Der Racheplan des ruchlosen Highlanders

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Lady Penelope Hastings erkennt sich selbst nicht wieder. Nicht nur, dass sie in die Ehe gezwungen wurde, um eine Familienschuld zu begleichen, jetzt reagiert sie auch noch auf ihren neuen Ehemann, den barbarischen schottischen Gutsherrn Lachlan Bain, vollkommen ungewohnt. Penny mag eine Schachfigur in seinem Rachefeldzug gegen ihre Familie sein, aber seine Berührungen entfachen ein Verlangen in ihr, gegen das sie sich nicht zu wehren vermag. Ist es möglich, dass dieser erbarmungslose Highlander all ihre geheimen Träume wahr werden lassen kann?


  • Erscheinungstag 14.03.2023
  • Bandnummer 628
  • ISBN / Artikelnummer 0811230628
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

1. KAPITEL

England – 1818

Lady Penelope Hastings saß im Salon und aß einen gebutterten Toast, als sie erfuhr, dass sie an einen Barbaren verkauft worden war.

„Ich fürchte, da lässt sich nichts machen.“

Das war das Einzige, was ihr Vater Lord Avondale dazu sagte.

Und wenn Penny eines aus Erfahrung wusste, dann dass die Lage nicht zum Besten stand, wenn ihr Vater zu erwähnen begann, wie wenig sich machen ließe. Als ihre Mutter gestorben war, hatte sich da nichts machen lassen. Als er ihre liebste Gouvernante entlassen hatte – die einzige Person im Hause, der sie sich verbunden fühlte –, hatte sich da nichts machen lassen.

Als sie noch jung und voller Träume gewesen war und sie ihm einen kleinen, verwundeten Vogel gebracht hatte, in der Hoffnung, er könne ihn retten, hatte er sie kaum eines Blickes gewürdigt.

Da lässt sich nichts machen.

Jetzt fühlte sie sich selbst ein bisschen wie dieser verwundete Vogel.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich die ganze Bedeutung richtig erfasse.“ Sie sah auf ihren Toast, der sie nicht mehr sonderlich reizte, und legte ihn zurück auf den Teller.

„Du wirst nicht länger mit dem Duke of Kendal verheiratet werden. Es ist … Ich dachte, dieser Mann wäre tot, und nahm nicht an, mich noch an irgendwelche früheren Vereinbarungen halten zu müssen.“

„Ich höre zum ersten Mal von derlei Vereinbarungen.“ Sie faltete die Hände im Schoß und stellte eine ausdruckslose Miene zur Schau. Mit ihrem Vater zu streiten, war zwecklos. Im günstigsten Falle stießen ihre Proteste auf taube Ohren. Im schlimmsten bekam sie seinen Zorn zu spüren.

Weder das eine noch das andere war erstrebenswert, also gab man sich am besten möglichst sachlich. Ihre Gefühlsregungen verstimmten ihn bloß. Auf der Beerdigung ihrer Mutter sogar so sehr, dass er sie anschließend tagelang weggesperrt hatte.

Danach hatte sie gelernt, ihre Gefühle in sich einzuschließen. Sie spürte sie immer noch. Sie hallten in ihrer Brust nach wie ein Schrei in einem leeren Raum. Doch niemand konnte sie ergründen. Niemand sie gegen sie verwenden.

Irgendwann hatte sie herausgefunden, wie sie mit ihrem Vater umgehen musste. Es bedurfte vernünftiger Erwiderungen. Man musste ihn dazu nötigen, seine Ansichten mehrere Male zu wiederholen. Sie hatte einmal etwas über Verhandlungstaktiken im Krieg gelesen und diese Lektion gut verinnerlicht.

Das einzig Gute an ihrem Vater war die beachtliche Bibliothek, die er sein Eigen nannte. Mehr um zu prahlen, denn um sie wirklich zu nutzen, doch Penny hatte sie genutzt, sehr oft sogar.

Während sie in diesem Haus heranwuchs, in dem ihr Vater sich nur selten aufhielt, und die Angestellten kamen und gingen wie Geister bei Nacht, waren die Bücher ihre einzigen Gefährten gewesen.

Schon lange vermutete sie, der ständige Personalwechsel wäre dem oftmals ausbleibenden Lohn zuzuschreiben, denn wie sie wusste, gehörten sie inzwischen zu dem Teil des Hochadels, der über Titel, Ansehen und einen Platz in der Gesellschaft verfügte, ohne jedoch die Mittel zu besitzen, um selbiges zu finanzieren. Ihr Heim war wie ein Abbild ihrer Lage. Nach außen hin herrschaftlich und stattlich, während es innerlich verfiel.

Die verschnörkelten, matten Goldornamente, die Türrahmen und Decke zierten, spotteten ihrer einstigen Pracht. Alles vergoldet und doch ohne Wert.

Die ehemals königsblauen Wandtapeten des Salons waren zu einem fleckigen Marineblau verblichen. Was einmal wie teurer Seidendamast ausgesehen hatte, wirkte nun wie ein abblätternder Anstrich. Im Grunde machte das weiter nichts, da ihr Vater seit dem Tod ihrer Mutter, als Penny fünf Jahre gewesen war, ohnehin keine Gäste mehr empfing.

Ihr Vater musste ihr den Ernst ihrer Lage nicht erst verkünden, damit Penny ihn erkannte.

Sie war nicht dumm. Ihre Zeit nutzte sie zum Lesen und Beobachten. Sie sprach mit jedem, der sich anbot. Diener, Chaperon, selbst der Falkner, der auf ihrem Anwesen lebte. Sie hasste die Stille. Stille war ein allzu fruchtbarer Boden für schreckliche Erinnerungen und entsetzliche Gefühle, und das führte zu nichts. Endlose Fragen zu stellen, war dagegen ein leichter Weg, den Menschen näherkommen, und sie erkannte, dass nicht jeder war wie ihr Vater. Nicht jeder gebot ihr, still zu sein, sobald sie einen Laut äußerte. Also fragte sie. Und fragte und fragte.

Wie ein Haushalt geführt wurde. Wie es in der Londoner Gesellschaft war. Wie lange eine Henne brütete, bis aus dem Ei ein Huhn schlüpfte.

Und sie merkte sich alles.

Es linderte ihre Einsamkeit nicht, doch es half ihr, sich ein klares Bild von der Welt zu verschaffen. Von der Wirklichkeit und der Situation, in der ihr Vater und sie sich befanden.

„Deine Meinung und dein Rat waren nicht erforderlich, Penelope. So oder so wirst du den Schotten heiraten.“

Sie konnte es nicht fassen. Ihr Gesicht war erhitzt, als hätte sie den Kopf in das Feuer gesteckt, über dem eben noch ihr Toast geröstet worden war. Ihre Hände indes waren eiskalt, als brütete sie eine Erkältung aus.

Und doch empfand sie beides als Segen, denn es war immer noch besser, als die pure Verzweiflung zu spüren, die dem zugrunde lag. Der sie sich nicht hingeben durfte, ebenso wenig wie der Wut, die in ihr zu brodeln begann.

