Die Schurken der Wüste - stürmisch, heiß und sinnlich - 13-teilige Serie

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WERDE MEINE PRINZESSIN
Nacht für Nacht verführt der feurige Khalil Khan seine junge amerikanische Ehefrau Dora mit zärtlicher Leidenschaft. Doch während sie in den Armen ihres orientalischen Märchenprinzen liegt, sehnt sie sich nach etwas, das er ihr seit ihrer Hochzeit verweigert...

HEIß WIE DIE SONNE VON EL BAHAR
Zwei Welten prallen aufeinander, als die schöne Lehrerin Liana am Flughafen von El Bahar dem feurigen Malik Khan begegnet. Sie ahnt nicht, was der Kronprinz bei Blick in ihre veilchenblauen Augen beschließt. In seinem Palast will er sie zu seiner Prinzessin machen...

EIN MÄRCHEN WIRD WAHR
Die sinnlichen Bewegungen der zarten Schönheit beim Schleiertanz entflammen Prinz Jamals Blut! Er begehrt sie und noch heute Abend soll sie seine Geliebte werden. Aber als der letzte Schleier ihre betörenden Reize enthüllt, erlebt er eine Überraschung...

STÜRMISCH WIE DER WÜSTENWIND
Das ist also die Frau, die er heiraten soll - und sie hat keine Ahnung davon! Prinz Kardal rettet Sabrina aus der Wüste, und auch wenn sie sich kratzbürstig und widerspenstig gibt: Das Temperament der Rothaarigen reizt ihn. Wie nur kann er sie zähmen? Und wie wird sie reagieren, wenn sie herausfindet, dass er der Scheich ist, dem sie versprochen ist?

STERNE DER LIEBE ÜBER BAHANIA
Im fernen Bahania erwartet Zara ein aufregend neues Leben: Erst jetzt hat sie erfahren, dass sie die Tochter eines Scheichs ist! Doch als sie sich ausgerechnet in dessen Sicherheitsberater verliebt, ist ihr Vater entschlossen, diese Verbindung zu verhindern ...

BITTERSÜßE STUNDEN DER LIEBE
Am Hof des Königs von Bahania trifft Cleo den unwiderstehlichen Prinzen Sadik. Er ist viel zu aufregend, um ihm eine Liebesnacht auszuschlagen. Doch dass Cleo gleich schwanger wird, ist eine Katastrophe! Sie ist so gar nicht standesgemäß und er so kühl und distanziert …

IM PALAST DER SINNLICHEN TRÄUME
Sechs lange Jahre hat Emma sich nach ihrem attraktiven Mann Scheich Reyhan gesehnt. Nun endlich sieht sie ihn in seinem prunkvollen Palast wieder - und hofft, dass die Leidenschaft zwischen ihnen neu erwacht …

EINE BRAUT ZU VIEL
"Es gibt auf dieser Welt keinen Mann, der nicht bereit wäre, für eine Nacht mit dir seine Seele zu verkaufen." Billie fühlt sich wie im Märchen: Scheich Jefri begehrt sie leidenschaftlich! Ihr Glück scheint vollkommen - da erfährt sie, dass Jefri schon verlobt ist …

SO KÜSST NUR EIN WÜSTENPRINZ
"Du kennst Murat von Bahania nicht. Er ist schwierig und eigensinnig", warnt Daphne ihre Nichte vor dem attraktiven Prinzen, dem sie selbst einst davongelaufen ist. Aber unvermittelt sieht sie den stolzen Wüstensohn wieder … und befindet sich plötzlich in seinem Harem!

IN DEN ARMEN DES PRINZEN
Was als Arrangement beginnt, wird schon bald zum heißesten Abenteuer ihres Lebens: Weil ihr Verlobter sie betrogen hat, beginnt Kiley mit dem erfahrenen Liebhaber Prinz Rafiq eine leidenschaftliche Affäre. An lustvollen Sex hat sie gedacht, nicht an Liebe …

ZAUBER DER WÜSTE
In einer heißen Wüstennacht lässt Kayleen sich von Prinz As’ad zur Liebe verführen und ist überglücklich. Bis As’ad entdeckt, dass er ihr erster Mann ist, und ihr sofort einen Antrag macht. Nur aus Pflichtgefühl? Denn die magischen drei Worte sagt er nicht …

PALAST DER SINNLICHKEIT
Es knistert wie verrückt, als Scheich Quadir Maggie unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen küsst. Dabei ist ihre Verlobung eine reine Geschäftsbeziehung! Bis eines Nachts im Palastgarten die Spannung zwischen ihnen in einem Rausch der Leidenschaft explodiert …

DIE GEKAUFTE BRAUT DES SCHEICHS
Victoria ist empört: Um einer Strafe zu entgehen, hat ihr ehrloser Vater sie an Prinz Kateb von El Deharia verkauft. Sechs Monate soll sie die Geliebte des Wüstenprinzen sein, der wie ein Traummann aus 1001 Nacht wirkt, aber der auch einen ganzen Harem Frauen haben soll!


  • Erscheinungstag 23.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735166
  • Seitenanzahl 1830
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Mallery

Die Schurken der Wüste - stürmisch, heiß und sinnlich - 13-teilige Serie

IMPRESSUM

9783733779542 erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2000 by Susan W. Macias
Originaltitel: „The Sheik‘s Kidnapped Bride“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1242 - 2001 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Tatjána Lénárt-Seidnitzer

Umschlagsmotive: byheaven, IuriiSokolov / GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733779542

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Eine Braut?

Ungläubig starrte Prinz Khalil Khan hinaus auf das Rollfeld. Es musste sich um eine Fata Morgana handeln. Das Phänomen war ihm vertraut, da er zweimal so töricht gewesen war, sich in der weiten Wüste von El Bahar zu verirren. Er kannte die verräterischen Anzeichen: tanzende Bilder in der flimmernden Hitze und pochende Schmerzen hinter den Augen.

Doch momentan war keines dieser Anzeichen vorhanden. Es war Januar. Schmutziger Schnee türmte sich ringsumher auf, und weder schmerzten seine Augen, noch flimmerte das fragliche Bild. Es näherte sich vielmehr steten Schrittes. Außerdem befand er sich nicht in El Bahar, sondern auf einem Flugplatz in Kansas.

„Ich muss eine schwere Sünde begangen haben“, murrte er vor sich hin. „Wenn nicht in diesem Leben, dann in einem vorherigen.“

Die Frau blieb vor ihm stehen. Ihr Brautkleid saß schlecht, und ihre Augen waren gerötet vom Weinen. „Entschuldigung“, sagte sie mit rauer Stimme. „Es klingt wahrscheinlich seltsam, aber ich brauche eine Mitfluggelegenheit.“

Er hasste sentimentale Frauen und bedachte sie daher mit einem Blick, den seine Großmutter Fatima als gebieterisch bezeichnet hätte. „Sie wissen doch gar nicht, wohin ich fliege.“

Sie schluckte. Zwei hektische Flecken auf ihrem blassen Gesicht ließen sie fieberkrank und unattraktiv wirken. „Das ist mir egal. Ich muss in eine Stadt. Ich bin hier gestrandet. Ich habe kein Gepäck und keine gewöhnliche Kleidung.“

Aus reiner Neugier hätte er beinahe gefragt, warum sie mitten im Winter in einem Brautkleid und ohne Mantel auf dem Flughafen von Salina festsaß. Vielleicht war sie geistig gestört.

In diesem Moment kam eine große, üppige Blondine aus dem Terminal. Ihr kurzer Rock enthüllte lange, perfekte Beine, während der hautenge Pullover volle Brüste betonte, die bei jedem Schritt hüpften.

Nicht zum ersten Mal fragte er sich, warum sich das Schicksal derart gegen ihn verschworen und seine dreiwöchige Geschäftsreise in die Vereinigten Staaten in einen Höllentrip verwandelt hatte. Sein sympathischer, tüchtiger Assistent hatte wegen einer Erkrankung seiner Mutter nach El Bahar zurückkehren müssen. Der Intelligenzquotient seiner Aushilfssekretärin stand in direktem Gegensatz zur Größe ihrer Brüste. Das Hotel in Los Angeles hatte Khalils Reservierung verschlampt und ihn in einem gewöhnlichen Zimmer statt in einer Suite untergebracht. Wegen eines Defekts an seinem Jet hatte er ein Flugzeug chartern müssen, das nicht genug Treibstoff für den Flug nach New York aufnehmen konnte, sodass es zu dieser Zwischenlandung gekommen war. Und zu allem Überfluss bat nun eine verlorene Braut um seine Hilfe!

Ein Pochen begann in seinen Schläfen. „Wir fliegen nach New York“, sagte er schließlich. „Sie können mitkommen, wenn Sie wollen, aber tun Sie es schweigend. Sonst befördere ich Sie eigenhändig aus der Maschine, ungeachtet der Höhe.“ Und damit wandte er sich ab und schritt zu dem kleinen Jet.

Dora Nelson starrte dem Fremden nach. Freundlichkeit war offensichtlich ein Fremdwort für ihn, aber sie befand sich nicht in der Position, um sich zu beklagen. Wenn sie Kritik üben konnte, dann höchstens an ihrem eigenen Verhalten.

Soweit sie wusste, hatte sie sich in den vergangenen fünf Jahren nur zweimal wirklich töricht benommen, leider jedoch im Abstand von wenigen Wochen. Ihr erster Irrtum hatte darin bestanden, an Geralds Liebe zu glauben. Der zweite Fehler war die Weigerung an diesem Morgen, sein Flugzeug wieder zu besteigen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Boss und Exverlobter tatsächlich abfliegen und sie ohne ihr Gepäck zurücklassen würde. Sie hatte kein Geld, keine Papiere, keine Kleidung und höchstwahrscheinlich auch keinen Job mehr.

Aber zumindest hatte sie eine Transportmöglichkeit. Sie hob die Schleppe des Brautkleides und ging zu dem wartenden Jet. Sobald sie in New York eingetroffen war, konnte sie ihre Bank anrufen und sich Geld schicken lassen. Da sie keinen Ausweis bei sich hatte, war es ihr allerdings unmöglich, mit einem Linienflug nach Hause zurückzukehren. Außerdem stand ihr die unangenehme Aufgabe bevor, ihre Hochzeit abzusagen, die in vier Wochen stattfinden sollte. Vor zwei Tagen erst hatte sie voller Freude dreihundert Einladungen verschickt. Sie war wirklich ein Dummkopf.

Dora erklomm die Stufen zum Jet. Das Brautkleid rutschte ihr von einer Schulter, und sie zerrte es hastig wieder hoch. Es war erst an diesem Morgen geliefert worden, und sie hatte es erwartungsvoll während des Fluges anprobiert und festgestellt, dass es zu klein war und sich die Knöpfe im Rücken nicht schließen ließen.

Sie betrat die Kabine und ließ den Blick über die üppigen Ledersitze gleiten. Die unglaublich schöne Blondine blickte auf. „Ich bin Bambi. Und wer sind Sie?“

„Niemand“, murmelte Dora. Sie schritt zum Heck und nahm hinter ihrem unglaublich gut aussehenden Retter Platz. Kurz darauf hob das Flugzeug ab. Sie machte sich nicht die Mühe, aus dem Fenster zu sehen. Von Berufs wegen war sie schon so oft geflogen, dass es sie nicht länger beeindruckte.

Etwa vierzig Minuten später durchbrach eine hitzige Unterhaltung ihre Gedanken.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie diese Zahlen auflisten sollen“, sagte eine vorwurfsvolle männliche Stimme. „So ist es nicht richtig.“

„Seien Sie nicht böse, Khalil“, entgegnete Bambi sanft. „Ich gebe mir doch Mühe.“

„Das ist nicht genug. Ich brauche diesen Bericht vor der Landung. Sobald wir New York erreichen, verlassen Sie dieses Flugzeug und gehen mir aus den Augen.“

Zumindest muss sie nicht sofort aussteigen, dachte Dora belustigt und beobachtete, wie er mit einem Laptop an seinen Platz zurückkehrte.

„Sie denken vermutlich, dass ich unangemessen grausam bin“, murmelte er, als sich ihre Blicke begegneten.

„Nicht, wenn sie die von ihr erwartete Leistung nicht erbringt.“

„Mir wurde eine tüchtige Assistentin zugesagt, aber sie ist ein Reinfall.“

Dora streckte eine Hand nach dem Laptop aus. „Vertrauen Sie mir“, sagte sie, als er misstrauisch zögerte. „Wenn Ihnen meine Arbeit nicht zusagt, können Sie mich ja eigenhändig aus dem Flugzeug befördern.“

Mit einem flüchtigen Lächeln gab er ihr den Laptop. Sie blickte in seine dunklen Augen und stellte wieder fest, dass er äußerst gut aussah. Seine Haut war ebenfalls dunkel. Eine schmale Narbe auf der linken Wange erhöhte nur noch seinen Reiz.

Markante Züge – gerade Nase, ausgeprägtes Kinn, hohe Wangenknochen – ließen ihn wie eine antike, zum Leben erweckte Statue wirken. Er trug einen grauen Anzug, der seine breiten Schultern und schmalen Hüften betonte und vermutlich mehr kostete, als sie im vergangenen Quartal verdient hatte.

Niedergeschlagen rief sie sich in Erinnerung, dass sie dreißig und unscheinbar war und jedes einzelne der zwanzig Pfund Übergewicht unterhalb der Taille saß. Ihre Figur war birnenförmig. Männer wie er beachteten Frauen wie sie nicht. Oder genauer gesagt, kein Mann beachtete eine Frau wie sie. Außer Gerald, und der hatte ihr nur etwas vorgemacht, wie sie an diesem Morgen herausgefunden hatte.

„Wo sind die Daten, die ich verarbeiten soll?“

Er reichte ihr eine Akte. „Wir planen, eine von zwei Firmen zu kaufen. Für die Entscheidung brauche ich einen Vergleich der Bilanzen.“

Dora sah sich die Papiere an und nickte. Sie hätte die Arbeit im Schlaf erledigen können.

Zwei Stunden später übergab sie Khalil den ausgedruckten Bericht. Kurz darauf setzte das Flugzeug zur Landung an. Sie blickte zur Uhr und unterdrückte ein Stöhnen. Es war sieben Uhr abends durch, also nach vier Uhr in Los Angeles. Ihre Bank hatte inzwischen geschlossen. Es sah ganz so aus, als ob sie die Nacht im Flughafen verbringen musste.

Da es ihr peinlich war, in einem zu kleinen Brautkleid herumzuspazieren, trödelte sie, bevor sie das Flugzeug verließ. Dennoch standen Khalil und Bambi immer noch auf dem Rollfeld.

„Ich habe gesagt, dass Sie entlassen sind“, sagte er gerade.

Bambi lächelte. „Ich weiß. Es war so schwer, für Sie zu arbeiten. Ihre Geschäfte sind so kompliziert, und außerdem konnte ich mich kaum zurückhalten.“ Sie schmiegte ihren üppigen Körper an seinen. „Ich will dich.“

Unwillkürlich verlangsamte Dora den Schritt und lauschte.

„Miss Anderson, ich habe keinerlei Interesse an Ihnen, weder persönlich noch anderweitig. Sie sind entlassen. Gehen Sie mir aus den Augen.“

Bambi verzog die blutrot geschminkten Lippen zu einem Schmollmund. „Das ist nicht dein Ernst. Du bist reich und ich bin schön. Wir gehören zusammen.“

Er versteifte sich empört. „Ich bin Prinz Khalil Khan von El Bahar. Mir widerspricht man nicht.“

Er ist ein Prinz, durchfuhr es Dora. Hektisch suchte sie in ihrem Gedächtnis nach Informationen über das Land. Ihr fiel nicht viel ein, außer dass es irgendwo auf der Arabischen Halbinsel lag, von einem König mit drei Söhnen regiert wurde und seit langem neutral in politischen Angelegenheiten war.

„Aber Khalil“, widersprach Bambi. „Ich war Miss Juli.“

Dora musterte Bambis Körper und zweifelte nicht an der Aussage. Die beiden hätten ein hübsches Paar abgegeben.

Khalil wandte sich an Dora. „Ich kenne Ihren Namen nicht.“

„Weil Sie mich nicht danach gefragt haben.“ Sie trat vor und reichte ihm die Hand. „Ich bin Dora Nelson.“

Ihre Dreistigkeit schien ihn einen Moment zu verblüffen. Dann nahm er ihre Hand. Die Berührung sandte ein heftiges Prickeln durch ihren Körper. Er hingegen blieb natürlich völlig ungerührt und nickte ihr knapp zu.

„Vielen Dank, dass Sie mich mitgenommen haben“, sagte sie mit erzwungener Gelassenheit und wandte sich zum Gehen.

„Warten Sie, Miss Nelson. Ich habe derzeit keine Assistentin. Da ich mich noch zwei Wochen in Ihrem Land aufhalten werde, möchte ich Sie bitten, bis zu meiner Abreise für mich zu arbeiten.“

„Das ist ja lächerlich!“ Bambi stampfte mit dem Fuß auf. „Ich bin schön. Sie ist es nicht. Sie ist sogar …“ Bevor sie eine Beleidigung aussprechen konnte, stürmten auf ein Zeichen von Khalil zwei Männer herbei und führten sie davon. „Das kannst du nicht tun!“, rief sie empört. „Wir beide passen großartig zusammen. Du bist so reich und ich …“ Die Tür zum Terminal schloss sich und unterbrach sie mitten im Satz.

„Eine höchst unangenehme Person“, sagte Khalil. „Würden Sie einen vorübergehenden Job erwägen? Die Bezahlung wäre großzügig. Fünftausend pro Woche.“

„Dollar?“

„Ja, natürlich.“

Das war mehr, als sie in Los Angeles in einem Monat verdient hatte. Das Angebot war ein Geschenk des Himmels. Sie nickte. „Okay. Unter der Bedingung, dass ich einen Vorschuss bekomme, damit ich mir Kleidung kaufen kann.“

Er zückte seine Brieftasche und reichte ihr mehrere Hundertdollarscheine. „Hier. Das ist für Sie. Was die Kleidung angeht, können Sie vom Wagen aus anrufen und sich alles Nötige ins Hotel liefern lassen.“ Er lächelte. „Betrachten Sie es als Bonus.“

Dora erblasste. Es lag nicht am Anblick des Geldes oder der Tatsache, dass ihre Probleme zumindest vorübergehend gelöst waren. Es war vielmehr die Wirkung seines Lächelns, das ihn von gut aussehend in absolut unwiderstehlich verwandelte.

In diesem Moment fuhr eine lange, dunkle Limousine vor. Die beiden Männer, offensichtlich Khalils Leibwächter, kehrten aus dem Terminal zurück und öffneten die Türen zum Fond.

In ihrer Funktion als Chefsekretärin war Dora schon häufig stilvoll gereist, aber nie zuvor in der Gesellschaft eines Prinzen. Khalil nahm neben ihr Platz, während die beiden Männer sich ihnen gegenüber setzten.

Sie unterdrückte ein Lachen. Noch an diesem Morgen hatte sie in ihrer Wohnung in Los Angeles ihren Tagesablauf und ihre Hochzeit Ende des Monats geplant. Nun war sie in New York, in einer Limousine mit einem Prinzen von El Bahar. Sie hatte ihr Gepäck, ihren Verlobten und ihre Würde verloren. Dennoch war ihr nach Lachen zumute. War es Hysterie oder einfach Erleichterung darüber, dass sie die Nacht nicht auf einer Bank verbringen musste?

Khalil nahm ein Mobiltelefon aus der Armlehne zwischen ihnen und reichte es ihr zusammen mit einer Visitenkarte. „Hier steigen wir ab. Rufen Sie das Hotel an und lassen Sie sich eine Boutique empfehlen. Dann bestellen Sie, was Sie brauchen, und lassen Sie es auf meine Hotelrechnung setzen.“

Er gab ihr eine zweite Karte, die ihn als Khalil Khan, Wirtschaftsminister von El Bahar auswies. Die kleine Krone in der Mitte verdeutlichte, dass er der königlichen Familie angehörte.

2. KAPITEL

Das Foyer des eleganten Hotels war mindestens drei Stockwerke hoch. Dora stockte der Atem, als sie die exklusiven Möbel, die teuren Teppiche und die glitzernden Kronleuchter erblickte.

Bevor sie die Rezeption erreichten, trat ein kleiner, gut gekleideter Mann zu ihnen, verbeugte sich tief vor Khalil und stellte sich als Geschäftsführer vor. Unverzüglich führte er sie zu einem Fahrstuhl.

Die Reichen brauchen sich also nicht einzutragen, dachte Dora lächelnd. Wie nett. Vermutlich durften sie auch die flauschigen Bademäntel behalten.

In der obersten Etage angekommen, öffnete der Manager die Doppeltür zu einer Suite. Khalil bedeutete Dora voranzugehen. Nur widerstrebend gehorchte sie, denn der Anblick ihres BHs und der nackten Haut im Rücken wirkte gewiss nicht gerade reizvoll.

Der Salon war so groß wie ein Basketballfeld und mit Marmorsäulen, eleganten Sofas, Originalgemälden, einem Piano und der fast lebensgroßen Bronzestatue eines Pferdes ausgestattet. Eine Fensterfront bot einen atemberaubenden Blick auf die Stadt und den Central Park. Zu beiden Seiten eröffneten sich Korridore.

„Zur Linken befinden sich der Speiseraum, die Küche und die Büroräume“, erklärte der Manager. „Bitte lassen Sie uns wissen, wenn Sie die Dienste eines Chefkochs in Anspruch nehmen möchten.“ Er deutete nach rechts. „Vier Schlafzimmer. Die Lieferung der Boutique ist bereits eingetroffen, und es wurde ein leichtes Abendessen serviert.“

Khalil nickte. „Danke, Jacques. Das wäre dann alles.“

Der Manager verbeugte sich. „Es ist uns eine große Freude, Sie als Gast bei uns zu haben, Prinz Khalil. Meine Belegschaft steht Ihnen zu Diensten.“

„Ja. Gute Nacht.“

Dora konnte es kaum fassen, dass sie sich in einem derart vornehmen Hotel befand. Sie hatte nicht gewusst, dass solche prunkvollen Suiten existierten, geschweige denn davon geträumt, jemals in einer zu übernachten.

Khalil sprach zu den beiden Männern, die daraufhin über den Flur verschwanden. Dann wandte er sich an Dora. „Ich möchte unseren Arbeitstag morgen um acht Uhr beginnen.“

„Ich werde pünktlich sein“, versprach sie. „Falls ich mich verlaufe, rufe ich ein Zimmermädchen und lasse mir den Weg zeigen.“

„Ich halte Sie für intelligent genug, um sich allein zurechtzufinden.“

Er lächelte sie an, und ihr stockte der Atem. Sie musste sich räuspern, bevor sie sprechen konnte.

„Wie soll ich Sie eigentlich ansprechen? Eure Hoheit? Prinz Khalil?“

„Khalil reicht.“

Sie ging einen Schritt zu den Schlafräumen, blieb dann stehen und drehte sich zu ihm um. Eine Sekunde lang wünschte sie sich, vom Schöpfer wie die Bambis dieser Welt mit einem schönen Gesicht und einem reizvollen Körper statt mit Verstand ausgestattet worden zu sein. Aber eigentlich wollte sie nicht auf ihre Intelligenz verzichten. „Danke“, sagte sie schlicht. „Sie waren heute sehr gütig zu mir, und ich weiß es zu schätzen.“

Er winkte ab. „Meine so genannte Güte hat sich zu meinem eigenen Glück entwickelt. Ich hätte keinen weiteren Tag mit jener furchtbaren Frau ertragen. Gute Nacht, Dora.“

Sie nickte und wandte sich ab. Es war nicht schwer zu ergründen, welcher Schlafraum ihr zugedacht war. Zwei Türen waren bereits geschlossen, und eine dritte führte in ein riesiges Gemach. Flüchtig gewahrte sie ein Bett, das Platz genug für vier Personen bot, einen Sitzbereich und dahinter ein luxuriöses Badezimmer.

Sie ging weiter zu der offenen Tür am Ende des Flures. Der große Raum war in Blau und Gold gehalten. Das Mobiliar sah französisch aus. Auf einem kleinen Tisch in einer Ecke stand ein Tablett vom Zimmerservice, und vor dem breiten Bett waren mehrere Einkaufstüten aufgereiht.

Dora überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Ihr Magen knurrte und rief ihr in Erinnerung, dass sie seit dem frühen Morgen nichts gegessen hatte. Daher verzehrte sie zunächst das Mahl aus Salat, köstlich gewürzter Hähnchenbrust, zartem Gemüse und Safranreis. Das Dessert hob sie sich für später auf.

Während sie noch an dem Weinglas nippte, setzte sie sich auf das Bett. Als sie sich im Spiegel über der Frisierkommode erblickte, stöhnte sie laut auf. Sie sah furchtbar aus. Das Make-up, das sie am Morgen aufgelegt hatte, war verschwunden. Ihre Haut war blässlich und fleckig, die kurzen, dunklen Haare zusammengefallen, und das Brautkleid bauschte sich auf höchst unvorteilhafte Weise um ihren Körper.

„Mein Leben ist ein einziges Chaos“, teilte sie ihrem Spiegelbild mit.

Zwölf Stunden zuvor hatte sie glücklich und zufrieden ihre Hochzeit geplant und sich mit ihrem Boss und Verlobten auf Geschäftsreise nach Boston begeben. Nun war sie allein in New York und einem Fremden ausgeliefert. Der Fremde war zwar ein Prinz, aber kaum mehr als eine vorübergehende Rettung. Nach Ablauf der zwei Wochen musste sie in ihr wahres Leben zurückkehren und vermutlich Gerald wiedersehen.

Entschieden verdrängte sie den furchtbaren Gedanken und leerte eine Tüte nach der anderen auf dem Bett aus, bis sie von einem großen Haufen neuer Sachen umgeben war. Nicht nur Schuhe, Kleider, Röcke, Blusen, Dessous und Nachthemden waren vorhanden, sondern auch ein Schminkkoffer und eine Kulturtasche.

Dora stand auf, zerrte sich das Brautkleid vom Leib und warf es in eine Ecke. Dann schlüpfte sie in das erste Kleid aus blauer Seide. Das Oberteil war mit helleren Rosen bestickt, die den Blick von ihren üppigen Hüften ablenkten und ihre Figur beinahe ausgewogen wirken ließen. Sie betrachtete sich im Spiegel und stellte fest, dass sie nie besser ausgesehen hatte. Dann blickte sie auf das Preisschild am Ärmel und rang nach Atem.

Zwölfhundert Dollar! Für ein Kleid, das sie ins Büro tragen würde? Sie wagte nicht auszurechnen, wie viel die gesamte Garderobe kosten mochte, die sie so achtlos auf das Bett geworfen hatte. Ihr wäre bestimmt schwindelig geworden. Stattdessen hängte sie alles sorgfältig in den Kleiderschrank. Dann wusch sie sich und schlüpfte in ein schlichtes Nachthemd, das vermutlich mehr gekostet hatte als ihr Brautkleid.

Als sie sich in die weichen Kissen kuschelte, dachte sie über die turbulenten Ereignisse des Tages nach. Es erwies sich als Fehler, weil es sie zwang, an Gerald zu denken. Sie redete sich ein, dass sie ohne ihn besser dran war, obwohl es ihr das Herz brach und ihr Tränen in die Augen trieb. Sie hatte sich seine Liebe so sehr ersehnt, doch er hatte ihr nur etwas vorgemacht. Lag es an ihr, dass kein Mann sie begehrte? Musste sie die Schuld bei sich suchen? Oder war er einfach ein Schuft und keine Träne wert?

Dann wandte sie ihre Gedanken dem Mann zu, der ihr Leben geändert hatte, wenn auch nur für ein paar Tage. Wie war er? War er ein Schuft wie Gerald? Waren alle Männer so? Oder war er ehrenwert und aufrichtig?

„Ja, ich verstehe, Mr. Boulier. Die Weinkarte Ihres Restaurants ist höchst eindrucksvoll, aber der Prinz zieht es vor, eine Auswahl aus seinem eigenen Weinkeller zu treffen. Diese Weine sind aus El Bahar eingeflogen worden. Er ist gern bereit, Korkgeld zu zahlen, aber wenn es eine Beleidigung für Sie und Ihre Belegschaft bedeutet, werden wir das Dinner eben anderswo abhalten müssen.“

„Natürlich habe ich Verständnis für die Wahl des Prinzen. Wir fühlen uns sehr geehrt, seiner Bitte nachzukommen.“

Dora lächelte, unterdrückte jedoch jeglichen Triumph aus ihrer Stimme. „Ich werde ihn von Ihrer Hilfsbereitschaft in Kenntnis setzen. Richten Sie sich auf fünfunddreißig Dinnergäste ein.“

„Wir werden bereit sein“, versicherte Mr. Boulier.

„Vielen Dank für Ihre Mitarbeit. Wir sehen uns morgen Abend.“

Dora legte den Hörer auf, schaltete den Anrufbeantworter ein, griff nach einigen Unterlagen und verließ den Raum.

Khalils Büro lag neben ihrem. Er ließ die Tür offen stehen und hatte sie angewiesen, jederzeit ohne Hemmungen einzutreten. In den vergangenen fünf Tagen hatte sich eine Routine in ihrem Arbeitsrhythmus entwickelt. Jeden Vormittag und dann erneut am Nachmittag führten sie eine Besprechung.

Als sie sich vor seinen Schreibtisch setzte, nickte er ihr zu und murmelte: „Ich bin gleich so weit.“

„In Ordnung.“

Khalil fuhr fort, mit äußerster Konzentration Daten in seinen Computer zu tippen. Er besaß ein markantes, eindrucksvolles Profil. Sein dunkles, streng zurückgekämmtes Haar reichte ihm bis auf den Kragen. Wie gewöhnlich trug er einen maßgeschneiderten Anzug, der die Stärke und Grazie seines Körpers unterstrich. Es war gefährlich, ihn zu lange zu betrachten. Daher blickte sie aus dem Fenster hinter ihm auf die Stadt tief unten.

Als er sich ihr schließlich zuwandte, fiel ihr der unbeugsame Zug um seinen Mund auf, die strenge Miene und die schmale, blasse Narbe auf seiner linken Wange.

Nur gelegentlich gelang es ihr zu vergessen, dass ihr derzeitiger Arbeitgeber königlicher Abstammung war. Denn Khalil sonderte sich stets ein wenig ab. Er ermutigte keinerlei Vertrautheit und ging selten auf ihren Humor ein. Nur seine scharfe Intelligenz verhinderte, dass er pompös wirkte. Er war in vielerlei Hinsicht der vielschichtigste Mensch, dem sie je begegnet war.

„Wie war Ihr Morgen?“, erkundigte er sich.

Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er die Frage aus reiner Höflichkeit stellte. „Es läuft gut.“ Sie reichte ihm ein Fax. „Hier ist der Bericht über die neuen Computerchips.“

Sie wartete, während er den Bericht überflog. Seine Augen waren groß und dunkel. Manchmal hätte sie schwören können, dass er ihr bis in die Seele blickte, doch das war lächerlich und Wunschdenken ihrerseits. Er bemerkte kaum, dass sie lebte. Für ihn war sie eine effektive Büroeinrichtung. Ein weiblicher Roboter.

Khalil legte das Fax beiseite. „Was gibt es sonst noch?“

„Für morgen habe ich einen Termin mit den Wissenschaftlern vereinbart, die sich mit der Rückgewinnung von Wasser beschäftigen.“

„Sehr gut“, lobte er. „Als Wüstennation ist es für uns von höchster Wichtigkeit, genügend Wasser für die Landwirtschaft und die wachsende Bevölkerung zu beschaffen. Ich glaube fest daran, dass wir die Wüste schließlich zurückgewinnen, obwohl es ihr sicherlich sehr widerstrebt, gezähmt zu werden.“

„Mir war gar nicht bewusst, dass die Wüste als weibliches Wesen angesehen wird.“

„Aber ja. Alle unberechenbaren Dinge sind weiblich. Schiffe, Flugzeuge, Mutter Natur.“

Sie fragte sich, ob er Probleme mit Frauen hatte. Gab es eine besondere Frau in seinem Leben? War er womöglich verheiratet? Sie verdrängte den unliebsamen Gedanken. „Ich habe die Vorkehrungen für das morgige Dinner abgeschlossen. Der Wein wird am Morgen geliefert.“

„Wie groß waren die Proteste?“

Sie lächelte. „Mr. Boulier hat zunächst aufbegehrt, aber dann ist er zur Vernunft gekommen.“

„Ich bin sicher, dass Sie erheblich dazu beigetragen haben.“ Er reichte ihr drei Umschläge. „Weitere Einladungen zu Wohltätigkeitsveranstaltungen. Ich habe nur Zeit für eine. Welche würden Sie mir empfehlen?“

Sie sah sich die Einladungskarten an. „Ich persönlich würde die Veranstaltung zugunsten aidskranker Kinder besuchen, aber bei der Modenschau zur Unterstützung Obdachloser sind vermutlich mehr attraktive junge Frauen zugegen.“

Verstohlen musterte sie ihn unter gesenkten Lidern. Nicht einmal der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf seinem Gesicht. Offensichtlich besaß er überhaupt keinen Sinn für Humor. Dennoch wollte sie sich nicht beklagen. Er hatte sie zu einem wichtigen Bestandteil seines Teams in den Vereinigten Staaten auserkoren, anstatt sie nur für Botendienste zu benutzen. Am vergangenen Abend hatte sie mit Khalil und zwei Senatoren diniert, die sich für die Züchtung gegen Dürre resistenter Feldfrüchte interessierten. Offiziell hatte sie nur als Protokollführerin fungiert, doch anschließend hatte er eine ganze Weile mit ihr über das Meeting gesprochen.

Ein leises Klopfen an der offenen Tür unterbrach ihre Gedanken. Sie blickte auf, sah einen Kellner mit einem Servierwagen auf der Schwelle stehen und sagte: „Ins Speisezimmer, bitte.“ Mit den Akten unter dem Arm begleitete sie Khalil den langen Flur entlang zum Esszimmer.

Als er sie an ihrem ersten Arbeitstag aufgefordert hatte, den Lunch mit ihm einzunehmen, war sie ganz aufgeregt und nervös geworden. Doch sie hatte sehr schnell erkannt, dass er lediglich Zeitverschwendung vermeiden wollte. Es gab viel zu besprechen, sie mussten essen – warum also nicht beides gleichzeitig erledigen?

„Nehmen Sie die Einladung zugunsten der Kinder an, und lehnen Sie die anderen ab“, trug er ihr auf, sobald sie sich an den Tisch gesetzt hatten.

„In Ordnung.“

Zwei Stunden später ging die Besprechung zu Ende, und Dora hatte genug Arbeit, um bis spät am Abend beschäftigt zu sein. Es störte sie jedoch nicht. Im Gegenteil. Es hielt sie davon ab, über ihr verkorkstes Leben nachzudenken. Leider konnte sie es nicht auf ewig verschieben.

Sie räusperte sich. „Khalil, ich brauche heute Nachmittag eine Stunde frei. Ich habe einige Telefonate mit Los Angeles zu führen.“

„Haben Sie Probleme, Ihre Papiere wieder zu beschaffen?“

„Eigentlich nicht. Ich habe bereits einige Kreditkarten erhalten, und eine Arbeitskollegin hat mir meinen Pass zugeschickt. Aber ich muss mich um eine private Angelegenheit kümmern.“

Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass seine Assistentin ein Privatleben haben könnte. Sie war so gut in ihrem Job, dass er sie kaum als Person ansah. Er runzelte die Stirn, als ihm die Umstände ihrer ersten Begegnung in Kansas einfielen. „Ich nehme an, es hat damit zu tun, dass Sie in einem Brautkleid allein auf dem Flughafen von Salina standen.“

Sie errötete ein wenig und zupfte am Saum ihres Pullovers. „Nun, ja, natürlich.“

„Stecken Sie in irgendwelchen Schwierigkeiten?“

Sie wirkte verblüfft. Sie hatte braune Augen, wie viele Frauen von El Bahar, aber damit endete die Ähnlichkeit. Ihre Haut war blass, ihr Gesicht eher rund als hager.

„Ich stecke nicht in Schwierigkeiten, wie Sie es meinen.“ Sie seufzte. „Ich war mit meinem Boss, der mein Verlobter war, auf dem Weg nach Boston. Das Brautkleid war an dem Morgen geliefert worden, und ich bin nach hinten gegangen, um es anzuprobieren. Als ich wieder nach vorn kam, hatte Gerald, mein Boss, die Hand unter Glendas Rock, und sie standen im Begriff, die wilde Sache zu tun.“ Sie sprach in sachlichem Ton, doch er sah den Schmerz in ihren Augen. „Zumindest habe ich es vor der Hochzeit herausgefunden.“

Khalil wusste nicht recht, worauf er als Erstes eingehen sollte – ihre Verlobung mit ihrem Chef, die Identität der mysteriösen Glenda oder die Bezeichnung wilde Sache. „Wer ist Glenda?“

„Eine leitende Angestellte der Firma, für die ich gearbeitet habe. Es ist ein Familienbetrieb. Mr. Greene mag es gar nicht, wenn seine Angestellten miteinander turteln. Glenda ist verheiratet, und das macht die ganze Sache noch schäbiger.“

Für gewöhnlich spielte ein kleines Lächeln um Doras Mundwinkel, doch nun bildeten ihre Lippen eine gerade Linie. Er verspürte einen Anflug von Mitgefühl. Sie besaß viele Qualitäten. Sie war intelligent und arbeitsam. Er genoss ihren Sinn für Humor, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Sie war forscher und weniger unterwürfig, als es ihm bei seinen Frauen gefiel, aber das lag natürlich daran, dass sie Amerikanerin war. Alles in allem war sie eine ausgezeichnete Angestellte, und es erzürnte ihn, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber sie derart schlecht behandelt hatte.

„Natürlich kam es zu einem heftigen Streit“, fuhr sie fort. „Ich war zornig und verletzt und gedemütigt. Als das Flugzeug in Salina landete, stieg ich einfach aus und weigerte mich, wieder einzusteigen. Ich konnte überhaupt nicht klar denken.“

„Wie ungewöhnlich für Sie“, murmelte er.

„Nicht wahr? Ich hätte nie gedacht, dass Gerald mich einfach sitzen lassen würde. Aber ich hätte auch nie gedacht, dass er Glenda vernaschen würde. Anscheinend habe ich ihn überhaupt nicht gekannt.“ Sie senkte die Stimme zu einem niedergeschlagenen Flüstern. „Jetzt muss ich die Hochzeit absagen. Ich hatte am Vortag dreihundert Einladungen verschickt.“

„Wie Sie selbst gesagt haben, ist es besser, dass Sie es rechtzeitig erfahren haben.“

„Richtig.“ Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln.

„Haben Sie seitdem mit ihm gesprochen?“

„Mit Gerald? Nein, und ich will es auch nicht.“ Sie schluckte schwer. „Ich bin froh, dass es vorbei ist. Er hat mir gesagt, dass ihm etwas an mir liegt, aber es war gelogen. Ich könnte niemals mit so einem Menschen zusammenbleiben. Es ist besser so.“

Khalil bezweifelte, dass sie an ihre eigenen Worte glaubte. Sie brauchte Zeit, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Und bis dahin war ihr am meisten geholfen, viel beschäftigt zu werden. Und darin zumindest übertraf er sich selbst.

3. KAPITEL

Die Standuhr in der Ecke des Salons schlug die Stunden. Dora zählte mit und stellte überrascht fest, dass es bereits Mitternacht war. Es schien ihr, als wären nur ein paar Minuten vergangen. In Wirklichkeit unterhielt sie sich bereits seit fast drei Stunden mit Khalil. Sie wusste, dass sie sich zurückziehen sollte. Doch sie wollte nicht nur das Ende seiner Geschichte hören, sondern weiterhin davon träumen, dass er mehr als nur ihr Boss wäre.

„… unsere Mutter starb, als wir noch sehr klein waren. Fatima hat uns erzogen. Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Wir beten sie alle an.“

Seine großen, dunklen Augen nahmen einen entrückten Ausdruck an. Sie wusste, dass er im Geiste nicht länger in der Suite in New York saß, sondern nach El Bahar zurückgekehrt war. Wie mochte es dort sein? War das geheimnisvolle Land, von dem er erzählte, so wundervoll, wie sie es sich ausmalte?

„Wird Ihr Bruder Malik einmal König werden?“, erkundigte sie sich.

„Ja, wenn unser Vater stirbt. Malik ist ein guter Führer, wenn auch ein bisschen anmaßend und diktatorisch.“

„Das muss in der Familie liegen“, murmelte sie und nahm einen Schluck aus ihrem Glas.

Khalil musterte sie und zog die Augenbrauen hoch. „Ich weiß, dass Sie nicht von mir reden.“

„Natürlich nicht“, versicherte sie, doch sie konnte die Belustigung nicht aus ihrer Stimme verbannen.

„Es liegt nur daran, dass Sie eine Frau aus dem Westen sind“, informierte er sie ernst. „Sie sind zu sehr daran gewöhnt, Ihren eigenen Kopf durchzusetzen. Hätte man Sie korrekt erzogen, würden Sie nicht schlecht von mir denken.“

„Korrekt erzogen?“ Sie lachte. „Ich will nicht daran denken, was das bedeutet. Und da wir gerade bei dem Thema sind, ich denke nicht schlecht von Ihnen. Ich habe es sehr genossen, für Sie zu arbeiten. Die Zeit ist sehr schnell vergangen.“ Sie konnte kaum glauben, dass nur noch zwei Tage bis zu seiner Rückkehr nach El Bahar blieben. „Sie werden mir fehlen“, fügte sie spontan hinzu.

In den vergangenen zwölf Tagen hatte sie ihren Arbeitgeber kennen gelernt. Er war anmaßend und diktatorisch, aber auch fair. Manchmal behandelte er sie wie einen Computer oder Roboter, aber das störte sie nicht weiter. Er war nie verletzend. Er machte keine höhnischen Bemerkungen, behandelte sie nie von oben herab. Wenn er sie nach ihrer Meinung fragte, lauschte er ihr. Wenn es sich um eine rein amerikanische Angelegenheit handelte, nahm er häufig ihren Rat an.

Er war außerdem ein reicher, gut aussehender Prinz. Sie versuchte, diese Tatsache zu ignorieren, aber manchmal wollte es ihr nicht gelingen.

„Sie waren sehr tüchtig“, sagte er ihr. „Mir wurde gesagt, dass ich zu viel von meinen Angestellten erwarte, aber Sie haben sich nicht ein einziges Mal beklagt. Das weiß ich zu schätzen, ebenso wie Ihre harte Arbeit.“

Sein Kompliment machte sie verlegen. „Sie sind nur froh, weil Sie sich nicht mit Bambi abgeben müssen“, neckte sie.

Er erwiderte ihr Lächeln nicht. „Ich glaube, ich hätte mich gezwungen gesehen, sie zu erwürgen. Das hätte einen internationalen Skandal hervorgerufen.“ Er drehte sich zu ihr um. „Was werden Sie tun, wenn ich fort bin? Nicht zu Gerald zurückkehren, hoffe ich.“

„Niemals“, versprach sie und schluckte schwer. Im Stillen hatte sie gehofft, dass er sie mitnehmen würde. Ein törichter Traum. Aber sie sehnte sich danach, seine Familie kennen zu lernen, von der er ihr so viel erzählt hatte. Sie träumte davon, El Bahar und den Palast zu sehen. Khalil hatte ein wildes, ungezähmtes Land beschrieben, das auf der Schwelle zur Moderne stand. Unwillkürlich wollte sie an dieser Transformation teilhaben. Doch das war verrückt. Frauen wie sie änderten gar nichts.

Er beugte sich vor und griff nach seinem Glas. „Ich werde morgen ein paar Erkundigungen einholen. Ich kenne mehrere Geschäftsleiter hier. Ich möchte Ihnen helfen, eine gute Stellung zu finden.“

„Danke.“

Seine freundlichen Worte linderten ihren Kummer. Wie viele andere Männer hätten sich nach so kurzer Bekanntschaft für sie eingesetzt? Sie stand auf. „Gute Nacht, Khalil.“

„Gute Nacht, Dora.“

Lächelnd verließ sie den Raum und ging in ihr Zimmer. Ein Teil von ihr wollte glauben, dass er ihrem Namen einen zärtlichen Unterton verliehen hatte. Doch es war derselbe Teil von ihr, der bereit gewesen war zu glauben, dass Gerald ein Mann von Wort war.

Trotz der späten Stunde war sie noch nicht müde. Daher überlegte sie, ob sie alle nötigen Schritte unternommen hatte, um die Hochzeit abzusagen. Die Kirche, der Speiselieferant, der Florist und die Musiker waren bereits abbestellt, und sie hatte eine sorgfältig formulierte Absage an die dreihundert Gäste verfasst. Sie musste sich nur noch des Brautkleides entledigen, das sie ganz hinten in den Schrank gestopft hatte und der Kleidersammlung geben wollte, wenn sie das Hotel verließ.

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit machte ihr bewusst, wie wichtig es war, auch in Herzensdingen Vernunft walten zu lassen, und dass es sehr unheilsam sein konnte, sich in den Boss zu verlieben.

Fast ein Jahr lang hatte sie für Gerald gearbeitet, ohne dass zwischen ihnen etwas vorgefallen war. Doch sie hatte von ihm geträumt. Vielleicht lag es daran, dass sie einsam war und es in ihrem Leben nichts weiter gab als Arbeit. Sie hatte keine Hobbys, wenige Freunde, ging selten aus. Sie wirkte nicht attraktiv auf Männer. Zum Teil lag es an ihrem Verstand. Die meisten Männer fühlten sich bedroht von ihrer überlegenen Klugheit. Außerdem war ihr Gesicht unscheinbar und ihr Körper keineswegs perfekt, und sie war von Natur aus zurückhaltend.

Eines Abends hatten sie und Gerald Überstunden gemacht, und er hatte irgendwo eine Flasche Wein ausgegraben. Nach nur einem Glas hatte sie einen Schwips bekommen und zu kichern begonnen, und er hatte sie plötzlich in den Armen gehalten und geküsst.

Bevor es zu mehr als leidenschaftlichen Küssen gekommen war, hatte Mr. Greene, der Präsident der Firma, sie überrascht. Die Firmenpolitik verbot flüchtige Beziehungen zwischen den Angestellten, und sogar Geschäftsleiter wurden gefeuert, wenn sie sich mit ihren Mitarbeitern einließen. Daher hatte Gerald behauptet, mit ihr verlobt zu sein.

Von jenem Moment an hatte Dora in einer Traumwelt gelebt, an Geralds Liebe geglaubt und sich zum ersten Mal im Leben zugehörig gefühlt. Doch er hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebte. Er hatte nie mit ihr geschlafen. Er hatte sie nur selten berührt.

Jener hässliche Vorfall im Flugzeug hatte ihr schließlich die Augen geöffnet. Gerald hatte sie nur benutzt, um seinen Job nicht zu verlieren. Ihm hatte nie an ihr gelegen. Sie konnte froh sein, dass die Sache vorüber war.

