Die Antwort kennt nur dein Herz!

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Wer ist mein Daddy? Weil Leyne auf die Frage ihrer Nichte Pip keine Antwort hat, beginnt sie nachzuforschen. Und schließlich findet sie heraus: Der charmante Unternehmer Jack Dangerfield ist Pips Vater. Mutig konfrontiert sie ihn mit ihrem Wissen, doch Jack streitet alles energisch ab. Dieser Mann ist Leyne ein Rätsel! Lügt er sie an - oder spricht sein Herz die Wahrheit, als er sie sehnsuchtsvoll küsst?


  • Erscheinungstag 02.12.2007
  • Bandnummer 1605
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493622
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sie standen gerade in der Küche des großen alten Hauses, als Leyne spürte, dass ihre Nichte sie ansah. Sofort nahm sie den Blick von der Schuluniform, die sie bügelte, und drehte sich zu Pip um.

„Was ist denn?“, fragte sie.

Pip starrte sie noch einige Sekunden lang an, dann wurde sie rot. „Leyne, weißt du, wer mein Vater ist?“, platzte sie unvermittelt heraus.

Die Frage kam so unerwartet, dass Leyne fast die Luft wegblieb. Pip hatte sich noch nie für ihren Vater interessiert. Warum musste sie sich ausgerechnet jetzt, da ihre Mutter im Ausland war, nach dem Mann erkundigen?

„Nein, Liebes, das weiß ich nicht“, antwortete Leyne ehrlich.

„Hmm.“ Pip schien sich damit abzufinden und stellte die nächste Frage. Es ging um das Geschichtsprojekt, an dem sie gerade arbeitete und das sie am nächsten Morgen in der Schule präsentieren musste.

Leyne konnte nur hoffen, dass Pips plötzliches Interesse an ihrem Vater eher beiläufig und nicht von Dauer war. Doch als sie an diesem Abend im Bett lag, musste sie immer wieder daran denken, wie forschend die elfeinhalb Jahre alte Tochter ihrer Halbschwester sie angesehen hatte.

Normalerweise war Pip ein unkompliziertes, liebenswertes Kind, aber hin und wieder trat ein sehr nachdenklicher Ausdruck in ihre hübschen grünen Augen, und dann konnte sie äußerst hartnäckig sein. Und wenn die Antwort auf ihre Frage, warum oder wer oder was auch immer, sie nicht zufriedenstellte, ließ sie nicht locker, bevor sie erfuhr, was sie wissen wollte.

Als Leyne ihre Nichte und deren Freundin Alice Gardner am nächsten Morgen an der Schule absetzte, hoffte sie noch immer, dass Pip das heikle Thema nicht wieder anschneiden würde. Danach, bei der Arbeit, fiel es ihr schwer, sich so auf die Zahlen zu konzentrieren, wie man es von einer Buchhalterin erwarten konnte.

Pips Mutter Maxine war vor einer Woche zu einer längeren Auslandsreise aufgebrochen. „Bist du sicher, dass du mit Pip zurechtkommst?“, hatte Maxine erst gestern bei ihrem Anruf vom Flughafen in Madrid gefragt.

Zunächst hatte Maxine Ben Turnbulls fantastisches Angebot abgelehnt. Turnbull war einer der bekanntesten Fotografen der Welt. Nach einem Autounfall hatte er sich entscheiden müssen, ob er einen Assistenten engagierte oder die sechsmonatige Reise absagte. Offenbar hatte er sich den lukrativen Auftrag nicht entgehen lassen wollen, selbst wenn er dazu zwei Mitarbeiter mitnehmen musste.

Mit fünfunddreißig und obwohl sie alleinerziehende Mutter war, hatte Maxine sich selbst einen Namen als Fotografin gemacht. Ben Turnbull hatte von ihr gehört und an „Max Nicholson“ geschrieben. Ohne vorher mit ihr gesprochen zu haben, bot er ihr einen Job an, von dem jeder Fotograf nur träumen konnte.

