Collection Baccara Band 273

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DIE FARBEN DER LUST von WYLIE, TRISH
Gold für den Busen, oder doch besser ein dunkles Rot? In einem sexy Spiel lässt sich die Galeristin Angelina von dem attraktiven Gabriel bemalen. Immer erregter wird sie, als er sich plötzlich zurückzieht. Will er sich rächen, weil Angelina ihn einst verschmähte?

SERENAS VERFÜHRERISCHER TRAUM von HUNTER, KELLY
Serena hat einen Traum: Sie möchte eine berühmte Fotografin werden. Da haben Männer keinen Platz in ihrem Leben. Bis sie den faszinierenden Piloten Pete trifft. Ehe sie sich versieht, steckt sie mitten in einer heißen Affäre - mit einem Mann, der vom Heiraten träumt!

HEISSER FLIRT MIT EINEM FREMDEN von MCCUSKER, PENNY
Ein heißer Flirt mit dem gut aussehenden Fremden vom Nebentisch? Emmy ist nicht abgeneigt. Denn ein tiefer Blick in seine braunen Augen verheißt ihr eine Welt voller Leidenschaft. Doch dann muss sie entdecken, dass Nick ausgerechnet ihr neuer Klient


  • Erscheinungstag 06.02.2009
  • Bandnummer 0273
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956111
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

TRISH WYLIE

Die Farben der Lust

Leidenschaftlich erwiderte sie seinen Kuss, nur um ihn im nächsten Moment eiskalt abblitzen zu lassen. Nie hat Gabriel vergessen können, wie sehr ihn seine Jugendfreundin Angelina einst demütigte. Und als sie jetzt zurückkehrt nach Dublin, hat er nur eins im Sinn: Rache! Doch er hat nicht damit gerechnet, dass Angelina verführerischer ist denn je …

KELLY HUNTER

Serenas verführerischer Traum

In Griechenland trifft Pete die Frau seiner Träume. Hals über Kopf stürzt er sich in eine leidenschaftliche Beziehung mit Serena. Aber schnell stellt sie klare Regeln auf: Sie will eine Affäre – mehr nicht. Doch Pete ist das nicht genug. Er hat bereits unrettbar sein Herz an die dunkelhaarige Schönheit verloren …

PENNY MCCUSKER

Heißer Flirt mit einem Fremden

Blaue Augen, blonde Locken und das verführerischste Lächeln der Welt: Beim Anblick der bezaubernden Emmy weiß Nick sofort: Diese Frau muss er erobern! Doch je näher der gut aussehende Unternehmer seiner sexy Traumfrau kommen will, desto mehr zeigt sie ihm die kalte Schulter. Hat Emmy womöglich etwas vor ihm zu verbergen?

1. KAPITEL

Sie war wieder zu Hause. Und sie hatte sich in den vergangenen acht Jahren kein bisschen verändert. Oder doch?

Gabriel Burke hatte Angelina Fitzgerald nicht aus den Augen gelassen seit jenem Augenblick, als sie ihren großen Auftritt auf der glanzvollen Party ihrer Eltern hatte. Dafür hatte sie genau den richtigen Zeitpunkt gewählt – nicht zu früh, nicht zu spät. Das blassrosa Abendkleid betonte ihre aufregenden Rundungen. Gedankenvoll betrachtete er sie vom anderen Ende des weitläufigen Saals, während sie sich unentwegt lächelnd einen Weg durch die Menge bahnte. Ihre Augen glänzten genauso wie ihre Juwelen.

Was für ein Anblick.

Sie wirkte gelassener, als er sie in Erinnerung hatte. Aber er wäre jede Wette eingegangen, dass es unter der glanzvollen Oberfläche genauso brodelte wie eh und je.

„Du siehst echt klasse im Smoking aus.“

Gabriel grinste, als Alex, ihr Bruder, sich neben ihn an die Tür stellte. „Hast du nirgendwo eine Freundin, der du beweisen musst, was für ein toller Kerl du bist?“

„Sie unterhält sich gerade mit ihrem Lieblingsrockstar.“

Hochgewachsen, wie er war, konnte Gabriel über die Köpfe der anderen Gäste hinweg Merrow auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes erblicken. Gerade lachte sie über eine Bemerkung des älteren Mannes. „Pass lieber auf. Sie scheint seine Gesellschaft mehr zu genießen als deine.“

„Nee.“ Alex lachte. „Du hast ihn übrigens kennengelernt, als du dich um den Auftrag für die Hotelrenovierung beworben hast. Er ist etwa vierzig Jahre zu alt für sie. Außerdem sehe ich besser aus als er – selbst im Smoking. Warum sollte sie sich verschlechtern?“

„Du solltest ein bisschen forscher rangehen. Schon traurig, dass du in deinem Alter noch immer so schüchtern bist“, meinte Gabriel in väterlichem Tonfall.

Dabei waren beide im selben Monat dreißig geworden.

In einvernehmlichem Schweigen standen sie einige Minuten lang nebeneinander und betrachteten das Treiben im Saal, wobei Gabriel sich zwang, nicht ständig zu Angelina hinüberzublicken. Ihr neues Leben ging ihn nichts an; er brauchte nicht mehr auf sie aufzupassen.

Ausgerechnet in diesem Moment wollte Alex wissen: „Hast du Angelina gesehen?“

„Sie redet gerade mit deinem Cousin Richard.“ Die Antwort kam etwas zu schnell.

„Ich meine, seitdem sie wieder im Lande ist.“

Natürlich hatte er das. Gabriel spitzte den Mund und ließ ein paar Oliven über seine Handfläche rollen. „Nein.“

„Heute Abend sieht sie wirklich gut aus.“

Gut war nicht das Wort, das Gabriel benutzt hätte. Sexy wäre zutreffender gewesen. So wirkte sie auf jeden, der keine Ahnung hatte, was sich unter dieser faszinierenden Oberfläche verbarg. Gabriel wusste es. Und wenn sie noch so attraktiv wäre – sie wäre die Probleme nicht wert, die sie ihm beim letzten Mal beschert hatte. Warum fiel es ihm dann so schwer, sich von ihr abzuwenden? Gerade strich sie sich eine seidige Haarsträhne hinters Ohr.

„Sie ist Feuer und Flamme für ihre neue Galerie“, fuhr Alex fort. „Du solltest ihr sagen, dass du die Renovierung übernimmst. Grund genug, dass ihr beide wieder miteinander redet.“

Damit hatte Gabriel es ganz und gar nicht eilig. Wenn Alex ihn nicht nachdrücklich um diesen Gefallen gebeten hätte, dann hätte er den verdammten Auftrag überhaupt nicht angenommen. „Das wird sie noch früh genug erfahren.“

Alex nickte. „Na gut, auf der Baustelle werdet ihr euch wohl kaum über den Weg laufen. Dafür hast du schließlich deine Leute. Aber falls ich es noch nicht gesagt habe: Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du den Auftrag noch dazwischengeschoben hast – bei allem, was du zu tun hast. Der Familie liegt viel daran, dass sie zu Hause bleibt, und je eher die Galerie fertig und eröffnet ist, desto besser.“

Wieder zuckte Gabriel mit den Schultern. „Ich werde schon mit anpacken. Ist eine gute Gelegenheit, um zu sehen, ob ich das überhaupt noch hinkriege. Man wirkt nicht gerade überzeugend, wenn man die Leute zusammenstaucht, wenn man selbst seit Jahren kein Werkzeug mehr in die Hand genommen hat.“

„Das ist der Vorteil, wenn man der Boss ist, alter Knabe.“ Grinsend klopfte Alex ihm auf die Schulter.

Manchmal erschien es Gabriel als alles andere denn ein Vorteil, aber das erzählte er Alex lieber nicht, weil dieser ihn vermutlich ohnehin nicht verstehen würde. Alex hatte sich nie selbst die Hände schmutzig gemacht, wie Gabriel zu sagen pflegte. Einen Architekten mochte es befriedigen, wenn er seine Visionen Realität werden sah, aber das war nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das zumindest Gabriel empfand, wenn er selbst Hand anlegte.

Alex würde sich nur über ihn lustig machen. Es sei doch nichts anderes als Häuser aus Bauklötzen zusammenzubauen – nur in größerem Umfang. Aber Verhandlungen zu führen und Verträge zu unterschreiben war nach Gabriels Meinung nicht halb so befriedigend. Er liebte es nun mal, selbst anzupacken. „Deine Eltern steuern auf deine Freundin zu.“

Lachend blickte er Alex hinterher, der es auf einmal sehr eilig hatte. Erst als sein Blick auf Arthur Fitzgerald fiel, verdüsterte sich seine Miene. Wo immer das Familienoberhaupt auftauchte, schienen die Umstehenden zur Seite zu weichen, um ihm Platz zu machen.

Fitzgerald sah sich im Saal um – keiner, dachte Gabriel einmal mehr, schafft es, hochmütig und verbindlich zugleich auszusehen. Das Geheimnis seines Erfolgs?

Zähneknirschend musste Gabriel sich eingestehen, dass er dem alten Mann zumindest teilweise auch seinen eigenen Erfolg verdankte. Aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Er lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete die Reichen und Berühmten in ihrer natürlichen Umgebung. Wie konnten die sich nur in ihrer eleganten Kleidung wohlfühlen, mit einem Glas teuren Champagners in der Hand, während er am liebsten seine Fliege lockern, das Jackett über die nächste Stuhllehne hängen und sich auf die Suche nach einem Bier machen wollte? Das lag vermutlich in seinen Genen.

Wenigstens musste er keinen Smalltalk machen, solange er am Rand stand. Das war doch auch schon etwas.

Aber seine Ruhe währte nicht lange. Unwillkürlich richtete er sich auf, als er eine vertraute Stimme hörte, deren Klang sofort ein Ziehen in seiner Lendengegend verursachte.

„War Alex nicht gerade bei dir?“

„Ja.“

„Weißt du, wo er ist?“

Er glaubte, einen Ton von Nervosität in Angelinas Stimme zu hören, und ein Blick aus seinen Augenwinkeln bestätigte seine Vermutung. Offenbar scheute sie sich, ihm ins Gesicht zu sehen. Eins zu null für ihn.

