Ein unmoralisches Angebot vom Boss

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"Ich soll Ihre Geliebte werden?" Die Haushälterin Zoe hasst ihren arroganten Boss Isandro Montero für seinen unverschämten Vorschlag! Doch warum klopft ihr Herz dann so sehr, als er sie verlangend küsst?


  • Erscheinungstag 07.01.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521307
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Manch einer in seiner Position hätte sich über Presserummel beklagt. Isandro tat es nicht. Seiner Meinung nach gab es in seinem Leben nicht viel, worüber er sich beschweren konnte. Außerdem wusste er, dass man auch dann eine Privatsphäre haben konnte, wenn man ein Finanzimperium besaß, das großes Medieninteresse erregte.

Es hätte natürlich heikel werden können, wenn er sich ständig betrunken in irgendwelchen Nachtklubs oder mit spärlich bekleideten Models bei Filmpremieren gezeigt hätte, doch so etwas war nicht sein Fall.

Obwohl er Sicherheitsvorkehrungen als notwendiges Übel und als Schattenseite des Erfolgs betrachtete, war er kein Einsiedler, der sich hinter hohen Mauern verschanzte.

Hätte er eine Familie gehabt, hätte er womöglich an jeder Ecke Gefahren gewittert, aber er hatte nur eine Exfrau, zu der er mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis pflegte, und einen Vater, zu dem er kaum Kontakt hatte. Isandro war also nicht übermäßig alarmiert, als das ferngesteuerte Tor seines Anwesens in England – das tatsächlich von hohen Mauern gesäumt war – schon offen stand, als er darauf zufuhr.

Trotzdem verlangsamte er das Tempo und sondierte mit zusammengekniffenen Augen die Umgebung. Zwar erwartete er nichts Böses, aber er hätte nicht gedacht, dass seine Angestellten so nachlässig waren.

Seine Miene verfinsterte sich, als er eine Traube bunter Ballons an einem herunterhängenden Ast neben dem Schild mit der Aufschrift Ravenwood House – Privat entdeckte.

Ravenwood gehörte ihm seit drei Jahren, und obwohl er nur selten hier gewesen war, hatte er noch nie Grund zu irgendwelchen Beschwerden gehabt. Allerdings stellte er auch nur die besten Leute ein, egal, ob es sich um Führungskräfte oder Gärtner handelte. Er zahlte sehr gut und erwartete dafür auch entsprechende Leistungen.

Dieses Prinzip hatte bisher immer sehr gut funktioniert, und wenn nicht … Er galt weder im Berufsleben noch privat als duldsam oder sentimental. Wenn seine Mitarbeiter seinen hohen Anforderungen nicht gerecht wurden, feuerte er sie.

Isandro öffnete das Fenster, streckte den Arm hinaus und griff nach der Schnur, die von der Ballontraube herunterhing. Als er daran zog, zerplatzten zwei Ballons, und die restlichen flogen weg. Stirnrunzelnd blickte er ihnen nach. Er war nicht bereit, irgendetwas in das geöffnete Tor oder die Dekoration hineinzudeuten, doch vor Kurzem hatte er die Stelle der Haushälterin neu besetzt.

Die ehemalige war nicht nur fleißig gewesen, sondern hatte auch hervorragend delegieren können und sich dennoch immer diskret im Hintergrund gehalten.

Unter ihrem Regiment hätte er sich derartige Dinge nicht vorstellen können, aber noch wusste er ja nicht, wer für das offene Tor und die Ballons verantwortlich war. Niemand konnte behaupten, er wäre nicht fair und würde keine Fehler tolerieren.

Unfähigkeit duldete er allerdings nicht.

Noch ging er davon aus, dass die neue Haushälterin genauso perfekt war wie sein Assistent Tom, der die Bewerbungsgespräche geführt hatte. Bisher hatte er sich immer auf das Urteilsvermögen des jungen Mannes verlassen können. Unter anderem hatte dieser damals durch seine Bemühungen und sein diplomatisches Geschick sowohl die Behörden als auch die Einheimischen versöhnlich gestimmt.

