Ein Ritter für Lady Arlette

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Nie hat Lady Arlette den tapferen jungen Soldaten William Latham vergessen, der sie einst während der Schlacht von Worcester sicher nach London geleitet hat. Neun Jahre sind vergangen, als sie bei einer Parade zu Ehren des Königs der bewundernde Blick eines hochgewachsenen Ritters streift. Ihr stockt der Atem, als sie William erkennt. Sofort fühlt sie sich wieder zu ihm hingezogen. Als er sie wenig später besucht, verzehrt sie sich insgeheim nach seinen Küssen. Doch hat das Schicksal William und sie zu spät zusammengeführt? Nicht nur Arlette ist längst einem anderen versprochen – auch Williams Herz scheint nicht mehr frei …


  • Erscheinungstag 07.09.2021
  • Bandnummer 371
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500517
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Prolog

Arlette Dryden war eine Halbwaise gewesen, schon bevor ihr Vater und ihr Bruder zu den Schwertern gegriffen hatten, um für die Sache der Royalisten einzutreten. Sie war daheim in Mayfield Hall in Oxfordshire geblieben, wo sich die treue Dienerschaft ihres Vaters um sie gekümmert hatte. Aufgrund der Nachricht von einem erneuten Gefecht zwischen Cromwells Armee und den Royalisten bei Worcester hatte es sich die inzwischen dreizehn Jahre alte Arlette zur Aufgabe gemacht, Vaters kostbares Pferd Hector zu verstecken. Noch ein Jahr zuvor hatte dieses große, lebhafte Pferd ihn in den Kampf getragen und nach der Schlacht von Dunbar verletzt nach Hause zurückgebracht, woraufhin er geschworen hatte, nie wieder sein Schwert in die Hand zu nehmen. Doch Hector befand sich noch auf der Wiese, ein verräterisches Zeichen dafür, dass sein Besitzer nicht in die Schlacht gezogen war. Sie musste ihn so verstecken, dass niemand auf ihn aufmerksam wurde, insbesondere dann, wenn plündernde Soldaten aus Worcester des Weges kommen sollten.

Wenn man den vorbeikommenden Fremden Glauben schenken konnte, stellten die Rundköpfe – wie die Anhänger des Parlaments auch genannt wurden – nach dem Sieg über die Royalisten nun eine ernste Bedrohung dar. Daher hatte die Haushälterin Blanche Arlette auch angewiesen, ja nicht das Haus zu verlassen. Zwar hatte Arlette ihr versprochen, sich daran zu halten, dennoch ertrug sie die Vorstellung nicht, dass Hector allein auf der Koppel war und es womöglich ein Rundkopf wagte, sich auf ihn zu schwingen und zu reiten. Damit stand für sie fest, dass sie sich über Blanches Anweisung hinwegsetzen musste.

Sie war außer Atem, als sie rennend die Koppel erreichte, die ein Stück weit vom Haus entfernt lag. Erleichtert stellte sie fest, dass der grasende Hector unversehrt war. Der Hengst hob den Kopf, schüttelte seine schwarze Mähne und wieherte leise, als er Arlette entdeckte. Sie wagte es nicht, ihn zu den Stallungen hinter dem Haus zu führen, denn dort waren früher einmal die edelsten Tiere beherbergt gewesen, doch sie waren alle schon vor langer Zeit in den Dienst der Royalisten gestellt und weggebracht worden. Stattdessen ging sie mit Hector zu einer Ecke der Koppel, in der sich eine so mit Lorbeerbüschen überwucherte Hütte befand, dass sie von dem Grün fast völlig verdeckt wurde. Sie zog den Hengst hinter sich her nach drinnen, wo es Heu und Wasser gab, streichelte ihn und flüsterte ihm ins Ohr, dass er ruhig sein musste. Dann verließ sie die Hütte, verschloss die Tür hinter sich und konnte nur darauf hoffen, dass er dort in Sicherheit war.

Ebenso konnte sie auf dem Rückweg zum Haus nur hoffen, dass Blanche nicht auf ihr Verschwinden aufmerksam geworden war. Mit ihrer Mutter verband Arlette nur eine schwache Erinnerung, da sie erst zwei Jahre alt gewesen war, als die Mutter bei der Geburt ihrer Schwester verstarb – zusammen mit dem Kind.

Blanche war damit diejenige, die immer für Arlette da gewesen war, und sie liebte sie wie eine leibliche Mutter. Über die wusste sie kaum etwas, denn so oft sie auch auf dieses Thema zu sprechen kam, wollte sich niemand dazu äußern – nicht einmal ihr Vater. Stattdessen wich man ihren Fragen aus und begann über etwas anderes zu reden. Sie vermutete, dass ihr Vater ihre Mutter so sehr geliebt hatte, dass es ihm einfach zu schwerfiel, Arlette von ihr zu erzählen. Eine andere Erklärung wollte ihr nicht einfallen.

Aber ihr Vater hatte ohnehin genügend andere Sorgen. In der Vergangenheit war das Anwesen von ihm dank sorgfältiger Planung erfolgreich geleitet worden, doch seit das Parlament im Krieg den Royalisten ungeheure Strafzahlungen auferlegt hatte, waren sie nahezu in den Ruin getrieben worden. Inzwischen war tagtäglich damit zu rechnen, dass man ihrem Vater Mayfield Hall wegnahm und ihn enteignete, so wie man es überall im Land mit den Gütern der Royalisten machte.

Als sie in Richtung Obstgarten schaute, fiel ihr eine Gestalt auf, die sich im Schutz der Birnbäume aufhielt und das Haus beobachtete. Vorsichtig näherte sie sich dem Mann und musterte ihn neugierig. Er war jung, höchstens siebzehn oder achtzehn. Die Kleidung war fleckig und zerrissen, das bleiche Gesicht verschwitzt und verdreckt und von Erschöpfung gezeichnet – ein Eindruck, der durch die dunklen Ringe unter den Augen noch verstärkt wurde. Der unverkennbare Geruch von Schwarzpulver hing an ihm. Getrocknetes Blut klebte an der Schulter seines Wamses.

Die Sonne schien ihm genau ins Gesicht, und allein sein Anblick weckte in Arlette Unbehagen. Woher mochte er gekommen sein? Gebannt hielt sie den Atem an, als ihr klar wurde, wie schön er doch eigentlich war. Es war kaum zu glauben, dass ein Mann so schön sein konnte. Er war ohne jeden Zweifel der bestaussehende Mann, dem sie je begegnet war. Sein Gesicht war so fein geschnitten, dass man diese Vollkommenheit fast schon als weiblich hätte beschreiben wollen, wären da nicht der entschlossen wirkende Mund und das markante Kinn gewesen. Der dunkelblaue Stoff seines Wamses spannte sich über breite Schultern, die Augen waren von einem leuchtenden Blau, das unter normalen Umständen Wärme hätte ausstrahlen müssen. Jetzt jedoch brannte in ihnen das Licht all jener Dinge, die man den belagerten Royalisten in Worcester angetan hatte.

Etwas an ihm kam ihr seltsam bekannt vor.

„Wer bist du? Ich habe das Gefühl, dass wir uns schon einmal begegnet sind“, sagte sie, als sie fast bei ihm war.