Lässig am Türrahmen lehnend, drehte er den Kopf zu ihr und verschränkte die Arme vor der Brust. „Soll ich etwa auf alle Fitzgerald-Kinder aufpassen?“

Ihre haselnussbraunen Augen wurden schmal. „Willst du da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“

„Ich lasse mich von dir nur nicht so leicht wie die anderen hier im Raum täuschen, das ist alles …“ Er kam näher und fuhr mit leiser Stimme fort, „… aber schließlich kenne ich dich ja auch besser, oder?“

Sie zögerte kurz, ehe sie die Lippen zusammenpresste und sich im Saal umschaute. Dann trat sie einen Schritt näher und sah durch ihre langen Wimpern zu ihm auf. Der Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase, während sie mit ebenso leiser Stimme antwortete. „Ja. Aber das werde ich nicht auf der Party meiner Eltern mit dir diskutieren. Vielleicht sollten wir uns aufs Wetter beschränken?“

„Wir sind in Irland. Es hat geregnet.“

Um ihre Mundwinkel zuckte es. „Das hätten wir also abgehakt. Was willst du als Nächstes versuchen – Wirtschaft? Politik? Ich bin da ganz offen …“

„Glaubst du wirklich, dass ich Lust auf Smalltalk habe?“

Sie legte den Kopf schräg. Eine dunkelblonde Locke fiel auf ihre Brust. „Du hasst diese Partys noch immer, stimmt’s?“

„Kommt drauf an, mit wem ich rede.“

Sie schnitt eine Grimasse. „Ich habe dich auch vermisst, Gabriel.“

Er stieß sich vom Türrahmen ab. „Hast du schon Alex’ neue Freundin kennengelernt?“

Sie entzog ihm ihren Ellbogen, als er versuchte, sie durch die Menge zu führen. „Du brauchst mich nicht vorzustellen. Das kriege ich schon selbst hin. Ich habe es schließlich oft genug gemacht. Außerdem weiß ich mich zu benehmen.“

„Ich erinnere mich nur an die letzten Partys, wo ich dich immer wegbringen musste, ehe die Polizei anrückte. Woher also soll ich wissen, wie du dich unter Erwachsenen benimmst?“

Angelina seufzte. „Darf ich dich daran erinnern, dass du freiwillig den Helden gespielt hast? Ich habe dich nie darum gebeten …“

Sie unterbrach sich, um mit einigen Frauen zu reden, die sie mit Luftküssen begrüßten – eine Angewohnheit, die Gabriel auf die Nerven fiel. Nachdem er ungefähr ein halbes Dutzend Mal die Wörter „wundervoll“ und „fantastisch“ gehört hatte, reichte es ihm. Als er sah, dass Alex seine Eltern von Merrow fortbugsierte, nutzte er die Gelegenheit.

Erneut umklammerte er Angelina am Ellbogen und empfand eine fast diebische Freude, als sie erschrocken zusammenfuhr, weil er den anderen mit seinem charmantesten Lächeln verkündete: „Ich muss Ihnen Angelina leider für eine Weile entführen.“

Kaum waren sie ein paar Schritte gegangen, befreite sie sich mit einer ruckartigen Bewegung aus seinem Griff, der heiß auf ihrer weichen Haut brannte. „Du brauchst nicht auf mich aufzupassen – ich schaffe das wirklich allein.“

„Sei nett zu Merrow – dein Bruder wird es dir danken. Es wäre ein Beweis, dass du wirklich erwachsen genug bist, um andere Menschen nicht vor den Kopf zu stoßen.“

Diesmal seufzte Angelina tiefer, und Gabriel versuchte, ihren tiefen Ausschnitt und die vollen Brüste zu ignorieren, deren Spitzen sich gegen den weichen Stoff ihres Kleides abzeichneten. Leider war er weder blind noch ein Eunuch. Der Anblick erregte ihn, worüber er alles andere als erfreut war.

„Das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren und dem umwerfenden Kleid?“, fragte Angelina.

„Wie soll ich das beurteilen? Für mich ist es einfach nur ein Kleid.“ Genau wie das Kleid, das er ein paar Sekunden zu lange betrachtet hatte. Seine Stimme klang gereizt. Er holte tief Luft. „Ja, sie hat kastanienbraunes Haar, wenn dir das weiterhilft.“

Abrupt blieb Angelina stehen, während sie sich umschaute. „Hast du etwa vor, mich den ganzen Abend zu beobachten und den Anstandswauwau zu spielen?“

Er beugte sich zu ihr hinunter. Um nicht auf ihren Ausschnitt zu starren, betrachtete er die Menschen, die um sie herumstanden. „Kommt drauf an. Wenn du wieder in die Bredouille gerätst, werde ich dich natürlich retten – ganz wie in alten Zeiten.“

Als er sich wieder aufrichtete, lächelte Angelina einem Bekannten kurz zu. Dann sah sie Gabriel ins Gesicht. „Ich weiß, dass du keine besonders guten Erinnerungen an mich hast, aber könnten wir nicht wenigstens versuchen …“

Freunde zu sein?“ In seinem Blick lag verblüffte Ungläubigkeit.

„Da wir es leider nicht vermeiden können, uns bei solchen Anlässen über den Weg zu laufen, sollten wir vielleicht …“

„Hat dir noch niemand gesagt, dass Männer und Frauen nicht befreundet sein können?“

„Das glaubst du wirklich?“

„Ich weiß es aus Erfahrung. Wenn du damit andeuten willst, dass wir uns anderweitig arrangieren sollen …“

Sie wurde rot, und Gabriel lächelte triumphierend. Endlich hatte er ihr’s gegeben, nachdem sie ihm jahrelang überlegen gewesen war. Hinzu kam, dass er nicht länger vom Wohlwollen ihrer Familie abhängig war. Er hatte seine Schulden bezahlt und keinerlei Verpflichtungen ihr noch sonst einem Fitzgerald mehr gegenüber.

Falls sie also vorhatte, sich erneut mit ihm einzulassen, würde sie ganz schön auf Granit beißen …

Er blickte ihr hinterher, als sie mit schwingenden Hüften davonging. Ihr Abendkleid schmiegte sich an ihren Körper. Das lange Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern, und ihre Locken hüpften auf und ab, während sie die Freundin ihres Bruders herzlich begrüßte.

Ja, Angelina war noch immer so, wie er sich an sie erinnerte, aber sie war auch erwachsen geworden, und mehr als das. Unter normalen Umständen hätte ihn eine quirlige, willensstarke und attraktive Frau durchaus gereizt. Und die Aussicht auf Rache war auch nicht zu verachten …

Als er Merrow erreichte, hörte er sie sagen: „Ich bin Angelina Fitzgerald, die Schwester von Alex.“

„Angelina, die Nervensäge“,murmelte er im Vorübergehen in Merrows Ohr.

Dann steckte er sich eine der Oliven in den Mund, die er die ganze Zeit auf seiner Handfläche balanciert hatte, und grinste Angelina provozierend an.

Mit der linken Hand machte sie eine abfällige Geste, während sie mit der rechten Merrows Hand schüttelte. Dabei sprach sie so laut, dass er ihre Worte hören musste. „Tu einfach so, als sei er Luft. Ich habe das jahrelang gemacht.“

Gabriel trat einen Schritt zurück und flüsterte ihr ins Ohr, sodass es kein anderer hören konnte: „Bis auf dieses eine Mal. Ich hatte den Eindruck, dass ich alles andere als Luft für dich war, als du mich geküsst hast. Und wer weiß, was passiert wäre, wenn deine Freundinnen uns nicht gestört hätten?“

Wieder wurde sie rot, als sie sich zu ihm umdrehte. Der Blick in ihren Augen verhieß nichts Gutes, während Gabriel wie zufällig auf ihren Mund sah. Grimmig flüsterte sie zurück: „Das werden wir nie erfahren. Selbst wenn wir die letzten Menschen auf der Erde wären – so etwas würde nie wieder passieren. Das kannst du mir glauben.“ Sie funkelte ihn wütend an.

Ungerührt ging er weiter. Ob sie sich dessen bewusst war oder nicht – sie hatte ihn mit dem Wort nie herausgefordert. Das würde man ja sehen …

Angelina blieb nicht viel Zeit, eine neue Freundschaft zu schließen, denn kurz darauf kam Gabriel mit einem voll beladenen Teller vom Büffet zurück. Sie holte tief Luft, um ihre Nervosität zu verbergen. Der Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase.

„Will sie dich auch für ihre Terror-Kampagne rekrutieren, Merrow? Ich hoffe, du hast einen guten Anwalt.“

Gabriel konnte Angelina noch so sehr provozieren – sie würde keinen Streit vom Zaun brechen, nachdem sie bislang den ganzen Abend Haltung bewahrt hatte. Stattdessen versetzte sie ihm mit dem Ellbogen einen Stoß in den Magen, sodass ein Horsd’œuvre von seinem Teller fiel. „Momentan bräuchte ich einen Anwalt, um eine einstweilige Verfügung zu erwirken, damit du mir vom Leib bleibst.“

Nicht gerade die coolste Art zu beweisen, dass man erwachsen ist, dachte Angelina sofort. Leider war es viel zu einfach, sofort in die Rolle als Gabriels Sparringspartner zurückzufallen, wenn er offenbar glaubte, dass sie sich kein bisschen verändert hatte. Aber kannte er sie überhaupt noch? Über ihn wusste sie nichts –jedenfalls nicht mehr, als dass er während der vergangenen acht Jahre eine glänzende Karriere gemacht hatte, nachdem sie sozusagen bei Nacht und Nebel von zu Hause weggelaufen war.