Dora streckte sich auf dem Bett aus und schwor sich, ihm keine Träne mehr nachzuweinen. Viele Frauen waren auf sich gestellt glücklich und führten auch ohne Ehemann und Kinder ein ausgefülltes Leben. Sie hatte den Fehler begangen, auf einen Mann zu warten. Das sollte sich nun ändern.

Sobald sie eine neue Stellung gefunden hatte, wollte sie Kurse wie Kochen, Dekorieren und Sprachen belegen, bis sie ein Hobby fand, das sie wirklich fesselte. Sie wollte an all die Orte reisen und all die Bücher lesen, die sie schon immer interessierten. Sie schwor sich zu lernen, allein glücklich zu sein. Denn wenn sie sich selbst aufgab, dann hatte Gerald gewonnen. Doch der Sieg sollte letztendlich ihr gehören.

Vergeblich versuchte Khalil, sich auf einen technischen Bericht über Straßenbeläge zu konzentrieren. Beinahe drei Wochen hielt er sich nun in den Vereinigten Staaten auf, und er sehnte sich nach El Bahar zurück. Er vermisste seine Arbeit im Palast und seine Familie. Obwohl er von Zeit zu Zeit gern verreiste, freute er sich stets wieder auf seine Heimat.

Ein leises Klopfen an der Tür erklang. Er legte den Bericht nieder und blickte mit gerunzelter Stirn zur Uhr. Es war weit nach Mitternacht, und er erwartete keinen Besucher.

Als er die Tür öffnete, erblickte er eine zierliche, dunkelhaarige junge Frau mit dem Gesicht eines Engels.

„Hallo, Khalil.“ Ihre Stimme klang wie ein Schnurren, und sie betrat den Raum mit der Anmut einer Katze. Ein dunkelblaues, mit Pailletten besetztes Kleid betonte jede vollkommene Kurve ihres verführerischen Körpers. Make-up unterstrich ihre wundervollen Züge, besonders ihre vollen Lippen, und sie war in eine Wolke sinnlichen Parfums gehüllt. Diamanten glitzerten an ihren Ohren, um ihren Hals und ihre Handgelenke. Ihre Hände waren klein, ihre Fingernägel lang. Sie war, zumindest äußerlich, das lieblichste weibliche Wesen auf Erden.

Khalil wich einen Schritt zurück, um einer Berührung mit ihr zu entgehen.

Sie lächelte über die unwillkürliche Geste. „Wollen wir wieder dieses Spiel veranstalten?“ Sie hängte ihren Pelzmantel über einen Sessel. „Soll ich die Jägerin sein, während du die verängstigte Beute bist?“ Sie trat näher, drängte ihn zurück an eine Marmorsäule. „Mir gefällt das.“ Ihre mandelförmigen Augen funkelten vor Begierde. Sie presste die Hände auf seine Brust. „Küss mich, Khalil, und liebe mich.“

Er stieß sie von sich. „Verschwinde“, sagte er mit leiser, mühsam beherrschter Stimme.

Sie lachte. „Aber, Darling, ich bin doch böse auf dich, nicht umgekehrt. Du bist seit fast zwei Wochen in der Stadt, aber du hast mich nicht ein einziges Mal angerufen oder eingeladen. Ich bin sehr aufgebracht.“ Sie zog einen Schmollmund.

„Wir haben uns nichts zu sagen, Amber. Ich habe dich nicht angerufen, weil ich keinen Wunsch nach deiner Gesellschaft habe.“

Sie wedelte mit der linken Hand. Der große Brillant an ihrem Finger funkelte wie Modeschmuck aus einem Warenhaus. Aber er wusste, dass es ein echter Diamant war. Schließlich hatte er ihn bezahlt.

„Du wirst deine Ansicht über mich ändern müssen, mein Liebling“, entgegnete sie. „Schließlich sind wir verlobt.“

Khalil wandte sich ab und starrte aus dem Fenster. „Ich will dich nicht heiraten“, knurrte er. „Ich habe dich nie gewollt.“

„Aber du bist nun mal ein Prinz und heiratest daher aus Pflicht und für dein Land statt aus persönlichen Gründen. Ich bin deine Pflicht, Khalil. Ich bin dein Schicksal.“

Er wirbelte zu ihr herum. Zorn und Verzweiflung stiegen in ihm auf, weil er keinen Ausweg wusste.

Amber lehnte sich an das Sofa. Ihr katzenhaftes Lächeln enthüllte kleine weiße Zähne. Die vollkommenen Züge und der unglaubliche Körper verbargen das Wesen einer Schlange.

Er kannte die Wahrheit über sie. Wenn sie in El Bahar weilte, spielte sie die gehorsame Tochter. Doch wenn sie ihr Land und ihre Familie hinter sich ließ, verwandelte sie sich. Mit dreizehn Jahren hatte sie sich den ersten Mann genommen, und seitdem nahm die Zahl ihrer Eroberungen beständig zu.

Sie stieß sich vom Sofa ab und trat zu ihm. „Ich werde dich bekommen“, flüsterte sie. „Du wirst mich heiraten und mit mir ins Bett gehen.“

„Niemals.“

Sie lachte. „Du willst die Verlobung lösen? Ich glaube kaum. Schließlich müsstest du einen Grund angeben. Was würdest du sagen?“

„Die Wahrheit.“

Sie lachte erneut. „Du würdest also zu meinem Vater, dem Premierminister von El Bahar, gehen und ihm von meinem ausschweifenden Leben berichten? Du würdest ihm ins Gesicht sagen, dass seine Lieblingstochter, sein Augapfel, sich mit Männern herumtreibt? Das glaube ich nicht.“ Ihre braunen Augen funkelten. „Wie traurig wäre er! Dieser großartige Staatsmann, ein wahrer Führer und Advokat des Volkes, von einem ungehorsamen Kind zu Fall gebracht.“

Khalil biss die Zähne zusammen. Er wollte ihre Worte leugnen, aber er konnte es nicht. Amber hatte recht. Die Wahrheit hätte ihren Vater vernichtet. Die Tradition von El Bahar verlangte, dass ein Vater die Verantwortung für die Sünden seiner Kinder übernahm. Aleser würde als Premierminister zurücktreten müssen, und El Bahar würde einen großen Staatsmann verlieren. Die Wahl war einfach – Khalils Schweigen für die Zukunft seines Landes.

„Ich habe Geld“, murmelte er.

Sie winkte ab. „Ich habe auch Geld. Was ich nicht habe, ist ein Titel. Ich wünsche Prinzessin zu werden.“

„Was ist mit Königin? Ich hätte gedacht, das würde dir eher gefallen.“

Sie blickte nachdenklich drein. „Ich habe es in Erwägung gezogen, aber ich fürchte, das kommt nicht in Frage. Weißt du, ich war bereits mit deinem Bruder zusammen.“

Er erstarrte. Nicht aus Zorn, aber vor Verblüffung. Malik?

„Es war kurz nachdem er seine Frau verloren hat“, erklärte Amber. „Er war so furchtbar traurig und betrunken, und ich war so allein. Ich dachte mir, wir könnten uns gegenseitig trösten. Er war sehr beeindruckend.“ Sie ließ den Blick über seinen Körper gleiten. „Ich hoffe, dass es in der Familie liegt. Wollen wir nicht mal probieren, ob wir auch so gut zusammenpassen?“

Abscheu stieg in ihm auf.

Sie rückte näher. „Warum warten? Wir werden ohnehin bald heiraten, und ich werde dir Söhne gebären. Dann kannst du mir nichts mehr verwehren.“

„Verschwinde“, entgegnete er. „Ich habe heute Nacht keinen Bedarf an einer Hure.“

„Sei vorsichtig“, warnte sie. „Ich bin ein ernst zu nehmender Gegner.“

„Das bin ich auch, Amber. Du glaubst, dass du sagen oder tun kannst, was dir beliebt, weil ich in der Falle sitze, aber du irrst dich.“ Er trat einen Schritt auf sie zu. „Ich stelle mich dem Teufel persönlich, bevor ich dich heirate.“

„Mag sein. Aber wirst du El Bahar vernichten?“ Sie trat zu dem Sessel und nahm ihren Pelzmantel. „Der Teufel ist nicht das Problem, Khalil. Du selbst bist dein ärgster Feind. Du bist ein gehorsamer Prinz. Du liebst dein Land und dein Volk. Du würdest dafür sterben.“ Sie lachte. „Dafür würdest du sogar mich heiraten. Du siehst also, dass ich nichts zu befürchten habe.“

Mit einer spöttischen Verbeugung ging sie. Selbst als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, hörte er sie noch lachen.

Er fluchte lange und laut. Zorn erfüllte ihn. Er beabsichtigte nicht, sie zu heiraten. Bei seiner Ehre als Königssohn schwor er sich, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden. Aber wie? Konnte er seinem Vater im Vertrauen von Ambers wahrem Wesen erzählen? Er schüttelte den Kopf. Der König würde sich verpflichtet fühlen, seinen besten Freund Aleser einzuweihen. So, wie die Dinge lagen, schien die Situation ausweglos zu sein.

4. KAPITEL

Das Klingeln des Telefons schreckte Khalil aus seinen Grübeleien. Er ging zum Schreibtisch, hob den Hörer ab und hörte Doras Stimme. Gerade wollte er auflegen, als er einen Mann sagen hörte: „Dora, hier ist Gerald. Wo zum Teufel steckst du?“

Khalil wusste durchaus, dass er nicht lauschen sollte, doch er legte nicht auf. Denn seine Neugier war erwacht.

„Wie hast du mich gefunden?“, wollte Dora wissen.

„Du hast dem Speiselieferanten deine Nummer gegeben. Jetzt erzähl mir, was in dich gefahren ist. Wie konntest du es wagen, die Hochzeit abzusagen, ohne mich zu fragen?“

„Du fragst, wie ich es wagen konnte, obwohl du die Hand unter dem Rock einer verheirateten Frau hattest? Du bist ein gefühlloser Schuft, Gerald. Weißt du überhaupt, wie spät es hier ist?“

„Kurz nach zehn. Was ist schon dabei?“

„Es ist ein Uhr nachts durch. Ich bin in New York. Aber du hast dir natürlich nicht die Mühe gemacht, die Vorwahl zu überprüfen.“ Sie seufzte. „Na ja, ist ja auch egal.“

„Da hast du verdammt recht“, knurrte Gerald. „Es ist mir egal, ob du in New York oder sonst wo steckst. Hauptsache, du bringst deinen fetten Hintern bis Ende der Woche hierher zurück. Hast du mich verstanden?“

Khalil umklammerte den Hörer fester, als er Dora nach Luft schnappen hörte.

„Nein“, entgegnete sie mit zittriger Stimme. „Die Verlobung ist gelöst. Ich kann es nicht fassen, dass ich so dumm war. Du bist nichts weiter als ein untreues Scheusal, und ich bin froh, dass es vorbei ist.“

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünsche, mich aus der Affäre ziehen zu können. Aber es geht nicht. Mr. Greene wünscht zu wissen, wo du steckst. So sehr wir beide es auch möchten, wir können es nicht beenden.“

Sie schniefte. „Da irrst du dich. Ich habe es beendet.“

„Verdammt, und was soll ich Greene erzählen?“

„Wie wäre es mit der Wahrheit? Sag ihm doch, dass du unsere Verlobung nur vorgetäuscht hast, weil er uns erwischt hat. Und sag ihm bei der Gelegenheit auch gleich, dass du mit Glenda und wer weiß noch wem geschlafen hast.“

„Ich werde meinen Job nicht verlieren, nur weil eine ausgedörrte Jungfrau kalte Füße kriegt.“

„Du warst schon immer ein sehr geschickter Schmeichler“, erwiderte Dora sarkastisch. „Fahr zur Hölle, Gerald. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.“

„Ich war in der Hölle“, konterte er. „Jedes Mal, wenn ich mir vorgestellt habe, mit dir schlafen zu müssen. Hast du dich je gefragt, warum ich es nie versucht habe? Du bist eine alte Frau, auch wenn du noch nicht mal dreißig bist. Du bist eine geborene Jungfrau und wirst als Jungfrau sterben. Kein Mann, der bei Verstand ist, wird dich je begehren. Ich würde …“

Khalil hörte ein Klicken und wusste, dass Dora den Hörer aufgelegt hatte. Er folgte ihrem Beispiel. In der nächtlichen Stille hörte er ihre gedämpften Schluchzer.

Unbehaglich trat er von einem Fuß auf den anderen. Bis zu diesem Augenblick hatte er seine vorübergehende Assistentin nicht als reale Person angesehen. Er arbeitete gern mit ihr zusammen. Sie war tüchtig, intelligent und humorvoll. Aber er hatte nicht erkannt, dass sie ein Wesen mit Hoffnungen und Träumen, dass sie verletzlich war.

„Wir hatten beide einen höllischen Abend“, murmelte er vor sich hin. Ein grimmiges Lächeln spielte um seine Lippen. Vielleicht sollte er Gerald mit Amber verkuppeln. Die beiden verdienten einander.

Er ging zur Bar am anderen Ende des Raumes. Er brauchte einen Drink. Doch als er sich gerade einschenken wollte, kam ihm eine Idee, die lächerlich war, sich aber nicht verdrängen ließ. Er stellte die Flasche zurück und verließ den Raum.

Im halbdunklen Flur war Doras Weinen deutlicher zu hören. Er blieb vor ihrer Tür stehen. Die vage Idee nahm immer mehr Gestalt an. Er musste einen Weg finden, seine Verlobung mit Amber zu lösen, ohne die Position ihres Vaters in der Regierung zu gefährden.

Er wollte unbedingt eine Jungfrau heiraten. Seine Braut musste als künftige Prinzessin mehr als nur eine Zierde sein. Sie musste intelligent sein und sich für den Fortschritt von El Bahar engagieren. Er wollte eine vernünftige, unterwürfige und ausgeglichene Frau, deren Gesellschaft er genießen konnte. Eine Heirat aus Leidenschaft wäre zwar nett, aber wichtiger war es, eine Frau zu finden, die eine gute Mutter war.

Er stellte sich Dora vor … ihre sanften braunen Augen und ihr gefälliges Lächeln. Es war schwerer, sich ihren Körper vorzustellen, da er nicht besonders auf ihre Figur geachtet hatte. Aufgefallen war ihm allerdings, dass sie ein breites Becken besaß – ein gebärfreudiges Becken. Im Gegensatz zu der zierlichen Amber war Dora wie geschaffen dazu, einem Mann starke Söhne zu schenken.

Sie war nicht unterwürfig und vermutlich nicht bereit, sich seinem Willen zu beugen, aber sie besaß all die anderen Qualitäten, die er von einer Ehefrau erwartete.

Der König würde zornig reagieren, denn die Lösung der Verlobung mit Amber würde zunächst Schande über die Familie bringen. Vielleicht ließen sich die Gemüter beizeiten besänftigen, doch vorläufig war mit dem Unwillen des Königs zu rechnen.

Khalil atmete tief durch, drückte die Klinke und öffnete lautlos die Tür. Zusammengerollt wie ein Kind lag Dora im Bett. Sie hatte die Knie angezogen und das Gesicht mit den Händen bedeckt. Ihre Schluchzer waren verstummt, aber ihre Schultern zitterten. Er konnte ihren Schmerz nachempfinden und wusste, dass sie bis ins Innerste verletzt war.

Er trat an das Bett und setzte sich auf die Matratze. Sie schreckte auf, stieß einen Schrei aus und zog hastig die Decke bis zu den Schultern hoch.

„Khalil, was tun Sie denn hier?“

Ihr Gesicht war feucht. Augen und Lippen waren geschwollen. Sie sah nicht besonders attraktiv aus, aber er fühlte sich seltsam zu ihr hingezogen. Er schmiegte eine Hand um ihre Wange und wischte die Tränen mit dem Daumen fort. Ihre Haut war zart und reizvoll.

„Ich konnte es nicht ertragen“, erklärte er, „deinen Schmerz zu hören, süße Dora.“ Er schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Vermutlich ließ sie es nur geschehen, weil er sie überrumpelt hatte.

Ihre Nähe war ihm nicht unangenehm. Bisher war ihm nie der weibliche Duft ihres Körpers aufgefallen. Instinktiv ahnte er, dass es sich nicht um ein teures Parfum handelte. Der Duft ließ ihn an Sonnenschein und Lachen denken. Seltsam angesichts der Tatsache, dass es mitten in der Nacht war und sie weinte.

„Ich … ich kann nicht …“ Sie schniefte. „Khalil?“

„Ich verstehe.“ Im Licht, das vom Flur ins Zimmer fiel, sah er die Umrisse ihrer Brüste unter ihrem Nachthemd. Wie unschuldig war sie? Hatte jemals ein Mann diese Kurven gesehen, berührt, gekostet?

Erstaunt stellte er fest, dass er erregt war – nicht nur durch den Gedanken an ihre Unschuld, sondern auch durch die Nähe ihres weiblichen Körpers. Mit Dora zu schlafen, erschien ihm überraschend einfach, und es würde ihrer beider Probleme lösen.

Dora fühlte sich wie in einem dichten Nebel. Sie konnte nicht klar denken. Offensichtlich träumte sie. Es gab keine andere Erklärung. Unmöglich konnte Khalil in ihrem Schlafzimmer sein und sie in den Armen halten.

Doch dieser Traum wirkte allzu real. Sie spürte die Härte seiner Brust, die Stärke seiner Arme, die Hitze seines Körpers. Lange Finger streichelten ihr Gesicht, wischten Tränen fort, die immer noch aus ihren Augen rannen.

„Khalil?“

„Sei still, Liebes.“

Sie konnte nicht still sein. Es gab zu viele Fragen. „Was tust du hier?“, fragte sie erneut und versuchte zu ignorieren, dass er sie Liebes genannt hatte. „Bist du betrunken?“

Eine Sekunde lang wirkte seine Miene wild. Sie hatte das seltsame Gefühl, dass er kein Wort sagen, sondern sie vielmehr küssen würde. Statt entsetzt zu sein, beugte sie sich unwillkürlich zu ihm, ersehnte den Kuss, ob es nun ein Traum war oder nicht.

„Natürlich nicht.“ Er stand auf und durchquerte den Raum. Wollte er gehen? Sie setzte zu einem Protest an. Doch er schloss die Tür und betätigte den Lichtschalter.

Die Nachttischlampe erhellte den Raum. Flüchtig schloss Dora die Augen vor Entsetzen bei der Vorstellung, wie sie aussehen musste. Zweifellos war ihr Gesicht gerötet und fleckig vom Weinen und ihr Haar zerzaust. Was mochte Khalil von ihr denken? Bevor sie die Frage beantworten oder laut stellen konnte, wurde ihr bewusst, dass sie immer noch nicht wusste, was er mitten in der Nacht in ihrem Zimmer tat. „Khalil?“

Wortlos kehrte er zum Bett zurück, sank auf die Matratze, nahm ihre Hände und küsste ihre Finger.

Verwirrt blinzelte sie. Es erschien ihr unmöglich, dass Prinz Khalil Khan von El Bahar auf ihrem Bett saß und sie liebkoste. Doch obwohl sie ihren Augen nicht traute, konnte sie nicht an ihren Empfindungen zweifeln. Schauer rannen an ihren Armen hinauf. Hitze durchströmte sie. Ihr Atem stockte. Sie wollte sprechen, doch sie brachte keinen Ton heraus. Zwischen den Beinen verspürte sie ein unbekanntes Ziehen. Ihre Brüste schienen zu schwellen, die Knospen spannten sich.

„Ich werde ihn vernichten“, murrte er. „Ich werde ihn erschießen lassen.“

„Was? Erschießen? Wen?“

„Diesen Sohn eines Schakals. Diesen Fresser von Kameldung. Gerald.“

Sie zuckte zusammen. „Gerald?“

Er hob den Kopf und blickte sie an. Sein dichtes Haar war nicht länger perfekt frisiert. Mehrere Strähnen fielen ihm in die Stirn. Seine Augen glühten zornig und besitzergreifend. Sie blinzelte. Ihr gegenüber besitzergreifend? Unmöglich.

„Ich habe dich mit ihm telefonieren hören. Er ist ein abscheuliches Exemplar eines Mannes. Wie kann er es wagen, dich so schlecht zu behandeln? Er ist dumm und wertlos. Du, süße Dora, bist ein Schatz. Lieblich und intelligent. Du bist all das, was ein Mann sich von einer Frau wünschen kann. Ich lasse ihn erschießen – oder, wenn du nicht einwilligst, zumindest auspeitschen.“

„Ich … ich verstehe nicht“, brachte sie mit zitternder Stimme hervor.

„Du bist ohne ihn besser dran. Gerald verdient dich nicht. Sei froh, dass du ihn los bist.“ Er umfasste ihre Hände fester. „Ich will dich“, teilte er ihr rau mit. „Ich will dich schon, seit ich dich zum ersten Mal auf dem Flughafen gesehen habe. Es war quälend, diese vergangenen zwei Wochen mit dir zu arbeiten und den Vorgesetzten zu spielen, während ich mir in Wirklichkeit die Rolle deines Liebhabers ersehnt habe.“

Sein glühender Blick hielt ihren gefangen. Sie wollte sich abwenden, aber sie konnte es nicht. Sie wollte ihm außerdem glauben, aber auch das konnte sie nicht. Vielleicht tat sie ihm leid. Obwohl es eine bewundernswerte Geste war, wollte sie niemandes Mitleid.

„Ich verstehe nicht, was das soll. Es ist sehr nett von dir, besorgt zu sein, aber es geht mir gut.“ Sie dachte an ihre Tränen und zuckte die Achseln. „Okay, das ist etwas übertrieben, aber irgendwann wird es mir wieder gut gehen. Du brauchst nicht vorzutäuschen, dass du …“

„Nein!“, unterbrach er sie scharf. „Behandle mich nicht so gönnerhaft. Glaube ja nicht, dass du verstehst, was ich denke oder was ich will. Und wage es nicht anzunehmen, dass es aus Mitleid geschieht. Ich täusche gar nichts vor.“

Hastig stand er auf und griff nach den Knöpfen seines Hemdes. „Du glaubst ihm, diesem Sohn eines Schakals. Du hörst dir seine Lügen an und machst sie zu deiner Wahrheit. Warum? Warum lässt du dir von ihm wehtun? Er weiß nichts von dir.“ Er streifte sich das Hemd ab und warf es zu Boden. „Er hatte seine Chance und hat sie zerstört. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich werde nicht seinen Fehler begehen.“

Dora setzte sich auf und rückte zurück bis zum Kopfteil. Offensichtlich wollte Khalil sich entkleiden. Einerseits hielt sie es für angebracht zu entfliehen, doch andererseits bekam sie vermutlich nicht so schnell wieder eine Gelegenheit, einen nackten Mann zu sehen. Der Himmel wusste, dass sie sich seit Jahren nach dieser Erfahrung sehnte. Außerdem war er so wundervoll, dass sie nicht die Kraft fand, den Blick abzuwenden.

Lampenlicht fiel auf seine glatte Haut, betonte seine Muskeln. Dunkles Haar bedeckte seine breite Brust. Als er den Gürtel öffnete, hielt sie unwillkürlich erwartungsvoll den Atem an.

Doch er schob die Hose nicht hinab. Stattdessen zog er sich Schuhe und Socken aus, stützte dann die Hände in die Hüften und teilte ihr mit: „Ich will dich. Nur dich. Ich will dich in meinen Armen, in meinem Bett. Ich will dich berühren, dich mit meinen Händen und meiner Zunge liebkosen. Du bist mein Herzenswunsch. Es geschieht nicht aus Mitleid und nicht, um dich zu trösten. Ich bin nicht so selbstlos. Ich bin hier wegen des Sehnens in meinem Körper. Es gibt Dinge, die ein Mann nicht vortäuschen kann. Das Verlangen muss echt sein. Verstehst du?“

Sie nickte. Sie verstand nur zu gut. Gerald hatte sie bis ins Innerste getroffen mit seiner Mitteilung, dass sie ihn nicht erregen konnte. Sie wusste, dass sie nicht gerade die hübscheste Frau auf der Welt war, aber sie hatte sich nie für derart abstoßend gehalten, dass kein Mann sie begehren konnte.

Khalil schob die Daumen in den Bund seine Hose. Der feine Wollstoff bauschte sich über seinen Lenden. Nun erst wurde ihr bewusst, dass die seltsame Form, der sie kaum Beachtung geschenkt hatte, der Beweis für seine Worte war. Khalil ließ die Hose zu Boden gleiten und stand in voller Pracht da.

„Ich will dich“, sagte er sanft.

„Ja, das sehe ich.“ Sie presste eine Hand auf den Mund. „Entschuldige. Ich wollte es nicht laut sagen.“

Doch er wurde nicht zornig, sondern grinste sie an. „Du bist beeindruckt.“ Er trat einen Schritt auf sie zu. „Zweifelst du immer noch an mir?“

Er hatte ihr einen beachtlichen Beweis geliefert. Sie wollte ihm glauben, aber es gelang ihr nicht recht. Da waren all die Dinge, die Gerald gesagt hatte. Und warum in aller Welt sollte Khalil an ihr interessiert sein?

„Hör auf“, befahl er streng. Er trat näher und kniete sich auf das Bett. „Höre nicht auf die Stimmen in deinem Kopf, sondern nur auf mich. Du wirst meine Frau sein. Meine allein. Verstehst du?“

Sie starrte in seine Augen und glaubte, in deren Tiefen die wilde Wüste von El Bahar zu sehen. Ein Schauer rann durch ihren Körper. Vorfreude? Vielleicht. Angst? Sicherlich. Aber Angst vor dem Unbekannten, nicht Angst vor ihm.

„Sei mein, Dora“, flüsterte er. „Lass mich dich lieben.“

Sie war überzeugt, dass es eine geistreiche Antwort auf all die schönen Worte gab, doch ihr fiel keine ein. Hilflos ließ sie sich umarmen und hinab auf die Matratze ziehen, und jeglicher Protest erstarb unter der Berührung seiner Lippen.

Sie war schon öfter geküsst worden – in der High School, im College und natürlich von Gerald, dessen Küsse geübt, beinahe nüchtern gewirkt hatten. Doch nie zuvor war sie von einem wilden, sinnlichen und verführerischen Mann wie Khalil geküsst worden.

Sie hatte ein stürmisches Drängen erwartet, doch es geschah ganz anders. Seine Lippen wirkten weich und gefügig an ihren, doch sie ließen keinen Zweifel daran, wer der Meister war. Gemächlich erforschte er die Konturen ihres Mundes. Dann legte er sich zu ihr auf die Decke.

Er umschmiegte ihr Gesicht mit einer Hand, so als fürchtete er, sie könnte zu entkommen versuchen. Hätte sie die Kraft oder den Willen besessen zu sprechen, hätte sie ihm gesagt, dass es ihr unmöglich war. Sie war gefangen – nicht wegen seiner überragenden Stärke, sondern weil sie nirgendwo sonst lieber gewesen wäre. Sie fürchtete ihn nicht. Instinktiv wusste sie, dass er ihr niemals wehtun würde.

„Dora“, murmelte er an ihren Lippen „Ich will dich, meine süße Wüstenrose. Du bist so weich, so warm, so passend für mich.“

Seine Worte wirkten so berauschend wie schwerer Wein. Er erweckte ein unbestimmtes Verlangen in ihr. Sie begehrte verzweifelt, ohne zu wissen, was ihr Befriedigung schenken würde.

„Berühre mich“, befahl er und streichelte ihre Unterlippe mit der Zunge.

Instinktiv vertraute sie ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Während seine Zunge in ihren Mund glitt, erforschte sie seine harten Muskeln und wünschte sich verzweifelt, dass er niemals aufhören möge.

Er neigte ein wenig den Kopf und vertiefte den Kuss. Eine Woge der Hitze stieg in ihr auf. Ihr stockte der Atem. Sie seufzte, schmiegte sich an ihn, erwiderte den Kuss.

Sie hatte nicht gewusst, dass ein solches Entzücken existierte.

Khalil ließ die Lippen zu ihrem Hals wandern, liebkoste die empfindsame Stelle unter ihrem Ohr. Er rollte sich zur Bettkante und schlug die Decke zurück.

Instinktiv griff Dora nach ihrem Nachthemd, das hochgerutscht war. Doch bevor sie den Saum hinabziehen konnte, spürte sie seine Finger über ihr Bein gleiten. Hinauf und hinab, von der Innenseite ihres Knies bis zum Scheitelpunkt ihrer Schenkel. Sie erschauerte und unterdrückte den Drang, seinen Namen zu rufen.

„Sag meinen Namen“, verlangte er und blickte ihr dabei tief in die Augen.

Ein entzückendes Verlangen durchströmte sie. „Khalil“, wisperte sie atemlos.

Er lächelte. „Was für ein leidenschaftliches Geschöpf du doch bist, meine tüchtige Dora. Ich bin ein sehr glücklicher Mann.“

Er zog sie zu einer sitzenden Position hoch. Bevor sie es sich versah, streifte er ihr das Nachthemd ab und entblößte ihre Brüste.

Sie wollte protestieren oder sich zumindest wieder bedecken, doch schon drückte er sie hinab auf den Rücken, presste die Lippen auf eine Brust und schloss eine Hand über der anderen. Plötzlich erschien es ihr gar nicht so schlimm, nackt zu sein.

Sie schloss die Augen und genoss die wundervollen Liebkosungen. Seine Zunge und Lippen waren weich und feucht an ihrer empfindsamen Haut.

Sie schmolz förmlich dahin. War das dieses Wunder zwischen Mann und Frau, von dem sie gelesen hatte? So vieles wurde ihr klar. Dass Geliebte Berge versetzten, um beisammen zu sein. Dass sie ihr Leben riskierten. Sie hätte alles getan, um den Zauber dieses Augenblicks zu verlängern.

Er saugte an einer Brust, während er die andere mit den Fingern liebkoste. Sie sah ihm zu, doch dann vermochte sie die Augen nicht mehr offen zu halten. Sie legte die Hände um seinen Kopf und strich durch sein seidiges Haar. Alles war zu vollkommen, zu unglaublich.

Dann spürte sie einen Druck an ihrem Schenkel. Seine Erregung war so deutlich, dass sogar sie es erkannte. Er begehrte sie. Aus einem ihr unerklärlichen Grund hatte dieser gut aussehende, reiche, gütige Mann beschlossen, mit ihr zu schlafen. Sie glaubte nicht recht, dass ihm wirklich etwas an ihr lag, aber sein Verlangen nach ihr war unbestreitbar. Es war das kostbarste Geschenk, das ihr je zuteil geworden war.

Tränen stiegen in ihre Augen, aber es waren keine Tränen des Schmerzes oder der Reue. Es waren Tränen der Freude und der Dankbarkeit.

Khalil kniete sich zwischen ihre Schenkel und blickte ihr in das Gesicht. „Du entzückst mich. Jetzt werde ich dich entzücken.“

Doch er drang nicht wie erwartet in sie ein. Stattdessen beugte er sich hinab und küsste ihre intimste Stelle. Schock raubte ihr den Atem, als er mit der Zunge sanft einen winzigen Punkt des Entzückens berührte.

Ihr gesamter Körper versteifte sich. Sie wollte ihm nicht Einhalt gebieten, aber sie war sich nicht sicher, ob sie die Erfahrung verkraften konnte. Er schien ihre heftige Reaktion nicht zu spüren, denn er hörte nicht auf, sie zu liebkosen.

Schließlich sank sie zurück in die Kissen, warf den Kopf hin und her.

Mit jedem Zungenschlag trug er sie höher und höher davon – oder zumindest erschien es ihr so. Sie hatte das Gefühl zu schweben, konnte nicht genug bekommen.

Sie flüsterte seinen Namen. Sie flehte ihn an, nie aufzuhören, befahl ihm, aufzuhören. Sie stemmte die Fersen in die Matratze, wand sich, bäumte sich auf.

Sie wusste nicht, wie lange es anhielt. Ihr gesamter Körper spannte sich, strebte einem ihr unbekannten Ziel entgegen. Dann ließ er sanft einen Finger eindringen und bewegte ihn im Rhythmus seiner Zunge.

Dora hatte nicht geahnt, dass ihr Körper so heftig reagieren konnte. Die Erlösung wirkte überwältigend. Schauer schüttelten sie.

Khalil flüsterte ihren Namen, während er sie an sich drückte und ihr Gesicht berührte. „Die Wüstenrose ist also eine Wüstenkatze“, murmelte er und küsste sie. „Du bist eine große Überraschung, süße Dora.“

Noch immer pochte ihr Herz schnell und hart. „Ist es normal, dass es so schön war?“, fragte sie.

Er lachte. „Nur, wenn zwei Menschen großes Glück haben.“ Seine Miene wurde ernst. „Wir passen sehr gut zueinander.“

Dann kniete er sich erneut zwischen ihre Schenkel, doch diesmal küsste er sie nicht. „Sag mir, dass du es willst“, verlangte er.

Verzweifelt sehnte sie sich danach, ihn in sich zu spüren, eins zu werden mit diesem unglaublichen Mann und zu erfahren, was Generationen von Frauen vor ihr erfahren hatten. „Ja, Khalil“, flüsterte sie. „Ich will es. Bitte. Jetzt.“

Sie spreizte die Schenkel, und er drang ein, füllte sie aus. Dann hielt er inne. „Der Beweis“, murmelte er, bevor er sich erneut bewegte, tiefer eindrang.

Ein scharfer Schmerz durchfuhr sie, ließ sie aufschreien. Doch er hörte nicht auf. Er bewegte sich voller Leidenschaft, während er ihr tief in die Augen blickte. Und sie glaubte, das Wispern des Wüstenwindes zu hören, als er sie in die Arme schloss und den Himmelsmächten zurief: „Du gehörst mir.“

5. KAPITEL

Khalil lag in der Dunkelheit. Er war müde, aber er konnte nicht schlafen. Er drehte den Kopf zur Seite und musterte die Frau, die an seiner Seite lag. Er konnte die Konturen ihres Körpers kaum erkennen, aber ihr Duft füllte seine Sinne und erweckte den Drang, sie an sich zu ziehen und erneut zu lieben.

Stattdessen setzte er sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Zum ersten Mal im Leben hatte er mit einer Jungfrau geschlafen. Er hatte Geralds Vorwürfe gehört und war davon ausgegangen, dass sie der Wahrheit entsprachen, aber ein Rest Unsicherheit war geblieben. Doras zögernde Reaktion hatte ebenfalls darauf hingedeutet, aber erst als er den Widerstand gespürt hatte, war er völlig sicher gewesen.

Der Akt der Entjungferung hatte überraschend befriedigend gewirkt. Er genoss das Wissen, dass kein anderer Mann seinen Samen in sie ergossen hatte, dass sie auf die primitivste Weise sein war.

Khalil lächelte, doch es wirkte eher zynisch als belustigt. Er brüstete sich damit, ein moderner Mann zu sein, der fortschrittlich bestrebt war, sein Land in ein neues Millennium zu führen. Doch da saß er nun und war entzückt darüber, endlich mit einer Jungfrau ins Bett gegangen zu sein. So viel also zu seiner Tünche der Zivilisierung. Er war nicht so weit entfernt von seinen primitiven Vorfahren, wie er gern geglaubt hätte.

Er blickte über die Schulter zu der schlafenden Frau. Konnte er es tun? War es falsch?

Er verwarf die Bedenken, sobald sie auftauchten. Er war Khalil Khan, Prinz von El Bahar. Er konnte tun, was immer ihm beliebte. Das Schicksal des Landes stand an erster Stelle. Er hatte nicht die Absicht, Amber zu ehelichen und seine Nation ihrem ungehörigen Wesen auszusetzen. Dennoch musste er heiraten und Söhne hervorbringen, die nach seinem Tode die Linie fortsetzten. Er war ein Mitglied der königlichen Familie, und als solches hatte er Pflichten.

Außerdem, wer war Dora Nelson schon ohne ihn? Eine Sekretärin, die von ihrem früheren Arbeitgeber schwer missbraucht worden war, ein Niemand. Mit ihm konnte sie so viel mehr sein. Sein Antrag wäre eine Ehre für sie und das Beste für alle Beteiligte.

Das entschieden, streckte er sich wieder auf dem Bett aus. Sobald der Morgen graute, wollte er die ersten Telefonate führen. Wenn Dora erwachte, sollte alles arrangiert sein. Er schloss die Augen, doch anstatt einzuschlafen, durchlebte er noch einmal das Entzücken, das er in ihren Armen gefunden hatte. Sie war unerfahren, aber eifrig. Die Erinnerung ließ ihn lächeln und weckte erneut sein Verlangen.

Er hatte beabsichtigt, in sein eigenes Zimmer zurückzukehren, doch er schaffte es nicht. Stattdessen zog er sie an sich, atmete ihren Duft ein, lauschte ihrem sanften Atem und wartete auf den Morgen.

Dora rührte sich unter der Decke, die ihr außergewöhnlich schwer erschien. Sie drehte sich um, stieß an etwas Warmes und riss die Augen auf.

Khalil lag neben ihr, mit hellwachen Augen und lächelnden Lippen. „Guten Morgen.“

Sie schluckte schwer, als Erinnerungen an die vergangene Nacht auf sie einstürmten. Eine verlegene Röte stieg ihr ins Gesicht, und sie musste den Drang unterdrücken, sich unter der Decke zu verkriechen.

„Aha. Du erinnerst dich also daran, was letzte Nacht passiert ist. Das hatte ich gehofft.“ Seine Stimme klang sanft, und ebenso sanft legte er eine Hand auf ihre Schulter und streichelte ihren Arm. „Es hat sehr gut mit uns geklappt.“ Er schob ein nacktes Bein zwischen ihre nackten Schenkel. „So gut, dass ich nicht schlafen konnte. Ich konnte nur daran denken, mich wieder mit dir zu lieben.“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Welche Bemerkung war am Morgen danach angebracht? Vor allem, wenn die Nacht davor unerwartet eingetreten und zudem das allererste Mal darstellte?

„Danke“, murmelte er und küsste sie auf die Wange.

Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Da war sie, nackt im Bett mit einem gut aussehenden Prinzen, und er dankte ihr für ihr intimes Erlebnis. War die Welt völlig verrückt geworden? Oder suchte er nach einem Ausweg? Wollte er ihr damit mitteilen, dass es töricht von ihr wäre, Erwartungen zu hegen?

„Für mich war es auch ganz nett“, sagte sie schließlich, als ihr klar wurde, dass er auf eine Antwort wartete. Sie hätte gern etwas Distanz zwischen ihnen geschaffen, wusste aber nicht, wie sie es bewerkstelligen sollte, ohne verletzend zu wirken. Sie wäre auch gern aufgestanden, aber die Vorstellung, sich ihm nackt zu präsentieren und ihre körperlichen Mängel bei hellem Tageslicht zur Schau zu stellen, sagte ihr gar nicht zu.

„Ich hatte gehofft, du hättest unser Liebesspiel nicht nur als nett empfunden“, schalt er. „Wie wäre es mit spektakulär? Außerordentlich? Zauberhaft?“

Der Klang seiner Stimme verriet ihr, dass er sie neckte. „Ich bleibe lieber bei nett“, entgegnete sie spröde.

Seine Vergeltung ließ keine zwei Sekunden auf sich warten. Er warf sich über sie und kitzelte sie. Lachend und prustend versuchte sie, sich zu entwinden. Doch er hielt mit einer Hand ihre Arme über ihrem Kopf gefangen und küsste ihre Brüste, sodass sie erschauerte.

Er gab sie frei und setzte sich auf. „Wir passen sehr gut zusammen“, verkündete er. „Es war kein Fehler, dich zu erwählen.“

„Wovon redest du?“

Er runzelte die Stirn, so als hätte er intuitives Verständnis von ihr erwartet. „Ist das nicht offensichtlich? Wir werden heute Nachmittag getraut. Um fünf Uhr. Die Boutique, in der du deine anderen Sachen gekauft hast, wird um zwei Uhr eine Auswahl an Kleidern liefern.“

Während er sprach, stand er auf und nahm einen Bademantel, der auf einem Sessel lag. Ihre Ohren hörten, was er ihr sagte, aber die Informationen hatten für sie keinerlei Bedeutung. Er hätte ebenso gut über den Mangel an Sauerstoff auf Jupiter reden können oder über die Anzahl der einzelligen Lebewesen auf dem Meeresgrund. „Getraut?“, hakte sie verwirrt nach.

„Ja. Das habe ich gesagt.“

Fassungslos starrte sie ihn an. „Du willst mich heiraten?“

„Natürlich. Warum bist du überrascht?“

Ja, warum eigentlich? Prinzen verliebten sich jeden Tag in ihre Sekretärinnen. „Wir sind nicht in irgendeinem Film aus den Vierzigerjahren“, entgegnete sie verärgert. Sie setzte sich auf und zog die Knie an die Brust. „Ich finde das gar nicht witzig.“

„Ich auch nicht.“

Sie hatte sich nie zu hoffen gestattet, dass Khalil etwas an ihr liegen könnte. Aber er war kein herzloser Mann. Zumindest hatte er sich ihr gegenüber nie so verhalten. „Ich verstehe das nicht“, flüsterte sie. „Warum tust du mir das an?“

„Das ist doch klar. Ich habe dich vom ersten Moment an begehrt. Du bist intelligent, verlässlich, anständig und gesund. Du hast all die Qualitäten, die ich von einer Ehefrau erwarte. Bis gestern Nacht warst du Jungfrau. Ich bin Prinz Khalil Khan, und ich entehre keine Frauen.“

„Das kann nicht dein Ernst sein. Du willst mich nicht wirklich heiraten.“

„Warum nicht?“

Vermutlich gab es Tausende von Gründen. Leider fiel ihr momentan nicht ein einziger ein. Sie zuckte die Achseln. „Darum nicht.“

„Aha, das erklärt alles.“ Er kehrte zum Bett zurück, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. „Wovor hast du Angst?“

Sie forschte in seinen Augen und fragte sich, ob sie es wagen sollte, die Wahrheit zu sagen. Da ihr nichts anderes einfiel, blieb ihr kaum eine Wahl. „Davor, dass für dich alles ein Spiel ist. Wenn dem so ist, dann verstehe ich die Regeln nicht, und ich weiß, dass mir wehgetan wird. Das will ich nicht.“

Er strich ihr eine Locke hinter das Ohr und berührte ihre Wange. „Ich verstehe. Du willst mir glauben, aber du hast Angst. Was ist aus meiner wundervollen Wüstenkatze geworden?“

„Sie hat heute Morgen einen anderen Termin und konnte nicht kommen.“

Er lächelte. „Ich bete dich an. Ich weiß, dass es sehr rasch geschehen ist, aber dadurch ist es nicht weniger bedeutungsvoll. Vertraue mir. Noch wichtiger, vertraue dir selbst, süße Dora.“ Er drückte ihre Hand. „Ich will dich, in meinem Bett und in meiner Welt. Heirate mich. Komm mit mir nach El Bahar. Hilf mir bei meiner Arbeit. Hilf mir, mein Land zu verändern. Ich muss zurückkehren, aber ich weiß nicht, ob ich es ohne dich vermag.“

Sie sog seine Worte in sich auf wie der Wüstensand den Regen, blühte tief in ihrem Innern auf. Wie sehr ersehnte sie sich, ihm Glauben schenken zu können.

Abwägend musterte sie ihn. Er hatte ihr viel abverlangt und war autokratisch, aber niemals grausam. Er hatte sie nie belogen. Er war hart, aber ehrlich im Umgang mit anderen Menschen. Er besaß eine moralische Gesinnung. Er war nicht Gerald.

Dennoch fürchtete sie, dass er sie wie Gerald benutzte, um von ihr etwas zu bekommen. Andererseits hatte sie ihm nichts zu bieten. Sie war eine arbeitslose Jungfer mittleren Alters mit einigen Bürokenntnissen. Er hingegen war Khalil Khan, Prinz von El Bahar.

Ehe sie es sich versah, schloss er sie in die Arme und drückte sie hinab auf das Bett. Er griff unter die Decke und streichelte sie. „Heirate mich“, drängte er. „Komm mit mir. Schenke mir Söhne. Ich werde dich zu einer Prinzessin machen, meine süße, liebliche Dora.“

Es war ihr unmöglich klar zu denken, während er sie liebkoste. Er umkreiste ihre Brüste, reizte die Knospen. Ihr stockte der Atem vor Entzücken, und sie wurde feucht vor Vorfreude auf die Vereinigung. „Khalil“, wisperte sie.

„Ja. Begehre mich, wie ich dich begehre. Glaube an mich. Hab keine Angst. Das Schicksal bietet dir eine große Chance. Dieses eine Mal greife mit beiden Händen danach. Wenn du es nicht tust, wirst du es für den Rest deines Lebens bereuen.“

Von all seinen Bemerkungen übte die letzte die größte Wirkung auf sie aus. Denn Reue hatte sie ihr ganzes Leben lang begleitet. Sie bereute ihre unglückliche Kindheit, den Mangel an Beziehungen in ihrer Jugend, das Verhältnis mit Gerald. So viel Bedauern. Und nichts davon beruhte auf etwas, das sie getan hatte. Sie bereute nicht ihre Taten, sondern ihre Untätigkeit.

Gingen ihre Träume endlich in Erfüllung?

„Heirate mich“, drängte er erneut, während er ihren Hals küsste. „Sag ja.“

Wollte sie weiterhin mit Reue leben oder ein Risiko eingehen? Sie schloss die Augen, holte tief Luft und wisperte: „Ja.“

Khalil setzte sich auf. „Ich wusste doch, dass ich dich zur Vernunft bringen kann. Gut.“ Er sprang auf und zog sie hoch. Bevor sie sich ihrer Nacktheit bewusst und verlegen werden konnte, schob er sie sanft zum Badezimmer. „Beeil dich. Es ist noch viel zu tun vor der Hochzeit. Ich treffe dich in zwanzig Minuten im Speisesaal.“

Und damit war er verschwunden. Dora starrte ihm nach. Irgendwie war es nicht die Reaktion, die sie auf ihre Einwilligung erwartet hatte. Sie schüttelte den Kopf. Es konnte nicht wahr sein. Offensichtlich war sie in einem verrückten Traum gefangen. Wie auch immer, es konnte nichts schaden zu duschen. Wenn auch nur, um den Traum voranzutreiben und zu sehen, was als Nächstes passierte.

Die Hochzeitsgesellschaft bestand aus Dora, Khalil, einem Friedensrichter und den beiden Bodyguards, die als Trauzeugen fungierten.

Dora blickte sich in dem großen Salon der Hotelsuite um und staunte über das Wunder, das vom Management in so kurzer Zeit vollbracht worden war.

Weiße Rosen waren um einen schmalen, hölzernen Torbogen gewoben worden. Große, mit Rosen gefüllte Vasen standen auf niedrigen Tischchen, die einen Mittelgang im Raum bildeten. Ein langer weißer Teppich war vom Eingang bis zu dem Torbogen ausgebreitet worden, und sanfte Musik ertönte aus der Stereoanlage.