„Mein Name ist William. William Latham. Der Sohn von Lord Robert Latham von Arlington Court in Warwickshire.“ Seine Stimme klang volltönend, er sprach gebildet und mit dem Tonfall eines Gentlemans. „Dies ist doch das Haus von Sir Isaac Dryden, nicht wahr?“

Arlette nickte. Sein Name war ihr nicht fremd, er war ein Freund ihres Bruders Thomas. „Er ist mein Vater. Warst du in Worcester? Uns wurde gesagt, dass dort eine Schlacht tobt.“

Mit ernster Miene nickte er. „Das ist richtig. Die Schlacht ist jetzt vorüber, der König wurde besiegt. Ich war dort. Ich … bringe Neuigkeiten für deinen Vater.“

Arlette sah ihn erschrocken an. Ihr Gefühl sagte ihr, dass es keine guten Neuigkeiten waren und dass sie Thomas betrafen. „Geht es um Thomas?“, wagte sie nachzufragen, obwohl sie sich vor der Antwort fürchtete. „Mein Name ist Arlette. Thomas ist mein Bruder. Er gehört zur Armee des Königs.“

„Ich weiß. Wir haben zusammen gekämpft.“

„Ich kann mich daran erinnern, dass Thomas von dir erzählt hat.“

William nickte. „Wir haben gemeinsam die Schule besucht. Ich bin auf seine Bitte hin hergekommen, und ich muss dir sagen, dass Eile geboten ist. Wirst du mich zu deinem Vater bringen?“

„Ja“, sagte sie leise. „Er wartet bereits ungeduldig auf eine Nachricht von Thomas. Du siehst erschöpft aus … und du bist verwundet.“ Auf einmal fiel ihr auf, wie er seine Schulter hielt.

Er atmete tief durch. „Es ist nicht so einfach, um sein Leben zu rennen, wenn man von einem Schwert getroffen wurde.“

„Hast du denn kein Pferd?“

„Das hatte ich. Aber das musste ich einige Meilen von hier entfernt zurücklassen, weil es bei Worcester zu viele Verletzungen davongetragen hatte.“

Betroffen sah sie ihn an und neigte dabei den Kopf ein wenig zur Seite. „Ist jemand dort, der sich um dein Pferd kümmert?“

„Ja“, antwortete er. „Ich bin einem freundlichen Bauern begegnet, der sich meines Pferds angenommen hat. Da ich nicht auch noch eurem Pferd Ungemach zustoßen lassen möchte, sollten wir uns beeilen. Hier wird es bald von Rundköpfen wimmeln, die nach Soldaten suchen, die vor dem Krieg geflohen sind. Wer sie beherbergt, mit dem machen sie kurzen Prozess.“

„Verzeih, ich bringe dich sofort zu ihm. Allerdings musst du wissen, dass er sehr geschwächt ist. Man glaubt, er wird nicht mehr lange unter uns weilen.“

„Ich bedauere, das hören zu müssen.“

„Letzten September wurde er bei Dunbar verwundet. Zwar hat er es geschafft, nach Hause zurückzukehren, doch seitdem hat er das Bett nicht mehr verlassen. Komm, ich bringe dich zu ihm. Er wird wissen wollen, was du ihm zu berichten hast.“

Der achtzehn Jahre alte William versuchte mit Arlette mitzuhalten, die leichtfüßig vor ihm her in Richtung Haus eilte. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild seines leidenden Pferds auf, und dann sah er wieder die Kugel, mit der er das Tier von seinen Qualen erlöst hatte. Es war das einzig Würdige, was er für sein Pferd hatte tun können. Es hatte ihm immer gut gedient, weshalb ihm dieser Entschluss noch viel schwerer gefallen war. So oder so war es aber etwas, in das er dieses unschuldige Mädchen nicht einweihen konnte.

Genau genommen hatte er auch nicht gelogen, als er auf den Bauern zu sprechen gekommen war. Der Mann war Anhänger der Royalisten und hatte gewusst, dass William versuchte, für seine Flucht vor den Rundköpfen Wiedergutmachung zu leisten. Deshalb war er auch bereit gewesen, das tote Pferd beiseitezuschaffen.

Mayfield Hall war ein schönes altes Haus. Die roten Ziegelsteine leuchteten warm im Schein der Sonne, die Rautenfenster spiegelten die hellen Lichtstrahlen.

Sie traten durch eine schwere Tür aus Eichenholz ein, jeder Schritt hallte von den Holzbohlen des Fußbodens wider, während er ihr durch den langen ehrwürdigen Flur hinterherging. Als er sich umsah, stellte er das Gleiche fest wie bei so vielen Anwesen von Royalisten überall im Land: Der Krieg hatte auch hier Narben zurückgelassen. Die teuren Möbel waren ramponiert, Holzvertäfelungen waren von den Wänden gerissen worden. Fensterscheiben wiesen hier und da Sprünge auf, aber niemand ließ sie austauschen. Er sagte nichts zu alledem, als er Arlette folgte.

Nachdem sie über eine breite Treppe aus Eichenholz in den obersten Stock hinaufgegangen waren, blieb sie vor einer Tür stehen. William betrachtete Arlette und merkte ihr an, wie besorgt sie war. Sie war eigentlich noch ein Kind, sehr jung – erst später sollte er erfahren, dass sie dreizehn war. In ihrem blauen Kleid erinnerte sie verblüffend an eine Waldnymphe. Ihre großen, unergründlich tief erscheinenden Augen waren blaugrün, und der Lockenschopf auf ihrem Kopf strahlte so wie die Sonne.

„Warte hier bitte einen Moment. Ich will ihm erst sagen, dass er Besuch hat.“

William kam ihrer Bitte nach und lauschte den gedämpften Stimmen hinter der geschlossenen Tür. Einen Augenblick später trat Arlette wieder nach draußen.

„Als mein Vater seinerzeit nach Schottland aufbrach, war er noch ein stattlicher Mann. Erschrick dich also bitte nicht, wenn du ihn jetzt siehst. Sein Leiden hat ihm viel abverlangt.“

Dann betrat William das Zimmer, in dem Sir Isaac Dryden im Bett lag. Es roch nach Krankenzimmer, und auf der Kommode standen Phiolen mit Arzneien und kleine Töpfchen mit Salben und Tinkturen dicht an dicht gedrängt. Trotz der Vorwarnung hatte er Mühe, sein Entsetzen zu überspielen, als er Sir Isaac Dryden sah. Der Mann war schrecklich abgemagert, neben dem weißen Kopfkissenbezug wirkte die Haut wächsern und schien unmittelbar an den Gesichtsknochen zu kleben. Seine Augen dagegen funkelten wachsam und spitzbübisch.

William näherte sich dem Bett und verbeugte sich förmlich. Beiden war klar, dass es keinen erfreulichen Anlass für diesen Besuch gab.