In der Gemeinde hatte man den Besitzerwechsel vor drei Jahren ausgesprochen argwöhnisch, ja, feindselig verfolgt. Die Familie, die sowohl dem Haus als auch dem Dorf den Namen gegeben hatte, hatte seit Jahrzehnten keine Steuern mehr gezahlt, und der vorherige Eigentümer war Alkoholiker gewesen und hatte die meiste Zeit in Nachtklubs und Entziehungskliniken verbracht, statt Geld zu verdienen und das Haus in Schuss zu halten. Isandro konnte deshalb beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum die Einheimischen diesem Mann so die Treue gehalten hatten.

Mit Toms Unterstützung hatte sich Isandro der Situation mit seinem üblichen Pragmatismus gestellt. Er musste sich nicht mit seinen Nachbarn anfreunden, wollte aber auch nicht mit ihnen auf Kriegsfuß stehen. Die anfängliche Beschwerdeflut war fast versiegt, und auch die Besuche von Mitarbeitern irgendwelcher Denkmalschutzbehörden, die die Renovierungs- und Gartenarbeiten stoppten, hatten irgendwann ein Ende genommen. Ganz bewusst hatte er nur ortsansässige Firmen und Handwerker beauftragt, und dank seiner großzügigen Spende hatte man das Dach der Kirche neu decken können.

Er betrachtete das Problem als gelöst.

Ravenwood war unter all seinen Anwesen dasjenige, auf dem er am besten entspannen konnte – so gut es ihm eben möglich war, zu entspannen. Es war sehr schön, und für Schönheit hatte er etwas übrig. Nur gelegentlich lud er seine engsten Freunde hierher ein. Er fuhr niemals durch das Tor, ohne das Gefühl zu haben, dass er den ganzen Stress hinter sich ließ.

Bei der Aussicht auf einige freie Tage umspielte ein Lächeln seine Lippen. Kurz darauf wurde er jedoch ernst.

Neben einem der Torpfeiler stand ein umgedrehter Karton. Ungläubig und verärgert zugleich las Isandro das handgeschriebene Schild darauf, auf dem Eier aus Freilandhaltung – 6 Stück £ 1 stand. Eier konnte er nirgends entdecken, nur ein Glas, in dem Münzen und mehrere Scheine steckten. In dieser Gegend waren die Leute ehrlich.

Er hatte gerade die Hälfte der von hohen Kastanien gesäumten Auffahrt zurückgelegt, als ihm ungewohnter Lärm entgegenschlug – eine Mischung aus Musik, Lachen, lauten Stimmen und Hundegebell.

„Was, zum Teufel …?“

Isandro gab Gas. Kurz darauf bremste er scharf oben auf der Anhöhe, wo das wunderschöne Herrenhaus in Sicht kam. Kenner bezeichneten das Gebäude im palatinischen Stil, das in einer Parklandschaft lag und sogar über einen eigenen See verfügte, als architektonisches Juwel.

Der perfekt gepflegte Rasen auf der Westseite, wo er gelegentlich mit Gästen Krocket spielte – und wo er sich nach den anstrengenden Verhandlungen der letzten vier Wochen bei einem Brandy und vielleicht einem Buch hatte entspannen wollen –, war kaum zu sehen. Ein großes Festzelt, mehrere Pavillons, eine provisorische Bühne, zahlreiche Stände und sogar ein Karussell standen dort. Letzteres bestand aus überdimensionalen Teetassen, die sich zu den ohrenbetäubenden Klängen eines alten Songs von Tom Jones drehten.

Wider Willen fasziniert von diesem surrealen Spektakel, zuckte Isandro zusammen, als eine Stimme über das Lautsprechersystem bekannt gab, dass ein gewisser Herb den Wettbewerb des bravsten Haustieres gewonnen hatte. Es folgte lauter Applaus.

Isandro fluchte lautstark in mehreren Sprachen.

Die Person, die für das Ganze verantwortlich war, konnte ihre Taschen packen. Vielleicht entließ er sogar alle Angestellten, denn selbst wenn die neue Haushälterin dafür verantwortlich zeichnete, hatten die anderen – einschließlich seines vermeintlich professionellen Sicherheitsteams – es zumindest stillschweigend geduldet.

So viel also zu seiner erhofften Auszeit! Kurz entschlossen fuhr er zu der Gabelung in der Auffahrt zurück und nahm den anderen Weg, der direkt zu den Stallungen auf der Rückseite des Hauses führte. Erleichtert stellte er fest, dass diese verlassen dalagen.