In Anbetracht der kurzen Zeitspanne war alles erstaunlich glatt gelaufen. Pünktlich um zwei Uhr hatte die Boutique ein halbes Dutzend Kleider zur Auswahl geliefert. Sie hatte ein schlichtes Gewand aus elfenbeinfarbener Spitze gewählt, das an die Zwanzigerjahre erinnerte. Ihr schulterlanges Haar hatte sie zu einer eleganten Frisur hochgesteckt, sodass die Perlenohrringe, die Khalil ihr beim Lunch geschenkt hatte, zu sehen waren. Sie wusste, dass sie recht gut aussah.

Unter den gegebenen Umständen lief alles bestens. Und das war ihr Problem. Die Umstände behagten ihr nicht. Mit zitternden Händen hielt sie den Brautstrauß aus exotischen Blüten. Selbst als der Friedensrichter über Krankheit und Gesundheit sprach, fühlte sie sich immer noch wie in einem Traum.

Wurde sie wirklich soeben mit Prinz Khalil Khan von El Bahar getraut? Sie schüttelte ein wenig den Kopf, um ihre Gedanken zu klären. Diese Zeremonie entsprach nicht ihren Vorstellungen von einer Hochzeit. Sie trug kein richtiges Brautkleid, keine Gäste waren geladen, keine kirchliche Trauung und kein Empfang waren geplant.

Sie blickte zu Khalil, der anziehend und zuversichtlich wirkte und aufmerksam dem Friedensrichter lauschte. Was mochte er denken? Hielt er alles für normal? Als sie am Morgen aus dem Badezimmer gekommen war, hatte sie ihn in seinem Büro bei der Arbeit angetroffen. Nach einer geistesabwesenden Begrüßung hatte er ihr einen Stoß Akten in die Hand gedrückt und sich wieder dem Computer zugewandt. Sie hatten die letzten Stunden vor ihrer Hochzeit mit geschäftlichen Problemen verbracht. So als hätte sich zwischen ihnen nichts geändert.

„Dora?“

Sie erkannte, dass sowohl Khalil wie auch der Friedensrichter sie eindringlich anblickten. „Was?“

Khalil lächelte. „Ich glaube, die erwartete Antwort lautet eher: Ja, ich will.“

Ich will was? fragte sie sich. Dann begriff sie. „Oh. Sicher.“ Sie hüstelte. „Ich meine, ich will.“

„Den Ring bitte“, sagte der Friedensrichter.

Khalil nahm einen Diamantring aus seiner Tasche. Dora starrte zuerst das glitzernde Schmuckstück und dann ihn an.

„Angemessen für eine Prinzessin“, murmelte er und steckte ihn ihr an den Finger.

Sie öffnete den Mund, um zu protestieren. Der Schmuck war zu außergewöhnlich, zu schön, zu teuer. Dann fiel ihr ein, dass sie nicht nur in eine königliche, sondern auch eine der reichsten Familien der Welt einheiratete. Für Khalil war der Erwerb dieses Juwels vermutlich nicht bedeutungsvoller als der Kauf einer Strumpfhose für sie.

Der Friedensrichter sprach erneut, aber sie hörte nicht zu. Sie war gefesselt von dem breiten Goldreif an ihrer Hand, der ringsum von Diamanten besetzt war. Jeder einzelne Stein hatte mindestens zwei Karat. Sie selbst hätte sich dieses Stück nicht ausgesucht, aber es war wundervoll und passte, als wäre es für ihre Hand erschaffen worden.

„Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Dora blickte auf, als Khalil sich zu ihr beugte und die Lippen auf ihre presste. Der Kuss war süß und viel zu kurz. Dann drückte er ihre Hand und fragte: „Fühlst du dich anders?“

„Weil ich verheiratet bin?“

„Das natürlich auch. Aber ich meinte, wie du dich fühlst, eine Prinzessin zu sein.“

Prinzessin Dora Khan von El Bahar, dachte sie und musste einen hysterischen Lachanfall unterdrücken. „Ich glaube, es ist noch nicht eingesickert.“

„Herzlichen Glückwunsch, Eure Hoheit“, sagte einer der Bodyguards, während er ihr die Hand schüttelte.

Dora lächelte automatisch. Sie fühlte sich benommen. Sie, eine Prinzessin? Sie war nichts weiter als eine kleine Sekretärin aus Los Angeles, die in eine verrückte Situation geraten war. Sie musste verschwinden, bevor sie etwas Törichtes sagte oder tat – wie zu glauben, dass es Wirklichkeit war.

Ehe sie es sich versah, waren der Friedensrichter und die Bodyguards verschwunden. Sie war allein im Raum mit ihrem frisch gebackenen Ehemann und beobachtete, wie er zwei Gläser Champagner einschenkte.

Wer ist dieser Fremde? fragte sie sich, während sie sich in eine Ecke des Sofas setzte. Ihre Nervosität wuchs, und als er ihr ein Glas reichte, zitterte ihre Hand so heftig, dass sie sich die perlende Flüssigkeit beinahe über das Kleid goss. Bevor es geschehen konnte, nahm sie hastig einen Schluck. Sie befand, dass es außerordentlich gut schmeckte und leerte das Glas.

Wortlos schenkte Khalil ihr nach. Er stellte den Eiskübel auf den Tisch und setzte sich neben sie. „Geht es dir gut?“ Seine Stimme klang freundlich und gelassen.

„Macht es dich nicht verrückt?“, platzte sie hervor.

Er nahm einen Schluck. „Was? Die Hochzeit? Ich finde, es ist alles glatt gelaufen.“

„Oh, ja, sicher.“ Sie rieb sich die Schläfen. Ihr Magen prickelte. Vielleicht lag es daran, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Oder hing es mit dem Champagner zusammen? Um es herauszufinden, trank sie noch ein wenig. Außerdem war sie durstig. „Vielleicht sollte ich etwas essen“, murmelte sie.

„Natürlich. Wir können dinieren, wann immer du willst.“

„Großartig.“ Doch ihr war nicht danach zumute aufzustehen. „In ein paar Minuten.“ Sie musterte sein Gesicht. Sein Profil war scharf geschnitten, wie das einer Statue aus Granit. Er wirkte dunkel und gefährlich, wie die Wüste bei Nacht. Nicht, dass sie die Wüste kannte, weder bei Nacht noch bei Tag.

Sanft berührte er ihre Hand. „Ich weiß, dass es ungewohnt ist. Wir brauchen etwas Zeit, um uns besser kennen zu lernen. Warum reden wir nicht über unsere Vergangenheit? Danach essen wir, und dann lieben wir uns bis zum Morgengrauen.“

Uns lieben, dachte sie benommen, das wäre schön. Vielleicht konnten sie alles andere weglassen und gleich zur Sache kommen. Sie wollte es wieder und immer wieder tun und alles darüber lernen. Sie wollte ihn nackt sehen. Die kleine Plauderei über die Vergangenheit wäre bestimmt erfreulicher, wenn er sich vorher auszöge.

„Hast du Geschwister?“

Seine Frage durchdrang ihre Phantasien und verwirrte sie. Dann fiel ihr ein, dass sie sich besser kennen lernen wollten. Ein vernünftiger Plan. Sie trank das Glas aus und wollte es auf den Tisch stellen, doch Khalil füllte es erneut. Sie spielte mit dem Gedanken abzulehnen, da ihr bereits etwas schwindelte, hielt es aber für unhöflich. Schließlich war es auch seine Hochzeit. Was hatte er doch gleich gefragt?

„Nein, ich bin ein Einzelkind.“ Sie lehnte sich zurück an das Sofa. „Meine Mom hat es mir nie gesagt, aber ich glaube, ich war ein Unfall. Sie und Dad haben etwa zwei Monate vor meiner Geburt geheiratet. Danach war er nicht oft da. Sie haben sich scheiden lassen, als ich sieben war.“

„Aha. Ich bin der Jüngste. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, Einzelkind zu sein.“

„Es ist einsam“, erwiderte sie unverhohlen. „Für mich war es das jedenfalls. Meine Mom musste viel arbeiten, um uns zu ernähren. Außerdem war ich nicht besonders beliebt in der Schule.“ Sie lehnte den Kopf zurück und blickte ihn an. „Ich war zu klug und nicht attraktiv genug. Außerdem war ich schüchtern und wusste nie, was ich zu jemandem sagen sollte. Es war einfacher, sich in der Bibliothek zu verkriechen und zu lesen.“

Sie nahm noch einen Schluck. Das Prickeln im Magen breitete sich im gesamten Körper aus, und ihr Kopf wurde schwer, aber es war ein angenehmes Gefühl. So als wäre sie geschützt vor allem, was beängstigend wirkte.

„Wann hast du aufgehört, einsam zu sein?“, hakte er nach.

Sie drehte sich zu ihm um. „Gestern, glaube ich. Ich kann mich nicht erinnern.“ Sein Gesicht wirkte verschwommen. Sie schloss die Augen und fuhr verträumt fort: „Im College war es zuerst ganz nett. Ich hatte ein Stipendium. Es hat mir gefallen, weil es dort als positiv angesehen wurde, klug zu sein und viel zu lernen. Aber das Leben auf dem Campus hat mehr gekostet als erwartet. Meine Mom hatte kein Geld übrig, und ich musste mir etwas dazuverdienen.“ Sie öffnete die Augen. „Ich nehme an, das war nie ein Problem für dich?“

„Nein.“

„Das muss schön sein.“

„Wir hatten dafür andere Probleme.“

„Die hat wohl jeder. Jedenfalls habe ich Privatunterricht gegeben. Vor allem Sportlern, weil sie am besten bezahlten. Aber sie waren nur daran interessiert, irgendwie durchzukommen. Sie wollten nicht lernen. Ist das nicht schrecklich?“

Sie blinzelte. Ihre Lider waren ungewöhnlich schwer. „Eines Tages waren meine Studienunterlagen verschwunden. Ich stellte die Jungs zur Rede, aber sie wollten nicht zugeben, dass sie die Papiere gestohlen hatten. Ich weigerte mich, sie weiter zu unterrichten. Etwa drei Wochen später wurden sie beim Schummeln erwischt und sollten vom College verwiesen werden. Sie behaupteten, sie hätten ein System benutzt, das ich entworfen und ihnen verkauft hätte.“

Die Worte blieben ihr beinahe im Halse stecken. Es war so lange her, dass sie geglaubt hatte, es überwunden zu haben. Doch es schmerzte immer noch. „Sechs von ihnen erzählten dieselbe Geschichte. Niemand glaubte mir. Daher wurde ich zusammen mit ihnen vom College verwiesen. Ich ging nach Hause, nahm einen Job an, besuchte die Abendschule und machte schließlich meinen Abschluss. Aber das ist wahrscheinlich nicht das, was du wissen wolltest.“

„Ich will alles wissen, was du mir sagen willst.“

Sie versuchte zu lächeln, doch es misslang. „Das glaube ich nicht. Ich bezweifle, dass irgendetwas an meinem Leben interessant für dich ist.“

„Das ist nicht wahr.“ Er berührte ihre Wange, und es fühlte sich wundervoll an. „Warum bist du nicht wieder auf ein College gegangen?“

„Ich hatte Angst. Ich wollte das nicht noch einmal durchmachen. Ich habe mich nie so einsam gefühlt wie damals – außer als Gerald mich auf dem Flughafen sitzen gelassen hat.“

Khalil nahm ihr das Glas aus der Hand und murmelte: „Du, meine Wüstenrose, erzählst eine sehr traurige Geschichte. Aber all das wird sich ändern.“

„Versprichst du es?“

„Ja.“ Er rückte näher zu ihr und schloss sie in die Arme. „Nichts wird dir je wieder wehtun.“

„Nicht mal du?“

„Am allerwenigsten ich.“

Dann küsste er sie. Ein Gefühl der Lethargie überkam sie, und die Augen fielen ihr zu.

6. KAPITEL

Ein rothaariges Model schritt in einem dunkelbraunen säulenförmigen Seidenkleid durch den Vorführraum. Dora versuchte, den überschlanken Körper der Achtzehnjährigen zu ignorieren, und musterte das Gewand. Die Farbe sagte ihr durchaus zu, aber der Schnitt kam für sie überhaupt nicht in Frage.

Unbehaglich rutschte sie auf dem güldenen Stuhl in dem exklusiven Salon umher, in den Khalil sie geführt hatte. Er wollte ihr eine neue Garderobe kaufen, bevor sie am Nachmittag nach El Bahar flogen.

Sie wollte sich einreden, dass sie froh sein sollte über seine Großzügigkeit, dass er freundlich und aufmerksam war. Doch es gelang ihr nicht ganz, da sie an diesem Morgen allein im Bett aufgewacht war und er sich allen Anzeichen nach nicht zu ihr gesellt hatte.

Vermutlich musste sie die Schuld bei sich selbst suchen. Sie presste die Finger an die Schläfen. Ihr Kopf pochte immer noch und ermahnte sie, dass Alkohol auf leeren Magen nicht unbedingt zu empfehlen war.

Irgendwann musste sie eingeschlafen und von Khalil ins Bett gebracht worden sein. Natürlich wollte sie nicht, dass ihr Mann mit ihr schlief, während sie bewusstlos war. Technisch gesehen war nichts falsch. Dennoch konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass auch nicht alles in Ordnung war. Schließlich hatte sie ihre Hochzeitsnacht allein verbracht.

Babette, die Besitzerin des Modesalons, befingerte die zarte Seide des Kleides. „Der Stoff ist außerordentlich, und die Farbe würde Madam fabelhaft stehen.“

Sicher, dachte Dora düster, würde es nicht verblüffend aussehen, wenn sich der Stoff über ihren Hüften spannte? Doch sie sagte nichts. Das exklusive Geschäft erweckte in ihr das Gefühl, fehl am Platze und unzulänglich zu sein. Alle Verkäuferinnen sahen wie Models aus. Auch Babette war zierlich gebaut und elegant gekleidet. Neben ihr fühlte Dora sich selbst in ihrem neuen blauen Lieblingskleid altbacken und dick.

Babette musterte sie nachdenklich. „Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der Schnitt Madam schmeicheln würde.“

Welche Einsicht, dachte Dora sarkastisch. Dann seufzte sie und rief sich in Erinnerung, dass ihre negative Einstellung eher auf Angst beruhte als auf Kränkung. Sie gehörte nicht hierher. Sie gehörte auch nicht mehr nach Los Angeles. Sie war heimatlos und verwirrt und hatte kürzlich einen Prinzen geheiratet.

Khalil hatte sich in der Nähe des Eingangs postiert und telefonierte per Handy. Nun trat er zu Dora. Sein Blick glitt über das Model, das vor ihm eine Pirouette drehte und ihm einen koketten Blick zuwarf. Er wandte sich an Babette. „Das Mädchen sieht aus, als hätte es einen Monat lang nichts gegessen. Bezahlen Sie Ihre Models nicht anständig?“

Ihr perfekt geschminktes Gesicht erblasste. „Eure Hoheit, ich versichere Ihnen …“

Er winkte ab. „Meine Frau hat eine wundervolle frauliche Figur, und sie ist eine Prinzessin. Ich rate Ihnen, das zu berücksichtigen.“ Er beugte sich zu Dora und küsste sie auf die Wange. „Ich habe noch einige Telefonate zu führen. Kommst du zurecht?“

„Ja, sicher.“

„Gut. Rufe mich, falls es Probleme gib.“ Damit kehrte er zu dem Tresen beim Eingang zurück und griff nach seinem Handy.

Babette schenkte Dora einen anerkennenden Blick. „Er muss Sie sehr lieben, Eure Hoheit. Sie können sich glücklich schätzen.“

Dora lächelte strahlend, doch insgeheim zweifelte sie daran.

Drei Stunden später wollte sie nur noch ins Bett fallen und eine Woche lang schlafen. Sie hatte nicht geahnt, dass die Anprobe von Kleidern so ermüdend sein konnte. Sie konnte nicht mehr zählen, wie viele Outfits sie bereits ausgewählt hatte.

Endlich hatte die Schneiderin das letzte Kleid abgesteckt. Dora nutzte die Gelegenheit und schlüpfte aus der Umkleidekabine, um nach Khalil zu sehen. Was mochte er die ganze Zeit getrieben haben?

Sie ging zum Eingangsbereich und sah ihn mit einer jungen Frau mit hüftlangen dunklen Haaren sprechen. Zuerst glaubte sie, dass es sich um eine Verkäuferin handelte. Doch dann erkannte sie, dass es sich keineswegs um ein sachliches Gespräch handelte. Sie konnte die Worte nicht verstehen, aber die Körpersprache der beiden verriet heftigen Zorn.

Khalil legte der Frau die Hände auf die Schultern und schob sie entschieden von sich. Sie schüttelte heftig den Kopf und redete auf ihn ein. Dann plötzlich erstarrte sie und wirbelte herum. Sie war atemberaubend schön. Nur der hasserfüllte Blick ihrer großen, ausdrucksvollen Augen beeinträchtigte ihre makellosen Züge.

Khalil nahm die Frau am Arm und führte sie aus der Boutique. Instinktiv wollte Dora ihm folgen und ihn zur Rede stellen, doch Babette trat zu ihr und verkündete: „Madam, Sie müssen noch die restlichen Schuhe anprobieren.“

Dora gab sich wohl oder übel geschlagen. Doch sobald sie in der Limousine saßen und zum Hotel zurückfuhren, fragte sie: „Khalil, wer war diese hübsche Frau, mit der du so eindringlich gesprochen hast?“

Die hübsche Frau, dachte er mit einem Anflug von Belustigung. Amber hätte höchst beleidigt auf die unzulängliche Bezeichnung reagiert. Sie war nicht nur hübsch, sie war eine Göttin – und eine Schlange. „Sie ist unwichtig“, entgegnete er lächelnd. „Eine Freundin der Familie. Ihr Vater arbeitet in der Regierung. Ich habe ihr von unserer Hochzeit erzählt.“

„Sie schien nicht sehr glücklich darüber zu sein.“

„Sie war nur überrascht“, behauptete er leichthin. Denn seine Frau brauchte nicht zu erfahren, dass Amber ihr am liebsten die Augen ausgekratzt hätte und ihn mit derben Schimpfwörtern überhäuft hatte.

Seine Frau. Er musterte die stille Fremde, die er geheiratet hatte. Sie mochte nicht so reizvoll sein wie Amber, aber in jeder anderen Hinsicht war sie ihr überlegen. Hätte er irgendwelche Bedenken gehegt, wären sie durch die zufällige – oder vielleicht gar nicht so zufällige – Begegnung mit seiner Exverlobten restlos ausgeräumt worden.

Dora würde die Pflichten ihrer neuen Position sehr schnell erlernen und niemals einen Skandal verursachen. Sie war loyal und liebevoll, und wenn er Glück hatte, wurde sie mit der Zeit auch fügsamer.

Er nahm ihre Hand. „Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich dich geheiratet habe.“

Sie schenkte ihm ein zittriges Lächeln. „Das freut mich.“

Er drückte ihre Hand und ließ sie los. Ja, er konnte sich glücklich schätzen, dass er einen Ausweg aus dem Dilemma und zugleich einen angemessenen Ersatz gefunden hatte. Alles in allem war seine Geschäftsreise sehr erfolgreich verlaufen.

Dora starrte aus dem Fenster von Khalils Privatjet, aber das Gelände tief unten war ihr ebenso fremd wie die Mondoberfläche. Im Gegensatz zu ihrem Schulatlas war es nicht in farbige Felder aufgeteilt, und sie wusste nicht, wo ein Land endete und das andere begann. Hatten sie bereits die Grenze von El Bahar überflogen?

Die Reise war viel zu lang, dachte sie und versuchte, einen Anfall von Panik zu unterdrücken. Ihr war zu viel Zeit zum Nachdenken geblieben – vor allem, da Khalil sich auf seinem bequemen Sitz ausgestreckt hatte und eingeschlafen war. Nun stand die Landung kurz bevor, und sie wollte ihm unbedingt sagen, dass sie es sich anders überlegt hatte.

Sie warf ihm einen Blick zu und sah ihn in einen Bericht über Müllverbrennung vertieft. Er hatte während des elfstündigen Fluges überwiegend geschlafen, war dann rechtzeitig zum Frühstück aufgewacht und hatte sich rasiert und ein frisches Hemd angezogen. Sie musterte ihr zerknittertes Kleid und bereute, dass sie nicht daran gedacht hatte, sich ebenfalls etwas zum Umziehen mit in die Kabine zu nehmen.

Was will ich eigentlich hier? schoss es ihr durch den Kopf. In Panik griff sie zu dem Funktelefon in ihrer Armlehne. Dann hielt sie inne. Wen sollte sie anrufen? Ihren Vater hatte sie seit zwanzig Jahren nicht gesehen, und ihre Mutter war seit fünf Jahren tot. Sie hatte keine anderen Verwandten und keine engen Freunde, denen sie sich hätte anvertrauen können. Was hätte sie außerdem sagen sollen? Dass sie zwei Tage nach ihrer Hochzeit Bedenken hegte und es sie beängstigte, ihre Heimat zu verlassen?

Seufzend ließ sie die Hand sinken. Sie musste die nächsten Tage überstehen, ohne überstürzt zu handeln. Mit der Zeit fühlte sie sich bestimmt nicht mehr so verloren.

Erneut blickte sie zu Khalil und stellte fest, dass er immer noch dieselbe Seite las. War er ebenso verwirrt wie sie? Hegte er ebenfalls Bedenken? Sie wollte ihn fragen, doch sie fürchtete die Antwort. Was sollte sie tun, wenn er bejahte?

Hätte sie in ihrer Hochzeitsnacht nur weniger getrunken! Hätten sie vor der Abreise doch nur noch eine Nacht in New York verbracht und Zeit gehabt, sich zu unterhalten und zu lieben! Dann hätte sie sich gewiss besser gefühlt. Doch stattdessen hatten sie sein Flugzeug bestiegen und wurden von zwei eifrigen Stewards betreut, die ihnen keinen Augenblick der Privatsphäre ließen.

Druck entstand in ihren Ohren, und sie schluckte instinktiv. Der Sinkflug hatte begonnen. Sie blickte aus dem Fenster und sah, dass sie die weite Wüste hinter sich gelassen hatten. Unter ihnen lag eine große Stadt mit breiten Straßen und Hunderten von Gebäuden, darunter auch moderne Hochhäuser. Jenseits der Stadt sah sie glitzerndes Blau.

Das Arabische Meer, dachte sie verwundert. War sie wirklich um die halbe Welt gereist?

„Da ist der Palast“, sagte Khalil und deutete aus dem Fenster. „An der Küste. Man sieht auch die alte Stadtmauer.“

Direkt am Meer erstreckte sich ein riesiges weißes Gebäude. Dahinter bildete gepflegter Grund ein Flickwerk aus Farben. Die erwähnte Mauer umschloss einen Großteil der Stadt, allerdings nicht die Hochhäuser, die ihr zuvor aufgefallen waren.

Vorfreude verdrängte die Panik. Aus der Luft sah El Bahar exotisch, aber dennoch einladend aus.

Der Jet landete sanft und rollte zu einem kleinen Gebäude am entfernten Ende des Rollfelds. Als Dora ausstieg, fiel ihr ein wesentlich größerer Terminal auf.

„Der ist für den kommerziellen Flugverkehr“, erklärte Khalil. „Dort befinden sich auch Einwanderungsbehörde und Zoll. Auf der anderen Seite befindet sich ein großer Bereich für Speditionen. Sie haben sogar ihre eigenen Startbahnen. Wie du siehst, ist El Bahar bereit für das neue Millennium.“

„Sehr eindrucksvoll.“ Sie stieg die schmale Treppe hinab und atmete tief die Luft von El Bahar ein, die angenehm kühl war. Der Duft einer fremdartigen Blume stieg ihr in die Nase, doch sie sah keine Pflanzen. Der Himmel war von einem erstaunlichen Blau und wirkte ungewöhnlich hoch. Sie sagte sich, dass es derselbe Himmel war, den sie ihr Leben lang kannte, aber er wirkte dennoch anders.

Khalil führte sie zu einer weißen Limousine mit zwei kleinen Flaggen auf der Motorhaube. Das goldene königliche Emblem flatterte in der Brise. Ein uniformierter Chauffeur hielt die Fondtür auf, doch bevor sie einsteigen konnte, legte Khalil ihr eine Hand auf den Arm und hielt sie zurück.

„Dora, das ist Roger, unser bevorzugter Fahrer. Er ist schon bei meiner Familie, solange ich denken kann.“

Roger, ein hellhäutiger Mann in den Fünfzigern, berührte seine Mütze. „Danke, Prinz Khalil, aber ich muss mich gegen den Ausdruck solange ich denken kann verwahren. Die junge Dame muss glauben, dass ich uralt bin“, bemerkte der Engländer lächelnd.

„Uralt vielleicht nicht“, räumte Khalil ein. „Wie wäre es mit so alt wie die Zeit?“

„Nun gut, Eure Hoheit. Wenn es sein muss.“ Roger zwinkerte Dora zu, und sie lächelte ihn an.

Flüchtig legte Khalil ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich bin froh, dass Sie uns abholen. Jetzt macht Dora sich nicht mehr so große Sorgen über ihren Aufenthalt in El Bahar.“

Überrascht blickte sie ihn an. „Woher wusstest du, was ich gedacht habe?“

„Ich bin dein Ehemann. Wieso sollte ich es nicht wissen?“

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Ihrer Meinung nach kannte er sie kaum. Oder hatte sie ihn falsch eingeschätzt? War er wirklich schon seit ihrer ersten Begegnung an ihr interessiert? Die Vorstellung rief ein angenehmes Gefühl hervor.

„Ihre Frau?“, hakte Roger verblüfft nach. „Sir, ich hatte ja keine Ahnung.“ Er nahm seine Mütze ab und verbeugte sich tief vor Dora.

Die Unterwürfigkeit verblüffte sie derart, dass sie hilflos zu Khalil blickte, der jedoch völlig ungerührt wirkte. Schließlich war er ja auch von Geburt an ein Prinz und an derartig untertänige Gesten gewöhnt.

„Eure Hoheit, ich wollte nicht unhöflich sein“, erklärte Roger. „Wenn ich gewusst hätte …“

„Ich hoffe, dann hätten Sie mich genauso freundlich begrüßt“, unterbrach Dora ihn sanft. „Der Prinz hat recht. Ich bin zum ersten Mal in El Bahar und etwas nervös. Sie haben mich großartig empfangen.“

„Danke.“ Roger verbeugte sich erleichtert und deutete zum Wagen. „Wenn Eure Hoheit bereit sind.“

Als Dora auf den Rücksitz glitt, hörte sie Roger leise sagen: „Eine gute Wahl, Sir. Sie ist eine beachtliche Lady.“

Die Bemerkung half ihr, sich ein wenig zu entspannen. Wenn die königliche Familie nur halb so nett war wie Roger, wurde vielleicht doch alles gut.

Sobald das Gepäck im Kofferraum verstaut war, setzte Roger sich an das Steuer und fuhr los. Wenige Minuten später hatten sie den Flughafen hinter sich gelassen.

Interessiert blickte Dora aus dem Fenster auf ihre neue Heimat. Sie fuhren in südlicher Richtung auf die Küstenstraße und dann nach Osten zur Stadt. Die Straßen waren breit und in gutem Zustand. Erneut erregte der Himmel ihre Aufmerksamkeit, und sie sehnte sich danach, das Fenster zu öffnen und die frische Luft zu riechen. „Darf ich?“, fragte sie und deutete zum Bedienknopf.

„Bitte.“ Khalil lehnte sich zurück. „Du sollst dich wohl fühlen.“

Sie hätte sich wohler gefühlt, wenn er ihre Hand gehalten hätte, doch sie traute sich nicht, ihm das zu sagen. Obwohl sie verheiratet waren, fühlte sie sich nicht berechtigt, die Privilegien einer Ehefrau zu fordern.

Sie drückte den Knopf, und das Fenster senkte sich lautlos. Eine kühle Brise ließ ihre Haare flattern. Sie spürte die Wärme der Sonne im Gesicht, roch das Salz vom Meer und erneut diesen seltsamen, lieblichen Duft. Am Straßenrand stand eine Reihe Palmen. „Dattelpalmen?“

„Ja. Vor nicht sehr langer Zeit haben Datteln ein Hauptnahrungsmittel im Sommer dargestellt. Jetzt werden sie überwiegend exportiert, obwohl sie immer noch auf den Speisezettel gehören. Sieh mal.“ Er deutete zur Linken.

Sie drehte sich um und sah einen Mann in Nomadenkleidern mit zwei beladenen Kamelen.

„Er ist unterwegs zum souk – dem Marktplatz. Einer der größten und ältesten der Stadt befindet sich beim Palast. Ich werde ihn dir bei Gelegenheit zeigen.“

Trotz ihrer Nervosität verspürte Dora einen Anflug von Vorfreude bei dem Gedanken an all die exotischen Abenteuer, die sie erwarteten.

Als sie durch das Büroviertel fuhren, verrenkte sie sich den Hals nach der Spitze der gläsernen Hochhäuser. Mehrere Firmennamen auf den Schildern waren ihr geläufig.

„Jamal, der Mittlere von uns Brüdern, ist für die Finanzen zuständig“, erklärte Khalil. „Während mein Vater den Drang hatte, El Bahar zum finanziellen Zentrum der arabischen Welt zu machen, hat Jamal es bewerkstelligt, große Banken und Firmen hierher zu bringen. Dennoch sind wir nicht so reich wie Bahania.“

„Wer?“

„Bahania – unser Nachbar im Nordosten. Mein Vater sagt immer, dass er mit seinen drei Söhnen viel geringere Probleme hat als der König von Bahania, der vier Söhne und eine Tochter hat. Die beiden sind gute Freunde. Meine Brüder und ich dachten schon, dass es zu arrangierten Ehen kommen würde, aber meine Großmutter stammt aus Bahania, und daher war Inzucht zu befürchten.“

„Dein Vater arrangiert Ehen für seine Söhne?“

„Natürlich. Wir sind eine königliche Familie.“

„Aber du führst keine arrangierte Ehe.“ Entsetzen stieg in ihr auf. „Oder doch? Du hast andere Frauen.“ Ihr Magen verkrampfte sich. War El Bahar nicht moslemisch? Waren Männern nicht vier Frauen gestattet?

Khalil lachte. „Du siehst so erschrocken aus wie eine Maus, die von einem Habicht gefressen werden soll. Ich habe keine andere Frau als dich, Dora. In El Bahar herrscht Religionsfreiheit, aber ein Mann darf sich nur eine Frau nehmen. Mein Vater behauptet, dass für einige Männer schon eine Frau zu viel ist.“

Sie befeuchtete sich die ausgedörrten Lippen. „Bist du sicher?“

„Ziemlich. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht und bin mit den Sitten vertraut. Jetzt hör auf, dich zu sorgen, und sieh dich um. Wir erreichen gleich den Palast.“

Nun erst bemerkte sie, dass sie von der Schnellstraße in eine von Geschäften gesäumte Seitenstraße abgebogen waren. In einem großen Hof spielten Kinder Fußball. Als sie die Limousine erblickten, rannten sie sofort herbei und winkten. Khalil öffnete sein Fenster und winkte zurück.

Ein kleines Mädchen pflückte eine Blume und warf sie auf das langsam fahrende Gefährt. „Prinz Khalil! Prinz Khalil! Willkommen zu Hause!“

Dora fühlte sich wie in einem alten Spielfilm. „Sie sprechen ja Englisch“, bemerkte sie verwundert.

„Die meisten Leute hier. Englisch ist Pflichtfach in allen Schulen und wird bei geschäftlichen Transaktionen gesprochen. El Bahar bereitet sich auf eine wichtige Rolle in diesem Jahrhundert vor.“

„Ich verstehe.“

„Da vorn ist der Eingang zum Palast“, erklärte Khalil, als die Limousine in eine lange Allee einbog.

Sie fuhren durch ein großes Tor. Etwa ein Dutzend bewaffneter Posten in Uniform stand Wache. Innerhalb der Mauern schlängelte sich die Auffahrt zwischen üppigen Gärten hindurch. Zwischen dem dichten Laubwerk erblickte Dora Gebäude, Teiche, Tennisplätze und eine Armee von Gärtnern.

„Die Palastanlage steht der Öffentlichkeit zweimal in der Woche offen. Es gibt einen kleinen Zoo und zahlreiche Spazierwege. Für Einwohner ist der Besuch kostenlos, während Touristen eine kleine Gebühr zahlen.“

Der liebliche Duft wurde stärker. Dora sog ihn tief in sich auf. Dann stockte ihr der Atem, als sie die letzte Kurve nahmen und vor einem riesigen Gebäude anhielten.

Das Bauwerk schien sich meilenweit zu erstrecken. Es war mindestens drei Stockwerke hoch und besaß ein wundervolles Kacheldach, das in der Sonne glänzte. Balkone mit schwarzen, schmiedeeisernen Geländern bildeten einen starken Kontrast zu den strahlend weißen Mauern.

Ein gewaltiger Torbogen führte in den Palast. Ein kreisförmiger Bereich vor dem Gebäude war mit kobaltblauen Mosaiksteinen versehen, die den Ozean mit Fischen und Booten darstellten. Es war ein hervorragendes Werk, das sehr anheimelnd wirkte.

„Willkommen, Prinzessin Dora“, wünschte Roger, als er ihr aus der Limousine half. „Sind Sie bereit für den großen Empfang?“

„Ich hoffe es.“ Sie wandte sich an Khalil. „Weiß deine Familie von mir?“

„Mein Vater schon. Er war entzückt.“ Es war eine kleine, aber nötige Lüge. Auch wenn Khalil sie nicht besonders gut kannte, spürte er ihre Nervosität, die durchaus verständlich war. Schließlich lernte man nicht jeden Tag seine Schwiegerleute kennen. Noch aufregender war es, in eine königliche Familie einzuheiraten, die eine andere Wahl getroffen hätte.

Er dachte zurück an das Telefonat mit seinem Vater am Vortag. König Givon Khan hatte vor Zorn gebrüllt und sich geweigert, irgendwelche Argumente anzuhören. Es war sehr zu bezweifeln, dass er sich inzwischen beruhigt hatte.

Die gesamte Familie hatte sich zur Begrüßung versammelt. Khalils Brüder Malik und Jamal lehnten an den großen Säulen vor der Doppeltür, die in den Palast führte. Seine Großmutter wartete am Fuße der Stufen. Ihr schlanker, beinahe zerbrechlicher Körper verlieh ihr den Eindruck von Schwäche, aber Fatima Khan konnte sie alle immer noch überlisten.

Sein Vater Givon Khan war beinahe sechzig, aber er sah so stark und ungebeugt wie ein zwanzig Jahre jüngerer Mann aus. Trotz seiner Vorliebe für moderne, westliche Kleidung war er oftmals ein altmodischer König. Er regierte El Bahar mit Weisheit und Geduld – einer Geduld, die er seinen Söhnen gegenüber selten bewies. Enttäuschung und Zorn spiegelten sich in seinen Augen, die von Unheil kündeten.

Niemand sprach. Fatima starrte den König finster an, was bedeutete, dass es bereits zu einem Streit zwischen ihnen gekommen war.

Khalil und Dora blieben vor der Gruppe stehen. Er legte ihr eine Hand auf die zitternde Schulter und drückte sie ermutigend. „Vater, ich möchte dir Prinzessin Dora Khan vorstellen. Dora, das ist mein Vater, König Givon von El Bahar.“

Sie überraschte ihn, indem sie vortrat und einen sehr anmutigen Hofknicks vollführte. „Eure Majestät, vielen Dank, dass Sie mich in Ihrem wundervollen Land willkommen heißen.“

Givon starrte sie an, nickte flüchtig und wandte sich an seinen Sohn. „Khalil, ich war in der Vergangenheit oft zornig auf dich, ich war enttäuscht, aber zum ersten Male wünschte ich nun, du wärest nicht mein Sohn.“

Dora drehte sich um und blickte Khalil erschrocken und verletzt an. Er hätte sie gern beruhigt, aber es war nicht der geeignete Augenblick. Er hätte die Situation gern geklärt und seinem Vater die Wahrheit über Amber erzählt, aber auch das musste warten.

Beschützend zog er Dora an sich. „Du kannst zu mir sagen, was du willst, Vater, aber du wirst meine Frau mit dem Respekt behandeln, den sie verdient. Ich möchte darum bitten, dass du sie als deine neue Tochter willkommen heißt.“

Junge Augen starrten in alte. Die Atmosphäre knisterte vor Spannung. Nie zuvor hatte Khalil einen derartigen Willenskampf gewonnen, aber ihm war auch nie zuvor etwas so wichtig gewesen. Er wartete. Dora erzitterte.

Der König trat drei Schritte vor, bis er vor ihr stand. Dann legte er ihr die Hände auf die Schultern, beugte sich zu ihr und küsste sie auf beide Wangen. „Willkommen, Tochter, im Haus deiner neuen Familie. Mögest du gesegnet sein mit einem langen Leben, zahlreichen Söhnen und Frieden im Alter.“

Dora lächelte. „Nicht mit Liebe?“

Der König wirkte so erstaunt, wie Khalil sich fühlte. Er hatte nicht erwartet, dass sie den Mund öffnete. „Ich fürchte, dein Ehemann wird nicht lange genug bei dir sein, als dass die Liebe fortdauern könnte.“

„Wenn Sie so zornig sind, dass Sie ihn töten werden, kann ich nicht viel Hoffnung auf die Söhne hegen, die Sie mir versprochen haben.“

Die Mundwinkel des Königs hoben sich. „Vielleicht verabreiche ich ihm nur eine Tracht Prügel.“

Sie beugte sich zu ihm und flüsterte in vertraulichem Ton: „Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen.“

Givon lachte laut auf und zog Dora in die Arme. „Ich beginne zu ahnen, warum mein Sohn der Tradition den Rücken gekehrt und dich geheiratet hat. Also gut, ich werde meinen Zorn vorläufig vergessen. Komm, Prinzessin Dora, und sieh dir dein neues Zuhause an.“

7. KAPITEL

Eine junge dunkelhaarige Zofe führte Dora über einen langen Korridor in eine überwältigende Suite. Der Salon war riesig und sehr hoch. Gobelins mit orientalischen Mustern zierten die Wände. Möbel im westlichen Stil bemühten sich, den Raum zu füllen, doch es blieb genug Platz für eine Ballettvorführung. Das Atemberaubendste war jedoch die Fensterwand, die auf einen Balkon führte und über das Arabische Meer blickte.

Dora öffnete die Schiebetür und trat hinaus. Meeresluft umgab sie. Der liebliche Duft wirkte entspannend. Kleine Tische und Stühle standen auf dem langen Balkon, der zu allen Räumen auf dieser Etage gehörte.

Sie fühlte sich von dem Gefühl überwältigt, eine sehr fremdartige Welt betreten zu haben. Obwohl sie einen guten Eindruck auf den König gemacht zu haben schien, hatte er sie schnell wieder loswerden wollen – vermutlich, um seinen ungehorsamen Sohn ins Gebet nehmen zu können. Höchstwahrscheinlich hatte die Familie andere Pläne für Khalil gehegt.

„O Khalil, was hast du getan?“, murmelte sie vor sich hin und schlug die Hände vor das Gesicht. Warum hatte sie die Situation nicht durchdacht? Er war kein gewöhnlicher Mann, der sich seine Braut aussuchen konnte. Eheschließungen von Königskindern erforderten sicherlich die Zustimmung der Regierung. Oder war das nur in England so? Sie blickte hinab auf den schweren Diamantring an ihrer Hand. War ihre Ehe in diesem Land überhaupt gültig?

„Eure Hoheit?“

Sie drehte sich um und sah die Zofe in der Tür stehen. „Ja?“

Die Frau war Anfang zwanzig und sehr hübsch mit ihren großen dunklen Augen und glänzenden, zu einem Knoten verschlungenen Haaren. Sie trug ein graues Kleid und flache Schuhe. „Ihre Koffer sind angekommen. Ich möchte gern Ihre Erlaubnis, Ihre Sachen auszupacken.“

Nicht zum ersten Mal fühlte Dora sich wie in einem alten Spielfilm. Doch sie befürchtete, dass sich ihre Probleme nicht in knapp zwei Stunden lösen ließen. „Wie heißt du?“

„Rihana, Eure Hoheit.“ Sie deutete einen Knicks an. „Es ist mir eine Ehre, Ihnen zu dienen.“

Dora wünschte sagen zu können, dass es ihr eine Ehre sei, bedient zu werden. Aber sie wusste, dass es lange dauern würde, sich daran zu gewöhnen. „Ist es dir gestattet, mich anders als Eure Hoheit zu nennen?“

Rihana lächelte. „Natürlich. Prinzessin Dora wäre ein akzeptabler Titel.“

„Dann lass uns lieber den benutzen. Wenn ich meinen Namen höre, weiß ich wenigstens, dass ich gemeint bin.“ Dora deutete zu einer breiten Doppeltür zur Linken. „Ist dort das Schlafzimmer?“

„Ja.“

„Ich würde meine Sachen lieber selbst auspacken. Dann finde ich sie leichter wieder.“

Rihana runzelte die Stirn. „Prinzessin Dora, es ist meine Aufgabe, mich um Sie zu kümmern.“

„Und was war deine Aufgabe, bevor ich gekommen bin?“

„Ich gehöre zum Haushaltspersonal.“

„Aha.“ Dora lächelte. „Da ich gerade erst angekommen bin, ist deine Aufgabe, mir zu helfen, bestimmt noch ganz neu. Vermutlich hast du noch andere Pflichten im Haushalt zu erfüllen.“

„Natürlich, aber sie werden meinen Dienst bei Ihnen nicht beeinflussen. Ich kann hart arbeiten.“

„Das bezweifle ich nicht. Ich bin nicht an den Palast und die Gepflogenheiten dieses Landes gewöhnt und werde eine Weile brauchen, um mich anzupassen. Lass mich selbst auspacken. Ich verspreche, dass du mich ab morgen bedienen kannst.“

Zögernd ging Rihana zur Tür. „Wenn Sie es sich anders überlegen, greifen Sie nur zum Telefon und fragen nach mir.“

„Das werde ich tun. Danke.“

Als Dora allein war, betrat sie das Schlafzimmer. Es war etwas kleiner als das Wohnzimmer, aber nicht weniger eindrucksvoll. Ein riesiges Bett mit Baldachin stand auf einer Empore mitten im Raum. Eine Glaswand führte hinaus auf den Balkon. Blaue, grüne und goldene Kacheln bildeten ein exotisches Muster an den Wänden. Schwarz lackierte, mit goldenen Intarsien verzierte Möbel muteten orientalisch an.

Sie öffnete den Kleiderschrank und stellte überrascht fest, dass er völlig leer war. Sie war also nicht in Khalils Suite, sondern im Gästequartier untergebracht worden.

Was hatte das zu bedeuten? War es ein Irrtum? Oder entsprach es den Gepflogenheiten der königlichen Familie? Warum hatte sie keine Nachforschungen angestellt, bevor sie New York verlassen hatten?

Panik stieg in ihr auf, als ihr bewusst wurde, dass außer Khalil und seiner Familie niemand auf der Welt wusste, wo sie sich aufhielt. Es war alles so überstürzt geschehen, dass sie niemanden angerufen hatte. Niemand würde sie vermissen, wenn sie einfach verschwand.

War sie eine Gefangene? Szenen aus alten Filmen stiegen im Geiste vor ihr auf. Bilder von entführten, gefangenen, getöteten Frauen. Ihre Kehle war wie ausgedörrt, als sie sich fragte, ob sie ihr Heimatland je wieder sehen würde.

Hastig lief sie zur Eingangstür der Suite, die sich zu ihrer Erleichterung mühelos öffnen ließ. Es war auch kein Wächter im Korridor postiert.

Sie blickte in die eine und dann in die andere Richtung und versuchte sich zu erinnern, wo der Eingang des Palastes lag. Da ihre Suite zum Meer ging, musste …

„Prinzessin Dora, kann ich Ihnen helfen?“

Sie blickte auf und sah einen älteren Mann vor sich stehen. Er trug mehrere flauschige Handtücher über seinen mageren braunen Armen. Seine Kleidung – eine offene Robe über heller, weiter Hose und einem ebenso weiten Hemd – wirkte fremdartig, seine Miene jedoch freundlich.

„Sind Sie hungrig, Eure Hoheit? Kann ich Ihnen etwas zu essen bringen? Oder soll ich Rihana rufen?“

Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Wenn sie fliehen wollte, brauchte sie offensichtlich einen Plan. „Nein, danke. Ich brauche nichts“, sagte sie und kehrte in ihre Suite zurück.

Sie nahm eine Mappe mit feinem Schreibpapier vom Schreibtisch, der in einer Ecke stand, und setzte sich auf das Sofa. Dann skizzierte sie einen groben Grundriss des Palastes, wie sie ihn vom Flugzeug aus erinnerte, und kennzeichnete die Räume, die sie kannte. Die Eingangshalle, einen Korridor und ihre Suite. Nichts weiter.

Mit einem Seufzer lehnte sie sich zurück an die weichen Polster. Vielleicht machte sie es sich zu schwer. Vielleicht sollte sie einfach zum Telefon greifen und sich mit Khalil verbinden lassen. Schließlich war er ihr Ehemann. Wenn sie ihn sehen, mit ihm sprechen konnte, sah alles schon viel besser aus.

Mit diesem Entschluss schloss sie die Augen. Vor lauter Anspannung hatte sie in der Nacht zuvor, während des Fluges, nicht geschlafen. Nur für eine Sekunde ruhen, dachte sie.

„Entschuldige, Kind, aber du hast nicht viel Zeit.“

Dora blinzelte und erblickte eine schlanke Frau mit grauen Strähnen in den dichten dunklen Haaren. Ein wundervoll geschnittenes saphirblaues Kostüm ließ sie königlich aussehen. Doch es war ihr Gesicht, das besondere Aufmerksamkeit forderte. Trotz des hohen Alters und der winzigen Runzeln in der papierdünnen Haut war sie eine Schönheit.

