Bianca Extra Band 89

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EIN VERFÜHRERISCHER SINGLE-DAD von TERI WILSON

Jeden Tag, wenn Ryan Carter ihr Café betritt, fühlt sich Amanda wie ein verliebter Teenager. Mehr noch: Als Ryan plötzlich mit seinem süßen Sohn vor ihrem Tresen steht, wird ihr Herz vor Liebe ganz weit. Aber kann der smarte Single-Dad ihr geben, wonach sie sich sehnt?

DAS LÄCHELN DEINER AUGEN von MARIE FERRARELLA

Eine neue Liebe? Für TV-Moderatorin Elly unmöglich! Zu tragisch war der Tod ihres Mannes. Bis die zärtlichen Küsse von Police Officer Colin ihr das Gegenteil zeigen. Fatal, denn nachdem er sie mit einer Weihnachtseinladung überrascht, wird Ellys Liebestraum erneut erschüttert …

WINTERSTÜRME, LIEBESKÜSSE von CARO CARSON

Heiße Küsse und eisiger Schnee. Die scheue Rebecca glaubt zu träumen, als sie halb erfroren in den Armen eines Ranchers erwacht. Sie fühlt: Mit ihrem starken Retter will sie auch nach dieser Winternacht zusammen sein. Doch dann muss Rebecca eine schwere Entscheidung treffen …

SEHNSUCHTSTRÄUME IN WEDLOCK CREEK von MELISSA SENATE

Ein mit Weihnachtslichtern geschmücktes Zuhause. Ein Ehemann, der sie über alles liebt! Eigentlich müsste Maddie glücklich sein. Denn obwohl sie sich nach einem Unfall nicht an alles erinnern kann, fühlt sich ihre Liebe zu Sawyer unsagbar richtig an. Aber was steht nur zwischen ihnen?


  • Erscheinungstag 20.10.2020
  • Bandnummer 89
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748159
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Teri Wilson, Marie Ferrarella, Caro Carson, Melissa Senate

BIANCA EXTRA BAND 89

TERI WILSON

Ein verführerischer Single-Dad

Ryans innigster Wunsch: seinen süßen Sohn wieder lächeln zu sehen. Für die hinreißende Amanda bleibt da keine Zeit. Obwohl sie seine kleine Familie rettet, schickt der Single-Dad sie fort. Ein Fehler?

MARIE FERRARELLA

Das Lächeln deiner Augen

Police Officer Colin ist von der attraktiven Reporterin, die ihn zu seinem Job interviewt, sofort gefesselt. Aber wird es ihm je gelingen, in Ellys traurige Augen ein Lächeln zu zaubern?

CARO CARSON

Winterstürme, Liebesküsse

Unschuldig wie der Schnee einer eisigen Winternacht! Noch keine Frau hat Trey je so fasziniert wie Rebecca. Dabei ahnt der Rancher: Die Schönheit wird ihn verlassen – sobald sie sein Geheimnis kennt …

MELISSA SENATE

Sehnsuchtsträume in Wedlock Creek

Als seine Frau aus dem Koma erwacht, glänzt für Sawyer die Welt heller als das weihnachtlich funkelnde Wedlock Creek. Natürlich erfüllt er ihr jetzt jeden Wunsch – aber warum reicht ihr das nicht aus?

1. KAPITEL

„Er ist wieder da.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Amanda Sylvester von der Birnen-Ziegenkäse-Blätterteigpastete auf, die sie gerade kunstvoll auf einem Teller arrangierte.

Belle Ross, ihre Oberkellnerin und beste Freundin, grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich meine ja bloß. Falls du es wagen möchtest, ihn anzusprechen.“

„Das Mittagsgeschäft ist in vollem Gang. Solltest du nicht an den Tischen bedienen?“ Amanda pflückte einen Rosmarinzweig aus dem kleinen Kräutergarten, den sie am Küchenfenster angelegt hatte, und platzierte ihn sorgfältig auf ihrer Kreation. Ich meine ja bloß.“

„Es ist drei Uhr. Die Mittagsgäste sind seit über einer Stunde weg.“

„Oh.“ Amanda hatte total das Zeitgefühl verloren, was häufig vorkam, wenn sie mit neuen Rezepten experimentierte. Nicht dass eines ihrer Gerichte es jemals auf die Speisekarte schaffen würde. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen!

„Er hat einen Latte to go bestellt.“ Belle hielt einen Pappbecher hoch. „Du servierst ihn.“

„Oh nein.“

„Oh doch. Ich weigere mich. Deine heimliche Schwärmerei dauert jetzt schon viel zu lange.“

Verlegen widersprach Amanda: „Das ist überhaupt keine heimliche Schwärmerei. Ich finde ihn bloß geheimnisvoll.“ Dass er außerdem gut aussah, war unerheblich. Zumindest weitgehend.

Sie lebte schon seit ihrer Geburt in Spring Forest, North Carolina, und arbeitete im Main Street Grille, dem Diner ihrer Familie, seit sie alt genug war, mehr als einen Teller gleichzeitig zu tragen. Sie liebte es. Wirklich. Doch manchmal war ihr alles allzu vorhersehbar.

Was ihre Faszination für den Mann erklärte, der seit Neuestem mehrmals am Tag auftauchte und aussah, als wäre er gerade dem Männermagazin GQ entsprungen. Ryan Carter, der neue Besitzer und Chefredakteur der Wochenzeitung Spring Forest Chronicle, war nicht gerade das, was man landläufig als umgänglich bezeichnete. Aber er war faszinierend. Und attraktiv. Auf eine nachdenkliche Art.

Belle grinste. „Ja, ja, rede dir das ruhig weiter ein, Boss.“

Amanda schnappte sich den Becher, wandte sich zum Gastraum um und erklärte: „Du bist so was von gefeuert!“

Natürlich war das ein Scherz, denn Belle war eine verdammt gute Kellnerin.

Aber sie spinnt. Eine neunundzwanzigjährige Karrierefrau wie ich hat keinen Schwarm! Doch als Amanda den Tresen erreichte und der hünenhafte Mr. Grumpy – so nannte sie ihn insgeheim, weil er so grummelig wirkte – von seinem Smartphone aufblickte, tanzte ihr Magen auf eine Weise, die sie nur als schwarmtastisch bezeichnen konnte. Reiß dich zusammen! Dieses Wort gibt’s ja gar nicht.

Sie straffte die Schultern und reichte ihm lächelnd den Becher. „Ihr Kaffee.“

„Danke sehr.“

Kein Lächeln. Kein Hinweis darauf, dass er sie ebenfalls für schwarmtastisch halten könnte, obwohl sie an diesem Tag ausgesprochen hübsch aussah und gut aufgelegt war.

Er nahm den Becher, nickte ihr zerstreut zu und wandte sich zum Gehen.

„Sehr gern.“ Sie schnappte sich ein Geschirrtuch und rieb an einem unsichtbaren Fleck auf dem Tresen, während sie verstohlen beobachtete, wie er mit forschem Schritt zur Tür eilte. Sein Rücken war beeindruckend. Breit und stark, als könnte er die schwersten Lasten tragen. Und selbst durch den Stoff des eleganten Jacketts war das Spiel seiner Muskeln zu erkennen.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte Belle.

„Katastrophal.“ Amanda schrubbte härter an der Arbeitsplatte. „Ich war selbstsicher und freundlich. Ich habe ihn angelächelt und sogar kokett die Haare zurückgeworfen.“

„Und?“

„Er hat sich bedankt und ist gegangen.“

„Das ist tatsächlich eine Katastrophe.“ Belle grinste. „Der Mann ist eindeutig ein Monster.“

„Du machst dich lustig darüber, aber dass er nicht gelächelt hat, hat doch was zu bedeuten. Meinst du nicht?“

„Doch. Es bedeutet, dass er es eilig hat. Oder zerstreut ist. Oder dringend Koffein braucht.“

„Oder dass er absolut kein Interesse an mir hat, was mir nur recht ist.“ Sogar mehr als recht. Amanda hatte keine Zeit für einen Kerl. Sie hatte ja nicht einmal Zeit für einen Hund. Sie wollte nur ihrer Arbeit nachgehen, ihre Food-Pics auf Instagram posten und Ryan Carter aus der Ferne anhimmeln. War das wirklich zu viel verlangt? „Er ist eh verheiratet. So viel wissen wir über ihn.“

„Ach so?“ Belle spähte aus dem Fenster, wie um herauszufinden, ob ein Schild mit der Aufschrift frisch verheiratet auf seinem Rücken prangte.

„Natürlich wissen wir das. Er hat in dieser Woche täglich zwei Tagesgerichte zum Mitnehmen bestellt. Eine Mrs. Grumpy wartet zu Hause auf ihn. Ganz offensichtlich.“

„Das einzige Offensichtliche an der ganzen Sache ist, dass du ein Feigling bist. Genau wie damals beim Sadie-Hawkins-Tanz in der zehnten Klasse.“

„Fang bloß nicht davon an!“ Der beschämende Vorfall lag ungefähr vierzehn Jahre zurück, doch Amanda hatte ihn immer noch nicht überwunden. Noch lange nicht. „Und ich bin überhaupt kein Feigling. Muss ich dich erst daran erinnern, dass ich letzte Woche ganz allein einen Tornado durchgestanden habe?“

Verrückt vor Angst hatte sie im Badezimmer ihres winzigen Apartments gehockt und dem unheimlichen Heulen des Sturms und dem Klappern der Fensterläden zuhören müssen. Aber sie hatte es überstanden, ganz allein, und sich am nächsten Morgen angesichts der horrenden Sturmschäden wie Wonder Woman gefühlt.

„Dabei fällt mir was ein.“ Sie blickte auf ihre altmodische Weißgold-Armbanduhr – ein Erbstück von ihrer Großmutter. „Ich muss zum Tierheim. Ich habe Birdie und Bunny versprochen, mit ein paar Hunden Gassi zu gehen.“

Bernadette und Gwendolyn Whitaker, in Spring Forest als Birdie und Bunny bekannt, lebten auf dem weitläufigen viktorianischen Anwesen, das sich schon seit Generationen im Familienbesitz befand. Dort hatten sie vor einigen Jahren das Tierheim „Fellknäuel fürs Leben“ eingerichtet, in dem Amanda ehrenamtlich mitarbeitete.

„Wie sieht es denn da draußen aus? Der Tornado hat ziemlich schwer gewütet, oder?“

„Ja. Soweit ich gehört habe, wurden viele Bäume entwurzelt und das Dach hat ordentlich was abbekommen. Die Versicherung wird das bestimmt regeln, aber erst mal ist es ein Desaster. Die armen Tiere haben vorher schon genug durchmachen müssen.“

Sie wünschte zum tausendsten Mal, einen der Hunde adoptieren zu können, aber sie war so gut wie nie zu Hause. Und Tiere aus dem Tierheim brauchen besonders viel Aufmerksamkeit. Zuwendung. Liebe.

Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Was war bloß in sie gefahren? Der Tornado musste sie mehr aufgewühlt haben, als sie sich eingestehen wollte.

„Na ja, wenigstens kommst du für eine Weile hier raus. Das tut dir bestimmt gut“, meinte Belle. „Immerhin schuftest du schon seit Sonnenaufgang.“

„Ich will noch ein paar Fotos von meiner Pastete machen, bevor ich gehe.“ Amanda ging durch die Schwingtür in die Küche zurück. Zurück an ihren Zufluchtsort, an dem sie sich geborgen gefühlt hatte, bis sie wieder einmal von dem nachdenklichen Zeitungsmann abgelenkt worden war.

Welch kolossale Zeitverschwendung! Das bewies ihre Blätterteigpastete, die beträchtlich an Volumen verloren hatte, während sie Mr. Grumpy den Kaffee brachte.

Belle spähte ihr über die Schulter. „Soll das so aussehen?“

„Du meinst so traurig und eingefallen? Nein.“ Amanda steckte das Smartphone wieder ein. „Ich werde heute doch nichts mehr posten.“

„Aber es schmeckt bestimmt gut.“

„Eine Blätterteigpastete ist nur eine Spezialität, wenn sie locker und fluffig ist, und das war einmal. Ein Grund mehr, warum ich nicht mit einem Fremden flirten sollte.“

„Spring Forest ist immer noch eine Kleinstadt. Es dürfte nicht schwer sein, mehr über ihn rauszufinden. Wir könnten sogar ein bisschen gastfreundlich sein und nett mit ihm plaudern. Dann wäre er kein Fremder mehr.“

„Könnten wir. Aber meine Pastete wäre immer noch unbrauchbar.“ Amanda warf das Backwerk kurzerhand in den nächsten Mülleimer.