Außerdem sah er noch besser aus als damals. Als sie ihn unter all den zahlreichen Partygästen entdeckte, hatte sie den Atem angehalten, und während des ganzen Abends hatte sie ihn unentwegt verstohlen beobachtet. Was nicht schwer gewesen war; denn er hatte unübersehbar an der Tür gestanden und so ausgesehen, als wäre er auf dem Weg zu einer anderen, amüsanteren Party mit interessanteren Gästen. Natürlich trug auch der Smoking zu seinem umwerfenden Aussehen bei, aber selbst in T-Shirt und Jeans machte er eine ausgezeichnete Figur. Er sah einfach klasse aus, und er war so verflucht …

„Ah, der Kampf geht weiter.“ Ihr Bruder legte den Arm um die Taille seiner Freundin und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, ehe er einige Happen von Gabriels Teller stibitzte. „Kaum zu glauben, dass sie sich acht Jahre lang nicht gesehen haben, was?“

Gabriel hielt seinen Teller außer Reichweite. „Hol dir selbst etwas, Kleiner. Das Büfett ist das drüben.“

Angelina musste unwillkürlich lachen. Das war vertrautes Gelände und vor allem kein vermintes. Sie dachte daran, wie schön es früher gewesen war. Dabei war nicht zu übersehen, dass Gabriel Burke zu den beiden Fitzgerald-Kindern Beziehungen hatte, die so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Andererseits, wenn sie hartnäckig genug blieb … Mit hochgezogenen Brauen betrachtete sie Gabriels beladenen Teller. „Hast du wirklich noch etwas für ihn übrig gelassen?“

„Ich bin in der Wachstumsphase.“

„Wenn du noch größer wirst, müssen die Decken erhöht werden.“

Ein Witz angesichts der hohen Räume in dem jahrhundertealten Haus. Aber dieser Mann war wirklich sehr groß – mindestens ein Meter neunzig. Und selbst der gut geschnittene Smoking konnte die Muskelpakete nicht verbergen. Dazu sein strubbeliges schwarzes Haar, strahlend blaue Augen und die Andeutung eines Lächelns, das seine vollen Lippen umspielte … kein Wunder, dass ihr bei seinem Anblick der Atem gestockt hatte.

Angelina war sich seiner Anwesenheit sehr bewusst, und das erklärte auch, warum ihre Handflächen plötzlich feucht waren, ihr Puls schneller schlug und es im Saal auf einmal einige Grade wärmer geworden war.

Aber vielleicht machte sie dieses Wiedersehen einfach nur nervös? Schließlich konnte sie ihm seine Abneigung ihr gegenüber kaum verübeln.

„Von guten Dingen kann man nicht genug kriegen. Manchmal spielt die Menge eben doch eine Rolle.“

Angelina sah ihm in die Augen, die amüsiert funkelten. Auch sie musste lachen, nachdem sie sich mit einem Blick zu ihrem Bruder und Merrow vergewissert hatte, ob sie seine anzügliche Bemerkung auch gehört hatten. Aber sie waren viel zu sehr miteinander beschäftigt, um auf ihre Umgebung zu achten.

„Ich dachte immer, es hieße, Größe spiele keine Rolle“, sagte Angelina. Und wurde sofort knallrot.

Ungerührt kaute er weiter. „Damit trösten die Frauen nur ihre Männer, wenn gewisse Dinge zu kurz geraten sind …“

Mit offenem Mund starrte Angelina ihn an. „Ich kann nicht glauben, dass du das in aller Öffentlichkeit gesagt hast.“

„Hab ich auch nicht. Ich rede nur mit dir.“

Angelina blickte sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand ihre Unterhaltung mitbekam. Den ganzen Abend über hatte sie darauf geachtet, sich standesgemäß zu benehmen und keinen Fauxpas zu begehen, wofür sie geradezu berüchtigt war. Vielleicht wäre es doch sicherer, das Thema wieder auf Wirtschaft und Politik zu bringen. Doch sie konnte dem Köder nicht widerstehen. „Ach ja? Und du weißt das, weil …“

„Na ja, du müsstest besser darüber Bescheid wissen als ich …“ Er schluckte, lächelte und lud seine Gabel erneut voll, „… wenn man bedenkt, mit welchen Jungs du ausgegangen bist, als du noch hier warst. Der letzte hat seine Defizite ja mehr wettgemacht, als dir lieb sein konnte, oder?“

Ihr Unterkiefer fiel noch tiefer herunter. „Du verd…“ Das abrupte Ende von Merrows und Alex’ Gespräch hielt sie davon ab, ihren Satz zu beenden.

„Ich überrede deine Schwester gerade dazu, mir jedes noch so peinliche Detail aus deiner Kindheit zu erzählen – nur damit du’s weißt.“

Alex schlug sich vor die Brust. „Meine Kindheit? Na dann viel Spaß. Ich war ein Musterknabe.“

Gabriel grinste. Angelina sandte ihm einen warnenden Blick zu, ehe sie zu Merrow sagte: „Entsetzlich kommt der Wahrheit viel näher.“

„Du warst der Ausgleich.“

Sie ignorierte die spitze Bemerkung. „Aber ich kann dir sehr viele peinliche Bilder zeigen, wenn du möchtest.“

Angelina würde alles tun, um von diesem ungehobelten Kerl wegzukommen. Den ganzen Abend bemühte sie sich, den Erwartungen ihres Vaters zu entsprechen, und dieser Mann neben ihr erinnerte sie permanent daran, was für eine Enttäuschung sie für ihre Familie gewesen war. Sie hatte ständig gelächelt und sich so elegant wie möglich in diesem unbequemen Kleid bewegt, das sie am liebsten sofort gegen Jeans und ein schlabberiges T-Shirt getauscht hätte, in denen sie sich wie befreit fühlen würde.

Und wenn sie so leben könnte, wie sie wollte, hätte sie ihren Entschluss, aus Frankreich zurückzukehren, wo sie zum ersten Mal sie selbst sein konnte, im Nachhinein nicht bereut.

Gabriel Burke mochte sich äußerlich verändert haben, aber im Prinzip war er immer noch derselbe geblieben, der sie in null Komma nichts auf die Palme bringen konnte. Gerade hatte er es wieder einmal bewiesen. Aber sie würde sich nicht mehr provozieren lassen. Sollte er doch zur Hölle fahren! Sie hatte versucht, nett zu sein und sich zivilisiert mit ihm zu unterhalten, doch er hatte den Kampf sofort wieder aufgenommen.

Wie an jenem Tag, der ihre Freundschaft für immer verändert hatte. Als er einundzwanzig und sie siebzehn war. Damals waren sie auf einer Party gewesen, und er hatte sie dabei erwischt, wie sie im Park einen Jungen küsste, an den sie sich kaum noch erinnern konnte.

Doch sie hatte nie vergessen, was danach passiert war …

2. KAPITEL

Sie hatten sich gestritten, während Gabriel sie über den Rasen zerrte. „Aber ich liebe ihn“, hatte sie protestiert.

„Du bist gerade mal siebzehn, verdammt noch mal. Was weißt du schon von Liebe?“

„Er liebt mich!“

Gabriel umklammerte ihre zierliche Hand. „Ihm geht es nicht um Liebe, Angelina. Das kannst du mir glauben.“

Angelina bohrte die Fersen in den Rasen, doch ungerührt zog er sie weiter. Fast wäre sie dabei hingefallen. „Du hast doch keine Ahnung. Du hast ja noch nicht mal eine Freundin.“

Im nächsten Moment prallte sie gegen seinen Rücken. Er wirbelte sie herum und hob sie einfach hoch. Ihr blieb die Luft weg. Sein Gesicht war undeutlich, nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Sie verabscheute ihn abgrundtief. Welches Recht hatte er, ihr vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hatte? Sie fühlte sich unendlich gedemütigt, weil er Miles aus ihren Armen gerissen und vertrieben hatte.

Das war ihr Leben! Und er war gerade dabei, es zu zerstören.

„Ich habe keine Zeit für eine Freundin. Einige Menschen müssen schließlich arbeiten, um Geld zu verdienen. Und außerdem muss ich ständig auf dich aufpassen, damit du keine Dummheiten machst.“

Er klang wirklich wütend. Aber das war ihr egal. „Lass mich runter.“

„Nein.“

„Sofort.“

„Nein.“ Er trug sie zu der alten Schaukel, die von einer alten Eiche herunterhing, setzte sich darauf und Angelina auf seinen Schoß. „Es ist zu deinem eigenen Besten, dass du das verstehst – dieser Kerl hat dich bestimmt nicht in die dunkelste des Parks geschleppt, um dir seine immerwährende Liebe zu gestehen. Der hatte etwas ganz anderes mit dir vor.“

„Nein, er liebt mich. Ich weiß es.“

„Und woher? Du kennst ihn doch gerade erst zwanzig Minuten.“ Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Klammergriff zu befreien. „Nur weil er es gesagt hat?“

„Ja.“ Sie zappelte noch mehr und trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. „Das spürt man, wenn dich einer so küsst.“

Gabriel lachte höhnisch. „Das ist unmöglich.“

„Ist es nicht.“

„Doch.“

„Nein.“ Und dann beging sie einen entscheidenden Fehler. „Ich wette, dass ich nicht das Geringste spüren würde, wenn du mich küsst.“

Er schloss die Arme noch fester um sie, sodass sie kaum noch atmen konnte, und sie krallte sich an seinem Hemd fest, um auf der hin und her schwingenden Schaukel das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Wetten, dass doch? Wenn ich dich küsse, hast du die gleichen Gefühle, wahrscheinlich noch bessere. Aber mit Liebe haben die nichts zu tun.“

Der zweite Fehler: „Dann beweis es doch. Küss mich, wenn du so überzeugt davon bist …“

Und Gabriel küsste sie.

Das Gefühl schlug wie eine Woge über ihr zusammen. Ein Sturm der Empfindungen, wie sie ihn nie zuvor erlebt hatte. Es war einfach unbeschreiblich. Sie wollte zurückweichen, aber er vergrub die Finger in ihrem Haar und küsste sie.

Seine vollen Lippen waren warm, fest und fordernd, und Angelina küsste zurück, ohne lange darüber nachzudenken. Es fühlte sich so … richtig an … nicht so, als ob sie eine Grenze überschritten … es war einfach nur fantastisch.

Und sie wollte mehr davon.