„Fatima“, flüsterte Dora und setzte sich auf dem Sofa auf. Dann wurde ihr bewusst, dass sie mit der Königsmutter sprach. Hastig sprang sie auf und knickste. „Ich meine, Eure Hoheit.“

Fatima winkte ab. „Ich bitte dich, wir sind doch Familie, meine Liebe. Wenn dir Großmutter zu vertraut erscheint, dann nenne mich Fatima. Oder Erhabene. Dieser Titel hat mir immer gefallen. Zum ersten Mal hörte ich ihn vor vierzig Jahren, von einem Staatsoberhaupt. Der Mann hatte seine Hand unter meinem Rock, als er es sagte. Ich teilte ihm mit, dass ich durchaus bereit wäre, seine Geliebte zu werden, aber keine Geheimnisse hüten könne, und dass mein Mann, der König, wenn er von der Affäre erführe, ihm die Fähigkeit nehmen würde, je wieder mit einer Frau zu verkehren. Falls du verstehst, was ich meine.“

Fatima zwinkerte. Dann wurde ihre Miene traurig. „Ich vermisse ihn. Meinen Mann, nicht den anderen. Trotz meiner Späße war ich ihm fast vierzig Jahre lang eine gute und treue Ehefrau. Wir führten eine wundervolle Ehe.“ Sie befingerte den Ausschnitt ihres Kostüms. „Es ist von Chanel. Ich kannte Coco persönlich, aber in meinem Alter ist das nicht verwunderlich. Du bist also Khalils Braut. Ich kann mir denken, dass du recht verwirrt von allem hier bist.“

„Jetzt noch mehr als vorher“, sagte Dora unbedacht und schlug sich eine Hand vor den Mund. „Es tut mir leid. Das wollte ich nicht sagen.“

Fatima lachte. „Mag sein. Aber du hast es gedacht.“ Sie nahm auf dem Sofa Platz und bedeutete Dora, sich zu ihr zu setzen. „Ich bin etwas exzentrisch. Zum Teil liegt es an meinem Alter, aber hauptsächlich an meinem Naturell. Ich hatte mehr als siebzig Jahre Zeit, meine Sonderlichkeit zu kultivieren, und es bereitet mir großes Vergnügen, unerwartet zu handeln.“ Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. „Wir sind von Männern umringt, meine Liebe. Givons Frau ist vor einigen Jahren gestorben, und ich kann ihn nicht dazu bringen, wieder zu heiraten. Er hat drei Söhne. Bahania, unser Nachbar und das Land meiner Geburt, hat eine Königsfamilie mit vier Söhnen und nur einer Tochter. Wir Frauen müssen zusammenhalten.“

Dora wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Also schwieg sie. Noch immer fühlte sie sich wie in einem Traum.

„Der Palast ist in Aufruhr“, fuhr Fatima fort. „Zum Teil deshalb, weil der jüngste Sohn des Königs in einem fremden Land in einer Ziviltrauung eine völlig Fremde geheiratet hat.“ Sie tätschelte Doras Hand. „Nichts für ungut, aber wir kennen dich nicht, oder?“

„Nein.“

„Außerdem geht es darum, dass es Khalil gar nicht ähnlich sieht. Er ist nicht impulsiv. Wenn Malik plötzlich mit einer Braut aufgetaucht wäre, wäre es eher verständlich.“ Fatima runzelte die Stirn. „Wie gut kennst du meinen Enkel?“

Dora schluckte. „Ich war seine Sekretärin in den Vereinigten Staaten.“

„Ein Impuls“, murmelte Fatima mehr zu sich selbst als zu Dora. „Hat er dir von der Narbe erzählt?“

Dora blinzelte verwirrt. „Die auf seiner Wange?“

„Es ist die einzige, von der ich weiß. Wenn er eine interessantere hat, musst du mir davon erzählen.“

„Ich weiß nicht, woher er die Narbe hat, und es ist die einzige, von der ich weiß.“

„Zu schade.“ Fatima verschränkte die Hände im Schoß. „Du musst ihn danach fragen. Durch diese Narbe hat Khalil viele Dinge gelernt – einschließlich nicht zu reden, ohne vorher zu denken. Ich verstehe das einfach nicht. Bestimmt bist du ein nettes Mädchen, aber du bist nicht mit Amber zu vergleichen. Hat er dich deshalb geheiratet?“

Ein Gefühl der Kälte beschlich Dora. „Wer ist Amber?“

Fatima musterte sie eindringlich. „Bis zu eurer Trauung war Khalil mit der jüngsten Tochter des Premierministers verlobt. Ich nehme an, er hat es dir gegenüber nie erwähnt?“

Stumm schüttelte Dora den Kopf und schluckte schwer. „Wann hätte die Hochzeit sein sollen?“, fragte sie mit rauer Stimme.

„Khalil hat sich nie auf ein Datum festlegen lassen“, erwiderte Fatima nachdenklich. „Ich habe mir bisher nichts dabei gedacht, aber jetzt ergibt alles einen Sinn. Er hat auf die Liebe gewartet. Wie romantisch.“

Dora hätte gern daran geglaubt, dass er sie liebte. War es möglich?

„El Bahar ist zwar auf dem Weg in die Moderne, aber wir sind auch unseren Traditionen verhaftet. Das Volk wird es nicht billigen, dass der jüngste Sohn des Königs in einem fremden Land heiratet. Das riecht nach …“ Fatima riss die Augen auf. „Oje, ihr habt doch nicht geheiratet, weil du schwanger bist, oder?“

„Ich kenne ihn nicht mal einen Monat.“

„Ja, natürlich. Nun, um diesem Gerücht und möglichen anderen vorzubeugen, schlage ich eine zweite Trauung vor, und zwar eine traditionelle. Sagen wir in zwei Wochen? Bis dahin können wir den Premierminister und seine Familie beschwichtigen.“

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“, verkündete Dora aufrichtig. „Wenn du meinst, dass es hilft, bin ich gern bereit.“

„Gut.“ Fatima erhob sich und zog Dora mit sich ins Schlafzimmer. „Jetzt wird es Zeit, dich für das Dinner anzukleiden. Ich nehme an, Khalil hat dir nichts von Chanel gekauft, oder? Die Jungen haben nicht meinen Sinn für Stil geerbt.“

Sie kramte in den geöffneten Koffern auf dem Bett und hielt Doras Lieblingskleid hoch. „Das hier wird wundervoll aussehen. Zum Glück ist es heller als meins, sodass wir nicht wie im Partnerlook aussehen werden.“ Sie lächelte schelmisch. „Oder möchtest du deinen Mann mit traditioneller Kleidung überraschen?“

„Ich glaube, dazu sind wir beide nicht bereit.“

„Da magst du recht haben.“ Fatima berührte sie am Arm. „Hab keine Angst vor uns, Dora, oder lass es dir zumindest nicht anmerken. Wir respektieren Stärke und Entschlossenheit, auch bei unseren Frauen. Mein Sohn ist im Moment verärgert und enttäuscht, aber es richtet sich gegen Khalil, nicht gegen dich. Wenn er unhöflich wirkt, dann lass ihn nicht spüren, dass er dir wehtut. Du musst stark sein. Wenn du dich von einem der Männer dominieren lässt, machst du dich zur Sklavin. Verstehst du das?“

„Ich glaube, ja“, erwiderte Dora und fragte sich insgeheim, ob sie es jemals verstehen würde.

Fatima schob sie sanft zum Badezimmer. „Geh dich anziehen. Ich warte und begleite dich dann hinunter zum Dinner. Ich habe einen nicht gerade subtilen Wink von meinem Sohn erhalten, dass die Mahlzeit nur für Männer gedacht ist. Also werden wir sie überraschen. Das ist immer gut. Und jetzt beeil dich.“

Eine halbe Stunde später folgte Dora ihr endlose Korridore entlang. Sie erhaschte Blicke in große Räume, die in westlichem wie in östlichem Stil eingerichtet waren. Durch die Fenster sah sie erleuchtete Gärten und Springbrunnen. Obwohl sie noch immer verwirrt und nervös war, konnte sie nicht umhin, sich auf die Erforschung dieses wundervollen Palastes und seiner Anlagen zu freuen.

Schließlich betraten sie ein Speisezimmer. An dem langen Tisch hätten zehn oder zwölf Personen Platz gefunden, aber er wies nur vier Gedecke auf. Der König saß am Kopfende, mit zwei Söhnen zu seiner Rechten und Khalil zu seiner Linken. Alle vier Männer blickten auf, als die Frauen eintraten.

„Kommen wir zu spät?“, fragte Fatima und ignorierte den unwilligen Blick des Königs. „Ich habe Dora gerade informiert, dass heute Abend ein Familiendinner stattfindet, bei dem wir diskutieren wollen, wie diese Krise gehandhabt werden soll. Der Zeitpunkt ist unglücklich. Schließlich ist es ihr erster Abend in El Bahar, und daher sollten wir sie nicht allein in ihrem Zimmer lassen.“

Khalil grinste verstohlen, als seine Großmutter dem Blick des Königs trotzig standhielt. Givon Khan mochte zu den sechs reichsten Männern der Welt gehören und ein mächtiger Monarch sein, aber er musste es dennoch mit einer starrsinnigen Mutter aufnehmen. Fatima war in den Siebzigern, aber eine durchaus ernst zu nehmende Widersacherin.

Daher war es nicht sonderlich überraschend, dass der König weder den Zeitpunkt noch den Ort geeignet für eine Konfrontation erachtete. Er nickte einem der Diener zu, die geduldig bei der Tür warteten. Zwei weitere Gedecke wurden aufgelegt.

„Mutter, deine Bereitschaft, an andere zu denken, hat dich zu der beachtlichen Frau gemacht, die du bist.“ Givon erhob sich und breitete die Arme aus. „Wie immer bist du sehr weise für dein Alter.“

Fatima trat zu ihm und ließ sich in die Arme schließen. Sie berührte seine Wange. „Ich bin dreiundsiebzig, Givon. Es ist an der Zeit, nicht mehr zu sagen, dass ich weise bin für mein Alter, findest du nicht?“ Sie drehte sich zum Tisch um. „Dora, setz dich neben deinen Ehemann. Jamal, rutsch rüber und lass mich zwischen dir und deinem Bruder sitzen.“

Innerhalb von Sekunden hatte Fatima die Sitzordnung ihren Wünschen entsprechend arrangiert und saß zwischen ihren ältesten Enkeln. Khalil warf Dora einen Blick zu. Sie versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht ganz.

„Ich weiß immer noch nicht, was ich Aleser sagen soll“, eröffnete Givon, während der Salat serviert wurde. „Er ist seit über dreißig Jahren mein höchst loyaler Berater. Wir waren uns immer einig, dass seine jüngste Tochter in unsere Familie einheiraten würde. Sie war mit dir verlobt, Khalil. Wir waren uns alle einig.“

„Anscheinend nicht alle von uns“, entgegnete Fatima. „Ich mag Dora und halte sie für geeigneter als Amber. Das Mädchen ist klug und hat Rückgrat. Meine Enkelsöhne sind zu starrsinnig. Sie brauchen Frauen mit Rückgrat.“

Khalil konnte sich lebhaft den Zorn seines Vaters über diese Bemerkung vorstellen und unterdrückte mühsam ein Lachen. Verstohlen blickte er zu Fatima. Warum stellte sie sich in dieser Angelegenheit auf seine Seite? Wusste sie etwas von Ambers Mätzchen?

Ihm fiel auf, dass Dora ihr Essen nicht anrührte. Um sie zu beruhigen, suchte er unter dem Tisch ihre Hand, drückte sie und erhielt ein dankbares Lächeln.

„Das Problem lässt sich leicht lösen“, erklärte Fatima. „In zwei Wochen werden wir eine traditionelle Zeremonie abhalten. Das wird das Volk beschwichtigen.“

„Aber was ist mit Aleser?“, hakte der König nach. „Wie sollen wir ihn beschwichtigen?“

„Da der Mann selbst Kinder hat, wird er verstehen, dass sie manchmal schwierig sein können.“ Fatima nahm einen Bissen Salat. Ihre scharfsinnigen Augen funkelten vor Belustigung. „In der Zwischenzeit kann Dora bei mir im Harem leben. Ich werde ihr alles beibringen, was sie wissen muss, um einem Prinzen eine gute Ehefrau zu sein.“

Khalil runzelte die Stirn. Wie er wusste, war Dora von seinem Vater als Ausdruck des Unwillens in einer eigenen Suite untergebracht worden. Er gedachte, es noch an diesem Abend zu ändern. Sie mochte nicht die Frau seiner Träume sein, aber er beabsichtigte, mit ihr zu schlafen. Zum einen wollte er Söhne, zum anderen hatte er das Liebesspiel mit ihr genossen. Doch im Harem war sie unerreichbar für ihn. „Das ist nicht möglich“, entgegnete er schroff. „Dora und ich sind verheiratet. Wir werden ein Quartier teilen.“

Fatima zog die Augenbrauen hoch. „Heute Nachmittag hattest du es nicht so eilig, die Situation zu korrigieren.“

„Ich hatte eine Unterredung mit meinem Vater.“ Bei der er mir das Fell über die Ohren gezogen hat, fügte er im Stillen grimmig hinzu.

„Wie auch immer. Es wird dir nicht schaden, zwei Wochen auf deine Braut zu warten.“

„Wie gesagt, das ist unmöglich. Zumal Dora für mich arbeitet.“

„Nicht mehr, Khalil“, teilte Fatima ihm mit einem triumphierenden Lächeln mit. „Sie ist jetzt eine Prinzessin, keine Sekretärin. Du wirst einfach ohne sie auskommen müssen.“

Im Laufe des Dinners hatte Khalil das Thema Unterbringung noch zweimal angeschnitten, doch Fatima war unerbittlich geblieben. Dora hatte die nächsten zwei Wochen bei ihr im Harem zu verbringen, um zu lernen, eine angemessene Ehefrau zu sein. Er war sich nicht sicher, was diese Lektionen beinhalten sollten, aber er bezweifelte, dass Dora sie bereitwillig lernen würde. Sie war eine sehr westlich gesinnte Frau.

Nach dem Mahl geleitete er sie wohl oder übel zum Harem. „Es tut mir sehr leid“, sagte er, als sie die reich verzierte goldene Tür erreichten. „Ich dachte, wir könnten zusammen sein, aber es ist ja nur für zwei Wochen.“

Er sprach ebenso zu sich selbst wie zu ihr. Aus ihm unverständlichen Gründen verspürte er ein schmerzliches Verlangen nach ihr. Er begehrte sie mehr als alles andere seit langer Zeit.

Sie drehte sich zu ihm um. „Unsere Unterbringung ist unser kleinstes Problem. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du verlobt warst?“

Verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen. „Tja, das hätte ich vielleicht erwähnen sollen.“

„Vielleicht? Was glaubst du wohl, wie ich mich fühle in dem Wissen, dass du eine andere heiraten solltest?“

„Warum ist das so wichtig? Ich habe schließlich dich geheiratet.“

„Was zu Dutzenden anderer Fragen führt.“ Sie wandte sich ab und legte eine Hand an die Tür. „Ist das echtes Gold?“

„Natürlich.“

Ihr Lachen klang erstickt. „Goldene Türen und gebrochene Verlobungen. Also, warum hast du mich und nicht sie geheiratet? Wie heißt sie doch gleich? Amber?“

Er war nicht auf Fragen über seine Exverlobte vorbereitet. Was ihm in New York wie ein sinnvoller Plan erschienen war, hatte sich in ein Desaster verwandelt. Warum konnten sie ihn nicht alle in Ruhe lassen? „Ich habe sie nie geliebt“, sagte er schließlich.

Sie blickte ihn erwartungsvoll an, aber er wusste nichts mehr zu sagen. Flüchtig fragte er sich, wie seltsam ihr alles erscheinen musste. Das fremde Land, seine Familie, der Palast.

„Du musst nicht zwei Wochen hierbleiben“, versprach er. „Ich werde mit meinem Vater reden und deine Sachen in mein Zimmer bringen lassen.“ Eine Woge des Verlangens stieg in ihm auf, als er sich an die Liebesnacht mit ihr erinnerte. Er trat näher. „Es war gut mit uns“, murmelte er und berührte ihre Lippen mit seinen. „Ich will dich.“

Sie wich zurück. „Ich weiß nicht, was ich denken soll. Du wolltest seit dem ersten Mal nicht mehr mit mir zusammen sein. Ich dachte, du hättest vielleicht entschieden, dass unsere Hochzeit ein Fehler war.“

Zweifel füllten ihre Augen. Zweifel und Fragen. In New York war es ihm leicht gefallen, sie zu belügen, doch nun war es schwieriger. Lag es an der Umgebung oder daran, dass er sie inzwischen besser kannte? Sie war nicht länger eine Angestellte, sondern eine Persönlichkeit. Er legte eine Hand um ihren Nacken und zog sie an sich. „Es war kein Fehler.“

„Also liebst du mich noch“, flüsterte sie erleichtert und schloss die Augen.

„So etwas kommt nicht in Frage!“, durchbrach eine scharfe Stimme die Stille.

Khalil wich zurück und sah Fatima neben sich stehen. Sie nahm Dora am Arm und führte sie in den Harem. Er trat einen Schritt vor, so als wollte er mit ihnen gehen, aber er wusste seit seiner frühesten Kindheit, dass diese goldene Tür unüberwindlich für ihn war. Er hatte noch nie einen Fuß über die Schwelle gesetzt, und das würde sich an diesem Abend nicht ändern.

Mit einem unterdrückten Fluch stürmte er den Korridor entlang und trat hinaus auf den Balkon. Tief atmete er den vertrauten Geruch des Meeres und den einzigartigen Duft von El Bahar ein.

„Ich wäre auch nicht glücklich.“

Khalil blickte auf und sah Malik, seinen ältesten Bruder, an der Brüstung stehen.

„Du bist gerade mal drei Tage verheiratet und hast schon deine Braut verloren.“

„Ich weiß. Ich werde mit Vater reden.“

„Spare dir deinen Atem. Er wird sich nicht gegen Großmutter stellen. Nicht in dieser Angelegenheit.“

Khalil wusste, dass Malik recht hatte, aber es gefiel ihm dennoch nicht.

Malik trat näher, legte ihm eine Hand auf die Schulter und blickte ihn mit großen dunklen Augen an. „Ich finde, du hast eine gute Wahl getroffen. Amber ist nicht geschaffen für das Leben einer Prinzessin“, sagte er leise, und dann verschwand er.

Khalil fragte sich unwillkürlich, ob sein Bruder sich besser an die Nacht mit Amber erinnerte, als sie sich bewusst war.

8. KAPITEL

Dora musterte die grafische Darstellung, in der die Positionen der amtierenden Regierungsmitglieder verzeichnet waren, nicht aber deren Namen. Mühelos trug sie die entsprechenden Namen ein.

Fatima strahlte. „Du lernst sehr schnell. Ich hatte gehofft, dass meine Enkelsöhne intelligente Frauen heiraten würden, aber bei Prinzen weiß man ja nie.“

„Danke.“

Fatima war wie immer makellos frisiert und geschminkt. An diesem Tag trug sie Rock, Bluse und hochhackige Schuhe, die ihre schlanken Fesseln zur Geltung brachten. Obwohl subtile, verräterische Anzeichen ihres Alters vorhanden waren, hätte sie für eine Frau Anfang fünfzig durchgehen können.

Sie saßen auf einem niedrigen Sofa im Harem. Seit elf Tagen lebte Dora hinter den schützenden Mauern. Nur noch drei Tage bis zu ihrer Hochzeit. Alles um sie her wirkte neu und fremdartig, und doch erschien es ihr in mancherlei Hinsicht, als hätte sie schon immer dort gelebt.

„Und jetzt wollen wir über Geschichte reden“, entschied Fatima. „Erinnerst du dich …“ Sie brach ab, als Rihana mit einem großen Tablett eintrat. „Ist es schon vier Uhr? Der Nachmittag ist förmlich verflogen.“

Rihana zögerte. „Soll ich später zurückkommen, Eure Hoheit?“

„Nein. Natürlich nicht.“ Fatima schnupperte. „Aha, es gibt Zimtsterne zum Tee. Mein Lieblingsgebäck.“ Sie lächelte. „Du verwöhnst mich, Kind.“

Rihana stellte das Tablett ab und begann, die Köstlichkeiten auf dem Tisch vor dem Sofa aufzubauen.

Dora, die das Ritual jeden Nachmittag gesehen hatte, stand auf und trat auf den Balkon. Im Gegensatz zu dem normalen Wohnbereich und den Büroräumen blickten die Fenster des Harems nicht auf das Meer, sondern auf die Gärten hinaus.

Am ersten Abend hatte Fatima sie durch die Gemächer geführt, die entworfen worden waren, um Frauen zu erfreuen wie gefangen zu halten. Es gab Dutzende von Schlafkammern unterschiedlichen Ausmaßes, die den Bewohnerinnen entsprechend ihres Ansehens beim König zugeteilt wurden. Die Bäder waren mit kunstvollen Mosaiken verziert, die erotische Szenen zwischen Nixen und Seemännern darstellten. Wasser strömte aus goldenen Händen, und die Juwelen auf der Rückseite der Handspiegel waren groß und echt.

Die Gemeinschaftsräume waren durch Torbögen, nicht durch Türen abgeteilt, sodass der Bereich weitläufig und offen erschien. Eine verborgene Treppe führte hinauf zu einem kleinen, abgeschlossenen Raum. Früher einmal hatte von dort aus der Eunuch über die Frauen in seiner Obhut gewacht und der König seine Schönheiten besichtigt, um seine Wahl für die Nacht zu treffen.

Nun stand Dora, eine Frau des einundzwanzigsten Jahrhunderts, in demselben Harem. Sie war so anders als die Frauen von früher, deren einzige Lebensaufgabe darin bestanden hatte, ihrem König Freude zu bereiten – und doch so gleich. Seit sie in El Bahar weilte, drehte sich ihr Leben hauptsächlich um die Launen des Prinzen, den sie so impulsiv geheiratet und in den vergangenen elf Tagen nur beim Dinner im Kreis der Familie gesehen hatte.

Sie erschauerte, als sie sich an den vergangenen Abend erinnerte. Er hatte sie derart glühend angeblickt, dass sie keinen Bissen mehr heruntergebracht und sich gefragt hatte, wie sie an seinem Verlangen zweifeln konnte. Ob er sie liebte oder nicht, blieb fraglich, aber vorläufig musste ihr sein Verlangen reichen. Nur noch drei Tage, bis sie in einer traditionellen Zeremonie getraut wurden. Eine Zeremonie mit bedeutungsvollen Ritualen, die so alt wie die Zeit waren.

Sie hörte das Schließen der Eingangstür und kehrte in das zentrale Gemach zurück. Fatima hatte bereits Tee eingeschenkt und das Gebäck auf zwei Teller verteilt.

„El Bahar stand nie unter britischer Kolonialherrschaft“, bemerkte Dora, während sie ihren Platz auf dem Sofa wieder einnahm. „Warum also englischer Tee?“

„Tee trinken ist sehr zivilisiert.“ Lächelnd reichte Fatima ihr eine zarte Porzellantasse. „Du hast in den vergangenen Tagen viel über unsere Geschichte gelernt.“

„Die Bücher, die du mir geliehen hast, sind sehr interessant. Ich möchte so viel wie möglich über mein neues Land erfahren.“

„Ich habe die ganze Welt bereist und einige Zeit in deinem Heimatland verbracht. Ich weiß einiges über die amerikanische Kultur. Ihr seid klug, redegewandt, gut organisiert und von Natur aus Führungskräfte. Frauen stehen beruflich zahlreiche Möglichkeiten offen. Warum hast du also als Khalils Sekretärin gearbeitet?“

„Du meinst, warum ich nicht in der Geschäftsführung einer Firma gearbeitet habe?“

„Genau.“

„Ich habe kein volles Studium absolviert. Ich hatte zwar ein Stipendium, aber es gab gewisse Probleme, und ich habe das College verlassen.“ Dora verstummte. Fatima war zwar warmherzig und freundlich, aber sie war auch eine Frau von Klasse und Bildung und hätte sicherlich kein Verständnis für die schäbigen Details aufgebracht.

„Du hast deine Ausbildung nie fortgesetzt?“

Dora presste die Lippen zusammen. Eigentlich hatte sie beabsichtigt, ein College im Raum Los Angeles zu besuchen, sobald Gras über den Skandal gewachsen war. „Ich habe irgendwie nicht die Zeit dazu gefunden und nur ein Abendstudium absolviert.“

Fatima musterte sie nachdenklich und schien ihr bis in die Seele zu blicken. „Männer sind seltsame Kreaturen“, sinnierte sie. „Die Schwachen laufen vor ihren Problemen davon und machen die ganze Welt verantwortlich. Die Starken übernehmen Verantwortung, aber sie haben andere Fehler. Sie wollen nicht zugeben, dass sie andere Menschen brauchen. Manchmal müssen sie etwas beinahe verlieren, um es schätzen zu lernen.“

Dora lächelte. „Lässt du mich deshalb im Harem wohnen?“

„Vielleicht. Muss Khalil überlistet werden, um zu erkennen, dass er ein Juwel geheiratet hat?“

Dora fühlte sich gleichermaßen geschmeichelt wie unbehaglich. „Ich hoffe nicht.“

„Ich habe es genossen, dich hier bei mir zu haben.“

Dora blickte sich in dem luxuriösen Gemach um. „Es ist hier noch schöner, als ich es mir vorgestellt hatte.“ Sie grinste. „Und meine Erziehung ist ganz anders, als ich erwartet hatte.“

„Du hast geglaubt, wir würden über sexuelle Künste sprechen. Dafür bleibt noch genug Zeit. Das erste Jahr deiner Ehe wird eine Zeit großer Leidenschaft sein. Nachdem dein erstes Kind geboren ist, werden wir über Liebesspiele reden. Dann wirst du bereit sein, die alten Geheimnisse zu erlernen.“

Unwillkürlich errötete Dora. Gab es wirklich Geheimnisse, die ihr helfen konnten, Khalil in ihrem Bett zu halten? Sie dachte zurück an ihre einzige Liebesnacht. Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen.

„Warum hast du Khalil geheiratet?“, wollte Fatima wissen und riss Dora damit aus ihrer Träumerei.

„Er hat mir den Kopf verdreht. Ich war tief beeindruckt von ihm. Als er mir gesagt hat, dass ihm viel an mir liegt und er mich begehrt, konnte ich ihm nicht widerstehen.“

„Ich verstehe. Er ist kein einfacher Mensch, ebenso wenig wie seine Brüder oder sein Vater. Sie haben kein Verständnis für das Herz einer Frau. Du wirst wie das schlanke Schilf sein müssen, das sich im Sturm beugt.“ Fatima seufzte. „Ich hasse es, in Klischees zu sprechen, aber in diesem Fall trifft es zu. Die Männer der Familie Khan sind große Führer, ehrenwert und gerecht, aber auch überheblich und unnachgiebig. Khalil ist ein wertvoller Mann, aber nur für eine würdige und starke Frau. Du musst diese Eigenschaften verkörpern, meine Liebe, auch wenn du dich nicht so fühlst.“

Dora schluckte schwer. Sie fragte nicht, wie diese kluge alte Frau erraten hatte, dass sie sich Khalils oder ihres neuen Titels kein bisschen würdig fühlte. Sie wusste nicht, ob sie fähig war, sich wie Schilf zu beugen. Obwohl es nicht in ihrer Natur lag, für etwas zu kämpfen, war sie gewöhnlich auch nicht fügsam.

Dora musterte das verschlungene Muster aus Henna, das sich wie dunkle Spitze über ihre Handrücken und um jeden Finger wand.

„Die Tradition verlangt, dass eine Braut nicht im Haushalt arbeitet, bis die letzte Spur des Henna verblasst ist“, erklärte Fatima. „Das bedeutet das Ende der Flitterwochen. Du kannst dir sicher vorstellen, dass junge Bräute Wasser oder alles andere meiden, das den Prozess beschleunigen könnte.“ Sie lächelte herzlich. „Aber darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du bist schließlich eine Prinzessin, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass du für die Arbeit in der Küche eingeteilt wirst.“

„Ich weiß nicht recht“, neckte Dora. „Ich kann sehr gut Kartoffeln schälen.“

Fatima blieb ernst. „Ich kann mir denken, dass du alles kannst, was du dir vornimmst. Vergiss das nicht, Kind. Gib nicht zu leicht auf.“ Sie erhob sich. „Steh auf und lass dich ansehen.“

Dora tat wie geheißen. Sie war wie Fatima traditionell gekleidet für die Zeremonie. Ein schlichtes Seidenhemd stellte ihre einzige Unterwäsche dar. Darüber trug sie ein langärmeliges Spitzenkleid, das an der Taille eng saß und dann locker bis zum Boden fiel. Dicht bestickte Roben vervollständigten die Aufmachung. Ihre Haare waren von Rihana zu einer wundervollen Hochfrisur aufgesteckt und mit einem von Diamanten besetzten Diadem verziert worden. Abgesehen von dem Goldfaden der Stickerei war sie ganz in Weiß gekleidet.

Fatima, die exquisite Roben in Blau und Grün trug, ging um sie herum. „Einfach wundervoll. Dieses Brautkleid ist über hundert Jahre alt. Ich selbst bin darin getraut worden.“

Dora blickte über die Schulter und musterte den Stoff im Spiegel. Die Tradition von El Bahar verlangte, dass jede Braut ein kleines Bildnis zu der Hochzeitsrobe beitrug, das für sie allein etwas versinnbildlichte. In der königlichen Familie wurde das Bildnis vom Bräutigam bestimmt und von einer weiblichen Verwandten gestickt. Fatima hatte mehrere Abende bis spät in die Nacht daran gearbeitet.

Sie berührte das kleine Abbild eines Baumes mit vielen Zweigen an Doras rechter Hüfte. „Das ist das Sinnbild meines Vaterlandes Bahania. Es wurde viel darüber diskutiert, welches Symbol für dich hinzugefügt werden sollte.“ Sie lachte. „Jamal hat ein Porträt von Elvis vorgeschlagen, während Malik die amerikanische Fahne bevorzugt hätte.“

„Und was hat Khalil ausgesucht?“

„Das hier.“ Fatima berührte eine kleine Blume in der Nähe des Saumes. „Das Symbol einer Wüstenrose. Aber er hat ausdrücklich verlangt, dass eines der Blätter so aussehen soll wie der Tatzenabdruck einer Wüstenkatze. Da es eine solche Kreatur nicht in unserem Land gibt, hielt ich es für eine sehr ungewöhnliche Forderung.“

Dora errötete. Sie dachte zurück an ihre Liebesnacht, als er sie zuerst mit einer Wüstenrose verglichen und dann seine Wüstenkatze genannt hatte. „Sehr interessant“, murmelte sie mit gesenktem Blick.

Fatima küsste ihre Wange. „Hab keine Angst. Ich habe in deiner Zukunft gelesen. Du wirst stark sein müssen, aber wenn du deinem Herzen vertraust und auf dem rechten Weg bleibst, wird sich dein Herzenswunsch erfüllen.“ Damit befestigte sie den zarten weißen Schleier vor Doras unterer Gesichtshälfte und verließ den Raum.

Dora stand allein in den schützenden Mauern des Harems. Sie konnte kaum glauben, was ihr in dem vergangenen Monat widerfahren war. Ihr Leben hatte sich so drastisch verändert, dass ihr der Atem stockte. Sie drehte sich um und betrachtete sich im Spiegel. Statt der schüchternen, unscheinbaren Frau, die sie einen Monat zuvor gewesen war, erblickte sie ein exotisches, fremdes Wesen in vornehmer Kleidung.

Fest presste sie die mit Henna bemalten Hände zusammen. Ihr Herzenswunsch bestand darin, die wahre Liebe zu finden, Kinder zu bekommen und an der Seite ihres Mannes alt zu werden. Keine Reichtümer, keine Titel, keine Macht – nur eine liebevolle Ehe. War das zu viel verlangt?

„Sind Sie nervös?“

Dora drehte sich um und sah eine zierliche, dunkelhaarige Gestalt hinter sich stehen. Die schöne junge Frau trug ein glänzendes Kleid aus Gold und Weiß, das ihre Figur betonte. Ihr Gesicht wies vollkommene Züge auf, die Dora irgendwie bekannt vorkamen. Dann fiel es ihr wieder ein. Es war die Frau, mit der Khalil in der New Yorker Boutique gestritten hatte.

Sie trat zu Dora. „Mein Name ist Amber. Ich bin Khalils Verlobte.“ Sie schlug sich eine perfekt manikürte Hand mit langen roten Fingernägeln vor den Mund. „Oje, das war ein Versprecher. Ich hätte Exverlobte sagen sollen.“

Die schweren Seidenroben mochten Doras Gestalt verhüllen, doch sie wusste, dass sie mit ihrer birnenförmigen Figur nicht konkurrenzfähig war. Die schöne junge Amber verkörperte all das, was sie sich je gewünscht hatte. Wie hatte Khalil diesem Traum von Frau den Rücken kehren können?

„Haben Sie Ihre Zunge verschluckt?“, fragte Amber mit leiser, sinnlicher Stimme.

„Natürlich nicht. Es überrascht mich nur, Sie zu sehen.“

„Das kann ich mir denken.“ Amber ging um Dora herum. „Oje, Sie sind gar nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Ich hatte gehofft, dass er sich zumindest eine aussucht, die mehr …“ Sie machte eine bedeutungsvolle Handbewegung.

Ihr langes, dichtes Haar war hochgesteckt und mit großen Diamanten geschmückt. Unwillkürlich berührte Dora ihr Diadem. Nun erst wurde ihr bewusst, dass Ambers Kleid ihrem eigenen ähnelte und nur aus dünnerem Stoff war, der ihren Körper umschmiegte. Ambers Aufmachung war entweder eine Verspottung oder eine Imitation des Brautgewandes. „Was wollen Sie hier?“

„Bei der Hochzeit? Ich bin die Tochter des Premierministers und eng mit der Familie befreundet. Das macht mich zu einem wichtigen Gast. Allerdings hatte ich erwartet, in anderer Funktion an der Hochzeit teilzunehmen. Es ist ein Desaster für uns alle. Natürlich muss ich mir selbst die Schuld geben. Wenn ich in New York nicht mit Khalil gestritten hätte, wäre alles anders gekommen.“

Sie hielt inne und senkte den Blick. „Es war ein Streit unter Liebenden. Wir waren beide so dumm. Khalil besteht darauf, mein Leben zu diktieren, und ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich habe ihm gesagt, dass es aus ist.“ Sie schaute Dora an. „Er war so wütend. Also bin ich gegangen. Aber anstatt mir nachzulaufen, ist er zu Ihnen gegangen. In Ihr jungfräuliches Bett.“

Dora versteifte sich. Woher wusste Amber …

„Er hat es mir gesagt“, beantwortete Amber die stumme Frage. „Er erzählt mir alles. Können Sie sich vorstellen, wie sehr ihn die Entdeckung bestürzt hat, dass Sie unschuldig waren? Da er durch und durch ein Ehrenmann ist, musste er Ihnen wohl oder übel einen Heiratsantrag machen. Natürlich hätten wir nie gedacht, dass Sie annehmen würden.“

Doras Magen verkrampfte sich, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Er hat darauf bestanden“, brachte sie mühsam hervor.

„Ach ja?“ Amber trat vor den Spiegel und befühlte ihr perfekt frisiertes Haar. „Er kann sehr überzeugend sein. Wie peinlich für uns alle, dass Sie ihm geglaubt haben. Mein Vater ist bestürzt, wie auch das ganze Land. Ich bin eine auserwählte Tochter, während Sie … es nicht sind.“

Dora wusste nicht, was sie denken oder fühlen sollte. Sie wich einen Schritt zurück.

Amber lächelte traurig. „Und vor allem geht es darum, dass wir uns lieben. Ich weiß nicht, was ich anfangen soll.“

„Er liebt Sie nicht“, wandte Dora ein.

Amber drehte sich zu ihr um. Mitgefühl erhöhte die Schönheit ihres Gesichtes. „Hat Khalil seit der ersten Nacht mit Ihnen geschlafen?“

Dora öffnete den Mund, fand aber keine Worte. Stumm schüttelte sie den Kopf.

„Und war er mit Ihnen zusammen, seit Sie in meinem Land sind?“

„Ich war im Harem“, flüsterte sie mühsam.

„Khalil hat es geschafft, den Weg in das Haus meines Vaters zu finden, das am anderen Ende der Stadt liegt und so gut bewacht ist wie der Palast. Meinen Sie nicht, dass er den Weg über den Korridor gefunden hätte, wenn er gewollt hätte?“

Dora erblasste. Ihre Augen brannten, aber sie durfte den Tränen nicht nachgeben.

„Er war jede Nacht bei mir“, fuhr Amber leise fort. „Wir sind verrückt nacheinander. Zum Teil liegt es wohl am Reiz des Verbotenen.“ Sie seufzte. „Er ist so von Leidenschaft erfüllt, dass seine Augen glühen, selbst nachdem wir Befriedigung gefunden haben.“

Ein Schluchzen stieg in Doras Kehle auf. Sie wollte all die infamen Behauptungen nicht glauben, aber sie enthielten zu viele Details und Fakten. Galt die Leidenschaft, die sie in seinen Augen gesehen hatte, tatsächlich Amber? Es war zwei Wochen her, seit sie allein mit ihm gewesen war. Das entsprach kaum dem Verhalten eines Mannes, der seine Braut liebt.

Schlimmer noch war, dass sie nie wirklich daran geglaubt hatte, dass er ausgerechnet in sie verliebt war. Sie war nicht der Typ, der solche Leidenschaft erweckte. Sie war nur eine gewöhnliche Frau – im Gegensatz zu Amber. „Warum heiratet er mich dann?“

„Hat er denn eine Wahl?“, entgegnete Amber mit bitterem Unterton. „Haben Sie ihm einen Ausweg geboten? Haben Sie nur einmal nicht an sich selbst gedacht? Natürlich nicht! Ehe er Zeit hatte, eine Alternative zu finden, war er schon verheiratet. Sie haben ihn ausgenutzt. Sie sind habgierig und egoistisch.“

Dora wich noch einen Schritt zurück. „So war es nicht. Ich habe nie …“

Amber winkte ab. „Am Tag nach der Hochzeit sind Sie einkaufen gegangen und haben Tausende von Dollar für Kleider ausgegeben. Und was ist mit dem Ehering und den Juwelen?“

„Ich habe keine Juwelen. Der Kopfschmuck gehört Fatima. Und ich habe keine Kleider verlangt.“

„Aber Sie haben sie genommen. Sie haben nichts abgelehnt.“

Mühsam klammerte Dora sich an den letzten Rest ihrer Würde und weigerte sich zu weinen. „Sie irren sich.“

„Das werden wir ja sehen. Sie haben Khalil in die Ehe gelockt, aber das ist nur vorübergehend. Mit der Zeit wird seine Leidenschaft zu mir sein Pflichtgefühl übersteigen, und er wird Sie verlassen. El Bahar hat in den vergangenen fünfzig Jahre große Fortschritte gemacht, und es ist überraschend leicht für einen Mann, sich scheiden zu lassen – sogar für einen Prinzen. An Ihrer Stelle würde ich mich nicht zu sehr daran gewöhnen, im Palast zu leben.“

„Das würde er nicht tun“, flüsterte Dora, obwohl sie wusste, dass er es sehr wohl tun konnte.

„Bauen Sie nicht darauf. Ich kenne Khalil bis ins Innerste. Ich weiß, dass ich im Besitz seines Herzens bin. Können Sie das Gleiche von sich sagen?“ Mit dieser Frage wandte Amber sich ab und ging so lautlos, wie sie gekommen war.

Dora starrte ihr nach. Alles, was sie sich gewünscht hatte, worauf sie gehofft hatte, war eine Lüge. Khalil wollte sie nicht, hatte sie nie gewollt. Warum hatte sie das nicht erkannt?

„Prinzessin Dora?“

Sie blickte auf und sah Rihana lächelnd in der Tür stehen.

„Kommen Sie. Es wird Zeit für die Trauung.“

9. KAPITEL

Der alte Mann sprach Worte aus alter Zeit. Unzählige Kerzen erhellten den riesigen Raum. Ringsumher saßen Dutzende von Menschen auf Sitzkissen. Doch für Dora hatte sich die Welt auf einen stechenden Schmerz reduziert, eine vergebliche Bitte um Vergessen, und das Ende eines Traumes.

Selbst als Khalil ihre Hand nahm und zu ihr sprach, konnte sie an nichts anderes denken als an Ambers Behauptungen. Es mussten Lügen sein. Sie presste die Fingerspitzen an die Schläfe und versuchte, sich genau zu erinnern, was in jener Liebesnacht und am Morgen danach geschehen war. War es möglich, dass sie es missverstanden hatte? Hatte sein Heiratsantrag lediglich auf Höflichkeit beruht?

Nein, dachte sie verzweifelt. Er hatte darauf gedrängt, ebenso wie er sie wirklich überzeugt hatte, dass er sie begehrte. Sie erinnerte sich, dass er sich ausgezogen hatte, um ihr sein Verlangen zu beweisen. Das hatte sie sich nicht eingebildet. Schließlich hatte sie nie zuvor einen nackten Mann gesehen. Gewiss hatte er die Leidenschaft nicht vortäuschen können. Oder doch? Konnte er aus anderen Gründen erregt gewesen sein? Hatte er womöglich an Amber gedacht?

Der heilige Mann sprach weiter. Der Duft von Weihrauch füllte die große Halle. Und dann entfernte Khalil ihren Schleier und presste die Lippen auf ihre.

Trotz ihres Schmerzes und ihrer Verwirrung sandte die Berührung eine Woge der Hitze durch ihren Körper. Ihr Verlangen nach diesem Mann beängstigte sie. Sie wollte ihm gegenüber nicht verletzlich sein. Sie musste stark sein.

Als Khalil den Kopf hob, johlte die Menge um sie her. Er grinste, als er den Schleier wieder befestigte. „Jetzt bist du offiziell meine Ehefrau, kleine Wüstenrose. Was sagst du dazu?“

Verzweifelt suchte sie in seinem Gesicht nach einem Anzeichen, dass er glücklich war. Aber sie kannte ihn nicht gut genug, um seinen Ausdruck deuten zu können. „Khalil?“

Bevor er antworten konnte, wurden sie in einen großen Saal mit unzähligen Tischen geführt und in die Mitte der längsten Tafel gesetzt. Ein Festmahl lag vor ihnen, aber beim Gedanken an Essen drehte sich Dora der Magen um.

Sie versuchte, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Der Raum war wunderschön. Antike Gobelins hingen von der hohen, gewölbten Decke. Offene Fenster und Türen führten auf Balkone, die auf das Meer hinausblickten. Tropische Blumen standen in den Ecken und auf den Tischen. All das fiel ihr ins Auge, fesselte aber nicht ihre Aufmerksamkeit.

Gespräche und Gelächter füllten den Raum, aber sie vermochte nicht teilzunehmen. Die wilde Musik ließ ihren Kopf pochen. Sie ignorierte das Essen, das Khalil ihr auf den Teller legte, und nippte kaum an ihrem Wein.

„Du bist sehr still“, bemerkte er. „Hat dich die Zeremonie enttäuscht?“

Sie räusperte sich. „Keineswegs. Ich habe Kopfschmerzen.“

„Ich hoffe, dass es bald besser wird. Ich habe meine Wüstenkatze sehr vermisst.“ Er schob eine Hand zwischen ihre Schenkel. „Es ist zu lange her.“

Sie starrte ihn an und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Leider war es ihr unmöglich zu denken, während seine Finger jenen magischen Punkt liebkosten. Schauer durchliefen sie, und ihre Brüste schwollen. Sie wollte die Beine spreizen, damit er sie wieder und wieder berühren konnte, bis sie Erlösung fand. Sie ahnte, dass er immer sexuelle Macht über sie besitzen würde, selbst wenn er sie in jeder Hinsicht belogen hatte. Die Situation war unerträglich.

Mühsam überstand sie den Rest der Mahlzeit. Sie bemühte sich zu lächeln und vorzutäuschen, dass alles in Ordnung war. Als das Dessert serviert wurde, beugte Khalil sich zu ihr. „Jeder wird Verständnis haben, wenn wir jetzt entfliehen. Rihana hat deine Tasche für die Nacht gepackt.“

Sie blinzelte. „Welche Tasche? Für welche Nacht?“

Er lächelte. „Du hast doch zwei Wochen im Harem verbracht. Hat meine Großmutter dir nichts von der traditionellen Hochzeitsnacht erzählt?“

Stumm schüttelte sie den Kopf.

„Aha. Dann nehme ich an, dass du die Überraschung genießen wirst. Ich weiß, dass ich es genießen werde, sie mit dir zu teilen.“

Als er sich erhob, gerieten sie sofort in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

„Ihr schleicht euch schon so schnell davon?“, rief Malik von seinem Platz am entfernten Ende des Tisches aus. „Na ja, mein kleiner Bruder war schon immer ungeduldig.“

Khalil winkte ab. „Wir haben einen weiten Weg. Es ist spät.“

„Du musst so weit gehen, damit sie dir nicht weglaufen kann“, scherzte Jamal, und alle lachten laut.

Khalil ignorierte diese Bemerkung und die anderen, die folgten. Er nahm Dora bei der Hand und ging zur Tür. Aber Dutzende von Menschen hielten sie auf, um ihnen zu gratulieren.

Dann, gerade als sie auf den Korridor treten wollten, tauchte Amber auf. Dora spürte Khalil erstarren. Offensichtlich hegte er starke Gefühle für diese Frau.

Amber, so wunderschön wie die vollkommenste Statue, die je erschaffen worden war, blickte stumm zu ihm auf. Tränen hingen an ihren Wimpern, fielen aber nicht. Ihre Lippen zitterten. „Khalil“, wisperte sie. „Ich liebe dich.“

Auf Dora wirkte dieses Geständnis wie ein Messerstich ins Herz. Sie musste sich zwingen, stumm zu bleiben, nicht laut zu schreien. Warum hatte sie sich zum zweiten Mal in ihrem Leben zum Narren gemacht?

Er drängte sich an Amber vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Wenige Minuten später saßen sie in einem Jeep und fuhren davon. „Entspanne dich. Wir fahren gar nicht so weit. Die Tradition verlangt eigentlich, dass wir zu unserem Ziel reiten, aber ich dachte, dass dir danach nicht zumute ist.“

„Reiten?“

Er grinste sie an. „Auf Pferden.“

„Wohin fahren wir denn?“

„Du wirst schon sehen.“ Khalil nahm sich den traditionellen Kopfschmuck ab und warf ihn auf den Rücksitz. Er trug immer noch die Roben, die nur ein wenig dunkler waren als ihre. Sie betonten seine Größe und Kraft und gaben ihr das Gefühl, verletzlich und töricht zu sein.

Dora blickte sich um und versuchte, Interesse an ihre Umgebung aufzubringen. Die ungezähmte weite Wüste wies eine eigenwillige, wilde Schönheit auf. In weniger als zehn Minuten hatten sie die Stadt und den Palast hinter sich gelassen und schienen im Umkreis von Meilen die einzigen Menschen zu sein.

Sie erreichten den Gipfel eines Hügels. Dahinter lag ein flaches Tal mit einer Oase in der Mitte. Bisher kannte Dora diese überraschend grünen Inseln des Lebens inmitten des Nichts nur aus Filmen. Schlanke Palmen bildeten einen Halbkreis um einen tiefblauen Teich. Üppige Pflanzen und Büsche wucherten ringsumher.

„Ihr Palast für die Nacht, Mylady“, sagte Khalil scherzend und deutete auf ein großes sandfarbenes Zelt.

Als sie näher kamen, erblickte sie mehrere Jeeps und bewaffnete Männer. „Wer sind die?“, fragte sie steif.