Leyne erinnerte sich daran, wie Maxines Augen geleuchtet hatten. Kein Wunder, dachte sie. Sechs Monate, vielleicht sogar länger, auf einer Reise um die Welt, bei vollem Gehalt, mit der Chance, Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, Wildblumen und einheimische Stammesvölker zu fotografieren – Maxine hatte ihr Glück kaum fassen können.

Doch dann wurde ihr rasch klar, dass sie leider ablehnen musste. „Nein“, entschied sie sich, als die harte Realität den schönen Traum verdrängte. „Es geht einfach nicht.“

„Warum denn nicht?“, fragte Leyne und fühlte die Enttäuschung ihrer Halbschwester, als wäre es ihre eigene.

„Das fragst du noch?“, entgegnete Maxine, während ihr Blick zu dem schwarzweißen Porträt wanderte, das sie einige Monate zuvor von ihrer Tochter Philippa gemacht hatte.

„Du … würdest mir Pip nicht anvertrauen?“

„Natürlich würde ich das! Du hast ja mehr mit ihr zu tun als ich! Vor allem wenn ich mal wieder auf Reisen bin.“

„Ich habe mich schon oft um Pip gekümmert“, sagte Leyne. „Und du weißt auch, dass ich notfalls zu Hause arbeiten werde. Solange die Firma nicht umziehen kann, ist mein Chef froh über jeden freien Schreibtisch und dankbar, wenn ich meinen mal zeitweilig räume. Könntest du diesen Auftrag nicht wie jeden anderen ansehen?“

Entgeistert starrte Maxine sie an. „Aber ich habe noch nie einen übernommen, der sechs Monate gedauert hat“, protestierte sie.

„So eine Chance bekommst du vielleicht nie wieder“, antwortete Leyne und dachte an das Leuchten in Maxines Augen, als sie den Brief das erste Mal überflogen hatte. „Außerdem würde dein Name danach noch bekannter werden.“

„Könnte ich doch nur Pip mitnehmen!“, stieß ihre Halbschwester inbrünstig hervor.

„Wenn du das tust, werde ich dir nie verzeihen“, sagte Leyne leise.

Maxine lächelte. „Du bist für sie wie eine zweite Mutter.“

„Ich wünschte, ich hätte eine Tochter wie sie“, erwiderte Leyne nur und schwieg einen Moment. Kurz nachdem Leynes Vater gestorben war, war Pip auf die Welt gekommen. Sie war ein süßes Baby, und für Leyne war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Damals war Leyne so alt wie Pip jetzt, nämlich elfeinhalb, und Leyne vergötterte das Baby geradezu. Wenn Pip Bauchweh hatte, litt Leyne mit ihr. Es war, als wäre die winzige Miss Philippa Nicholson ein Geschenk des Himmels, das ihrer jungen Tante half, den Tod des über alles geliebten Vaters zu verkraften.

„Pip fühlt sich inzwischen in der neuen Schule wohl.“ Maxine ging die Pluspunkte durch. Ihre Tochter war im letzten April elf geworden und vor einem Monat auf eine weiterführende Schule gewechselt. „Und ihr Asthma scheint sich zu legen. Aber … ich weiß nicht, Leyne. Es kommt mir so egoistisch vor, sie bei dir zu lassen, während ich um den Globus reise. Ganz zu schweigen davon, wie sehr ich sie vermissen werde, wie sehr ich euch beide vermissen werde.“

Leyne sah ihrer Halbschwester an, wie hin und her gerissen sie war. Das Leben war für Maxine nicht einfach gewesen. Obwohl Leyne und ihre gemeinsame Mutter sie nach Kräften unterstützt hatten, hatte die Verantwortung für Pip allein auf Maxines Schultern gelastet.

