Der feurige Kuss des Scheichs

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Prinzessin Ghizlan sollte Scheich Huseyn von ganzem Herzen hassen! Schließlich zwingt er sie, ihn zu heiraten! Doch als er sie spontan in seine Arme zieht und mit einem feurigen Kuss überrascht, wird sie gegen ihren Willen von nie gekannter Leidenschaft überwältigt …


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747015
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Stewardess trat zur Seite und gab respektvoll lächelnd den Weg zum Ausgang des Flugzeugs frei. Ghizlan verharrte einen Moment auf der Schwelle. Ihre Hand, die glättend über den Rock ihres maßgeschneiderten moosgrünen Kostüms strich, zitterte kaum.

Auch wenn sie ihrem Vater nie sehr nahegestanden hatte, so hatte sein plötzlicher Tod dennoch ihre Welt bis in die Grundfesten erschüttert. Doch Ghizlan richtete sich auf, bedankte sich mit einem professionellen Lächeln beim Flugpersonal, wie ihr Vater es von ihr erwartet hätte, und verließ die Maschine.

Die frische Abendbrise von den Bergen strich ihr um die mit feinen Seidenstrümpfen bekleideten Beine, und sie fröstelte ein wenig. Wie nett wäre es gewesen, einmal völlig zwanglos in Jeans und Pullover zu reisen! Doch als Tochter eines Scheichs stand ihr diese Freiheit nicht zu. Obwohl ihr die Knie zitterten, stieg sie anmutig und würdevoll die Gangway hinab. Mehr denn je war es wichtig, dass sie nach außen Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte. Bis der Erbe ihres Vaters bestimmt war, musste sie das Land repräsentieren, ein vertrautes Gesicht für ihr Volk. Man verließ sich darauf, dass sie als älteste Tochter des verehrten Herrschers für einen reibungslosen Ablauf der Dinge sorgen würde, bis sein Nachfolger feststand.

Wer immer das sein würde. Ghizlan wusste nur, dass ihr Vater kurz vor seinem Tod im Begriff gestanden hatte, für sich eine neue Ehe anzubahnen in der Hoffnung, doch noch den wichtigen männlichen Erben zu zeugen.

Am Fuß der Gangway hielt Ghizlan einen Moment inne und atmete tief die klare, würzige Bergluft ein. Wie stets pochte ihr Herz vor Freude, wenn sie nach Jeirut zurückkehrte. Malerisch erhob sich die Hauptstadt auf ihrem Plateau, auf drei Seiten von den Bergen umgeben, die jetzt am späten Nachmittag in violettes Licht getaucht waren, während sich hinter Ghizlan unvermittelt die schier endlose Weite der Großen Sandwüste erstreckte.

„Hoheit.“ Azim, der Haushofmeister ihres Vaters, trat mit sichtlich bedrückter Miene vor. Wenn irgendjemand mit ihrem Vater vertraut gewesen war, dann dieser treue Weggefährte, seine rechte Hand über viele Jahre. „Willkommen, Hoheit. Es ist gut, Sie zurück zu wissen.“

„Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Azim.“ Ohne Rücksicht auf das Protokoll ergriff Ghizlan die Hände des alten Mannes.

„Hoheit!“ Er blickte sich besorgt zu den Soldaten um, die am Rand der Landebahn aufmarschiert waren.

„Wie geht es Ihnen, Azim?“, erkundigte sich Ghizlan, ohne die Wachen zu beachten. Der Tod ihres Vaters musste ein schrecklicher Schlag für ihn gewesen ein, war es doch ihr gemeinschaftliches Lebenswerk gewesen, Jeirut mit eisernem Willen und klug bedachten Reformen ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen.