„Meine Tochter sagt, dass du William Latham bist. Das Zuhause deiner Familie ist Arlington Hall in Warwickshire. Ich kann mich daran erinnern, dass Thomas mir davon erzählt hatte.“

„Das ist richtig.“

„Dann heiße ich dich in Mayfield Hall willkommen. Du bist der Sohn von Lord Robert Latham, wenn ich mich nicht irre.“

William nickte kurz. „Er fiel Achtundvierzig während der Belagerung von Colchester.“

„Es tut mir leid, das zu hören. Ich kannte ihn gut, er war ein anständiger Mann.“

„Ja … ja, das war er.“

„Es kann nicht einfach für dich gewesen sein, den Weg hierher zurückzulegen. Uns ist von der Schlacht bei Worcester berichtet worden … und auch davon, dass sie für die Royalisten als blutige Niederlage endete.“

„Die Schlacht war bereits verloren, noch bevor sie begonnen hatte.“

„Und mein Sohn Thomas …?“

„Er geriet in Gefangenschaft.“

Große Erleichterung überkam Sir Isaac. „Dem Herrn sei Dank. Auch du hast die Schlacht überlebt, und ich kann mir vorstellen, dass du darauf brennst, den Abstand zwischen dir und den Siegern so groß wie möglich zu belassen.“ Ein Hustenanfall machte es ihm unmöglich weiterzureden, dann sank er erschöpft zurück auf sein Kissen. Arlette eilte herbei und sah besorgt ihren Vater an.

„Vater, du strengst dich zu sehr an. Du musst dich ausruhen.“

Der Hauch eines Lächelns umspielte die Lippen des alten Mannes. „Bald werde ich genug Zeit haben, um mich auszuruhen, Arlette.“ Wieder musste er husten. Als er zur Ruhe gekommen war, sah er seinen Besucher an. „Ich liege im Sterben. Das tue ich bereits, seit ich bei Dunbar verwundet wurde. Ich habe zum Herrn gebetet, er möge mich lange genug leben lassen, um erleben zu können, wie mein Sohn heimkehrt. Jetzt muss ich einsehen, dass es dazu nicht mehr kommen wird.“ Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf. „Thomas war ein Gelehrter, er konnte sich für ein Leben als Soldat nie begeistern.“ Als er dem jungen Besucher in die Augen schaute, war ihm anzusehen, dass er alles nur zu gut verstand. „Sag mir, was sie mit ihm gemacht haben.“

William wusste, dass dieser Mann die Wahrheit unbedingt erfahren wollte. „Es ergeht ihm besser als den meisten anderen, dennoch springen die Sieger mit ihm grob um.“

Ein Blick zu Arlette, die auf der anderen Seite neben dem Bett stand, zeigte ihm den Schmerz in ihren Augen.

„Der Krieg ist schlecht mit denen umgegangen, die dem König treu gedient haben“, murmelte Sir Isaac. „In allen möglichen Schlachten haben in meiner Familie viele Brüder und Neffen das Leben verloren. Meine Tochter Hester lebt in London, wo sie einen Mann aus dem Parlament geheiratet hat. Einen Stoffhändler. Diese Heirat hat zu einer tiefen Spaltung unserer Familie geführt. Arlette und mein Sohn sind die einzigen Kinder, die ich noch habe. Möge der Herr sie verschonen.“ Er streckte seine knochige Hand aus und strich Arlette mit einer solchen Ehrfurcht über die Wange, dass es William gar nicht entgehen konnte. „Dann sag mir, wo Thomas jetzt ist.“

„Wir wurden beide gefangen genommen, so wie auch zehntausend andere. Man trieb uns in eine Kathedrale, von dort sollten wir dann auf einen Marsch nach London geschickt werden. Ich hatte das Glück, in dem Durcheinander unmittelbar nach der Schlacht fliehen zu können.“

Sir Isaac nahm diese Worte gefasst auf. „Und Thomas? Wurde er verwundet?“

„Nein, er war nur erschöpft und hungrig, doch er war guter Dinge. Etwas Essbares war kaum zu finden. In den letzten Augenblicken, die ich an seiner Seite verbrachte, bat er mich herzukommen, sofern es mir möglich sein würde, und Euch zu versichern, dass er nicht in der Schlacht gefallen ist.“

„Dafür danke ich dir. Es bedeutet mir viel zu wissen, dass er überlebt hat. Wie man nun mit ihm verfahren wird, ist eine andere Frage. Aber selbst Cromwells Armee wird es an Leuten fehlen, um so viele Gefangene vor Gericht zu stellen. Doch was wird nun aus dir? Ich kann mir vorstellen, dass sich die Rundköpfe auf die Suche nach den Royalisten machen werden, die ihnen in Worcester entwischt sind.“

„Das tun sie auch. Ich bin der Überzeugung, dass die Kämpfe nun vorbei sind und die Sache der Royalisten gescheitert ist. Der langwierige Krieg hat aus ehrlichen Bürgern Bettler gemacht, und kein Winkel des Landes ist vom Übel des Kriegs verschont geblieben. Die Welt, wie wir sie vor dem Krieg kannten, gibt es nicht mehr. England hat genug gelitten. Ich beabsichtige, nach Frankreich zu gehen.“

„Falls Cromwell allen Royalisten eine Begnadigung anbietet, wenn sie bereit sind, sich den Gesetzen des Commonwealth unterzuordnen, wirst du dann annehmen?“

„Niemals!“ Ein Feuer loderte in Williams Augen auf. „Ich habe mich erst mit sechzehn Jahren an den Kämpfen beteiligt und mich für die Sache von König Charles I. eingesetzt, lange bevor er auf diese so grausame Weise hingerichtet wurde. Das werde ich jetzt nicht alles einfach aufgeben. Meine Loyalität gilt nun seinem Sohn König Charles Stuart. Es wäre für mich unvorstellbar, mich von ihm abzuwenden. Er braucht meine Unterstützung jetzt mehr denn je. Ich bin davon überzeugt, dass man Arlington Court genauso enteignen wird wie etliche andere Anwesen derer, die auf der Seite des Königs gestanden haben.“

„Und der junge Charles Stuart? Wo ist er?“

„Zuletzt habe ich gehört, dass er aus Worcester hatte entkommen können. Dem Herrn sei Dank!“

„Es wird der Tag kommen, an dem er seinen rechtmäßigen Platz einnehmen wird, dessen bin ich mir sicher. Wenn das geschieht, dann wird allen Königstreuen das zurückgegeben werden, was man ihnen geraubt hat.“

„Tatsächlich? Glaubt Ihr, dass dieser Fall eintreten wird?“

„Ja, mit Gewissheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Volk von England für immer gegen seinen König stellen wird. Am Ende wird die Vernunft siegen, davon bin ich fest überzeugt.“

„Ich bete, dass Ihr recht behaltet. Uns bleibt nichts anderes zu tun als abzuwarten. Aber ich muss mich nun wieder auf den Weg machen. Sollte man mich hier entdecken, wäre das nicht gut für Euch.“

„Dreimal waren Patrouillen der Rundköpfe bereits hier. Ich vermute, dir sind die Hinweise auf ihre gründlichen Durchsuchungen aufgefallen. Es ist klug von dir, so bald wie möglich weiterzuziehen. Aber ich sehe, du bist verwundet“, sagte Sir Isaac, dessen Blick zu dem roten Fleck an der Schulter von Williams Wams gewandert war. „Bevor du dich wieder auf den Weg machst, musst du deine Wunde versorgen lassen, und du musst essen und trinken. Aber ich muss dich auch noch um einen Gefallen bitten, der in Anbetracht der Ereignisse von Worcester und meiner eigenen schlechten Verfassung von größter Dringlichkeit ist. Ich habe fast das Ende der mir auf Erden zugestandenen Zeit erreicht. Das Einzige, was mir jetzt noch wichtig ist, das ist Arlette. Ich bin in großer Sorge, was ihr zustoßen könnte, wenn sie hier bei mir bleibt.“ Er warf seiner Tochter einen liebevollen und zugleich besorgten Blick zu. „Es ist mein Wunsch, dass Arlette bei ihrer Halbschwester in London leben soll.“

Arlette schnappte erschrocken nach Luft. „Nein, Vater, ich werde nicht weggehen. Bitte mich nicht um so etwas, das ist zu grausam. Ich könnte es nicht ertragen, mit einem Mitglied des Parlaments unter einem Dach zu leben. Ich bin deine Tochter, und mein Platz ist an deiner Seite.“

„Als meine Tochter hast du zu gehorchen, und dein Platz ist demnach dort, wo ich es sage“, widersprach er ihr mit sanfter Stimme.