„Was würde dieser Auftrag für deine Karriere bedeuten?“

Maxine brauchte nicht lange zu überlegen. „Nun ja, mal abgesehen von der wertvollen Erfahrung ist es gut für meinen Ruf, wenn ich später darauf verweisen kann, dass ich ein paar Monate am Stück mit jemandem wie Ben Turnbull gearbeitet habe. Und wenn ich mitfahre, kann ich ziemlich selbstständig arbeiten und an Orten fotografieren, von denen ich bisher nur träumen konnte. Und …“

Ihre Augen begannen wieder zu leuchten, bis sie sich zwang, praktisch zu denken. „Und es dürfte sich auch finanziell lohnen.“

Beim Kaffee unterhielten sie sich weiter darüber, und für Leyne wurde es immer offensichtlicher, dass ihre Schwester sich diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen durfte. „Warum erwähnst du die Reise nicht beiläufig und stellst fest, wie Pip darauf reagiert?“, schlug sie schließlich vor.

„Ich will nicht, dass du fährst“, lautete Pips erste Reaktion, doch dann dachte sie auch an ihre Mutter. „Aber ich will erst recht nicht, dass du meinetwegen nicht fährst.“

„Du bist die beste Tochter, die man sich wünschen kann“, sagte Maxine gerührt.

Pip lächelte. „Ich würde ja mitkommen, aber jemand muss zu Hause bleiben und auf Leyne aufpassen.“

Damit war die Entscheidung so gut wie gefallen. „Bist du ganz sicher, dass ich Pip bei dir lassen kann?“, fragte Maxine, als die Schwestern zum letzten Mal zusammensaßen.

„Hör auf, dir Sorgen zu machen. Wir beide werden es schon schaffen.“

Doch als Leyne jetzt vor dem Firmengebäude von Paget and Company parkte, fragte sie sich, ob sie tatsächlich mit allem fertig werden konnte, und hoffte inständig, dass Pips plötzliches Interesse an ihrem Vater wirklich nur eine vorübergehende Laune gewesen war. Die Eltern von Pips Freundin waren geschieden, und Alice hatte das letzte Wochenende bei ihrem Vater verbracht – vielleicht hatten die Mädchen darüber gesprochen.

Kaum saß sie in ihrem Büro, erschien Keith Collins, einer ihrer Kollegen in der Buchhaltung von Paget and Company. Er hatte vor einigen Monaten in der Firma angefangen, und seit ein paar Wochen traf Leyne sich hin und wieder mit ihm.

„Hast du Lust, heute Abend mit mir essen zu gehen?“, fragte er.

Leyne hätte gern Ja gesagt, aber sie wollte Pip nicht bei Dianne Gardner lassen. Das Mädchen musste morgen in die Schule und brauchte seinen Schlaf.

„Große Lust sogar, aber leider habe ich keine Zeit“, antwortete sie so freundlich wie möglich. „Doch du könntest zu uns kommen und mit Pip und mir essen, wenn du möchtest.“

Keith mochte nicht.

„Sein Pech“, meinte Pip, als Leyne an diesem Abend erwähnte, dass sie Keith Collins eingeladen, er jedoch abgelehnt hatte.

Beruhigt ging Leyne zu Bett. Maxine war von Madrid nach Brasilien geflogen und musste inzwischen in Rio de Janeiro gelandet sein. Und Pip hatte nicht wieder nach ihrem Vater gefragt.

Am Abend darauf rief Maxine an. Alles sei in Ordnung, verkündete sie, und Ben Turnbull und sie würden einander ertragen.

„Ertragen?“, wiederholte Leyne besorgt und erfuhr erst jetzt, dass Ben Turnbull einen Max Nicholson erwartet und die weibliche Maxine Nicholson nur akzeptiert hatte, weil er auf die Schnelle keinen Ersatz mit allen notwendigen Impfungen finden würde.

Maxine war natürlich nicht erfreut, beschloss jedoch, Turnbull zu beweisen, dass sie ihre Arbeit so gut wie jeder Mann machen konnte, auch wenn sie die schwere Ausrüstung tragen musste. Sie mochte Turnbull nicht besonders, doch das änderte nichts an ihrer Begeisterung für den Auftrag.

Leyne gab Pip den Hörer, voller Zuversicht, dass Maxine ihre Tochter nicht mit ihren Problemen belasten würde.