„Gut, Hoheit. Aber ich sollte Sie fragen …“ Er räusperte sich. „Mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust. Ihr Vater war nicht nur ein visionäres Landesoberhaupt, sondern der Hauptgarant unserer Demokratie. Ihr Beschützer und der Ihrer Schwester.“

Ghizlan nickte, ließ Azims Hände los und wandte sich zum Terminal. Die demokratische Verfassung ihres Landes galt über den Tod ihres Vaters hinaus. Und was sie und Mina betraf … Sie hatten schon vor langer Zeit gelernt, keine persönliche Unterstützung durch ihren Vater zu erwarten. Stattdessen mussten sie als Vorbilder für Erziehungsziele, Frauenrechte und andere wertvolle Zwecke herhalten. Ihr Vater mochte ein Visionär gewesen sein, den man als großen Mann in Erinnerung behalten würde, aber die traurige Wahrheit war auch, dass weder sie noch ihre jüngere Schwester über seinen Tod untröstlich waren.

Sie hatten das Flughafengebäude fast erreicht. „Hoheit, ich möchte Sie noch informieren …“ Azim verstummte, als einige Soldaten aufmarschierten, und Ghizlan horchte beunruhigt auf, als er eindringlich flüsternd fortfuhr: „Ich muss Sie vorwarnen …“

„Hoheit.“ Ein Offizier trat vor und verneigte sich. „Ich werde Sie zum Palast der Winde eskortieren.“

Er mochte Mitte dreißig sein, und sein hartes, wettergegerbtes Gesicht kam Ghizlan nicht bekannt vor, obwohl er die Uniform der Palastgarde trug. Aber sie war über einen Monat fort gewesen, und das militärische Personal wechselte ständig.

„Danke, aber mein Leibwächter genügt mir völlig.“ Sie drehte sich um, konnte aber zu ihrer Überraschung ihre persönlichen Sicherheitsbeamten nirgends entdecken.

„Ich glaube, Ihre Leute sind noch im Flugzeug beschäftigt“, sagte der Offizier, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er verbeugte sich erneut. „Meine Männer werden Sie eskortieren. Sicher können Sie es nicht erwarten, Prinzessin Mina wiederzusehen.“

Wieder horchte Ghizlan auf. Kein Palastangestellter würde sich eine derart persönliche Bemerkung über die Befindlichkeit eines Mitglieds der königlichen Familie erlauben. Der Mann war ganz bestimmt neu in seinem Job. Aber er hatte natürlich recht. Die Verzögerung ihrer Rückkehr hatte sie vor allem deshalb so schrecklich gefunden, weil sie Mina allein in Jeirut wusste.

Noch einmal blickte sie sich vergeblich nach ihren Leuten um. Es widerstrebte ihr, sie allein zurückzulassen, aber ihre Sorge um Mina wuchs sich allmählich zur Panik aus. Seit gestern hatte sie ihre kleine Schwester nicht mehr telefonisch erreichen können. Mina war siebzehn, hatte gerade erst die Schule abgeschlossen. Wie war sie allein mit dem Tod ihres Vaters zurechtgekommen? Bei den Jeiruti waren Beerdigungen, auch Staatsbegräbnisse, eine reine Männersache. Dennoch hätte sich Ghizlan vor Ort um vieles kümmern können. Aber ihr Vater war der Tradition gemäß innerhalb von drei Tagen bestattet worden, während sie auf einem anderen Kontinent festsaß.

„Danke, ich nehme Ihr Angebot an.“ Sie wandte sich an Azim. „Würden Sie meinen Leuten erklären, dass ich schon zum Palast vorausgefahren bin und mich in sicheren Händen befinde?“

„Aber, Hoheit …“ Azim warf einen Blick auf die Wachen ringsum. „Ich muss dringend unter vier Augen mit Ihnen sprechen. Es ist wichtig.“

„Natürlich. Es gibt viele wichtige Dinge zu besprechen.“ Der Tod ihres Vaters war genau genommen ein Albtraum. Da es keinen eindeutigen Erben für das Scheichtum gab, würde es Monate dauern, bis ein rechtmäßiger Nachfolger bestimmt sein würde. Ghizlan fühlte die erdrückende Last der Verantwortung. Zwar konnte sie als Frau nicht in die Fußstapfen ihres Vaters treten, dennoch kam ihr eine Schlüsselrolle für die Wahrung der Stabilität in ihrem Land zu, bis die Nachfolge geregelt war. „Geben Sie mir zwei Stunden, Azim. Dann setzen wir uns zusammen.“ Sie nickte dem Captain der Garde zu.