Er betrat das Haus durch die Orangerie und ging in sein Arbeitszimmer, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Sobald er jedoch den Raum betrat, entdeckte er jemanden – ein kleines Mädchen, das auf seinem Schreibtischstuhl saß und sich damit im Kreis drehte.

Als die Kleine ihn bemerkte, hielt sie sich am Schreibtisch fest und hinterließ prompt Fingerabdrücke auf dem antiken Holz. Verächtlich verzog Isandro den Mund. Er hatte nur wenige Freunde mit Kindern, und seine Begegnungen mit diesen hatten sich auf Stippvisiten mit Geschenken bei Taufen beschränkt. Dieses Mädchen war älter … Fünf? Sechs?

„Hallo. Suchen Sie die Toiletten?“

„Nein“, erwiderte er nach kurzem Zögern. Für ihr Alter war sie ganz schön selbstbewusst.

„Oh.“ Die Hände auf den Schreibtisch gestützt, drehte sie sich von einer Seite auf die andere. „Suchen Sie Zoe? Ich kann mich fünfzigmal drehen, ohne dass mir schlecht wird. Ich schaff’s bestimmt noch öfter.“

Mit einem Blick auf den Aubussonteppich hielt Isandro den Stuhl fest. „Das glaube ich dir gern.“

„Georgie!“

Beim Klang der melodischen, leicht heiseren Stimme hob er den Kopf.

„Ich bin hier!“, rief das Mädchen so laut, dass er zusammenzuckte.

Kurz darauf erschien eine Frau auf der Schwelle. Sie war groß, schlank und hatte langes dunkles, zu einem Zopf geflochtenes Haar. In den verwaschenen Jeans kam ihre Figur perfekt zur Geltung. Die Mischung aus Anmut und Sinnlichkeit sprach ihn so an, dass sofort Verlangen in ihm aufflammte.

Es war allerdings nicht nur ihr Körper, der ihn faszinierte, sondern auch ihr lebhaftes, ausdrucksvolles Gesicht. Sie hatte sehr ungewöhnliche Augen – strahlend blau und leicht schräg stehend – und volle Lippen, die vermutlich jeder Mann gern geküsst hätte … Isandro atmete tief durch und zügelte seine Fantasie.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht hier reingehen sollst, Georgie. Oh …“ Zoe blieb stehen und atmete erschrocken ein, als sie den großen Mann sah, der vor ihrer Nichte stand.

Man hatte ihr in den letzten Jahren oft vorgeworfen, dass sie zu vertrauensvoll wäre. Seit sie jedoch die Verantwortung für ihre siebenjährige Nichte und deren Zwillingsbruder übernommen hatte, war das ins Gegenteil umgeschlagen – sie war eher paranoid, zumindest wenn es um die Sicherheit ihrer Schützlinge ging.

Lächelnd ging sie auf den Mann zu, den sie draußen nicht gesehen hatte. Und er wäre ihr aufgefallen, denn trotz seiner lässigen, aber unverkennbar teuren Kleidung hätte er sich von den anderen Gästen abgehoben, so außergewöhnlich attraktiv war er.

Ohne den Blick von ihm abzuwenden, streckte sie ihrer Nichte die Hand entgegen.

„Komm her, Georgina“, sagte sie eindringlich, aber ruhig, um die Kleine nicht zu alarmieren. Letzteres wäre allerdings unwahrscheinlich gewesen, denn Georgie war sehr unbeschwert und arglos. Richtige Eltern hätten vermutlich gewusst, wie sie ihre Kinder zur Vorsicht anhielten, ohne ihnen Angst zu machen … Aber sie war keine richtige Mutter, und meistens fühlte Zoe sich nur wie ein unzureichender Ersatz für ein tolles Elternpaar.

Sie atmete tief durch und versuchte, die Trauer abzuschütteln, die sie immer dann überkam, wenn sie sie am wenigsten erwartete. Sie hatte gar keine Zeit, mit dem Schicksal zu hadern oder wütend auf den betrunkenen Verursacher des Unfalls zu sein, bei dem die Eltern der Zwillinge ums Leben gekommen waren.

„Tut mir leid. Ich hoffe, Georgina hat Sie nicht genervt“, entschuldigte sich Zoe, obwohl sie den Fremden am liebsten gefragt hätte, was er hier zu suchen hatte.