Aber ihr Optimismus hielt nicht lange an. Am nächsten Abend holte sie Pip auf dem Heimweg von der Arbeit bei Dianne Gardner ab, und kaum waren sie zu Hause, schnitt ihre Nichte erneut das Thema an, vor dem Leyne am meisten graute.

„Weißt du, warum mein Vater mich noch nie besucht hat?“

O, mein Liebling, dachte Leyne voller Mitgefühl. „Nein, das weiß ich leider nicht, Pip. Vielleicht haben deine Mutter und er sich auf unschöne Weise getrennt.“

Pips nächste Frage beunruhigte Leyne noch mehr. „Leyne, wenn du wirklich nicht weißt, wer mein Vater ist … meinst du, du könntest es herausfinden?“

Ach, du meine Güte – was sollte sie jetzt sagen? Leyne sah Pip in die hübschen grünen Augen. „Es ist dir … wichtig, ja? Glaubst du, du könntest warten, bis deine Mum zurück ist?“

Dieses Mal überlegte das Mädchen nicht lange. „Nein, ich glaube nicht. Ich will es schon eine ganze Weile wissen, aber … na ja, Mum war immer so beschäftigt, und irgendwie war es mir unangenehm, sie zu fragen.“

Leyne betrachtete das nachdenkliche kleine Gesicht und umarmte Pip spontan. „Es könnte eine Weile dauernd“, begann sie vorsichtig. „Überlass es doch einfach mir, und ich werde sehen, was ich tun kann. Einverstanden?“

„Ich wusste, dass du mir hilfst“, erwiderte Pip dankbar, und es brach Leyne fast das Herz. Wie lange quälte das Kind sich schon damit herum?

Aber was sollte sie jetzt unternehmen? Sie hatte keine Ahnung, wann Maxine sich wieder melden würde. Sollte sie versuchen, ihre Schwester auf dem Handy zu erreichen? Schließlich war Maxine der einzige Mensch, der ihr sagen konnte, wer Pips Vater war. Und wie sie mit dieser Situation umgehen sollte.

Nachdem sie Pip zu Bett gebracht hatte, wartete Leyne etwa eine Stunde, bevor sie zum Hörer griff. In Brasilien musste es ungefähr sieben Uhr abends sein, als sie schließlich Maxines Nummer wählte.

Ihre Befürchtung, dass sie Maxine bei etwas Wichtigem störte, erwies sich als unnötig, denn sie erreichte nur die Mailbox. Maxine musste ihr Handy ausgeschaltet haben.

Während der nächsten Tage warf Pip ihr immer wieder fragende Blicke zu, und Leyne versuchte mehrfach, ihre Schwester zu erreichen, doch nie war das Handy in Betrieb.

Sie überlegte, ob sie die Nummer anrufen sollte, die Maxine für Notfälle hinterlassen hatte. Aber würden ihre Schwester oder der offenbar ziemlich mürrische Ben Turnbull begeistert sein, wenn irgendein Bote sie mitten im Dschungel aufspürte, nur weil Leyne wissen wollte, wer der Vater ihrer Nichte war?

Das Dilemma bereitete ihr einige schlaflose Nächte.

Am Freitag blieb Keith vor ihrem Schreibtisch stehen. „Du hast wohl morgen keine Zeit?“

Pip würde morgen bei ihrer Freundin Alice Gardner übernachten. „Das kommt darauf an“, erwiderte Leyne lächelnd.

„Ich dachte mir, wir gehen schön essen – und trinken danach bei mir einen Kaffee.“

Essen wäre schön, aber was den Kaffee anging, war Leyne da nicht so sicher. Sie bezweifelte nicht, dass Keith welchen kochen konnte, doch die Frage, woran er sonst noch dachte, beunruhigte sie irgendwie. Sie mochte Keith, aber sie kannte ihn noch nicht sehr lange.

„Essen klingt herrlich“, erwiderte sie.

„Ich hole dich um sieben ab“, antwortete er mit einem vielsagenden Lächeln und ging weiter.