„Dein Privatleben wäre es vielleicht nicht mehr.“

Sie überhörte die Bemerkung geflissentlich. Sie brauchte keinen Mann. Sie brauchte ganz andere Dinge. Eine gehörige Portion Schlaf. Jemanden aus der Familie, der im Diner mit anpackte. Genügend Instagram-Follower, damit ihre Eltern ihr endlich erlaubten, den Grille um einen Gourmet-Cateringservice für Hochzeiten und hochklassige Veranstaltungen zu erweitern …

Und im Augenblick brauchte sie einen Besuch im Tierheim. Weil Hunde viel unkomplizierter als Menschen sind. Sie sind loyal und ehrlich, wechseln nicht aus einer Laune heraus ihre Sympathien und laufen in schweren Zeiten nicht gleich weg. Sie sind vermutlich das beste Beispiel für bedingungslose Liebe.

Manchmal fragte Amanda sich, wie Hunde so sanft und süß sein konnten, während Menschen ihrer Erfahrung nach oft das genaue Gegenteil waren.

Mit dem Kaffeebecher in der Hand eilte Ryan Carter in das Gebäude des Spring Forest Chronicle und ermahnte sich nicht zum ersten Mal, es langsamer angehen zu lassen. Durchzuatmen. Sein Umfeld bewusst wahrzunehmen.

Er war nicht mehr in Washington. In Spring Forest ging es gemütlicher zu. Deswegen war er hierhergezogen. Nach dem unerwarteten drastischen Umbruch in seinem Privatleben hatte er einen Neuanfang gebraucht. Einen weichen Landeplatz. Für sich selbst wie für seinen Sohn.

Nach einer Suche von knapp einem Jahr hatte er diesen Ort gefunden. Spring Forest war genau das, was sie brauchten. Eine Oase, die vor Südstaaten-Charme nur so strotzte. Dort anzukommen war, wie nach einer langen Saison mit zu wenig Schlaf und noch weniger Freude in ein weiches Federbett zu fallen.

Er musste nicht länger alles stehen und liegen lassen, um an einer plötzlich anberaumten Pressekonferenz im Weißen Haus teilzunehmen. Lückenlos aufeinanderfolgende Abgabetermine, die ihm den Schlaf geraubt hatten, gehörten der Vergangenheit an. Ihm saß nicht einmal mehr ein Chefredakteur im Nacken. Diesen Posten hatte nun er selbst inne.

Jonah Miller, sein Assistent, sprang auf und strahlte ihn an. „Hallo, Mr. Carter.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie nicht jedes Mal aufstehen sollen, wenn ich das Gebäude betrete. Und ich möchte, dass Sie mich Ryan nennen.“

Jonah starrte auf Ryans Krawatte. „Ach ja, stimmt. Entschuldigung.“

Im Spring Forest Chronicle herrschte kein formeller Dresscode, wie Jonahs Aufmachung in Röhrenjeans und Sneakers bewies. Du solltest dich dem anpassen, dachte Ryan im Hinblick auf seinen formellen Anzug. Doch es fiel ihm schwer, alte Gewohnheiten abzulegen, und sein Kleiderschrank war voll von grauem Flanell und Nadelstreifen. Überreste aus seinem früheren Leben.

Er beschloss, sich schleunigst legere Kleidung zuzulegen. Denn momentan, obwohl er erst dreiunddreißig war, fühlte er sich uralt und fast wie Jonahs Vater, obwohl der Altersunterschied kaum zehn Jahre betrug.

„Haben Sie irgendwelche Nachrichten für mich?“, fragte Ryan hoffnungsvoll.

Auch wenn er es nur ungern eingestand, war die Umstellung von der Position des führenden Politikredakteurs bei der Washington Post auf die Leitung einer unbedeutenden Kleinstadtzeitung eine unerwartet große Herausforderung für ihn. Er vermisste seinen alten Job. Den Adrenalinrausch bei der Jagd nach einer Titelstory. Das Erfolgsgefühl. Das Prestige.

Doch sein Sohn Dillon war wichtiger als all das. Deswegen waren sie in Spring Forest gelandet.

Trotzdem hätte Ryan sehr viel für eine Coverstory gegeben. Für einen echten Aufhänger mit Substanz. Für einen Artikel, der sich um Bedeutenderes als einen Kuchenbasar, die Entfernung eines Stoppschilds oder die neue Uniform des Spielmannszugs drehte. Die einzige nennenswerte Nachricht, über die er in letzter Zeit berichtet hatte, war der Tornado, der durch die Stadt gefegt war.

Auf diese Pressemeldung hätte er liebend gern verzichtet. Der Sturm hatte Dillon solche Angst eingejagt, dass er danach drei Nächte lang in der Badewanne schlief. Um ihn nicht allein zu lassen, hatte Ryan in seinem Schlafsack auf dem Fußboden im Badezimmer übernachtet. Seitdem tat sein Rücken höllisch weh. Aber ich war wenigstens für ihn da. Ausnahmsweise.

„Ja, in der Tat.“ Jonah riss ein Blatt von dem rosa Zettelblock auf seinem Schreibtisch. „Patty Mathews von der Grundschule hat angerufen. Sie hat versucht, Sie auf dem Handy zu erreichen, aber da hat sich gleich die Mailbox eingeschaltet.“

„Weil ich ein neues Handy habe, das erst seit ein paar Minuten aktiviert ist.“ Ryans altes Handy schaltete sich ständig ab, seit er es während des Sturms versehentlich am Ladegerät angeschlossen gelassen hatte.

„Wahrscheinlich ist in der Schule alles in Ordnung, aber Sie sollten lieber bald zurückrufen“, riet Jonah.

„Natürlich.“ Ein flaues Gefühl beschlich Ryan. Denn seit langer, langer Zeit war nichts mehr in Ordnung. Er blickte zur Uhr. „Es ist gleich Schulschluss. Ich fahre lieber hin, anstatt anzurufen. Oder gibt es hier etwas Dringendes, um das ich mich kümmern muss?“

„Nein, nichts.“

Das war nicht weiter verwunderlich. Immerhin dauerte es noch drei Tage, bis die Zeitung in Druck ging. Der Spring Forest Chronicle war eine Wochenzeitung und ermöglichte Ryan somit einen flexiblen Zeitplan. Er brachte Dillon jeden Tag zur Schule und holte ihn auch wieder ab.

Vor dem Unfall, in Washington, hatte er kein einziges Mal auch nur einen Fuß in Dillons Klassenzimmer gesetzt. Nun spürte er ein Brennen im Magen und zerknüllte die Nachricht in seiner Faust. Was ist, wenn es zu spät ist? Was ist, wenn ich nie mehr an meinen Sohn rankomme? Was ist, wenn er für immer verstummt ist?

„Gut. Dann bis morgen.“ Ryan ließ den Blick durch den Raum schweifen für den Fall, dass jemand aus seiner winzigen Redaktion mit ihm sprechen wollte. Aber die drei Mitarbeiter saßen über ihre Schreibtische gebeugt und fixierten ihre Computermonitore.

Seufzend verließ er das Gebäude. Vereinzelte Sonnenstrahlen fielen durch das Blattwerk der Bäume entlang der Main Street und wärmten sein Gesicht auf dem Weg zu dem großen öffentlichen Parkplatz, auf dem sein Auto stand. Es war ein kleiner SUV. Neu, wie fast alles in seinem Leben.

Manchmal vergaß er, welche Farbe es hatte oder wo es geparkt war. Manchmal vergaß er, dass er neuerdings mit dem Auto statt mit der Metro zur Arbeit fuhr.

Wir brauchen bloß noch etwas Zeit, redete er sich ein. Irgendwann wird sich unser neues Leben richtig anfühlen. Es wird uns passen wie ein Lieblingspullover. Die Zeit heilt alle Wunden. Sagen das nicht alle Leute?

Er konnte es nur hoffen.

Aber er hatte so seine Zweifel. Genau wie seine überheblichen Schwiegereltern, und das war ein Problem. Sogar ein großes. Er wollte momentan nicht an sie denken. Zum Glück musste er das auch nicht. Der Umzug nach Spring Forest hatte fast dreihundert gesegnete Meilen zwischen sich und die Eltern seiner verstorbenen Frau Maggie gebracht.

Darauf trinke ich. Ryan nahm den letzten Schluck Kaffee aus dem Pappbecher, drehte sich um und warf ihn in den nächsten Papierkorb. Dabei stieß sein Arm mit etwas zusammen. Oder besser gesagt: mit jemandem. Mit einer Frau, die rückwärts taumelte.

Er packte sie bei den Schultern, um einen Sturz zu verhindern. „Oh! Entschuldigung. Ich habe nicht aufgepasst. Sind Sie verletzt?“

„Aua!“ Sie hielt sich die Hände vor das Gesicht, denn sein Ellbogen war mit ihrer Nase kollidiert.

Ihre polierten Fingernägel und die schmalen Goldringe an Mittelfinger und Daumen kamen ihm bekannt vor, aber er wusste nicht, woher. „Es tut mir leid.“ Er schluckte schwer und zwang sich, ihre Schultern loszulassen.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er seit langer Zeit keine Frau mehr angefasst hatte. Sie roch irgendwie sinnlich und lieblich zugleich. Vielleicht nach Vanille. Und ihr Pullover hatte sich weich unter seinen Fingern angefühlt. So weich, dass ein Gefühl der Sehnsucht in seiner Brust erwacht war. Er atmete tief ein.

„Sie haben mich ganz schön erwischt, aber es ist alles in Ordnung.“ Sie ließ die Hände sinken. „Ach, Sie sind’s.“

Ryan runzelte die Stirn. Waren sie sich schon mal begegnet? Eigentlich hätte er sich an ihren wundervollen bronzefarbenen Teint, die vollen Lippen und die Augen in der Farbe von edlem Bourbon erinnern müssen. Andererseits spazierte er seit Monaten wie benebelt durch die Gegend. Mit offenen Augen, ohne zu sehen. Existierend, ohne zu leben.

Schließlich dämmerte es ihm. „Der Diner. Sie haben mir vorhin den Kaffee gebracht.“

Sie nickte, und ihre Lippen verzogen sich zu einem winzigen Lächeln.

„Der war übrigens sehr gut.“ Was soll das? Flirtest du etwa mit ihr? Nein. Ganz bestimmt nicht.

Mit großen Augen, in deren Tiefen goldene Pünktchen glitzerten, blickte sie ihn an. „Jetzt runzeln Sie wieder die Stirn. Deshalb glaube ich Ihnen nicht.“

Ernst behauptete er: „Ich lüge nie, wenn es um Kaffee geht.“

Ihr Lächeln ließ sein Herz höherschlagen, doch schon folgten Gewissensbisse.

Er durfte sich nicht darüber freuen, dass er sie aufheitern konnte. Absolut nicht. Sein Leben war ein Desaster, seine Frau war tot, und in dem Jahr seit ihrem Unfall hatte sein Sohn kein einziges Wort gesprochen.

Was würde diese reizende Frau denken, wenn sie die hässliche Wahrheit wüsste? Er wollte es lieber nicht herausfinden. „Ich muss gehen“, sagte er schroffer als beabsichtigt.

Sie zuckte zusammen, doch Ryan beachtete es kaum, denn schon eilte er weiter.

2. KAPITEL

„Mr. Carter, wie schön, dass Sie persönlich vorbeikommen.“ Patty Mathews, Dillons Lehrerin, schloss die Tür zu ihrem Klassenzimmer hinter sich und trat lächelnd zu Ryan auf den Korridor. „Meine Assistentin hilft den Kindern, ihre Ranzen zu packen. Wir beide können also ein paar Minuten in Ruhe reden, bis es klingelt.“

Über ihre Schulter guckte er durch das lange schmale Türfenster in das Klassenzimmer. Der Raum war in leuchtenden Farben eingerichtet, von bunten Matten auf dem Fußboden bis zu lustigen Buchstabensymbolen an der Tafel. Streifenhörnchen Alvin für A, Hase Bugs Bunny für B … Die Cartoon-Tiere erinnerten Ryan daran, wie oft er Dillon in Washington versprochen hatte, mit ihm in den Zoo zu gehen. Versprechen, die er nie gehalten hatte …

Er schluckte schwer und wandte sich wieder an die Lehrerin. „Ich habe Ihre Nachricht erhalten. Ist etwas vorgefallen?“

Ihre Miene wurde ernst. „So würde ich es nicht unbedingt nennen. Dillon ist ein lieber und wohlerzogener Junge. In Mathematik ist er sehr weit für sein Alter. Also mache ich mir diesbezüglich keine Sorgen um seine Entwicklung.“

Ryan nickte und machte sich auf das Aber gefasst. Es kam prompt.