Sie konnte nicht sagen, was schlimmer für sie war. Dass ihre Hoffnungen vor ihren Augen zerschlagen worden waren, oder die Tatsache, dass es ihr nur mühsam gelang, ihre Reaktion zu mäßigen.

Wenn sie nun etwas Unpassendes sagte, bekäme ihr Vater einen Tobsuchtsanfall, und dann wäre sie nicht bloß nicht länger die zukünftige Braut eines Dukes, sie erführe auch sonst nichts weiter über ihre gegenwärtige Situation.

Fühlte ihr Vater sich angegriffen, geriet er in tosende Raserei, und man bekam keine nützliche Information mehr aus ihm heraus.

„Hast du bereits mit dem Duke of Kendal gesprochen?“, fragte sie, bedacht, die richtigen Worte sowie den richtigen Tonfall zu treffen.

Sie wollte schreien. Brüllen und heulen und sich auf den Boden werfen wie ein Kind, dem man Süßigkeiten verwehrte. Doch ihre Kindheit und die dazugehörige Freiheit, ihre Gefühle sichtbar zu äußern, wann immer sie in ihr aufwallten, endete, als ihre Mutter starb.

Trauer sollte man nach außen tragen. Gekennzeichnet durch die Farbe der Kleidung. Aber sie sollte nicht Besitz von einem ergreifen. Nicht unkontrolliert in einem toben und scharfe, schmerzhafte Wunden hinterlassen, die sich anfühlten, als würden sie niemals wieder heilen.

Penny hatte gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Sie besaß ein Schmuckkästchen, das früher ihrer Mutter gehört hatte, und obwohl sie keinen Schmuck darin aufbewahrte – es war alles verkauft worden, um die Schulden des Anwesens zu tilgen –, behielt sie das schwere Holzkästchen mit dem vergoldeten Schloss, seit sie klein war. Sie hob Steine und Federn darin auf, kleinen Plunder, den sie auf dem Grundstück fand. Schätze, die ihr Vater nicht verkaufen konnte, die aber für ihre Lebensjahre standen, Jahre, die sie allein auf diesem Grund und Boden verbracht hatte. Dinge, die nur ihr etwas bedeuteten.

Als ihre Mutter starb, hatte sie es nicht verstanden. Einer der Stallburschen hatte ihr gesagt, dass es bedeutete, man würde ihre Mutter in einer Holzkiste in der Erde vergraben. Sie hatte zu wimmern begonnen. Ein dunkler, schmerzvoller Laut, der aus den Tiefen ihres Selbst gekommen war. Und ihr Vater … er war so wütend geworden. Hatte sie angeschrien, dass sie aufhören sollte. Ungeachtet all der Bediensteten, die davon Zeuge wurden. Er hatte sie ins Haus gezerrt, in der Großen Halle abgesetzt und sie angebrüllt, doch sie hatte nicht aufhören können zu weinen.

Also hatte er sie in ihr Zimmer gesperrt und der Dienerschaft befohlen, sie ja nicht herauszulassen, ehe sie nicht aufhörte zu weinen.

Da war sie dann geblieben. Fast drei Tage lang. Sie hatte sich gefühlt, als läge sie selbst in dieser Kiste, in der, wie der Junge ihr erzählt hatte, ihre Mutter lag. Vergraben in ihrem Elend. Dann hatte sie das Schmuckkästchen von ihrem Frisiertisch geholt und es mit ins Bett genommen. Sie hatte es sich fest an die Brust gepresst, und wann immer ein Gefühl in ihr aufkam, das ihr zu überwältigend, zu grell und schneidend erschien, um es in ihrer Brust zu bewahren, stellte sie sich vor, wie sie es in diesem Kästchen einschloss.

Seitdem hatte sie nie wieder geweint. Seit Jahren nicht. Sie steckte ihre Gefühle einfach in dieses Schmuckkästchen. Zusammen mit all den Federn und Steinen und anderen für sie kostbaren Dingen, die ihr Vater niemals anrühren sollte.

Und genau das tat sie auch jetzt. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Furcht, ihre Wut, ihre Traurigkeit einfach wegschloss. Diese Gefühle halfen ihr jetzt nicht.

„Nein“, sagte er. „Noch nicht, aber daran lässt sich nichts mehr …“

„Jedoch“, unterbrach sie ihn, bemüht, sich ihre Verzweiflung nicht anhören zu lassen, „bin ich sicher, der Duke weiß, was zu tun ist, und hat Mittel, uns zu unterstützen, da unsere Verbindung bereits öffentlich bekannt gemacht wurde. Und ich habe bereits meine Brautausstattung erworben.“

Für die, selbstverständlich, der Duke aufgekommen war, da ihr Vater sich niemals die Ausstaffierung einer Duchess hätte leisten können.

Und des Dukes Familie … seine Schwester und sein Mündel, seine Mutter. Sie sollte bei ihnen leben. Sie sollte richtige Freunde haben.

Der Bissen Toast lag ihr schwer im Magen.

Pennys Verlobung mit Seiner Gnaden, dem Duke of Kendal, war ihres Vaters größter Triumph gewesen, seine Bestätigung dafür, dass eine Tochter zu haben doch einen gewissen Wert barg.

Dass er ebenjene Verlobung nun gelöst hatte, um Pennys Hand einem Soldaten, dazu noch einem schottischen Soldaten, zu geben, zeugte von einer derart verzweifelten Lage, dass Penny sie sich kaum erklären konnte.

Sie liebte den Duke und alles, was er verkörperte. Alles an ihm. Von seinen erlesenen Manieren über sein schönes Antlitz bis hin zu seinem hervorragend gepflegten Anwesen. Ihr die Möglichkeit zu geben, sich diese Verbindung zu sichern, war das einzig Gute, was ihr Vater je für sie getan hatte.

Es hatte sie völlig unerwartet getroffen. Ihr war nie ein richtiges Debüt vergönnt gewesen, und ihre Verbindung war ausschließlich dem geographischen Zufall zuzuschreiben, da machte sie sich nichts vor. Denn der prächtige Landsitz des Dukes war zu Pferd nur eine Stunde entfernt.

Bei einem ihrer Spaziergänge hatte sie die Schwester des Dukes aufgelesen, die sich verlaufen hatte und völlig verschmutzt gewesen war. Penny nahm sie mit nach Hause und versorgte sie mit Tee und Toast.

Es war nahezu ein Schock, als der Duke höchstpersönlich kam, um das Mädchen abzuholen.

Seine Mutter ließ daraufhin ihren Dank überbringen und eine Einladung zum Tee.

Und das war der Beginn von etwas, von dem Penny nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Eine Fantasie, die viel zu schön war, um sie sich zusammenzuspinnen. Und selbst wenn sie davon geträumt hätte, dann nie, ohne sich vorher auszumalen, jemand anders zu sein als einfach nur Penelope Hastings.