Insgeheim hoffte Leyne auch jetzt noch, dass Pip nicht ernsthaft wissen wollte, wer ihr Vater war. Doch als sie ihre Nichte nach der Arbeit bei den Gardners abholte, merkte sie schnell, dass Pip das Thema nicht ruhen lassen wollte.

„Du hast wohl noch keine Neuigkeit für mich, was?“, fragte das Mädchen keine fünf Minuten später.

„Dazu ist es noch zu früh, Liebes. Es wird vielleicht Wochen dauern.“ Da Maxine nicht zu erreichen war, hatte sie keine Ahnung, wo sie beginnen sollte. Und angenommen, sie fand es heraus. Hatte sie das Recht, es Pip zu erzählen? Oder das Recht, es ihr zu verschweigen? „Ich werde versuchen, es möglichst schnell herauszufinden.“

„Das weiß ich“, sagte Pip voller Vertrauen und Zuversicht, und Leyne schwor sich, das Mädchen nicht zu enttäuschen.

Wo sollte sie mit den Nachforschungen beginnen? An diesem Abend lag Pip im Bett und schlief, als Leyne den ersten Schritt unternahm. Dabei kam sie sich vor wie eine Kleinkriminelle, als sie in Maxines verwaistes Schlafzimmer schlich, um nach Pips Geburtsurkunde zu suchen.

Ihre Hoffnung, darauf den Namen des Vaters zu finden, war nicht besonders groß. Schließlich hieß ihre Nichte wie Maxine Nicholson. Trotzdem starrte sie enttäuscht auf den Strich in der entsprechenden Spalte. Ganz offenbar wollte Maxine nicht, dass jemand erfuhr, von wem sie ihre Tochter bekommen hatte.

Maxine hatte ihn nie erwähnt. Leyne hatte ihre natürliche Neugier gezügelt und sie nie nach ihm gefragt.

Sie legte Pips Geburtsurkunde wieder weg. Maxines Handy schien dauernd ausgeschaltet zu sein, denn bisher waren sämtliche Versuche, sie in Brasilien zu erreichen, vergeblich gewesen. Leyne spielte kurz mit dem Gedanken, die Notfallnummer zu wählen und Maxine aufspüren zu lassen, verwarf ihn jedoch.

Sie hatte ihr versichert, dass sie mit jeder Situation fertig werden würde, und wollte nicht schon bei der ersten Schwierigkeit das Handtuch werfen.

Leyne wusste noch, wie glücklich Maxine nach Pips Geburt gewesen war. Pip mit ihrem pechschwarzen Haar. Damals hatte Maxine noch zu Hause gelebt, also …

Plötzlich sah Leyne Licht am Ende des Tunnels. Warum fiel es ihr erst jetzt ein? Maxine war viel zu wählerisch gewesen, um ein Kind aus einer flüchtigen Affäre zu bekommen. Wenn sie also damals einen festen Freund gehabt hatte, musste er sie doch mal abgeholt haben. Was bedeutete, dass ihre Mutter ihn kennen musste! Bestimmt wusste sie alles über den Mann.

Leyne wusste, dass Maxine im Umgang mit Männern sehr kritisch und wählerisch gewesen war. Sie hätte nicht mit jemandem geschlafen, den sie nicht gut kannte.

Hin und wieder brachte Leyne am Samstagvormittag Pip und Alice ins Schwimmbad, und das würde sie auch heute tun. Danach würde sie warten, bis Pip bei ihrer Freundin war, um dort zu übernachten. Anschließend würde sie ihre Mutter in St. Albans anrufen und sie fragen, ob ihr ein Besuch recht wäre.

Gerade hatte sie sich dazu durchgerungen, da meldete sich Dianne Gardner und verkündete, dass sie zu einer Tante müsse, die plötzlich erkrankt war.

„Würde es dir sehr viel ausmachen, wenn wir Pips Übernachtung bei uns auf den nächsten Samstag verschieben?“, fragte Alice’ Mutter.