Als sie versuchsweise mit der Zungenspitze über seine Unterlippe fuhr, stöhnte er tief auf. Eine Warnung? Ein Protest? Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie wusste es nicht. Es war so ganz anders als Miles’ Kuss. Nichts von dem, was sie nun empfand, hatte sie bei ihm gespürt.

Doch als Gabriels Griff fester wurde und sein Kuss leidenschaftlicher, wusste sie, dass sie überhaupt nichts falsch gemacht hatte. Jetzt spielten ihre Zungen miteinander, und eine Flamme schoss durch ihren Körper. Fast hätte sie vor Lust laut gestöhnt. Sie ließ sein Hemd los, verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und zog ihn ganz fest an sich.

Um näher zu kommen, rutschte sie auf seinem Schoß hin und her; die Schaukel setzte sich in Bewegung, und Gabriel stoppte die Schwingungen mit den Füßen. Seine Hand lag auf ihrem Bein, wanderte höher, unter den weichen Stoff ihres Kleides, streichelte ihre Schenkel, die zarte Haut auf der Innenseite …

Und jetzt stöhnte Angelina tatsächlich. Sie konnte nichts dagegen tun. Es war einfach zu viel und doch nicht genug. Er berührte sie auf eine Weise …

Ihr Puls raste; die Nervenenden auf ihrer Haut kribbelten. Ihr Körper reagierte auf so unbekannte und seltsame Weise, dass es besser gewesen wäre, wenn sie Gabriel daran gehindert hätte, weiterzumachen …

Es war bestimmt nicht gut, dass seine Hand noch höher wanderte, dass sie am liebsten die Beine gespreizt hätte, um ihm mehr Bewegungsfreiheit zu bieten …

Ihr wurde ganz schwindlig. Sein frischer Duft stieg ihr in die Nase, ganz merkwürdige Dinge gingen in ihrem Körper vor, und sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.

Das war Gabriel – ihr Gabriel! Wie konnte er ihr so etwas antun? Warum machte er das? Wusste er nicht, dass sie ihm nie wieder ins Gesicht blicken könnte, wenn er diese Gefühle in ihr weckte? Wie konnte er bloß?

Wie aus weiter Ferne hörte sie ein Kichern, und dann: „Oh Gott! Das ist ja gar nicht Miles! Wer ist das?“

„Angelina, was tust du da? Bist du verrückt geworden? Das ist der Sohn vom Hausmeister.“

Und dann wurde es wirklich unerfreulich.

Ein Goldfisch als Haustier wäre wesentlich bequemer, dachte sie, als sie auf der Suche nach Moggie, der sich sofort in das weitläufige Herrenhaus verliebt hatte, von Zimmer zu Zimmer lief. Kaum war der Hund aus dem viel zu kleinen Wagen gesprungen, mit dem sie die viel zu lange Strecke von Paris nach Dublin zurückgelegt hatte, war Moggie durch sämtliche Räume gesaust. Und der riesige Park, der das Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert umgab, kam seiner Vorstellung von einem Paradies sehr nahe. Ein Paradies, nach dessen ausgiebigem Besuch ein ebenso ausgiebiges Bad notwendig war.

Deshalb hatte sie ihn in der vergangenen Nacht während der Party in einen Stall gesperrt.

Ein lautes Poltern war zu hören, gefolgt von unterdrücktem Fluchen. Jetzt hatte der Hund womöglich jemanden umgebracht oder zumindest verstümmelt. Angelina schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Wer immer das Opfer war – hoffentlich verklagte er sie nicht, nur weil sie eine Fitzgerald war. Sie stand ohnehin schon tiefer in der Schuld ihres Vaters, als sie es jemals gewollt hatte.

Schnell drehte sie sich um und lief barfuß durch die Halle. Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen, als sie Gabriel entdeckte. Er lag auf dem Rücken und lachte schallend, während er ausgelassenen mit Moggie raufte.

Sein Lachen hatte etwas Faszinierendes.

Wann hatte sie ihn zuletzt so lachen gehört? Er sollte es öfter tun, überlegte sie, mit diesem glucksenden Geräusch, das tief aus seiner Brust zu kommen schien und von den hohen Wänden des Raumes widerhallte. Seine blauen Augen blitzten, und er zeigte zwei Reihen strahlend weißer Zähne, die einen reizvollen Kontrast zu seiner gebräunten Haut bildeten.

Es erinnerte sie an den Gabriel ihrer Kindheit, und unwillkürlich musste sie lächeln. Noch während er mit dem Hund umhertollte, trafen sich ihre Blicke, und sein Lachen erstarb.

Natürlich!

Angelina verdrehte die Augen, machte einen tiefen Atemzug und zeigte mit dem Handtuch in der Hand auf Moggie.

„Er ist mir entwischt.“

Gabriel kraulte den Hund hinterm Ohr. „Ein kluges Tier.“

„Er hat den Komposthaufen im Garten entdeckt und sich darin herumgewälzt. Er musste unbedingt gebadet werden, ehe er wieder ins Haus …“ Warum entschuldigte sie sich bloß? „Offenbar mag er dich. Na ja, über Geschmack lässt sich eben nicht streiten.“

Gabriel sprang auf und wischte sich die Hände, die nass von Moggies Fell waren, an den engen Jeans ab. „Tiere und kleine Kinder … was soll man dazu sagen?“

„Keine Regel ohne Ausnahme.“

Sein durchdringender Blick ließ ihren Puls schneller schlagen – vor allem, als er ihre Brüste betrachtete, deren aufgerichtete Spitzen sich deutlich unter dem durchnässten T-Shirt abzeichneten.

Menschen, die andere Menschen nicht mochten, reagierten normalerweise nicht so beim Anblick des anderen.

Sein Blick wanderte tiefer über das an ihrem Bauch verknotete T-Shirt, die nackte Haut an ihren Hüften und ihre Beine, die in abgeschnittenen Jeans steckten.

Egal, wohin er guckte: Angelina hatte das Gefühl, als würde seine Hand sie dort berühren. Sie ärgerte sich über ihre Reaktion, musste sich aber eingestehen, dass es einen sehr triftigen Grund dafür gab: Er sah unverschämt attraktiv aus.

Mistkerl!

Schützend verschränkte sie die Arme vor der Brust und legte den Kopf schräg.

Natürlich war Gabriel ihre Reaktion nicht entgangen. Grinsend tätschelte er Moggie ein letztes Mal, bevor er begann, die Stühle aufzuheben, die er bei seinem Sturz umgeworfen hatte.

Schwanzwedelnd lief Moggie hinter ihm her.

Verräter.

Trotzdem konnte Angelina den Blick nicht von Gabriel wenden. Dabei war er nicht der einzige gut aussehende Mann, der ihr über den Weg gelaufen war.

Warum fühlte sie sich in seiner Gegenwart auf einmal so … weiblich? Vergiss es! Sie schüttelte den Kopf und holte tief Luft. Mochte er noch so attraktiv sein und ihr Körper heftig auf seine Nähe reagieren – es würde nichts ändern.

Er war und blieb Gabriel.

Angelina hob den nächstliegenden Stuhl auf und stellte ihn auf den Stapel. Sie spürte, dass er sie aus den Augenwinkeln musterte.

Nach dem nächsten Stuhl hatte sie das Gefühl, etwas sagen zu müssen, um das Schweigen zu beenden. „Sind noch mehr da drin?“

„Jede Menge“, antwortete Gabriel, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen. „Warum? Sag bloß, du willst helfen?“

„Viele Hände, schnelles Ende – wusstest du das noch nicht?“ Und während sie nach einem weiteren Stuhl griff, murmelte sie leise: „Und ein baldiges Ende wäre mir sehr recht.“

Offenbar war sie nicht leise genug gewesen. „Vorsicht, Angelina. Nachher muss ich noch denken, dass ich dir nichts mehr bedeute.“

Jetzt fing er wirklich an, sie zu ärgern. Heftiger als nötig rammte sie den Stuhl auf den Stapel. „Wann hättest du mir jemals etwas bedeutet?“

„Dein Gedächtnis ist ziemlich schwach.“ Er schnalzte mit der Zunge, was Angelina noch mehr reizte. „Ich erinnere mich an Zeiten, als du mich ‚mein Gabriel‘ genannt hast …“

„Damals war ich vier. Da glaubte ich auch noch an die Zahnfee. Zugegeben, dein Zauber hat etwas länger gewirkt, aber irgendwann hat er auch nachgelassen.“

Eine kräftige Hand umfasste ihre, als sie gerade einen neuen Stuhl packen wollte, und wärmte ihre kühle Haut. Es knisterte zwischen ihnen, als er sich zu ihrem Ohr hinunterbeugte und eine Haarsträhne wegblies, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. „Aber vom letzten Mal ist doch noch genug Zauber übrig geblieben, oder nicht?“

Es pochte in ihren Ohren, als er noch einen Schritt näher trat. Als ihr ein schwacher Moschusduft in die Nase stieg, hätte sie am liebsten die Augen geschlossen.

„Bis du gemerkt hast, wer dich geküsst hat.“

Angelina schluckte hart und entzog ihm ihre Hand. „Okay, eins zu null für dich. Damals habe ich ziemlich unbedachte Dinge zu dir gesagt. Aber ich habe mich geirrt, klar?“

Zweifellos wuchs mit dem Alter die Fähigkeit, Fehler zuzugeben. Aber warum fand sie ihn so unwiderstehlich, und warum reagierte ihr Körper so heftig auf ihn?