Arlettes Wangen waren gerötet, während ihre Augen keinen Hehl aus ihrem Trotz machten. „Ich werde Mayfield Hall nicht verlassen. Glaubst du tatsächlich, ich würde mich freiwillig in Sicherheit begeben, während du hier ungeahnten Gefahren ausgesetzt bist?“

„Du musst mich verstehen, Arlette. Du musst verstehen, warum ich das mache. Ich bin nicht bereit, zu riskieren, dass dir irgendein Leid widerfährt, wenn die Rundköpfe herkommen. Dass sie herkommen, daran gibt es keinen Zweifel. Ich weiß, du hast als Kind nicht viel Zeit mit Hester verbracht, aber bei ihr bist du in Sicherheit. Aller Differenzen zum Trotz glaube ich, dass ihr Ehegatte ein durchaus gemäßigter Mann ist. Sie ist eine ehrliche und gute Frau, die ihr Bestes für dein Wohlergehen und deinen Schutz geben wird. Tu, worum ich dich bitte, Arlette. Ich flehe dich an.“ Dann sah er wieder zu William. „Wirst du sie nach London bringen?“

William schaute zu Arlette, die wie versteinert dastand. Er konnte spüren, wie sie sich innerlich von ihrem Vater zurückzog, was ihm wiederum einen Stich ins Herz versetzte. Er sah auch, wie sehr sie sich bemühte, ihre schmerzhafte Enttäuschung und eine unerklärliche Traurigkeit zu überspielen. Sein Magen verkrampfte sich, während er den Wunsch verspürte, für ihren Schutz zu sorgen.

„Wirst du es machen?“, fragte Sir Isaac.

William nickte. „Ja, ich werde es machen“, antwortete er mit rauer Stimme. „Und von London aus werde ich zur Küste weiterreisen und ein Schiff nehmen, um auf den Kontinent zu gelangen. Meine Mutter und meine Schwester sind ja bereits dort.“

Nachdem er innerlich widerstrebend auf Sir Isaacs Bitte eingegangen war, sah er Arlette an und lächelte ihr zu, um sein eigenes genauso wie ihr Unbehagen zu lindern. Es war eine Erleichterung zu sehen, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken seinem Blick standhielt. Es machte ihm Mut, diese wortlose Zurschaustellung ihrer eigenen Stärke zu erleben.

Da Eile geboten war, verging nur eine Stunde, in der William etwas aß und die Haushälterin sich um seine verwundete Schulter kümmerte, während Arlette Proviant für die Reise und ein paar Habseligkeiten für ihr Leben in London packte. Dann ritten sie auch schon auf Hector los. Arlette saß hinter William und klammerte sich an ihn. Die Tränen, die ihr nach dem Abschied von ihrem Vater und von Blanche gekommen waren, machten es ihr unmöglich, auch nur einen Ton herauszubringen.

Zwar war es seltsamerweise so, dass Williams Nähe und sein warmer Tonfall ihr tatsächlich Trost spendeten. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass ihr die Gewissheit das Herz zerriss, ihren Vater auf Erden niemals wiederzusehen.

Kaum hatten sie sich auf den Weg gemacht, drehte sie sich um und warf einen letzten Blick auf Mayfield Hall. Während sie sich jedes Detail des Gebäudes ganz genau einprägte, atmete sie noch einmal tief ein, um den Geruch der Umgebung in sich aufzunehmen, damit sie in den vor ihr liegenden Jahren davon zehren konnte.

Der Ritt nach London war eine seltsame Erfahrung. Arlette saß die ganze Zeit hinter William auf dem Pferd, und wenn ihnen hin und wieder ein Reisender begegnete, gab William vor, sie wäre seine Schwester und sie beide wollten Verwandte in London besuchen. Sie hielten sich von den Hauptverbindungen fern, aber nicht nur, weil sie dort mit Rundköpfen rechnen mussten, sondern weil es dort auch von Dieben wimmelte.

Als sie sich das erste Mal unter freiem Himmel zur Nachtruhe begaben, kamen Arlette die Tränen, da sie von Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit erfasst wurde, kaum dass ihr durch den Kopf gegangen war, dass sie ihren Vater tatsächlich nie wiedersehen würde.

Beim Anblick ihrer großen Augen, die ihn stumm um Trost anflehten, konnte William gar nicht anders als sie in seine Arme zu schließen. Arlette war ein besonderes Mädchen. Dafür, dass sie in so jungen Jahren aus dem vertrauten Zuhause gerissen und jemandem anvertraut worden war, der praktisch ein Fremder war, zeigte sie sich von einer so tapferen und selbstlosen Seite, dass er sie dafür einfach nur bewundern konnte. Sie war aber auch mindestens genauso stark und bei Verstand, dass die Tränen am nächsten Morgen längst getrocknet waren.

William erfreute sich an ihrer Gesellschaft. Nach diesem Blutbad bei Worcester, bei dem er hatte mitansehen müssen, wie seine Freunde brutal niedergemetzelt worden waren, und nach einer Flucht, die ihn an den Rand völliger Erschöpfung getrieben hatte, war Arlette diejenige, auf die er sich konzentrieren konnte, um dem Kummer zu entkommen, die seine Erinnerungen ihm bereitete. Wenn er auf die Trostlosigkeit jener Zeit zurückblickte, verlor er sich völlig in Arlettes Sanftheit und betrat ihre Welt, in der alles erfrischend und voller Leben war. Sollte Gefahr drohen, würde er sie mit seinem Leben beschützen.

Als sie nach drei Tagen endlich London erreichten, machten sich die Strapazen der Reise bei ihnen beiden bemerkbar.

Für Arlette begann eine seltsame Phase ihres Lebens, und nur Hester konnte verstehen, welche Qualen sie durchmachte, da sie den gleichen brutalen Schmerz über den Verlust des Vaters verspürte. Williams Anwesenheit spendete ihr für kurze Zeit ebenfalls Trost. Ganz gleich, was die Zukunft für jeden von ihnen bereithielt – sie beide waren durch die gemeinsame Reise nach London auf eine Weise miteinander verbunden worden, der sich keiner von ihnen würde entziehen können.

William war froh darüber, dass Hesters Ehemann Richard Arden in geschäftlichen Angelegenheiten in den Midlands unterwegs war, als er mit Arlette bei deren Schwester eintraf. Das besänftigte seine Befürchtungen, er könnte von dem Mann an die Obrigkeit ausgeliefert werden. Umso größer war seine Sorge um Arlette, weshalb er sich vor seiner Abreise an ihre Schwester wandte.