Sie kannte die genauen Gründe nicht, aus denen die Wahl des Dukes auf sie gefallen war und nicht auf eines der Mädchen, die schon eine Saison über auf den Londoner Bällen geglänzt hatten, doch als sie ihn näher kennenlernte, stellte sie einige Vermutungen darüber an.

Penny war sich ihrer Schönheit bewusst. Es war das Einzige, abgesehen von dem Schmuckkästchen, was sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Doch nicht ihre Schönheit übte einen solchen Reiz auf den Duke of Kendal aus. Vielmehr nahm sie an, es verschaffte ihm Genugtuung, den Heiratsmarkt des ton mit all den wildgewordenen Mütter, zu umschiffen und selbst eine Braut zu finden, die respektabel war, frei von Skandalen und ganz allein seine Wahl.

Die Rolle, die ihr Vater dabei spielte, war rein eigennütziger Natur. Sie wusste das, doch es kümmerte sie nicht. Ohne eine vorteilhafte Ehe stünde sie mit nichts da. Es war eine Frage des Überlebens. Sie hatte befürchtet, einen alten, zahnlosen Mann ehelichen zu müssen, dessen Mangel an Kopfbehaarung durch eine volle Börse wettgemacht wurde.

Irgendetwas in der Art.

Dem Duke versprochen zu werden, nur um ihn kurz darauf auszutauschen, war, als zerschmetterte man ihr das Herz, ihre Hoffnung, ihren Stolz. Darauf war sie nicht gefasst gewesen.

Ihr Vater hatte es geschafft, ihre schlimmsten Erwartungen noch zu übertreffen.

Denn er hatte ihr etwas so Süßes gegeben, einen Traum, gesponnen aus Honig und Gold, und ihn dann vor ihren Augen zu Staub zertreten.

Sie war sich sicher gewesen, ihr Vater könnte sie nicht noch mehr verletzen. Sie nicht noch mehr enttäuschen.

Welch ein Irrtum.

„Er wird eine Sonderlizenz beschaffen. Danach wirst du mit ihm nach Schottland zurückkehren.“

Gedankenlos schob Penny den Stuhl vom Tisch. Langsam erhob sie sich, der Raum schien zu schwanken, obgleich ihre Füße fest auf dem Boden standen.

Sie verlor nicht nur ihren zukünftigen Ehemann, sondern auch ihren Entwurf ihrer Zukunft. Das wundervolle Schmuckstück von Salon in Bybee House war nicht ausgeblichen – die Tapeten leuchteten in fröhlichem Rosé mit Goldprägung, Einlegearbeiten aus Marmor zierten, Ranken gleich, Wände und Decken. Sie hatte sich dort schon stundenlang sitzen sehen, stickend und die Katze streichelnd.

Sie hatte eine Katze haben wollen. Eine, die im Haus lebte, nicht im Stall zum Mäusefangen.

An die Duchess of Kendal, die Mutter des Dukes, die sie so liebgewonnen hatte, wollte sie gar nicht erst denken. Oder seine jüngere Schwester und sein Mündel, die ihr gute Freunde geworden waren. Die ihr das Gefühl gaben, nicht mehr allein sein zu müssen und echte Freunde zu haben, die außerhalb ihrer Bücher existierten.

Derartig hatte sie sich schon sehr lange nicht mehr gefühlt. Nicht seit … nun, nicht seit Lachlan. Er hatte als Stallbursche auf dem Anwesen ihres Vaters gearbeitet und war mindestens zehn Jahre älter als sie gewesen. Doch er war stets freundlich zu ihr. Das erste Mal, dass sie erfuhr, was Freundschaft bedeutete.

Einmal half er ihr, einen Vogel zu retten. Sie durfte ihm auf Schritt und Tritt folgen und ihn endlos mit Fragen bestürmen, worauf andere Männer wohl zumindest ungeduldig, wenn nicht unwirsch reagiert hätten. Aber er war für sie da. Jemand, an den sie sich wenden konnte, um nicht länger zum Schweigen verdammt zu sein.

Eines Tages dann war er plötzlich fort gewesen. Ohne Erklärung. Ohne Lebewohl. Er hätte ebenso gut tot sein können.

Sie trauerte um ihn.

Nur dieses Mal hatte sie es im Stillen getan, denn sie war nicht so dumm, je wieder ihren Schmerz zu zeigen.

Genau wie jetzt. Die Hände auf dem Schoß gefaltet, die Miene ausdruckslos, offenbarte sie nichts, als ihr Traumbild von jenem Leben, auf das sie gehofft hatte, vor ihren Augen zerstört wurde. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie damit zurechtkommen sollte.

Lachlan Bain war ein geduldiger Mann. Die Jahre hatten ihn härter gemacht, ihn verändert. Schlachten hatten Narben hinterlassen. Zerstört, was einst Gutes in ihm gewesen war.

Doch sie hatten auch die Ecken und Kanten der Jugend abgeschliffen. Ungeduld, Hitzköpfigkeit. Wie bei einem im Feuer geschmiedeten Breitschwert war nur scharfer, kalter Stahl übriggeblieben.

Jahrelang hatte er einen inbrünstigen Zorn in sich getragen, einen waghalsigen Eifer, der ihn in den Kampf trieb und noch darüber hinaus. Über die Jahre war der Grund dieses Zorns verblasst. Irgendwo auf den schlammigen Schlachtfeldern hatte er vergessen, woher diese Wut eigentlich gekommen war, und er übertrug sie auf alles, was um ihn herum war, auf all die Abscheulichkeiten des Krieges.

Die unschuldigen Leben, die er nicht hatte retten können.

Er hatte gelernt, sich den Zorn zunutze zu machen. Hatte eine scharfe Klinge daraus geformt, mit der er den Feind niederdrosch.

Und darüber jenen Feind vergessen, der diesen Zorn im Ursprung entfacht hatte.

Doch als er Nachricht vom Tod seines Vaters erhielt, erinnerte er sich wieder. Es hatte sechs Monate gebraucht, seine Geschäfte so weit zu regeln, dass sie auch ohne ihn liefen. Sechs Monate, um seine Rachepläne zu schmieden.

Und in seinem Blut brodelte erneut der Hass, der so viele Jahre schon in ihm schwelte. Der nie richtig verschwunden war. Sich nur aufgestaut hatte. Jetzt loderte das Feuer glühend rot.

Ehe er nach Schottland zurückkehrte, ehe er in die Highlands zurückkehrte, um seinem Clan zu altem Glanz zu verhelfen, würde er losziehen und sich holen, was man ihm schuldete.

Es kursierten Gerüchte in der Londoner High Society – die zwar bereitwillig die Tische in den Spielhöllen mit ihm teilte, ihn jedoch, wie er sehr wohl wusste, niemals in ihre Ballsäle einladen würde –, dass der Lord of Avondale eine gute Partie für seine Tochter gemacht hatte.

Eine weitaus bessere, als ein verarmter Mann mit seinem Ruf eigentlich hätte arrangieren können.

Einen Duke.

Der Mann platze fast vor Stolz ob dieses Triumphs.

