte nicht leugnen, dass beide Familien sehr zuvorkommend zu ihr waren. „Es ist das schönste Zuhause, das Mel und ich je hatten.“

„Also gefällt es dir hier auf der Ranch?“

Sie blickte sich im Raum um und nickte. Verglichen mit seinem Haus sah es ziemlich unaufgeräumt aus, doch das war ihr nicht peinlich. Seit sie von ihren Eltern verstoßen und von dem Mann, den sie liebte, verlassen worden war, wusste sie zu unterscheiden, was im Leben wichtig und was nebensächlich war. „Ja, ich finde es sehr schön hier.“

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