„Dass sie ihr Zuhause und ihren Vater verlassen musste, hat sie zutiefst verletzt. Es dürfte für lange Zeit so gut wie unmöglich sein, die Narben verheilen zu lassen, die ihre Seele erlitten hat.“

„Wir werden uns gut um sie kümmern, aber du hast natürlich recht, wenn du sagst, dass das Ganze sie tief getroffen hat. Doch sie ist sehr stark, und ich bin davon überzeugt, sie wird das durchstehen.“

Als William sich von Arlette verabschiedete, neigte der Sommer sich dem Ende entgegen, in der Luft lag der kühle Hauch, der den Herbst ankündigte. William hielt sich im Garten auf, und Arlette ging dort schweren Herzens zu ihm. Als sie ihn im Obstgarten von Mayfield Hall entdeckt hatte, war er für sie praktisch ein Fremder gewesen, was bei ihr Angst ausgelöst hatte.

Nun stand sie vor der schweren Aufgabe, sich von jemandem verabschieden zu müssen, der ihr ans Herz gewachsen war. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie wünschte, dieser Tag wäre nie angebrochen. Nicht nur, dass sie beide einander nähergekommen waren, es war auch eine gewisse Zärtlichkeit, die sie mit ihm verband.

William zog sich den Hut über die Ohren und umarmte Arlette, die sich an seiner Hand festklammerte.

„Ich möchte nicht, dass du weggehst“, flüsterte sie ihm zu, während ihr Tränen in die Augen stiegen. „Ich will dich begleiten.“

„Ich kann dich nicht mitnehmen, Arlette. Ich werde mich dem König von Frankreich anschließen. Mein Vater ist tot, meine übrige Familie weilt in Frankreich. Das Parlament hat mir mein Anwesen in Warwickshire weggenommen und mich zum Verräter erklärt. Mir bleibt keine andere Wahl.“

„Aber du wirst doch wieder zurückkommen, nicht wahr?“

„Vielleicht … nach einer Weile. Aber ich werde so lange nicht englischen Boden betreten, wie Cromwell an der Macht ist.“ Als er ihr ansehen konnte, wie weh seine Worte ihr taten, legte er ihr die Hände auf die Schultern und beugte sich vor, sodass sein Gesicht auf gleicher Höhe mit ihrem war. „Es ist richtig, dass du hier bei deiner Schwester bist.“ Während er die Arme ausgestreckt hielt, damit sie auf Abstand zu ihm blieb, sah er sie eindringlich an. „Du verstehst doch, warum ich von hier weggehen muss, nicht wahr?“

Sie nickte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie musste kämpfen, um die Tränen zurückzuhalten. „Ja“, flüsterte sie. „Trotzdem wirst du mich nicht vergessen, oder?“

„Du bist mir sehr ans Herz gewachsen, Arlette. Ich könnte dich niemals vergessen.“

Mit Tränen in den Augen lächelte sie ihn an, dann machte sie einen Schritt nach hinten. „Warte einen Moment, ich habe noch etwas für dich.“

William schaute ihr hinterher, als sie davoneilte. Augenblicke später hörte er Hufgetrappel auf dem Kopfsteinpflaster, und dann sah er, dass sie Hector zu ihm führte.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte er lächelnd.

Arlette warf einen Blick auf das bemitleidenswert aussehende Pferd, das ihre Schwester für ihn beschafft hatte, gegen das sie selbst sich aber mit Nachdruck ausgesprochen hatte. „Ich möchte, dass du Hector bekommst.“

„Aber Hector war das Pferd deines Vaters. Das kann ich nicht annehmen.“

„Ich möchte aber, dass du es annimmst. Ich weiß, mein Vater hätte es so gewollt. Außerdem kann Hector dich gut leiden. Ich weiß, du wirst gut für ihn sorgen.“

William hatte vor Rührung einen Kloß im Hals und bekam kein Wort heraus, stattdessen schloss er Arlette in die Arme und drückte sie fest an sich. Als er sie wieder losließ, umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Auf Wiedersehen, Arlette. Ich wünsche dir Freude und Glück im Leben. Möge Gott dich behüten.“

„William“, sagte sie, als er sich abwandte. Mit fragender Miene drehte er sich wieder zu ihr um. „Pass auf dich auf, hörst du?“, fuhr sie mit heiserer Stimme fort. „Damit dir nichts passiert.“

Er stand schweigend da, schließlich entgegnete er: „Natürlich werde ich aufpassen. Aber warum? Warum sagst du so was? Ist es dir wichtig?“

Sie nickte bedächtig. „Ja. Werde ich dich wiedersehen?“

„Ich habe die Angewohnheit, immer dann aufzutauchen, wenn man am wenigsten mit mir rechnet“, sagte er lächelnd. „Vielleicht ergibt sich ja ein Anlass, dich hier in London zu besuchen. Oder besser noch in Mayfield Hall, wenn der Albtraum endlich ein Ende hat. Kann ich davon ausgehen, in deinem Haus willkommen zu sein?“

„Du wirst immer willkommen sein, William, ganz gleich, wo ich bin.“

Er ließ den Kopf ein wenig hängen, wandte sich ab und entfernte sich. Arlette sah ihm nach und wollte noch etwas sagen, doch sie konnte einfach nicht. Die Worte wollten ihr nicht über die Lippen kommen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte von vornherein gewusst, dass sie sich eines Tages von ihm würde verabschieden müssen und dass er nur vorübergehend ein Teil ihres Lebens sein würde. Doch dieser Tag war allzu schnell gekommen. Bedauern erfüllte sie und lastete schwer auf ihrem Herzen.

Sie sah ihm hinterher, wie er auf Hector davonritt. Das Einzige, was ihr von ihm blieb, war das Gefühl, das der zarte Kuss auf ihrer Stirn hinterlassen hatte. Dazu gesellte sich der Anblick seines Rückens, begleitet von Hectors leiser werdendem Hufgetrappel.

Hester stellte sich zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern.

„Wird er wiederkommen?“, fragte Arlette leise.

„Das kann ich dir nicht beantworten.“

Sie fühlte sich genauso einsam und allein wie zuvor, als sie Mayfield Hall verlassen hatte. „Er muss wiederkommen“, sagte sie im Flüsterton zu sich selbst. „Das muss er einfach. Andernfalls würde ich es nicht ertragen, ohne ihn zu sein.“

1. KAPITEL

1660

Nachdem sie mit großem Vergnügen den Morgen damit verbracht hatte, am Flussufer zu sitzen und die verschiedenen Schiffe zu beobachten, die auf dem Wasser unterwegs waren, klopfte sich Arlette das trockene Gras von den Röcken, strich sich die Haare glatt und eilte zurück zum Haus. Ihre Schwester hatte nach ihr gerufen, und sie musste dem Ruf folgen.

Oaklands House im Westen von London war ein schönes Haus, das seit Generationen im Besitz von Richard Ardens Familie war. Erbaut hatte man es in besseren, ertragreicheren Zeiten, um vor der Pest sicher zu sein, von der die Stadt jedes Jahr heimgesucht worden war. Die großzügig bemessenen Flure, Salons und Empfangszimmer waren alle mit Teppichen ausgelegt und geschmackvoll eingerichtet. Hinter den Wohnquartieren fanden sich die Vorratskammer, die Backstube und das Waschhaus. Die weitläufigen Gärten boten einen gepflegten Anblick, die kurz geschnittenen Rasenflächen fielen zum Flussufer hin leicht ab. Hester hielt das Haus tadellos in Ordnung und hatte die Dienerschaft gut im Griff.