Lachlan wusste, dass der Earl nichts von Wert besaß. Außer seiner Tochter.

Er erinnerte sich an das Mädchen. Sie war hübsch, einer Puppe gleich, und schien furchtbar zerbrechlich mit ihrem blonden Haar, so hell, dass es fast weiß war, und den großen blauen Augen, blau wie Rotkehlcheneier. Er hatte sie damals bemitleidet. Als Bursche für den Earl zu arbeiten, war hart gewesen, doch die Vorstellung, als sein Kind in diesem Mausoleum von einem Herrenhaus leben zu müssen, war weitaus schlimmer gewesen.

Mit nutzlosen Vätern kannte Lachlan sich aus. Und den Earl hatte er für noch mehr als nutzlos gehalten.

Ja, das Mädchen hatte ihm leidgetan, und wäre er ein anderer Mann gewesen, hätte er sich schuldig gefühlt, es jetzt zu benutzen.

Doch er war kein anderer.

Er war ein Mann des Krieges. Ein Mann, der den Mut hatte zu sein, was sein Vater nicht hatte sein können. Ein Mann, der sich weigerte, dazusitzen und sich die Taschen vollzustopfen, während seine Leute leer ausgingen.

Er war in den Krieg gezogen, um zu kämpfen. Und um zu sterben.

Doch nachdem er nahezu ein Jahrzehnt im Kampf verbracht hatte, war aus dem von den Engländern verachteten Jüngling ein Waffenbruder geworden.

Durch den kriegsbedingten Bedarf und aufgrund seines Könnens war er im Rang immer weiter aufgestiegen, bis hin zum Captain. Ihm unterstand eine Gruppe junger Männer, die meisten Schotten wie er, die, in ihre Kilts gekleidet, hart für ihre Unterdrücker gekämpft hatten und sich durch diese Taten einen Respekt verdienten, den sie nie gewollt hatten.

Der Krieg hatte sie alle gleich gemacht. Er konnte den Tod eines jungen Mannes auch nicht besser verkraften, wenn er Engländer war. Schlammbespritzt und blutbesudelt waren sie alle gleich.

Als er dann einen jungen Kameraden, einen Aristokraten, der im Kampf verwundet worden war, gerettet hatte und die ganze Nacht im Schützengraben bei ihm geblieben war, während der Kugelhagel um sie herum niederging …

Da war er plötzlich zu einem mit Orden dekorierten Kriegshelden geworden und zudem zu einem sehr reichen Mann. Was ihm bei der Ausübung seiner Rache so viel mehr Möglichkeiten eröffnete. Darüber hinaus verschaffte es ihm die Mittel, in Ordnung zu bringen, was sein Vater beinahe zerstört hatte.

Er hatte einen Plan. Sich schuldig zu fühlen, konnte er sich dabei nicht erlauben.

Schuldgefühle waren ein Luxus, den sich nur jene leisten konnten, die reich waren und einen Titel hatten. Aber soweit Lachlan das beurteilen konnte, waren gerade die für das Gefühl der Schuld nur sehr selten empfänglich.

Der Vater des Mädchens konnte sich jedenfalls glücklich schätzen, dass Lachlan sich für diese Lösung entschieden hatte und nicht dafür, ihm den Kopf von den Schultern zu schlagen.

Nachdem er seine Pferde sicher im Stall untergebracht hatte – ein Stall, der ihm von seiner Zeit auf Avondale nur allzu vertraut war –, ging er zum Haus. Es war noch genauso finster und imposant wie damals. Die englischen Herrenhäuser unterschieden sich himmelweit von den uneinnehmbaren Steinfestungen der Highlands, wo er als Sohn eines Clanführers geboren worden war. Wenn er sich auch in Lachlans Augen mit Schande überhäuft hatte, so hatte sein Vater dennoch eine Aura der Macht bewahrt. Keine Tür war Lachlan in seinem Heimatland je verschlossen.

Ganz anders dagegen in England.

Auch wenn sich die Meinung der Engländer über die Schotten im Laufe der Jahre und nachdem sie gesehen hatten, wie verflucht gut sie kämpfen konnten, gewandelt hatte, blieb ihm der Zutritt zur höheren Gesellschaft doch verwehrt. Kriegsheld hin oder her.

Über drei Jahre hatte er sein Handelsunternehmen aufgebaut und konnte sich inzwischen den Zutritt in jeden Londoner Club erkaufen, doch er teilte das Schicksal vieler Kaufleute … in der besseren Gesellschaft würde man ihn niemals als ebenbürtig betrachten. Nicht, dass er Wert darauf gelegt hätte. Es gefiel ihm, die Spielhöllen zu besuchen und mehr Münzen auf den Tisch legen zu können als viele Adlige. Sie zu zwingen, sich mit jemandem, der so weit unter ihnen stand, abgeben – und gegen ihn verlieren – zu müssen.

Es war wie eine Rebellion gegen seinen Vater und dessen Faszination für die Engländer.

Aber die Zeit für Spiele war vorbei.

Es war an der Zeit fortzugehen. Zeit heimzukehren.

Obgleich die Erinnerung, die er an sein Heimatland hatte, der Wirklichkeit vielleicht nicht standhalten konnte. Würde man ihn dort mit Schwertern und Mistgabeln begrüßen, hätte es ihn nicht allzu sehr überrascht.

Sollte der Clan glauben, er wäre seinem Vater auch nur ansatzweise ähnlich, hätte er es ihnen nicht einmal verübeln können.

Sein Vater hatte im Versuch, zu leben, wie es der englische Adel tat, das Geld nur so verprasst, das Geld seines Clans, seiner Leute. Er hatte es in Edinburgher Pubs versoffen, während jene, die zu beschützen er geschworen hatte, Hunger litten und der Stammsitz um sie herum immer weiter verfiel.

Es mochte zu spät sein, es mochte nicht mehr genug übrig sein, was noch zu retten war.

Doch Tatsache war, das Scheitern lag ihm nicht im Blut.

Und Barmherzigkeit ebenso wenig.

Wie der Earl of Avondale gerade erfahren durfte.

Für Lachlan war es Zeit heimzukehren, doch er würde ein Souvenir mitbringen. Das Kostbarste jenes Mannes, der ihn beinahe zerstört hatte.

Nichts hätte süßer sein können.

Seine Mutter hatte ihn damals nach England geschickt. Sie hatte die Beziehungen seines Vaters genutzt, um ihm eine Anstellung bei dem Earl zu verschaffen, und sie hatte es ohne das Wissen und die Einwilligung seines Vaters getan, der es für eine große Schande gehalten hätte, den eigenen Sohn auszuschicken, um das Geld einzunehmen, das er selbst vergeudete.

Der Earl aber betrog Lachlan und zahlte ihm keinen Lohn. Als Versager konnte er nicht zurück in die Heimat. Also blieb er. Darauf wartend, dass der Mann seine Schuld beglich, und währenddessen …

Erlag seine Mutter ihrer Verzweiflung.