„Aber, Hoheit …“ Azim verstummte, als der Captain aggressiv auf ihn zutrat.

Ghizlan fixierte den Offizier mit einem durchdringenden Blick, den sie ihrem Vater abgeschaut hatte. „Wenn Sie weiter im Dienst des Palasts bleiben wollen, sollten Sie den Unterschied zwischen Achtsamkeit und Einschüchterung lernen.“ Der Offizier sah sie überrascht an. „Dieser Mann ist ein geschätzter Berater. Ich erwarte, dass er und alle, die sich an mich wenden, mit Respekt behandelt werden. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“

Der Offizier nickte und wich zurück. „Selbstverständlich, Hoheit.“

Freundlich lächelnd wandte sie sich noch einmal an Azim. „Wir sehen uns bald im Palast. Dann können wir alles besprechen.“

„Danke für die Eskorte.“ Ghizlan blieb in dem riesigen Innenhof des Palasts stehen. „In Zukunft müssen Sie oder Ihre Männer aber nicht mehr in den Palast mitkommen.“ Die Sicherheitsvorkehrungen sahen keine bewaffneten Wachen innerhalb der Mauern vor.

Der Captain deutete eine Verbeugung an. „Ich fürchte, meine Befehle lauten gegenteilig, Hoheit. Würden Sie bitte mitkommen?“

„Befehle?“ Neu oder nicht, der Mann wusste ganz bestimmt nicht, wo seine Grenzen waren. „Bis der Nachfolger meines Vaters bestimmt ist, bin ich es, die hier im Palast die Befehle gibt!“

Der Offizier blickte mit ausdrucksloser Miene an ihr vorbei.

„Was geht hier vor?“ Allmählich beschlich Ghizlan ein unbehagliches Gefühl. Bei genauem Hinsehen kamen ihr sämtliche Wachsoldaten unbekannt vor.

„Ich habe Befehl, Sie in das Büro des Scheichs zu bringen.“

„In das Büro meines Vaters?“ Unwillkürlich presste sie ihre Hand dorthin, wo ihr Herz plötzlich heftig pochte. Im nächsten Moment hatte sie sich wieder im Griff. „Wer hat Ihnen diesen Befehl erteilt?“

Anstelle einer Antwort bedeutete der Offizier ihr lediglich, vorauszugehen.

Zorn stieg in ihr hoch. Was immer hier vor sich ging, sie hatte ein Recht auf Antworten und würde sie sich holen! Entschlossen ging sie los … und blieb im nächsten Moment abrupt stehen, weil sie feststellte, dass der gesamte Wachtrupp ihr folgte.

„Schicken Sie Ihre Männer weg, Captain“, sagte sie ruhig, ohne sich auch nur umzublicken. „Sie sind an diesem Ort weder erforderlich noch willkommen.“ Nach einer bewussten Pause fügte sie hinzu: „Es sei denn, Sie fühlen sich nicht imstande, eine einzelne Frau zu bewachen?“

Ghizlan ließ sich nicht dazu herab, eine Antwort abzuwarten, sondern ging einfach davon. Das laute Klacken ihrer hohen Absätze auf dem Marmorboden verriet, wie es in ihr brodelte. Dass die Wachmannschaft geräuschvoll wegtrat, verschaffte ihr nur eine geringe Genugtuung, denn der Offizier folgte ihr auf dem Fuße.

Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Ihre angstvolle Vorahnung wuchs mit jedem Schritt.

Sämtliche Regeln des Protokolls missachtend, hielt Ghizlan sich nicht mit Anklopfen auf, sondern stieß die Tür zum königlichen Büro einfach auf und trat wütend ein. Frustriert blickte sie sich um. Der Raum war leer. Die Person, die angeblich der Palastwache – wenn es denn überhaupt die Palastwache war – so unverschämte Befehle gegeben hatte, war nirgends zu sehen. Mit klopfendem Herzen blieb Ghizlan vor dem großen Schreibtisch stehen, stützte beide Hände auf die polierte Platte und atmete den ihr so vertrauten Duft von Papier und Sandelholz ein. Fast glaubte sie, jeden Moment würde sich die Tür zur Privatsuite ihres Vaters öffnen, und er würde hereinkommen.

Nein. Ghizlan richtete sich auf. Sie musste sich zusammenreißen. Was immer hier vor sich ging, ihr Vater war tot. Ihr ganzes Leben hatte sie gewusst, dass seine Liebe seinem Land und nicht seinen Kindern gegolten hatte. Trotzdem hatte er noch eine dritte Ehe ins Auge gefasst, als er mitten aus dem Leben gerissen wurde … Nein, sie durfte sich nicht in Gefühlsduseleien verirren, sondern musste sich darauf konzentrieren herauszufinden, was im Palast geschah. Denn die Wachen hatten sie eher wie eine Gefangene behandelt, anstatt sie zu beschützen.

Entschlossen, sich nicht bange machen zu lassen, zupfte sie ihre Kostümjacke zurecht und wandte sich der rückwärtigen Tür des Büros zu.

„Prinzessin Ghizlan.“

Der Klang einer tiefen, aufregenden Männerstimme veranlasste sie, mitten in der Bewegung innezuhalten. Anmutig drehte sie sich auf einem der Stilettoabsätze ihrer Pumps herum. Die Tür, durch die sie eingetreten war, war jetzt geschlossen, und Ghizlan sah sich einem Bären von Mann gegenüber. Obwohl sie keine kleine Frau war und zudem High Heels trug, überragte er sie um einiges. Und er war nicht nur groß, sondern breitschultrig und beeindruckend athletisch, was seine Kleidung unterstrich. Er trug das Outfit eines Reiters … ein helles Hemd, enge Breeches und hohe Lederstiefel. Unter einem Umhang, den er lässig über die Schultern zurückgeworfen hatte, blitzte an seinem Gürtel ein Messer hervor. Kein verzierter Schmuckdolch, wie ihr Vater ihn gelegentlich getragen hatte, sondern eine schlichte Waffe, der man ansah, dass sie regelmäßig gebraucht wurde.

„Das Tragen von Waffen ist im Palast nicht gestattet!“, suchte Ghizlan ihr Heil im Angriff, weil ihr Herz plötzlich beunruhigend pochte, als sie dem Blick des Fremden begegnete.

Er hatte faszinierende graublaue Augen. Eigentlich waren Menschen mit hellen Augen gar nicht so selten in den Provinzen Jeiruts, durch die uralten Handelsrouten zwischen Europa, Asien und Afrika verliefen. Aber Augen wie diese hatte Ghizlan noch nie zuvor gesehen. Während sie ihrem Blick standhielt, verschwand jeglicher Anflug von Blau, und ihre Farbe wandelte sich zu einem kühlen Nebelgrau.

Auch sonst war sein markantes Gesicht bemerkenswert. Gerade schwarze Brauen, eine hohe Stirn, eine kräftige Nase, etwas schief, als wäre sie einmal gebrochen worden, und unerwartet sinnliche Lippen, die er allerdings missbilligend zusammenpresste.