„Bedauerliche Mahnungen der Realität. Seit Generationen verbringen die Brautleute meiner Familie traditionsgemäß ihre erste Nacht in der Wüste. Die Zeiten haben sich jedoch geändert, und daher haben wir ein paar Wachtposten bei uns.“ Er drückte ihr beruhigend die Hand. „Keine Sorge. Sie werden sich im Hintergrund halten und unsere Privatsphäre nicht stören.“

Ein Zelt in der Wüste? Wächter? Wo sollte dieser Wahnsinn enden? Was hatte sie sich dabei gedacht, seinen Heiratsantrag anzunehmen? Offensichtlich hatte sie gar nicht gedacht. Das war ihr Problem. Sie hatte unbedingt an ihn glauben wollen und daher das Offensichtliche ignoriert – dass eine Frau wie sie nicht für einen Mann wie ihn geschaffen war.

Khalil parkte neben dem Zelt, ging um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür. Sie stieg aus, weil ihr nichts zu sagen einfiel und es das Einfachste war, mit ihm zu gehen.

Einer der Wächter trat herbei und schlug den Eingang des Zeltes zurück. Seine Miene wirkte verschlossen und abschreckend. Als sie eingetreten waren, schloss er den Eingang.

„Machen sie dich nicht nervös?“, fragte Dora.

„Im Gegenteil. Ich fühle mich sehr sicher durch sie.“

Vermutlich hatte er recht. Sie blickte sich um und verlor sich einen Moment lang in dem Zauber, der am Rande der kleinen Oase erschaffen worden war. In dem Zelt befand sich ein kleineres Innenzelt. Sie trat ein und fand sich in einem weiß-goldenen Wunderland aus flauschigen Teppichen, Wandbehängen und unzähligen tiefroten Kissen wieder. In einer Ecke stand ein Bett auf einer Empore, mit einladend zurückgeschlagener Decke und strahlend weißen Laken. Zur Rechten befand sich ein reich gedeckter Tisch. Champagner kühlte in einem Eisbehälter.

Hätte sie nicht mit eigenen Augen das Zelt gesehen, hätte sie schwören können, dass sie sich in einem luxuriösen Haus mitten in einer exotischen Stadt befanden. „Es ist sehr schön.“

„Wir verstehen es, stilvoll zu reisen“, entgegnete Khalil leichthin. „Das haben wir vor über tausend Jahren gelernt.“ Er trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern.

Sie wollte keine Reaktion zeigen, doch es war ihr unmöglich. Schon zuckte sie zusammen, und dann wirbelte sie zu ihm herum. „Fass mich nicht an!“

Überrascht wich er zurück. „Was ist denn los?“ Seine dunklen Augen forschten in ihrem Gesicht. „Da steckt mehr dahinter als die Nervosität einer Braut. Irgendetwas ist passiert.“

„Wie scharfsinnig“, sagte sie sarkastisch. „Was war dein erster Anhaltspunkt?“

Er runzelte die Stirn. „Was hast du denn, Dora? Warum benimmst du dich so? Es liegt nicht in deiner Natur, bockig zu sein. Du bist normalerweise so vernünftig.“

Sie starrte den Mann an, an den sie gebunden war durch zwei sehr unterschiedliche Zeremonien, zwischen denen fast eine halbe Welt lag. „Du kennst mich überhaupt nicht“, sagte sie sanft. „Aber das ist nur fair. Denn ich kenne dich auch nicht.“

Er gestikulierte ungehalten. In seiner traditionellen Robe wirkte er durch und durch wie der Prinz eines Wüstenkönigreiches, der sie niemals freiwillig zur Ehefrau genommen hätte. „Du hast die Frage nicht beantwortet. Was ist los?“

„Amber hat mich besucht. Heute, kurz vor der Trauung.“

Seine Miene änderte sich keinen Deut. Ebenso gut hätte sie über das Wetter reden können. „Ihr ist nicht zu trauen. Ignoriere alles, was sie gesagt hat.“

„So leicht ist das nicht. Willst du nicht wissen, was sie zu mir gesagt hat?“

„Eigentlich nicht.“

Sie wollte lachen, aber sie war zu verletzt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Ich wünschte, ich könnte es vergessen, aber ich kann nicht. Die Worte haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt.“ Sie holte tief Luft. „Sie hat gesagt, dass du Streit mit ihr hattest, während du in New York warst. Dass du nur aus diesem Grund zu mir gekommen bist. Dass du mit mir intim geworden bist, um ihr eins auszuwischen. Dass es nie um mich ging.“

Verzweifelt hoffte sie, dass er zornig auf Amber wurde als Anzeichen dafür, dass die Behauptungen erlogen waren. Sie sehnte sich nach freundlichen Worten und sanften Liebkosungen.

Stattdessen wandte Khalil sich ab. „Ich verstehe.“

Schweigen folgte. Sie fröstelte. Schließlich sprudelte sie hervor: „Sie hat gesagt, es hätte dich schockiert, dass ich noch Jungfrau war. Schockiert und entsetzt.“ Hastig blinzelte sie die Tränen fort, die in ihren Augen brannten. „Sie hat gesagt, dass du mir nur aus Pflichtgefühl den Heiratsantrag gemacht und nicht erwartet hättest, dass ich Ja sage. Sie hat gesagt, dass du dich von mir scheiden lassen willst, damit du sie heiraten kannst.“

„Genug!“, knurrte er. „Sie hat dir Lügen erzählt. Alles Lügen. Wir werden nicht wieder davon sprechen.“

Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihr jemals so kalt gewesen war. Die Tränen fielen. „Das reicht nicht. Ich will die Wahrheit wissen.“

„Warum?“ Er drehte sich zu ihr um und blickte sie verärgert an. „Was wird es ändern? Du bist meine Frau, und du wirst meine Frau bleiben.“

Niedergeschlagen sank Dora auf ein Sitzkissen. „Sie hat gesagt, dass du bei ihr warst. Dass du dich in all den Nächten, während ich im Harem war, in das Haus ihres Vaters geschlichen und sie genommen hast. Deswegen bist du nicht zu mir gekommen.“

Er stürmte zu ihr, baute sich vor ihr auf. „Ich bin nicht zu dir gekommen, weil ich die Wünsche meines Vaters und meiner Großmutter respektiere. Der Harem ist ein Heiligtum. Kein Mann darf ihn betreten. Ich habe mein ganzes Leben im Palast gewohnt und nicht einen Fuß hinter diese goldene Tür gesetzt.“ Er stemmte die Hände in die Hüften. „Ich dachte, du wärst anders. Ich dachte, du könntest das alles logisch sehen, aber offensichtlich ist das unmöglich.“

Dora hörte seine Worte kaum. Zu viele Lügen waren mit zu wenig Wahrheit verflochten. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und versuchte, den Tränenfluss zu stoppen. Sie musste gehen. Sie musste zurück nach … nach … wohin? Sie hatte kein eigenes Leben mehr. „Ich möchte es nur wissen“, flüsterte sie.

Khalil seufzte. „Also gut. Ich werde dir die Wahrheit sagen.“ Er beugte sich hinab, legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, zu ihm aufzuschauen. „Ich werde dir alles erzählen, und dann werden wir es hinter uns lassen können. Wir werden unsere Ehe mit einer reinen Weste beginnen.“

Er ließ ihr Gesicht los und begann, im Zelt auf und ab zu wandern. „Amber und ich waren seit unserer Kindheit miteinander verlobt. Es war der Wunsch unserer beider Väter. Wir haben in New York wirklich gestritten, weil ich ihr gesagt habe, dass ich sie nicht heiraten will.“

Dora hob den Kopf und wischte sich die Tränen fort. „Wie bitte?“

„Ich wollte sie nicht heiraten. Amber ist nicht …“ Er zögerte. „Sie wäre keine gute Frau oder Mutter. Aber ich wusste nicht, wie ich die Verlobung lösen sollte, ohne einen Skandal hervorzurufen. Dann hörte ich dich mit Gerald telefonieren und dachte mir, du könntest ein guter Ausweg aus meinem Dilemma sein. Du bist intelligent und ausgeglichen und kannst lernen, die Verpflichtungen zu erfüllen und eine gute Mutter zu sein. Du warst außerdem eine Jungfrau. Ich brauchte eine Frau, und du warst eine sehr angemessene Kandidatin.“

Sie wünschte, sich an einen anderen Ort oder sogar in eine andere Zeit versetzen zu können. „Es war also gelogen, dass du mich von Anfang an begehrt hast.“ Das Sprechen fiel ihr schwer, doch sie zwang sich fortzufahren. Sie musste die Wahrheit aussprechen. „Du hast gelogen, als du mir gesagt hast, dass du mich nicht in New York zurücklassen könntest. Du hast mir das Gefühl gegeben, wichtig und etwas Besonderes zu sein, aber es war alles gelogen.“

Khalil blieb vor ihr stehen. „Die Vergangenheit ist beendet, und es hat keinen Sinn, darüber zu reden. Ja, ich habe die Wahrheit etwas verdreht, damit du dich besser fühlst. Bis zu der Nacht habe ich in dir nichts anderes als eine tüchtige Arbeitskraft gesehen. Damals habe ich keine besonderen Empfindungen für dich gehegt, aber jetzt bist du meine Ehefrau. Ich glaube, wir haben eine Chance, diese Vereinigung erfolgreich zu gestalten.“

„Erfolgreich? Bist du verrückt?“, entgegnete sie und sprang auf.

„Keineswegs. Ich habe Schwüre abgelegt, und ich beabsichtige, sie zu ehren.“

„Aber das alles ist nicht real. Du hast in jeder Beziehung gelogen.“

„Du bauschst die Sache zu sehr auf.“

„Und du nimmst sie zu leicht. Du hast mit mir gespielt. Du hast mich dazu gebracht, dir zu glauben.“

Sein Mund verzog sich. „Du wolltest mir glauben. Du wolltest verzweifelt glauben, dass ein Märchenprinz gekommen sei, um dich aus deinem traurigen kleinen Leben zu entführen. Du hast dich selbst genauso belogen wie ich dich.“

Finster starrte sie ihn an. „Aber ich habe dich nie belogen. Du kannst dein eigenes Verhalten nicht entschuldigen, indem du mit dem Finger auf mich zeigst.“

„Und als du mir gesagt hast, dass du mich liebst? Du kennst mich nicht mal.“

„Ich habe dir nie gesagt, dass ich dich liebe.“

Unbehaglich wandte er sich ab. Stille trat ein, lastete auf ihnen. „Was willst du von mir?“, fragte er schließlich. „Also gut, ich habe gelogen. Ich habe dich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen überredet, mich zu heiraten. Jetzt werden wir das Beste daraus machen. Wir fangen von vorn an.“ Er griff nach ihr. „Dora, einiges von dem, was ich gesagt habe, ist wahr. Ich glaube wirklich, dass du mir eine gute Frau und meinen Söhnen eine gute Mutter sein wirst. Dein Körper ist perfekt gebaut, damit meine Söhne gesund in dir wachsen können.“

Empört rang sie nach Atem. „Ich will nicht mit dir verheiratet sein. Ich will nach Hause.“

„Wo ist zu Hause? Bei Gerald?“

Sie zuckte zusammen. „Überall, nur nicht hier. Ich werde nicht bleiben.“

„Du hast keine andere Wahl.“ Er trat näher und griff nach ihr.

Trotz ihres Bestrebens, ihm standzuhalten, wich sie hastig zurück. Denn sie wusste, dass sie verloren war, wenn er ihren Körper berührte. „Lass das“, verlangte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Doch er ließ ihr keine Zeit, sondern näherte sich ihr. Sie wich zurück. Er hatte sie auserwählt, weil sie eine dienliche Jungfrau war. Das war kaum eine Basis für eine erfolgreiche Ehe. Doch noch schmerzlicher war, dass sie sich selbst zum Narren hatte halten lassen – erneut.

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Dora.“

Impulsiv lief sie aus dem Zelt. Dann wurde ihr bewusst, dass sie sich mitten in der Wüste befand und nicht wusste, wohin sie sich wenden sollte. Sie wusste nicht, wo ihr Zuhause war. El Bahar? Natürlich nicht. Los Angeles? Nicht mehr. Wohin sollte sie gehen?

Khalil nahm sie am Arm und zog sie wieder in das Zelt. „Laufe ja nicht wieder vor mir davon“, knurrte er.

„Oder was? Lässt du mich einsperren oder auspeitschen? Du scheinst ein sehr geübter Tyrann zu sein.“

Seine dunklen Augen sprühten Funken. „Ich habe dich nie tyrannisiert.“

„Du hast mich benutzt.“

„Du hast dich benutzen lassen. Du hast mich in deinem Bett willkommen geheißen.“

Sie schluckte schwer. „Bilde dir bloß nicht ein, dass es noch mal passieren wird. Ich will die Scheidung. Ich will dich und dieses Land verlassen.“

Er beugte sich so nahe zu ihr, dass sein Gesicht beinahe ihres berührte. „Niemals.“

„Ich lasse mich nicht von dir vernichten.“

Er lachte auf. „Vernichten? Was denn?“, spottete er. „Du bist auf einem Flughafen herumgeirrt, als ich dich fand. Dein Verlobter hatte dich sitzen lassen, du hattest keine Arbeit und kein Geld. Ich habe dich gerettet. Ich habe dich geheiratet und in mein Land gebracht, wo du ein Leben führen kannst, wie du es dir nie erträumt hättest. Hier hast du Reichtum und Macht und einen Titel. Du bist ein geehrtes Mitglied der Familie Khan. Vergiss das nicht. Du bist meine Ehefrau, und du wirst mir viele Söhne gebären.“

„Ich wäre lieber mit einem armseligen Farmer verheiratet als mit dir, und ich werde nie deine Kinder kriegen, weil ich mich niemals von dir anfassen lasse. Ich will die Scheidung.“

„Niemals. Du gehörst mir.“

„Ich bin kein Besitztum.“

„Du bist meine Ehefrau. Mach nicht den Fehler, mich herauszufordern, denn ich gewinne immer.“

„Nicht dieses Mal. Nicht gegen mich.“

„Da irrst du dich gewaltig.“ Er nahm sie am Arm, bevor sie ihm entwischen konnte, und zog sie an sich.

Zorn, Schmerz, Traurigkeit, Einsamkeit, Enttäuschung raubten ihr die Kraft und den Willen zu kämpfen.

„Ich will dich“, flüsterte er wenige Zentimeter von ihrem Mund entfernt. „Ich werde dich bekommen.“

„Du wirst mich zwingen müssen, denn ich werde es nicht freiwillig tun.“

Seine Augen funkelten. „Habe ich dich nicht gerade davor gewarnt, mich herauszufordern?“

Dann küsste er sie. Nicht sanft und verführerisch wie bei ihrem ersten Liebesspiel, sondern stürmisch und fordernd.

Sie stemmte sich gegen seine Schultern, versuchte ihn fortzustoßen. Doch gleichzeitig spürte sie Verlangen in sich aufsteigen, das ihre innere Kälte vertrieb und ihr die Willenskraft raubte. Sie wollte widerstehen, wollte stark sein und redete sich ein, dass sie ihn hasste, weil er sie benutzt hatte und …

„Du bist meine Ehefrau, kleine Wüstenkatze. Ich werde dich immer beschützen.“

Vielleicht glaubte er wirklich, sie beschützen zu können. Und er sollte niemals merken, dass niemand anderer als er die größte Bedrohung für sie darstellte.

10. KAPITEL

„Wehr dich nicht“, flüsterte Khalil, während er die winzigen Schleifen öffnete und ihr die Robe von den Schultern schob. Der schwere Seidenstoff fiel zu Boden. Darunter trug sie ein Spitzenkleid und ein seidenes Hemd. Die traditionelle Tracht gestattete keinen BH und keinen Slip, und sie fühlte sich sehr verletzlich.

Er streichelte ihre Wange. „Dora, gib nach“, drängte er. „Warum willst du diesen Kampf gewinnen? Inwiefern wäre es ein Sieg?“

„Ich würde meine Würde behalten.“

„Und ein kaltes Bett. Willst du das wirklich?“

Sie wollte eine richtige Ehe mit einem Mann, der sie zumindest respektierte und mochte, und mit der Hoffnung, dass sich die Liebe vielleicht einstellen würde. „Ich will dich nicht.“

Mit einer Fingerspitze berührte er die harte Knospe. „Dein Körper sagt etwas anderes.“

Sie erschauerte unwillkürlich. „Das bedeutet gar nichts. Es ist so, als wenn der Arzt dir auf das Knie hämmert und das Bein zuckt. Mein Körper mag auf dich reagieren, aber mein Herz und meine Seele sind völlig unbeteiligt.“

Nachdenklich musterte er sie. „Eine sehr hübsche Rede. Wollen wir deine Theorie testen?“ Er nahm ihre Hand in seine, schob den langen, weiten Ärmel hoch und streichelte die empfindsame Innenfläche von ihrem Handgelenk bis hinauf zum Ellbogen. „Du behauptest also, dass es dich innerlich kalt lässt, wenn ich dich so berühre?“

„Ja“, beharrte sie und ignorierte das Zittern, das in ihr erwachte.

Er drehte ihre Hand um und zeichnete die feinen Linien aus Henna nach. „Weißt du, dass hier irgendwo in dem Muster mein Name verborgen ist?“

Sie blinzelte. Es fiel ihr schwer, sich auf seine Worte zu konzentrieren, wenn er sie berührte. „Dein Name?“

„Ja. Die Tradition verlangt es so.“ Er blickte sie verlangend an. „Wo ist mein Name, Dora?“

„Ich weiß es nicht“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Ich habe Rihana nicht zugeschaut, als sie mich bemalt hat.“

„Dann muss ich also weitersuchen. Wie schade, dass nur deine Hände und Füße bemalt sind.“

Sehr schade, dachte sie benommen. Die Vorstellung, dass seine Finger und vielleicht sogar seine Zunge ihren ganzen Körper erforschten, ließ ihre Knie weich werden.

Er führte sie zum Bett, streifte ihr das Spitzenkleid ab, sodass sie nur noch das Seidenhemdchen trug. Sie erschauerte, aber nicht vor Kälte. In seiner Tracht, mit seinen leidenschaftlich blitzenden Augen, war Khalil ein dunkler, geheimnisvoller Fremder, in dessen Gewalt sie sich befand. Sie wusste weder, was sie für ihn empfand, noch warum er sie geheiratet hatte. Sie wusste allerdings, dass sie sich für ihre Schwäche hassen würde, aber sie begehrte ihn mit überwältigender Stärke.

Er drückte sie hinab auf das Bett, setzte sich neben sie und nahm ihre linke Hand. Er studierte das rötlichbraune Muster aus Henna, das exotisch auf ihrer blassen Haut wirkte und in Erinnerung rief, wie fehl am Platze sie in diesem fremden Land war.

Mit den Fingerspitzen strich er über ihre Haut. „Ich sehe meinen Namen nicht“, murmelte er, bevor er ihre Hand an die Lippen zog und mit der Zunge streichelte.

Sie wollte aufstöhnen und sich an ihn schmiegen. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und ertrug schweigend die aufreizende Tortur.

Während er die Lippen an ihrem Arm hinaufgleiten ließ, sprach er von seinem Namen und ihrem, von der Zukunft und davon, dass sie zu ihm gehörte. Sie hörte nicht richtig zu. Sie hatten keine Zukunft, sie gehörte nicht zu ihm, und in diesem Augenblick interessierte sie nichts anderes als seine Liebkosungen.

Er drückte sie hinab auf die Kissen und beugte sich über sie. „Dora“, flüsterte er leidenschaftlich.

Nur flüchtig dachte sie daran, sich zu wehren. Es war zu spät für Stolz. Sie war bereit für ihn.

Sie wartete auf seinen Kuss, doch er senkte den Mund auf ihre Brust und saugte an der Knospe. Sie trug immer noch das Seidenhemd. Als er den Kopf hob, sah sie, dass der dünne Stoff feucht und transparent geworden war. Aufreizend streichelte er die harte Knospe. Seine Liebkosungen zu beobachten und zu spüren, war mehr, als sie ertragen konnte. Sie richtete sich halb auf und zog seinen Kopf zu sich hinab.

Mit stürmischer Leidenschaft küssten sie sich. Sie brauchte ihn ganz, wollte ihn auf sich, in sich spüren. Sie zerrte an seinen Kleidern. Hastig streifte er sich die Robe und das Hemd ab. Sie stöhnte protestierend, als er das Bett verließ, um sich die Hose auszuziehen.

Doch dann stand er vor ihr, nackt und unglaublich wundervoll. Verlangend betrachtete sie seinen muskulösen, erregten Körper.

„Sag es mir“, verlangte er. „Sprich die Worte aus. Sag mir, dass du mich begehrst.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht.“

Er trat näher, sodass sie die Hand nach ihm ausstrecken und ihn streicheln konnte. Sein Blick hielt ihren gefangen. Nur das Zucken eines Muskels an seinem Kiefer verriet, dass ihre Liebkosungen ihn erregten.

„Sag es mir“, verlangte er erneut, während er zwischen ihre Beine glitt. „Sag mir, dass du mich willst.“

Stumm schüttelte sie den Kopf. Als er ihr Hemd hochschob und die Innenseite ihrer Schenkel küsste, schloss sie die Augen. Unwillkürlich spreizte sie die Beine, und dann spürte sie die warme Liebkosung seiner Lippen und Zunge.

Ungewollt bewegte sie die Hüften im Rhythmus seiner Liebkosungen. Ihr Atem beschleunigte sich, ihr Körper spannte sich. Die Kälte war längst von ihr gewichen, ebenso wie der Zorn und der Schmerz. Sie spürte nur noch Verlangen.

Er bewegte sich schneller, brachte sie dem Höhepunkt nahe, verlangsamte dann das Tempo. Ihr Verlangen wuchs. Sie stemmte die Füße gegen die Matratze, hob die Hüften, stöhnte seinen Namen.

Mit einer raschen Bewegung setzte er sich zurück auf die Fersen und zog sie mit sich hoch. Fassungslos starrte sie ihn an. Wie hatte er so abrupt aufhören können? Die Begierde in ihr wuchs. Verzweifelt griff sie nach ihm, wollte ihn an sich ziehen.

Doch er widersetzte sich, zog ihr das Hemd über den Kopf und betrachtete entzückt ihre nackten Brüste. „Wundervoll“, murmelte er, beugte sich vor und nahm eine Knospe in den Mund.

Immer mehr näherte sie sich dem Gipfel, während er an der Knospe saugte und mit beiden Händen ihren Rücken streichelte. „Khalil, bitte.“

Er hob den Kopf. Das dunkle Haar fiel ihm in die Stirn. Ungezügeltes Verlangen schärfte seine Züge und kündete davon, dass seine Vorfahren wild und furchtlos regiert hatten. Glaubte sie wirklich, sich ihm widersetzen zu können?

Er schob eine Hand zwischen ihre Körper, rieb den Punkt des Entzückens, bis sie wimmerte, hörte aber auf, bevor sie den Höhepunkt erreichte. „Sag es mir.“

„Ich kann nicht.“

„Aber du willst mich.“

Sie zog seinen Kopf hinab und küsste ihn. Mit ihrem Körper sagte sie ihm, dass sie ihn begehrte, aber sie weigerte sich, es auszusprechen.

„Dein Wille ist nicht stärker als meiner“, murrte er, während er sie noch intensiver und aufreizender liebkoste.

„Doch.“

„Nein.“ Er richtete sich auf und drang in sie ein. Sie schrie entzückt auf, und er griff zwischen ihre Schenkel und berührte jenen winzigen Punkt.

Khalil spürte die ersten Zuckungen ihres Körpers. Vergeblich versuchte er, sich zurückzuhalten. In seinem Bestreben, sie zu unterwerfen, war auch seine Erregung zu sehr gewachsen. Er wollte sich zurückzuziehen, aber es war zu spät. Im Wirbelsturm ihrer Gefühle wurde auch er mitgerissen. Sie schlang die Arme um ihn, klammerte sich an ihn, und sie erschauerten gemeinsam.

Als sein Atem sich wieder beruhigt hatte, stützte er sich auf die Ellbogen und blickte sie an. Mit geschlossenen Augen und fest zusammengepressten Lippen lag sie da. Tränen rannen über ihre Schläfen in ihre Haare.

„Dora?“

„Geh weg. Du hast gewonnen.“

„Wir haben beide gewonnen“, entgegnete er, obwohl sie streng genommen die Siegerin war. Er hatte sie nicht dazu bringen können, die Worte auszusprechen.

Sie stemmte sich gegen seine Schultern, bis er von ihr hinabglitt. „Gibt es hier ein Bad?“

Er deutete zu mehreren Hängeteppichen am anderen Ende des Zeltes. „Da drinnen. Wir haben fließendes Wasser, aber nicht sehr viel. Also sei sparsam.“

Sie nickte stumm, griff nach ihrem Hemd und bedeckte sich, bevor sie das Bett verließ und das Zelt durchquerte.

Als sie zurückkehrte, hatte Khalil die Kissen aufgeschüttelt und war unter die Decke geschlüpft. Sie legte sich neben ihn, kuschelte sich aber nicht an ihn, sondern hielt so viel Abstand wie nur möglich und drehte ihm den Rücken zu.

„Du benimmst dich kindisch“, schalt er.

„Lass mich in Ruhe. Du hast bekommen, was du wolltest. Alles andere kann dir doch egal sein.“

Er starrte sie noch einen Moment an, ließ sich dann auf den Rücken fallen. Eigentlich hatte sie recht. Doch er sehnte sich danach, sie in den Armen zu halten.

Im Laufe der Nacht schien die Distanz zwischen ihnen zu wachsen, bis er das Gefühl hegte, in einem anderen Land zu sein. Einmal, als sie fest eingeschlafen war, rückte er zu ihr und legte einen Arm um sie. Doch selbst im Schlaf schüttelte sie ihn ab, und er kehrte auf seine Seite zurück.

Eine innere Kälte breitete sich aus. Er hatte das Gefühl, überstürzt gehandelt und einen unkorrigierbaren Fehler begangen zu haben. Unwillkürlich berührte er die schmale Narbe auf seiner Wange. Die Geschichte wiederholt sich nicht, dachte er grimmig. Die Situation war eine ganz andere. Dennoch grübelte er bis spät in die Nacht.

Dora erwachte in Khalils Armen. Als sie die Augen öffnete, erkannte sie, dass sie irgendwann in der Nacht zu ihm gerückt war. Sie versteifte sich und wollte zurückweichen, doch er verstärkte den Griff um ihre Taille.

„Guten Morgen“, murmelte er leise.

Sie hasste es, dass allein der Klang seiner Stimme einen Schauer durch ihren Körper jagte und den Drang erweckte, sich an ihn zu schmiegen.

Ein Lächeln spielte um seine Lippen. „Du widersetzt dich und du begehrst gleichermaßen, meine Wüstenkatze. Welcher Teil von dir wird gewinnen?“ Während er sprach, schob er ein Bein zwischen ihre Schenkel und presste das Knie an ihr Zentrum.

Augenblicklich erwachte ein heftiges Verlangen. Es erforderte all ihre Willenskraft, standhaft zu bleiben. „Ich werde mich dir niemals freiwillig hingeben“, schwor sie. „Du magst meinen Körper zu einer Reaktion bringen, aber du wirst niemals mein Herz erreichen.“

„Habe ich dich nicht davor gewarnt, mich herauszufordern? Du kannst nur besiegt werden.“ Er küsste ihre Stirn. „Auf höchst entzückende Weise natürlich. Außerdem macht die Jagd einen Teil des Reizes aus.“

Verzweiflung stieg in ihr auf. Wie hatte sie sich in eine derartige Lage bringen können? Ungeachtet dessen, dass er ihr wehgetan, sie belogen und benutzt hatte, sehnte sich jede Zelle ihres Körpers nach ihm.

„Du wirst mir gehören“, fuhr er zuversichtlich fort.

„Niemals. Ich werde mich immer von dir abwenden.“

„Und ich werde dich Nacht für Nacht verführen.“ Er lachte. „Wenn du mich bestrafen willst, musst du einen anderen Weg suchen. Mit der Zeit wirst du lernen, mich wie eine gehorsame Ehefrau zu lieben.“

Innerlich fühlte sie sich wieder kalt und leer, wie am vergangenen Abend. Sie wusste, dass er Wort halten und sie verführen würde, so oft es ihm beliebte, und dass sie sich fügen würde. „Ich werde dich niemals lieben“, schwor sie.

„Das sagst du jetzt. Aber ich frage mich, ob du dich nicht schon ein wenig in mich verliebt hast. Bin ich dein Traummann, meine Wüstenkatze?“

Sie riss sich von ihm los und sprang aus dem Bett. Als sie ihn finster anstarrte, lächelte er nur und schlug die Decke zurück, sodass sie seine Erregung sehen konnte.

Sie drehte ihm den Rücken zu und rang um Beherrschung. Sie musste lernen, sich vor ihm zu schützen. Sie musste stark sein. Denn er hatte recht. In gewisser Weise war er der Mann, den sie sich erträumt hatte – der intelligente Geschäftsmann, für den sie in New York gearbeitet hatte, der charmante Liebhaber, der sie in jener ersten Nacht verführt hatte. Nicht aber der egoistische Prinz von El Bahar, der sich ihr aufdrängte.

Erst als sie sich vollständig bekleidet hatte, drehte sie sich zu ihm um und sagte ruhig: „Ich werde dich niemals mögen oder respektieren. Wenn du darauf bestehst, mich hierzubehalten, wirst du dich damit zufrieden geben müssen, dass ich meine Pflicht erfülle.“

„Eine pflichtgetreue Ehefrau bei Tag und eine Wildkatze bei Nacht. Du, meine Liebe, bist meine Traumfrau.“

Tränen brannten in ihren Augen. „Wie schön für dich, Khalil. Du bist für mich nicht mehr als ein Albtraum, aus dem ich zu erwachen hoffe.“

Sie musterte ihn forschend, doch nicht einmal ein Wimpernzucken verriet seine Gedanken. Dann wandte sie sich ab, weil sie entschlossen war, ihn niemals wieder ihre Tränen sehen zu lassen.

11. KAPITEL

Die Rückfahrt zum Palast verlief in angespanntem Schweigen. Während Dora stur geradeaus starrte, warf Khalil ihr verstohlene Seitenblicke zu. Weshalb war sie so aufgebracht? Er mochte sie am Anfang hinsichtlich seiner Gefühle irregeführt haben, aber was zählte das noch? Er hatte sie geheiratet und beabsichtigte, sie mit Respekt und Rücksicht zu behandeln. Die Eheschließung ermöglichte ihr ein Leben in Wohlstand und voller Privilegien. Mit der Zeit musste sie doch einsehen, dass es nur von Vorteil für sie war.

Oder nicht? Dora war wesentlich intelligenter und selbstständiger als die Frauen, die er vor ihr kennen gelernt hatte. Sie gestattete es nicht, manipuliert zu werden, und während er sie dafür respektierte, verdross es ihn auch.

Als sie sich dem Palast näherten, warf er ihr erneut einen Blick zu. Sie war nicht schön wie Amber oder andere Frauen, mit denen er verkehrt hatte, aber sie besaß einen eigenen Liebreiz. Ihm gefiel, wie ihre Augen funkelten, wenn sie zornig war, und wie ihr Mund sie verriet, wenn sie nicht zu lächeln versuchte. Er unterhielt sich gern mit ihr, fand Gefallen an ihren Worten wie an ihrer wohlklingenden Stimme. Außerdem gefiel es ihm, mit ihr zu schlafen. Sie mochte nicht seine erste Wahl gewesen sein, aber sie verkörperte alles, was ein Mann sich von einer Ehefrau wünschen konnte.

Als er anhielt, stieg Dora unverzüglich aus und ging zum Eingang des Palastes.

Verblüfft starrte Khalil ihr nach. Wie konnte sie es wagen, ihn stehen zu lassen, so als wäre er nichts weiter als ein Chauffeur? „Dora!“, rief er und eilte ihr nach. „Dora, was soll das? Wohin gehst du?“

Sie blieb stehen und blickte über die Schulter zurück. „Ich dachte, das wäre offensichtlich. Ich gehe in meine Räume.“

Im Foyer holte er sie ein. Der plätschernde Springbrunnen bot einen idyllischen Hintergrund. Er berührte ihre Wange. „Du wohnst nicht mehr im Harem, meine kleine Wüstenkatze. Du wohnst mit mir zusammen.“

Ihre Augen blitzten. Er spürte förmlich ihren Zorn erwachen und unterdrückte ein Grinsen. Sie würden streiten und sich versöhnen, und er freute sich auf beides gleichermaßen.

Rihana tauchte aus den Schatten auf und verbeugte sich tief. „Willkommen.“ Sie lächelte Dora schüchtern an. „Ich habe Ihre Sachen in die Räume Ihres Gatten gebracht. Darf ich Ihnen den Weg zeigen?“

„Nein“, entgegnete Dora entschieden. „Bitte bring meine Sachen in die Gästesuite, in der ich bei meiner Ankunft im Palast untergebracht wurde.“

Khalil runzelte die Stirn. „Dora, das ist lächerlich. Was soll das Spielchen? Du bist meine Ehefrau.“

Sie blickte ihn kühl an. „Ja, das bin ich allerdings. Das macht mich zu einer Prinzessin. Als solche ist es mir vermutlich gestattet, der Dienerschaft Anweisungen zu geben, und ich kann erwarten, dass meine Anweisungen befolgt werden. Ist das korrekt?“

Er biss die Zähne zusammen und blickte sie finster an. Sie hatte ihn geschickt in die Enge getrieben. Er konnte ihr nicht widersprechen, ohne ihr Ansehen bei der Dienerschaft für den Rest ihres Lebens zu vernichten. „Rihana, tu bitte, was meine Frau verlangt“, sagte er schließlich steif.

Sie nickte mit besorgter Miene. „Hier entlang, Prinzessin.“

Dora schenkte ihm ein triumphierendes Lächeln, bevor sie dem Mädchen folgte. Khalil blieb allein zurück und fragte sich, wie alles so schieflaufen konnte und was er dagegen tun sollte.

Dora stand auf dem Balkon und starrte hinaus auf das Meer. Sie hatte die vergangenen sechs Stunden allein in ihrer Suite verbracht und versucht, ihren Sieg auszukosten. Doch er schmeckte nicht so süß wie erwartet. Der restliche Tag lag einsam und endlos lang vor ihr, ebenso wie all die anderen künftigen Tage. Was sollte sie mit sich anfangen?

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre trübseligen Gedanken. Sie eilte durch den großen Salon und öffnete. Fatima stand auf der Schwelle. „Oh, welch nette Überraschung. Bitte, komm herein.“

Fatima trat ein und blickte sich um, als hätte sie die Suite noch nie gesehen, bevor sie sich auf ein Sofa setzte. „Ich habe gehört, dass du lieber hier anstatt bei Khalil wohnen willst. Ich wusste nicht, dass dir deine Privatsphäre so überaus wichtig ist. Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich dir Unbehagen verursacht habe, indem ich dich bei mir im Harem habe wohnen lassen.“

Mit glühenden Wangen nahm Dora ihr gegenüber Platz. „Du missbilligst mein Verhalten.“

„Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen. Die Ehe ist eine Privatangelegenheit zwischen den beteiligten Parteien.“ Sie presste die Lippen zusammen. „Ich habe gehört, dass du Khalil gezwungen hast, zwischen deinem Gehorsam und deiner Macht im Haus zu entscheiden. Es war ein netter Trick, aber es erinnert mich an eine alte Redensart. Ich glaube, sie stammt ursprünglich aus England. Vielleicht hast du sie schon mal gehört. Es geht darum, den Kampf zu gewinnen, aber den Krieg zu verlieren.“

„Wir kämpfen nicht“, entgegnete Dora.

„Wirklich nicht? Wenn Mann und Frau sich für getrennte Quartiere entscheiden, ist es meiner Meinung nach selten ein Hinweis darauf, dass alles in Ordnung ist. Aber ich stamme ja auch aus einer anderen Generation.“

Dora senkte den Kopf. „Khalil und ich haben einige Dinge zu klären.“

„Wenn du darauf wartest, dass mein Enkel sich beugt, kannst du lange hier allein wohnen. Er gibt nicht nach.“

„Dann ist es vielleicht an der Zeit, dass er es lernt. Ich habe deinen Rat nicht vergessen, dass ich mich beugen soll. Aber manchmal muss man seinen Standpunkt vertreten.“

Fatima musterte sie forschend. „Willst du mir verraten, was mein Enkel getan hat?“

„Das kann ich nicht.“ Es war ihr zu peinlich, darüber zu reden.

„Und wenn er sich nicht ändert, was dann?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ich dachte, du liebst ihn.“ Fatima stand auf. „Es tut mir leid, dass ich mich geirrt habe.“

„Mir liegt sehr viel an ihm“, versicherte Dora.

„Aber du liebst ihn nicht. Zumindest nicht genug, um für ihn zu kämpfen.“ Fatima ging zu Tür und trat hinaus auf den Flur. „Leb wohl.“

Dora blieb allein in ihren stillen Räumen zurück. Es war nicht fair, dass sie bestraft wurde, während Khalil sie belogen und getäuscht hatte.

Sie sank in einen Sessel und barg das Gesicht in den Händen. Hatte sie wirklich den Kampf gewonnen und den Krieg verloren? War es falsch, mehr von Khalil zu erwarten?

Sie wusste keine Antwort. Also blieb sie einfach sitzen, bis die Sonne unterging. Sie verbrachte die Nacht allein, und auch den folgenden Tag.

Zwei Abende später tauchte Khalil plötzlich in Doras Suite auf. „Guten Abend“, wünschte er und setzte sich neben sie auf das Sofa.

Sie nickte ihm zu. „Hallo.“

„Ich habe deine Wünsche respektiert“, bemerkte er schroff.

„Welche Wünsche?“

„Dass du in Ruhe gelassen wirst. Genießt du deine Einsamkeit?“

Sie schloss das Buch, in dem sie gelesen hatte, und legte es auf den Tisch. „Ich habe nie Einsamkeit verlangt. Ich habe lediglich um getrennte Unterbringung gebeten. Du hast die Gelegenheit jedoch dazu genutzt, mich von der Außenwelt abzuschneiden. Fühlst du dich groß und stark, indem du mich so behandelst?“

Nachdenklich musterte er sie. „Was immer ich auch tue, du scheinst entschlossen zu sein, das Schlimmste von mir zu denken. Ich habe ehrlich geglaubt, dass du allein sein wolltest. Als meine Frau bist du ein Mitglied der Familie, und es steht dir frei, deine Suite jederzeit zu verlassen und an den Mahlzeiten teilzunehmen. Du bist hier in einem Palast, nicht in einem Gefängnis.“

Sie wusste nicht, was sie von seinen Worten halten sollte. Meinte er es aufrichtig, oder spielte er ihr wieder nur etwas vor? „Also gut“, sagte sie schließlich. „Danke.“

„Du darfst außerdem deine Arbeit wieder aufnehmen. Ich erwarte dich um acht Uhr morgen früh in meinem Büro.“

Hätte er sie gefragt, ob sie gern wieder arbeiten wollte, hätte er ihr die Entscheidung überlassen, hätte sie bejaht. „Ich glaube nicht“, entgegnete sie kühl und trat hinaus auf den Balkon. Die Sonne war längst untergegangen. Dunkel und geheimnisvoll schimmerte der Ozean.

Khalil folgte ihr hinaus. „Ich gebe dir meine Erlaubnis.“

„Ja, ich weiß. Aber ich bin nicht interessiert.“

„Ich will, dass du für mich arbeitest.“

Sie lächelte zuckersüß. „Und ich will, dass du dich dafür entschuldigst, dass du mich belogen und damit in die Ehe gelockt hast. Ich will, dass du mir sagst, dass es ein Fehler war und du mich magst. Ich vermute, dass keiner von uns bekommen wird, was er will.“

„Du wirst nicht mit mir spielen, Weib.“

Sie drehte sich zu ihm um. „Und ich dachte, dass du gerade das willst.“

Seine Miene verfinsterte sich. „Ich bin Khalil Khan, Prinz …“

„Von El Bahar, ich weiß“, unterbrach sie ihn. „Ich habe diese kleine Rede schon hundert Mal gehört. Worauf willst du hinaus?“

Er erstarrte, offensichtlich vor Verblüffung über ihre Impertinenz. Sie selbst war ebenfalls ein wenig überrascht. Die Einsamkeit hatte ihr anscheinend Mut verliehen. „Ein Prinz zu sein, gibt dir nicht das Recht, andere zu benutzen. Du warst grausam zu mir. Du hast mich belogen und meine Unschuld ausgenutzt.“

„Ich habe dich geheiratet.“ Er trat näher zu ihr und nahm ihre Hand. „Komm für mich arbeiten.“

Sie ignorierte das Prickeln, das seine Berührung auslöste. „Ich bin die Prinzessin von El Bahar. Ich arbeite nicht. Außerdem ist mein Henna noch nicht verschwunden. Die Tradition verlangt …“

„Mir ist die Tradition bekannt“, unterbrach er sie diesmal schroff. „Ich wurde hier geboren. Wenn es dein Wunsch ist, dann soll es so sein. Du darfst in deinen Räumen bleiben, aber versuche nicht, sie zu verlassen. Von mir aus kannst du hier versauern.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte zur Tür.

Dora schluckte schwer. Fatimas Worte über den gewonnenen Kampf und den verlorenen Krieg kamen ihr in den Sinn, und ein weiteres Sprichwort: Hochmut kommt vor dem Fall.

„Khalil?“, rief sie ihm nach. „Ich bin bereit, für dich zu arbeiten, aber nicht als deine Sekretärin.“

Er blieb stehen. „Ich nehme an, du willst das Land regieren.“

Sie ignorierte seinen Sarkasmus. „Nein.“ Sie trat zu ihm. „Ich will als Vermittlerin zwischen der Regierung und den westlichen Firmen fungieren, die hier investieren wollen. Ich habe viel Erfahrung mit amerikanischen Firmen, und ich habe schon sehr viel über El Bahar gelernt und lerne jeden Tag dazu.“

Wortlos blickte er sie an.

„Es wäre sehr vernünftig“, fuhr sie hastig fort. „Als Mitglied der königlichen Familie werde ich eher als Aushängeschild statt als Politikerin angesehen. Das würde die Männer in der Regierung beschwichtigen. Die westlichen Firmen hingegen wird es beeindrucken, dass El Bahar einer Frau eine so bedeutende Position verleiht.“

Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und wandte sich ab. Dora atmete tief durch. Hatte sie ihre Forderung zu früh gestellt? Hätte sie erst einmal als seine Sekretärin arbeiten und sich sein Vertrauen verdienen sollen, bevor sie ihn mit ihrer Idee konfrontierte?

„Dein Posten würde unter die Zuständigkeit meines Büros fallen“, sagte er schließlich, ohne sie anzublicken.

Ihr Herz begann zu pochen. „Das wäre kein Problem.“

„Es wäre dir nicht gestattet, dich allein mit irgendeinem Mann zu treffen, und du müsstest dich konservativ kleiden. Andernfalls würde mein Ruf in Frage gestellt werden.“

„Ich verstehe. Ich wäre damit einverstanden.“ Sie musterte ihn forschend, doch sie konnte seine Miene nicht deuten. Warum willigte er ein?

„Um den Schein zu wahren, müssen wir wie ein glückliches Paar wirken. Du wirst jeden Tag mit mir den Lunch einnehmen.“

Ein Anflug von Hoffnung stieg in ihr auf. Sie erinnerte sich an die gemeinsamen Mahlzeiten in New York. Teilweise hatten sie über geschäftliche Belange gesprochen, teilweise aber auch über persönlichere Dinge wie Politik, Bücher und Musik diskutiert. Sie vermisste diese Zeiten sehr. Erging es ihm ebenso? „Das wäre mir sehr lieb.“

„Gut. Dann sind wir uns einig.“ Er lächelte zufrieden und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. „Ich will dich.“

Seine Worte wirkten auf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Wie hatte sie nur glauben können, dass sich zwischen ihnen etwas geändert hatte? Sie versteifte sich und wollte sich ihm entziehen, doch es war bereits zu spät. Seine Berührung ließ sie schwach werden. Sie war gefangen in einem Netz, das sie selbst gesponnen hatte – indem sie einen Mann zugleich begehrte und hasste.

„Lass das“, sagte sie und entzog sich seiner sanften Berührung. „Ich fühle mich nicht wohl.“

Khalil packte ihre Oberarme und zog sie an sich. „Beschimpfe mich, kämpfe gegen mich, schlage mich, hasse mich, aber belüge mich nicht.“

Tränen brannten in ihren Augen, und sie hasste sich für ihre Weichheit. „Natürlich. Lügen ist dein Privileg.“

Statt zornig zu werden, lächelte er. „Ich dachte, ich hätte eine vernünftige, aber etwas langweilige Frau geheiratet. Stattdessen entdecke ich eine aufmüpfige, sinnliche Wüstenkatze. Beißt du, mein Kätzchen? Ich weiß, dass du zu kratzen versuchst, aber deine Krallen sind nicht lang genug.“

„Ich hasse dich!“, rief sie heftig. Sie versuchte, sich zu befreien, aber er hielt sie eisern fest. Schließlich gab sie den sinnlosen Versuch auf. „Ich werde niemals freiwillig nachgeben.“

„So viele Versprechungen“, murmelte er, während er den Kopf senkte und ihre Lippen küsste. „Wie viel Energie du doch verschwendest. Ich nehme an, dein Temperamentsausbruch bedeutet, dass du dich wieder gut fühlst.“

„Ich bin nicht krank. Ich will nur nicht Sex mit dir haben.“

Er ließ einen ihrer Arme los und schob langsam eine Hand unter ihren Rock. Sie wusste, dass sie um ihres Stolzes willen weglaufen sollte, aber sie blieb wie angewurzelt stehen und erschauerte, während er sie liebkoste.

„Wer lügt denn jetzt?“, fragte er und küsste sie.

Dora antwortete nicht, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Sie konnte die offensichtliche Reaktion ihres Körpers nicht leugnen. Und wieder einmal war ihr Ehemann siegreich.

12. KAPITEL

Dora blieb vor dem Büroflügel des Palastes stehen. Sie hatte nun eine verantwortungsvolle Position und ein eigenes Büro. Die Frage war nur, ob sie dem Job auch gewachsen war. El Bahar war ein friedliches Land und wurde als die Schweiz des Nahen Ostens bezeichnet. Zahlreiche Multimillionenkonzerne, die an Expansion in diesem Teil der Welt interessiert waren, investierten daher dort.

Sie holte tief Luft und widerstand dem Drang, in ihr einsames Quartier zurückzukehren.

Eine Doppeltür führte in einen großzügigen Eingangsbereich mit fabelhaften impressionistischen Gemälden. An einem großen Schreibtisch saß ein Mann mittleren Alters. Er blickte auf und lächelte. „Guten Morgen, Eure Hoheit. Ich bin Martin Wingbird. Darf ich Sie in Ihr Büro führen?“

Er war perfekt gekleidet und sprach mit britischem Akzent. Dora wusste bereits, dass im Palast internationales Personal beschäftigt wurde.

„Danke, Mr. Wingbird.“

Hinter dem Empfangspult zweigten zwei Korridore ab. Martin wandte sich nach links und ging zügig voraus.

Sie passierten mehrere große Büros, die komplett mit Computern, Faxgeräten und Kopierern ausgestattet waren. Die Wüste lag zwar nur wenige Meilen entfernt, aber in den Palast hatte längst die Moderne Einzug gehalten.