„Natürlich nicht“, erwiderte Leyne. „Wenn es dir hilft, kann Alice bei uns schlafen, bis du zurück bist. Kein Problem.“

Sie trank einen Kaffee und sah gerade zu, wie Pip und Alice um die Wette schwammen, als ihr viel zu spät einfiel, dass sie an diesem Abend mit Keith Collins verabredet war.

Oje! Hastig holte sie das Handy heraus und wählte. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn versetzen musste.

„Hallo, Keith“, begrüßte sie ihn atemlos. „Hier ist Leyne Rowberry.“

„Ich werde es dir nie verzeihen, wenn du absagst!“, erwiderte er, und es klang nicht wie ein Scherz.

„Nicht im Traum“, antwortete sie fröhlich. „Ich habe mir nur überlegt … dass wir den Kaffee auch bei mir trinken könnten. Und ich verspreche dir, dass es vorher ein leckeres Essen gibt“, fügte sie hastig hinzu, damit er nicht auf falsche Gedanken kam.

„Also versetzt du mich doch!“, entgegnete er gekränkt, und eine Sekunde lang fragte sich Leyne, ob sie den Mann überhaupt mochte.

„Ich biete dir eine Alternative an“, sagte sie und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, was ihr an ihm gefallen hatte.

„Leider kommt dein Vorschlag für mich zu spät, um mir etwas anderes vorzunehmen“, knurrte er – als müsste sie froh sein, dass er ihre Einladung annahm!

„Wie du willst.“ Wenn er sich ein anderes Date suchen wollte, viel Glück!

Der Abend verlief nicht besonders erfolgreich. Das Essen war nicht opulent, schmeckte jedoch gut. Aber da die Mädchen geholfen hatten, den Nachtisch zuzubereiten, fand Leyne es nur gerecht, die beiden aufbleiben und mit am Tisch sitzen zu lassen.

Keith gab sich Mühe, nett zu den beiden zu sein, war allerdings keineswegs enttäuscht, als die Mädchen nach dem Essen zu Bett gingen.

Leyne verschwand in der Küche, um Kaffee zu machen. Als sie damit ins Wohnzimmer zurückkehrte, nahm Keith neben ihr auf der Couch Platz.

„Zucker?“, fragte sie und war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass er unnötig nahe an sie heranrückte. Sie schenkte ihm eine Tasse ein und nutzte den Griff nach dem Zucker, um wieder auf Abstand zu Keith zu gehen.

„Du hast wirklich ungewöhnlich schönes Haar“, murmelte er und starrte bewundernd auf ihre hellbraunen Strähnen, in die sich blonde Highlights mischten – keine Frage, der Zucker interessierte ihn momentan nicht sonderlich.

Leyne ignorierte das Kompliment. „Milch oder Sahne?“

„Sahne“, erwiderte er und schaute in ihre blauen Augen. „Es passt zu deinem hübschen Teint“, fuhr er fort, während er ihr den Kaffee abnahm und ihn auf dem flachen Tisch abstellte. Dann drehte er sich zu ihr, als würde er sie gleich an sich ziehen wollen.

„Leyne, wunderschöne Leyne …“

Weiter kam er nicht, denn plötzlich drang lautes Lachen durch die Zimmerdecke.

„Ach, verdammt!“, rief er verärgert. „Können die Mädchen nicht mal still sein?“

„Nicht länger als fünf Minuten, schätze ich“, erwiderte sie gelassen.

„Wie lange wird das noch so weitergehen?“, fragte er und klang hoffnungsvoll und verstimmt zugleich.

„Es würde mich sehr wundern, wenn sie vor Mitternacht zur Ruhe kommen“, antwortete Leyne. „Pips Freundin übernachtet nämlich hier“, fügte sie erklärend hinzu. Er tat ihr leid, auch wenn seine Vorstellungen vom Ablauf des Abends absolut nicht mit ihren übereinstimmten.