„Aber er hat heute in der Lesestunde die Mitarbeit verweigert. Hatte er in seiner bisherigen Schule Schwierigkeiten mit dem Lesen?“

Er blickte erneut durch das Türfenster und sah Dillon still mit seinem Lieblingsdinosaurier auf seinem Platz sitzen, während die anderen Schüler um ihn her lachend und plappernd ihre Ranzen packten. „Wie ich bei seiner Einschulung angegeben habe, macht er eine schwere Zeit durch, seit seine Mutter im letzten Jahr gestorben ist. Er ist still.“ Er räusperte sich. „Sehr still.“

„Das hat Rektor Martin mir mitgeteilt. Aber ich fürchte, das Ausmaß war uns nicht bewusst. Wie still ist er wirklich?“ Mrs. Mathews neigte den Kopf, während sie auf eine Antwort wartete.

„Dillon wird nicht laut vorlesen.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Spricht er überhaupt?“

Eine bleierne Schwere überfiel Ryan. Ganz plötzlich schien selbst das Stehen mehr Energie zu erfordern, als er aufbringen konnte. „Nein.“

„Es ist wichtig für mich, ganz genau zu wissen, was los ist. Um herauszufinden, wie ich Ihrem Sohn am besten helfen kann.“

„Okay. Tut mir leid. Ich hatte gehofft …“ Dass er sich an einem neuen Ort, unter neuen Menschen öffnen wird. „Ich dachte, er wäre glücklich hier.“

„Wir tun unser Bestes, damit er es wird“, versicherte Mrs. Mathews sanft.

Er strich sich mit einer Hand über das Gesicht und guckte noch einmal zur Tür. Doch diesmal sah er nicht das Klassenzimmer, sondern sein eigenes Spiegelbild. Um die Augen lagen Falten, die er vor einem Jahr noch nicht entdeckt hatte. Er sah genauso müde aus, wie er sich fühlte.

Außerdem wirkte er wie ein aufgeblasener Idiot in seinem formellen Maßanzug mit der Hermès-Krawatte auf dem Schulkorridor. Ein aufgeblasener Idiot, der keine Ahnung hat, wie er seinem eigenen Kind helfen soll.

Er räusperte sich und erklärte: „Es ist kein physisches Problem. Laut der Kinderärztin in Washington ist es nur eine vorübergehende Manifestation von Kummer.

Ich war mit ihm auch bei einer Therapeutin. Sie hat gesagt, dass Geduld das Wichtigste ist. Dass man ihn nicht zum Sprechen drängen darf und ihn belohnen soll, sobald er auch nur eine Silbe äußert. Davon abgesehen soll ich ihn nur wissen lassen, dass ich immer für ihn da bin. Das ist der einzige konkrete Rat, den sie mir geben konnte.“

Mrs. Mathews nickte. „Dann werden wir hier in der Schule auch so verfahren. Ich werde ihn nicht mehr zum Vorlesen auffordern, sondern ihn während der Lesestunde in die Bibliothek setzen. Dort kann er für sich selbst lesen, ohne sich unter Druck gesetzt zu fühlen. Und wenn ich sehe, dass er spricht, werde ich ihn belohnen – nur mit Kleinigkeiten, damit er sich nicht bevorzugt fühlt. Vielleicht mit einem Aufkleber oder einer Baseballkarte. Sind Sie damit einverstanden?“

„Ja. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.“

Die Schule in Washington hatte sich nicht so entgegenkommend gezeigt. Ryan hatte sogar mit Homeschooling geliebäugelt, es wegen des großen Arbeitspensums bei der Post aber nicht bewerkstelligen können. Der einzige Ausweg war ein kompletter Neuanfang. Neue Stadt, neue Schule, neues Leben.

„Keine Ursache. Sie können gern hier auf ihn warten. Es wird gleich klingeln.“ Mrs. Mathews wandte sich zur Tür um. Mit der Hand auf der Klinke hielt sie inne. „Machen Sie sich keine Sorgen. Wir wollen alle nur das Beste für Dillon. Er kann von Glück sagen, dass er einen Vater wie Sie hat.“

Ryan nickte zum Dank, doch das Herz wurde ihm schwer.

Er kann von Glück sagen, dass er einen Vater wie mich hat? Wenn dem bloß so wäre!

Sobald Amanda mit ihrem roten 1967er Chevy Pick-up in die Little Creek Road abbog, verkrampfte sich ihr Magen vor Schreck.

Die hohen Eichen entlang der alten Landstraße waren entweder umgestürzt oder total entlaubt. Es sah aus, als hätte ein Monster aus einem Horrorfilm mit einer Machete gewütet.

Und tatsächlich war die Stadt eine Woche zuvor vom Horror heimgesucht worden – in Form eines schweren Tornados.

Ihre Hände zitterten, als Erinnerungen an jene furchtbare Nacht auf sie einstürmten. Das ohrenbetäubende Tosen des Windes, der durch die Main Street gefegt war. Das furchtbare Klappern der Fensterläden. Die lähmende Angst, mit der sie sich an das kalte Porzellan der Badewanne gekauert hatte. Kaum auszumalen, wie verängstigt die Whitaker-Schwestern gewesen sein mussten! Ganz zu schweigen von den armen hilflosen Tieren. Allein die Vorstellung trieb ihr Tränen in die Augen.

Reiß dich zusammen. Es geht dir gut. Alles ist in Ordnung. Die aufmunternden Gedanken halfen jedoch nicht viel. Sie musste sich erst einmal davon überzeugen, dass Tucker, ihr Lieblingshund bei „Fellknäuel fürs Leben“, nicht traumatisiert war. Nicht dass man ihm seinen Seelenzustand eindeutig anmerken konnte. Der kleine Chiweenie, ein Chihuahua-Dackel-Mischling, gab sich notorisch reserviert. Sie hatte ihm den Spitznamen Grumpy gegeben, weil er immer so grummelig war.

Genau wie Mr. Grumpy, wenn Amanda es sich recht überlegte. Ist es seltsam, dass ich mich zu mürrischen Männern genau wie zu schlecht gelaunten Hunden hingezogen fühle? Wahrscheinlich, gestand sie sich ein. Aber zumindest war sie konsequent. Und was machte es schon, wenn ihr Geschmack ein bisschen seltsam war? Sie hatte weder Zeit für ein Haustier noch für einen Lover, also war es egal, wie launisch der geheimnisvolle Mr. Carter sich präsentierte. Je grummeliger, destso besser. Umso eher gelang es ihr, ihn zu ignorieren.

Allerdings hatte er sich bei ihrer letzten Begegnung auf der Straße keineswegs griesgrämig verhalten. Im Gegenteil. Einen Moment lang schien er sogar mit ihr geflirtet zu haben. Er hatte sehr charmant gewirkt, auf seine ernste, formelle Art.

Ich lüge nie, wenn es um Kaffee geht. Hätte sie darüber lachen sollen? Sie wusste es nicht. Sie erinnerte sich nur, dass sie innerlich vibrierte. Als ob sich alle Schmetterlinge aus ganz North Carolina in meinem Bauch versammelt hätten.

Doch dann war sein Lächeln verflogen, und er war gegangen, bevor es ihr gelungen war, die Situation zu ergründen.

Nun lenkte Amanda den Wagen auf den Parkplatz, stieg aus und knallte die Tür zu. Warum dachte sie überhaupt an Ryan Carter, anstatt sich auf das Tierheim zu konzentrieren, das ziemlich demoliert wirkte?

Der Zaun, der das Grundstück umgab, war umgekippt. Das Dach des Haupthauses sah aus, als wäre es auf der rechten Seite mit einem Dosenöffner bearbeitet worden. Der Schaden war wesentlich größer, als sie bisher angenommen hatte.

Während sie das Ausmaß der Verwüstung abzuschätzen versuchte, sah sie aus den Augenwinkeln etwas Graues vorbeihuschen. Blitzschnell drehte sie den Kopf herum, doch sie sah nichts als kahle Bäume, die sich im Wind wiegten.

Vor einigen Tagen hatte sie durch die Fensterfront des Diners einen streunenden grauen Hund vorbeihuschen sehen. Sie war hinausgerannt, um ihn anzulocken, hatte ihn aber nirgendwo entdecken können. Manchmal fürchtete sie, an Halluzinationen zu leiden.

Sie seufzte und betrat das Gebäude durch die gläserne Doppeltür. Zum Glück sah es drinnen weit besser aus als draußen. Abgesehen von mehreren Eimern, die in der Lobby strategisch zum Auffangen von Regenwasser verteilt waren, wirkte alles wie immer.

„Guten Tag, Amanda.“ Hans Bennett, der ehrenamtliche Helfer an der Rezeption, winkte ihr zu.

„Hi, Hans.“ Sie trat zu ihm und entdeckte ein Kätzchen auf seinem Schoß.

Wenn es um die Frage Hund oder Katze ging, stand der ältere Herr eindeutig auf der Seite der Samtpfoten. Seit er im Ruhestand war und seine freiwilligen Einsätze verdoppelt hatte, erwies er sich als wahrer Held, wenn das Tierheim im Frühling aus allen Nähten platzte vor schwächlichen neugeborenen Kätzchen, die mit der Flasche aufgezogen werden mussten.

Sie deutete zu dem roten Tigerkätzchen. „Wen haben wir denn da?“

Schmunzelnd kraulte er das winzige Köpfchen. „Das ist Lucille Ball.“

„Wie die Schauspielerin aus den Vierzigerjahren? Niedlich. Bestimmt hast du den Namen aussuchen dürfen“, vermutete Amanda. Denn Hans hatte einen ausgeprägten Hang zu vergangenen Zeiten und war der Präsident der Spring Forest Historical Society.

„Stimmt.“ Er warf einen bedeutungsvollen Blick zur löchrigen Decke. „Birdie und Bunny haben momentan andere Probleme.“

„Hat die Versicherungsgesellschaft schon einen Gutachter geschickt?“

„Bisher nicht.“

Das erschien ihr seltsam. Andererseits hatte der Sturm auch in den Nachbargemeinden großen Schaden angerichtet, sodass die Sachverständigen vermutlich hoffnungslos überlastet waren. „Hoffen wir, dass bald jemand kommt. Hier muss schnell was passieren. Apropos: Wie geht’s Tucker?“

„Er ist schlecht gelaunt wie immer.“ Hans verdrehte die Augen und griff zum Hörer, als das Telefon klingelte.

Amanda atmete ein wenig auf und eilte den langen Gang zu den Zwingern hinunter. Wenn Tucker griesgrämig war, ging es ihm vermutlich gut. Wäre er über Nacht umgänglich geworden, dann hätte sie sich Sorgen gemacht.

Sie musste einfach lächeln, als alle Hunde bis auf einen an die Gittertüren kamen, um ihr jaulend und schwanzwedelnd guten Tag zu sagen.

„Hallo, Jungs.“ Sie begrüßte jeden einzelnen mit Namen, bis sie den letzten Zwinger auf der linken Seite erreichte. Dort lag der einzige Verweigerer zusammengerollt in einer hinteren Ecke, mit dem Kopf auf den Vorderpfoten und geschlossenen Augen.

„Hallo, Grumpy.“ Sie betrat den Zwinger und hockte sich vor den trotzigen kleinen Kerl. „Du kannst mir nichts vormachen. Ich weiß, dass du wach bist. Wenn du wirklich schläfst, zucken deine Pfoten immer.“

Wie auf Stichwort öffnete er gelangweilt ein Auge.

Sie holte ein paar Brocken Ziegenkäse aus der Tasche und hielt sie ihm auf der flachen Hand hin. „Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht, aber erzähl es den anderen nicht.“

Seine Nase zuckte, sein zweites Auge öffnete sich, widerstrebend hob er den Kopf. Anstatt die Leckerbissen wie ein normaler Streuner zu verschlingen, schleckte er nur zurückhaltend daran, als ob er ihr mit dem Verzehr einen Gefallen täte.

„Warum du mein Liebling bist, wird mir immer ein Geheimnis bleiben“, murmelte sie.

Sehr zu ihrem Verdruss tauchte der attraktive Ryan Carter vor ihrem geistigen Auge auf. Sie seufzte. Zum Teufel mit ihm und seinem markanten Gesicht!

„Du weißt doch, was man über Frauen sagt, die sich zu dunklen, grüblerischen Typen hingezogen fühlen, oder?“

Sie hob Tucker auf die Arme und drehte sich zu Birdie um, die schmunzelnd im Gang stand. „Hi. Nein, das weiß ich nicht. Aber du wirst es mir bestimmt gleich verraten.“

„Wissenschaftler behaupten, dass es auf dem Urbedürfnis nach einem starken kraftvollen Mann beruht, der viele gesunde Kinder zeugen kann.“

Amanda spürte winzige Schweißperlen auf ihre Stirn treten. „Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe. Außerdem geht es hier um einen Hund, nicht um einen Mann.“ Allerdings ließ sich nicht leugnen, dass sie sich zu einem gewissen kraftvollen Mann namens Ryan Carter hingezogen fühlte. Aber das brauchte niemand zu wissen.