Die Ardens waren hart arbeitende Stoffhändler. Die großen Firmengrundstücke befanden sich in Spitalfields. Dort waren auch die Stoffe gelagert, und gelernte Arbeiterinnen in Lederschürzen waren unablässig mit Weben beschäftigt. Hesters Ehemann Richard war ein schroffer, wachsamer Mann, der sich jeden Tag von einem Diener zur flussabwärts gelegenen Stadt rudern ließ. Da er sich ganz dem Geschäft und dessen Leitung verschrieben hatte, gab es in seinem Leben keinen Müßiggang und keine Unbeschwertheit.

Richard hatte sich mit seinem Geschäft schon vor dem Krieg einen Namen gemacht, und da er noch vor den ersten Unruhen dem Parlament seine Loyalität erklärt hatte, konnte er seine Arbeit ungehindert fortführen. Allerdings hatte er während des Commonwealth sehr unter dem Ausbleiben des Handels gelitten. Da nun König Charles mit seiner Gefolgschaft zurückkehrte, strömten die Edelleute mit ihren Damen wieder zurück in die Hauptstadt, und damit würde auch die Nachfrage nach feineren Stoffen wie Brokat aus Mailand, Seide aus Lucca und edelstem Samt aus Venedig zu neuem Leben erwachen. Doch das würde erst die Zukunft mit sich bringen, aber Richard hatte kein Vermögen beiseitegelegt, das er jetzt in den Einkauf von Beständen hätte stecken können.

Arlette fand ihre Schwester im Salon vor. Schon bald nach ihrer Ankunft in Oaklands House war ihr deutlich geworden, dass das Leben wegen vieler Einschränkungen für sie nicht leicht werden würde. Dennoch hatte sie klaglos die Art und Weise hingenommen, in der Richard mit ihr umging. Anfangs hatte er noch echte Warmherzigkeit ausgestrahlt, als er sie in seinem Zuhause willkommen geheißen hatte. Er war froh darüber gewesen, dass Hester Unterstützung von ihrer Schwester bekam, die ihr bei den tagtäglichen Arbeiten half.

Hester wünschte sich sehnlichst ein Kind, doch nachdem sie gleich zu Beginn ihrer Ehe ein Kind verloren hatte, waren die Jahre ins Land gegangen, ohne dass es ihr und ihrem Mann gelungen wäre, noch einmal ein Kind zu zeugen. Das, was für die meisten Frauen etwas ganz Natürliches darstellte, war ihr versagt geblieben, sodass sie von Enttäuschung und dem Gefühl durchdrungen war, keine vollwertige Frau zu sein. Im Moment war sie sehr angespannt, was genau genommen schon seit Tagen der Fall war. Aber so war sie immer, wenn sie im Begriff war, Richards Schwester Anne Willoughby zu besuchen. Die hatte einen ganzen Stall voller Kinder, was Hesters eigene bedauernswerte Situation nur besonders betonte.

Hester zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete missbilligend das Erscheinungsbild ihrer jüngeren Schwester. Vor allem ruhte ihr Blick allzu lange auf dem Riss in Arlettes Rock, der dadurch verursacht worden war, dass sich der Stoff in einem Dornenbusch verfangen hatte. Arlette wusste auch, dass Hester nicht von der Freundschaft zwischen ihr und James Sefton begeistert war. Ihrer Meinung nach konnte Arlette die Zeit, die sie mit James vergeudete, sinnvoller nutzen. Die Seftons von Willow Hall waren Nachbarn.

James hatte blondes Haar und ein hübsches jungenhaftes Gesicht, sein Benehmen war altklug und ehrlich. Arlette schätzte ihn als einen guten Freund, doch mehr war da nicht zwischen ihnen. Nach seinen Reisen im Ausland war er noch vor seinem Vater nach England zurückgekehrt, der ihm nach Jahren im Exil mit König Charles Stuart bald nach Hause folgen würde. Seine Mutter, die von puritanischer Herkunft war, hatte während der Kriege weiter in Willow Hall gelebt.

„Mary hat gesagt, du wolltest mich sprechen, Hester?“

„Ich hatte Mary bereits vor einer halben Stunde zu dir geschickt, Arlette. Meinst du nicht, ich muss mich schon um genügend Dinge kümmern, ohne mir auch noch ständig deinetwegen Sorgen zu machen? Du weißt, wir reisen morgen in die Stadt, und bis dahin gibt es noch unzählige Dinge zu erledigen. Anne und ihr Mann erwarten uns in Kürze, und da wir bei ihnen übernachten werden, muss ich vieles für die Reise einpacken, wobei du mir helfen kannst, sobald du dich gewaschen hast.“

Arlette wusste genau, was Hester dachte, wenn sie sie ansah. Die blassblauen Augen waren vor Verärgerung ein wenig zusammengekniffen, kritische Blicke folgten Arlette, die einfach hereingeplatzt war und die Ruhe und den Frieden im Haus gestört hatte. Ihr war klar, dass sie mit ihren fleckigen und zerknitterten Röcken erschreckend aussah. Mit einer flüchtigen Handbewegung strich sie die zerzausten Haare nach hinten, die ihr ins Gesicht gefallen waren. Dann ließ sie sich in einen Sessel sinken und nahm dabei eine gar nicht damenhafte Pose ein, die nicht dazu beitrug, das Missfallen ihrer Schwester zu lindern. Sie rühmte sich, intelligent, scharfsinnig und schlagfertig zu sein, aber so sehr Hester sie auch als ihre Schwester liebte, warf sie ihr stets vor, nur für Probleme zu sorgen und ihr Kopfschmerzen zu bereiten. Sie hörte Hester laut seufzen, so als könnte sie diese Last nicht länger ertragen.

Kurz nachdem William Latham Arlette nach London gebracht hatte, war die Nachricht eingegangen, dass ihr Vater gestorben war, nachdem einige von Cromwells Soldaten ihn aufgesucht hatten, die Jagd auf jene Royalisten machten, die nach der Schlacht von Worcester die Flucht ergriffen hatten. So wie der Besitz unzähliger anderer Royalisten war auch Mayfield Hall vom Parlament enteignet worden. Keine der Schwestern hatte seitdem noch einmal Mayfield besucht, doch Blanche schrieb Arlette hin und wieder einen Brief und berichtete ihr von Freunden und Nachbarn, die sie noch gekannt hatte. Auch schrieb sie ihr von dem älteren Mann, einem Anhänger des Parlaments, der nun mit seiner Frau in Mayfield Hall lebte. Sie erfuhren auch, dass ihr Bruder Thomas zusammen mit über tausend weiteren englischen und schottischen Gefangenen und einigen Söldnern nach Barbados geschickt worden war, um dort wie Sklaven leben zu müssen. Ob er aber überhaupt noch auf Erden weilte, konnte ihnen niemand mit Gewissheit sagen.

Arlette war schöner, als Hester es für sich selbst je hätte erhoffen können, doch sie lebte nur für den Augenblick und konnte sich für kaum etwas interessieren, was nicht mit Betätigung unter freiem Himmel zu tun hatte.

