Der Anwalt und das sexy Tattoo-Girl

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Smart gegen sexy! Für die Wahl zum Staatsanwalt fehlt Gabe Nelson das gewisse Etwas. Um sein Image aufzupeppen, soll die schillernde Devin ihn ab jetzt begleiten. Fatal, denn für sie steht er sofort in Flammen … Aber wie passen verboten heiße Nächte mit dem Tattoo-Girl zu seinem Job?


  • Erscheinungstag 17.08.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719050
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Da war er, der perfekte Moment! Mit angehaltenem Atem ließ Gabe Nelson sich auf ein Knie sinken und klappte die blaue Schatulle auf. „Willst du mich heiraten?“

Das Licht der Deckenleuchter in dem edlen New Yorker Restaurant ließ den zweikarätigen Diamanten funkeln.

„Ich … Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Seit sechs Monaten war Kara Gabes Freundin. Im Moment sah sie den Ring an, als sei es kein Schmuckstück, sondern eine zweiköpfige Schlange.

Das war nicht gerade die Reaktion, die Gabe sich erhofft hatte.

Er schluckte schwer. „Sag Ja.“ Er hob eine ihrer perfekt manikürten Hände an die Lippen und küsste sie in die Handfläche. Verdammt, er hatte die Militärzeit überstanden und den Kampf an die Spitze der Staatsanwaltschaft in Manhattan gewonnen. Er gab nicht so leicht auf.

Sie zog die Hand zurück. „Es tut mir leid, Gabe. Du bist ein toller Mann, ehrlich. Jede Frau könnte sich glücklich schätzen, mit dir verheiratet zu sein. Aber …“

Au! Das tat weh!

Er setzte sich wieder und steckte die Schmuckschatulle ins Jackett. „Es liegt nicht an mir, es liegt an dir? Das sagt man doch so.“

„Ehrlich gesagt …“ Einen Moment senkte sie den Blick auf die Hände in ihrem Schoß. „Es liegt sowohl an dir als auch an mir.“

„Was soll das heißen?“ Es fiel ihm nicht leicht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie ihn verletzte. Er und Kara gehörten zusammen.

Sie strich sich über das tadellos frisierte aschblonde Haar. „Wir lieben beide Jazz und Symphonien, wir segeln gern und trinken gern guten Wein.“

„Absolut richtig. Wir passen zusammen.“ Er trank einen Schluck Champagner. „Wo liegt das Problem?“

Sie atmete tief durch. „Ich bewundere dich, Gabe, und ich hoffe sehr, dass wir Freunde bleiben, aber diesem Dinner habe ich zugestimmt, um dir zu sagen, dass wir uns nicht mehr treffen sollten. Ich brauche einen Partner, mit dem ich Neues kennenlerne.“

Es dauerte einen Moment, bis der erste Schock etwas nachließ. „Gemeinsam können wir sehr viel Neues kennenlernen.“

„Das ist süß, Gabe, aber unter einer neuen Erfahrung verstehst du, Rotwein statt Weißwein zum Fisch zu trinken. Ich will nicht denselben alten Kram machen, den wir ständig tun.“

Er biss die Zähne zusammen. „Ich bin also langweilig.“

„Du bist berechenbar.“ Sie stand auf und legte die Serviette neben den Teller. „Es tut mir leid, Gabe. Eines Tages triffst du die richtige Frau. Aber ich bin es nicht.“

Während sie das Restaurant verließ, wurde an fast allen Tischen getuschelt, aber das war für Kara als Senatorentochter nichts Neues.

Peinlich berührt starrte Gabe auf seinen Teller. Er hatte doch alles perfekt geplant. Er war jetzt dreißig, und Kara war die Einzige, mit der er sich ein gemeinsames Leben vorstellen konnte. Sie war auf Wahlveranstaltungen und Charitys an seiner Seite. Sie war eine perfekte Gastgeberin, und mit ihr konnte er am Ende eines langen anstrengenden Tages auf dem Sofa entspannen und John Coltrane hören.

Zugegeben, bisher fingen im Bett die Laken noch nicht an zu brennen, aber das würde sich mit der Zeit noch ergeben. Oder etwa nicht?

Jetzt hatte sie Nein gesagt. Berechenbar! Für Gabe klang das nach langweilig, egal, wie höflich sie es umschrieb.

„Die Rechnung, Sir.“

Gabe blickte hoch. Der Kellner wirkte verlegen. Offenbar hatte er die ganze peinliche Szene mitbekommen.