„Mag sein, aber du bist die Einzige, die seinen verschrobenen Charakter zu schätzen weiß. Willst du etwa sagen, dass du ihn weniger mögen würdest, wenn er ein Mensch wäre?“

Sie drückte sich Tucker ein wenig fester an die Brust. „Nein. Das will ich nicht sagen. Aber er ist nun mal kein Mensch, und ich bin weder bereit für Kinder noch für einen Mann. Also muss an deiner wissenschaftlichen Studie was faul sein.“

„Wahrscheinlich hast du recht. Was wissen die denn schon? Das sind ja bloß Wissenschaftler.“ Birdie grinste. „Wie Einstein und seinesgleichen.“

Amanda verdrehte die Augen. Was war nur in die Leute gefahren? So viel Interesse an ihrem nicht vorhandenen Liebesleben hatte sie noch nie erlebt. „Die Leute benehmen sich seltsam. Allmählich glaube ich, dass der Sturm nicht nur materiellen Schaden angerichtet hat.“

„Der Tornado hat wohl so ziemlich jeden aufgerüttelt.“ Birdie blickte sich um und seufzte. „An diesem alten Gebäude hat er sich jedenfalls gehörig ausgetobt.“

Amanda trug Tucker aus dem Zwinger, schloss die Tür und legte Birdie den freien Arm um die Schultern. „Es wird alles gut. Sobald die Versicherung zahlt, kannst du jemanden mit den Reparaturen beauftragen.“

„Du hast recht. Dieser Hort besteht seit fast zwanzig Jahren, und wir haben Hunderte von Tieren gerettet, von Hunden und Katzen über Ziegen bis hin zu Lamas. Es braucht mehr als einen Sturm, um uns aufzuhalten.“

„Genau. Und ihr wisst ja, dass ich auf jede erdenkliche Weise helfen werde, oder?“

„Natürlich, Liebes.“ Birdie deutete zu Tucker. „Willst du mit dem kratzbürstigen kleinen Biest Gassi gehen oder mehr über die erwähnte wissenschaftliche Studie hören?“

Amanda lachte. „Netter Versuch. Aber da draußen gibt es ein Fleckchen Gras, auf dem sein Name steht.“

Birdie schmunzelte, doch ihre Augen blieben ernst. „Bis später, Süße.“

Amanda trug Tucker ins Freie und setzte ihn erst ab, als sie eine weitläufige Rasenfläche erreichten. Er ging nicht gern über Kies. Oder Erde. Oder irgendetwas anderes außer weichem Gras. Momentan war ihr nicht nach einem Tauziehen mit ihm an der Leine zumute. Also ließ sie sich von ihm über den Rasen ziehen und begutachtete die Sturmschäden, während er am Boden schnüffelte.

Um das viktorianische Farmhaus herum, das Birdie und Bunny bewohnten, waren weitere Bäume umgestürzt. Die mobilen Vorratsschuppen sahen ziemlich mitgenommen aus. Einer von ihnen war umgekippt, was vermutlich bedeutete, dass das Trockenfutter darin nass geworden und somit ruiniert war.

Sie seufzte schwer, sagte aber zuversichtlich zu Tucker: „Es wird alles gut. Niemand ist verletzt. Das ist das Wichtigste, stimmt’s?“

Der kleine Griesgram ignorierte sie total, wie es nun einmal seine Art war.

Birdie spinnt, wenn sie glaubt, dass ich mir so einen Mann wünsche. Sich mit einem unnahbaren Hund abzugeben, war eine Sache. Sich einen Mann auszusuchen, der sich so benahm, war schlichtweg hirnverbrannt. Ryan Carter zum Beispiel. Kaum hatte er sie endlich wahrgenommen und ihren Kaffee gelobt, war er auch schon in sein gleichgültiges Ich zurückgefallen und praktisch davongestürzt. Zum Glück ist es mir egal, wie er mich behandelt. Sonst hätte ich mich glatt gekränkt fühlen müssen.

Tucker hob den Kopf und guckte zu ihr hoch.

Sie hätte schwören können, dass seine Augen spöttisch funkelten. Als ob er genau wüsste, woran – oder an wen – ich denke. „Lass das, Grumpy!“, befahl sie streng und hob ihn hoch, um ihn in den Zwinger zurückzubringen, damit sie sich um weitere Hunde kümmern konnte, bevor sie zum Abendgeschäft in den Main Street Grille zurückkehren musste.

Als sie den Gang mit den Zwingern erreichte, hörte sie Bunny sagen: „Das verstehe ich nicht. Zwanzigtausend Dollar? Aus eigener Tasche? So viel Geld haben wir doch nicht.“

In nüchternem entschlossenem Ton sagte Birdie, die tatkräftige Pragmatikerin: „Wir müssen es eben irgendwie beschaffen.“

Bunny, die liebenswerte und etwas naive Träumerin, wandte ein: „Aber was ist mit der Versicherung?“

Amanda räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen. Doch die Schwestern waren zu sehr in ihr Gespräch vertieft und hörten sie nicht.

„Das versuche ich dir ja gerade beizubringen“, sagte Birdie tonlos. „Wir haben keine Versicherung.“

Amanda ging durch die Schwingtür aus der Küche in den Gastraum und verkündete: „Das Pulled Pork ist alle.“

Belle sah auf die Uhr und seufzte. „Das ging aber schnell.“

Bis der Diner schloss, dauerte es noch zwei Stunden, und nun gab es nur noch ein einziges Tagesgericht, den Schmorbraten. In Zwiebelsud und Fleischbrühe gedünstet, schmeckte er nicht schlecht, aber nicht halb so gut wie die von Amanda abgewandelte Version mit Rotwein und Waldpilzen.

In der vergangenen Woche hatte sie die Kreation als Sonntagsessen im Kreis der Familie wie ein Kunstwerk präsentiert. Ihrem Bruder Josh hatte es ebenso geschmeckt wie ihrer Schwester Alexis, ihrem Schwager Paul und deren Kindern. Doch ihre Eltern hatten sich nicht dazu überreden lassen, es anstelle des Schmorbratens, der seit achtundsechzig Jahren serviert wurde, auf die Karte zu setzen. Vehement hatten sie die Tradition und die bodenständige Südstaatenküche verteidigt, als ob Amanda den ehrbaren Leuten von Spring Forest Gänsestopfleber vorsetzen wollte.

Amandas Mutter wehrte sich ganz besonders gegen jegliche Veränderung, seit ihre eigene Mutter, die den Main Street Grille einst gegründet hatte, im vergangenen Jahr gestorben war. Der Diner war zu einer Art Denkmal geworden.

Noch übte Amanda sich in Geduld. Aber es konnte nicht ewig so weitergehen. Wenn der Grille ihr Lebensinhalt bleiben sollte, musste sie ihm irgendwann ihren Stempel aufdrücken dürfen.

Doch an diesem Abend schrieb sie ausnahmsweise nicht in Gedanken die Speisekarte neu. Während sie ein Gericht nach dem anderen herrichtete, weilten ihre Gedanken bei „Fellknäuel fürs Leben“.

Wieso hatten Birdie und Bunny keine Versicherung? Ihr jüngerer Bruder Gator, ein erfolgreicher Anlageberater, kümmerte sich um sämtliche finanziellen Belange des Tierheims. Er wohnte in einer schicken Villa mit hohen weißen Säulen und parkähnlichem Garten am Stadtrand von Durham. Das Anwesen war so grandios, dass es vor einigen Jahren sogar die Titelseite eines Lifestyle-Magazins schmückte. Angesichts seines enormen geschäftlichen Erfolgs und der vielen Investitionen, die er im Laufe der Jahre getätigt hatte, musste er doch wissen, dass es elementar war, ausreichend versichert zu sein.

Doch eigentlich war das Warum egal. Wichtig war, jetzt irgendwie das benötigte Geld für die Beseitigung der Sturmschäden aufzutreiben. Aber zwanzigtausend Dollar sind kein Pappenstiel. Hätte Amanda über so viel Geld verfügt, hätte sie längst ihren Traum verwirklicht und den Grille um einen Cateringservice erweitert. So, wie die Dinge standen, konnte sie die Whitakers kaum unterstützen.

Seufzend stieg sie auf einen Tritthocker und entfernte mit einem Schwamm das Gericht von der Tafel an der Wand.

Hinter ihr ertönte ein schweres Seufzen. „Ich komme wohl zu spät für das Pulled Pork.“

Amanda drehte sich um und sah Dr. Richard Jackson mit enttäuschter Miene dastehen. „Tut mir leid, Doc. Es ist aus.“ Sie stieg von dem Hocker. „Sie sind heute später dran als sonst.“

Seit dem Tod seiner Frau vor fünf Jahren war Dr. Jackson Stammgast und gehörte beinahe zur Familie. Für gewöhnlich tauchte er pünktlich um Viertel nach sechs Uhr auf, wenn seine Tierarztpraxis schloss.

Er zuckte die Schultern und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Ich war draußen bei Birdie und Bunny und habe ein krankes Lama behandelt.“

„Welches? Drama oder Bean?“

„Bean. Aber keine Sorge. Es ist nichts Ernstes.“

„Es ist sehr lieb von Ihnen, dass Sie sich gleich darum gekümmert haben.“ Amanda fragte sich, ob er womöglich an einer der Whitaker-Schwestern interessiert war, da er dem Tierheim immer öfter seine Dienste anbot. Mit seinen siebenundsechzig war er nur ein paar Jahre älter als die vierundsechzigjährige Birdie und die dreiundsechzigjährige Bunny. Somit hätte er bestens zu einer der beiden gepasst. Außerdem verriet ein Leuchten in seinen Augen, dass er nicht nur an ein krankes Lama dachte.

„Es ist nur eine leichte Ohrinfektion. Ich habe nicht viel getan.“

„Ich bin sicher, dass Birdie und Bunny Ihre Unterstützung sehr zu schätzen wissen. Ich war übrigens heute Nachmittag auch dort.“

„Haben Sie die Sturmschäden gesehen? Es ist so ein Jammer.“

„Vor allem das Dach braucht umfangreiche Reparaturen. Ich spiele mit dem Gedanken, eine Spendensammlung zu veranstalten. Wie viel würde ein Kuchenbasar wohl einbringen?“ Für zwanzigtausend Dollar musste eine enorme Menge an Gebäck herhalten, doch bisher war ihr nichts Besseres eingefallen.

„Jeder Beitrag würde helfen.“ Doc J blickte sehnsüchtig zu der Portion Pulled Pork, die Belle gerade vorbeitrug, und meinte augenzwinkernd: „Aber mit einem Barbecue würden Sie bestimmt mehr einnehmen.“

Amanda lachte. Doch schon begann es in ihrem Kopf zu arbeiten. Sie kannte viele Grillmeister in der Gegend. Wenn es ihr gelang, alle zusammenzutrommeln und dazu die Ladenbesitzer aus Spring Forest zu überreden, Verkaufsstände zu betreiben … „Ich weiß, dass Sie bloß einen Scherz gemacht haben, aber das könnte tatsächlich klappen. Doc, Sie sind ein Genie.“ Sie strahlte ihn an. „Ihr Dinner geht heute auf mich. Okay?“

„Ein kostenloses Essen lehne ich niemals ab. Bringen Sie mir, was immer Sie empfehlen können.“ Er zwinkerte ihr zu und setzte sich an einen Fenstertisch.

„Kommt sofort“, versprach sie und eilte in die Küche.

„Du siehst ja plötzlich so glücklich aus“, bemerkte Belle verwundert. „Gibt es einen besonderen Grund für dein Strahlen?“

„Vielleicht.“ Amanda wollte lieber nichts verraten, solange sie nicht sicher war, dass sie das Event wirklich auf die Beine stellen konnte.

Belle hielt zwei gefüllte Papiertüten hoch. „Da du gerade so aufgekratzt bist, kannst du die hier nach vorn bringen. Ich koche inzwischen Tee.“

„Die beiden letzten Portionen Pulled Pork?“

„Genau.“ Belle hielt den Blick auf die Teekanne in ihrer Hand geheftet. „Für den Mann und den Jungen an der Kasse. Ist schon bezahlt.“

„Okay. Mach bitte einen Schmorbraten für Doc J fertig. Geht aufs Haus.“

Belle mied weiterhin jeden Blickkontakt. „Wird gemacht, Boss.“

Warum benimmt sie sich so seltsam? fragte Amanda sich kopfschüttelnd, während sie durch die Schwingtür ging. Sobald sie den Gastraum betrat, bekam sie die Antwort.

Ryan Carter wartete am Tresen. Ausnahmsweise war er nicht allein. Neben ihm stand ein etwa sechsjähriger Junge, der mit beiden Händen einen leuchtend roten Plastikdinosaurier umklammerte. Aus seinen Augen sprach eine tiefe Traurigkeit, die zu Herzen ging und Ryans düstere Miene in einem anderen Licht erscheinen ließ.