Ghizlan zog ihre feinen Brauen hoch. Wer immer der Mann war, er wusste nichts von Höflichkeit, geschweige denn von höfischer Etikette. Denn es stand ihm überhaupt nicht zu, irgendetwas zu billigen oder zu missbilligen!

Schon gar, wenn er so aussah, als käme er geradewegs aus den Stallungen. Das schwarze, etwas zu lange Haar war vom Wind zerzaust, und ein dunkler Schatten zierte die Wangen und das markante Kinn. Kein sorgfältig gepflegter Designerbart, sondern die Bartstoppeln eines Mannes, der sich einfach eine Woche lang nicht die Mühe gemacht hatte, sich zu rasieren.

Als er nun nähertrat, atmete sie den durchaus aufregenden, männlichen Duft von Lederzeug und Pferden ein.

„Keine sehr freundliche Begrüßung, Hoheit.“ Er brauchte nicht laut zu sprechen, um mit seiner warmen Stimme tief in ihrem Innern beunruhigende Saiten anzuschlagen.

„Es war nicht als Begrüßung gedacht. Und ich ziehe es vor, nicht mit Hoheit angesprochen zu werden.“ Obwohl von königlicher Abstammung, würde sie nie Herrscherin sein. Trotz aller Modernisierungen in Jeirut, auf die ihr Vater so stolz gewesen war, reichte die Gleichberechtigung der Frauen längst noch nicht so weit.

Der fremde Eindringling machte keinerlei Anstalten, seine Waffe abzulegen oder sich selbst zurückzuziehen. Stattdessen betrachtete er sie so eindringlich von Kopf bis Fuß, dass es Ghizlan ganz heiß wurde.

Wer war dieser Mann, der das königliche Arbeitszimmer ohne anzuklopfen betreten hatte und es nicht einmal für nötig hielt, sich vorzustellen?

„Legen Sie bitte Ihre Waffe ab, solange Sie hier sind.“

Eine seiner dunklen Brauen zuckte, als wäre eine solche Bitte noch nie an ihn herangetragen worden. Herausfordernd verschränkte er die Arme vor der breiten Brust.

Zwing mich doch.

Es war, als hätte er die Worte laut ausgesprochen. Knisternde Anspannung lag in der Luft.

Verrückterweise empfand Ghizlan keinerlei Angst vor diesem großen, kühnen, bewaffneten Grobian. Im Gegenteil, das Wortgefecht mit ihm riss sie endlich aus der lähmenden Apathie, die sie seit der Nachricht vom Tod ihres Vaters ergriffen hatte. „Ihr Benehmen wie Ihr Aussehen machen deutlich, dass Ihnen der Hof und die Feinheiten der höfischen Gesellschaft fremd sind“, erwiderte sie mit einem wohldosierten Anflug von Überheblichkeit.

Der Blick seiner faszinierenden Augen schien sie zu durchbohren. Im nächsten Moment zog er mit einer raschen Bewegung seinen Dolch aus der Scheide und schleuderte ihn in ihre Richtung.

Ghizlan stockte der Atem, aber sie zuckte nicht, als die blitzende Klinge nur eine Armeslänge von ihr entfernt über den Schreibtisch ratschte. Bewusst langsam wandte Ghizlan den Kopf und begutachtete den angerichteten Schaden. Ihrem Vater war dieser Schreibtisch sehr wertvoll gewesen, weil er von jenem Vorfahren stammte, der Jeirut zu seiner ersten demokratischen Verfassung verholfen hatte. Ein Visionär und das große Vorbild ihres Vaters.

Fassungslos blickte Ghizlan nun auf den tiefen, hässlichen Kratzer in der polierten Sandelholzplatte und wurde von heftigem Zorn gepackt. Der Fremde hatte ganz bewusst auf den Schreibtisch gezielt, denn wenn er sie hätte treffen wollen, hätte er sie ganz bestimmt nicht verfehlt. Als wollte er durch diesen ungeheuer groben Akt der Zerstörung seine Unzivilisiertheit geradezu zur Schau stellen. Und ihr Angst machen.