Nach zehn Jahren im Exil in Frankreich konnte der König nun endlich heimkehren. Sein Schiff – die Royal Charles – war gemeinsam mit dem Rest der Flotte in Dover eingetroffen, wo er mit allen Ehren und Gehorsamsbekundungen von General Monck empfangen worden war. Der Oberbefehlshaber über sämtliche englischen und schottischen Streitkräfte hatte entscheidend dazu beigetragen, den König auf den Thron zurückzuholen. Dessen Ankunft in der Hauptstadt wurde in den nächsten Tagen erwartet, und das war auch der Grund, wieso sie sich bei Anne und ihrem Ehemann einquartieren würden, die unmittelbar an der Prachtstraße Strand wohnten. Anne und ihr Bruder Richard waren in einem puritanischen Haushalt aufgewachsen, sie hatten sich bei Ausbruch der Unruhen auf die Seite des Parlaments gestellt. Annes Ehemann Edward war jedoch ein überzeugter Royalist, und dementsprechend freute er sich auf die Rückkehr der Monarchie, die er gebührend feiern wollte.

Erschrocken darüber, dass sie ihre Schwester verärgert hatte, wollte sie sofort Wiedergutmachung leisten. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und stand auf. „Ich werde dir helfen, Hester. Es tut mir leid. Es war gedankenlos von mir, dich die ganze Arbeit erledigen zu lassen. Ich hatte einfach nicht mehr daran gedacht. Gab es sonst noch etwas?“

„Ja, in der Tat gab es sonst noch etwas. Sir Ralph Crompton hat sich wieder an Richard gewandt. Hast du vergessen, dass du schon bald verlobt sein wirst?“

Arlette erschrak. Hesters Worte waren so, als hätte man einen Eimer mit eiskaltem Wasser auf ihrem Kopf ausgekippt. Mit einem Schlag wurde sie daran erinnert, dass die Tage bald damit ausgefüllt sein würden, die typischen Aufgaben einer Ehefrau verrichten zu müssen. Bald, aber nicht sofort, und deshalb sträubte sie sich auch weiterhin dagegen. „Vergessen habe ich es nicht, Hester, aber …“ Sie seufzte. „Ich verstehe nicht, warum ich ihn heiraten muss.“

„Er mag dich, Arlette. Das weißt du doch ganz genau.“

Das stimmte allerdings. Sir Ralph war ebenfalls Stoffhändler, und nichts würde Richard mehr erfreuen als die Heirat seiner Schwägerin mit einem bedeutenden und angesehenen Mitglied der Gilde, einem Mann, der eine wichtige Rolle im Londoner Gemeindeleben spielte. So wie auch andere Mitglieder der Gilde hatte Richard unter den Auflagen gelitten, die vom Commonwealth verhängt worden waren. Nur zu deutlich spürte er die Demütigung, die er dadurch erdulden musste. Dass Sir Ralph schließlich Interesse daran bekundet hatte, Arlette zur Frau nehmen zu wollen, war Richard wie Balsam auf seine Wunden vorgekommen. Immerhin stand ihr die ursprüngliche Mitgift nicht mehr zur Verfügung, und die meisten Männer, die auf der Suche nach einer Ehefrau waren und die dieser Frau Ansehen und Sicherheit geben wollten, richteten daher ihre Aufmerksamkeit schnell auf andere Kandidatinnen.

Durch eine Heirat mit Sir Ralph würde für Richard eine wichtige Verbindung entstehen, die sich auf sein Ansehen innerhalb der Gilde auswirken würde. Zudem hatte Sir Ralph eine beträchtliche Summe für den Fall in Aussicht gestellt, dass es zur Heirat kam. Richard hatte ohne zu zögern in Arlettes Namen sein Einverständnis erklärt.

In dem Moment, als Arlette das erste Mal Ralph Crompton zu Gesicht bekommen hatte, war ihr klar gewesen, dass sie ihn nicht leiden konnte – auch weil sie glaubte, den Anflug eines zufriedenen Lächelns in den arroganten Gesichtszügen des Mannes gesehen zu haben. Sie war sofort auf Abstand zu ihm gegangen, als er ihr eine Hand an die Taille gelegt hatte, als wäre es sein gutes Recht. Sein berechnender Blick, den er über sie hatte wandern lassen, sprach für einen Mann, der genau wusste, was er mochte, und der es gewohnt war, das zu bekommen, was er begehrte. Sie hatte nie geglaubt, in einem Mann ein solches Verlangen wecken zu können, doch so, wie ein Tier Gefahr wittert, hatte, sie Sir Ralph Crompton anmerken können, dass er beschlossen hatte ihr nachzustellen.

„Er muss unter Hunderten von Frauen wählen können. Warum ausgerechnet ich?“

„Dank einfach deinem Glücksstern dafür, dass er dich noch will.“

„Natürlich will er mich. Wer wäre sonst bereit, sich um seine zwei Töchter zu kümmern, die keine Mutter mehr haben?“, gab Arlette zurück, die ihre Verbitterung nicht verhehlen konnte.

Hester reagierte mit einer wegwerfenden Geste auf die Einwände. „Dennoch sind dein Trotz und dein gegen diese Familie gerichteter Tratsch, der durch deine Freundschaft mit James Sefton ausgelöst wurde, längst deutlich zu viel. Mit deinem Verhalten hast du schon Richard verärgert, und ich könnte es Sir Ralph nicht verdenken, wenn er es sich anders überlegen würde.“

„Dann wäre es doch am besten, wenn ich meinem Ruf noch etwas mehr Schaden zufüge, damit er seine Gunst einer anderen schenkt“, konterte Arlette und warf rebellisch den Kopf in den Nacken. Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, bereute sie sie auch schon, sorgten die doch bei ihrer Schwester für noch größere Verärgerung.

„Komm nicht auf diese Idee“, herrschte Hester sie an, die wiederholt tief durchatmen musste, um die Wut zu bändigen, in die sie sich in letzter Zeit wider Willen immer schneller hineinzusteigern schien. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass Sir Ralph Crompton dich heiraten will. Er wird dir das Ansehen verleihen, das du verdient hast, und durch ihn wirst du abgesichert sein.“ Als sie Arlettes anhaltende Ablehnung bemerkte, seufzte sie gedehnt und schob sich die Haare aus der Stirn. „Du bist meine Schwester, und ich liebe dich sehr. Ich kann auch verstehen, dass du gegen diese Heirat bist, aber …“

„Richard ist nicht so verständnisvoll. Für deinen Ehemann zählt meine Meinung gar nicht“, sagte Arlette betrübt. „Mach dir keine Sorgen, Hester. Ich weiß, es ist meine Pflicht, Sir Ralph zu heiraten, und ich habe zugesagt, immer nur das Richtige zu tun. Ich werde Wort halten“, fügte sie hinzu, auch wenn die Folgen ihrer Erklärung noch so widerwärtig sein würden.