Sie nahm sich das Leben.

Sein Vater trug gewiss die größte Schuld daran. Doch der Earl of Avondale hatte dabei ebenfalls eine Rolle gespielt, und dafür würde er bezahlen.

Lachlan ging zur Tür und klopfte an. Er wartete nicht gerne und hätte auch einfach hereinplatzen können. Doch man würde ihn einlassen. Ein Diener würde das tun. Eine Stellung, die er selbst nicht mehr einnahm.

Er wäre dazu in der Lage, dieses Anwesen zu kaufen, den Earl of Avondale zu kaufen, gleich zweifach. Er verneigte sich vor niemandem.

Das Glück hatte die Seiten gewechselt, und das wollte Lachlan den Earl gründlich spüren lassen.

Der Butler, der ihm öffnete, war derselbe wie damals, als Lachlan fünfzehn gewesen war. Er hatte ihn recht beeindruckend in Erinnerung. Ein Gesicht wie ein Falke, breite Schultern, die nun, wie Lachlan sah, lediglich aufgepolstert waren.

Die schwarzen Augen des Mannes wirkten nicht mehr einschüchternd, vielmehr lag eine tiefe Erschöpfung darin, was Lachlan als Junge nicht aufgefallen war.

Er empfand kein Mitleid. Das war der Preis, den man zahlte, wenn man für den Teufel arbeitete.

Da er aber selbst einmal bei dem Earl angestellt gewesen war, verurteilte er den Mann auch nicht.

„Mr. Bain“, sagte er, „der Earl erwartet Sie.“

„Captain“, korrigierte Lachlan, „Captain Bain.“

Es verschaffte ihm Befriedigung, dem Engländer, der ihn offenbar in einen gewissen gesellschaftlichen Rang pressen wollte, seinen Aufstieg in der britischen Armee unter die Nase zu reiben.

Die Lippen seines Gegenübers kräuselten sich leicht. Ob der Mann ihn erkannte, konnte Lachlan nicht mit Gewissheit sagen. Aber er erkannte einen Schotten in ihm und verachtete ihn offensichtlich. Doch dem Mann blieb keine andere Wahl, als ihn einzulassen, also tat er es. Lachlan sah sich in der Halle um, die einst eine wahre Pracht gewesen war. Jetzt waren die Tapeten fleckig und schälten sich von den Wänden, die aufgemalten Blumen waren verzerrt und aufgequollen von der Feuchtigkeit, die ins Gemäuer zog. Offenbar blieben auch Aristokraten von Nässe nicht verschont.

Ehe er noch einen weiteren Schritt tun konnte, flog eine Tür auf, und eine Frau stürzte beinahe in ihn hinein. Sie straffte die Schultern und strich ihre Röcke glatt. Ihre Hände zitterten sichtlich.

„Ganz ruhig, Mädchen“, sagte er.

Seine Worte beruhigten sie jedoch nicht im Geringsten. Sie blickte ihn mit großen blauen Augen furchtsam an. Er war es gewohnt, dass Männer voller Angst zu ihm aufsahen. War es gewohnt, dass er das Letzte war, was sie überhaupt je sahen. Sein Ruf, ein brutaler Kämpfer zu sein, eilte ihm voraus und war wohlverdient.

Doch kleine Frauen zu verschrecken, bereitete ihm keine Freude.

Es dauerte einen Moment, ehe er in dieser Frau seine Frischverlobte erkannte. Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie ein kleines Kind gewesen war. Doch Spuren dieses Mädchens waren noch immer an ihr zu sehen. Sie war noch ebenso zierlich, grazil. Ihre rundlichen Wangen waren verschwunden, doch das Blau ihrer Augen und auch der unbeugsame Zug um ihr Kinn waren geblieben.

Ihr Kleid war schlicht und hell, weiß wie Milch, wie ihre Haut, der Ausschnitt tief, wie es gerade in Mode war. Er hatte sich schon des Öfteren gefragt, ob Männer für die derzeitige Offenherzigkeit verantwortlich waren, da es einen verlockenden Blick auf das weibliche Fleisch bot.

Eine solche Schönheit hatte er jedenfalls nicht erwartet. Wobei ihm das Wort schön zu unpassend erschien.

Sie war wie eine Elfe. Als schimmerte Gold unter ihrer Haut.

So viel reizvoller, als er sie sich vorgestellt hatte. Er hätte nie gedacht, dass sich dieses Kind, das damals fast nur aus Gliedmaßen zu bestehen schien, je zu etwas dermaßen Ansprechendem entwickeln würde.

Immer noch war sie schlank, ihr Haar blassblond wie feines Gold, ihre Augen von einem Blau, wie man es nur in den Tiefen des Meeres fand. Geheimnisvoll wie der Ozean. Er sah ihre Angst, doch da war noch mehr. Stärke und Hartnäckigkeit und etwas, das er nicht benennen konnte.

Eine überraschende Tiefe.

Vermutlich hatte sie die immer schon gehabt. Diesen Zauber hinter ihrer standhaften Haltung. Verletzlichere Geschöpfe wären daran zerbrochen, mit einem Mann wie dem Earl leben zu müssen. Sie aber hatte ihre Standhaftigkeit gewahrt, und er fand es bewundernswert.

Und doch sah er hinter ihrem Widerstand auch ihre Furcht. Ihr Puls flatterte an ihrer zarten Kehle, und es ärgerte ihn beinahe, dass ihr Körper sie auf diese Weise verriet, ihren Lebensquell derart zur Schau stellte. Den ein Mann so leicht zerstören konnte, wenn ihm der Sinn danach stand.

Ein anderer hätte vielleicht Mitgefühl für sie aufgebracht, in seinem Leben aber war kein Platz dafür.

Sie“, sagte sie, und auf ihrem Gesicht breitete sich statt der Furcht erschütternde Erkenntnis aus.

„Aye“, sagte er. „Du hast also schon mit deinem Vater gesprochen.“

„Das meine ich nicht. Sie sind es. Sie sind der Junge.“

Sie erinnerte sich. Er hatte sich gefragt, ob sie das tun würde, wenn er denn einmal an sie gedacht hatte, was nicht oft vorgekommen war und auch nie sonderlich lange. Zumeist war sie in seinen Gedanken nur als Werkzeug für seine Rache erschienen.

Jetzt, da sie vor ihm stand, offensichtlich eine Frau, keine Schachfigur, fiel ihm das etwas schwerer.

Die meisten Frauen offenbarten ihm deutlich, was sie von ihm wollten, oder auch nicht wollten. Angst, Lust oder Gier, ein Aufflackern in ihren Augen, ein Lächeln, nichts Tiefgründigeres.

Nicht so bei dieser Frau.

Er wusste, von welchem Schlag Mann ihr Vater war. Mit ihm unter einem Dach zu leben, hätte den stärksten Mann brechen können, und doch stand sie hier vor ihm, aufrecht mit erhobenem Kopf.

Sie war in jeder Hinsicht eine Überraschung, obwohl es nicht so hätte sein sollen.