Doch anstelle von Angst empfand sie nur maßlose Wut. Ihr Vater hatte sein Leben – und auch ihres – ganz dem Wohl seines Volkes gewidmet. Mochte er auch kein liebevoller Vater gewesen sein, so verdiente er doch mehr Respekt.

Verächtlich blickte sie den unverschämten Eindringling an. „Grobian!“

Er verzog keine Miene. „Und Sie sind eine verwöhnte Schmarotzerin. Aber der Austausch von Beleidigungen ist kein Ersatz für ein vernünftiges Gespräch.“

Eine derartige Unhöflichkeit war sie nicht gewöhnt. Sie atmete tief ein, um den für sie ungewohnten Wunsch zu bezwingen, dem Kerl eine gehörige Ohrfeige zu verpassen. Je länger ihre Ungewissheit über die seltsamen Vorkommnisse im Palast andauerte, desto nervöser wurde sie. Verrückt vor Angst um ihre kleine Schwester.

Mina! Wo war ihre Schwester? War sie in Sicherheit?

Doch auf keinen Fall würde sie ihre Angst dem Fremden zeigen, der sie nicht aus den Augen ließ. Bewusst langsam ging sie um den Schreibtisch herum und setzte sich anmutig in den schweren Ledersessel ihres Vaters. Ein unmissverständliches Statement. Wenn jemand hierhergehörte, dann sie.

„Wer sind Sie?“ Sie war stolz und erleichtert, dass ihre Stimme nicht zitterte.

Er sah sie einen Moment lang schweigend an, bevor er sich überraschend galant verbeugte. „Ich bin Huseyn al Rasheed aus Jumeah.“

Huseyn al Rasheed. Ghizlans Augen leuchteten besorgt auf, ehe sie sich wieder im Griff hatte. Ärger. Dieser Mann bedeutete Ärger von der schlimmsten Sorte.

„Die Eiserne Faust von Jumeah.“ Sie schluckte nervös.

„So nennen mich manche.“

Ghizlan schwieg einen Moment, um ihre Gedanken zu sammeln. Huseyn al Rasheed war der Sohn des Scheichs von Jumeah, Oberhaupt der abgelegensten Provinz in Jeirut. Als solche war sie halbautonom, und ihre Bewohner standen in dem Ruf, furchteinflößende Krieger zu sein.

Huseyn al Rasheed insbesondere galt als Vollstrecker seines Vaters in den fortgesetzten Grenzscharmützeln mit Halarq, Jeiruts problematischstem Nachbarn. Ihr Vater hatte gehofft, dass seine Friedensverhandlungen mit Halarq und dem anderen Nachbarstaat Zahrat diese über Generationen währenden Zwistigkeiten endlich beenden würden. Zwistigkeiten, die Huseyn al Rasheed und sein Vater durch ständige Provokationen schürten.

„Hat Ihr Vater Sie geschickt?“, fragte Ghizlan, äußerlich ruhiger, als sie sich fühlte.

„Niemand hat mich geschickt. Mein Vater ist tot wie sein Cousin, Ihr Vater.“

Cousin zweiten Grades, lag es ihr auf der Zunge zu erwidern, um die enge Verbindung, die er offensichtlich andeuten wollte, zu verleugnen. „Mein Beileid zu Ihrem Verlust.“

„Und meines zu Ihrem.“

Sie nickte. Die Art und Weise, wie es sie ansah, gefiel ihr gar nicht. Wie eine große Katze, die eine neue Beute für ihr grausames Spiel gefunden hatte. „Was ist der Grund, warum Sie hier bewaffnet und ungebeten eindringen?“

Bildete sie es sich ein, oder blitzte da etwas in diesen faszinierenden grauen Augen auf? Weil sie ihn wegen seines ungehobelten Verhaltens gemaßregelt hatte? Wenn die Gerüchte um ihn stimmten, war sie gut beraten, vorsichtig vorzugehen.