Als Amanda den Jungen anlächelte, senkte er hastig den Blick. Also blieb ihr keine andere Wahl, als sich an den Vater zu wenden, der trotz seiner finsteren Miene äußerst attraktiv auf sie wirkte. „Sie schon wieder.“ Sie stellte die Papiertüten auf den Tresen. „Willkommen zurück.“

Es zuckte um seine Mundwinkel, als ob er zu lächeln versuchte, aber vergessen hatte, wie er das anstellen sollte. „Danke. Schön, Sie zu sehen. Ich bin froh, dass Sie keinen dauerhaften Schaden von unserem Zusammenstoß davongetragen haben.“

Er erinnert sich also an mich. Kein Wunder! Schließlich hat er mich fast umgenietet. „Ich bin immer noch in einem Stück.“

„Gut zu wissen.“

Abgesehen von dem Zwischenfall auf der Straße war sie ihm noch nie so nahe gekommen. Diesmal konnte sie ihn mustern, ohne durch eine schmerzende Nase abgelenkt zu sein. Seine Augen waren die hübschesten, die sie je gesehen hatte. Goldbraun und klar, mit einem bernsteinfarbenen Ring in der Mitte. Wie auf einen Keks geträufelter Honig …

Ganz plötzlich fühlte sie sich benommen, als hätte sie den Whisky ausgetrunken, den sie für ihren speziellen Brotpudding bereithielt. Sie deutete zu den Papiertüten. „Nun?“

Das sollte das Stichwort für seinen Abgang sein. Amanda zog es vor, den berauschenden Zeitungsmann aus der Ferne anzuhimmeln. Aus der Nähe war er viel zu gefährlich – dem heftigen Pochen ihres Herzens nach zu urteilen.

Sie war nicht besonders gut im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Lediglich ein einziges Mal hatte sie sich getraut, einen Jungen um ein Date zu bitten – und zwar am Sadie-Hawkins-Day, an dem die Frauen traditionell die Initiative ergreifen. Also eigentlich kein großes Ding …

Doch kaum war das Anliegen ausgesprochen, da hatte sie sich vor lauter Nervosität auf seine Schuhe übergeben. Der peinliche Zwischenfall war in die Geschichtsbücher der Stadt eingegangen, und angeblich lästerten die Kids der Spring Forest High noch immer darüber ab.

Wie auch immer, Amanda beabsichtigte nicht, mit Ryan zu flirten. Allein die Vorstellung, sich mit einem Mann zu einem Date zu verabreden, jagte ihr Angst ein. Außerdem hatte sie gar keine Zeit dafür. Schon gar nicht, wenn ich ein Charity-Event in meine proppenvolle Agenda einschieben will.

Geh einfach, hätte sie am liebsten gesagt. Geh und lass mich durchatmen. Natürlich sprach sie es nicht aus. Und er konnte offensichtlich keine Gedanken lesen, denn er rührte sich nicht vom Fleck. Er stand einfach da und sah sie an, während sie weiche Knie bekam.

Nicht dass sie noch nie mit Männern ausgegangen war. Hin und wieder war es vorgekommen. Aber es hatte nie zu einer festen Beziehung geführt. Weil sie Männer lieber auf Distanz hielt. Für sie als einzige Frau in Spring Forest mit einem weißen und einem schwarzen Elternteil – abgesehen von ihrer Schwester natürlich – war die Sache nicht so einfach. Unzählige Male war sie als exotisch oder ungewöhnlich bezeichnet worden.

Seltsamerweise schien ihr Bruder Josh dieses Problem nicht zu kennen. Oder vielleicht ließ er es nur nicht an sich heran. Jedenfalls konnte er sich nicht über mangelnde weibliche Gesellschaft beklagen.

Wahrscheinlich wäre es in einer großen Stadt wie Raleigh oder Charlotte leichter für Amanda gewesen. An einem weltoffenen Ort. Aber sie war in Spring Forest verwurzelt. Der Main Street Grille selbst zeugte davon, dass die Sylvesters seit Generationen dort ansässig waren. Sie war glücklich in ihrer Heimatstadt. Es fiel ihr einfach leichter, ihr Leben im Alleingang zu meistern.

Sie lächelte den kleinen Jungen an, der die auffälligen Augen seines Vaters geerbt hatte. „Wie heißt du denn, mein Kleiner?“

Er umklammerte den Dino fester, bis seine Knöchel weiß hervortraten.

„Das ist Dillon“, sagte Ryan. „Pulled Pork ist sein Lieblingsgericht. Normalerweise hole ich es auf dem Weg von der Arbeit ab. Aber ich dachte mir, dass ihm ein kleiner Ausflug guttun würde. Also sind wir hier.“

Sie ging um den Tresen herum und ging vor Dillon in die Hocke, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. „Isst du das wirklich am liebsten?“

Sie erntete ein Nicken und den Anflug eines Lächelns.

„Natürlich.“ Ryan legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. In seiner Stimme lag ein zärtlicher Unterton, der sehr gewinnend wirkte. „Wir lügen nie, wenn es um Barbecue geht. Stimmt’s, Kumpel?“

Seine Worte vom Nachmittag kamen ihr in den Sinn. Ich lüge nie, wenn es um Kaffee geht. Sie fand seine Ausdrucksweise goldig. Geradezu hinreißend.

„Hotdogs sind das Einzige, was ihm aus meiner Küche schmeckt.“ Ryans Lächeln wirkte verlegen. „Und sogar alleinerziehende Väter wissen, dass Kinder sich nicht sieben Tage pro Woche von Hotdogs ernähren sollten.“

Die Erkenntnis, dass er alleinerziehend war, machte ihn noch attraktiver für Amanda. Sie richtete sich auf und schob die Papiertüten näher zu ihm. „Ich hoffe, es schmeckt Ihnen.“

„Ganz bestimmt. Vielen Dank, Miss …“ Ein verwirrter Ausdruck schlich sich in seine für gewöhnlich undurchdringliche Miene. Ein charmant verwirrter Ausdruck à la Hugh Grant. „Ich habe Ihren Namen nicht mitgekriegt.“

Aus den Augenwinkeln sah sie Belle mit einem selbstzufriedenen Schmunzeln die Kaffeemaschine bedienen. „Amanda Sylvester.“

„Einen schönen Abend, Amanda Sylvester“, wünschte er.

Und dann war er fort. Anstatt mit seinem typisch forschen Gang und kerzengeradem Rücken über die Main Street zu eilen, passte er sich Dillons kurzen Schritten an und beugte sich zu ihm hinunter.

Der Anblick ging ihr ein wenig unter die Haut. Sie ignorierte es, so gut es ging, und wandte sich an Belle. „Du hast das absichtlich so eingefädelt, dass ich ihn bediene.“

„Natürlich. Sieh es doch mal von der positiven Seite. Jetzt weißt du wenigstens, dass er nicht verheiratet ist.“

Es wäre besser, wenn ich dieses faszinierende Detail nicht wüsste. „Das ist unerheblich. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Lover, wie du weißt.“ Und schon gar nicht nach einem Ehemann.

Ihre Schwester Alexis hatte ihre Jugendliebe Paul direkt nach dem Highschool-Abschluss geheiratet. Und wohin hatte es sie gebracht? Sie hatte in acht Jahren sechs Kinder bekommen und kaum noch Zeit, sich die Zähne zu putzen, geschweige denn ein Geschäft zu führen.

Amanda liebte ihre Nichten und Neffen, doch jedes Mal, wenn sie auf sie aufpasste, endete es in einem Desaster. Unter ihrer Aufsicht hatten sie die Wände in Alexis’ Wohnzimmer mit Permanentmarker „dekoriert“ und die Toilette mit Plüschtieren verstopft.

„Aber sein Sohn ist echt niedlich“, meinte Belle. „Findest du nicht?“

Doch, das fand Amanda auch. Er hatte ein so stilles Wesen. So ernst, genau wie sein Vater. Und die Art, in der er sich an seinen roten Dinosaurier geklammert hatte, erweckte in ihr den Drang, ihm was für die Seele zu kochen. Makkaroni mit Käse vielleicht, gefolgt von ihrer Kokossahnetorte, für die ihre Nichten und Neffen so schwärmten.

„Guck mich gefälligst nicht so wissend an!“, verlangte sie schroff. „Du bist übrigens wieder mal gefeuert.“

Belle grinste nur und zwinkerte ihr zu. „Ich glaube, du wolltest eigentlich Dankeschön sagen.“

3. KAPITEL

„Du hast ja schon alles aufgegessen“, lobte Ryan. „Hat’s dir geschmeckt?“

Dillon nickte und lächelte vage.

Dass er am liebsten Pulled Pork aß, entsprach der Wahrheit. Ryan hatte es nicht nur behauptet, um mit Amanda zu flirten, sondern ein ganz normales sachliches Gespräch mit ihr geführt – obwohl er sie sehr attraktiv fand und ihr sanfter Umgang mit seinem Sohn eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn ausgeübt hatte. Für einen Moment war seine Besorgnis von ihm abgefallen und die Hoffnung aufgekeimt, dass alles gut werden konnte. Er wollte diese unerwartete Leichtigkeit genießen. Am liebsten würde ich sie in Flaschen abfüllen.

„Soll ich dir noch was von meiner Portion abgeben?“, bot er an.

Dillon schüttelte den Kopf. Sein Gesicht und die Hände waren mit Barbecuesoße verschmiert, genau wie der rote Dinosaurier, der auf dem Tisch positioniert war, als wollte er das halb volle Glas Milch attackieren.

Maggies Eltern wären schockiert. Annabelle und Finch Brewster hätten es Dillon niemals gestattet, ein Spielzeug mit an den Tisch zu bringen, und ein Kopfschütteln als Antwort war für sie total inakzeptabel. Im Geist hörte Ryan klar und deutlich Annabelles Rüge. Wo sind deine Manieren geblieben? Man sagt „Nein, danke“. Entgegen der Empfehlung der Therapeutin drängten sie den Jungen ständig, zu sprechen, Höflichkeitsfloskeln zu äußern.

Das ärgerte ihn maßlos. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit sabotierten sie seine Bemühungen. Manchmal hatte er den Eindruck, dass es vorsätzlich geschah, um zu verhindern, dass er eine funktionierende Beziehung zu seinem Sohn aufbaute.

Sicherlich war dem nicht wirklich so. Sie liebten Dillon auf ihre Weise. Ihre deplatzierte Einmischung beruhte vermutlich auf dem Kummer, dass sie ihr einziges Kind verloren hatten.

Davon abgesehen gehörten sie der Country-Club-Szene an, sodass sich ihre Welt um Äußerlichkeiten und gesellschaftliche Regeln drehte. Sie hatten Ryan mehr geschätzt, als er noch Politikredakteur bei einer der angesehensten Zeitungen des Landes gewesen war. Nicht der Herausgeber eines unbedeutenden Provinzblattes im tiefsten Süden. Und traurigerweise sind sie auch mit ihrem Enkel liebevoller umgegangen, bevor er aus Kummer verstummte.

Er verdrängte die trübsinnigen Gedanken und schlug vor: „Wie wär’s, wenn wir uns einen Film angucken, bevor du ins Bett gehst? König der Löwen?

Das Musical zählte zu den wenigen Dingen, die Dillon noch lieber mochte als Barbecue. Er kannte jede Zeile, jedes Wort auswendig und formte die Worte mit den Lippen.

Ryan liebte es, ihn dabei zu beobachten. Manchmal legte er das Video nur deswegen ein. Wie an diesem Abend, als das Glücklichsein beinahe zum Greifen nahe schien.

Er wollte an dem Anflug von Hoffnung festhalten. Dass Amanda eine große Rolle bei seiner positiven Einstellung spielte, fand er nicht weiter schlimm. Was war schon dabei, dass seine Gedanken immer wieder zu ihr wanderten und er im Geist ihr strahlendes Lächeln vor sich sah? Warum sich dagegen wehren?

Es schadete nichts, sich mit ihr zu beschäftigen, solange ihm klar war, dass absolut nichts dabei herauskommen konnte. Von flüchtigen Begegnungen im Diner abgesehen, plante er kein Wiedersehen. Selbst wenn er gewollt hätte, konnte er sich gar nicht auf sie einlassen. In seinem Leben war kein Raum für eine Beziehung. Auch nicht mit einer Frau, die das Bedürfnis nach etwas weckte, an das er seit Monaten, ja vielleicht sogar Jahren nicht einmal gedacht hatte.

„Erzählen Sie mir, wie es war, als der Tornado ausgebrochen ist.“ Ryan zückte Bleistift und Notizblock und blickte von Birdie zu Bunny.

Er war am vergangenen Abend auf dem Fußboden vor dem Fernseher eingeschlafen und an diesem Morgen mit Dillons Kopf auf der Schulter aufgewacht. Trotz quälender Rückenschmerzen war es ein guter Morgen. Der beste seit langer Zeit.