Als er wenig später aufbrach, war sie ziemlich sicher, dass er sie nie wieder einladen würde, mit ihm auszugehen. Das war schade, denn sie mochte ihn. Meistens jedenfalls. Dass ihre Beziehung endete, bevor sie richtig begonnen hatte, brach ihr allerdings nicht gerade das Herz.

Am nächsten Vormittag holte Dianne Gardner ihre Tochter ab, und zehn Minuten später rief Leyne ihre Mutter an und informierte sie, dass sie und Pip sie besuchen würden.

Catherine Webb hatte vor vier Jahren wieder geheiratet und ihren Töchtern und ihrer Enkelin ihr altes Haus überlassen, nachdem sie mit ihrem Mann nach Hertfordshire gezogen war.

„Ich freue mich auf euch“, antwortete Catherine herzlich. „Roland hat sich zwar eine schwere Erkältung eingefangen, aber sie ist nicht mehr ansteckend.“

„Fühlt er sich kräftig genug, um Besuch zu bekommen?“, fragte Leyne besorgt. Roland tat ihr zwar leid, aber sie wollte nicht riskieren, dass ihre Nichte sich erkältete, auch wenn Pip schon lange keinen Asthmaanfall mehr gehabt hatte.

„Wahrscheinlich werdet ihr ihn gar nicht zu Gesicht bekommen. Du weißt ja, wie es ist – wir Frauen haben Schnupfen, bei Männern ist es immer gleich eine Grippe. Er wird nur kurz Hallo sagen und sich wieder hinlegen.“

„Hast du Lust, Grandma zu besuchen?“, fragte Leyne das Mädchen.

Pip strahlte. „Es ist eine Ewigkeit her, dass ich Suzie gesehen habe!“ Offenbar freute Pip sich mehr auf Roland Webbs Labrador als auf ihre Großmutter.

2. KAPITEL

Während Pip im großen Garten hinter dem Haus mit der Hündin spielte, konnte Leyne sich ungestört mit ihrer Mutter unterhalten. Roland hatte sich dazu aufgerafft, sie beide zu begrüßen, sich jedoch gleich wieder hingelegt.

„Ich habe ein Problem, Mum“, begann Leyne, nachdem sie ein paar Minuten lang überlegt hatte, wie sie das heikle Thema ansprechen sollte.

„Das klingt ernst“, erwiderte Catherine. Leynes Nervosität war ihr nicht entgangen.

Leyne sah ihre auch mit fünfundsechzig noch attraktive Mutter an, atmete tief durch und kam sofort zur Sache. „Pip will wissen, wer ihr Vater ist“, sagte sie.

„Maxine wird es ihr erzählen, sobald sie alt genug ist.“

„Aber Maxine ist nicht hier“, erinnerte Leyne sie sanft. „Ich habe mehrfach versucht, sie zu erreichen, aber ihr Handy ist ausgeschaltet. Ich habe zwar eine Nummer für Notfälle …“

„Als Notfall würde ich das hier nicht bezeichnen!“, unterbrach ihre Mutter sie hastig. „Dann wird Pip eben warten müssen.“

„Ich glaube nicht, dass sie noch länger warten kann. Die Ungewissheit belastet sie sehr, das spüre ich.“ Leyne versuchte es anders. „Du musst ihrem Vater doch mal begegnet sein.“

„Nein. Das bin ich nicht.“

Leyne wusste, dass ihre Mutter sie nicht anlog. „Du hast ihn nie …“ Sie brach ab. Etwas in Catherines Blick verriet ihr, dass ihre Mutter mehr wusste, als sie zugab. „Aber du weißt, wer er ist?“

„Er kam nie zu Besuch. Und es war nur eine kurze Affäre – fast wieder vorbei, noch bevor sie begonnen hatte.“

„Aber lange genug für Maxine, um sich in ihn zu verlieben?“

Catherines Miene entspannte sich ein wenig. „O ja. Sie hat ihn geliebt.“ Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Aber dann kam sie eines Abends nach Hause und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Als ich sie am nächsten Morgen fragte, was los sei … sie hatte geweint, das konnte ich sehen … da sagte sie mir, dass sie ihn nicht wiedersehen würde. Und das hat sie auch nicht. Sie hat seinen Namen nie wieder in den Mund genommen.“