„Ich bin hier, um die Krone von Jeirut für mich zu beanspruchen.“

Ghizlan erstarrte. „Mit Waffengewalt?“ Sie war selbst verwundert, wie ruhig sie klang. Ihr geliebtes Land in der Hand eines solchen Mannes? Innerhalb weniger Wochen würden sie sich im Krieg befinden, und das Werk ihres Vaters … und ihr eigenes … wäre vernichtet. Bebend atmete sie ein.

„Ich habe nicht die Absicht, einen Bürgerkrieg zu provozieren“, erwiderte er kühl.

„Was meine Frage nicht beantwortet.“

Er zucke mit den breiten Schultern und lenkte damit Ghizlans Augenmerk ungewollt auf seinen bemerkenswert athletischen Körper. Gegen ihren Willen durchzuckte es sie heiß.

„Ich beabsichtige nicht, gegen mein eigenes Volk um die Königswürde zu kämpfen.“

Sie atmete auf, dennoch durfte sie diesem Mann nicht trauen. „Glauben Sie wirklich, dass die Ältesten einen Mann wie Sie zum Oberhaupt wählen werden?“ Sie sprang auf.

„Ich bin sicher, sie werden einsehen, dass es eine weise Entscheidung ist.“ Er zögerte vielsagend, was die knisternde Anspannung zwischen ihnen noch spürbarer machte. „Vor allem in Anbetracht des anderen glücklichen Umstands.“

„Welchen glücklichen Umstand meinen Sie?“, hakte Ghizlan unwillkürlich nach.

„Meine Hochzeit.“

Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache. Unerwartet zuckte ein Lächeln um Rasheeds Mund, das ahnen ließ, was für ein attraktiver Mann er hätte sein können. Und wieder spürte Ghizlan wider Willen, dass sie nicht immun dagegen war. Bis sie sich ins Gedächtnis rief, welche Bedrohung er darstellte.

„Das ist der andere Grund, warum ich in die Hauptstadt gekommen bin. Um mir meine Braut zu holen“

Seine Braut, wer immer sie war, konnte ihr nur von ganzem Herzen leidtun! „Und wen heiraten Sie? Kenne ich sie?“

Sein breites Lächeln weckte eine schlimme Vorahnung in ihr.

„Sie natürlich, meine liebe Ghizlan. Ich nehme Sie zur Frau.“

2. KAPITEL

Seine Genugtuung schwand angesichts des heillosen Entsetzens, das er in ihren weit aufgerissenen Augen las.

Er war ein hartgesottener Soldat, aber kein Monster. Ghizlans Ausdruck gab ihm das Gefühl, er hätte gedroht, sie mit Gewalt zu nehmen, anstatt sie ehrenhaft zu heiraten.

Es war seine eigene Schuld. Eigentlich hatte er sie nicht so damit überfallen wollen. Aber die hochnäsige Prinzessin provozierte ihn derart, wie es noch keiner geschafft hatte. Doch er hätte dagegen gewappnet sein müssen. Hatte Selim ihn nicht gewarnt, ehe er das Arbeitszimmer betreten hatte, dass sie so ganz anders war als erwartet? Sie besaß Schneid, ja, sie hatte sogar Selim, seine rechte Hand und jetzigen Befehlshaber der Palastwache, wegen seiner mangelnden Höflichkeit getadelt und sich ihm trotz der Anwesenheit der Wachen widersetzt!

Das hätte Huseyn wirklich gern miterlebt. Aber jetzt musste er zusehen, wie er mit dieser ungewöhnlichen Frau klarkam. Standhaft richtete er seinen Blick auf ihr Gesicht und erlaubte sich nicht, ihren verführerischen Körper zu bewundern. Allein der Gedanke daran war Ablenkung genug.

Autor

Annie West
Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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