Ein vernachlässigtes Kind, das selbst eine gebrochene Schwinge hatte, das sich hier auf dem Anwesen damit beschäftigt hatte, verletzte Tiere zu retten. Wunderlich, hatte er damals gedacht, da sie so offenkundig selbst Rettung gebraucht hätte, und dennoch befasste sie sich mit anderen in Not geratenen Geschöpfen, ohne zu erkennen, wie ähnlich sie ihnen war.

Doch all das änderte nichts an seinem Vorhaben.

Die aufflackernde Lust allerdings, die ihn überkam, wenn er seine zukünftige Braut betrachtete, war ein gleichermaßen unerwarteter wie willkommener Zusatz zu seiner Rache.

„Der Junge, mit dem ich immer redete. Der Junge, der mir half, einen Vogel zu retten“, fügte sie hinzu.

„Ja. Ich sollte mich geehrt fühlen, dass du dich an mich erinnerst. Aber ich bin kein Diener mehr. Und kein Junge. Ich bin Captain Lachlan Bain, Chief des MacKenzie-Clans. Und du bist meine Braut.“

2. KAPITEL

Penelope war geradewegs vom Kamin fort und … nun, direkt in den Feind hineingelaufen.

Nur dass dieser Feind der Mann war, den sie einst als … beinahe als Freund bezeichnet hatte. Ihr einziger Freund auf der Welt, vor langer Zeit. Es hätte damals für sie beide in einem Desaster geendet, wenn es ihrem Vater zu Ohren gekommen wäre. Aber sie war vorsichtig gewesen, hatte sich tagsüber aus dem Haus geschlichen, wenn ihr Vater anderweitig beschäftigt gewesen war. Wenn er sie sich selbst überlassen hatte, ohne Gouvernante oder andere Aufsicht.

Also war sie stundenlang durch die angrenzenden Felder gestromert und hatte verwundete Tiere aufgelesen.

Und Lachlan hatte ihr geholfen, sie zu retten.

Für sie war er ein Engel gewesen. Sie hatte seinen lustigen Akzent geliebt und wie das Sonnenlicht in seinen Locken schimmerte. Sie hatte gemocht, wie er sie anlächelte.

Insgeheim war sie am Boden zerstört gewesen, nachdem er fortgegangen war. Ein weiterer trauriger Schlag.

Es war verlockend, sich einen Moment dem Glauben hinzugeben, er wäre um ihretwillen zurückgekehrt. Aber so war es nicht. Wenn sie ihn ansah, wusste sie es.

Von dem Jüngling, den sie einst gekannt hatte, steckte kaum noch etwas in ihm.

Sie hatte ihn nicht ganz so groß in Erinnerung. Allerdings war sie noch ein Kind gewesen, und ihr war jeder groß erschienen, und so war es bemerkenswert, dass er sie auch jetzt noch überragte.

Ganz gewiss aber war er nicht so kräftig gewesen.

Seine Hände waren lädiert und voller Narben, und eine große, wulstige zog sich über seinen Hals bis unter den Kragen seines weißen Hemdes. Ein Hemd, das etwas zu weit geöffnet war und mehr von seiner Brust zeigte, als schicklich war.

Er trug einen Kilt mit grünem Tartanmuster, ein Schwert an den Hüften und eine Felltasche, die mit einem Dachskopf verschlossen war.

Sie wusste, der Kilt war die übliche Tracht der schottischen Soldaten, doch es kam eher selten vor, dass jemand sie zu privaten Anlässen trug.

Sie sah ihm in die Augen, hoffend, etwas Vertrautes darin zu erblicken. Hoffend, Lachlan zu sehen, wie sie ihn einst gekannt hatte. Doch sie waren hart wie Stein, sein Mund zu einem grimmigen Strich zusammengepresst. Auf sie wirkte er ebenso geheimnisvoll und beängstigend wie die Highlands selbst.

Hätte sie gehofft, einen Verbündeten in ihm zu finden, würde sie vermutlich enttäuscht werden. Denn dieser Mann war nicht sanft. Sie konnte ihn sich nicht vorstellen, wie er sich zu einem kleinen bekümmerten Kind beugte, um ihm zu helfen, einen verwundeten Vogel zu retten. Nein. Sehr wohl aber konnte sie sich vorstellen, wie er seine große Hand um dieses zerbrechliche Geschöpf legte und es zerquetschte.

Sie sollte ihm gegenüber die gleiche Taktik anwenden, wie sie es bei ihrem Vater tat. Sachliche, vernünftige Gesprächsführung.

„Ich bin bereits verlobt“, sagte sie, bemüht, bedauernd zu klingen. „Traurig, aber wahr. Eine Verlobung zwischen uns beiden gestaltet sich daher als recht schwierig.“

„Das stellt kein Problem dar, Mädchen.“ Seine Stimme war voll und tief. Sie erinnerte sich an den Akzent, aber die Stimmlage hatte sich geändert. Es gefiel ihr nicht, wie sie in ihrer Brust vibrierte.

Er war in ihr Haus gekommen und füllte den ganzen Raum mit seiner Präsenz. Jetzt drang er auch in sie ein.

„Dein Vater schuldet mir etwas. Und Geld wird nicht genügen.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Du musst nichts verstehen. Du musst nur tun, was man dir sagt.“

Nun, sachlich schien nicht zu funktionieren. Er würde ihr keine Antworten geben, mit denen sie etwas anfangen konnte. Nichts von all dem ergab Sinn. Er war ein Jüngling gewesen, ein Bediensteter, als er von hier fortgegangen war, und jetzt behauptete er, ihren Vater in der Hand zu haben.

„Ich glaube, ich begreife nicht recht“, sagte sie erneut und betont geduldig. „Als Sie zuletzt hier waren, waren Sie ein Diener. Vielleicht verstehen Sie, weshalb es mir schwerfällt zu begreifen, wie Sie es von dort bis …“, sie ließ ihre Hand kreisen und deutete dann vor sich auf den Boden, „hierher geschafft haben.“

„Als ich im Krieg war, rettete ich dem richtigen reichen Mann den Hals. Seine Eltern waren außerordentlich dankbar. Sie gaben mir, was dein Vater mir versprach, aber nie einlöste.“

„Wie bitte?“

„Ich arbeitete viele Jahre für deinen Vater. Blut und Schweiß, Mädchen. Er zahlte keinen Lohn. Ich war ein mittelloser Junge in einem fremden Land, das mir aufgrund meiner Herkunft ungnädig gesinnt war. Es boten sich mir nur wenige Möglichkeiten, als ich ankam, und noch weniger, nachdem ich ein Jahr hier verbracht hatte und all das Geld, das meine Mutter mir schickte, verbraucht war. Als ich deinen Vater mit den fehlenden Zahlungen konfrontierte, versprach er mir ein Handelsschiff, wenn ich weitere drei Jahre für ihn arbeitete.“

„Das ist … Ich kann mir kaum vorstellen, dass mein Vater einen Jungen mit etwas so Wertvollem entlohnen wollte.“