„Hier.“ Gabe legte seine Kreditkarte in die lederne Mappe mit der Rechnung, der Kellner ging, und Gabe erntete von den umliegenden Tischen mitfühlende Blicke. So gedemütigt hatte er sich noch nie gefühlt.

Sobald er gezahlt hatte, verließ er hastig das Restaurant und trat in die New Yorker Nacht hinaus und entschloss sich zu einem Spaziergang durch den Central Park. Er musste durchatmen und nachdenken.

Gerade als er im Park am Bootsanleger vorbeikam und sich fragte, wieso Karas Abfuhr ihn eher betäubte als verletzte, erklang hinter einem der Bootshäuser ein schriller Frauenschrei.

„Nimm deine Drecksgriffel von mir, oder ich ramm dir die Eier so hoch, dass du nicht mehr schlucken kannst.“

Er rannte in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war.

Dort stand eine Frau mit dem Rücken zu ihm und ballte die Fäuste. Vor ihr lag der Angreifer am Boden und schnappte nach Luft.

„Wenn ich Nein sage, heißt das Nein, kapiert?“ Sie beugte sich vor, wodurch ihr kurzer Rock an den Schenkeln noch weiter nach oben glitt. Die Netzstrümpfe an ihren langen Beinen verschwanden auf Höhe der Waden in pinkfarbenen Doc Martens.

„Okay, ich hab’s verstanden. Aber so hart hättest du nicht zutreten müssen, du frigides Miststück.“

Gabe trat aus dem Schatten. „Hüten Sie Ihre Zunge und rühren Sie sich nicht. Ich rufe die Polizei.“ Er zog das Handy hervor und wählte.

„Keine Cops, bitte. Freddie war nur etwas übereifrig, aber ich habe das Missverständnis aus der Welt geräumt.“ Die Frau streckte schnell einen Arm in seine Richtung aus, und Gabe erkannte das Tattoo an ihrer Schulter.

„Devin?“

Langsam drehte sie sich zu ihm herum und riss die Augen auf. „Verdammter Mist.“

Wieso musste ihr in dem riesigen New York ausgerechnet Gabe Nelson zu Hilfe eilen?

Devin Padilla sah den Bruder ihrer besten Freundin an und verschränkte die Arme. „Was tust du hier?“

„Ich gehe nach Hause. Und das solltest du auch tun.“

Devin bemerkte den missbilligenden Tonfall und das Stirnrunzeln, als er sie musterte. Natürlich hielt er nicht viel von ihrem Outfit. Zugegeben, das zarte Top mit dem Spitzenbesatz spannte über ihren vollen Brüsten, und der kurze Rock betonte ihren runden Po. Aber schließlich arbeitete sie in einer Bar und musste den Kunden schon was zum Ansehen bieten, wenn sie genug Trinkgeld bekommen wollte, um finanziell über die Runden zu kommen und noch etwas für Victor zu sparen, vorausgesetzt sie würde ihn jemals finden.

„Liegt die Bar, in der du arbeitest, nicht Downtown?“

„Manchmal übernehme ich zusätzlich die eine oder andere Schicht im ‚The Mark‘.“ In der Hotelbar in der Upper East Side waren die Gäste immer sehr spendabel.

„Hallo?“, erklang eine Stimme vom Fußweg. „Hier unten liegt ein Verletzter.“

„Stell dich nicht so an, Freddie. Jetzt steh schon auf.“

„Du kennst den Kerl?“, hakte Gabe nach.

„Ist ein Stammgast. Hat gesagt, er bringt mich zur U-Bahn.“ Wütend sah sie auf den Mann hinab. „Aber dann hat Freddie anscheinend gedacht, wir könnten hier im Park noch eine kleine Nummer schieben.“

Freddie kämpfte sich auf die Knie hoch. „Ist doch nicht meine Schuld, wenn du mal flirtest und mir dann wieder die kalte Schulter zeigst. Daraus wird kein Mann schlau.“

„Wie bitte?“ Drohend hob sie einen der Doc Martens, so dass Freddie hastig von ihr wegrutschte. „Was gibt es hieran nicht zu verstehen, du Mistkerl?“

Gabe legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich werde die Lady nach Hause begleiten, Freddie.“

„Vergiss es!“ Sie schüttelte seine Hand ab. Keinen Moment länger als nötig wollte sie mit dem sexy Staatsanwalt verbringen. „Bis zur U-Bahn sind es nur zwei Blocks.“

„Ein Gentleman sorgt immer dafür, dass seine Begleitung sicher zu Hause ankommt.“ Er legte Devin sein Jackett um die Schultern, damit Freddie endlich aufhörte, ihr auf die Brüste zu starren.