Er war versucht zu glauben, dass Amanda verantwortlich für seine gute Laune war, wies diese Vorstellung allerdings von sich. Sie hatten nur wenige Worte gewechselt. Wahrscheinlich erinnerte sie sich noch nicht einmal an ihn. Er war für sie ein Kunde wie jeder andere.

Um seinen albernen Fantasien ein Ende zu setzen, hatte er an diesem Morgen auf den üblichen Abstecher in den Diner verzichtet und war direkt ins Büro gegangen. Dort hatte Jonah ihm eine Nachricht von „Fellknäuel fürs Leben“ und eine Tasse ungenießbaren Instantkaffee überreicht.

Und nun, unzureichend mit Koffein versorgt und mit Rückenschmerzen, interviewte Ryan die Whitakers, während ein krankes Lama ihm komische Seitenblicke zuwarf.

Birdie, die größere und gleichmütigere der beiden Schwestern, berichtete über die fragliche Nacht und schilderte detailliert, wie sie die Hunde und Katzen, die besondere Betreuung brauchten, in das Untergeschoss des Farmhauses befördert hatten.

Das alte viktorianische Gebäude ragte hinter ihnen auf. Daneben, auf einer umzäunten Weide, dösten einige Nutztiere in der Morgensonne. Eine Handvoll Schafe, Schweine und Ziegen, eine Milchkuh und ein weiteres Lama namens Drama.

Aus unerfindlichem Grund hegte Bean – das kranke Lama – ein reges Interesse an Ryan. Sie verrenkte sich den Hals, um am Revers seines Armani-Jacketts zu schnuppern.

Birdie fuhr fort: „Wie schlimm es uns getroffen hat, ist uns erst am nächsten Morgen klar geworden, als es nicht mehr gefährlich war, nach draußen zu gehen.“

Sein Blick glitt zu Bean, die ein seltsames Summen von sich gab. Er hoffte inständig, dass es sich um ein freudiges Geräusch handelte. „Wie haben die Tiere die Nacht überstanden?“

„Die Ärmsten haben Todesängste ausgestanden.“ Bunny schüttelte seufzend den Kopf. „Allein bei dem Gedanken daran könnte ich weinen. Das ganze Erlebnis war so furchtbar, dass ich fast jede Nacht Albträume habe. Ich glaube, ich habe PMS.“

Er hielt mitten im Schreiben inne und räusperte sich. PMS? Wie in prämenstruelles Syndrom?

Birdie verdrehte die Augen. „Sie meint PTBS.“

„Also posttraumatische Belastungsstörung?“, hakte er vorsichtshalber nach.

„Genau. Dabei können wir eigentlich von Glück sagen. Wir sind mit dem Schrecken davongekommen. Niemand wurde verletzt. Einige freiwillige Helfer haben im Schutzkeller bei den Tieren übernachtet, die wir nicht ins Haus holen konnten. Matt Fielding und Claire Asher sind unerwartet aufgetaucht und haben sich um die Nutztiere gekümmert.“

Bildete Ryan es sich nur ein oder warf sich das Lama in die Brust bei der Bezeichnung Nutztiere?

„Am Morgen haben wir eine streunende Hündin unter einem der umgestürzten Bäume gefunden. Zum Glück konnte Matt sie befreien. Er hat sie sogar adoptiert und sie erholt sich bestens in ihrem neuen Zuhause.“

Bunny seufzte verträumt. „Hope sollte das Blumenmädchen bei der Hochzeit von Matt und Claire spielen. Meinst du nicht?“

Ryan hakte nach: „Wer ist Hope?“

„Die Hündin natürlich.“

Er unterdrückte ein Grinsen. „Ja, natürlich.“

Birdie sagte: „Sie brauchen die Sache mit dem Blumenmädchen nicht im Artikel zu erwähnen. Aber vielleicht möchten Sie die Stelle sehen, an der wir Hope gefunden haben?“

Er nickte. Er war zu allem bereit, was Distanz zwischen ihm und Bean schaffte, deren Summen sich zu einem Gackern steigerte. Er wich einen Schritt zurück und sie legte die Ohren an.

Bunny tätschelte seinen Arm. „Keine Sorge. Sie flirtet bloß mit Ihnen.“

„Na, super“, murmelte er.

„Hier entlang.“

Während er ihr folgte, steckte er den Notizblock ein, holte sein Smartphone heraus und öffnete die Kamera-App.

Die Whitakers führten ihn über das Anwesen. Dabei blieben sie immer wieder stehen, um skurrile Dialoge zu führen, die wesentlich unterhaltsamer waren als sämtliche Polittalks, die Ryan in Washington verfolg hatte.

Er machte Fotos von den umfangreichen Sturmschäden und verkündete schließlich: „Ich bin froh, dass Sie sich bei mir gemeldet haben. Unsere Leser interessieren sich garantiert für alles, was hier geschehen ist. Vor allem für Hopes Rettung.“

Die Leute lieben Wohlfühlgeschichten. Und im Gegensatz zu den meisten Meldungen, die er in letzter Zeit verfasst hatte, besaß diese Story das Potenzial für einen Leitartikel. Die Menschen und Tiere von „Fellknäuel fürs Leben“ hatten ein furchtbares erschütterndes Erlebnis mit heiler Haut überstanden. Auch wenn es bereits vor einer Woche stattgefunden hatte, war das ein Stoff für die nächste Titelseite, denn weltbewegende Neuigkeiten waren in Spring Forest eher selten.

„Sie wollen also wirklich über uns schreiben?“, fragte Bunny, als sie die Kiesauffahrt zum Hauptgebäude erreichten.

„Unbedingt.“ Er fotografierte das beschädigte Dach und die Fassade mit dem Logo – die Silhouetten einer Katze und eines Hundes in einem Herz neben dem Schriftzug „Fellknäuel fürs Leben“.

„Danke, Mr. Carter.“ Bunny strahlte ihn an. „Vielen, vielen Dank.“

Birdie fragte: „Ist es möglich, etwas Besonderes in Ihren Artikel aufzunehmen?“

Ryan steckte das Smartphone ein und holte den Notizblock heraus. „Das hängt davon ab. Was meinen Sie denn mit ‚etwas Besonderes‘?“

Sie holte tief Luft. „Wir haben Sie in der Hoffnung hergebeten, dass Sie außer dem Bericht über den Schaden auch einen Aufruf zur Teilnahme an unserem Benefiz-Barbecue für die Reparaturen starten.“

Im Geist sah er Amanda vor sich und glaubte, den würzigen Geschmack ihrer Barbecuesoße auf der Zunge zu schmecken. Das muss ein Zufall sein. „Sie veranstalten ein Fest, um Gelder für das Tierheim aufzutreiben?“

„Ja. Wie Sie sehen, brauchen wir dringend ein neues Dach, und wir haben nicht die nötigen Mittel dafür. Eine unserer fleißigsten Hundesitterinnen möchte einen großen Barbecue-Wettbewerb veranstalten.“

„Ach so?“ Ryan zerrte an seinem Hemdkragen. Bei dem Gedanken an Amanda war ihm prompt warm geworden, was absurd war. Du bist schließlich ein erwachsener Mann, kein liebeskranker Teenager. „Hat diese wohltätige Hundesitterin auch einen Namen?“

„Amanda Sylvester. Vielleicht kennen Sie sie. Sie führt den Main Street Grille. Sehr hübsches Mädchen. Und sehr schlau dazu.“

„Und Single“, warf Bunny ein.

Ryan starrte von einer zur anderen. Können die beiden Gedanken lesen? Oder sehe ich so aus, als ob ich dringend weibliche Gesellschaft nötig hätte?

Birdie lächelte ihn zuckersüß an. „Jedenfalls würde eine Ankündigung des Events sehr helfen, die erhoffte Beteiligung zu erzielen und uns die Mittel für die Reparaturen zu verschaffen.“

„Das werde ich sehr gern in meinem Artikel erwähnen. Geben Sie mir einfach Bescheid, wann und wo das Event stattfinden soll. Vielen Dank für Ihre Zeit.“ Er eilte zu seinem Auto. Ausnahmsweise fiel es ihm nicht schwer, es auf dem kleinen Parkplatz zu finden, denn es war das einzige Fahrzeug, an dessen Heckscheibe kein Sticker von „Fellknäuel fürs Leben“ klebte.

Er hatte bereits die Fahrertür geöffnet, als er sich aus irgendeinem Grund noch einmal umdrehte, um eine weitere Frage zu stellen, obwohl er genügend Informationen für einen Leitartikel gesammelt hatte.

Ein anständiger Journalist nimmt sich die Zeit, mit der verantwortlichen Person einer Veranstaltung zu sprechen, bevor er darüber schreibt. Und er war durch und durch ein anständiger Berichterstatter. Das war die einzige Erklärung dafür, dass er nun vorschlug: „Soll ich ein Interview mit Miss Sylvester über den Wettbewerb führen? Für den Artikel?“

Die Schwestern tauschten einen bedeutungsvollen Blick.

„Das ist eine hervorragende Idee.“ Birdie räusperte sich. „Für den Artikel natürlich.“

Ryan nickte. „Ausgezeichnet. Ich werde sie anrufen.“

Für den Artikel? Das glaubst du ja nicht mal selbst! Wem also willst du was vormachen?

Sobald Belle am Freitag den Diner betrat, musterte sie Amanda abschätzig von Kopf bis Fuß und schüttelte den Kopf. „Willst du das etwa anbehalten?“

„Hallo, ich wünsche dir auch einen guten Morgen.“ Amanda nahm einen großen stärkenden Schluck Appalachen-Mischung – ein kräftiger Morgenkaffee, den sie von einer lokalen Mikrorösterei bezog. Aber war er auch kräftig genug, um die schlaflose Nacht wettzumachen, die sie in Gedanken an das bevorstehende Interview mit Ryan Carter verbracht hatte? Äußerst fraglich.

„Hallo, guten Morgen. Aber jetzt mal im Ernst.“ Belle deutete auf die Röhrenjeans und das T-Shirt mit dem Logo des Main Street Grille. „Findest du die Aufmachung geeignet für ein Date?“

„Es ist kein Date. Wie kommst du überhaupt darauf?“ Amanda konzentrierte sich ganz darauf, das Wechselgeld in die Kasse zu sortieren, um Belle nicht ansehen zu müssen. Bevor sie sich für ihre Arbeitsuniform entschieden hatte, war sie in drei verschiedene Kleider geschlüpft, und sie fürchtete, dass ihre beste Freundin ihr diese peinliche Tatsache von den Augen ablesen konnte.

Was ist an dem Outfit überhaupt auszusetzen? Das T-Shirt war von einem hübschen Mittelblau, an den Ärmeln mit kleinen Rüschen verziert und durchaus angemessen, da das Treffen an Ort und Stelle stattfinden sollte. Zum Glück, denn in ihrer vertrauten Umgebung fühlte sie sich am wohlsten.

„Kein Date? Bist du dir da ganz sicher? Wieso hast du dann deinen neuen kirschroten Lippenstift aufgelegt und die hübschen Schuhe mit dem Gänseblümchen angezogen?“

Amanda blickte zu ihren Ballerinas. „Sind die zu übertrieben feminin?“

„Nein, sind sie nicht. Und der Lippenstift ist es auch nicht. Du siehst toll aus, trotz des T-Shirts. Der heiße Mr. Single Dad wird dich nicht aus den Augen lassen können.“

„Bitte nenn ihn nicht so.“ Insgeheim nannte Amanda ihn nach wie vor Mr. Grumpy. Auch wenn er in letzter Zeit gelegentlich etwas nahbarer wirkte, passte der Name noch immer zu ihm. Bei seinem Anruf wegen des Interviewtermins hatte er so formell und nüchtern geklungen, als wollte er ein Treffen mit der Queen arrangieren. „Und ich bin ganz sicher, dass er mich aus den Augen lassen kann. Dieses Interview dreht sich nicht um mich. Es geht um ‚Fellknäuel fürs Leben‘ und die Spendenaktion. Es ist rein geschäftlich und ganz eindeutig kein Date.“

„Wieso kann es denn nicht beides sein?“

„Weil …“ Weil ich keine Zeit für eine Beziehung habe. Weil ich einen neuen Geschäftszweig aufbauen und gleichzeitig den alten weiterführen will. Weil ich schon zu einem Nervenbündel mutiere, wenn ich bloß mit ihm rede. „Weil es einfach so ist. Können wir bitte aufhören, darüber zu reden?“ Amanda lief zur Eingangstür und drehte das Schild um auf die „Geöffnet“-Seite. Die Gänseblümchen-Ballerinas drückten bereits. Na, toll!