Am Ende des Korridors führte eine massive Doppeltür in einen Vorraum, von dem zwei weitere Türen abzweigten.

„Die rechte Tür führt in Prinz Khalils und die linke in Ihr Büro“, erklärte Martin Wingbird. Dann stellte er ihre Assistentin vor, eine zierliche Asiatin namens Eva.

Dora lächelte. „Danke für Ihre Hilfe, Martin.“

„Es war mir ein Vergnügen, Eure Hoheit.“ Er verbeugte sich und ging.

Eva führte Dora in ein geräumiges Büro. Es war mit Möbeln im französischen Landhausstil, Blumengemälden und einer kleinen Sitzgruppe ausgestattet. Auf dem Couchtisch stand ein großer Strauß Rosen. Die Fenster boten einen Ausblick auf den perfekt angelegten englischen Garten.

Dora musterte die kräftigen Farben des Orientteppichs und die Seidenbezüge der Sofakissen. „Der Raum ist so vollkommen, dass ich fast glauben möchte, er wäre extra für mich eingerichtet worden“, sagte sie mehr zu sich.

„Prinz Khalil hat alles persönlich arrangiert“, teilte Eva ihr mit. „Er hat gestern den ganzen Tag alles beaufsichtigt und viele Gegenstände zurückgehen lassen, die ihm nicht zusagten.“

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ausgerechnet Khalil sich mit der Auswahl von Möbeln und Sofakissen befasste.

Eva trat an den Schreibtisch und gab etwas in den Computer ein. „Ich habe einen Terminkalender für Sie angelegt. Für heute Nachmittag sind zwei Treffen anberaumt, um Sie mit den Präsidenten der zwei größten ausländischen Banken hier bekannt zu machen.“

„Aha. Würden Sie mir bitte vorab Informationen über die Präsidenten und die Banken beschaffen? Die Bilanzen der letzten Jahre und Kopien sämtlicher Zeitungsartikel, die über sie erschienen sind. Ach ja, und allgemeine Informationen über das Bankwesen. Die Anzahl von einheimischen und ausländischen Banken, die Prozentzahl der Einwohner, die hiesige statt ausländischer Banken benutzen, Angaben über Auslandskonten.“

Eva machte sich Notizen. „Ich kümmere mich sofort darum“, versprach sie und ging hinaus.

Bevor sie die Tür hinter sich schließen konnte, spazierte Khalil herein.

Ein Maßanzug betonte seinen eindrucksvollen Körper, den sie in der vergangenen Nacht ausgiebig liebkost hatte. Sie hielt Wort und widersetzte sich ihm, wann immer er mit ihr schlafen wollte, und auch er hielt sein Versprechen ein und verführte sie Nacht für Nacht. Es war ein dummes Spiel, das sie veranstalteten, und sie wusste nicht, wann es enden und wer als Sieger hervorgehen würde. Sie wusste nur, dass sie sehr glücklich war, ihn zu sehen, und dass sie es vor ihm verbergen musste.

„Gefällt es dir?“, erkundigte er sich, während er durch den Raum spazierte. „Mein Büro liegt nebenan. Ich wusste, dass du einen eigenen Bereich vorgezogen hättest, aber es gilt gewisse Anstandsregeln einzuhalten. Der König war nicht sehr angetan davon, dass die Frau eines Prinzen arbeitet.“

Das hatte Dora gar nicht bedacht. „Das tut mir leid, Khalil. Habe ich Streit zwischen dir und deinem Vater verursacht?“

Er zuckte die Achseln. „Er hat nachgegeben.“ Er trat an den Schreibtisch und deutete auf das Telefon. „Meine Nummer ist vorprogrammiert. Wenn du Sternchen und eins drückst, wirst du mit meinem Büro verbunden. Malik ist Sternchen und zwei, Jamal hat Sternchen und drei.“

„Warum sollte ich deine Brüder anrufen?“

„Du wirst von uns allen Projekte übernehmen. Ich bin für Wirtschaft und Industrie zuständig, Jamal kümmert sich um die Finanzen, und Malik ist für das Ölvorkommen zuständig und repräsentiert El Bahar als Kronprinz im Ausland. Wir alle haben mit ausländischen Firmen zu tun, sodass du regelmäßig mit uns allen zu tun haben wirst.“

Dora schluckte und versuchte, ihre Nervosität zu verbergen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie voreilig und anmaßend in ihrer Bitte um diesen Job gehandelt hatte.

„Du hast doch keine Angst, oder?“

Sie straffte die Schultern. „Natürlich nicht. Ich bin der Aufgabe durchaus gewachsen.“ Sie trat hinter ihren Schreibtisch und setzte sich. „Und wie viel bekomme ich bezahlt?“

„Wozu brauchst du denn Geld?“

„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“

Er stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich eindringlich vor. „Täusche dich nicht in deiner Position bei alldem. Du bist und bleibst meine Ehefrau.“

Bis zu diesem Moment hatte Dora angenommen, dass er nach einem Weg suchte, sich von ihr scheiden zu lassen. Denn sie verstand immer noch nicht, warum er sie überhaupt geheiratet hatte.

„Ich werde dich nicht gehen lassen“, fuhr er fort. „El Bahar gestattet einer Prinzessin keine Scheidung ohne Zustimmung ihres Mannes, und ich werde niemals einwilligen.“

Seltsamerweise trösteten seine Worte sie. Trotz ihrer Differenzen wollte sie ihn nicht verlassen. Denn im Stillen klammerte sie sich immer noch an den Traum von dem Märchenprinzen, der sie unsterblich liebte.

„Du warst wundervoll letzte Nacht“, verkündete er unvermittelt, während er sie mit einem glühenden Blick musterte.

„Danke“, murmelte sie. Die Erinnerung an die kühnen Liebkosungen, mit denen sie ihn überhäuft hatte, nachdem er ihren ursprünglichen Widerstand gebrochen hatte, rief Erregung hervor. „Khalil …“

Er lächelte zufrieden. „Ich wusste, dass du zur Vernunft kommen würdest. Du begehrst mich. Gib es zu.“

Ihre Erregung verflog so schnell, wie sie gekommen war. Sie richtete sich auf und blickte ihn kühl an. „Dass ich deine Ehefrau bin, gibt dir noch lange nicht das Recht, mich sexuell zu belästigen, Khalil. Während der Bürostunden will ich über nichts anderes als geschäftliche Belange reden.“

Er richtete sich auf und blickte sie finster an. „Wie kannst du mich begehren und in der nächsten Sekunde eiskalt abblitzen lassen? Warum gibst du nicht nach? Du weißt, dass ich letztendlich gewinnen werde.“

„Zufällig bin ich überzeugt, dass ich gewinnen werde. Ich kann sehr starrsinnig sein.“

„Ich weiß. Das ist nicht gerade deine attraktivste Eigenschaft.“

„Möchtest du eine Liste deiner eigenen Fehler?“

„Ich habe keine Fehler.“

Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Honey, du hast so viele, dass ich einen Krampf in der Hand bekommen würde, wenn ich sie aufschreiben wollte.“

„Das ist nicht wahr. Ich rufe dir in Erinnerung, dass ich dein Ehemann bin, und erwarte, mit Respekt behandelt zu werden.“

„Ich meine es ernst, Khalil“, beharrte sie. „Kein Geplauder über Sex während der Arbeitszeit.“

„Glaubst du etwa, dass du in diesem Ton mit mir reden und deinen Kopf durchsetzen kannst?“

Sie dachte einen Moment nach und lächelte dann. „Absolut.“

„Du bist eine unmögliche Frau.“

„Ja, aber ich bin deine unmögliche Frau. Jetzt geh wieder an die Arbeit und lass mich in Ruhe.“

„Wir essen um halb eins“, verkündete er, während er zur Tür eilte. „Und ich gehe, weil ich zu tun habe und nicht, weil du es verlangst.“

„Natürlich. Hauptsache, du gehst.“

Er drehte sich zu ihr um. „Überschätze deine Macht nicht, meine Wüstenkatze. Du wirst dich mir heute Nacht unterwerfen.“

„Ich werde mich nie unterwerfen.“

„Du magst zu Beginn Widerstand vortäuschen, aber wir wissen beide, dass du mich schon bald anflehen wirst, dich zu liebkosen und zu nehmen und ins Paradies zu entführen.“

Mit dieser Prophezeiung verschwand er, und Dora blieb mit der unangenehmen Einsicht zurück, dass er die reine Wahrheit gesagt hatte.

„Dein Vater hat begonnen, von Dora in widerstrebend respektvollem Ton zu sprechen“, eröffnete Fatima. „Ich vermute, das bedeutet, dass sie außerordentlich gute Arbeit leistet.“

Khalil konnte ein zufriedenes Grinsen nicht unterdrücken. „Momentan steht sie in Verhandlungen mit einer Computerfirma, die ursprünglich ihre Bedingungen diktieren wollte, aber jetzt Doras Forderungen restlos akzeptiert.“

„Also bist du auch zufrieden mit ihr.“

Zufrieden war gar kein Ausdruck. Zunächst hatte Dora vorsichtig und unsicher gewirkt. Irrtümlich war er – wie ihre Verhandlungspartner – davon ausgegangen, dass sie zu schüchtern und daher nicht von großem Nutzen sei. Doch bereits nach Ablauf einer Woche hatte sie kühne Forderungen gestellt und sogar das Angebot einer großen europäischen Bank abgelehnt. Khalil hatte ihre Entscheidung unterstützt, obwohl sie seiner Meinung nach zu weit gegangen war. Doch drei Tage später hatte diese Bank ein neues, sehr lukratives Angebot unterbreitet.

„Sie ist für uns alle eine Bereicherung“, sagte er schließlich. „Obwohl es ihr an spezifischer Ausbildung mangelt, beweist sie ein schlaues Verhandlungsgeschick. Sie benutzt amerikanische Lässigkeit, um ihren Verhandlungspartnern Vertrauen einzuflößen, und dann verwandelt sie sich genau im richtigen Moment in eine Prinzessin, um sie einzuschüchtern.“

„Und mit der Ehe geht es auch gut voran?“, erkundigte sich Fatima.

„Dora und ich sind sehr glücklich.“

Sie schwieg. Sie knabberte an einem Keks und betupfte sich die Lippen mit einer Serviette. Die Sekunden tickten dahin. Die Spannung wuchs.

Schließlich hielt er es nicht länger aus. Er sprang auf und trat an das Fenster. „Sie ist starrsinnig und nervtötend“, knurrte er.

„Zumindest ist sie intelligent“, entgegnete Fatima ruhig. „Das hat doch immerhin etwas für sich.“

„Nicht, wenn diese Intelligenz gegen mich benutzt wird.“ Er drehte sich zu ihr um. „Die zwei Wochen im Harem haben sie nicht gelehrt, eine gute Ehefrau zu sein.“

„Oh, hätte ich das tun sollen? Wie töricht von mir. Ich habe arrangiert, dass sie in den Sitten und der Geschichte von El Bahar ausgebildet wird. Vielleicht solltest du sie zu mir zurückschicken. Dann kann ich ihr Reinigen, Kochen und Stopfen beibringen. Wäre der Prinz dann zufrieden?“

„Ich habe keinen Bedarf an einer weiteren Dienstbotin. Ich will eine Ehefrau.“

„Dann solltet ihr vielleicht nicht in getrennten Räumen leben.“

„Sie weigert sich, zu mir zu ziehen.“

„Ach ja?“ Fatima stellte ihre Teetasse ab und blickte ihn neugierig an. „Was hast du denn falsch gemacht?“

Zorn erwachte in Khalil. „Wieso gehst du davon aus, dass es meine Schuld ist? Sie ist doch diejenige, die sich weigert zu tun, was ihr aufgetragen wird.“

„Ich verstehe.“

Diese beiden kleinen Worte sprachen Bände. Er hasste es, dass Fatima ihm das Gefühl vermittelte, ein kleines Kind zu sein.

„Ich dachte, du hättest die Lektion begriffen, Khalil.“ Sie berührte ihre linke Wange und erinnerte ihn damit an seine Narbe.

„Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.“

„Also hast du zu Dora nichts gesagt, das du bereuen könntest?“

Er antwortete nicht. Stattdessen drehte er sich zum Fenster um. Er wollte nicht daran erinnert werden, dass er Dora in jener ersten Liebesnacht in New York belogen hatte.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Deine Frau ist intelligent und gut erzogen. Sie wird dir oder El Bahar keine Schande machen. Im Gegenteil, sie erweist sich als Gewinn. Mit der Zeit wird sie dir gesunde Söhne schenken.“

Etwas an ihrem Ton erregte seinen Verdacht. Er drehte sich zu ihr um. „Ich stimme zu. Es ist wirklich alles in Ordnung.“

„Mit der Zeit wird sie dich natürlich hassen, aber so ist es nun mal bei dieser Art von Ehe.“

„Nein!“, rief Khalil unwillkürlich. „Ich will nicht, dass sie mich hasst.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Dir liegt doch nicht etwa an diesem Mädchen, oder?“

„Natürlich nicht“, behauptete er, doch sie war ihm keineswegs einerlei. „Was soll ich denn tun?“, fragte er schließlich hilflos.

„Ach, Khalil, warum müsst ihr Männer immer alles so schwierig machen?“ Sie lächelte ihn freundlich an. „Du musst sie umwerben. Sei ein Mann, den sie bewundern kann. Sei zärtlich und aufmerksam und entschuldige dich vor allem für das, womit du ihr auch immer wehgetan hast. Mach es wieder gut. Beuge dich ein wenig. Bedenke ausnahmsweise einmal, dass du an erster Stelle ein Mann und erst an zweiter ein Prinz bist.“

„Niemals. Dein Vorschlag ist völlig unakzeptabel.“

„Dann gewöhne dich daran, jede Nacht durch den halben Palast zu wandern.“

„Ich werde sie zwingen, in meine Räume zu ziehen.“

Fatima blickte ihn an, als wäre er ein sehr einfältiges Kind. „Ich kann mir gut vorstellen, wie das auf Dora wirkt. Warum fragst du mich um Rat, wenn du mir nicht zuhörst?“

„Ich habe zugehört. Du hast mir keinen guten Rat gegeben. Ich bin Prinz Khalil Khan von El Bahar, und ich umwerbe keine Frauen.“

„Du bist ein starrsinniger Narr, der sein Leben allein verbringen wird. Willst du das?“

Er antwortete nicht, und schließlich ging seine Großmutter. Ungehalten wanderte er in seinem Büro umher. Er beabsichtigte keineswegs, seine Frau zu umwerben. Es war unmöglich, degradierend, demütigend. Doch die Alternative war die Sackgasse, in der sie sich nun befanden. Wollte er das? Das und die Wahrscheinlichkeit, dass Dora ihn hassen lernte?

13. KAPITEL

„Ich hätte dich mit den amerikanischen Wissenschaftlern verhandeln lassen sollen“, sagte Khalil und legte seine Gabel nieder. „Sie waren höchst schwierig.“

„Ach, jetzt willst du mir also deine schmutzige Arbeit übergeben, wie?“, fragte Dora lächelnd.

Er heftete den Blick auf ihr Gesicht. Sie wusste nicht, was er dachte, aber seine Miene wirkte so zärtlich, dass ihr Herz ein wenig schneller schlug. Es war Anfang April. Seit fast drei Monaten war sie nun in El Bahar. Fast jede Nacht suchte Khalil ihr Schlafzimmer auf, und er besaß immer noch die Macht, sie mit nur einem Blick oder einer Berührung dahinschmelzen zu lassen.

„Du kannst einfach besser mit Wissenschaftlern umgehen als ich. Wahrscheinlich liegt es daran, dass du eine Frau bist. Du lullst sie mit deinem Humor ein und zeigst ihnen dann deine Fesseln.“

Sie blickte hinab auf ihren Rock, der beinahe bis zum Boden reichte. Der Sitte des Landes und Khalils Bitte entsprechend trug sie konservative Kleidung, die Arme und Beine verhüllte. „Ich, die Exhibitionistin.“

„Ich will nicht, dass du dich vor anderen Männern enthüllst.“

„Das war nur ein Scherz, Khalil.“

„Für mich ist das nicht witzig.“

„Ich begreife nicht, wie du einerseits so besitzergreifend und andererseits so gefühllos sein kannst.“ Da sie ihr gemeinsames Mittagsmahl nicht verderben wollte, sagte sie hastig: „Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich will nicht streiten.“

„Wir streiten nicht, wir reden.“

„Wo liegt da der Unterschied?“

„Du wirfst nie mit Gegenständen.“

„Soll ich dich etwa mit Tellern bewerfen?“, hakte sie verblüfft nach.

„Es wäre besser als das Schweigen. Hast du gar keine Leidenschaft in dir? Ich meine nicht im Bett, sondern im Leben. Kämpfst du nie für etwas?“

„Doch, natürlich. Wenn es wichtig ist.“

„Wofür hast du in deinem Leben denn schon gekämpft? Bestimmt nicht für diese Ehe.“

Sie reckte das Kinn vor. „Wie meinst du das?“

„Es sind viele Wochen vergangen, doch du wohnst immer noch am anderen Ende des Palastes. Nicht ein Mal bist du in mein Zimmer gekommen und hast den ersten Schritt unternommen. Ich bin gezwungen, jede Nacht zu deinem Zimmer zu wandern.“

„Das ist deine Entscheidung“, entgegnete sie steif. „Ich habe dir geschworen, nicht nachzugeben, solange du dich nicht entschuldigst und zugibst, dass du mich magst.“

„Du bist äußerst starrsinnig“, beklagte er sich.

„Du auch.“ Sie holte tief Luft. „Ist es so schwer, sich zu entschuldigen? Du sollst doch nur zugeben, dass du mich nicht hättest belügen sollen. Hättest du mir die Situation erklärt, hätte ich womöglich eingewilligt.“

„Du hättest mich für verrückt gehalten. Oder du hättest Bedingungen gestellt. Mein Weg war besser.“

„Was ist mit meinen Gefühlen? Warum bist du nicht ehrlich? Ich weiß immer noch nicht, warum du mich statt Amber geheiratet hast. Du hast lediglich gesagt, dass sie keine gute Ehefrau und Mutter wäre. Was soll das heißen? Warum hast du so viele Geheimnisse?“

„Ich nehme große Rücksicht auf deine Gefühle. Immerhin gestatte ich dir zu arbeiten.“

„Gestatten? Das soll wohl ein Scherz sein!“ Dora sprang auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn du darauf bedacht bist, dass ich mit Gegenständen werfe, hast du es fast geschafft. Du und dein Land zieht großen Nutzen aus meiner Arbeit. Ich habe zahlreiche Verbesserungen bei unseren Verträgen mit ausländischen Firmen erzielt. Glaub ja nicht, dass du meinen Beitrag schmälern kannst.“

„Ich sage ja nicht, dass du keine Hilfe bist“, entgegnete er vorsichtig. „Aber ich verstehe nicht, warum du so schwierig sein musst. Du ruinierst alles zwischen uns.“

„Ich? Nein, Khalil, das kannst du nicht auf mich abschieben. Ich bin ja bereit, dir auf halbem Wege entgegenzugehen, aber ich kann nicht alles tun. Du musst Verantwortung für deine Fehler übernehmen. Ist es so furchtbar zuzugeben, dass du dich geirrt hast?“

Er blickte zur Uhr und stand auf. „Ich habe ein Meeting.“

Niedergeschlagen nickte Dora, verließ den Raum und eilte in ihr Büro. Sie trat an das Fenster und blickte hinaus in den Garten. Was machte sie falsch? Verlangte sie etwas Unmögliches? Sollte sie einfach nachgeben? Schließlich war Khalil nicht wie andere Männer, sondern ein eigensinniger Prinz.

Sie lehnte die Stirn an das kühle Glas. Draußen war die Temperatur auf über dreißig Grad Celsius gestiegen. Der Sommer nahte mit großen Schritten, und sie konnte nur hoffen, dass die Klimaanlage niemals versagte.

Sie sehnte sich nach einer richtigen Ehe. Sie wollte in Khalils Suite ziehen, mit ihm leben, mit ihm am Morgen aufwachen, seinen Körper nicht nur spüren, wenn sie miteinander schliefen.

Aber wenn sie nachgab, würde er sie niemals anders behandeln. Doch sie wollte eine gleichberechtigte Partnerschaft, soweit es mit einem Prinzen möglich war. Also musste sie stark bleiben.

Und wenn alles nichts half, musste sie sich an den König wenden, eine Scheidung erwirken und El Bahar verlassen.

Die Nacht war kühl nach der Hitze des Tages. Khalil genoss die Meeresbrise, während er auf dem Balkon hin und her wanderte und grübelte.

Zum Teufel mit ihr, durchfuhr es ihn. Dann blieb er stehen und lächelte. Ja, er wollte Dora verfluchen und sie irgendwie zwingen, ihm zu gehorchen. Andererseits respektierte er sie, wie er es einer Frau gegenüber nie für möglich gehalten hätte.

Er spielte mit dem Gedanken, den Rat anzunehmen, den Fatima ihm vor mehreren Wochen gegeben hatte. Aber warum sollte er, der Prinz von El Bahar, seine Frau umwerben? Er bewunderte sie, und wenn sie das nicht merkte, war sie der Mühe nicht wert.

„Khalil?“

Er drehte sich um, sah seinen Vater und Malik auf dem Balkon stehen und ging zu ihnen.

Givon legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Mein Sohn, es war falsch von mir, so hart zu dir zu sein.“

Verständnislos blickte Khalil von einem zum anderen. „Wovon redest du?“

Malik lehnte sich an die Brüstung. „Ich habe ihm heute erzählt, was mit Amber vorgefallen ist. Ich erinnere mich kaum an jene Nacht. Es ist lange her, und ich war ziemlich betrunken. Zuerst habe ich es für einen Traum gehalten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Verlobte meines Bruders wirklich in mein Bett gekommen war.“

Khalil wusste, dass er nicht für Ambers Verhalten verantwortlich war, aber er verspürte dennoch Beschämung.

„Bisher dachte ich, es wäre jemand anders gewesen. Aber jetzt bin ich mir sicher. Amber hat mich besucht, während ich in Paris war, und mir angeboten, unsere Bekanntschaft zu erneuern.“

„Jetzt wird mir manches klar, Khalil“, warf Givon ein. „Du wolltest sowohl unser Land als auch Aleser schützen. Du hast zu recht angenommen, dass er zurücktreten müsste, wenn er vom Lebenswandel seiner Tochter erführe.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte erkennen müssen, dass du einen triftigen Grund für deine impulsive Heirat hattest.“

„Was jetzt?“, fragte Malik. „Ich glaube nicht, dass Aleser die Wahrheit über Amber erfahren sollte. Er betet sie an. Es würde ihm das Herz brechen.“

„Es bricht meines“, gestand Givon ein. „Sie war für mich wie eine Tochter. Deswegen war ich so erfreut über die Verlobung.“ Er seufzte. „Aber du hast recht. Wir werden es für uns behalten. Fatima soll mit Amber sprechen und ihr klarmachen, dass sie nicht in El Bahar willkommen ist, außer zu Besuchen bei ihrer Familie. Sie ist schon immer viel gereist, sodass Aleser ihre Abwesenheit nicht auffallen wird.“

Malik nickte. „Es tut mir leid, Khalil.“

„Danke, aber es war nicht deine Schuld. Vielleicht ändert Amber sich mit der Zeit, aber momentan sollten wir sie lieber loswerden, bevor sie noch mehr Schaden anrichten kann.“

Als Malik in den Palast zurückkehrte, eröffnete Givon: „Du hast sehr klug gehandelt. Du hast einen Weg gefunden, die Ehe mit Amber zu verhindern, ohne Schande über Aleser und seine Familie zu bringen. Der einzige Preis war mein Missfallen.“

Obwohl die Entschuldigung recht spät kam, war Khalil erfreut. „Ich wusste, dass du es irgendwann einsehen würdest.“

„Dora hat uns alle überrascht. Sie ist sehr gut in ihrem Job. Ich muss zugeben, dass ich zunächst sehr skeptisch war. Eine Frau als Vermittlerin mit westlichen Firmen? Eine Prinzessin, die arbeitet?“

„Du hättest hören sollen, wie sie über ihr Gehalt verhandelt hat“, sagte Khalil stolz. „Nicht, dass sie es für sich behält. Der gesamte Betrag wird dem Kinderkrankenhaus gespendet. Aber sie wollte mich nicht einfach davonkommen lassen, nur weil wir verheiratet sind.“

„Ich habe Verständnis dafür, wenn du die Ehe annullieren lassen willst“, sagte Givon leise. „Dora hätte die Wahl, in ihrer derzeitigen Position in El Bahar zu bleiben oder in die Vereinigten Staaten zurückzukehren. Es würde ihr an nichts mangeln. Dann wärst du frei, eine andere Braut zu suchen. Ich verspreche, diesmal keine Ehe zu arrangieren.“

„Nein“, entgegnete Khalil schroff. „Wir sind und bleiben verheiratet. Egal, was andere einschließlich sie selbst darüber denken, sie ist meine Ehefrau.“

14. KAPITEL

Der warme Wüstenwind wehte Dora ins Gesicht. Ihr Pferd, ein sanfter Wallach, galoppierte neben Khalils kraftvollem Hengst. Die Sonne war kaum aufgegangen, aber sie hatten den Palast bereits weit hinter sich gelassen.

Dank Khalils erstaunlicher Geduld hatte sie rasch reiten gelernt. Mehrere Tage lang hatte er auf einer Koppel mit ihr geübt und sie dann erst mit in die Wüste genommen.

Vor einigen Wochen hatte er sie förmlich zum ersten Ausritt gezwungen. Inzwischen genoss sie die gemeinsamen Ausflüge. Er hatte außerdem angekündigt, dass er sie zu umwerben gedachte. Nicht nur durch Blumen und Komplimente versuchte er, ihren Widerstand zu brechen. Er war mit ihr in die Armenviertel gefahren, nahm sie zu Parlamentssitzungen mit und lauschte eifrig ihren Vorschlägen. Und er hatte ihr ein wundervolles Perserkätzchen mit blauen Augen und viel Temperament geschenkt und ihr gestanden, dass es ihn an sie erinnerte.

Nun, als sie zu der kleinen Oase ritten, in der sie oft rasteten, warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu und rief sich in Erinnerung, wie wichtig es war, ihm zu widerstehen. Doch die Gründe dafür wurden immer unklarer. Unwillkürlich verliebte sie sich von Tag zu Tag mehr in ihn. Doch er weigerte sich, über ihre Eheprobleme zu sprechen und sich für sein damaliges Verhalten zu entschuldigen. Sie hatten einen toten Punkt erreicht.

Dattelpalmen säumten die Quelle, die von einem unterirdischen Fluss gespeist wurde. Frisches Gras wucherte am Ufer. Dora zügelte ihr Pferd und wartete. Khalil half ihr immer beim Absteigen. Sie wussten beide, dass sie es allein konnte, aber es gefiel ihr, ihm so nahe zu kommen. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, sich außerhalb des Schlafzimmers zu berühren.

„Du siehst so ernst aus“, bemerkte Khalil, als er den Proviant aus der Satteltasche holte.

„Eigentlich nicht. Ich habe gerade daran gedacht, wie sehr ich mein neues Land liebe. Es ist sehr schön. Eine Kombination aus Geschichte und Zukunft. Ihr seid sogar einigermaßen progressiv Frauen gegenüber.“

„Ich habe gehört, dass sogar eine Frau in der Regierung arbeitet. Kannst du dir so was vorstellen?“

Sie breitete eine Decke aus. „Wie schockierend! Das Gerücht ist mir auch zu Ohren gekommen. Ich habe außerdem gehört, dass sie brillant sein soll.“

„Wirklich? Mir haben alle gesagt, dass ihr Ehemann brillanter ist.“

Sie blickte ihn mit gespielter Verärgerung an. „Das ist bestimmt dein Lieblingsgerücht.“

„Allerdings.“

Sie setzten sich auf die Decke. Der Sonnenschein fiel ihm ins Gesicht und betonte die Narbe auf seiner linken Wange. Sie berührte die dünne Linie und bat impulsiv: „Erzähl mir, woher sie stammt.“

Khalil schenkte Kaffee aus der Thermosflasche in zwei Becher und reichte ihr einen. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Es ist beim Fechten mit einem Freund passiert. Wir waren jung und dumm. Jeder von uns hat sich für den Besten der Welt und für unbesiegbar gehalten.“

„Ich dachte, dass man sich beim Fechten nicht verletzen kann.“

„Normalerweise nicht. Die Degenspitze wird eigentlich mit einem Schutz versehen. Aber wie gesagt, wir waren jung und dumm und haben uns nicht um Vorsichtsmaßnahmen gekümmert. Das Duell war sehr intensiv, und er hat mich getroffen.“

Er blickte hinaus zum Horizont. „Es ist seltsam. Jahrelang habe ich nicht an den Zwischenfall gedacht, und jetzt kommt er zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Wochen zur Sprache. Meine Großmutter hat mich kurz nach deiner Ankunft daran erinnert.“

„Warum?“

„Deinetwegen“, erwiderte er, so als ob das alles erklärte. „Die Wunde blutete stark, und ich schrie. Der Fechtmeister und mein Vater kamen angerannt. Ich erzählte ihnen, was mein Freund mir angetan hatte, und schwor in einem Anfall von Wut, dass ich ihn nie wieder sehen wollte. Ich wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Ich hatte Angst und starke Schmerzen, aber das habe ich niemandem eingestanden.“

Dora berührte ihn am Arm. „Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst.“

„Schon gut. Ein paar Stunden später, als ich mich beruhigt hatte, bereute ich meine harten Worte und sagte meinem Vater, dass ich meinen Freund sehen wolle.“ Er verzog den Mund zu einer grimmigen Linie. „Aber ein Prinz hatte gesprochen, und einem Prinzen wird gehorcht. Mein Freund war zu Verwandten in die Berge geschickt worden. Unterwegs wurde er bei einem Autounfall getötet. Ich habe ihn nie wieder gesehen.“

Dora wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. „Manchmal habe ich das Gefühl, als hätten wir nicht mal auf demselben Planeten gelebt. Wie soll ich einen Bezug zu deinem Leben finden?“

„Das kannst du nicht. Aber du kannst zu mir eine Beziehung finden.“ Er legte einen Arm um ihre Schultern und verlangte: „Küss mich.“

„Ich kann nicht.“

„Du willst nicht. Das ist ein Unterschied. Wenn meine Kinder zu deinen Füßen spielen, wirst du dich mir dann immer noch versagen?“

Sie wandte sich ab, damit er die Panik in ihren Augen nicht sah. Großer Gott, Kinder! Es war nur eine Frage der Zeit. Khalil besuchte sie fast jede Nacht. Als Prinzessin von El Bahar konnte sie kaum in die nächste Apotheke gehen und Kondome kaufen. „Wir sollten umkehren“, drängte sie und wollte sich von ihm lösen.

Doch Khalil ließ sie nicht los. „Noch nicht.“ Er seufzte. „Warum ist es so schwer, meine Aufforderung zu befolgen? Du bist so starrsinnig, und trotzdem kann ich mir keinen einzigen Tag mehr ohne dich vorstellen. Ich habe dem König gesagt, dass ich nicht länger ohne dich reisen werde.“

Erstaunt musterte sie ihn. Seine Augen waren groß und dunkel und bargen Gefühle, die sie nie zuvor gesehen hatte. Zuneigung vielleicht? Verletzlichkeit? War es möglich, dass er sich änderte?

„Küss mich.“

Seine Worte stellten eine Bitte, keine Forderung dar. Sie berührte die Narbe auf seiner Wange, die ihr bewusst machte, dass er einen Fehler eingestanden hatte. War das seine arrogante, verdrehte Art, ihr zu zeigen, dass er auch andere Worte bereute?

Kurz entschlossen drückte sie die geschlossenen Lippen auf seine. Nicht, weil er es verlangte, sondern weil er ihr einen kleinen Teil seines Lebens anvertraut hatte. Weil er ein wenig Kompromissbereitschaft bewiesen hatte. Und vor allem, weil sie ihn küssen wollte und es ihr wehtat, sich ihm zu versagen.

Sie erwartete, dass er sie leidenschaftlich liebkoste. Doch er brach den Kuss vielmehr ab, umschmiegte ihr Gesicht und murmelte leise: „Danke.“

Sie wartete, doch es folgte keine spöttische Bemerkung, kein Anzeichen von Triumph. Er zog sie auf die Füße und half ihr in den Sattel, und sie ritten schweigend zurück zum Palast.

„Ich will nicht schmälern, was Eure Majestät bereits vollbracht haben“, sagte Dora geduldig. „Aber die Aufgabe ist noch nicht vollendet. Es gibt noch viel zu tun.“ Ihre Augen funkelten, und ihre Wangen waren gerötet.

Sie ist schön, durchfuhr es Khalil, wenn sie so engagiert ist. Wieso hatte er es bisher nicht bemerkt? Von Tag zu Tag wurde ihm bewusster, dass Dora Khan, Prinzessin von El Bahar, ein Juwel war.

„Die Universitäten stehen allen offen“, entgegnete der König. „Selbst den Frauen.“

Sie schob ihr Dessert beiseite und beugte sich eindringlich vor. „König Givon, es reicht nicht, die Universitäten den Frauen zu öffnen. Trotz all der Fortschritte unter Ihrer Regentschaft halten viele Eltern es immer noch für Verschwendung, ihre Töchter auszubilden. Sie schicken sie höchstens sechs Jahre lang zur Grundschule, und das nur, weil Ihre Regierung es gesetzlich vorschreibt. Es gibt Hunderte von klugen Frauen, deren Potential brachliegt.“

Der König hob die buschigen ergrauten Augenbrauen. „Sie heiraten und produzieren Kinder. Das ist keine Vergeudung.“

„Oh, da stimme ich zu. Wenn Sie damit sagen, dass Ihr Volk die bedeutendsten Ressourcen von El Bahar darstellt.“

Khalil durchschaute die Falle sofort, denn er kannte den flinken Verstand seiner Frau.

Der König jedoch hatte diesen Vorteil nicht. „Natürlich. Das Volk ist unsere Zukunft.“

„Wenn Sie so denken, dann verstehe ich nicht, warum Sie fast fünfzig Prozent dieser Ressourcen ignorieren und brachliegen lassen. Gebildete Frauen können immer noch heiraten und viele Kinder bekommen, aber ungebildete können wenig tun, um die Technologie zu verbessern, in Schulen zu unterrichten oder Ärzte, Anwälte und Unternehmer zu werden.“

Sie holte tief Luft und blickte den König unverwandt an. „Diese Frauen verdienen die Chance, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Nicht nur um ihretwillen, sondern auch um des Staates willen. Ich bitte nur darum, dass Sie vorbereitende Schulen für weibliche Jugendliche in Erwägung ziehen, in denen sie das Nötige lernen, um Universitäten besuchen zu können.“

König Givon schaute sie finster an. „Das würde Gebäude und Lehrer erfordern und eine große finanzielle Verpflichtung bedeuten.“

„Du müsstest außerdem Stipendien bereitstellen“, warf Khalil ein. „Sehr wenige Familien können es sich leisten, ihre Söhne wie ihre Töchter auf die Universität zu schicken.“

Der König runzelte die Stirn. „Ihr verlangt zu viel.“

„Es ist nicht unmöglich, zu viele Träume zu hegen, Eure Majestät. Besonders, wenn diese Träume zum Wohle von El Bahar gereichen.“

„Ach, jetzt willst du mir also vorschreiben, wie ich mein Land regieren soll?“

Khalil unterdrückte ein Grinsen. Er wusste, dass Dora sich nicht so leicht einschüchtern ließ. Er war stolz auf seine Frau. Er mochte sie geheiratet haben, weil sie gerade greifbar gewesen war, aber er wollte sie behalten, weil keine andere besser zu ihm und in seine Welt gepasst hätte.

Dora lächelte den König an. „Eure Majestät ist ein weiser und engagierter Regent. Ich würde mir nie erlauben, Ihnen zu sagen, wie Sie Ihr Land führen sollen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es keinen Sinn hat, für den Fortschritt einzutreten, ohne den Ballast einer törichten, hemmenden Tradition abzuwerfen.“

Finster blickte der König zu Malik und Jamal. „Habt ihr gar nichts dazu zu sagen?“

Malik zuckte die Achseln. „Wir wollen uns nicht einmischen.“

„Sie haben Angst“, sagte Dora.

Malik schien protestieren zu wollen. Doch dann grinste er. „Sagen wir mal, dass Jamal und ich nicht den Wunsch haben, es mit Ihnen zu verderben, Prinzessin Dora. Sie wären eine ernst zu nehmende Gegnerin.“

„Und eine sehr vorteilhafte Verbündete“, fügte Jamal hinzu.

Der König wandte sich an seinen jüngsten Sohn. „Und was ist mit dir?“

„Da ich mit einer der klugen Frauen verheiratet bin, die Dora vorhin erwähnt hat, bin ich in dieser Angelegenheit damit zufrieden, meine Frau für uns beide sprechen zu lassen.“

Der König wirkte nicht erfreut über diese Antwort. Er wandte sich an Dora. „Ich werde die Vorschläge in Erwägung ziehen und mich mit dem Innenministerium beraten. Das ist kein Versprechen und keine Verpflichtung, Dora, sondern mein Wort. Du hast das Herz am richtigen Fleck.“ Er lächelte vage. „Geht, ihr alle. Ich habe zu arbeiten.“

Sie erhoben sich und verließen den privaten Speiseraum des Königs. Malik und Jamal begaben sich sogleich in ihre Büros.

„Möchtest du spazieren gehen, um dich zu beruhigen?“, bot Khalil an.

„Ich bin nicht aufgeregt“, entgegnete Dora und schob ihre Hand in seine. „Ich weiß sehr zu schätzen, was du dem König gesagt hast. Dass ich klug bin und für dich sprechen darf. Das bedeutet mir sehr viel.“

„Ich habe die Wahrheit gesagt.“

Sie seufzte. „Es gibt noch so viel zu tun, und es geht so langsam voran.“

„Vielleicht, aber es geht voran. Du engagierst dich sehr für mein Volk, und das bedeutet mir und dem König mehr, als du ahnst. Er wird auf dich hören. Er ist ein kluger Mann.“

„Ich weiß. Ich benehme mich kindisch. Ich will, was ich will, wann ich es will, und das bedeutet sofort.“

Khalil konnte es nachempfinden, denn ihm erging es ebenso mit ihr. Er wollte sie zu seinen Bedingungen, und zwar sofort. Seit jenem Kuss in der vergangenen Woche berührte sie ihn häufiger von sich aus, was ihm zwar Hoffnung gab, aber auch seine Ungeduld steigerte. Er wollte die Probleme zwischen ihnen ausgeräumt wissen. Doch sie war nicht nur klug, sondern auch starrsinnig.

Als sie den Bürokomplex erreichten, empfing Eva sie mit einem strahlenden Lächeln. „Ich habe eine Überraschung für Sie. Hier entlang, bitte, Eure Hoheit.“

Dora und Khalil tauschten einen erstaunten Blick und folgten Eva in die entgegengesetzte Richtung des Korridors. Neben dem Büro des Premierministers befestigte ein Mann gerade ein Namensschild an einer breiten Doppeltür.

Stolz erfüllte Khalil, als er die Aufschrift las: Prinzessin Dora Khan, Ministerin für Frauenangelegenheiten.

Verblüffung, Überraschung, Verwirrung und dann Freude huschten über Doras Gesicht. „Das verstehe ich nicht“, sagte sie zu Khalil. „Der König kann das doch nicht seit dem Lunch arrangiert haben.“

Eva lachte. „Nein, Eure Hoheit. Er hat es bereits seit Tagen geplant.“

Immer noch verwirrt erkundigte Dora sich bei Khalil: „Wusstest du davon?“

„Nein. Das hast du ganz allein bewerkstelligt.“

Sie schlang die Arme um ihn und flüsterte: „Danke für alles.“

Er drückte sie an sich und atmete tief ihren lieblichen Duft ein. „Ich habe doch gesagt, dass ich gar nichts davon wusste. Du brauchst mir nicht zu danken.“

Mit Tränen in den Augen blickte sie ihn an. „Doch. Du magst zwar nicht direkt verantwortlich sein, aber du hast all das ermöglicht.“ Sie stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn. „Ich muss jetzt an die Arbeit.“

Er blickte ihr nach, als sie hinter der breiten Doppeltür verschwand. Sie hatte so viel in so kurzer Zeit bewirkt – sowohl für sein Land wie bei ihm selbst. Er konnte sich das Leben nicht mehr ohne sie vorstellen. Doch er wusste nicht, ob er ihr geben konnte, was sie verlangte. Konnte er lernen, sich zu beugen? Hatte er eine andere Wahl?

15. KAPITEL

„Ich verlange zu wissen, warum du mir nicht gehorchst, Weib“, murrte Khalil.

„Du weißt den Grund“, erwiderte Dora ruhig. Während leidenschaftlicher Küsse hatte er sie gebeten, ihn auszuziehen. Da sie jedoch nicht ganz bei der Sache war, hatte sie sich geweigert. Sie zog es vor, über das alte Thema mit ihm zu streiten, anstatt ihm zu verraten, warum sie sich nicht völlig für das Liebesspiel zu begeistern vermochte. Schließlich mussten sie erst einmal lernen, eine gute Ehe zu führen, bevor sie Eltern werden konnten.

„Ich weiß nichts dergleichen. Es sind beinahe vier Monate vergangen. Warum gibst du nicht endlich zu, dass du mich liebst?“

„Zu einer Ehe gehört mehr als Unterwürfigkeit von Seiten der Frau. Ich will Partnerschaft und Aufrichtigkeit. Aber das willst du offensichtlich nicht verstehen.“

„Natürlich verstehe ich das. Ich will nicht, dass du unterwürfig bist, sondern dass du deine Gefühle eingestehst.“

„Warum gestehst du deine Gefühle denn nicht ein? Sag mir, dass du mich liebst und es dir leidtut, und alles wird gut.“

Er winkte ab. „Wie lange willst du dieses Spiel denn noch aufführen?“

„Für immer, wenn nötig. Du kennst meine Bedingungen. Es hat sich nichts an den Tatsachen geändert. Du hast mich belogen und meine missliche Lage ausgenutzt. Unter dem Vorwand, mich zu lieben, hast du mich in die Ehe gedrängt und mich hergebracht, ohne mir Zeit zu lassen, es mir anders zu überlegen.“

Seine Augen sprühten Funken. „Ich habe dir eine große Ehre erwiesen, indem ich dich zur Frau genommen habe.“

„Ach, und für dich ist es keine Ehre, dass ich eingewilligt habe?“

„Natürlich nicht. Denk doch mal an das Leben, das du vorher geführt hast. So erbärmlich und dürftig. Du warst ein Niemand, und ich habe dir die Welt zu Füßen gelegt.“

Dora presste die Zähne zusammen, um nicht aufzuschluchzen. Seine Worte trafen sie bis ins Innerste. Sie schloss die Augen und zwang sich, tief durchzuatmen. War sie wirklich ein Niemand für ihn?

Etwas Warmes berührte ihre Wange. Sie öffnete die Augen und sah, dass er zu ihr getreten war. „Ich habe unüberlegt gesprochen“, sagte er mit einem sanften Lächeln. „Damals kannte ich dich noch nicht gut genug, um mich geehrt zu fühlen. Inzwischen weiß ich, dass du eine großartige Frau bist und ich mich glücklich schätzen kann, dich zu haben.“

„Sag mir, dass du einen Fehler begangen hast“, murmelte sie und schlang die Arme um ihn. „Sag mir, dass es dir leidtut und du mich liebst.“

Er schob sie von sich. „Du verlangst Unmögliches. Ich bin Khalil Khan, Prinz von El Bahar, und ich lasse mir von einer Frau keine Vorschriften machen.“

Sie richtete sich auf. „Das mag sein, Prinz Khalil, aber du vergisst dabei eine sehr wichtige Tatsache.“

„Und die wäre?“

„Ich bin Dora Khan, Prinzessin von El Bahar, und ich schlafe nicht mit Lügnern.“ Sie ging zur Tür und öffnete sie.

Khalil folgte ihr. „Ist es so weit gekommen? Zu einem Machtkampf?“

„Es war immer ein Machtkampf. Der Unterschied besteht nur darin, dass du diesmal nicht gewonnen hast.“

„Treib es nicht zu weit, Weib, oder es wird dir sehr leidtun.“

„Es tut mir bereits leid, Khalil. Du glaubst, dass ich mich aus Starrsinn oder aus dem Wunsch zu strafen von dir abwende, aber in Wahrheit treibt mich der Schmerz in meinem Innern dazu.“

Und dann schloss sie sanft die Tür hinter ihm und blieb allein zurück.

Dora stand an einem Seiteneingang zum Ballsaal und bewunderte die prachtvolle Dekoration und die vornehme Menge. König Givon gab eine kleine, intime Geburtstagsfeier für seinen guten Freund und Premierminister Aleser. Klein und intim bedeutete in der königlichen Welt jedoch etwas anderes als in Doras Erfahrung. Über hundert Gäste waren geladen worden.

Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu entspannen. Sie fühlte sich gut und sah gut aus. Seit sie in El Bahar war, ließ sie ihr Haar wachsen und trug nun eine elegante Hochfrisur. Vor einigen Wochen war sie mit Khalil geschäftlich nach Paris gereist und hatte die Gelegenheit zu einem Besuch in einem Schönheitssalon genutzt. Dort war ihr beigebracht worden, sich kunstvoll zu schminken. Durch die täglichen Ausritte und die langen Wege im Palast hatte sie zehn Pfund abgenommen. Obwohl sie nicht die Perfektion eines Models erreicht hatte, war sie eine attraktive, vitale Frau geworden. Dennoch fiel es ihr schwer, den Ballsaal allein zu betreten. Allzu gern hätte sie es an Khalils Seite getan.

Sie seufzte. Leider hatte sie sich übergeben müssen, während er die Gäste begrüßt hatte. Denn ihre Anfälle von Übelkeit stellten sich selten morgens ein. Da sie ihm die Schwangerschaft bislang verschwieg, hatte sie ihn vorausgeschickt unter dem Vorwand, einen Fleck auf ihrem Kleid entdeckt zu haben und sich umziehen zu müssen.

Nun hielt sie nach ihm Ausschau und erblickte ihn schließlich in einer der vielen Nischen, die den Ballsaal säumten. In seiner Begleitung befand sich Amber, die wunderschöne Verführerin, in einem hautengen roten Seidenkleid, das ihre perfekte Figur betonte.

Im Vergleich zu dieser jungen Schönheit fühlte Dora sich wie eine hässliche Parodie. Ihr Selbstvertrauen verflüchtigte sich wie eine Pfütze Wasser in der Wüstensonne. Khalil hatte recht. Sie war ein Niemand.