Erst als das Zittern nachließ, wurde ihr bewusst, wie aufgebracht sie gewesen war.

Langsam rappelte Freddie sich auf. „Ich sag’s dir, Mann, mit der Kleinen hast du nur Ärger.“

Sofort wollte Devin sich wieder auf ihn stürzen, aber Gabe hielt sie zurück. Verdammt, jetzt fing sie doch wieder an zu zittern! Diesmal aber, weil er sie berührte. Was hatte Hollys spießiger Bruder nur an sich, dass ihr Herz in seiner Nähe wie ein Rennwagen losraste?

An dem heißen Körper, den er unter dem Designeranzug verbarg, konnte es nicht liegen, obwohl sie die breiten Schultern, die muskulöse Brust, die schmalen Hüften und die kraftvollen langen Schenkel längst registriert hatte. Genauso wenig konnten es die unergründlichen grauen Augen sein oder die vollen festen Lippen, mit denen er bestimmt unglaublich sinnlich küssen konnte.

„Das Risiko gehe ich ein.“ Gabe strich ihren Arm entlang zum Ellbogen, und sie bekam eine angenehme Gänsehaut.

„Mann, du schaufelst dir dein eigenes Grab.“ Damit verzog Freddie sich in die Dunkelheit.

„Hau bloß ab!“ Devin sah ihm noch nach, bevor sie Gabe sein Jackett zurückgab und sich auf den Weg zur U-Bahn machte. „Danke für die Hilfe, aber …“

„Du kommst allein zurecht, schon verstanden.“ Bereits nach drei Schritten holte er sie ein. „So leicht wirst du mich nicht los.“

In Devins Magen kribbelte es. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn er sie begleitete. Bei ihr zu Hause könnte er sie im Wohnzimmer rücklings an die Wand pressen. Oder sie taten es auf dem Tresen in der Küche, oder im …

„Außerdem würde meine Schwester mich umbringen, wenn sie erfährt, dass ich dich mitten in der Nacht allein durch den Central Park laufen lasse.“

Richtig. Sein Schwester. Es ging ihm um Pflichterfüllung, nicht ums Vergnügen. Vielen Dank für die kalte Dusche! „Schön“, stieß sie aus, „aber dann nehmen wir ein Taxi. Du zahlst.“

„Sehr gern.“

Er hielt ein Taxi an, hielt ihr die Tür auf, setzte sich zu ihr und nannte dem Fahrer ihre Adresse, die er nur zu gut kannte, weil seine Schwester direkt im Apartment unter Devin gewohnt hatte.

Als das Taxi losfuhr, wollte sie das Schweigen brechen. „Wie geht’s Holly? Ich habe sie jetzt nicht mehr gesprochen, seit sie vor einem Monat mit Nick nach Istanbul geflogen ist.“

„Sie ist begeistert.“ Gabe lockerte sich die Krawatte und öffnete die obersten Knöpfe seines makellos gebügelten weißen Hemds. „Aber unsere Eltern machen sich Sorgen, weil sie in ihrem Zustand noch verreist.“

Devin schluckte und drehte sich ganz bewusst zum Fenster. Sie hatte schon unzählige muskulöse Kerle tätowiert, aber bei Mister GQ reichte ein Blick, und ihr wurde heiß. Verdammt, es waren doch nur zwei geöffnete Knöpfe! Ein bisschen Brusthaar, sonst nichts!

Es dauerte etwas, bis sie wieder sprechen konnte. „Holly ist schwanger, na und? Auch Schwangere verreisen, und bitte vergiss nicht, dass Nick den Gynäkologen und eine Krankenschwester zu den Dreharbeiten mitgenommen hat.“

Devin kannte kein anderes Paar, das sich so ergeben war wie Nick und Holly. Wenn sie an die zwei dachte, vergaß sie beinahe, wie wenig sie von der Liebe hielt. Beinahe. Leider gelang es ihr nicht, Gabes Nähe zu vergessen. Sobald er sich bewegte, streifte sein Schenkel ihren. Und der Duft seines Rasierwassers umgab sie. Es stand wirklich schlimm um sie.

„Darf ich dich was fragen?“

Es klang, als würde er so schnell sprechen, damit ihn nicht der Mut verließ.