„Aber du weißt, wer er ist?“

Ihre Mutter seufzte. Sie rang mit sich. Nach einem Moment gab sie nach. „Sein Name ist John Dangerfield.“

John Dangerfield. Stumm wiederholte Leyne den Namen. Sie hatte ihn noch nie gehört. „Kannst du mir mehr über ihn erzählen?“

„Ich weiß nur wenig über ihn. Wie gesagt, ich bin ihm nie begegnet. Er hat Maxine nur selten abgeholt, und wenn, dann wartete sie am Fenster und rannte hinaus, sobald sie seinen Wagen sah. Aber …“ Ihre Mutter zögerte. „Ich erwarte von dir, dass du mit der Information vorsichtig umgehst. Pip ist in einem sehr verletzlichen Alter.“

„Ich weiß. Deshalb werde ich mit allem, was du mir erzählst, äußerst behutsam umgehen“, versprach Leyne. „Aber je länger ich Pip hinhalte, desto neugieriger wird sie werden. Und du weißt ja selbst, dass jede Aufregung einen Asthmaanfall auslösen kann. Das möchte ich auf jeden Fall vermeiden.“

Catherine schaute aus dem Fenster und dorthin, wo Pip auf einer Gartenbank saß und leise mit Suzie sprach. „Armes Kind“, flüsterte sie. „Viel mehr als seinen Namen kenne ich wirklich nicht. Aber sie hat ein Recht, zu erfahren, wer ihr Vater ist. John Dangerfield hat eine Konstruktionsfirma. Sie heißt J. Dangerfield, Engineers.“

J. Dangerfield, Engineers? Der Name kam ihr irgendwie bekannt vor – als hätte sie erst kürzlich von der Firma gelesen oder gehört.

„Vielleicht solltest du Pip nicht gleich damit überfallen, sondern dich erst mit ihm in Verbindung setzen“, schlug ihre Mutter vor.

„Ich hatte gar nicht vor, Kontakt mit ihm aufzunehmen!“

„Dann solltest du es tun, finde ich. Pip ist ein liebenswertes Kind, aber wir wissen beide, dass sie manchmal sehr trotzig sein kann.“

„Du …“ Leyne erstarrte. „Du meinst doch nicht etwa … sie wird ihn treffen wollen?“

„Meinst du nicht?“

Leyne dachte darüber nach und gestand sich ein, dass auch sie sich nicht mit dem Namen begnügen würde. Aber … mischte sie sich nicht zu sehr ein? Mutete sie sich zu viel zu? Vielleicht sollte sie warten, bis Maxine wieder zu Hause war. Doch dann beging sie einen Fehler und schaute nach draußen – direkt in Pips fragende Augen.

Und in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie alles tun würde, um dem kleinen Mädchen den Seelenfrieden zu verschaffen, nach dem es sich so sehr sehnte. „Du hast recht“, sagte sie leise.

„Dann solltest du ihn anrufen, bevor du Pip sagst, wer er ist.“

„Warum?“

„Weil es durchaus sein kann, dass er die Vaterschaft leugnet. Schließlich hat er noch keinen Penny zu Pips Unterhalt beigetragen. Nicht, dass Maxine ihn jemals darum bitten würde. Dazu ist sie viel zu stolz!“, fügte sie mit Nachdruck hinzu, und spätestens jetzt wusste Leyne, von wem ihre Schwester und sie ihren Stolz geerbt hatten.

Autor

Jessica Steele
Jessica Steele stammt aus der eleganten Stadt Royal Leamington Spa in England. Sie war ein zerbrechliches Kind und verließ die Schule bereits mit 14 Jahren als man Tuberkulose bei ihr diagnostizierte. 1967 zog sie mit ihrem Mann Peter auf jenen bezaubernden Flecken Erde, wo sie bis heute mit ihrer Hündin...
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