„Ich will dich, Khalil“, hörte sie Amber in leidenschaftlichem Ton erklären. „Ich bin dein Schicksal, nicht diese Kuh. Was hast du dir dabei gedacht, sie zu nehmen, während du mich hättest haben können? Ich weiß, dass du sie nicht liebst. Ich will mit dir zusammen sein. Ich will deine Söhne gebären.“

Mit Tränen in den Augen eilte Dora davon, floh durch eine Seitentür hinaus auf den Balkon und trat schluchzend an die Brüstung. Sie hatte verloren. Kein Wunder, dass Khalil sich weigerte, ihr seine Liebe zu gestehen. Sie war ihm nur im Weg, denn er liebte eine andere. Wie sollte sie sich jemals gegen eine Frau wie Amber behaupten können?

„Aber, aber, so schlimm kann es nicht sein“, murmelte eine sanfte Stimme, und ein Taschentuch wurde ihr in die Hand gedrückt.

Dora nahm es dankbar und wischte sich die Tränen ab.

„Wenn du aufhörtest, dich vor der Wahrheit zu verstecken, wäre alles viel besser, mein Kind“, sagte Fatima.

„Es ist nicht so, wie du glaubst.“

Fatima, so elegant wie immer in einem ihrer Lieblingskleider von Chanel, tätschelte Doras Hand. „Ich weiß mehr, als du ahnst. Ich sehe viele Dinge, die anderen entgehen, und was ich nicht sehe, berichten mir meine Spione.“

Fatima hatte Spione? Warum nicht? dachte Dora. Schließlich schien die ganze Welt verrückt zu sein. „Ich kann ihn nicht verlassen“, sinnierte sie, ohne sich bewusst zu werden, dass sie es laut aussprach. „Nicht nur, weil ich ihn liebe. Wenn es nur das wäre, könnte ich mich vermutlich losreißen.“

„Das bezweifle ich“, entgegnete Fatima. Sie lehnte sich an die Brüstung und blickte zum Himmel hinauf. „Sieh dir nur mal die schönen Sterne an. So viele und so strahlend.“ Sie seufzte. „Du bist natürlich gefangen, da du jetzt schwanger bist. Du weißt ja, dass die Gesetze von El Bahar es schwangeren Frauen verbieten, das Land zu verlassen.“

„Es sei denn, dass der Ehemann sie oder ihre anderen Kinder misshandelt.“ Dora legte sich eine Hand auf den Bauch. „Wer weiß alles davon?“

Fatima lachte. „Wir haben es mit Männern zu tun, mein Kind. Sie werden es wissen, wenn du es ihnen sagst, nicht früher.“

Ihr blieb also Zeit. Aber wofür? „Nichts wird sich ändern.“

„Was möchtest du denn ändern?“

„Alles.“ Dora seufzte. „Khalil zu lieben, ist schlimm genug. Sein Kind zu bekommen, wird mich für immer an ihn binden.“ Die Gesetze gestatteten ihr zwar, nach der Geburt das Land zu verlassen, aber die Königsfamilie würde ihr nie gestatten, das Baby mitzunehmen. Außerdem wollte sie gar nicht gehen. Sie wollte, dass Khalil sie liebte.

„Nicht alles“, korrigierte Fatima. „Es ist eine Frage der Prioritäten. Du hast es falsch angepackt, wenn ich das mal sagen darf.“

„Inwiefern?“

„Du musst dir verdienen, was du am meisten begehrst. Du bist mit Khalils erstem Kind schwanger. Das gibt dir eine Macht, die keine andere Frau besitzt. Aber du musst diese Macht klug einsetzen.“

Tränen füllten Doras Augen. „Also ist es offensichtlich, dass Khalil mich nicht liebt.“

„Offensichtlich ist, dass ihr beide eure Ehe aus anderen Gründen als Liebe begonnen habt. Das ist bei königlichen Verbindungen häufig der Fall. Nur die sehr Glücklichen oder die Entschlossenen finden die Liebe später. Ersehnst du dir denn Khalils Liebe?“

Dora nickte. „Aber er liebt Amber, und mit ihr kann ich nicht konkurrieren. Sie ist jünger und schöner.“

„Sie ist unbedeutend, wie der Rauch eines Zauberers. Sehr eindrucksvoll während der Darbietung, aber anschließend bleibt nichts zurück. Khalil hat viel auf sich genommen, um dich zu heiraten. Er hat seiner Verlobten und den Traditionen seiner Familie den Rücken gekehrt. Er hat den Zorn seines Vaters riskiert. Hast du dich je gefragt, warum?“

„Er hat gesagt, dass Amber keine gute Mutter abgeben würde. Aber sie ist so schön.“

„Was ist Schönheit? Wahre Schönheit kommt von einem guten Herzen, nicht von langen Beinen oder einem hübschen Gesicht. Du musst Khalils Herz erobern.“

„Und wie soll ich das bewerkstelligen?“

Fatima lächelte. „Gib ihm, was er sich am meisten wünscht. Dann wirst auch du bekommen, was du dir am meisten ersehnst.“

16. KAPITEL

Lange Zeit stand Dora allein auf dem Balkon und dachte über Fatimas Worte nach.

Gerade als sie in den Ballsaal zurückkehren wollte, tauchte Amber aus den Schatten auf. „Oh, Prinzessin Dora, wie schön, Sie zu sehen.“

Dora erstarrte. Sie wollte keine verletzenden Worte mehr von dieser Frau hören, die ihr bereits den Hochzeitstag verdorben und sämtliche Illusionen geraubt hatte. Am liebsten wäre sie geflohen, aber diese Blöße wollte sie sich nicht geben. „Ich freue mich auch, Amber. Genießen Sie die Party?“

„Natürlich. Mein Vater ist sehr glücklich darüber, dass seine Familie vereint ist.“ Amber zog einen Schmollmund. „Es gefällt ihm nicht, dass ich so oft weg bin, aber es ist mir unmöglich, lange in El Bahar zu bleiben. Zu schmerzlich.“

„Ich kann mir denken, dass es Ihnen schwer fällt, Ihrem ehemaligen Verlobten und seiner Frau nahe zu sein. Wie schön, dass Sie es sich leisten können zu reisen. Das lenkt ab und erweitert den Horizont.“

Amber zog die schmalen Augenbrauen zusammen. „Seien Sie nur nicht so zuversichtlich, Eure Hoheit. Die Dinge sind nicht so, wie Sie glauben.“

Bedeutungsvoll blickte Dora auf ihren Ehering. „Immerhin hat er mich geheiratet.“

„Sie mögen seinen Namen und seinen Ring tragen, aber sein Herz gehört mir.“ Amber trat einen Schritt näher. „Wir sind immer noch Geliebte. Er besucht mich, wann immer er kann.“

Dora konnte nicht glauben, dass er mit einer anderen Frau verkehrte. Er war vital und leidenschaftlich und kam sehr häufig in ihr Bett. Er hatte viele Fehler, aber Untreue gehörte gewiss nicht dazu. „Ich wüsste nicht, wann er die Zeit dazu haben sollte.“

„Natürlich wissen Sie das nicht. Sie schlafen ja allein in Ihrer Suite am anderen Ende des Palastes. Sie können nicht merken, wie oft er in mein Bett kriecht.“

„Sie lügen. Ich werde Khalil von Ihrer Unverschämtheit berichten, und Sie werden aus dem Palast verbannt werden.“

Amber lachte. „Mein Vater ist der Premierminister von El Bahar und der engste Freund des Königs. Meine Familie steht der Königsfamilie seit Generationen sehr nahe. Glauben Sie ja nicht, dass Sie sich zwischen mich und den Mann, den ich liebe, stellen können. Sagen Sie ihm ruhig, was ich gesagt habe, wenn Sie es wagen. Sie werden sehen, wie wenig Sie zählen.“

„Ich bin seine Ehefrau.“

„Noch.“

Dora straffte die Schultern. „Sie sind ein verwöhntes Kind, Amber. Mit der Zeit werden Sie lernen, dass die Position einer Ehefrau viel Macht verleiht. Sie mögen jünger und schöner sein, aber ich werde diesen Kampf gewinnen.“

„Das werden wir sehen. Und wenn er in dieser Nacht nicht zu Ihnen ins Bett kommt, werden Sie wissen, dass ich die Wahrheit gesagt habe.“

Wortlos wandte Dora sich ab und kehrte in den Ballsaal zurück. Doch die Begegnung mit Amber hatte sie aufgewühlt und Zweifel gesät. Tränen brannten in ihren Augen.

Khalil trat zu ihr und bemerkte: „Du siehst krank aus. Fühlst du dich nicht gut?“

Was sollte sie antworten? Sollte sie es wagen, Ambers Behauptungen zu wiederholen, die womöglich nicht gelogen waren? Es war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung. „Ich bin nur müde“, entgegnete sie daher. „Ich möchte gern in mein Zimmer gehen.“

Er legte einen Arm um sie und führte sie hinaus. Als sie ihr Schlafzimmer betraten, sagte er freundlich: „Ich werde dich beim König entschuldigen. Schlaf dich gut aus. Dann fühlst du dich morgen hoffentlich besser. Ich werde dich heute Nacht nicht stören.“

Sie redete sich ein, dass er sich nur rücksichtsvoll verhielt und es nichts mit Amber zu tun hatte, aber sie war sich nicht sicher. „So krank fühle ich mich nicht“, murmelte sie. „Vielleicht nach der Party …“

Er schüttelte den Kopf. „Du wirfst mir oft vor, gefühllos zu sein, und ich will dir keine Munition liefern. Wenn du dich nicht gut fühlst, werde ich dich nicht belästigen.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und ließ sie allein.

Betroffen blickte Dora ihm nach und fragte sich, ob es ihr bestimmt war, den Rest ihres Lebens in Einsamkeit zu verbringen.

Sie warf sich auf das Bett, lauschte der Stille und schalt sich eine Närrin. Was hatte sie sich eingebildet? Sie war nichts weiter als eine kleine Sekretärin, die zufällig die Aufmerksamkeit eines wohlhabenden Prinzen erregt hatte. Nicht, weil sie schön oder klug, sondern weil sie verfügbar war. Eine Jungfrau mit gebärfreudigem Becken. Sie war ein Niemand.

Aufschluchzend barg sie das Gesicht in den Kissen. All ihre Träume, ihre Zukunftspläne waren zunichte gemacht.

Lange Zeit später, als ihre Tränen versiegt waren, hallten Fatimas Worte durch ihren Kopf: Gib ihm, was er sich am meisten wünscht … Aber was hatte sie Khalil schon zu geben?

Rastlos wanderte sie in ihrer Suite umher. Als ihr Blick in den Spiegel fiel, stellte sie erneut fest, wie sehr der Aufenthalt in El Bahar ihr Aussehen verändert hatte. Der schüchtern gesenkte Blick war verschwunden. Sie hielt sich aufrecht, strahlte Selbstvertrauen aus. Ihre Figur war nun ausgewogen, und das längere Haar schmeichelte ihrem Gesicht. Irgendwann in den vergangenen Monaten hatte sich das hässliche Entlein gemausert.

Sie setzte sich an den Schreibtisch, der von zahlreichen Dokumenten übersät war, und blickte sich in dem großen Salon um. Die luxuriöse Einrichtung wirkte längst nicht mehr einschüchternd auf sie. Denn sie war nicht länger Dora Nelson, der Fußabtreter, sondern Dora Khan, die Prinzessin von El Bahar.

Und plötzlich, völlig unvermittelt verstand sie, wovon Fatima gesprochen hatte. Was Khalil sich von ihr ersehnte, war ihre Liebe.

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Wie einfach! Warum hatte sie es vorher nicht erkannt? Khalil wollte keine Schaufensterpuppe als Ehefrau. Er brauchte und wollte eine Partnerin, die ebenso intelligent war und sich für El Bahar engagierte wie er. All das traf auf sie zu, nicht auf Amber.

Doch er hatte sich nie für seine Lügen entschuldigt und nie seine Gefühle eingestanden. „Aber ich will, dass er sich fügt“, murmelte sie vor sich hin. „Ich will, dass er mich liebt.“

Es war eine Frage des Starrsinns und des Willenskampfes. Wenn sie nachgab, was dann? Würde Khalil sie unterdrücken? Würde ihr die Position als Ministerin aberkannt werden? Oder würde sie sich ihren Herzenswunsch erfüllen?

Sie dachte daran, dass er sie fast jede Nacht beharrlich verführte, und wie sehr die Intimität sie körperlich wie seelisch miteinander verband. Sie dachte daran, wie stolz er auf ihre Ernennung zur Ministerin war und wie oft er ihr gestattete, dem König gegenüber für beide zu sprechen. Sie dachte an die gemeinsamen Abende, die sie mit Lesen oder Gesprächen verbrachten, und an sein Werben.

Das war nicht das Verhalten eines Mannes, der keine Gefühle hegte. In vielerlei Hinsicht hatte er sich ihr gefügt. Wollte sie alles aufs Spiel setzen, indem sie sich an die Erfüllung ihrer Forderungen klammerte?

Gedankenverloren nahm sie den kleinen Dolch mit dem goldenen Griff zur Hand, den sie als Brieföffner benutzte. Sie mussten dringend den Status quo ändern. Doch sie hasste es ebenso wie Khalil, klein beizugeben.

Plötzlich kam ihr eine Idee. Ein Blick zur Uhr verriet ihr, dass die Party inzwischen vorüber sein sollte. Und wenn sie sich irrte und Khalil mit Amber zusammen war, dann war es besser, es zu erfahren, bevor sie sich völlig zum Narren machte.

Kaum eine halbe Stunde später huschte sie leise durch die Korridore des Palastes. Sie trug eines ihrer elegantesten Gewänder, ein Modellkleid mit tieferem Ausschnitt, als sie für gewöhnlich bevorzugte. Denn sie brauchte mehr als nur eine Waffe. Den Dolch hielt sie in den Falten des Kleides verborgen.

Lautlos schlüpfte sie in Khalils Gemächer und verschloss die Tür hinter sich. Ein rascher Blick durch den Raum verriet ihr, dass er allein war. Er saß am Schreibtisch, mit dem Gesicht zum Meer, und hatte ihr Eintreten bislang nicht bemerkt.

Die Terrassentür war geschlossen und wirkte wie ein Spiegel. Deutlich sah sie die Locke, die ihm in die Stirn fiel. Er hatte die Smokingjacke und die Krawatte abgelegt, das Hemd aufgeknöpft und die Ärmel hochgerollt. Sein Anblick raubte ihr den Atem. Wie sehr begehrte sie ihn – nicht nur im Bett, sondern in ihrem Leben. Sie wollte mit ihm alt werden.

Sie trat einen Schritt näher, dann noch einen. Schließlich blickte er auf und sah ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. „Dora, was tust du denn hier? Geht es dir nicht gut?“, fragte er besorgt.

Wortlos trat sie hinter ihn und hielt ihm den Dolch an die Kehle. Zu ihrer Enttäuschung wirkte er nicht einmal überrascht.

Seelenruhig legte er den Kugelschreiber nieder und bemerkte: „Wenn du meine Aufmerksamkeit erringen wolltest, so ist es dir gelungen.“

Sie drückte ihm die Klinge an den Hals. „Wenn ich jemals herausfinde, dass du mich betrügst, werde ich diese Klinge einsetzen, Khalil, und zwar nicht an deiner Kehle.“

„Ich verstehe. Danke für die Vorwarnung. Es beunruhigt mich aber nicht. Ich habe keinen Wunsch, mit einer anderen Frau als meiner Wildkatze zusammen zu sein.“

Im Fenster sah sie ein Lächeln um seine Lippen spielen. „Glaube ja nicht, dass ich bluffe. Ich werde es tun. Du bist mein Ehemann und der Besitzer meines Herzens. Als solcher schuldest du mir Respekt und Ehrerbietung.“

Sein Lächeln schwand. Blitzschnell umfasste er ihr Handgelenk, sodass der Dolch zu Boden fiel. Er sprang auf und wirbelte zu ihr herum. „Was hast du da gesagt?“

„Du hast es doch gehört.“ Sie versuchte, ihr Handgelenk zu befreien, doch er verstärkte den Griff. „Lass mich los.“

„Niemals!“ Er hob sie auf die Arme, trug sie durch den Raum und legte sie auf das Bett. „Ich werde dich niemals loslassen.“ Er setzte sich zu ihr, streichelte ihr Gesicht. „Denn du gehörst mir, oder?“

„Ja“, flüsterte sie. „Ich liebe dich von ganzem Herzen, aber das allein ändert nichts. Ich will eine richtige Ehe. Ich will, dass du mir schwörst, dass du nie mit einer anderen schlafen wirst, vor allem nicht mit Amber.“

Er zog sie in die Arme und bettete ihren Kopf an seiner Schulter. „Ich hätte dir die Wahrheit über sie sagen sollen, aber ich habe mich geschämt. Ich wollte nie etwas mit ihr zu tun haben. Sie ekelt mich an. Seit Jahren hüpft sie von Bett zu Bett. Ich wollte es nicht enthüllen wegen ihres Vaters.“

„Aleser ist ein guter Staatsmann“, sinnierte Dora. „Wenn du ihm die Augen über seine Tochter geöffnet hättest, wäre er gezwungen gewesen abzudanken.“

Khalil nickte. „In New York hat Amber mich aufgesucht und verlangt, dass wir heiraten. Ich war in einem Dilemma.“

Nun wurde Dora vieles klar. „Und ich war ein erträglicher Ausweg.“

„Weit mehr als erträglich.“ Er strich mit den Lippen über ihre. „Du bist das Licht meines Lebens.“

„Du liebst mich“, murmelte sie.

Er seufzte. „Ja, Dora, ich liebe dich.“

Sie lächelte. „Ach, Khalil, wir waren beide so starrsinnig. Das macht mich traurig.“

„Das sollte es auch. Es war ganz allein deine Schuld. Hättest du dich vernünftig verhalten, hätten wir …“

Sie schob ihn von sich und wollte aus dem Bett springen.

„Wo willst du denn hin?“, fragte er und hielt sie fest.

„Den Dolch holen. Ich werde ihn benutzen.“

Er lachte. „Niemals. Du liebst mich zu sehr.“

„Ich weiß. Das hasse ich.“

„Das stimmt nicht.“

Sie schmiegte sich an ihn. „Nein, es stimmt nicht.“

Er streichelte ihr Haar. „Liebst du mich schon lange?“

„Ja. Fast von Anfang an.“

„Wie konntest du dich dann immer von mir abwenden, wenn ich zu dir kam? Warum wolltest du nicht mit mir schlafen?“

„Ich habe jedes Mal gegen mein Verlangen gekämpft. Ich habe dich verzweifelt begehrt. Ich begehre dich ständig.“

„Wie ich dich.“ Khalil stand auf, entkleidete sich und streckte sich auf dem Bett aus. „Du hast für einiges zu büßen“, verkündete er gebieterisch. „Du hast deinem Ehemann seinen angemessenen Platz in deinem Bett und deinem Herzen verwehrt. Die Strafe dafür wird hart sein.“ Er winkte sie näher. „Du darfst beginnen, deine Sünden zu sühnen, indem du mir zu Diensten bist.“

„Oh, darf ich wirklich? Wie edelmütig.“ Dora stand auf, zog sich gemächlich, aufreizend aus. Dann kniete sie sich über ihn und beugte sich hinab, bis ihre Knospen beinahe seinen Mund berührten. „Sag mir, was du wünschst, Prinz Khalil, und ich werde es erfüllen.“

Er küsste ihre Brüste. „Versprich mir, dass du hier bei mir wohnen wirst.“

„Ich möchte nirgendwo lieber sein. Sonst noch etwas?“

Er dachte einen Moment nach. „Versprich mir, dass du mich immer lieben wirst.“

„Für immer.“

„Das ist beinahe so lange, wie ich dich lieben werde.“

„Ist das alles? Oder hast du weitere Wünsche?“

Er grinste. „Mehrere. Du darfst beginnen, sie zu befriedigen, indem du mit mir schläfst. Leg dich auf mich.“

„Jawohl, Eure Hoheit.“ Sie tat wie geheißen und nahm ihn tief in sich auf.

Er stöhnte. „Ich habe dich vermisst.“

Sie sah davon ab, ihm in Erinnerung zu rufen, dass sie erst zwei Nächte zuvor miteinander geschlafen hatten. Stattdessen bewegte sie die Hüften in einem Rhythmus, der sie beide dem Gipfel nahe brachte. Obwohl es ihr schwer fiel, zwang sie sich schließlich innezuhalten. „Khalil?“

„Was denn, Liebes?“

Sie küsste seine Lippen. „Ich bin schwanger“, flüsterte sie, bevor sie sich erneut bewegte.

Verblüffung spiegelte sich auf seinem Gesicht. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, doch es war zu spät. Die Leidenschaft übermannte ihn. Er stöhnte erstickt auf und zog sie mit verklärter Miene fest an sich.

Da wusste sie, dass sie gewonnen hatte. Nicht nur ihr aufreizendes Spielchen, sondern auch seine Liebe. Was als Ehe der Vernunft und Pflicht begonnen hatte, hatte sich in das Wunder verwandelt, das nur sehr wenigen, vom Glück Begünstigten widerfuhr.

– ENDE –

IMPRESSUM

Heiß wie die Sonne von El Bahar erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Originaltitel: „The Sheik‘s Arranged Marriage“
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© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1246 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Tatjána Lénárt-Seidnitzer

Umschlagsmotive: g-stockstudio, LucVi / GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733779566

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Mommy, guck mal!“

Liana Archer blickte von dem Liebesroman auf und starrte aus dem Fenster des Flugzeugs. Sie sah einen strahlend blauen Himmel, eine erbarmungslose Sonne und etwa ein Dutzend Männer auf Pferden. „Keine Angst, Bethany“, sagte sie geistesabwesend. „Das ist nur …“

Erschrocken verstummte sie und riss die Augen weit auf. Männer auf Pferden? Als der Pilot verkündet hatte, dass sie ein paar Minuten verspätet am Gate eintreffen würden, hatte sie angenommen, dass es sich um ein technisches Problem handelte. Nicht im Traum hätte sie daran gedacht, dass sie von einer Gruppe Eingeborener überfallen wurden.

Instinktiv zog sie ihre neunjährige Tochter an sich. „Es wird alles gut“, sagte sie mit einer Ruhe, die sie keineswegs verspürte.

Andere Passagiere hatten die Männer ebenfalls entdeckt. Stimmengemurmel erhob sich. Mehrere Frauen begannen zu schreien. Lianas Herz pochte heftig, und ihr Atem beschleunigte sich derart, dass sie in Ohnmacht zu fallen fürchtete. Was ging da vor sich? Ihr war versichert worden, dass El Bahar das sicherste Land im Nahen Osten und der König ein aufrechter, von seinem Volk geliebter Herrscher war. Sie hatte diesen Informationen geglaubt. Andernfalls hätte sie sich und ihre Tochter niemals dem Umzug bis ans andere Ende der Welt ausgesetzt.

Die Passagiere duckten sich auf ihren Sitzen, als die Eingeborenen an Bord kamen.

Zum Glück sitzen wir ganz hinten, dachte Liana, während sie sich nach dem nächsten Notausgang umblickte.

„Mommy?“ Bethanys Stimme klang zittrig, und ihr Gesicht war kreidebleich. „Müssen wir jetzt sterben?“

„Natürlich nicht.“ Liana strich ihr das blonde Haar aus der Stirn und küsste sie auf die Wange. „Bestimmt gibt es eine logische Erklärung dafür, und wir werden …“

Mehrere große, dunkle Männer in Roben und mit Kopfbedeckung stürmten die Kabine. Sie schienen nach jemandem zu suchen.

„Was wollen Sie?“, verlangte ein Passagier zu wissen und stand auf. „Wenn Sie Geiseln wollen, lassen Sie wenigstens die Frauen und Kinder gehen.“

Die Eingeborenen ignorierten ihn. Etwa in der Mitte des Flugzeugs blieben sie stehen. Einer von ihnen griff nach einer jungen Frau und zog sie vom Sitz. Nach einem Wortwechsel, den Liana nicht verstehen konnte, wurde die Frau abgeführt.

Aufgeregte Stimmen erhoben sich. Schreie hallten durch die Kabine.

„Ruhe, bitte!“, rief eine laute Männerstimme über den Lärm der hysterischen Passagiere hinweg.

Liana blickte auf und sah einen der Einheimischen vorn in der Kabine stehen. Er war größer als die anderen und auf exotische Weise gut aussehend. Mit gespreizten Beinen stand er da, und seine zurückgeschlagene Robe enthüllte eine Pistole an seinem Gürtel. Sie schluckte schwer und suchte sich mit dem Gedanken zu trösten, dass Erschießung zumindest ein schneller Tod war.

„Ich entschuldige mich für die Ängste, die Sie ausgestanden haben“, sagte der Mann. „Einige der jüngeren Männer haben sich zu sehr für ihren Auftrag engagiert und das Spiel zu ernst genommen.“

Er verbeugte sich tief. Als er sich wieder aufrichtete, lächelte er, und sein Gesicht wirkte nicht länger unnahbar, sondern faszinierender, als gesetzlich erlaubt sein sollte.

„Ich bin Malik Khan, Kronprinz von El Bahar. Willkommen in meinem Land. Was Sie gerade gesehen haben, war keine Entführung, und es war kein Leben in Gefahr. Eine junge Amerikanerin, die im Palast angestellt ist, wurde von ihrem Verlobten aus dem Flugzeug gerettet.“ Er deutete zur Linken aus dem Fenster. „Wie Sie beobachten können, ist sie sehr erfreut über die Geschehnisse.“

„Kannst du es sehen?“, flüsterte Bethany.

Liana reckte den Hals und blickte auf der anderen Seite des Flugzeugs aus dem Fenster. Die junge Frau, die aus dem Flugzeug geführt worden war, lag in den Armen eines Mannes und wirkte überglücklich. „Sie küssen sich. Der Mann scheint recht zu haben. Es war nur ein Spaß, der außer Kontrolle geraten ist.“

Grinsend legte Bethany sich eine Hand auf die Brust. „Ich dachte schon, mein Herz würde aus meiner Brust springen.“

Liana lächelte. „Ich auch, Kind. Da hätten sie zappelnd auf dem Fußboden gelegen.“ Sie demonstrierte es mit einer zuckenden Handbewegung.

Bethany kicherte.

„Also hast du dich erholt, junge Dame? Du fürchtest nicht mehr, El Bahar zu betreten?“

Gleichzeitig drehten sie sich zum Gang um. Der große Prinz stand neben ihren Sitzen. Bethany starrte zu ihm auf. „Ich würde El Bahar gern sehen, aber nicht, wenn Sie uns die Köpfe abhacken.“

Er zwinkerte ihr zu. „Mir gefällt dein Kopf, wo er ist. Ich verspreche, dass du hier in Sicherheit sein wirst. Wenn dich jemand belästigt, dann sag ihm, dass du den Kronprinzen persönlich kennst.“

Mit großen Augen blickte sie ihn an. „Sind Sie ein richtiger Prinz? Wie in Aschenputtel?“

„Genau so einer.“ Er wandte sich ein Liana. Gerade wollte sie ihm ein höfliches Lächeln schenken und ihm versichern, dass es auch ihr gut ging, als sich ihre Blicke begegneten und einander gefangen hielten.

Seine Augen waren so dunkel wie die Nacht, und sie spürte deren Wirkung bis hinab in die Zehenspitzen. Obwohl sie die vernünftigste Frau war, die sie kannte, spürte sie eine heftige Anziehungskraft. In ihr erwachte ein überwältigender Drang, diesen Fremden anzuflehen, sie zu berühren und zu küssen – geradewegs in diesem Flugzeug. Es schien, als wäre ihr eine Überdosis einer Liebesdroge verabreicht worden. Sie konnte nicht sprechen, konnte kaum atmen.

Zum Glück lächelte der Prinz nur und kehrte wortlos in den vorderen Bereich zurück.

„Wow! Der ist aber cool“, flüsterte Bethany verklärt. „Ich habe einen lebendigen Prinzen kennen gelernt! Er ist viel netter, als ich dachte. Findest du, dass er gut aussieht, Mommy?“

„Ja, das finde ich“, gestand Liana ein. Beide beobachteten, wie er von Bord ging. Die Tür wurde geschlossen, und das Flugzeug rollte zum Gate. Als sie ihren Liebesroman im Handgepäck verstaute, musterte sie den Einband und dachte dabei, dass der Inhalt ansteckend sein musste. Denn einen flüchtigen Moment lang hatte sie sich wie die Heldin zu einem großen, dunklen, unerreichbaren Mann hingezogen gefühlt.

Nur eine Verirrung, sagte sie sich, während sie und Bethany sich in der trägen Schlange zur Gepäckausgabe begaben. Der lange Flug, die Angst oder der Genuss von zu viel Kaffee musste einen Schalter in ihrem Gehirn betätigt haben. Das war die einzige Erklärung für ihre spontane, überwältigende Zuneigung zu einem Fremden.

Vierzig Minuten später, als Liana und Bethany an der Zollabfertigung warteten, trat ein schmächtiger Mann zu ihnen. „Würden Sie bitte mitkommen?“, bat er und bückte sich bereits nach einem ihrer Koffer.

„Was tun Sie denn da?“, fragte Liana schroff. „Fassen Sie das nicht an.“

Die Zollabfertigung befand sich in einem großen klimatisierten Raum. Obwohl die Schlangen an den Schaltern lang waren, ging es zügig voran. Gerade wollte sie einen der Sicherheitsbeamten rufen, die durch die Menge patrouillierten, als sich der kleine Mann entschuldigend verbeugte.

„Ich wurde geschickt, um Sie zu einer kürzeren Schlange zu führen“, erklärte er. „Da Sie ein Kind bei sich haben, möchten wir Ihnen lange Wartezeiten ersparen. Gleich da drüben.“ Er deutete zu einem einsamen Zollbeamten am anderen Ende des Gebäudes.

Liana fragte sich, warum niemand sonst diesen Schalter wählte. Sie hob den Blick und sah ein Schild mit der Aufschrift: Staatsbesucher und Residenten. „So gern ich es mir auch anders wünsche“, entgegnete sie mit einem freundlichen Lächeln, „bin ich weder Staatsbesucher noch Resident. Aber vielen Dank für das Angebot.“

Der kleine Mann presste die dünnen Lippen zusammen. Er hatte dunkle Augen und einen spärlichen Bart, und er trug einen vorzüglich geschneiderten Anzug. „Bitte, Madam. Wir wären Ihnen gern zu Diensten.“

Ein uniformierter Sicherheitsbeamter trat zu ihnen. „Es ist wirklich in Ordnung, Madam. Wir bemühen uns nur, den Prozess zu beschleunigen.“

„Wenn Sie meinen“, sagte Liana zweifelnd. Sie gestattete den beiden Männern, Besitz von ihrem Gepäck zu ergreifen und zu dem Zollbeamten vorauszugehen.

„Wieso wolltest du nicht zu dem Schalter gehen?“, wollte Bethany wissen. „Hättest du lieber hier Schlange gestanden?“

„Okay, okay, ich wollte nur vorsichtig sein.“

Sie warteten, während der uniformierte Beamte ihre Pässe prüfte. Liana blickte sich um und stellte überrascht fest, dass sie die Einzigen an diesem Schalter waren. Sie wandte sich an den kleinen Mann. „Ich verstehe das nicht. Warum ich und niemand sonst?“

„Weil ich es angeordnet habe.“

Auf Anhieb erkannte Liana die tiefe, sonore Stimme. Noch bevor sie sich zu dem Mann umdrehte, stellten sich ihre Nackenhaare auf. Sie war müde, hungrig und vierundzwanzig Stunden lang mit ihrer neunjährigen Tochter um die halbe Welt gereist. Sie war nicht in der Stimmung, als Spielball behandelt zu werden – nicht einmal von ihrem eigenen Körper.

Doch all ihr Widerstand vermochte nicht die Woge der Hitze oder das Zittern in ihren Gliedern zu vertreiben. Sie hob den Blick, geradewegs zu dem hübschen Gesicht von Malik Khan, Kronprinz von El Bahar.

Er verbeugte sich tief. „Wir sind uns noch nicht offiziell vorgestellt worden. Ich bin Prinz Malik, und Sie sind …?“ Er griff nach ihrem Pass.

„Liana Archer. Das ist meine Tochter, Bethany.“

„Hi.“ Bethany strahlte ihn an. „Leben Sie in einem richtigen Palast?“

„Natürlich. Mit meinen beiden Brüdern und deren Frauen. Viele Prinzen und Prinzessinnen. Ach ja, und mit meinem Vater, dem König von El Bahar.“

„Und Sie haben ganz viel Gold und eigene Pferde, und alle Leute verbeugen sich dauernd vor Ihnen?“

Malik grinste. „Nicht so viel Gold, wie wir gern hätten, und die Leute verbeugen sich nicht mehr so oft. Es wäre sehr schwierig für sie, ihre Arbeit zu verrichten, wenn sie sich ständig verbeugen würden.“ Er gab dem Zöllner ein Zeichen, der hastig ihre Pässe abstempelte und sie passieren ließ, ohne ihr Gepäck auch nur eines Blickes zu würdigen. „Willkommen in El Bahar.“

Liana war immer noch sprachlos über das Wiedersehen, ganz zu schweigen von ihrer unangebrachten körperlichen Reaktion auf seine Nähe. Sie war zu erschöpft, um zu ergründen, was mit ihr nicht stimmte. Daher beschloss sie, es zu ignorieren. Der Prinz war sehr groß. Er überragte sie um einiges, obwohl sie selbst nicht gerade klein geraten war. Oder verlieh sein Kopfschmuck ihm vielleicht die Illusion von Größe? Sie musterte ihn und befand, dass seine Kleidung zwar seine Stärke unterstreichen mochte, aber nichts hinzufügte, was nicht vorhanden war. Nein, Prinz Malik war groß, stark und Furcht einflößend. Aber vielleicht waren alle Prinzen so. Sie konnte es nicht beurteilen, da sie kaum in königlichen Kreisen verkehrte.

„Warum haben Sie das getan?“, erkundigte sie sich, als sie schließlich ihre Stimme wiederfand.

Malik zuckte die Achseln. „Ich wollte mich dafür entschuldigen, dass wir Ihnen und Ihrer Tochter im Flugzeug Angst eingejagt haben. Ich versichere Ihnen, dass es nicht unsere Absicht war.“

Sie versuchte zu ignorieren, dass seine Augen ihr bis in die Seele zu blicken schienen, indem sie ihn kritisch musterte. Wenn sie etwas an ihm auszusetzen fand, wirkte er vielleicht nicht mehr so einschüchternd.

Zu ihrem Pech war sein Äußeres jedoch makellos. Er besaß weit auseinander stehende Augen und eine gerade Nase. Gebräunte Haut spannte sich über hohen Wangenknochen. Sein Mund war fest und ein bisschen streng, aber von Lachfältchen umrahmt. Er war die Art Mann, dessen Porträt auf einer Briefmarke gut ausgesehen hätte.

„Also, Liana Archer, warum sind Sie in meinem Land?“, erkundigte er sich.

„Ich bin die neue Lehrerin an der Amerikanischen Schule.“ Sie blickte über die Schulter zurück. Der Zöllner, der kleine Mann und der Sicherheitsbeamte befanden sich immer noch in Hörweite. Keiner von ihnen lauschte unverhohlen, aber Liana bezweifelte nicht, dass sie jedes Wort verfolgten.

Malik verzog das Gesicht. „Das sind Sie nicht.“

„Wie bitte?“

„Sie sind keine Lehrerin.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Lehrerinnen sind alt und hässlich. Warum sind Sie also wirklich hier, und wo ist Ihr Mann?“

Liana war davor gewarnt worden, dass El Bahar zwar moderner gesinnt war als die meisten Länder des Nahen Ostens, aber bestimmte Vorstellungen noch immer in der Vergangenheit wurzelten.

Der seltsame Empfang im Flugzeug, ihre anhaltende Faszination für diesen Mann und die Müdigkeit auf Bethanys Gesicht ließen sie spontan entgegnen: „Hören Sie, Hoheit, es geht Sie zwar nichts an, aber ich bin nicht mehr verheiratet. Gegen mein Alter kann ich nichts tun, aber wenn Sie möchten, werde ich daran arbeiten, mir ein paar Warzen wachsen zu lassen, um hässlicher zu werden. Wären Sie damit zufrieden?“

Hinter sich hörte sie die drei Männer nach Atem ringen. Zu spät bedachte sie, dass Sarkasmus beim Kronprinzen vermutlich nicht erwünscht war. Eine Vision von Jahren in einem Wüstengefängnis, gefolgt von einem langsamen und qualvollen Tod, stieg vor ihrem geistigen Auge auf. Sie trat einen Schritt näher zu Bethany.

Doch anstatt zornig zu werden, lächelte der Prinz nur. „Wären die Warzen auf Ihrer Nase?“

„Möchten Sie sie dort haben?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich muss mir die Sache überlegen.“ Er schnippte mit den Fingern, und ein Kofferträger erschien mit einem Karren.

Wenige Minuten später entfernten Liana und Bethany sich in einem Taxi vom Flughafen. Prinz Malik hatte sie mit guten Wünschen einfach ziehen lassen.

„Erinnere mich daran, dass ich nie wieder versuche, geistreich gegenüber einem Angehörigen des Königshauses zu sein“, murmelte Liana.

Bethany kuschelte sich an sie. „Er war nicht böse. Er mag dich. Das habe ich gemerkt.“

„Wie nett“, bemerkte Liana automatisch, doch sie war nicht im Geringsten interessiert an seiner Einstellung. Ihr Leben gefiel ihr so, wie es war. Sie hatte Pläne und Ziele, in die keine Tändelei mit einem Prinzen passte.

Als das Taxi die Ausfahrt des Flughafengeländes erreichte, wurde Liana bewusst, dass sie dem Fahrer keine Adresse genannt hatte. „Kennen Sie die Amerikanische Schule? Dorthin möchten wir fahren. Ich kann Ihnen Richtungsanweisungen geben.“

Der dunkelhäutige Mann begegnete ihrem Blick im Spiegel und nickte ihr freundlich zu. „Das ist nicht nötig, Madam. Ich kenne den Ort gut.“

Als das Taxi auf die Schnellstraße abbog, fragte sie Bethany: „Was hältst du von El Bahar?“

Die Stadt erstreckte sich vor ihnen, mit dem Arabischen Meer zur Linken. Es war von einem dunkleren Blau als der Himmel – beinahe die Farbe von Kobalt. Üppige Pflanzen wuchsen bis an den Rand der Schnellstraße, doch in der Ferne war das Ödland zu sehen, das den Anfang der Wüste darstellte.

„Es gefällt mir.“ Bethany schnupperte. „Die Luft riecht süß, wie Blumen oder Parfüm. Weißt du, was das ist?“

Liana atmete tief den Duft ein. „Nein. Irgendeine Blume, denke ich. Wir werden im Computer nachsehen.“

In ihrem Vertrag war zusammen mit einer möblierten Zweizimmerwohnung ein Laptop mit Internetzugang vorgesehen, den sie sowohl im Klassenzimmer als auch zu Hause benutzen durfte. Sämtliche Unkosten waren enthalten. Die Amerikanische Schule hatte ihr ein sehr großzügiges Angebot unterbreitet. „Stell dir nur mal vor, du kannst deinen Klassenkameraden sagen, dass du den Kronprinzen schon kennen gelernt hast.“

Bethany grinste. „Meinst du, dass sie mir das glauben?“

„Wenn nicht, dann fungiere ich als Zeugin.“

Das Taxi passierte eine Gruppe Hochhäuser, die zwischen dem Highway und dem Meer standen. Liana erinnerte sich an die Erkundigungen, die sie über das Land eingezogen hatte, und vermutete, dass es sich um den Finanzdistrikt handelte. El Bahar besaß eine stabile Wirtschaft, die ausländische Investoren ermutigte zu investieren.

In wenigen Minuten erreichten sie die Stadt, die gleichermaßen aus modernen und antiken Gebäuden bestand. In der Ferne tauchten die letzten Überreste der Mauer auf, die einmal die Stadt behütet hatte, und dahinter ragte ein strahlend weißes Gebäude zum Meer hinaus.

Bethany deutete auf das große Gebäude. „Das ist der Palast. Ich erkenne ihn von den Fotos.“

„Ich frage mich, ob unsere Wohnung in der Nähe liegt. Ich habe gelesen, dass es Führungen durch die Gärten gibt. Wir werden bald an einer teilnehmen.“

„Vielleicht sehen wir dann Prinz Malik wieder.“

„Sicherlich“, sagte Liana, obwohl sie daran zweifelte. Gewiss hatte ein Kronprinz keine Zeit, sich mit Touristen zu befassen. Nein, ihre Begegnung mit dem Königtum war vorüber.

Kurz darauf passierte das Taxi ein eindrucksvolles Tor. Eine lange Auffahrt schlängelte sich zwischen exotischen Bäumen und Blütenpflanzen hindurch.

Liana richtete sich auf und blickte sich um. Lag das Wohnhaus der Amerikanischen Schule inmitten solch eindrucksvoller Gründe? Oder handelte es sich um einen Park?

Nach einer Kurve tauchte das weiße Gebäude auf, das sie vor wenigen Minuten von fern bewundert hatten. Aus der Nähe wirkte es noch riesiger und eindrucksvoller. Etwa ein Dutzend Wachen stand still vor einer riesigen Doppeltür.

„Mommy, wo sind wir?“, fragte Bethany.

Liana hatte keine Antwort. Sie wandte sich an den Mann hinter dem Steuer. „Da liegt ein Irrtum vor.“

Grinsend schüttelte er den Kopf. „Kein Irrtum. Seine Hoheit hat mich angewiesen, Sie nach Hause zu bringen, und da sind wir. Willkommen im Königspalast von El Bahar.“

Bevor sie entscheiden konnte, was sie tun sollte, trat ein großer Mann in einem grauen Anzug zum Taxi und öffnete den Schlag. „Gut, da sind Sie ja. Kommen Sie mit.“

2. KAPITEL

„Mommy, guck mal!“

Liana folgte Bethanys Blick zur gewölbten Decke des riesigen Foyers, in das sie geführt worden waren. Glitzernde Sterne auf dunklem Untergrund stellten den Nachthimmel dar, und im Osten waren die ersten rosa Strahlen des Sonnenaufgangs zu sehen. Das gesamte Bild war mit Goldfarbe gemalt. Oder vielleicht war es sogar echtes Gold. Glasierte Mosaiksteinchen auf dem Fußboden bildeten einen Drachen ab, der ein Königreich – vermutlich El Bahar – bewachte.

„Wenn dich die Decke beeindruckt, dann sieh dir bloß an, worauf du stehst“, murmelte sie.

Bethany sprang zurück und musterte die riesige, gefährlich wirkende Kreatur. „Ich bin ihm auf den Schwanz getreten“, flüsterte sie. „Glaubst du, dass er mir böse ist?“

„Es sind schon Leute auf mehr als nur den Schwanz getreten“, verkündete Prinz Malik, während er den Raum betrat. „Herzlich willkommen. Ich hoffe, dass die Taxifahrt angenehm war.“

„Es gibt nichts auszusetzen“, erwiderte Liana. Sie war fest entschlossen zu ignorieren, dass ihr Blut schneller und heißer durch ihre Adern zu fließen schien. Ja, er war fabelhaft gut aussehend – und eben ein Prinz. Aber sie wollte sich nicht von ihm oder ihrer Umgebung beeindrucken lassen. Doch sie fragte sich, wie es ihm gelungen war, den Palast vor ihnen zu erreichen und sich noch dazu umzuziehen. Oder hatte er diesen grauen Anzug unter seiner Robe getragen?

„Sie werden feststellen, dass der Palast sehr behaglich ist.“

„Der Palast ist wundervoll. Sehr eindrucksvoll und nicht der Ort, an dem wir wohnen wollen.“ Als Bethany zu ihr trat, legte sie ihr einen Arm um den schlanken Körper. „Ich bin Lehrerin an der Amerikanischen Schule. Als solche wurde mir dort eine Unterkunft zugesagt. Ich weiß nicht, warum Sie uns in den Palast gebracht haben oder was Sie dadurch zu erreichen hoffen, aber ich bestehe darauf, dass Sie uns jetzt gehen lassen.“

Malik tat ihre Bemerkungen mit einer Handbewegung ab. „Sie werden hier viel glücklicher sein. Die Räume sind größer, und Sie können alles nach Herzenslust erforschen. Morgens und abends wird Ihnen ein Transport zur Schule und wieder zurück zur Verfügung stehen.“

Liana fühlte sich, als spielte sie eine Nebenrolle in einem schlechten Film. „Sind wir gekidnappt worden?“

Ihre Frage schien ihn zu kränken. „Natürlich nicht.“ Er richtete sich zu seiner vollen, eindrucksvollen Größe auf. „Ich bin Kronprinz Malik Khan von El Bahar. Ich erweise Ihnen die Ehre, mein Gast im Königspalast zu sein.“

Liana presste die Lippen zusammen. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Ein leises, schnüffelndes Geräusch drang in ihre Gedanken. Sie drehte sich um und sah einen Golden Retriever vor der Eingangstür. Er wedelte heftig mit dem Schwanz, betrat den Palast jedoch nicht.

Bethany erblickte den Hund und klatschte in die Hände. „Mommy, kann ich ihn streicheln?“

Liana blickte Malik an. „Ist er lieb?“

„Ja. Sam gehört meinen Neffen, die alle jünger als Bethany sind. Er ist sehr kinderfreundlich.“

„Geh nur, aber bleib in Sichtweite“, sagte Liana.

Langsam näherte Bethany sich dem Retriever und streckte die Hand aus. Sam beschnüffelte sie, beleckte ihre Finger und wedelte hocherfreut über den neuen Spielgefährten mit dem Schwanz.

Liana nutzte die Gelegenheit und trat näher zu dem Prinzen. Nicht, weil sie noch mehr in seinen Zauberbann geraten wollte, sondern weil Bethany nicht hören sollte, was sie zu sagen hatte.

„Wir werden nicht hierbleiben“, teilte sie ihm mit. „Ich weiß nicht, was Sie sich dabei denken, aber Ihr Verhalten ist völlig unakzeptabel. Ich bin eine amerikanische Bürgerin und für die nächsten zwei Jahre Gast in Ihrem Land. Als solche werde ich die Gesetze von El Bahar befolgen. Als Gegenleistung wünsche ich mit Respekt und Höflichkeit behandelt anstatt gegen meinen Willen festgehalten zu werden.“

„Sie verstehen nicht“, entgegnete Malik geduldig. „Es ist besser für Sie, im Palast zu sein.“

Er wirkte zu intelligent, um ihren Standpunkt nicht zu verstehen. Demnach hörte er nicht zu. Diese Eigenschaft teilte er mit vielen Männern, und vielleicht wurde sie durch seinen königlichen Status noch verstärkt. Dennoch musste sie ihn zur Einsicht bringen.