Mit einem Schulterzucken drehte sie sich zu ihm. „„Klar doch.“

„Findest du, dass ich …“ Er strich sich durch das kurze nussbraune Haar. „Findest du mich … langweilig?“

Langweilig? Das wäre wirklich das Letzte, was ihr zu Gabe Nelson einfallen würde. Vielleicht ein bisschen ernst und förmlich. In erster Linie aber absolut heiß. Langweilig? Niemals.

Gabe drehte sich wieder von ihr weg. „Dein Zögern reicht mir als Antwort.“

Mist. Sie kam sich vor wie ein verlegener Teenager mit einer Schwäche für den jüngeren Bruder ihrer besten Freundin, der zwar die reinste Augenweide, aber leider absolut tabu war.

Noch bevor sie sich eine Antwort zurechtlegen konnte, hielt das Taxi vor ihrem Apartmenthaus an, und Gabe stieg sofort aus, um ihr die Tür aufzuhalten.

„Lassen Sie das Taxameter laufen“, wies er den Fahrer an. „Ich bin gleich zurück.“

Ohne auf seine ausgestreckte Hand zu achten, erhob sie sich, ging an ihm vorbei, und Gabe folgte ihr die Stufen zur Eingangstür hinauf.

„Danke.“ Sie suchte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel, weil sie schnell in ihr Apartment wollte, um sich ihre Wohlfühlhose anzuziehen, sich mit Eiscreme vollzustopfen und diesen peinlichen Abend zu vergessen. „Hör mal, du bist nicht langweilig. Höchstens ein bisschen verklemmt.“

„Verklemmt?“

„Du weißt schon, altmodisch und konservativ.“

Erschrocken schnappte sie nach Luft, als Gabe sie herumdrehte und mit den Hüften an die Tür drückte. „Wie konservativ findest du das hier?“ Er packte ihre Schultern und presste die Lippen auf ihre.

Nach der ersten Schocksekunde entspannte Devin sich und erwiderte den Kuss. Die Handtasche glitt ihr aus der Hand. Sie schlang beide Arme um seinen Nacken und öffnete den Mund.

Fordernd ließ er die Zunge über ihre Unterlippe gleiten.

Verdammt! Sie hatte sich nicht getäuscht. Diese Lippen könnte sie stundenlang küssen. Tagelang! Und dann noch diese Zunge …

Nein, verklemmt war Gabe ganz sicher nicht.

Verführerisch fuhr sie mit der Zunge in seinen Mundwinkel, und Gabe stöhnte auf.

Mit einem Knie drückte er ihr die Schenkel auseinander und presste sein Bein fordernd an ihren Schoß.

Fast hätte sie ihm ein Bein um die Hüften gelegt, da brach er den Kuss so unvermittelt ab, wie er ihn begonnen hatte.

„Lieber Himmel, Devin, ich …“

Mit beiden Händen drückte sie ihm gegen die Brust. „Wenn du jetzt sagst, dass es dir leid tut, dann …“

Er trat einen Schritt zurück und steckte die Hände in die Taschen. „Dann rammst du mir die Eier so hoch, dass ich nicht mehr schlucken kann?“

„So was in der Art.“

„Dann sage ich einfach nur Gute Nacht.“ Er musste lächeln. „Und träum was Schönes.“

Fassungslos sah sie zu, wie er im Taxi wegfuhr. Mister Moral hatte getan, was noch kein Mann vor ihm getan hatte. Er hatte sie heiß gemacht und hängen lassen.

2. KAPITEL

„Der Boss will dich sehen. Du sollst raufkommen in den Siebten. ASAP.“

„Na, toll.“ Gabe blickte hoch zu seinem Vertreter Jack Kentfield und schob sich vom Schreibtisch zurück. Wenn man ins Penthouse gerufen wurde, konnte das nur zwei Gründe haben: Entweder hatte man etwas verbockt und durfte sich dafür die Abreibung abholen, oder man hatte die Chefetage erfreut und bekam dafür eine Anerkennung.

„Wenn du in zehn Minuten nicht wieder hier bist, schicke ich den Suchtrupp los“, rief Jack ihm nach, als er zum Fahrstuhl ging. „Oder ich fange an, für einen Kranz zu sammeln.“

Die Fahrstuhltüren schlossen sich, und Gabe fragte sich, was ihn dort oben erwartete. Er konnte sich nicht erinnern, irgendetwas falsch gemacht zu haben, aber wenn er ehrlich war, hatte er sich seit letzter Woche nicht mehr richtig auf seine Arbeit konzentrieren können. Seit dem Abend, als er Devin im Park getroffen hatte.