„Das tat er auch nicht“, sagte Lachlan. Er lächelte, doch es lag nichts Freundliches in diesem Lächeln. „Er hatte gelogen. Er schickte mich mit leeren Händen fort. Nach Jahren voller Versprechungen. Jahre, in denen ich umsonst gearbeitete hatte. Ich verfügte nicht über die Mittel heimzukehren, und als ich hier fertig war, als ich erkannte, dass es zu nichts führte, dass ich all die Jahre verschwendet hatte, war meine Mutter tot.“ Er verzog die Lippen, sein Blick grimmig. Finster. „Ich konnte nichts tun, um sie zu retten.“

„Der Verlust Ihrer Mutter tut mir leid“, sagte sie. „Wirklich. Ich weiß, wie das ist. Meine Mutter ist auch tot.“

„Versuchst du, mich bei meinen Gefühlen zu packen? Dann vergeudest du deine Zeit, Mädchen. Ich habe keine.“

„Das ist nicht wahr. Sie hatten eine.“ Sie wusste es, denn sie hatte ihr alles bedeutet. Ihr, einem Mädchen, gefangen in sich selbst.

„Der Junge, den du kanntest, ist tot.“ Die Worte klangen gespenstisch. Hätte er es voller Wut gesagt, oder wäre irgendeine Gefühlsregung auf seinem Gesicht erkennbar gewesen, hätten sie weniger erschreckend geklungen. Doch es war die Leere, die Art, wie sein Gesicht sich versteinerte, unbeweglich und starr wurde wie eine Felsklippe, was ihre Seele mit Eiseskälte erfüllte. „Er starb irgendwo auf einem Schlachtfeld in Belgien. Der Mann, der vor dir steht, will nur seine Rache üben, ehe er heimkehrt und um Vergebung bittet. Ich habe mein Schiff bekommen, doch ich bezahlte es mit Blut. Und ich machte ein Vermögen. Was bedeutet, dass ich nun die Macht habe. Dein Vater aber hat keine. Er hat gar nichts. Und ich bestimmte den Preis seiner Schuld. Traurig für ihn, dass du dieser Preis bist.“

„Aber warum?“, fragte sie. „Wenn Sie Geld genug haben, welchen Unterschied macht es noch?“

„Meine Mutter ist tot. Ich will dein Leben für ihres.“

Ein unheilvoller Schauer durchlief sie. „Sie wollen doch nicht … Sie wollen nicht …“

„Tot bist du mir nicht von Nutzen.“

„Ehrlich gesagt“, fuhr sie fort, ihren strategischen Pfad allmählich verlassend, „wäre ich Ihnen lebend auch nicht von Nutzen. Mein Vater sagt mir sehr oft, wie nutzlos ich bin. Abgesehen von meiner Schönheit, natürlich, was ich nur wenig beruhigend finde.“

Er starrte sie mit kalten Augen an. Vermutlich war es nicht sonderlich klug von ihr gewesen, über ihre eigene Schönheit zu reden. Doch tatsächlich bedeutete sie ihr selbst nichts.

Sie räusperte sich und sprach weiter. „Es muss jedoch gesagt werden, dass ich ihm in gewisser Weise von Nutzen war, als ich die Verlobung mit dem Duke of Kendal einging.“

„Wenn Kendal dich nützlich fand, werde ich gewiss auch etwas mit dir anzufangen wissen.“ Seine Worte waren schroff und deuteten auf ein Geheimnis hin, das sich ihr nicht ganz erschloss.

Etwas, das sie erschaudern ließ, bei dem sich die Haare auf ihren Armen aufstellten.

Sie verbannte dieses unliebsame Gefühl tief in ihr Innerstes. „Nun, inwiefern er mich für nützlich hält, kann ich nicht sagen, doch seine Schwester mag mich sehr und seine Mutter ebenso und …“

„Ich schere mich nicht um die näheren Umstände einer Verlobung, die nicht länger Bestand hat.“

„Dann wollen Sie mir vielleicht von den näheren Umständen dieser hier erzählen.“

Er kam einen Schritt näher. „Du hast recht. Dein Vater war sehr stolz auf deine Verlobung mit dem Duke. Es war seine größte Errungenschaft. Und ein Ausweg aus seinen Schulden. Es macht mir große Freude, ihn beiderlei zu berauben.“

„Dann bin ich einfach nur … ein Teil Ihrer Rache? Eine Spielfigur? Ohne Rücksicht darauf, dass ich eigene Pläne hatte. Dass ich annahm, jemanden heiraten zu können, dem ich zugetan bin. Das ergibt doch keinen Sinn. Sie …“ Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, während sie überlegte, wie sie an seine Menschlichkeit appellieren konnte, von der sie nicht wusste, ob er sie überhaupt besaß. „Sie retteten einen Vogel.

„Nun erwähnst du diesen Vogel bereits zum zweiten Mal. Ich gebe zu, ich erinnere mich an dich als Kind nicht besonders gut, aber ich erinnere mich an dein Geplapper, und ich hoffte, du wärest dem entwachsen.“

„Das ist kein Geplapper!“, protestierte sie. „Der Vogel ist wichtig!“

Sie war nicht länger in der Lage, ihre Gefühle, ihre Unzufriedenheit, vollends zu verbergen. Der Vogel, die Wahrheit über Lachlan, wie sie ihn kannte, war ihre einzige Hoffnung gewesen.

Und sie war dieser Hoffnungsschimmer so überdrüssig, die schwach in der Ferne leuchteten, nur um dann doch zu verglühen.

„Sie halfen mir, den Vogel zu retten“, sagte sie wieder. „Ich suchte Sie und fand Sie in den Stallungen. Ich hatte diesen kleinen Vogel gefunden, der aus dem Nest gefallen war, und Sie halfen mir, ihn zu retten.“

„Du misst dem viel zu viel Bedeutung bei. Ich war nur ein Knecht, der sein Bestes tat, damit die Mistress des Hauses nicht ihrem Vater berichtete, ich hätte sie enttäuscht. Zu jener Zeit dachte ich noch, ich könnte meine Familie retten, meinen Clan. Ich hatte noch ein Herz in der Brust. Ich denke, du wirst kaum verstehen, wie der Krieg einen Mann härter macht, ihn verändert. Es gibt Schlachten, natürlich. Aber was in diesen Schlachten geschieht, verwandelt Männer in Bestien, und was diese Männer mit den Unschuldigen machen, ist unvorstellbar.“

In seinem Tonfall schwang etwas ganz und gar Kaltes und Trostloses mit, etwas, das sie innerlich frösteln ließ. Doch sie weigerte sich, klein beizugeben. Sie hielt seinem Blick stand, so schwer es auch fiel. „Ich begreife nicht, wie der Junge, der mir damals half, diesen Vogel zu retten, heute so barbarisch sein kann, mich zu einer Heirat zu zwingen, die ich nicht wünsche.“

„Du hast nicht einmal im Ansatz gesehen, wie barbarisch ich sein kann. Und solltest du glauben, deine Gefühle interessierten mich mehr als das Schicksal irgendeines Vogels, irrst du dich erheblich.“ Seine Worte waren unerbittlich, und ein Versprechen schwang darin mit, das sie nicht recht ergründen konnte. Es sandte eigentümliche nervöse Wellen durch ihren Körper, die bis in ihre Glieder ausströmten. „Mir sind genau zwei Dinge wichtig, Mädchen, deine Gefühle zählen nicht dazu.“

Seine Augen waren grün. Tief und dunkel und gefühllos. Als er zuerst vor ihr stand, hatte sie ein Gefühl des Vertrautseins überkommen, doch je länger sie ihn ansah, desto mehr schwand es.