„Okay, aber lass mich noch eines dazu sagen. Bitte!“ Belle legte flehend die Handflächen aneinander. „Dein ganzes Leben dreht sich um Verantwortung. Wenn du nicht hier schuftest oder neue Rezepte für deine Instagram-Posts entwickelst und dein Gourmet-Catering planst, arbeitest du ehrenamtlich im Tierheim. Und jetzt planst du auch noch eine Spendenaktion. Du verdienst es, hin und wieder auch mal Spaß zu haben.“

„Ich habe Spaß. Sogar ’ne Menge“, behauptete Amanda. Was etwas übertrieben sein könnte.

„Aber nicht in romantischer Hinsicht. Du schwärmst doch schon seit Wochen für diesen Typen. Das ist jetzt deine Chance. Wenn du wirklich glaubst, dass es kein Date ist, solltest du ihn um eines bitten. Noch heute. Was soll schon passieren?“

„Fragst du das im Ernst?“

„Wie groß ist das Risiko, dass es noch mal passiert? Eins zu eine Million?“

Die Glocke über der Eingangstür bimmelte, und die Tiertrainerin Molly McFaden trat ein. Wie gewöhnlich hatte sie einen Hund bei sich – diesmal einen Collie-Mischling, der brav draußen neben der Tür „Platz“ machte.

„Guten Morgen, Molly.“ Amanda flüsterte Belle zu: „Ich bediene sie, weil ich sie bitten will, beim Charity-Event mitzumachen.“

„Weil das leichter ist, als Ryan Carter um ein Date zu bitten?“

„Du bist gefeuert. Schon wieder.“

„Du schwächelst“, stelle Belle grinsend fest. „Damit habe ich schon vor zehn Minuten gerechnet.“

Der restliche Vormittag verging wie im Flug, denn es herrschte reger Betrieb. Molly zeigte sich begeistert von der Hilfsaktion und sagte bereitwillig ihre Teilnahme zu. Der Collie, den sie für einen Kunden trainierte, rührte sich nicht vom Fleck auf dem Bürgersteig. Am liebsten hätte Amanda sie darum gebeten, Tucker zu einem braven Hund zu erziehen, den jemand mit nach Hause nehmen wollte. Aber gleich zwei Gefälligkeiten auf einmal sind wohl zu viel verlangt.

Als der Frühstücksandrang vorüber war, hatte Amanda unzählige Omeletts und Pfannkuchen serviert und mehrere Ladenbesitzer für eine Beteiligung an dem Hilfsprojekt gewinnen können.

Alles in allem schritten ihre Pläne so gut voran, dass sie genügend Gesprächsstoff hatte, wenn Ryan in einem seiner vornehmen maßgeschneiderten Businessanzüge auftauchte.

Doch der Ryan Carter, der fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit eintrat, war nicht der Mann, den sie erwartet hatte. Trotz der vertrauten bernsteinfarbenen Augen, der charmant zerzausten Haare, der breiten Schultern. Zum ersten Mal, seit er in der Stadt gelandet war – wie ein seltsames fremdartiges Wesen, das der Sturm ihr über den Weg geweht hatte –, trug er weder Anzug noch Krawatte. Stattdessen steckte sein muskulöser Körper in einem cremefarbenen Pullover und verblichenen Jeans.

Amanda traute ihren Augen kaum. Sie blinzelte ein paarmal und fragte sich wieder einmal, ob sie an Halluzinationen litt. Oder vielleicht hatte er einen eineiigen Zwilling, von dem sie nichts wusste. Bryan Carter vielleicht?

Doch dann richtete er seinen betörenden Blick direkt auf ihr Gesicht, und sie erkannte ohne jeden Zweifel, dass es Ryan höchstpersönlich war. Sie holte tief Luft und bemühte sich, seine Brust nicht zu begaffen, die viel ausgeprägter war, als seine Jacketts erkennen ließen. Er sieht so gut aus, dass es beinahe obszön ist.

Der luxuriöse Kaschmirpullover wirkte teuer – und weich wie das Fell eines Kätzchens. Am liebsten hätte sie das Gesicht darin vergraben und geschnurrt. Oh mein Gott! Vielleicht hat Belle recht. Ich hatte wohl zu lange kein Date mehr.

„Hallo.“ Das typische Beinahe-Lächeln spielte um seine Lippen.

„Hi.“ Ihr Magen hüpfte. Sie fürchtete, dass alle Anwesenden sie anstarrten und nur darauf warteten, dass sie sich übergab. Verstohlen blickte sie sich um. Sämtliche Gäste waren mit ihrem Essen beschäftigt. Nicht einmal Belle bespitzelte sie, sondern konzentrierte sich voll auf ihre Arbeit. Beruhige dich. Es ist bloß ein einfaches Interview für die Zeitung. „Wollen wir uns setzen?“

„Gern.“

Sie führte Ryan in die hinterste Nische. „Nehmen Sie Platz. Ich bin gleich wieder da.“

Nach einem Trip in die Küche stellte sie ein Tablett mit Speisen und Getränken auf den Tisch. „Da es einiges zu besprechen gibt, habe ich uns einfach etwas zusammengestellt, damit Sie nicht extra aus der Speisekarte etwas aussuchen müssen. Ich hoffe, das ist Ihnen recht.“

Sein Mund verzog sich zu einem richtigen Lächeln, das ein Foto wert gewesen wäre. „Ist es das, wonach es aussieht?“

„Grüne Tomaten?“ Sie nickte. „Aber ich habe sie frittiert und in einen Caprese-Salat integriert.“

„Beeindruckend. Kommt das Gericht auf die Karte?“

Schön wär’s! Aber das erlaubt meine Mom nie. „Nein. Aber ich experimentiere gern. Eines Tages möchte ich den Betrieb um ein Gourmet-Catering erweitern.“

Hab ich das gerade laut gesagt? Sie schluckte. Außer Belle hatte sie bisher niemandem erzählt, warum sie neue Rezepte ausprobierte und Fotos davon auf Instagram postete. Nicht einmal ihrer Familie. Momentan war das Gourmet-Catering eher Wunschdenken als ein Businessplan. „Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das erzähle. Bitte setzen Sie es nicht in die Zeitung.“

Seine Mundwinkel hoben sich. „Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.“

Beinahe wünschte Amanda, er würde wieder die gewohnte mürrische Miene auflegen. Er war zu attraktiv, wenn er lächelte. Zu charmant. Zu aufwühlend. Wer weiß, was dieses Lächeln mir als Nächstes entlockt?

Sie nahm einen Schluck Erdbeerlimonade, während er einen kleinen Notizblock aufschlug.

„Die Whitaker-Schwestern haben in höchsten Tönen über Sie gesprochen“, eröffnete er. „Erzählen Sie mir, wie es dazu gekommen ist, dass Sie ein Charity-Event für die beiden planen.“

„Ich helfe bei ‚Fellknäuel fürs Leben‘ seit etwa drei Jahren. Meistens montags, denn dann ist hier am wenigsten los. Als ich gesehen habe, wie viel Schaden der Tornado angerichtet hat, bin ich auf die Idee gekommen, etwas zu tun.“ Sie berichtete detailliert von ihren Plänen, angefangen beim Barbecue-Wettbewerb über verschiedene Spiele und Verlosungen bis hin zu Livemusik.

Ryan aß hin und wieder einen Bissen und machte sich Notizen. Alles wirkte wie ein ganz normales Interview. Zum Glück.

Als sie gerade fertig waren, klingelte sein Handy. Er blickte auf das Display. „Entschuldigung. Da muss ich rangehen.“

„Natürlich.“

„Hallo?“ Nach einer kurzen Pause bestätigte er: „Ja, ich bin Dillons Vater.“ Er lauschte einen Moment und runzelte die Stirn.

Sie wusste, dass sie sich zurückziehen sollte, anstatt dem Gespräch zu lauschen. Daher rutschte sie an das Ende der Sitzbank, um aufzustehen.

Doch dann passierte etwas völlig Unerwartetes. Ryan sah sie an, schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Hand. Bleiben Sie!

Er sprach es nicht aus. Es war nicht nötig. Sie sah die inständige Bitte in seinen Augen, spürte sie an dem verzweifelten Druck seiner Hand. Einer Hand, die nach etwas suchte. Nach Hilfe.

Amanda erstarrte. Unfähig, sich zu bewegen, unfähig, zu atmen, starrte sie auf seine Finger. Sie bemühte sich, nicht dem Gespräch zu lauschen, schnappte aber Bruchstücke auf. Worte wie Angst, Kummer und Schweigen.

Als er das Telefonat beendet hatte, blieb er eine ganze Minute reglos sitzen. Dann zog er seine Hand hastig zurück. „Entschuldigen Sie. Ich …“

Ihr Herz hämmerte. Sie versteckte ihre Hände unter dem Tisch auf dem Schoß. „Schon gut.“

„Es tut mir wirklich leid. Dillon hat Probleme in der Schule. Heute wollte er in der Pause nicht nach draußen gehen. Allmählich bin ich mit meiner Weisheit am Ende. Ich dachte, der Umzug hierher würde ihm guttun, aber allmählich bezweifle ich das.“

Ein Kloß stieg ihr in die Kehle. Sie schluckte und holte tief Luft. „Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. Es ist ein netter Ort. Vielleicht braucht er bloß etwas Zeit, um aus seinem Schneckenhaus zu kommen.“

Ryan blickte sie müde an. „Das könnte sich als Untertreibung des Jahrhunderts erweisen.“

„Haben Sie schon mal daran gedacht, ihn zu ‚Fellknäuel fürs Leben‘ mitzunehmen?“

Nachdrücklich schüttelte er den Kopf. „In unserem Haushalt herrscht auch ohne Haustier schon genug Chaos. Ich glaube nicht, dass ich derzeit auch nur mit einem Goldfisch umgehen könnte.“

Sie lachte. „Sie müssen ja kein Tier mit nach Hause nehmen. Aber der Besuch hilft Dillon vielleicht, sich hier einzuleben. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Umgang mit Tieren dazu beiträgt, Stress und Ängste abzubauen.“

„Ihre Argumente sind überzeugend.“ Ryan nickte nachdenklich. „Und Sie machen erstklassige grüne Tomaten.“

„Danke.“

„Vielleicht komme ich mit Dillon wirklich mal vorbei. Sie sind normalerweise montags da?“

„Stimmt.“

„Okay. Dann haben wir also …“ Er verstummte abrupt, ohne den Satz zu vollenden.

Doch die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft.

Dann haben wir also ein Date.

4. KAPITEL

„Hey, Kumpel, wir sind da.“

Ryan stellte den SUV auf dem Parkplatz von „Fellknäuel fürs Leben“ ab und spähte in den Rückspiegel. Dillon hockte auf seinem Kindersitz – mit derselben verschlossenen Miene, die er seit Tagen zur Schau trug.

Ryan seufzte. Er hatte keinen Freudentanz erwartet, sich jedoch den Anflug eines Lächelns erhofft. Einen winzigen Hauch von Begeisterung. Aber nichts dergleichen.

Er war nervlich am Ende. Das erklärte auch sein Benehmen beim Interview mit Amanda Sylvester. Wie unprofessionell, während eines Interviews für die Zeitung einfach ihre Hand zu ergreifen! So ein Fauxpas war ihm in seinem ganzen Leben noch nie unterlaufen.

Doch sie hatte etwas Reizvolles an sich, das über körperliche Anziehung hinausging. Ja, sie war schön. Sogar so schön, dass er nachts wach lag und an die sinnliche Wärme in ihren Augen und die Anmut in ihren Bewegungen dachte. Sie besaß ein Geschick dafür, die schlichtesten Aufgaben graziös auszuführen, ob sie nun einen Apfel schälte oder eine Torte mit Puderzucker bestäubte. Und ihr Südstaaten-Akzent ließ ihre Worte weich und geschmeidig wie geschmolzene Butter über ihre Lippen kommen.

Von alldem abgesehen, gab sie ihm aus unerfindlichen Gründen das Gefühl, mit ihr reden zu können.

Das war neu für ihn. Maggie hatte sich während ihrer gesamten Ehe über seine Unnahbarkeit und vor allem seine Schweigsamkeit beklagt. Was sein gegenwärtiges Dilemma mit Dillon umso ironischer erscheinen ließ. Er kommt nach dir. Du hast es ihm vererbt.

Er zwang sich zu lächeln. „Hast du Lust, ein paar Tiere zu streicheln?“

Dillon begegnete seinem Blick im Rückspiegel und nickte kaum merklich.

„Großartig!“, rief Ryan mit vorgetäuschter Fröhlichkeit und fragte sich insgeheim, wie lange er noch den Cheerleader spielen konnte. So lange, wie es braucht.

Er schnallte Dillon ab und hob ihn aus dem Auto. Hand in Hand gingen sie zu dem Gebäude, das noch genauso stark beschädigt war wie bei seinem Interview mit den Whitakers. Zum Glück war Amandas Hilfsaktion bereits für die folgende Woche geplant.