Sie setzte zu einer Erklärung an, als ihr eine Erinnerung kam, die sie trotz der potentiellen Gefahr ihrer Lage leise lachen ließ. „Hoheit, Sie wollen dieses Spiel gewiss nicht mit mir veranstalten. Ich habe den Film gesehen.“

Er runzelte die Stirn. „Wovon sprechen Sie?“

„Von der Lehrerin, die in ein fremdes Land gebracht wird, und dem Mann im Königshaus, der sie nicht gehen lassen will. Sie sind nicht der König von Siam, und ich bin nicht Mrs. Anna. Aber falls Sie mit dem Gedanken spielen, diesen Film nachzuspielen, möchte ich Sie daran erinnern, dass der König niemals mit Mrs. Anna schläft und dazu das Pech hat, am Schluss zu sterben.“

Statt wie erwartet schockiert oder missbilligend zu reagieren, beugte er sich zu ihr. „Wir sterben alle am Schluss, Liana.“ Sein warmer Atem streifte ihr Ohr. „Und Sie können sich darauf verlassen, dass ich Sie in meinem Bett haben werde.“

„Wenn du weiterhin solche Dinge sagst, wirst du die arme Frau noch zu Tode erschrecken.“

Malik wie Liana drehten sich um beim Klang der weiblichen Stimme. Eine attraktive Frau mit lockigen hellbraunen Haaren und Nickelbrille näherte sich. Sie trug ein elegantes grünes Kleid, das auf den ersten Blick die Hand eines Designers verriet, und wundervolle Perlen schimmerten um ihren Hals. Missbilligend schüttelte sie den Kopf. „Ich kann es nicht fassen, dass du derartige Sprüche benutzt, Malik. Hast du noch nie von Finesse gehört?“

Er richtete sich auf und blickte sie finster an. Obwohl sie hohe Absätze trug, war sie ein gutes Stück kleiner. „Ich bin Malik Khan, Kronprinz von El Bahar …“

Sie tat ihn mit einer Handbewegung ab und richtete die Aufmerksamkeit auf Liana. „Achten Sie nicht auf diese Rede. Alle Prinzen geben sie von sich, und wir haben gelernt, sie zu ignorieren. Was haben diese Scheichs bloß an sich? Kaum haben sie etwas Macht, schon wollen sie einen überrollen.“ Sie streckte ihre Hand aus. „Hi. Ich bin Heather, die Frau von Jamal, dem mittleren der Brüder Khan.“

Mit einem zittrigen Lächeln schüttelte Liana der charmanten Amerikanerin die Hand. Sie fühlte sich, als wäre sie auf einem fremden Planeten gelandet. El Bahar war ganz anders als ihr Heimatland Kalifornien. „Es freut mich zu erfahren, dass man einem Kronprinzen widersprechen kann und es überlebt, um davon zu erzählen.“

Heather grinste. „Malik ist gar nicht so schlimm. Er redet, als ob mit ihm nicht gut Kirschen essen wäre, aber im Grunde genommen ist er ein netter Kerl.“

Er gab einen missbilligenden Laut von sich. „Du solltest dich lieber vor mir in Acht nehmen.“

„Sonst werde ich geköpft. Die Drohung habe ich schon öfter gehört.“ Heather beugte sich zu Liana und senkte die Stimme. „Eigentlich ist er ein ausgezeichneter Herrscher, und jeder respektiert ihn ungeheuerlich, aber er kann gelegentlich ein bisschen anmaßend sein.“

„Ich habe ihn bereits in Aktion erlebt“, erwiderte Liana. „Ich gehöre nicht hierher. Ich bin Lehrerin an der Amerikanischen Schule.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie ist mein Gast.“

Abwägend blickte Heather von einem zum anderen. „Interessant. Was ist passiert? Sie hat dir auf den ersten Blick gefallen, und deshalb hast du sie nach Hause gebracht?“

Malik blickte unbehaglich drein. „Ich bin der Kronprinz. Ich schulde dir keine Rechenschaft.“

Heather musterte Liana. „Lassen Sie mich raten. Sie wollen nicht hier sein.“

„Genau.“

„Na ja, Malik braucht eine willensstarke Frau in seinem Leben – auch wenn er es niemals zugeben würde. Er ist ein bisschen verknöchert. Von einer Frau herausgefordert zu werden, würde ihm helfen, menschlicher zu werden.“

„Ich bin nicht verknöchert!“

„Haben Sie mich wirklich hergebracht, weil ich Ihnen gefalle?“, wollte Liana wissen. Sie ignorierte die Tatsache, dass es ein nettes Kompliment war. „Ich bin kein Spielzeug.“

„Als das habe ich Sie nie betrachtet.“

Sie wandte sich an Heather. „Können Sie mir helfen, zur Amerikanischen Schule zu kommen?“

Bevor Heather antworten konnte, kehrte Bethany zurück und lehnte sich an Liana. „Ich bin müde, Mommy. Gehen wir bald?“

„Das Kind braucht Ruhe“, sagte Malik. „Während Sie hier herumstehen und argumentieren, verschwenden Sie nur Zeit. Heather wird Sie in Ihre Räume bringen.“

Heather warf ihm einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu, protestierte aber nicht. „Es ist einfacher, wenn Sie heute Abend nachgeben, Liana. Sie müssen erschöpft von der langen Reise sein. Morgen früh können Sie sich dem Kampf erneut stellen. Sie sind hier völlig in Sicherheit. Alle Gäste des Palastes werden mit äußerstem Respekt behandelt.“

Liana wusste nicht recht, was sie tun sollte. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Leben nie wieder wie früher sein würde, wenn sie nun nachgab. Doch sie war so müde wie Bethany. Außerdem war es eine einmalige Chance, eine Nacht in einem richtigen Palast zu verbringen. Sollte sie diese einzigartige Gelegenheit wirklich aus Stolz ausschlagen? „Also gut. Wenn Sie sicher sind, dass wir keine Umstände bereiten.“

„Keineswegs.“ Malik verbeugte sich und verschwand dann einen langen Korridor entlang.

„Wer ist dieser undurchschaubare Mann?“, murmelte Liana.

Heather hörte es und lachte. „Man muss sich erst mal an die Prinzen gewöhnen. Kommen Sie mit. Ihr Gepäck wird Ihnen gebracht werden.“

Liana wandte sich an Bethany. „Hast du etwas dagegen, die Nacht im Palast zu verbringen?“

Sie lächelte strahlend. „Wenn wir hierbleiben, dann kann ich Prinzessin spielen.“

„Da hast du recht.“

Bethany wandte sich an Heather. „Sind Sie wirklich mit einem Prinzen verheiratet?“

„Allerdings. Das macht mich zu einer Prinzessin. Wir haben einen kleinen Sohn, der ebenfalls ein Prinz ist.“

Bethanys Augen wurden immer größer. „Toll. Haben Sie auch eine Krone und alles?“

„Darauf kannst du wetten.“

Sie gingen einen langen Korridor entlang. Sprachlos blickte Liana sich um. Offene Türen erlaubten Einblicke in großartige Räume mit hohen Decken und kostbarem Mobiliar. Fenster führten hinaus auf üppige Gärten mit romantischen Springbrunnen. Sie passierten unzählige Alkoven mit fabelhaften Kunstwerken wie Gobelins, Glaswaren oder Statuen.

Schließlich blieb Heather stehen und öffnete eine Tür, in die das Bildnis einer Gazelle geschnitzt war. „Das ist Ihr Reich.“

Liana und Bethany folgten ihr in einen riesigen Raum. Breite Terrassentüren führten auf einen großen Balkon und eröffneten den Blick auf das Arabische Meer. Beinahe so atemberaubend wie die Aussicht waren Wandbilder zur Rechten wie zur Linken. Winzige Mosaiksteinchen stellten Herden galoppierender Araberpferde in der Wüste dar. Sie waren beinahe lebensgroß, mit flatternden Mähnen und Schweifen, und man glaubte förmlich das Donnern der fliegenden Hufe auf dem Sand zu hören.

„Oh, Mommy, guck mal!“ Bethany lief zur rechten Wand und berührte ehrfürchtig die Steinchen. „Toll!“

In diesem Augenblick trafen zwei Diener mit dem Gepäck ein und verschwanden einen kleinen Flur entlang. Sekunden später kehrten sie ohne Koffer zurück, verbeugten sich und zogen sich so leise zurück, wie sie gekommen waren.

„Das Motiv findet sich in der ganzen Suite wieder“, erklärte Heather. „Alle Gästequartiere haben ein bestimmtes Thema. Ich dachte mir, dass Ihnen diese Suite gefallen würde, da Ihre Tochter gerade in dem Alter ist, in dem viele Kinder in Pferde vernarrt sind.“

Liana fühlte sich trunken. „Das ist ein gewöhnliches Gästezimmer? Es gibt noch mehr solche Suiten, die einfach leer stehen und auf Besucher warten?“

Heather nickte. „Ich weiß, dass es überwältigend wirkt, aber Sie werden sich daran gewöhnen. Es gibt häufig Gäste hier. Einige Staatsmänner ziehen es vor, in den Hotels am Strand abzusteigen, aber anderen gefällt es hier im Palast besser.“

„Das kann ich verstehen“, murmelte Liana beeindruckt.

„Der Balkon wird gemeinschaftlich genutzt“, erklärte Heather. „Augenblicklich sind keine weiteren Gäste da, so dass Sie niemanden sehen werden, aber erschrecken Sie nicht, wenn jemand vorbeigeht. Übrigens können Sie auf diesem Balkon einmal ganz um den Palast herumgehen. Ich empfehle den Spaziergang am Abend. Es ist sehr schön.“

„Danke, das werde ich tun.“

Heather zögerte. „Ich weiß, dass es schrecklich unhöflich ist zu fragen, aber wie gut kennen Sie den Prinzen?“

„Überhaupt nicht.“ In kurzen Zügen berichtete Liana von den Vorfällen im Flugzeug und auf dem Flughafen. „Statt zur Amerikanischen Schule hat das Taxi uns hierher gebracht. Ich verstehe nicht, was passiert ist.“

„Offensichtlich hat er ein Auge auf Sie geworfen.“

Dann kann er es gern zurückhaben, dachte Liana, aber sie sprach es nicht aus. „Das kann ich nicht glauben. Ich bin nur eine Lehrerin.“

„Sie sind sehr attraktiv. Groß, blond, blauäugig.“

All das traf zu, aber sie war auch etwa zwanzig Pfund zu schwer und nicht im Geringsten an Mode interessiert. Sie kleidete sich lieber bequem als stilvoll. Sie sah zwar ganz passabel aus, aber sie fesselte bestimmt nicht die Aufmerksamkeit eines Prinzen. „Es muss etwas anderes sein.“

„Warum fällt es Ihnen so schwer zu glauben, dass Malik Sie begehren könnte? Sind Sie nicht interessiert?“

„Eigentlich nicht. Ich habe einen Punkt erreicht, an dem ich keinen Mann in meinem Leben haben möchte, und andernfalls würde ich nicht jemanden wie Malik nehmen. Ich würde mich als Frau Nummer drei oder vier niemals wohlfühlen.“

Heather lächelte. „Aber in El Bahar ist Vielweiberei nicht gestattet. Männer haben nur eine Ehefrau, und Prinz Malik ist nicht verheiratet.“

„Wenn ich jemals wieder heirate, soll es eine gleichberechtigte Partnerschaft sein. Das ist bei einem Kronprinzen sehr unwahrscheinlich.“

„Da mögen Sie recht haben. Ich lasse Sie jetzt in Ruhe auspacken. Wenn Sie etwas brauchen, greifen Sie nur zum Telefon und bitten Sie darum. Später wird jemand kommen und Ihre Bestellung zum Dinner aufnehmen.“ Sie ging zur Tür. „Es hat mich sehr gefreut, Sie beide kennen zu lernen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in El Bahar.“ Und damit war sie gegangen.

„Sie ist sehr hübsch“, sagte Bethany. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine Prinzessin kennen lerne oder in einem Palast wohne. Es ist wie aus einem Märchenbuch, stimmt’s, Mommy?“

„So ähnlich“, stimmte Liana vage zu. „Sehen wir uns mal den Rest der Suite an.“

Sie gingen durch den kurzen Flur und fanden zwei Schlafzimmer vor, jedes mit einem eigenen Badezimmer. Der kleinere der Räume war immer noch groß genug für ein breites Bett, einen Schreibtisch, eine Kommode und einen großen Einbauschrank, der einen supermodernen Fernseher, einen DVD-Spieler und eine Sammlung Spielfilme beherbergte. Das angrenzende Bad war mit flauschigen Handtüchern wie einer Sammlung Toilettenartikel ausgestattet. Kleinere Versionen der Wandbilder im Wohnzimmer befanden sich auf den Wänden und dem Fußboden.

Das größere Schlafzimmer wies ein riesiges Himmelbett auf, und das Badezimmer war mit einer runden Wanne ausgestattet. Blumen zierten die Kacheln. Auch hier standen verschiedene Toilettenartikel sowie Make-up zur Verfügung.

„Mir gefällt es hier, Mommy“, verkündete Bethany, als sie die Tour beendeten. „Können wir bleiben?“

Liana grinste. „Wäre es nicht schön, wie Prinzessinnen zu leben? Du könntest darauf bestehen, dass all deine Klassenkameraden sich vor dir verbeugen.“

Bethany kicherte. „Vor allem die Jungs.“

„Natürlich alle Jungs, und einige Mädchen. Diejenigen, die nicht nett sind.“

Lachend kehrten sie in Bethanys Zimmer zurück und begannen auszupacken. Kurz darauf klopfte es an die Tür.

Liana eilte ins Vorzimmer. War es Malik? Sie befand sich in der unbehaglichen Lage, es zu hoffen wie zu fürchten. Sie öffnete die Tür und erblickte eine attraktive Frau Anfang dreißig mit dunklen Haaren und Augen.

„Ich bin Dora Khan. Darf ich hereinkommen?“

„Natürlich.“ Liana trat beiseite. „Sie sind also …?“

„Die Frau von Khalil, dem jüngsten Königssohn.“

Dora trug das Haar zu einem eleganten Knoten verschlungen. Sie hatte einen makellosen Teint, und ihr Kleid war so elegant wie Heathers.

Offensichtlich wissen Prinzessinnen sich zu kleiden, dachte Liana mit einem Anflug von Neid und versuchte zu ignorieren, wie zerknittert ihre Jeans und ihre Bluse nach über vierundzwanzig Stunden auf Reisen waren.

„Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich von Maliks ungebührlichem Verhalten gehört habe“, eröffnete Dora. „Ich weiß, dass Sie seit einer Weile miteinander gehen, aber Sie zu zwingen, im Palast zu wohnen, ist sogar für ihn anmaßend. Wie ich hörte, haben Sie eine Tochter, die Sie natürlich vor einem Skandal schützen wollen.“

Liana blinzelte verwirrt. „Wovon in aller Welt reden Sie denn da?“

„Von Ihrer Beziehung zu Malik. Ich wurde zu der Annahme verleitet, dass Sie sich sehr häufig sehen und Sie aus diesem Grund nach El Bahar gekommen sind.“

„Ich habe den Kronprinzen erst heute Nachmittag kennen gelernt.“

„Wieso sind Sie dann hier im Palast?“

„Das frage ich mich auch.“ Liana berichtete in kurzen Zügen von den Ereignissen des Nachmittags.

„Wie seltsam“, murmelte Dora. „Das sieht Malik gar nicht ähnlich.“ Abwägend musterte sie Liana. „Es ist sehr lange her, seit er Interesse an einer Frau gezeigt hat. Sein Vater wird sehr erfreut sein.“

Abwehrend hob Liana die Hände. „Er kann nicht an mir interessiert sein. Er weiß nichts von mir. Ich verstehe nicht, warum er das alles getan hat, aber ich versichere Ihnen, dass ich morgen früh ausziehe.“

„Natürlich. Nun, willkommen in El Bahar, Liana. Ich bin sicher, dass Sie die Zeit hier genießen werden.“ Dora lächelte. „Lassen Sie mich wissen, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann. Wenn Sie den Palast wirklich verlassen wollen, kann ich es arrangieren.“

„Danke.“ Liana blickte ihr nach und schloss die Tür hinter ihr. Wie seltsam! Wer konnte ihr erzählt haben, dass sie und Malik liiert waren? Hatte Heather es angedeutet oder Malik selbst?

Die Vorstellung, dass der arrogante Kronprinz eine Beziehung vortäuschte, die gar nicht existierte, war lächerlich. Doch ihre Lage war eigentlich nicht belustigend, vor allem nicht ihre unerwartete Reaktion auf ihn. Irgendetwas an ihm war äußerst reizvoll, und zwar nicht sein Geld und seine Position. Sie musste sich eingestehen, dass er sehr anziehend wirkte. Lag es an seinen dunklen, geheimnisvollen Augen, die bis in ihre Seele zu blicken schienen, ohne etwas von sich preiszugeben?

Erneut klopfte es an der Tür. Seufzend öffnete sie. Ein großer, dünner Mann mit weißem Bart stand vor ihr. Er trug eine seltsame Anstecknadel am Aufschlag seiner Anzugjacke.

„Lassen Sie mich raten“, sagte sie unwillkürlich. „Sie sind der König von El Bahar und gekommen, um mir zu meiner bevorstehenden Verlobung zu gratulieren.“

„Nein, Madam. Ich bin der Butler und gekommen, um mich zu erkundigen, was Sie und Ihre Tochter zum Dinner wünschen.“

3. KAPITEL

Nachdem Liana und Bethany die Koffer ausgepackt, das köstliche Dinner verzehrt und ein Bad genommen hatten, war es neun Uhr durch. Jetlag machte sich bei beiden bemerkbar und ließ Bethany einschlafen, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührt hatte.

Liana stand am Fuß des Bettes und betrachtete ihre schlafende Tochter, die vom ersten Moment der Schwangerschaft an ihre ganze Welt bedeutete. Ihretwegen war sie nach El Bahar gekommen, und um ihretwillen hätte sie bereitwillig eine noch größere Distanz hinter sich gebracht.

„Ich habe dich lieb“, murmelte sie, bevor sie hinaus in den Flur ging und die Tür schloss.

Liana konnte sich nicht erinnern, jemals so müde gewesen zu sein, doch sie wollte noch nicht schlafen gehen. Eine seltsame Rastlosigkeit hatte sie befallen. Sie öffnete die Tür, die auf den breiten Balkon führte, und trat hinaus in die Nacht. Augenblicklich schlug ihr ein wundervoller Geruch entgegen. Das Meer, der Sand und die unzähligen Pflanzen in den Gärten mischten sich zu einem einzigartigen, belebenden Aroma. Sogar mit geschlossenen Augen hätte sie gewusst, dass sie sich in einem fremden Land fand.

El Bahar. Jahrelang hatte sie von diesem Land gehört, aber nie geplant, es zu besuchen. Ihr Budget reichte nicht für Weltreisen, und sie und Bethany hatten sich mit gelegentlichen Ausflügen nach Disney-World oder zum berühmten Zoo von San Diego begnügt.

Dann hatte sie von der einmaligen Gelegenheit erfahren, in El Bahar zu unterrichten. Und nun waren sie da, sogar im königlichen Palast, wenn auch nur für eine Nacht. Unwillkürlich dachte sie an Malik und sein seltsames Verhalten. Warum hatte er sie hergebracht? Sie fühlte sich, als wäre sie mitten in Filmaufnahmen geraten, ohne das Drehbuch zu kennen.

Wer war dieser Kronprinz, der sich in anderer Leute Leben einmischte mit der Straflosigkeit eines Kindes, das mit Bauklötzen spielt?

Sie lehnte sich an die Brüstung. Flutlichter erhellten den Garten. Sie erkannte vier große Springbrunnen und mehrere Wege. Trotz der Hitze des Tages war die Abendluft kühl und brachte eine wundervolle Meeresbrise mit sich.

Sie schloss die Augen und inhalierte tief die exotischen, süßen Düfte der Gärten. Das Zauberland El Bahar wirkte wie aus einem ihrer Liebesromane. Nun musste nur noch der hübsche Prinz erscheinen …

„Guten Abend.“

Liana wirbelte herum und fand sich von Angesicht zu Angesicht mit Malik wieder. Sei vorsichtig, was du dir wünschst, dachte sie und wusste nicht, ob sie lachen oder die Flucht ergreifen sollte.

„Genießen Sie den Abend?“, fragte er.

„Ja. Es ist sehr hübsch hier. Was tun Sie hier draußen?“

„Ich habe Sie herbeigezaubert.“

Er sprach so ernst, dass Liana lachten musste. „Ich dachte, nur Vampire zwingen Frauen, ihrem Geheiß zu folgen. Kronprinzen können das auch?“

„Aber natürlich.“ Er blieb neben ihr stehen und lehnte sich lässig an die Brüstung. Er trug noch immer den grauen Anzug, der ihm noch immer perfekt passte und seine breiten Schultern betonte.

„Ich lasse mich nicht so leicht beeinflussen“, teilte sie ihm mit. „Ich bezweifle, dass Sie bekommen, was Sie von mir wollen.“

„Seien Sie sich da nicht so sicher. Ich kann sehr geduldig sein.“

„Geduldig? Mich in den Palast zu entführen, ohne vorher meine Erlaubnis einzuholen, ist kaum das Vorgehen eines geduldigen Mannes.“

„Zugegeben, aber es war effektiv. Ich bin auch an Resultaten interessiert.“

„Hören Sie, Hoheit, ich weiß nicht, was Sie von mir erwarten, aber ich möchte einige Dinge klarstellen. Ich bin nicht an einer Affäre interessiert. Das ist nicht mein Stil.“

Forschend musterte er sie. Er stand ihr so nahe, dass sie seinen aufreizend männlichen Duft riechen konnte. „Dann klären Sie mich auf. Was ist denn Ihr Stil?“

„Ich habe keinen. Ihre Aufmerksamkeit ist zwar sehr schmeichelhaft, ergibt aber keinen Sinn. Ich bin schließlich kein Model. Ich bin nicht auf eine Beziehung aus. Ich bin hier, um einen Job auszuüben.“

„In der Amerikanischen Schule. Ich weiß.“

„Nein, Sie wissen nicht.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Dieser Job ist mir sehr wichtig. Ich liebe meinen Beruf, aber er ist nicht gerade hoch bezahlt. Ich habe eine kleine Tochter, und wir sind auf uns gestellt. Es liegt an mir, für ihre Zukunft vorzusorgen. Ich habe die Stellung hier angenommen, weil das Gehalt sehr großzügig bemessen ist und die Lebenshaltungskosten inbegriffen sind. In zwei Jahren kann ich genug sparen, um davon Bethanys Ausbildung zu finanzieren und darüber hinaus die Anzahlung für ein kleines Haus zu leisten. Das ist mir wichtig – die Zukunft meiner Tochter und unsere finanzielle Sicherheit.“

„Ich verstehe.“ Malik blickte ihr weiterhin ins Gesicht. Es wirkte äußerst beunruhigend, da sie seine Aufmerksamkeit beinahe wie eine Berührung spürte. Ihre Lippen begannen tatsächlich zu prickeln, so als hätte er sie geküsst. „Sie haben also Ihr Leben geplant“, murmelte er. „Das ist sehr umsichtig von Ihnen, aber es klingt einsam.“

„Falls Sie von Liebe reden, bin ich nicht interessiert. Das habe ich hinter mir.“

„Ich verstehe. Sie sind eine Witwe, die den unerwarteten und vorzeitigen Tod ihres geliebten Ehemannes betrauert.“

Sie verdrehte die Augen. „Eigentlich nicht. Ich bin geschieden, und mein Mann ging mir auf die Nerven. Ich beabsichtige nicht, das noch einmal durchzumachen.“

„Da vorn steht eine kleine Bank. Würden Sie mir bitte für ein paar Minuten Gesellschaft leisten, bevor Sie sich für die Nacht zurückziehen?“

Seine altmodische Höflichkeit entwaffnete sie. Was war aus dem herrischen Mann geworden, der mit Gewalt seinen Kopf durchsetzte? Unwillkürlich setzte sie sich in die angedeutete Richtung in Bewegung. Malik legte ihr eine Hand auf den Rücken, und seine Finger schienen auf ihrer Haut zu brennen. In ihr erwachte der Drang, sich an ihn zu schmiegen wie eine Katze und ihn zu bitten, sie auf intimste Weise zu berühren. Sie musste sich unbedingt beherrschen und diese Anziehungskraft besiegen. „Warum haben Sie mich hierher gebracht?“, verlangte sie zu wissen.

„Ich finde Sie attraktiv.“ Malik setzte sich neben sie auf die Bank.

„Aber ich bin nicht attraktiv. Ich bin auch nicht ausgesprochen hässlich, aber ich gehöre in die Durchschnittskategorie.“

„Wir werden uns darauf einigen müssen, dass ich in diesem Punkt anderer Ansicht bin. Ich finde Sie einzigartig.“

„Liegt es daran, dass ich blond bin? Ich meine, die meisten Frauen in diesem Land haben dunkle Haare.“

Malik streckte eine Hand aus und berührte ihre Locken, die ihr bis auf die Schultern reichten. „Es geht nicht um die Haarfarbe. Erzählen Sie mir von Ihrem Exmann. Warum sind Sie geschieden?“

„Weil Chuck einunddreißig ist und sich wie zwölf benimmt.“ Sie seufzte. „Er ist kein schlechter Mensch, aber zu sehr in seinen Träumen gefangen, um ein guter Ehemann oder Vater zu sein.“ Liana erlaubte sich ein kleines Lächeln. „Es war sehr amüsant mit ihm in der High School. Er hatte immer das schnellste Auto. Das ist das Wichtigste für ihn im Leben – Autorennen. Er arbeitet, um Geld zu beschaffen für neue Motoren und Reifen und was immer nötig ist, um Autos schneller zu machen, als sicher ist. Als wir heirateten, hatten wir großartige Pläne. Aber dann wurde ich schwanger, bevor wir erwachsen geworden waren.“

„Ihre Tochter scheint sehr klug und wohlerzogen zu sein.“

„Für mich war Bethany ein Segen, aber für Chuck war die Vaterrolle zu beengend. Bei jeder Gelegenheit verschwand er zur Rennbahn. Ich habe ein Kind erzogen, gearbeitet und studiert. Die Belastung war zu groß für mich, so dass die Ehe darunter litt. Chuck kam sehr häufig an letzter Stelle. Ich glaube, wir haben beide in gleichem Maße Schuld.“

„Wie haben Sie das Studium finanziert? Haben Ihre Eltern Ihnen geholfen?“

„Sie haben gelegentlich auf Bethany aufgepasst, aber sie sind im Ruhestand und haben nicht viel Geld. Es hat lange gedauert, aber ich habe es allein geschafft.“

„Das klingt nach einer starken Frau.“

„Ich bin kein Drückeberger. Und ich glaube nicht an Märchen.“

„Ich auch nicht.“

Warum bin ich dann hier? fragte sie sich erneut, doch sie sprach es nicht aus. Sie war noch nicht bereit, diesen zauberhaften Augenblick an der Seite eines hübschen Prinzen völlig zu zerstören. Hätte es sich um einen Hollywoodfilm gehandelt, hätte er sie in die Arme geschlossen und geküsst – oder im Falle eines Erotikfilms wesentlich mehr getan …

Unwillkürlich erzitterte sie bei der Vorstellung, ihm so nahe zu sein. Die Chemie war offensichtlich wesentlich mächtiger, als sie bisher geahnt hatte. Sie war nie eine flüchtige Affäre eingegangen, hatte nur mit Chuck geschlafen, doch etwas an Malik erweckte den Drang, die Vorsicht in den Wind zu schlagen und … „Heather hat mir erzählt, dass Sie nicht verheiratet sind“, sprudelte sie unbedacht hervor.

„Das stimmt.“

„Also sind Sie der immer währende Junggeselle, der seinen königlichen Charme einsetzt, um Frauen zu verführen?“

Unvermittelt stand er auf. „Danke für Ihre Gesellschaft, Liana. Ich habe es sehr genossen, mit Ihnen zu reden.“ Und dann war er verschwunden.

Mit offenem Mund und großen Augen starrte Liana ihm nach. Hatte sie ihn beleidigt?

„Die Reichen sind wirklich anders“, murrte sie, während sie sich in ihre Suite begab. „Und verwirrend. Je eher wir hier verschwinden, umso besser.“

Carl Birmingham, der Rektor der Amerikanischen Schule, gab sich untadelig höflich und mitfühlend, aber keineswegs hilfreich.

„Mir scheint, dass alles einfacher wäre, wenn Sie einfach die Einladung des Kronprinzen akzeptierten. Wäre es denn so furchtbar, seinem Wunsch zu genügen und weiterhin sein Gast zu bleiben?“ Der stattliche Mann Mitte fünfzig beugte sich zu Liana vor und lächelte. „Ist Ihnen die große Ehre bewusst? Sie sind als amerikanische Lehrerin eingeladen worden, in einem der großartigsten Paläste der Welt zu residieren. Sie haben die Gelegenheit, sich mit der Königsfamilie anzufreunden.“

Sie fragte sich, warum sie Verständnis erwartet hatte. Offensichtlich hielt nur sie selbst die Situation für merkwürdig. „Ich weiß die Ehre durchaus zu schätzen. Ich habe jedoch nie darum gebeten, im Palast zu wohnen. Alles, was ich mir für meine Tochter und mich selbst wünsche, ist die Unterkunft, die mir in meinem Vertrag zugesagt wurde. Eine Zweizimmerwohnung für uns beide allein.“

Mr. Birmingham ordnete die Papiere auf seinem Schreibtisch und blickte sie dann an. „Wenn Sie fürchten, dass Sie und Ihre Tochter in Gefahr sind, dann muss die Situation natürlich umgehend korrigiert werden. Mir war nicht bewusst, dass Sie sich bedroht fühlen.“

Sie seufzte. „Darum geht es nicht. Ich befürchte nicht, angefallen zu werden. Es ist nur …“ Wie sollte sie das Gefühl erklären, von einer Übermacht überrollt zu werden? Malik Khan war es gewohnt, seinen Kopf durchzusetzen. Obwohl seine Aufmerksamkeit ihr schmeichelte, wirkte sie auch bedrohlich. Ihre Zuneigung zu ihm machte sie verletzlich.

„Mrs. Archer, die Amerikanische Schule existiert auf Grund der Unterstützung der Königsfamilie“, erklärte Mr. Birmingham. „Prinz Malik ist Vorstandsmitglied. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass unsere Politik geändert wurde, so dass Lehrer auf Grund ihrer Fähigkeiten statt ihres Geschlechts oder ihres Familienstandes eingestellt werden. Vor nicht allzu vielen Jahren hätte eine ledige Frau keine Chance gehabt, angestellt zu werden.“

„Inwiefern sollte das wichtig sein? Ich bin gut in meinem Beruf, ob mit oder ohne Ehemann.“

„Da stimme ich zu. Aber wir sind Amerikaner. Das Leben hier in El Bahar ist anders. Das Land ist zwar fortschrittlich, aber dennoch fremdartig, mit anderen Gesetzen und einer anderen Kultur.“

„Sie meinen also, dass ich im Palast wohnen sollte.“

„Mrs. Archer, ich würde mir nie anmaßen, Ihnen vorzuschreiben, was Sie zu tun haben. Wir reden jedoch über den Kronprinzen. Er ist eine mächtige Persönlichkeit, während Sie einfach eine Lehrerin sind.“

Liana lehnte sich auf ihren Stuhl zurück und unterdrückte ein Stöhnen. Im Grunde genommen war sie gefangen. Ihr großzügiger Vertrag enthielt eine Klausel, die der Schule gestattete, sie aus beinahe jedem Grund zu entlassen. Dafür musste ihr der Rückflug und drei Monate Gehalt bezahlt werden, so dass sie sich eine neue Stelle in Kalifornien suchen konnte, ohne hungern zu müssen. Aber es ermöglichte ihr nicht, für Bethanys Ausbildung oder die Anzahlung eines Hauses zu sparen.

„Betrachten Sie es einmal auf diese Weise“, sagte Mr. Birmingham mit einem Lächeln. „Prinz Malik hat seit Jahren kein Interesse an einer Frau gezeigt. Nicht seit …“ Seine Stimme verklang.

„Nicht seit wann?“

Verlegen rutschte er auf seinem Stuhl umher. „Nun, nicht seit dem unseligen Vorfall mit seiner Frau.“

„Seiner Frau? Aber Prinzessin Heather hat gesagt, dass er nicht verheiratet ist.“

„Das ist er auch nicht. Er war es, aber Prinzessin Iman weilt nicht länger unter uns.“

Liana spielte mit dem Gedanken zu fragen, woran die Frau gestorben war, doch eigentlich ging es sie nichts an und war ihr auch egal. „Sie wollen also, dass ich im Palast bleibe“, sagte sie tonlos.

Mr. Birmingham zuckte die Achseln. „Es steht Ihnen frei, in die Wohnung zu ziehen. Sie wird Ihnen weiterhin zur Verfügung gestellt. Ich kann Ihnen nicht vorschreiben, was Sie tun sollen, Mrs. Archer. Es ist Ihre Entscheidung.“

Liana nickte. „Vielen Dank, Mr. Birmingham. Ich werde Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.“ Damit stand sie auf und verließ den Raum.

Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieß sie einen leisen Fluch aus. Sie war gefangen. Wenn sie zu viel Theater über ihre Unterbringung machte, drohte ihr die Entlassung, noch bevor sie die Stellung überhaupt angetreten hatte.

Malik blickte aus dem Fenster seines Büros und sagte sich dabei, dass er nur nach dem Wetter sah und nicht nach Lianas Rückkehr von ihrem ersten Arbeitstag Ausschau hielt.

Er wusste bereits, dass sie mit dem Rektor über ihre Unterbringung gesprochen hatte. Denn Carl Birmingham hatte ihn angerufen, ihm die Einzelheiten der Unterredung mitgeteilt und versichert, dass er Mrs. Archer auf die große Ehre hingewiesen hatte.

Malik hätte wesentlich mehr Respekt für Kritik an seinem Verhalten aufgebracht. Wer war er schließlich, diese Frau im Palast festzuhalten? Selbst als Kronprinz war es ihm in diesen modernen Zeiten nicht gestattet, eine amerikanische Bürgerin zu kidnappen. Er spielte ein gefährliches Spiel und musste Liana wieder gehen lassen.

Aber noch nicht, sagte er sich. Vielleicht morgen oder Ende der Woche. Vorläufig wollte er sie in seiner Nähe wissen. Sein Verlangen nach ihr war überwältigend. Kein Wunder, denn er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal mit einer Frau verkehrt hatte. Als Kronprinz wurden an ihn höhere Maßstäbe als an jeden anderen Mann gestellt. Affären waren ihm verboten, denn er durfte sich oder sein Land nicht der Gefahr aussetzen, in die Schlagzeilen der Boulevardpresse zu geraten.

Er sehnte sich nicht nur nach körperlicher Liebe, sondern beneidete seine Brüder und deren Frauen besonders wegen der emotionellen Intimität, die ihm versagt blieb.

Daher hatte er Liana hergebracht. Auf den ersten Blick hatte er sich ihr auf seltsame Weise verbunden gefühlt. Er wünschte, sein Interesse an ihr erklären zu können. Welche Kombination aus Persönlichkeit und Schicksal hatte ihn dazu gebracht, so untypisch zu handeln? Vielleicht hatte Fatima ihn mit einem Zauber belegt.

Malik grinste bei der Vorstellung, dass seine Großmutter sich mit Liebeszauber abgab. Sie war viel zu nüchtern für derartige Dinge. Nein, er musste selbst die Verantwortung für sein Verhalten übernehmen.

Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit. Er blickte auf und sah Lianas Tochter zu den Stallungen gehen. Mit einem Lächeln verließ er spontan sein Büro.

Einige Minuten später fand er Bethany vor der Box eines kastanienbraunen Wallachs. Sie hatte die Schuluniform mit Jeans und T-Shirt vertauscht und die blonden Haare zu einem Zopf gebunden. Mit sehnsüchtiger Miene streichelte sie die weichen Nüstern.

„Kannst du reiten?“, fragte er.

Sie zuckte zusammen und wirbelte zu ihm herum. „Ich wollte nur hallo sagen. Ich tue ihnen nichts.“

Er unterdrückte ein Lachen. „Das weiß ich.“

„Sind Sie böse? Ich habe meiner Mom nicht gesagt, dass ich in den Stall gehe, weil sie es mir bestimmt verboten hätte. Deshalb habe ich nur gesagt, dass ich mich ein bisschen im Palast umsehen will. Sie hat gesagt, dass ich drinnen bleiben und keinem im Weg sein soll.“ Sie verzog das Gesicht. „Erwachsene haben immer so viele Regeln und schreiben sie nie auf. Manchmal ändern sich die Regeln auch. Hassen Sie es auch, wenn das passiert?“

Blonde Ponyfransen fielen ihr in die Stirn und betonten das strahlende Blau ihrer Augen. Er sah viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Sie war hübsch und klug und das charmanteste Kind, das er je gesehen hatte. „Doch, ich hasse es“, erwiderte er ernst, ohne genau zu wissen, worauf es sich bezog. „Du magst Pferde also?“

Sie nickte. „Ganz doll. Wo wir gewohnt haben, in Kalifornien, gibt es ganz viele Pferde. Der alte Mr. Preston gibt Reitstunden, aber die sind so teuer. Ich wollte mir was einfallen lassen, wie ich dieses Jahr Geld verdienen und welche nehmen kann. Er hat zehn Pferde. Ein paar sind schon alt, aber ein paar sind toll.“

Er deutete zur Stallgasse. „Möchtest du meine Pferde kennen lernen?“

„Oh ja! Wie viele haben Sie denn?“

„Ungefähr ein halbes Dutzend zum Reiten. Außerdem gehören mir Rennpferde und Zuchttiere. Pferde sind mein Hobby.“

Ihre Augen weiteten sich. „Dann haben Sie viel mehr als Mr. Preston!“

„Das würde ich meinen.“ Er ging voraus an einigen Boxen vorbei und blieb dann stehen. „Das ist Alexander der Große. Er ist mein Lieblingsreitpferd. Er hat gern Aufmerksamkeit, also kannst du ihn ruhig streicheln. Er ist ein bisschen eitel. Wenn wir am Wasser reiten, geht er immer ganz langsam, damit er sein Spiegelbild sehen kann.“

Bethany kicherte, hob eine Hand und berührte zögernd den schwarzen Hengst. Alexander schnupperte an ihrer Handfläche und schnaubte verächtlich.

„Er möchte einen Leckerbissen.“ Malik deutete zu einem kleinen Eimer, der an der gegenüberliegenden Wand hing. „Da ist Hafer drin. Du darfst ihm eine Handvoll geben, aber nicht mehr. Sonst wird er krank.“

Eifrig holte sie den Leckerbissen und fütterte den Hengst mit flacher Hand. Sie seufzte entzückt, als er sich streicheln ließ. „Wenn ich groß bin, will ich ganz viele Pferde haben. Ich will jeden Tag reiten und springen lernen, und es wird sein wie fliegen.“

Ihre Augen funkelten, während sie von ihren Träumen sprach. Ihre blassen Wangen glühten, und sie strahlte eine Energie aus, die ihn sich alt fühlen ließ. Hatte er jemals so seichte Hoffnungen für seine Zukunft gehegt? Er bezweifelte es. Er konnte sich nicht an eine Zeit erinnern, als er nicht gewusst hatte, dass er eines Tages El Bahar regieren würde. Er beneidete sie um ihre Freiheit, obwohl er niemals sein Schicksal geändert hätte. „Du musst erst mal reiten lernen. Ich würde dich sehr gern unterrichten.“

Ihr ganzer Körper zitterte vor Aufregung. „Wirklich?“

„Ja. Ich habe einen Wallach, der genau das richtige Temperament hat. Er hat einen weißen Stern auf der Stirn und ist dadurch sehr hübsch, aber er ist nicht so eitel wie Alexander.“

„Danke“, flüsterte Bethany. Dann zog sie eine Grimasse. „Aber ich muss zuerst meine Mom fragen, und die sagt bestimmt Nein.“

„Warum sollte sie das tun?“

„Ich weiß nicht. Moms können manchmal komisch sein.“ Ihre Miene erhellte sich. „Aber vielleicht hat sie doch nichts dagegen, weil Sie ein Prinz sind und so. Heute in der Schule haben alle gesagt, dass Sie der König von El Bahar werden.“

„Darauf scheint es hinauszulaufen.“

„Ich finde es so romantisch, eine Prinzessin zu sein, aber meine Mom findet das nicht. Sie passen nicht in ihren Plan.“

Dessen war Malik sicher. „Ich würde dir trotzdem gern das Reiten beibringen. Wenn du möchtest.“

„Das möchte ich sehr gern. Ich frage sie jetzt sofort.“

„Gut. Wenn es deiner Mutter recht ist, fangen wir morgen an, wenn du aus der Schule kommst.“

Bethany stieß einen schrillen Schrei aus, umarmte ihn völlig unerwartet und lief dann aus dem Stall, als wäre der Teufel hinter ihr her. Alexander schnaubte verächtlich, doch Malik teilte die Ansicht nicht. Für ihn war sie eine höchst charmante junge Dame, die ihn bewunderte. Nun musste er nur noch einen Weg finden, ihre Mutter ebenfalls zu seinem Fan zu machen.

4. KAPITEL

Aufgebracht wanderte Liana im Wohnzimmer umher. Sie konnte einfach nicht fassen, wie ihr geschah.

Carl Birminghams Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf – dass Prinz Malik Vorstandsmitglied der Amerikanischen Schule war und sie sich geehrt fühlen sollte, sein Gast zu sein.

Ihr Blick heftete sich auf die Aussicht. Das Arabische Meer erstreckte sich bis zum Horizont und bildete einen wundervollen Anblick. Langsam drehte sie sich im Kreis und betrachtete die exquisiten Wandbilder, die teuren Möbel, die Kunstgegenstände. War sie verrückt, eine eigene Unterkunft zu verlangen, anstatt die Gastfreundlichkeit eines Prinzen zu akzeptieren?

Sie war eine ledige Mutter aus San Bernardino. Ihr Vater war Postbeamter im Ruhestand, ihre Mutter Hausfrau. Ihre Schwester arbeitete als Friseurin. Liana war die Einzige in der Familie, die ein Studium absolviert hatte. Und doch beklagte sie sich, weil sie die Aufmerksamkeit des Kronprinzen einer reichen und respektierten Nation erregt hatte.

„Vielleicht bin ich ja verrückt“, sagte sie laut. „Vielleicht sollte ich einfach nachgeben und hierbleiben. So schrecklich ist es nicht. Schließlich ist das Essen großartig und die Dienerschaft sehr beflissen.“

Liana sank auf das Sofa und atmete tief durch. So verlockend der Palast auch sein mochte, sie konnte nicht bleiben. Sie wusste nicht, warum Prinz Malik sie hergebracht hatte, aber sie bezweifelte, dass er sie als eine Zierde ansah. Erwartete er, dass sie mit ihm schlief?

Diese Vorstellung erweckte ihren Zorn. In diesem Zeitalter wurden Frauen nicht gekidnappt und in einen Harem gesteckt. Schon gar nicht eine Frau wie sie. Ein hübscher Prinz wie er verlangte sicherlich Perfektion und hatte reichlich Auswahl an Frauen. Sie selbst spürte seine überwältigende Anziehungskraft. Er ließ auch ihr Herz höher schlagen und ihr Blut kochen oder wie auch immer es in den Liebesromanen hieß, die sie so gern las. In diesen Büchern fanden die Frauen stets einen wundervollen Mann und sexuelle Erfüllung, doch im wahren Leben funktionierte es nicht. Ungeachtet ihrer ungeratenen Hormone hatte sie nicht die Absicht, sich in ihn zu verlieben.

Die Tür öffnete sich, und Bethany segelte herein. Ihre leuchtenden Augen und ihre glühenden Wangen kündeten von einem wundervollen Abenteuer. Lächelnd klopfte Liana auf das Polster neben sich. „Komm her und erzähl mir alles.“

Bethany ließ sich auf das Sofa fallen und seufzte theatralisch. „Da sind so viele Pferde! Sie sind alle so hübsch, und Prinz Malik hat mir sein Lieblingspferd vorgestellt. Alexander der Große ist sehr eitel. Er bewundert sein Spiegelbild im Wasser!“ Sie kicherte entzückt.

Liana war weniger belustigt. „Prinz Malik war bei dir?“

Bethany nickte. „Er ist sehr nett. Er hat gesagt, dass er mir gern das Reiten beibringen würde, und ich habe ihm gesagt, dass ich dich erst fragen muss, aber ich weiß, dass es okay ist, weil er gesagt hat, dass er ein ganz besonderes Pferd hat, das perfekt für ein Mädchen wie mich ist und dass mir nichts passieren würde und du bestimmt nichts dagegen hast, weil du doch weißt, dass ich schon ewig reiten will.“ Sie tätigte einen dringend benötigten Atemzug. „Das ist das Einzige, was ich mir jemals auf der ganzen weiten Welt gewünscht habe.“

Liana unterdrückte den Zorn, der in ihr aufstieg. Denn Bethany war eine unschuldige Figur in dem Spiel, das Prinz Malik mit ihnen beiden veranstaltete. Wie konnte er es wagen, ihre Tochter zu benutzen? Reitunterricht! Sicher, jeder gute Prinz gab fremden Kindern regelmäßig Unterricht.

Sie zwang sich zu lächeln. „Es ist eine wundervolle Idee, reiten zu lernen, und wenn es hier nicht klappt, dann erkundige ich mich in der Stadt. Bestimmt gibt es einen Reitstall in der Nähe der Schule. Auch wenn wir viel Geld sparen müssen, bleibt bestimmt genug für Stunden übrig.“

Bethany öffnete den Mund zu einem Protest, doch Liana brachte sie mit einem Kopfschütteln zum Schweigen. „Ich muss zuerst mit dem Prinzen reden. Während ich weg bin, mach bitte deine Hausaufgaben. Nach dem Essen könnten wir uns einen Film ansehen. Möchtest du einen aussuchen?“

„Okay. Ich habe mir heute Morgen schon die Videos in meinem Zimmer angeguckt. Die kleine Prinzessin ist auch dabei.“ Sie kicherte. „Vielleicht sollten wir uns den ansehen.“

Liana betrachtete Bethany. Sie war ein hübsches Kind mit Sommersprossen auf der kecken Nase und einem schlanken, sportlichen Körper, das in wenigen kurzen Jahren zu einer Herzensbrecherin heranwachsen würde. Doch vorläufig war sie noch ein kleines Mädchen, und zu ihrem Schutz hätte Liana alles getan, sogar einen internationalen Zwischenfall – oder ihren Job riskiert. „Die kleine Prinzessin klingt gut. Kommst du zurecht, während ich weg bin? Ich müsste in etwa zwanzig Minuten wieder hier sein.“

„Ich bin schon neun! Ich bin doch kein Baby.“

„Ich weiß. Du bist praktisch eine Großmutter. Versprich mir trotzdem, dass du hier in der Suite bleibst.“

„Versprochen!“, rief Bethany, während sie in ihr Zimmer lief.

Der Palast war riesig, und nach wenigen Minuten hatte Liana sich verlaufen. Als sie den steinernen Springbrunnen mit der Nymphe zum dritten Mal passierte, wurde ihr bewusst, dass sie sich ohne Hilfe nicht zurechtfand.

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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