Gabriels Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als sie einen Schritt zurücktrat. Das war eine neue Taktik. Sie hatte es tatsächlich geschafft, so zu klingen, als bereute sie es, als ob es ihr … leidtäte. Nein, das stimmte nicht. Während er sie aufmerksam betrachtete, entgingen ihm ihre feuchten Lippen nicht, ihr heftiges Atmen, das Feuer in ihren Augen …

„Also, wenn das der Grund für deinen Hass auf mich sein soll … Ist das nicht ein bisschen schwach? Kinder können grausam zueinander sein, aber wir sind doch erwachsene Menschen.“

Da hatte sie wohl recht. Gabriel musste über seine eigene Dummheit grinsen und drohte Angelina mit dem Finger, während er einen weiteren Stuhl auf den Stapel stellte. „Das ist gut. Beinahe hättest du mich überzeugt. Einen Moment lang habe ich wirklich geglaubt, du würdest dich entschuldigen. Doch der Begriff kommt in deinem Wortschatz nicht vor.“

„Aber in deinem, was?“

Gabriel drehte sich um und vergrub die Hände in seinen Hosentaschen. Es kostete ihn einige Mühe, ihr nur ins Gesicht und nicht auf ihren Körper zu sehen.

„Ich musste mich nie so oft entschuldigen wie du.“

Wieder flackerte Bedauern in ihren Augen auf. Was für ein Spiel spielte sie dieses Mal mit ihm? Sie zog einen Schmollmund und verschränkte die Arme erneut vor der Brust, was seinen Blick auf ihr fast getrocknetes T-Shirt lenkte. Schade, er würde die rosigen Spitzen ihrer Brüste nicht mehr sehen können, selbst wenn sie die Arme sinken ließ.

Gabriel musste zugeben, dass sie jetzt eine ganz andere Ausstrahlung hatte als am Abend zuvor. Keine Spur von Eleganz und unnahbarer Schönheit; stattdessen wirkte sie schlicht und von natürlicher Anmut wie das sprichwörtliche Mädchen von nebenan. Die Locken, die ihr in die Stirn und ungebändigt über die Schultern fielen, ließen sie noch mal so reizvoll aussehen.

Ihre knappe Kleidung – abgeschnittene Jeans, die ihre Beine unendlich lang erscheinen ließen, das über dem Bauch verknotete T-Shirt – unterstrich diesen Eindruck noch. Wie würde es sich anfühlen, wenn diese Beine ihn umschlangen? Wie wäre es wohl, ihre Haut zu küssen?

Ungnädig riss sie ihn aus seinen lüsternen Gedanken. „Leider interessiert mich deine Meinung überhaupt nicht, Gabriel, sonst hättest du mich damit wirklich treffen können. Es ist bestimmt nicht einfach für dich, ein Heiliger unter so vielen Sündern zu sein.“

Er verbiss sich das Lachen. „Ich habe nie behauptet, ein Heiliger zu sein. Ich weiß ziemlich gut, wer und was ich bin. Und wenn ich es mal vergessen haben sollte, warst du ja immer da, um mich daran zu erinnern.“

„Du meinst, weil ich zu jung und zu dumm war, um zu wissen, was ich tat?“

„Und jetzt weißt du es besser?“

Trotzig hob sie das Kinn. Wie gut konnte er sich noch an diese Reaktion erinnern. „Selbst wenn ich Ja sagen würde, würdest du mir nicht glauben. Also, was soll’s?“

„Taten sagen mehr als Worte.“

Ihre Augen funkelten wütend. „Und du glaubst, noch immer über mich urteilen zu können?“

„Ich denke schon … solange du niemanden findest, der dich besser kennt.“

„Du arroganter Mistk…“

„Aber, aber, Angelina.“ Er zog die Augenbrauen hoch und beugte sich zu ihr hin. „Überleg doch mal, wie sehr solche Schimpfwörter meine Mutter treffen müssen. Dabei gehört sie doch zu den wenigen Menschen, die wirklich glauben, dass du dich geändert hast, während du fort warst.“

Sprachlos starrte sie ihn ein paar Sekunden an. Dann versetzte sie ihm einen Boxhieb gegen die Brust.

Gabriel grinste, weil sie noch immer so schnell auf die Palme zu bringen war.

Sein Grinsen brachte ihm prompt einen zweiten Boxhieb ein. „Dass eine so liebenswerte Frau wie deine Mutter einen Kerl wie dich auf die Welt gebracht hat, wundert mich jedes Mal wieder.“

„Liebenswert, ja, aber sie ist immer noch die Haushälterin. Das sollten wir nicht vergessen.“

Es folgte noch ein Boxhieb, diesmal sehr viel heftiger.

Gabriel zog die Hände aus den Taschen, umklammerte ihre Finger und drückte sie an seine Brust. Halb belustigt und halb verärgert starrte er auf ihre geöffneten Lippen und in ihre blitzenden Augen. „Und ich als Hausmeistersohn sollte meine gesellschaftliche Stellung kennen, hast du das nicht gesagt?“ Sein Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Du hast die Grenzen in dieser Beziehung abgesteckt, Angelina. Und die Rolle des Hausmeistersohns besteht darin, dich als kleine verwöhnte Prinzessin zu betrachten. Also frage ich mich doch, warum du dieses Mal nach Hause gekommen bist? Hast du in Frankreich auch alle Brücken hinter dir abgerissen – genau wie hier?“

Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. Sie holte tief Luft. „Meine Güte, du verachtest mich wirklich, stimmt’s? Ich habe es zwar geahnt, aber ich wusste nicht, wie sehr.“

Ohne sie loszulassen, sah er ihr ins Gesicht. Der Geruch von blumig duftender Seife auf ihrer Haut und nassem Hund auf ihrem T-Shirt stieg ihm in die Nase; ihre Brüste hoben und senkten sich mit ihren erregten Atemzügen, und er glaubte, einen Ausdruck von Verletztheit in ihren Augen zu erkennen. Doch dann gewann ihre Wut wieder die Oberhand. Fast hätte sie ihn erneut getäuscht. Fast hatte er geglaubt, sie habe sich geändert. Fast. „Darüber bin ich lange weg.“ Die Worte kamen durch zusammengepresste Lippen. „Du glaubst, ich bin es nicht wert, gemocht zu werden?“

Er legte den Kopf nach hinten und schien das Muster der holzgefliesten Decke zu studieren, während er gedankenverloren über ihre Fingerknöchel rieb. „Die Tage, an denen ich auch nur an dich gedacht habe, sind Vergangenheit.“

Erneut versuchte Angelina, ihre Hände freizubekommen. „Und ich habe dich, bevor ich gegangen bin, schon lange aus meinem Gedächtnis gestrichen. Damit wären wir also quitt.“

Er sah sie an. „Aber das ist es ja gerade. Jetzt, wo du wieder hier bist, werden wir es kaum vermeiden können, uns über den Weg zu laufen. Das Spiel beginnt von Neuem.“

„Wir könnten versuchen, uns aus dem Weg zu gehen.“

Gabriel kam näher. „Das wird nicht klappen.“

Sie lachte ungläubig. „Und ob.“

Sie standen jetzt dicht beieinander. Das Knistern zwischen ihnen war förmlich zu hören. Wütend funkelte sie ihn an, und nie war der Wunsch in ihm so stark gewesen, diese Frau zu küssen und ihren Widerstand zu brechen – mit seinem Mund, mit seinen Händen, mit seinem ganzen Körper. Es war so verlockend …Vielleicht sollte er sie küssen, bis sie lichterloh brannte, und dann einfach weggehen …

Sein Blick ruhte auf ihren halb geöffneten Lippen, die sie nun befeuchtete, als wünschte sie sich, dass er genau das täte, was ihm gerade durch den Kopf ging.

Eine kalte Nase drängte sich zwischen ihre Beine, begleitet von einem leisen Winseln.

Gabriels war schlagartig ernüchtert. Stirnrunzelnd ließ er Angelina los und trat einen Schritt zurück, als müsste er sich auf sichereres Terrain begeben.

Er kraulte die Ohren des Hundes, um ihn zu beruhigen, während er ihr sagte: „Es wird deshalb nicht gehen, weil dein Bruder mich beauftragt hat, deine Galerie zu renovieren. Wir werden in den nächsten Wochen jeden Tag dort arbeiten.“

Er drehte sich um und griff zu einem Stuhl.

„Was? Er hat dich beauftragt? Das darf doch nicht wahr sein!“

3. KAPITEL

„Wirf ihn raus. Nimm einen anderen. Gabriel ist doch nicht der einzige Architekt in ganz Dublin, der so etwas kann.“ Angelina lehnte sich zurück, um Moggie, der an seiner Leine zerrte, im Zaum halten zu können.

Ihr Bruder seufzte. „Wenn jemand so kurzfristig einspringt, wird es ganz schön teuer.“

„Das ist mir egal.“ Sie schnitt eine Grimasse. Natürlich war es ihr nicht egal. Ihr Etat war erschöpft. „Wie viel mehr wäre es denn?“

Einen Moment lang schwieg Alex. „Er tut uns einen Gefallen, Angelina. Auch ohne uns hat er genug zu tun.“

Sie biss die Zähne zusammen. Diese Galerie war ihr Traum. Seit Jahren hatte sie daran gedacht, monatelang geplant, jeden Penny hineingesteckt und ihren Vater gebeten, den Rest zu finanzieren. Und jetzt musste sie mit Gabriel zusammenarbeiten, der sie ständig beobachten und kritisieren würde?

Schon wieder?

Noch schlimmer: Sie würde ihn jeden Tag sehen müssen und sich fragen, warum zum Teufel er sie so anmachte. Nach ihrem gemeinsamen Stühlestapeln hatte sie in der folgenden Nacht den erotischsten Traum ihres Lebens gehabt. Wie nahe war er ihrem Gesicht gekommen, wie lange hatte er sie angesehen … und sie hatte den Kopf gehoben, als wollte sie ihn aufzufordern, sie endlich zu küssen.

Schon wieder!

Alex versuchte es auf andere Weise. „Ist es nicht an der Zeit, endlich das Kriegsbeil zu begraben? Er ist nämlich ein feiner Kerl.“

Sie schnaubte verächtlich und hielt sich das Handy ans Ohr. „In deiner Gegenwart vielleicht. Aber schließlich bist du der einzige Fitzgerald, den er wirklich mag.“

„Du hast ihm ja auch nicht viel Grund dazu gegeben, bevor du gegangen bist. Ihr beide habt euch doch sogar übers Wetter gestritten.“

Angelina seufzte und blieb stehen, während Moggie um ihre Beine tobte und sie mit der Leine fesselte. Nachdenklich betrachtete sie die Landschaft mit ihren Hunderten von Grüntönen. „Ich weiß.“

„Lass ihm Zeit. Dann wird er auch merken, dass du dich geändert hast. Du hast die Zeit gebraucht, um dich selbst zu finden, aber das hat Gabriel noch nicht mitgekriegt. Er sieht dich noch immer so, wie du warst, bevor du gegangen bist. Wenn ihr erst mal wieder eine Zeit lang zusammen seid, werdet ihr schon wieder Freunde werden. Ganz wie damals.“

Sie drehte sich um die eigene Achse, um sich von der Leine zu befreien.