Als hätten seine Gedanken sie heraufbeschworen, tauchte sie hinter dem Maschendrahtzaun auf, der das Hauptgebäude umgab, und winkte ihm zu. „Hallo, Ryan. Hey, Dillon.“

Sie trug ein kariertes Top zu einer weißen Jeans und hielt in einer Hand eine rote Leine, die zu einem kleinen braunen Hund führte, der zu ihren Füßen lag.

Ryan winkte zurück und bemühte sich, die Wärme zu ignorieren, die bei ihrem Anblick in ihm aufstieg.

„Wir treffen uns in der Lobby. Sie müssen an der Rezeption einchecken. Ich führe Sie herum, sobald ich Tucker in seinen Zwinger gebracht habe.“ Sie zog an der Leine, doch der Hund rührte sich nicht.

Kein Wunder, dachte Ryan. Denn der kleine Strolch sah aus wie ein Schoßhündchen, das sich lieber in einer Tasche herumtragen ließ, anstatt auf seinen eigenen vier Beinen zu laufen.

Sie errötete vor Verlegenheit, hob Tucker auf und verschwand mit ihm.

Erneut spürte Ryan diese seltsame Anziehungskraft, die ihn neulich veranlasst hatte, ihre Hand zu nehmen. Und er fragte sich, was er überhaupt in diesem Tierheim zu suchen hatte.

Doch Dillon wirkte plötzlich leicht interessiert. Er guckte Amanda hinterher und grinste vage.

Ryan drückte ihm die Hand. „Komm, Kumpel. Gehen wir.“

In der Lobby tropfte noch immer an mehreren Stellen Wasser von der Decke, und es roch nach feuchten Wänden.

Ein älterer Mann saß mit einem winzigen roten Kätzchen auf dem Schoß am Empfang und grüßte lächelnd. „Willkommen bei ‚Fellknäuel fürs Leben‘.“ Er reckte den Hals, um Dillon zu sehen, der sich hinter Ryans Beinen versteckte. „Möchtest du Lucille mal streicheln, Junge? Sie ist ganz lieb.“

Ermutigend drängte Ryan: „Geh nur. Es ist okay. Deswegen sind wir hier.“

Wie durch ein Wunder funktionierte es. Zögerlich trat Dillon ein paar Schritte vor, bis das Kätzchen in Reichweite war. Sanft strich er mit den Fingerspitzen über das Köpfchen. Ein leises Schnurren ertönte, und er lächelte so strahlend wie seit Monaten nicht mehr.

Als Amanda zu Ryan trat, flüsterte er ihr zu: „Sie sind ein Genie.“

„Wohl kaum. Welches Kind liebt keine Tierbabys?“

„Nein, im Ernst.“ Er war nicht so naiv, zu glauben, dass es sich um einen Durchbruch handelte. Aber es war ein erhebender Moment. „Vielen Dank.“

„Freut mich, wenn ich helfen kann.“

Stille kehrte zwischen ihnen ein, so atemlos und erwartungsvoll, dass er den Blick abwenden musste, um nicht wieder etwas Verrücktes zu tun. Wie ihre Hand zu nehmen. Oder gar sie zu küssen. Er räusperte sich. „Ich sollte uns jetzt eintragen.“

„Nicht nötig.“ Amanda wandte sich an den Mann an Empfang. „Hans, die beiden sind mit mir hier.“

„Okay.“ Er zwinkerte Dillon zu. „Viel Spaß, mein Junge. Lucille bleibt so lange bei mir, falls ihr sie adoptieren wollt.“

„Wir wollen uns nur mal umsehen“, entgegnete Ryan automatisch. Dann sah er, wie Dillon die schmalen Schultern hängen ließ. Das gab ihm zu denken. Vielleicht wäre eine Katze gar nicht so schlecht. Die kann man doch auch mal allein lassen, oder?

„Das ist absolut kein Muss.“ Amanda beugte sich zu Dillon vor. „Willst du jetzt ein paar andere Tiere kennenlernen?“

Er nickte, und dann, als würde er sie schon sein Leben lang kennen, schob er eine Hand in ihre.

Die Wärme in Ryans Brust verwandelte sich in ein Sehnen, das sich nach Zuneigung anfühlte. Nach Verlangen. Nach einem dringenden Bedürfnis.

Er durfte sich nicht auf sie einlassen. Auf keinen Fall. Er war nach Spring Forest gekommen, um sich ganz darauf zu konzentrieren, ein guter Vater zu sein. Er hatte weder die Zeit noch die Energie für eine Beziehung.

Mit Amanda ein Interview zu führen und zu essen, war weitgehend ungefährlich. Händchen mit ihr zu halten, war ziemlich grenzwertig. Zu beobachten, wie sie mit seinem verstörten Sohn umging, war mehr, als er ertragen konnte.

Warum habe ich plötzlich das Gefühl, dass die Adoption eines Haustieres meine geringste Sorge sein könnte?

„Ich zeige dir erst mal die Nutztiere, bevor wir zu den Hunden gehen“, schlug Amanda vor, während sie mit Dillon an der Hand durch das Gebäude ging.

Ihr fiel auf, dass er bisher kein einziges Wort gesagt hatte. Soweit sie sich erinnerte, hatte er sich auch neulich abends im Diner in Schweigen gehüllt. Das arme Kind wirkte total verschüchtert, und etwas an seinen großen warmen Augen und dem süßen Grübchen im Kinn rührte sie an.

Vielleicht, weil er seinem Vater so ähnlich sieht. Verstohlen warf sie einen Blick zu Ryan, als sie das Gebäude verließen und in den strahlenden Sonnenschein traten. Seine honigfarbenen Augen wirkten geradezu hinreißend. Sie musste sich zwingen, sich abzuwenden.

Es ist kein Date, rief sie sich in Erinnerung. Sie war nur freundlich. Und so wundervoll seine Augen auch waren, aus ihnen sprach ein gewisser Weltschmerz. Welche Probleme Dillon auch immer in der Schule haben mochte, sie waren vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.

Amanda fragte sich, was in Washington geschehen sein mochte. In der Gerüchteküche von Spring Forest brodelte es so heftig, dass sie Ryan gegoogelt und herausgefunden hatte, dass er ein hohes Tier bei der Washington Post gewesen war. Sie war sogar auf ein Foto von ihm im Weißen Haus neben dem Präsidenten gestoßen. Dann war ihr etwas anderes ins Auge gefallen, das sie veranlasst hatte, den Laptop hastig zu schließen: eine wundervolle Frau an seiner Seite.

„Wir haben Schweine, Schafe, Ziegen und sogar zwei Lamas.“ Amanda deutete zur Weide.

Als Dillon sich auf die Zehenspitzen stellte, um über den Zaun zu spähen, hob Ryan ihn hoch und setzte ihn sich auf die Schultern.

Ihr rebellisches Herz schlug ein wenig schneller. Um sich von den Schwingungen zwischen Vater und Sohn abzulenken, wollte sie gerade in den Gästeführer-Modus umschalten, als sich eines der Lamas gegen den Zaun warf und aufgeregt tänzelte. „Das ist seltsam. Ich hab noch nie erlebt, dass Bean sich so benimmt.“

Ryan hüstelte und verzog das Gesicht. „Ich schon.“

„Wirklich? Wann?“

„Als ich letztes Mal hier war, um die Whitakers zu interviewen.“ Sein Gesicht nahm eine faszinierende Röte an. „Birdie meint, dass Bean auf mich steht.“

„Das ist ja interessant.“ Sie lachte, obwohl sie sich ein klein wenig mit dem Tier identifizieren konnte. „Und urkomisch.“

Er warf ihr einen hoffnungsvollen Blick zu. „Bitte sagen Sie mir, dass ich nicht der Einzige bin.“

„Ich fürchte, doch.“ Sie lachte noch lauter.

Sogar Dillon sah aus, als wollte er jeden Moment kichern.

Amanda beschattete sich die Augen mit einer Hand und spähte zu ihm hinauf. „Was meinst du? Sollen wir Mitleid mit deinem Dad haben und die Weide auslassen? Ich hab da ein paar Hunde, die darauf brennen, dich kennenzulernen.“

Er nickte mit leuchtenden Augen.

Plötzlich klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Lass dich nicht bezirzen! Sie schaffte es kaum, Zimmerpflanzen richtig zu versorgen. Sie konnte sich unmöglich eines alleinerziehenden Vaters und seines verstörten Sohnes annehmen. Außerdem war sie ziemlich sicher, dass Ryan ihre Hilfe nicht brauchte. Schließlich war er ein erwachsener Mann – wie ihr überdeutlich bewusst war.

Sie gingen in den Hundetrakt und wurden von den Welpen mit quiekenden Lauten und wedelnden Schwänzen begrüßt.

Amanda holte den einjährigen Labrador Charlie aus dem Zwinger, damit Dillon ihn streicheln konnte, denn die beiden schienen Gefallen aneinander zu finden. „Ich glaube, Charlie mag dich fast so sehr, wie Lama Bean deinen Dad mag.“

Ryan lachte. „Da könnten Sie recht haben.“

Dillon wich erschrocken zurück, als Charlie sich auf die Hinterbeine stellte und ihm mit seiner großen pinken Zunge über das Gesicht fuhr.

„Labradore sind in diesem Alter ziemlich stürmisch“, räumte sie ein.

Ryan flüsterte ihr zu: „Ich glaube, er ist eher ein Katzenmensch.“

„Wollen wir lieber ins Katzenzimmer gehen, Dillon?“, schlug sie vor. „Das ist gleich nebenan.“

Seine dunklen Locken tanzten, als er eifrig nickte.

Sie brachte Charlie in den Zwinger zurück und ging zum Katzenzimmer voraus. Inzwischen hatte sich der Hundebereich mit Interessenten gefüllt, was natürlich eine gute Sache war. Doch irgendwie ging Dillon in dem Durcheinander verloren.

Hektisch rief Ryan nach ihm und sah sich suchend um.

Seine beunruhigte Stimme ging Amanda unter die Haut. „Vor einer Sekunde war er noch hier. Er kann nicht weit weg sein.“ Sie packte ihn am Arm, als wäre es ganz natürlich, ihn anzufassen. Als hätte sie es schon unzählige Male getan. Ein Kribbeln schoss in ihren Arm und sie zog die Hand hastig zurück.

Ihre Blicke begegneten sich, hielten sich einen Moment gefangen, doch dann guckte er an ihr vorbei und sagte erleichtert: „Da ist er ja.“

Sie drehte sich um. Dillon stand vor dem letzten Zwinger und starrte aufmerksam hinein. „Oh.“ Das ist ja interessant.

Ryan hockte sich neben Dillon und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Hey, Kumpel, du hast mir einen Schrecken eingejagt. Ich dachte, du wärst verloren gegangen. Willst du nicht die Katzen sehen?“

Dillon schüttelte den Kopf und deutete zu Tucker, der still in einer hinteren Ecke saß. Wie gewöhnlich war er der einzige Hund im Tierheim, der sich weigerte, in seinem Zwinger nach vorn zu kommen und die Besucher zu begrüßen.

Fragend blickte Ryan zu Amanda.

„Das ist Tucker. Er ist ein bisschen …“, reserviert, griesgrämig, reizbar, „… scheu.“ Könnten Hunde die Augen verdrehen, würde er es jetzt tun.

Dillon rührte sich nicht vom Fleck, als hätte er soeben seinen neuen besten Freund entdeckt.

„Wenn du ihn streicheln willst, können wir es ja mal versuchen.“ Sie öffnete die Tür und suggerierte Tucker mit flehendem Blick: Sei lieb, Grumpy!

Wie durch ein Wunder funktionierte es. Ausnahmsweise musste sie ihn nicht mit einem Käsewürfel bestechen, um ihn aus der Ecke zu locken. Mit nie da gewesenem federndem Schritt lief er nach vorn.

„Das ist ein Chiweenie – halb Chihuahua, halb Dackel.“ Sie hob Tucker auf die Arme und hielt ihn fest, während Dillon ihm zögerlich den Kopf tätschelte.

Tucker konnte es überhaupt nicht leiden, irgendwo anders als am Rücken angefasst zu werden. Doch bevor sie erklären konnte, wie er gestreichelt werden wollte, schloss er genüsslich die Augen.

„Wow! Normalerweise mag er das überhaupt nicht“, murmelte Amanda verwundert.

Je mehr Dillon das grummelige Geschöpf streichelte, umso possierlicher wurde es.

„Wollen wir in einen Adoptionsraum gehen, damit die beiden sich in Ruhe kennenlernen können?“ Amanda wandte sich an Ryan. „Keine Sorge. Ich versuche nicht, Ihnen das Tier aufzuschwatzen. Aber ein gemütliches Plätzchen wäre nicht schlecht, oder?“

Er nickte, ohne den Blick von Dillons strahlendem Gesicht abzuwenden.

Autor

Marie Ferrarella

Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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