Der Abschiedskuss war wie eine Explosion gewesen, heißer als alles, was er bisher erlebt hatte. Wie weich ihre Lippen gewesen waren! Und wie sinnlich ihr warmer Körper sich an seinen geschmiegt hatte!

Zumindest begriff er jetzt, wieso Karas Abfuhr ihn eher betäubt hatte als verletzt. Es war vollkommen idiotisch von ihm gewesen, Kara einen Antrag zu machen. Gemeinsame Interessen und Erfahrung auf dem politischen Parkett! Wie war er bloß auf den Gedanken gekommen, die Leidenschaft würde sich erst später entwickeln?

Der Fahrstuhl hielt an, und Gabe wurde von der Sekretärin ins Büro von Thaddeus Holcomb, geführt. Der derzeitige Bezirksstaatsanwalt saß hinter einem wuchtigen Schreibtisch aus solider Eiche. Dicke Bände mit juristischen Abhandlungen und Gesetzestexte füllten die Wandregale, kunstvoll unterbrochen von Medaillen, Anerkennungen und ein paar Familienfotos.

„Sie wollten mich sprechen?“ Gabe setzte sich in einen der zwei Ledersessel vor dem Tisch.

Holcomb schloss die Akte, in der er gerade gelesen hatte und schob sie über den Tisch. „Die Polizei hat im Park-Avenue-Mord gestern Abend jemanden festgenommen.“

Gabe nickte. Das war heute früh überall berichtet worden. Ein Handwerker wurde beschuldigt, eine 85-Jährige und die Krankenschwester, die bei ihr lebte, sexuell missbraucht und ermordet zu haben. Eine Zeugin hatte den Mann beim Verlassen des Hauses gesehen, kurz bevor man die Leichen entdeckt hatte. „Morgen wird Anklage erhoben. Kentfield kümmert sich darum.“

Holcomb schüttelte den Kopf. „Die Presse stürzt sich darauf. Ich will Ihnen den Fall übertragen.“

Stirnrunzelnd verschränkte Gabe die Arme. Jack war kein Sympathieträger, aber er kam mit der Presse so gut zurecht wie alle anderen. Es musste mehr dahinterstecken, als sein Boss zugab. „Was halten Sie zurück?“

„Gar nichts.“ Holcombs betont unschuldiger Blick ließ Gabe noch misstrauischer werden. „Sie sind mein bester Ankläger. Sie kümmern sich um den Fall.“

„Wie Sie wünschen.“ Gabe ergriff die Akte und wollte aufstehen.

„Ich bin noch nicht fertig.“ Durchdringend musterte Holcomb ihn. „Wenn ich es richtig verstehe, wollen Sie sich um meine Nachfolge bewerben, wenn ich nächstes Jahr in den Ruhestand gehe.“

„Ja, Sir.“ Es war in Gabes Karriere der nächste logische Schritt.

„Ich schätze, Sie erwarten dafür eine Empfehlung von mir.“

„Darauf hatte ich gehofft.“

„Sie sind ein exzellenter Anwalt, Gabe, aber ich kann Sie nicht empfehlen.“ Holcomb lehnte sich zurück, und Gabes Puls ging schneller. „Zu diesem Amt gehört mehr, als Fälle erfolgreich abzuschließen. Der Leiter dieser Behörde repräsentiert die Bevölkerung.“

Gabe schluckte. „Und Sie finden, ich sei dazu nicht bereit?“

Holcomb drehte an dem goldenen Siegelring, den er immer am kleinen Finger der rechten Hand trug. „Erinnern Sie sich noch an die Eröffnungsfeier vom Familiengericht?“

Gabe wurde eiskalt. Als ob er das je vergessen könnte!

Bei der Zeremonie hatte er den stellvertretenden Bürgermeister mit falschem Namen angesprochen, die Frau des Gouverneurs versehentlich beleidigt und anschließend noch die übergroße Schere fallen gelassen, als er versucht hatte, die dämliche Schleife durchzuschneiden.

Das Schlimmste war allerdings der anschließende Empfang gewesen, denn Smalltalk war nicht seine Stärke. Er hatte es wirklich versucht, aber je mehr Mühe er sich gegeben hatte, desto peinlicher waren die Unterhaltungen geworden.