Alex grinste. „Zähl bis zehn, ehe du mit ihm sprichst. Das hilft immer.“

„Da muss ich aber oft bis zehn zählen.“

Er lachte. „Versuch’s einfach.“

Er begriff eben nicht, was es für sie bedeutete, in Gabriels Nähe zu sein. Es war jedes Mal ein Kampf – ein Kampf gegen ihn und gegen die Reaktionen ihres Körpers, den sie in seiner Nähe nicht mehr unter Kontrolle zu haben schien.

Leider wussten beide nur zu genau, wie sie sich gegenseitig verletzen konnten, weil sie einander so nahe gewesen waren. Und sie hatte ihn sehr verletzt, weil er sie mit seinem Kuss so verwirrt hatte. An jenem Tag hatte sie den Freund aus Kindertagen verloren. Und ihr Hass auf ihn war immer größer geworden.

„Angelina! Bist du noch da?“

Sie musste schlucken. „Ja.“

„Willst du nach wie vor, dass ich ihn feure?“

Am liebsten hätte sie diese Frage bejaht. Aber sie konnte es sich nicht leisten, mehr als das übliche Honorar zu zahlen. Und sie wollte Gabriel auch nicht um diesen Job bringen, egal, ob sie ihn nun mochte oder nicht. Auch er musste seine Rechnungen bezahlen – und seine Leute. „Nein, verdammt noch mal.“

„Gut so. Ein Fitzgerald gibt nicht so schnell auf.“

„Vielleicht liegt das Problem der Fitzgeralds darin, nicht zu wissen, wann sie aufgeben sollen.“ Wieder zerrte Moggie an der Leine. „Was sind das eigentlich für Wohnungen, die ich mir ansehen soll? Nein, warte, erzähl mir erst alles über Merrow. Sollte ich sie nicht lieber vor einem Leben mit den Fitzgeralds warnen?“

„Untersteh dich.“

„Was machst du da?“

Gabriel warf Angelina einen gereizten Blick zu. „Wonach sieht es denn aus?“

Scheinbar mühelos hievte er eine riesige Holzplanke auf einen Stapel. Verärgert bemerkte sie, dass ihr Körper selbst darauf reagierte. Als ob sie es … so nötig hätte. Als ob sie ihn so nötig hätte! Allmählich wurde es absurd. Und dafür hasste sie ihn noch mehr.

Sie holte tief Luft und zählte langsam bis zehn. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du herkommst, um mit Alex die Pläne durchzugehen.“

„Für mich ist es einfacher, etwas zu bauen, wenn ich weiß, was gebaut werden soll, aber …“ er zuckte mit den Schultern, „… vielleicht ist das ja eine Marotte von mir.“

Angelina biss die Zähne zusammen. Sie war fest entschlossen, nicht auf seine Provokation einzugehen.

Schweigend betrat sie das leere Lagerhaus. Im Moment machte der Raum noch nicht viel her. Aber mit einiger Fantasie, einer Menge Arbeit und ziemlich viel Leidenschaft konnte etwas daraus werden. Schon jetzt spürte Angelina die Magie des Ortes. Sie lächelte glücklich, als ihr klar wurde, dass ihr Traum zum Greifen nahe war. Dieses Gefühl wollte sie sich von Gabriel auf keinen Fall verderben lassen. Wäre sie allein gewesen, hätte sie die Arme weit ausgebreitet und sich ein paarmal um die eigene Achse gedreht.

Gabriel ließ sie nicht aus den Augen.

Irritiert fragte sie: „Ist was?“

„Nein.“

Kopfschüttelnd schob er ein weiteres Brett auf den Stapel.

„Was findest du nur an diesem abgewrackten Schuppen?“

„Für mich ist das kein abgewrackter Schuppen.“

„Na, ich weiß nicht.“ Er wippte auf den Fersen. Seine Augen blitzten. Er nahm sie nicht ernst!

Noch einmal holte Angelina tief Luft. Nein, sie würde sich nicht zu einem Streit hinreißen lassen. Genauso fest entschlossen war sie, das prickelnde Gefühl zu ignorieren, das stärker wurde, je näher er kam. Sie würde ihm schon beweisen, dass sie erwachsen geworden war. „Wenn ihr erst einmal mit der Renovierung fertig seid, dann wird das hier bestimmt toll aussehen.“

„Ich wusste gar nicht, dass du mir so viel zutraust.“

„Ich traue Alex viel zu – du brauchst doch nur noch die Nägel gerade in die Wand zu schlagen.“

Gabriel ging um sie herum und baute sich vor ihr auf.

Sie spürte seinen warmen Atem, seinen Geruch, sah die schwarze Locke, die ihm in die Augen fiel … Als er nach fünf Sekunden immer noch nichts gesagt hatte, wurde sie nervös.

„Hast du dir jetzt vorgenommen, nett zu mir zu sein?“

Sie schluckte hart, verschränkte die Arme vor der Brust und zählte bis zehn. „Was tätest du denn, wenn ich wirklich nett wäre, Gabriel? Dann würde deine Starrköpfigkeit ziemlich kindisch wirken, oder?“

Er fuhr sich durch das dichte Haar und wiegte bedächtig den Kopf. „Na, das kommt drauf an, wie nett du wirklich wärst.“

„Was verstehst du denn darunter?“ Bevor sie reagieren konnte, hatte sie die Worte ausgesprochen.

Er kam so nahe, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufzublicken. Als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, lachte sie nervös. „Oh nein, das habe ich nicht gemeint.“

„Hast du noch nie etwas von einem Versöhnungskuss gehört, Angelina?“

„Und du meinst, damit wäre alles in Ordnung?“ Schlagartig erinnerte sie sich, was sein letzter Kuss bei ihr ausgelöst hatte.

„Wahrscheinlich bräuchte man noch ein bisschen mehr.“

„Was denn, zum Beispiel?“ Schon wieder wurde sie vom Teufel geritten.

„Wie du weißt, schätze ich Frauen mit Fantasie und Abenteuerlust. Von Letzterem hast du ja wirklich genug, aber wie sieht es mit dem anderen aus?“

Gabriel hatte ja keine Ahnung, was ihre Fantasie alles vermochte. Er sollte sie nur mal nach ihren Träumen fragen – und was sie darin alles mit ihm anstellte. Wie würde er darauf reagieren? Vielleicht eine Demonstration verlangen?

Nein, sie wusste genau, was er täte. Er würde sich damit brüsten, in ihren Träumen vorzukommen, und sie würde damit leben müssen, dass er es wüsste.

Sie lächelte zuckersüß. „Fahr zur Hölle, Gabriel.“

Er richtete sich auf und grinste anzüglich. „Weißt du, was dein größtes Problem ist?“

„Abgesehen von dir, meinst du?“

Er beugte sich vor und sagte mit tiefer Stimme: „Du weißt nicht, wie du dich mir gegenüber verhalten sollst. Das ist dein Problem. Fürs Erste wirst du dich mit meiner Anwesenheit abfinden müssen, und zu deinem Pech kannst du mir überhaupt nichts vormachen.“

„Woher willst du wissen, ob ich dir was vormache? Du kennst mich doch überhaupt nicht.“ Sie hoffte, dass ihr Lächeln genauso verächtlich wirkte wie seines vorhin. „Und das ist dein größtes Problem.“

Sein Blick war so durchdringend, dass sie ganz nervös wurde. Hoffentlich merkte er es nicht. Jetzt bloß nichts sagen, was die Situation noch schlimmer machte. Schließlich lagen noch einige Wochen vor ihnen, in denen sie Tag für Tag zusammenarbeiten mussten. „Am besten tust du so, als hättest du mich nie kennengelernt.“

„Wirklich?“

Schweigen. Schließlich sagte sie halb ärgerlich, halb frustriert: „Dann mach einen besseren Vorschlag, wie wir zusammenarbeiten sollen.“

„Wie wär’s …“ Während er überlegte, wandte er ihr sein Profil zu. Kurz darauf drehte er sich wieder um und kam ihr so nahe, dass sie seinen warmen Atem spüren konnte. „… wenn du dich hier nicht blicken lässt, bis die Arbeit beendet ist?“

„Vergiss es.“

„Dann könntest du einfach nur nett zu mir sein. Ich erinnere mich, dass es dir sehr viel Spaß gemacht hat, bis deine Freundinnen dazwischenkamen. So, wie du dich an mich geklammert und gestöhnt hast, hätte es nicht mehr lange gedauert, bis wir …“

„Vergiss nicht, wer wen damals geküsst hat.“ Angelina ärgerte sich, dass ihre Stimme zitterte.

„Wer hat denn damit angefangen? Wer wollte denn geküsst werden?“ Er sah sie an, als ob er es gleich wieder tun wollte.

Sie durfte sich auf keinen Fall anmerken lassen, wie sehr sie sich in diesem Moment nach seinen Küssen sehnte. Ihr Puls raste, während sie sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen fuhr.

Die Tür ging auf. „Gut, dass ich euch beide hier erwische.“

Angelina trat einen Schritt von Gabriel zurück. Sie war erleichtert über die Ankunft ihres Bruders, auch wenn sie seinem Blick zunächst auswich. Er sollte nichts von ihrem Gefühlsaufruhr mitbekommen. „Du bist spät dran.“

„Der letzte Termin hat sich hingezogen.“ Als sie ihm das Gesicht zuwandte, musterte er sie durchdringend. „Alles in Ordnung?“

„Klar. Lass uns mal die Pläne anschauen.“

„Wir brauchen etwas, worauf wir sie legen können – gibt es hier so etwas wie einen Tisch, Gabriel?“

Angelina sah ihnen zu, wie sie aus einigen Kisten und einer alten Tür einen provisorischen Tisch zusammenbauten. Ihr entging nicht, dass Gabriel sich danach wie zufällig wieder neben sie stellte. Ihr Herz, das sich gerade etwas beruhigt hatte, schlug sofort schneller. Sie unterdrückte einen Fluch. Wenn sie doch einfach weglaufen könnte!