Bis nichts weiter übrig blieb als ein Fremder.

Er hatte recht, er war nicht mehr der Junge, der ihr geholfen hatte. Der Junge, der ihr vor all den Jahren ein Freund gewesen war. Der Junge, dessen Verschwinden sie einst betrauert hatte. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, sich in einer noch kälteren Situation wiederzufinden als die, in der sie aufgewachsen war. Doch es war möglich.

Obgleich das ihrem Vater gegenüber vielleicht nicht gerecht war.

Er hatte sie versorgt und gekleidet. Hatte sie nicht fortgeschickt. Hatte sie nicht geschlagen. Sie war einsam, ja. Aber Einsamkeit war nicht verheerend.

„Gedenken Sie, mit mir nach Schottland zu reisen, um mich auf der Stelle zu heiraten?“ Sie reckte das Kinn, bemüht, ihre Angst nicht zu offenbaren.

Aber sie hatte Angst.

Und wie sie aus eigener Erfahrung mit einigen verwilderten Hunden wusste, tat man gut daran, seine Angst nicht zu zeigen, andernfalls lief man Gefahr, gebissen zu werden.

Und sie verspürte kein Verlangen danach, gebissen zu werden.

Mehr noch sollte er aus ihrer Furcht keine Befriedigung schöpfen. Er hasste ihren Vater. Wie viel mehr Freude würde ihm seine Rache bereiten, wenn sie vor ihm kuschte? Oder weinte?

Sie konnte einzig selbst darüber entscheiden, was sie vor ihm verbarg oder was sie ihm preisgab.

Und doch kroch die Furcht an ihr empor wie eine Viper und umschlang sie in einer unerbittlichen Spirale.

Die Ehe, und alles, was damit zusammenhing, war ihr in vielerlei Hinsicht ein Rätsel. Sie konnte sich nur nebelhaft daran erinnern, wie ihre Eltern miteinander zu sprechen pflegten. Ihre Mutter hatte immer blass und abgehärmt gewirkt. Auf eine Art einsam, wie es auch Penny vertraut war. An ihre Eltern als Paar hatte sie kaum eine Erinnerung. Viele Mädchen konnten ihre Schlüsse anhand dessen ziehen, wie die Eltern miteinander umgingen – ob gut oder schlecht –, und so das eine oder andere Geheimnis selbst lüften. Sie konnte nicht einmal das.

Sie war zuversichtlich gewesen, dass der Duke es schon richten würde. Dass er geduldig mit ihr sein und ihr dabei helfen würde, ihre Pflichten, nicht nur als Duchess, sondern auch als Ehefrau, zu verstehen.

Diese Zuversicht konnte sie einem Mann wie Lachlan Bain nicht entgegenbringen.

Was wollte er von ihr? Und wie schnell?

Ihr ganzer Körper erbebte bei dieser Überlegung.

Weil sie viel las und diese Sache sie neugierig machte, hatte sie eine vage Vorstellung davon, was zwischen Mann und Frau geschah. Die Bibliothek ihres Vaters enthielt so gut wie keine Bücher über derlei Themen, doch sie hatte ein Geschick dafür, Stellen zu finden, in denen die Kopulation erwähnt wurde. In Bezug auf Pferde. Und Hühner. Hier und da auch auf Männer und Frauen.

Sie wusste gerade genug, um sich beim Gedanken daran zu schämen, und doch so wenig, dass sie das Gefühl hatte, eigentlich gar nichts zu wissen.

„Nein. Das habe ich nicht im Sinn. Aber ich habe keine Geduld zu warten, bis das Aufgebot verlesen ist, daher werde ich eine Sonderlizenz einholen. Wir können schnellstmöglich heiraten.“ 

„Und welchem Zweck dient das?“

„Dem einer Eheschließung in einer Kirche. Ganz legal in England. Über die dann in ganz England geredet wird.“

„Ich glaube, Sie unterschätzen die Wirkung, die es hätte durchzubrennen.“ Sie wusste nicht, weshalb sie das sagte. Sie wollte nicht durchbrennen.

„Keinesfalls. Doch es gefällt mir, deinen Vater zu zwingen, an diesem Ereignis teilzuhaben. In derselben Kirche, in der du Seine Gnaden geheiratet hättest.“ Irgendwie klang der Ehrentitel des Dukes aus seinem Munde wie eine Beleidigung, sein Akzent betonte die Worte, als wären sie ein abscheulicher Fluch.

Sie runzelte die Stirn. „Sie spielen ein Spiel.“

„Vielleicht. Ein logisches. Schach, denke ich.“

„Ich habe keine Lust darauf, eine Schachfigur zu sein.“

„Ich glaube kaum, dass sich eine Schachfigur aussuchen darf, in welchem Spiel sie mitspielt. Und mehr bist du nicht. Ein Bauer.“

Sie hätte nicht gedacht, dass es möglich wäre, sie noch abwertender zu behandeln, als ihr Vater es so manches Mal getan hatte. Lachlan Bain aber gelang es, ihr das Gefühl zu geben, tatsächlich unbedeutend zu sein. Keine Eigenheit, die sie bei einem Ehemann schätzen würde.

„Werde ich Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen?“

„Deinem Vater?“

„Dem Duke.“

„Noch verfüge ich nicht über deine Zeit, Mädchen. Wenn du das Verlangen hast, mit ihm zu sprechen, ist das deine Entscheidung.“

„Wie außerordentlich großzügig von Ihnen.“

Der Bissen Toast begann, in ihrem Magen zu rebellieren.

Aß man Toast in Schottland? Sie wusste es nicht. In all ihren Lektüren waren die schottischen Speisegewohnheiten kein Thema gewesen. Sie hatte auch nicht erwartet, dass es irgendwann einmal relevant sein würde. Jetzt schien es sogar sehr relevant zu sein.

„Isst man bei Ihnen Toast?“ Die Frage klang verzagter, als es ihre Absicht gewesen war. Bei allem, was sie hätte fragen können, hatte der Toast wohl kaum Priorität.

Und doch schien es zwingend erforderlich, das zu erfahren.

Seine versteinerte Miene entglitt ihm plötzlich, wenn auch nur für einen flüchtigen Moment, und wäre sie nicht so verängstigt gewesen, hätte sie es als kleinen Sieg gewertet.

Autor

Millie Adams
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