„Richard macht nur das, was er für dich am besten hält“, verteidigte Hester ihren Mann. „Du musst so heiraten, wie es die Umstände von dir erfordern. Sir Ralph ist der Einzige, der sich angeboten hat. Dabei wird es für dich höchste Zeit zu heiraten. Diese Verbindung ist für Richard wichtig – wichtiger als dir klar sein dürfte. Du solltest ihm dankbar sein für das, was er für dich tut.“

Arlette biss die Zähne zusammen. Es ärgerte sie, dass sie Richards Ehrgeiz geopfert wurde, aber sie hatte gelernt, wo ihr Platz in Richards Haus war, und sie wusste, dass sie nicht gegen die Regeln aufbegehren und selbst über ihr Schicksal bestimmen konnte. Ihr Leben lang hatte sie gehofft, selbst ihren Ehemann auswählen zu dürfen, doch als der Moment gekommen war, hatte Richard für sie die Entscheidung getroffen und sie dem Mann versprochen, den sie niemals freiwillig hätte heiraten wollen: Sir Ralph Crompton.

„Ich hatte gehofft, du würdest deine Torheiten bereuen“, redete Hester weiter. „Aber wie es scheint, ist das nicht der Fall. Seit du hergekommen bist, habe ich mir alle Mühe gegeben, in dir Ergebenheit und vielleicht sogar Gehorsam zu finden. Aber ich muss feststellen, dass das nicht in deinem Wesen liegt. Da niemand dir gesagt hat, was du zu tun hast, warst du auf Mayfield Hall viel zu oft dir selbst überlassen. Ich liebe dich wirklich, Arlette, aber du treibst meine Geduld an ihre Grenzen.“

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dir so viel Kummer bereite, Hester. Das musst du mir glauben. Ich bin für alles dankbar, was du und Richard für mich getan habt. Aber …“, fügte sie mit einem widerborstigen Unterton hinzu: „… ich bin zweiundzwanzig Jahre alt, und auch wenn ich weiß, dass ich Sir Ralph heiraten muss, hätte ich bei der Wahl meines Ehemanns doch gern mitgeredet. Und dann wäre meine Wahl nicht auf Sir Ralph gefallen.“

Wütend über das, was sie für Ungehorsam hielt, war Hester nicht länger in der Lage, ihre Zunge im Zaum zu halten – ein Umstand, den sie später noch bereuen sollte. „Du undankbares Mädchen! Du erinnerst mich an deine Mutter. Scheint so, als würdest du ganz nach ihrer Art schlagen. Ihre Undankbarkeit war genauso unverzeihlich, und das nach allem, was unser Vater für sie getan hatte.“

Arlette sah sie verwundert an. „Meine Mutter? Warum kommst du auf sie zu sprechen? Und wieso sollte sie unserem Vater dankbar gewesen sein?“

„Ach, es war einfach nur dumm von unserem Vater, sie zu heiraten.“

„Sag das bitte nicht, Hester. Ich werde nicht zulassen, dass du meine guten Erinnerungen an meine Mutter schlechtredest. Sie war meine Mutter, und ich habe sie sehr geliebt.“

„Wie sollte das möglich sein? Du kannst dich doch kaum an sie erinnern.“

„Ich weiß selbst, dass ich noch ein Kind war, als sie starb. Ich weiß kaum etwas darüber, wie es dazu kam, dass sie unseren Vater geheiratet hat.“

„Dann ist es höchste Zeit, dass du es erfährst“, erwiderte Hester energisch. „Es ist höchste Zeit, dass du erfährst, was für eine Frau sie war.“ Vor Wut lief ihr Gesicht rot an, und ihre Augen funkelten giftig. Sie wirkte so zornig, dass Arlette am liebsten aus dem Zimmer gerannt wäre. Da sie davon ausgehen musste, dass ihre Schwester sich zu den weniger angenehmen Eigenschaften ihrer Mutter äußern würde, wandte sie sich ab. „Verzeih mir, Schwester, aber ich werde nicht dastehen und mir anhören, was du über meine Mutter zu verbreiten gedenkst.“

„Oh doch, das wirst du dir anhören, Arlette.“

Sie hatte immer gespürt, dass Hester ihre Mutter nicht leiden konnte, auch wenn ihr der Grund dafür ein Rätsel gewesen war. Es musste etwas Tiefgreifendes sein, vielleicht die bloße Tatsache, dass ihr Vater nach dem Tod von Hesters Mutter noch einmal geheiratet hatte.

„Unser Vater hat dich in dem Glauben gelassen, dass sie bei der Geburt unserer gemeinsamen Schwester gestorben wäre, aber damit hat er nur die Wahrheit vertuschen wollen. Deine Mutter hatte nichts für unseren Vater übrig. Der Mann, den sie tatsächlich geliebt, mit dem sie das Bett geteilt und ein Kind gezeugt hatte, während Vater in Angelegenheiten des Königs in London gewesen war … dieser Mann war ein Witwer.“

Hesters Worte lösten in Arlette solches Entsetzen aus, dass es ihr so vorkam, als würde ihre ganze Welt aus den Fugen geraten. Das konnte nicht wahr sein. „Aber … es ist nicht möglich … sie hätte nie …“

„Doch, Arlette, das hat sie getan. Verschließ nicht die Augen vor der Wahrheit. Vater hat sie wie ein Narr verehrt. Seiner Meinung nach konnte sie gar nichts verkehrt machen. Aber als er nach einer langen Abwesenheit heimkehrte und sah, dass sie ein Kind in den Armen hielt, das unter gar keinen Umständen von ihm sein konnte, da hat er sie und ihr Kind vor die Tür gesetzt.“

Arlette war ganz übel. Ihr war so schwindlig, dass sie sich in den nächstbesten Sessel fallen ließ und nur noch vor sich hinstarren konnte, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, Tränen stiegen ihr in die Augen. „Was wurde aus ihr? Wohin ging sie?“

„Dazu kann ich nichts sagen, das weiß ich nicht.“

„Und meine Schwester?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist mir ebenfalls nicht bekannt.“

„Und wie hieß meine Schwester?“

„Ich kann mich nicht genau erinnern. Miranda … Matilda … etwas, das sich so ähnlich anhört. Wen kümmert das jetzt noch? Außerdem war sie deine Schwester, aber nicht meine.“

„Mich kümmert das. Sehr sogar. Aber warum erzählst du mir das jetzt? Du hättest mir diese Enttäuschung ersparen und einfach so weitermachen können wie zuvor.“

„Weil ich an meine Grenzen gestoßen bin, was meine Fähigkeit angeht, dieses Geheimnis für mich zu behalten“, antwortete sie unübersehbar erschöpft. „Ich finde, es ist an der Zeit, dass du erfährst, was für ein Mensch deine Mutter war.“

„Du kannst sagen, was du willst, Hester. Es ist ein Leichtes über sie zu reden, wenn sie sich nicht verteidigen kann. Ich werde ihrem Andenken treu bleiben, ganz gleich, was du zu sagen hast. Weiß Richard davon?“

„Nein, ich habe mich zu sehr geschämt.“

Arlettes Wangen glühten vor Entrüstung, und hitzige Erwiderungen gingen ihr durch den Kopf, doch Hester fuhr fort, noch bevor Arlette einen Ton sagen konnte.

Autor

Helen Dickson
Helen Dickson lebt seit ihrer Geburt in South Yorkshire, England, und ist seit über 30 Jahren glücklich verheiratet. Ihre Krankenschwesterausbildung unterbrach sie, um eine Familie zu gründen.
Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes begann Helen Liebesromane zu schreiben und hatte auch sehr schnell ihren ersten Erfolg.
Sie bevorzugt zwar persönlich sehr die...
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