Gabriel flüsterte: „Mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln – es sei denn, du möchtest deinen Kuss sofort haben …“

Innerlich kochend trat sie an den Tisch und versuchte, sich auf Alex’ Pläne zu konzentrieren. Am liebsten wäre sie Gabriel an die Gurgel gegangen – selbst in Gegenwart ihres Bruders. „Wir lassen also so viel wie möglich von dem alten Mauerwerk sichtbar?“

„Ja, und wo wir verputzen müssen, nehmen wir Rauputz.

Der kontrastiert besonders gut mit den Stahlträgern und dem Licht.“ Alex deutete auf die Zeichnung. „Hier ist die Treppe zum Zwischengeschoss. Die Arbeitsräume erreicht man über eine andere Treppe, die für die Patienten durch eine Außentür zugänglich ist.“

„Wie lange dauert die Renovierung?“

„Da musst du Gabriel fragen.“

Alex deutete mit dem Kopf in seine Richtung, und Angelina war gezwungen, ihn anzuschauen. Insgeheim wünschte sie sich, dass er sich genauso wie vorhin benahm, als sie allein waren, damit ihr Bruder sah, dass er doch nicht der „feine Kerl“ war, für den er ihn hielt.

„Also?“

„Sechs Wochen. Vielleicht schneller, wenn du jeden Tag hier bist. Das wäre nämlich Grund genug, so bald wie möglich mit der Arbeit fertig zu werden.“

Alex schnitt eine Grimasse. „Ich habe deinem Wunsch entsprochen und die Trennwand herausgenommen, damit der Kunsttherapie-Raum heller ist.“

Dankbar für die Ablenkung, lächelte sie ihm zu. „Ja, es muss so hell und luftig wie möglich sein. Die Wand hat den Raum zu klein gemacht.“

„Kunsttherapie?“ Gabriel richtete die Frage an Alex.

Aber er zuckte nur mit den Schultern und deutete auf Angelina. „Frag sie, das ist ihr Projekt. Ich habe nur die Pläne gezeichnet, und du musst es für sie bauen.“

Konzentriert betrachtete sie die Pläne. Wenn Gabriel sich jetzt über ihre Kunsttherapie lustig machte, würde sie es ihm nie verzeihen. Sie hoffte, dass er nicht weiter darauf einging. Er brauchte nicht zu wissen, wie viel ihr dieses Projekt bedeutete.

Sie straffte den Rücken und erklärte in möglichst sachlichem Tonfall: „Traumatisierte Kinder und Erwachsene, die geschlagen, vernachlässigt oder missbraucht worden sind oder nur ein geringes Selbstbewusstsein haben, sollen ihre Gefühle durch Kunst ausdrücken. Ich habe bei einem ähnlichen Projekt an der Universität in Paris hospitiert, und sie hatten sehr viel Erfolg damit.“ Als Gabriel nichts erwiderte, wandte sie sich an Alex. „Die Pläne sind fantastisch. Vielen Dank noch mal dafür.“

Er neigte den Kopf. „Gern geschehen. Ich schicke dir die Rechnung per Post.“

„Bevorzugst du eine bestimmte Zahlungsart?“

Er grinste. „Schauen wir mal, was wir tun können.“

Gabriel schaltete sich ein. „Mein Unternehmen bevorzugt übrigens Barzahlung im Voraus.“

„Du hast ein eigenes Unternehmen?“, fragte Angelina provozierend, ohne einen Schritt zurückzutreten, obwohl er gefährlich nahe gekommen war.

„Ja.“

„Mit mehr als den vier Angestellten, die hier arbeiten?“

„Ja.“

Alex unterbrach sie. „Ihr beide solltet wirklich mal ausgehen, um euch auf den neuesten Stand zu bringen.“

Ohne den Blick von Gabriel zu wenden, verschränkte Angelina die Arme. „Das habe ich ihm auch vorgeschlagen, aber er hat keine Lust.“

„Es wäre bestimmt von Vorteil.“ Jetzt redete Alex mit ihnen wie mit zwei bockigen Siebenjährigen. „Gabriel, du könntest Angelina etwas über deine Firma berichten. Und du, Angelina, erzählst ihm, warum dir diese Therapie-Gruppe so viel bedeutet, dass du sogar bereit bist, auf die Mieteinnahmen einer halben Etage zu verzichten …“

„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“

„Ich stehe auf keiner Seite. Du bist meine Schwester, er ist einer meiner ältesten Freunde, und wir arbeiten zusammen. Ich bin wie die Schweiz – vollkommen neutral.“

„Warum legst du dann so viel Wert darauf?“

Sie ignorierte Gabriels Frage und sah ihren Bruder entgeistert an. Wie konnte er nur so einen Vorschlag machen?

Wenigstens hatte er den Anstand, ihr einen schuldbewussten Blick zuzuwerfen, ehe er begann, die Pläne zusammenzurollen. „Vielleicht solltet ihr einen Waffenstillstand vereinbaren, bis der Laden hier renoviert ist.“

„Warum kümmerst du dich nicht um deine eigenen Angelegenheiten?“

„Das würde ich ja gern, aber bei diesem Projekt muss ich mit euch beiden zusammenarbeiten. Und ich habe keine Lust, den Vermittler zu spielen. Ich habe genug eigene Probleme.“

Wirklich? Mr. Perfekt persönlich, der noch nie in seinem Leben ein Problem gehabt hatte? Alex hatte die Familie überall würdig vertreten, während Angelina den Namen als Eintrittskarte in die exklusivsten Klubs und zu den besten und wildesten Partys genutzt hatte.

Stirnrunzelnd fragte sie: „Was für Probleme?“

„Ich wette, mit Frauen.“

Sie warf Gabriel einen giftigen Blick zu. „Weil wir die Wurzel allen Übels sind, ja?“

„Ihr solltet euch mal reden hören. Lächerlich.“ Beide schauten auf Alex, der ziemlich genervt klang. Mit dem Finger deutete er auf Gabriel. „Er hat ein erfolgreiches Unternehmen aus dem Nichts aufgebaut, während du weg warst.“ Dann zeigte er auf Angelina. „Und sie hat mit Kindern gearbeitet, die mit sich selbst und dem Leben nicht zurechtkommen, weil …“

„Alex!“

Er schüttelte den Kopf. „Schon gut. Aber ihr müsst wirklich miteinander reden. Wenn man nicht redet, wird alles nur noch schlimmer.“

Angelinas Herz verkrampfte sich, als sie die Worte ihres Bruders hörte. Irgendetwas machte ihm zu schaffen. Und obwohl er Gabriel gerade fast ihre dunkelsten Geheimnisse verraten hätte, konnte sie nicht anders: Sie musste ihm helfen, wenn er so verzweifelt war. Vor allem, weil es ihm gar nicht ähnlich sah. Selbstzweifel waren schließlich ihr Fachgebiet. „Vielleicht solltest du mal einen deiner eigenen Ratschläge befolgen, großer Bruder. Hast du schon mal daran gedacht?“

„Du bedeutest ihr nämlich genauso viel wie sie dir, weißt du.“ Zum ersten Mal seit Langem ergriff Gabriel für Angelina Partei.

Unwillkürlich musste Angelina lächeln. „Auf der Party war es ziemlich offensichtlich.“

Gabriel erwiderte ihr Lächeln. „Fast schon besorgniserregend.“

„Für Außenstehende mag es so erscheinen.“

„Ihr könnt jetzt aufhören. Eure Streitereien sind mir, glaube ich, doch lieber.“ Alex grinste. „Das erinnert mich an die Zeit, als ihr beide euch immer gegen mich verbündet habt.“

Angelina lachte. „Ach, du Ärmster. Wenn du mich nicht dauernd schikaniert hättest, hätte ich keine Unterstützung gebraucht. Das hast du dir alles selbst zuzuschreiben.“

„Du warst das einzige Mädchen. Bei den Jungs war es üblich, sich gegen dich zu verbünden. Zu bestimmten Zeiten ist das eben so.“ Vorwurfsvoll deutete er auf Gabriel. „Bis du mit deinem Gerede vom schwächeren Geschlecht angefangen hast.“

„Sie war kleiner als wir. Ich wollte nicht länger unfair sein.“ Er lachte genauso herzerfrischend wie an dem Tag, als er mit Moggie in der Halle umhergetollt hatte. „Außerdem habe ich dir dabei geholfen, ihre Kleidung zu verstecken, als wir einmal um Mitternacht schwimmen gegangen sind.“

Angelina versetzte ihm einen heftigen Rippenstoß. „Und du hast mir geschworen, dass du damit nichts zu tun hattest. Ich war wochenlang erkältet.“

„Dafür hat er dir doch jeden Abend Zitrone mit Honig gemacht. Für das große Mädchen …“

Gemeinsam brachen sie in schallendes Gelächter aus, und Angelina hatte zum ersten Mal seit ihrer Ankunft das Gefühl, wirklich zu Hause angekommen zu sein. Diese Gemeinsamkeit und Vertrautheit zwischen ihnen hatte sie am meisten vermisst. Aber sie selbst war es gewesen, die alles verändert hatte. Und noch immer sehnte sie sich nach dieser alten Verbundenheit zurück.

Alex seufzte sehnsüchtig, während er sich die Pläne unter den Arm klemmte. „Das waren schöne Zeiten. Jetzt, wo du wieder zu Hause bist, könnten wir eigentlich öfter in der Vergangenheit schwelgen, Schwesterherz.“

Aus den Augenwinkeln bemerkte Angelina, dass Gabriel sie nachdenklich ansah. Auf einmal fand sie es unendlich schade, dass es der Anwesenheit eines Dritten bedurfte, um ihren ständigen Streitereien ein vorläufiges Ende zu setzen.