Es machte ihm nichts aus, vor einem fünfköpfigen Gericht oder einer Jury zu stehen, aber wenn er mit irgendwelchen Fremden zwanglos plaudern sollte, wurde jeder Satz zur Qual.

„Ihre Stärken liegen im Gerichtssaal, aber für einen Bezirksstaatsanwalt gehören Händeschütteln und Smalltalk zum Tagesgeschäft.“

„Ich kann das lernen“, wandte Gabe ein. „Geben Sie mir eine Chance.“

Nachdenklich beugte Holcomb sich vor. „In ein paar Wochen findet das Fest von San Gennaro statt. Beweisen Sie mir dort, dass Sie mit den Menschen in Kontakt treten und sie dazu bringen können, für Sie zu stimmen.“

„Abgemacht.“ Gabe stand auf. Ihm blieb nicht einmal ein Monat, um zu lernen, wie man locker und unbefangen plauderte. Im Moment hatte er keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.

„Außerhalb der Sprechzeiten? Blödsinn.“ Devin beendete den Anruf auf ihrem Handy.

Leo Zambrano, ihr Boss und Mentor, blickte von dem Oberarm hoch, den er gerade tätowierte. Er grinste. „Ist dir bewusst, dass du mit einem Anrufbeantworter sprichst?“

„Diese miese, kleine Ratte von Privatdetektiv hat einfach sein Telefon abgestellt.“ Sie ging um ihren Arbeitsplatz herum. Seit sie achtzehn war, arbeitete sie hier im Tattoo-Studio „Ink the Heights“. Damals hatte Leo sie im Lager erwischt, aber statt sie rauszuschmeißen hatte er ihr einen Ausbildungsplatz gegeben.

„Dieser Mistkerl hat meine tausend Dollar kassiert, behauptet, er verfolge eine heiße Spur, und dann ist er einfach abgehauen.“ Devin atmete tief durch. „Wie soll ich Victor jetzt finden? Bisher bin ich immer nur in Sackgassen gelandet, und jetzt habe ich kein Geld mehr für einen weiteren Detektiv. Es hat Monate gedauert, bis ich diese tausend Dollar zusammenhatte.“

Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie geglaubt, sie sei ganz dicht dran, ihren Bruder aufzuspüren, und jetzt war diese Hoffnung erloschen.

Vor ein paar Wochen hatte sie in der „Times“ einen Artikel über ein Heim für geistig Behinderte in der Bronx gelesen, in dem die Bewohner misshandelt, bespuckt und nicht ausreichend ernährt worden waren. Was, wenn Victor auch in so einem Heim leben musste? „Ich schwöre, wenn diese Ratte sich hier noch einmal blicken lässt, dann werde ich …“

Grinsend fuhr Leo mit der Tätowierung fort. „Ich könnte dir was leihen.“

„Nein.“ Sie blieb stehen. „Ich will dein Geld nicht. Hast du mir nicht schon genug geholfen? Du hast mich gerettet.“

„Zurzeit bist du es eher, die mich rettet. Du bist sehr talentiert, und ich habe ständig Angst, dass du hier alles hinschmeißt, um in irgendeinem schicken Studio anzufangen.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Ich habe nun mal eine Schwäche für ungehobelte Typen mit Helfersyndrom.“

„Und ich mag freche Gören, die unbedingt ihren Kopf durchsetzen wollen.“ Leo bedeckte das Tattoo mit einem Verband. „Das wär’s für heute, Hector. Nächste Woche geht’s mit den Schattierungen weiter.“

„Danke, Mann.“ Auf dem Weg nach draußen legte Hector ein paar Geldscheine auf den Tresen. „Bis nächste Woche.“

Leo zog sich die Einmalhandschuhe aus und kochte sich einen Kaffee. „Und, Devin? Gehst du zur Polizei?“

Fast hätte sie aufgelacht. „Wegen tausend Dollar jagen die Cops dem Dreckskerl nicht nach.“

„Und was ist mit Hollys Bruder?“ Er trank einen Schluck Kaffee. „Arbeitet der nicht bei der Staatsanwaltschaft?“

„Gabe?“ Sie packte ein paar Werkzeuge zum Sterilisieren in den Autoklaven. So konnte Leo nicht sehen, dass sie rot wurde. „Was ist mit ihm?“

„Vielleicht kann er Victor für dich aufspüren.“

Mitten in der Bewegung hielt sie inne. „Wie denn?“

„Als Staatsanwalt kennt er doch Leute vom Jugendamt und von der Fürsorge.“

Autor

Regina Kyle
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