„Ich muss los – wir sehen uns später.“

Angelina warf ihm einen sehr bedeutsamen Blick zu. „Sprich mit ihr.“

„Geht euch nicht an die Gurgel, wenn ich weg bin.“

Sie begleiteten Alex zur Tür. Als er verschwunden war, holte Angelina tief Luft. Einen letzten Versuch wollte sie noch wagen. „Also gut, sechs Wochen Waffenstillstand.“

„Das wird an der Vergangenheit nichts ändern.“

„Wenn du glaubst, dass du es nicht schaffst …“

„Glaubst du es denn?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.“

Nach einer Weile angespannten Schweigens trat Gabriel vor, riss die Tür auf und drehte sich noch einmal zu Angelina um. Das Sonnenlicht ließ sein zerzaustes Haar leuchten, und sein Gesichtsausdruck war unergründlich. Dann überraschte er sie, indem er ihr seine große Hand hinstreckte. „Gabriel Burke.“

Ohne lange nachzudenken, ergriff Angelina seine Hand, und sofort wurde ihr am ganzen Körper warm. Sie sah ihm in die Augen und lächelte schwach. „Angelina Fitzgerald“, sagte sie mit fester Stimme. „So heiße ich, auch wenn gewisse Leute mich eine Nervensäge nennen.“

Er grinste, als sie die Worte wiederholte, mit denen er sie auf der Party beschrieben hatte. „Bist du das denn?“

„Manchmal schon. Aber ich hoffe, dass ich es damit nicht übertreibe. Und du?“

„Ob ich eine Nervensäge bin?“

Wieder nickte sie. Ihr Lächeln wurde breiter. „Ja.“

Seine Lippen wurden zu einer dünnen Linie, während sein Blick auf ihrem Gesicht ruhte. „Nur, wenn es nötig ist.“

Eine Weile sahen sie sich unverwandt in die Augen. Keine Frage: In den kommenden sechs Wochen würden sie noch manchen Kampf miteinander ausfechten.

Aber auf einmal erschien Angelina die Aussicht nicht mehr so schrecklich zu sein. „Na dann …“ Mit der freien Hand tätschelte sie seinen Oberarm. Sie lächelte ihn an und zog die Nase kraus. „Damit werden wir schon fertig.“

4. KAPITEL

Gabriel hatte vergessen, wie stur Angelina sein konnte, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Vermutlich merkte sie selbst nicht einmal, wie viele Probleme sie anderen Menschen mit ihrem Dickkopf bereiten konnte.

Angesichts ihrer ständigen Kabbeleien und zweideutigen Anspielungen und den provozierend engen Jeans und knappen Tops, in denen sie tagtäglich auf der Baustelle erschien, wunderte er sich, dass er sie nicht schon längst über die Schulter geworfen und sie in eine Rumpelkammer gesperrt hatte, damit sie seine Leute und vor allem ihn nicht länger von ihren Tätigkeiten ablenkte. Denn bei diesem Arbeitstempo würden sie mindestens drei oder vier Monate brauchen, um Alex’ genialen Plan in die Tat umzusetzen.

Aber so lange wollte Gabriel ihre Spielchen auf keinen Fall mitmachen. Obwohl sie ihm, wie er sich in schwachen Momenten eingestehen musste, einen diebischen Spaß bereiteten.

Jetzt legte sie triumphierend die Karten auf den Tisch. „Seht her und heult, Jungs“, verkündete sie fröhlich. „Ein Royal Flush.“ Dann hob sie beide Arme in Siegerpose. Unter dem engen grünen T-Shirt wippten ihre Brüste auf und ab – ein Anblick, dem kaum ein Mann widerstehen konnte.

Als Gabriel sich jedoch vorstellte, wie es wohl wäre, wenn sie noch weniger trüge, rief er sich sofort zur Ordnung. Oh nein, es war wirklich nicht leicht mit ihr. Aus den Augenwinkeln beobachtete er seine Kollegen. Gingen ihre Blicke etwa in dieselbe Richtung? Bis vor ein paar Tagen hatten sie alle immer wieder mal ein Auge riskiert, aber jetzt waren sie auf das Kartenspiel konzentriert, für das sie sich um den provisorischen Tisch versammelt hatten. „Vielleicht sollte ich ihre Löhne direkt an dich zahlen und ihnen diese Enttäuschungen ersparen.“

Die mittägliche Pokerpartie war inzwischen zu einem Ritual geworden, an dem die Handwerker viel Spaß hatten. Mit einer wunderschönen Frau am Tisch zu sitzen und zu flirten wurde zu einem Höhepunkt ihres Arbeitstages. Sie konnten ihr keine Bitte abschlagen, wenn sie, wimpernschlagend und hüftenschwingend, zu ihnen kam, vor allem, nachdem sie begonnen hatte, sie mit Tee und Unmengen von Kuchen zu verwöhnen und mit ihrem Humor und ihrer Schlagfertigkeit um den Finger zu wickeln.

Gabriel passte es allerdings überhaupt nicht, dass seine Leute so bereitwillig auf Angelinas Charmeoffensive eingingen. Offenbar war er zu nachsichtig mit ihr. Und das wiederum besserte seine Laune auch nicht gerade.

„Sie sind ja ein Pokergenie.“ Sean, der Vorarbeiter, grinste übers ganze Gesicht. „Nur gut, dass wir keinen Strip-Poker spielen. Wir würden uns ständig den Hintern abfrieren.“

Gabriel entging nicht, dass Sean sich näher zu ihr beugte. Er wusste, dass das eine Angewohnheit von ihm war, und dennoch hatte Gabriel ein untrügliches Gespür dafür, wenn ein Mann an Angelina interessiert war. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle nach Hause geschickt. „Ich habe euch gewarnt. Aber ihr wolltet ja nicht hören.“ Die Blicke, die er ihnen zuwarf, verhießen nichts Gutes. Sollte einer von ihnen noch einmal das Wort Strip-Poker erwähnen, würden sie für den Rest ihres Arbeitslebens bei Wind und Wetter nur noch im Freien schuften.

Den Teufel würde er tun und tatenlos zusehen, wie sie nach und nach ihre Kleidung abstreifte, ihre runden Brüste enthüllte, ihre langen Beine zeigte und …

Nun, wenn es eine Zweier-Partie gewesen wäre, dann hätte er sich die Sache vielleicht noch einmal überlegt. Aber wenn ihn schon die angezogene Angelina so verwirrte, konnte er sich nur zu gut vorstellen, was mit ihm geschehen würde, sobald sie nackt vor ihm säße.

Gott sei Dank hatten die Männer das Thema gewechselt.

Und Angelina hatte wissend gelächelt. Offenbar glaubte sie, dass sie ihn genauso um den Finger gewickelt hatte.

Manchmal hatte Gabriel selbst das Gefühl. Er erinnerte sich daran, wie viel Spaß man mit ihr haben konnte, wenn sie es darauf anlegte. Aber leider kannte er auch die dunklen Seiten ihres Charakters.

Sie hielt sich eine Hand hinters Ohr, als ob sie nicht recht verstanden hätte, und ihre braunen Augen blitzten vor Vergnügen. „Höre ich da den schlechten Verlierer sprechen?“

Er warf die Karten auf den Tisch und zwinkerte ihr zu, um sich seine Verstimmung nicht anmerken zu lassen. „Du weißt, was man sagt: Pech im Spiel …“

Sie ließ ein heiseres Lachen hören. „Den Beweis bist du bis jetzt schuldig geblieben“, sagte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Gabriel erwiderte ihren Blick. Offenbar wollte sie das Spiel wirklich mit ihm spielen. Doch dann hob sie nur trotzig den Kopf.

„Möchtest du meine Jungs nun ausrauben, oder willst du einen hübschen Laden haben, in dem du deine Bilder aufhängen kannst – und zwar in absehbarer Zeit?“

Die vier Männer verstanden den Hinweis und machten sich wieder an die Arbeit.

Als sie außer Hörweite waren, sagte Angelina beiläufig, während sie die Karten einsammelte und in die Schachtel legte: „Sie haben noch nie negativ über dich gesprochen. Erstaunlich eigentlich, wenn man bedenkt, wie lange ihr schon miteinander arbeitet. Vielleicht liegt es daran, wie du mit anpackst. Das ist wohl nicht üblich …“ Sie nickte weise.

Gabriel schwieg. Bestimmt würde sie noch mehr sagen. Das tat sie doch immer.

Und tatsächlich fuhr sie nach kurzem Schweigen fort: „Zumindest nicht für jemanden, der einen so florierenden Betrieb besitzt – ‚Burkes Bauunternehmen‘ – und daraus eine der zehn erfolgreichsten Firmen gemacht hat und außerdem auf der Liste der zehn begehrtesten Junggesellen Irlands steht … Platz drei im vergangenen Jahr.“

Gabriel holte tief Luft. „Das hat dir bestimmt Platz sechs erzählt, oder?“

Angelina sah ihm in die Augen. „Nein, ich weiß es nicht von Alex. Ich habe im Internet recherchiert.“

„Wirklich? Ich bin direkt geschmeichelt.“

„Nicht nötig. Mach dir keine falschen Hoffnungen. Ich habe kein Bild von dir über meinem Bett hängen. Obwohl die Fotos durchaus schmeichelhaft sind. Haben sie viel retuschieren müssen?“

„Sehr witzig.“ Es amüsierte ihn tatsächlich, dass Angelina Nachforschungen über sein Leben anstellte. Und tief in seinem Herzen empfand er sogar so etwas wie Freude – oder Genugtuung. „Falls du noch mehr erfahren willst, dann sei einfach nett zu mir, und ich sage dir alles, was du wissen willst.“

„Ich nehme dich beim Wort.“

Gabriel beugte sich näher zu ihr. „Was würden wir wohl finden, wenn wir deinen Namen als Suchbegriff eingeben?“

Autor

Kelly Hunter

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