Das Blut stieg ihr ins Gesicht, als sie feststellte, dass er sie genauso musterte wie sie ihn. Energisch warf sie ihren Zopf über die Schulter und fasste sich an die erhitzten Wangen. Sie wünschte, die Sorge um ihre Nichte wäre der einzige Grund dafür, dass ihr Herz derart raste.

Noch nie zuvor war sie einem Mann begegnet, der so maskulin wirkte, und dass ihre Hormone plötzlich verrücktspielten, beunruhigte Zoe zutiefst. Schützend legte sie sich die Hand auf den Bauch, der immer bebte, wenn sie sich einer Situation nicht gewachsen fühlte.

Ihr Verstand sagte ihr, dass dieser Mann Georgie nicht gefährlich werden konnte und nur ein Besucher war, der sich verlaufen hatte oder schlichtweg neugierig war … Trotzdem würde sie kein Risiko eingehen.

„Bitte, Georgie“, drängte sie deshalb.

Seufzend rutschte die rothaarige Kleine mit den Sommersprossen vom Stuhl. Isandro beachtete sie jedoch kaum, weil er gerade einen Blick auf den Bauch der Frau erhaschte. Leider rutschte ihr T-Shirt wieder hinunter, als sie die Hand des Mädchens nahm. Dann beugte sie sich zu ihr hinunter und sagte etwas zu ihr, woraufhin die Kleine nickte und aus dem Zimmer lief.

Fasziniert beobachtete er, wie die junge Frau sich wieder aufrichtete und erneut ihren dicken Zopf über die Schulter warf. Sie hatte einen sehr zarten Hals.

Er runzelte die Stirn, weil er so heftig auf ihren Anblick reagiert hatte. Dies bedeutete allerdings nicht, dass er sein Verlangen nicht kontrollieren konnte … Seit der Trennung von seiner Frau Dana hatte er sich auf keine feste Beziehung mehr eingelassen und würde es auch nie wieder tun.

„Entschuldigung“, sagte die Fremde.

Nun, da das Mädchen gegangen war, wirkte sie nicht mehr so angespannt, betrachtete ihn jedoch neugierig und argwöhnisch zugleich. Derart kritisch von einer Frau betrachtet zu werden, war er nicht gewohnt.

Isandro lächelte selbstironisch. Hätte es ihn auch amüsiert, wenn sie nicht so hübsch gewesen wäre?

Sie musste Anfang zwanzig sein, jung genug, um ungeschminkt herumlaufen zu können und trotzdem gut auszusehen. Ihre Haut war makellos und hell, die Wangen leicht gerötet. Diese Frau war nicht nur sexy, sondern schön – wenn auch nicht im klassischen Sinne.

Normalerweise fand er Frauen attraktiv, die großen Wert auf ihr Äußeres legten und entsprechend viel Mühe darauf verwandten. Die Fremde war alles andere als durchgestylt, aber ihr ovales Gesicht mit den leicht schräg stehenden blauen Augen, den hohen Wangenknochen und den sinnlichen Lippen war ausgesprochen faszinierend, weil es sexy und verletzlich zugleich wirkte.

Verletzlichkeit war auch eine Eigenschaft, die er bei Frauen mied. Er hatte keine Zeit, derartige Bedürfnisse zu befriedigen.

Seine Reaktion bewies schlichtweg, dass sexuelle Anziehungskraft sich nicht erklären ließ. Ihr Look war nicht einmal lässig-elegant, sondern nachlässig. Und dennoch flammte Lust in ihm auf, sobald er den Blick über ihre Beine und ihre Brüste schweifen ließ, die sich selbst unter dem weiten weißen T-Shirt abzeichneten. Unwillkürlich stellte er sie sich erst spärlich bekleidet und dann nackt vor.

Vielleicht war dieser Tag doch kein totaler Reinfall. Schon seit Monaten hatte Isandro sich nicht mehr so stark zu einer Frau hingezogen gefühlt … Vielleicht lag ihr Reiz auch darin, dass sie eigentlich überhaupt nicht sein Typ war.

Wie hatte das Mädchen sie genannt? Auf jeden Fall nicht „Mum“, und sie trug keinen Ring. Das hatte allerdings nichts zu bedeuten, also blieb er auf der Hut.

Da sein Leben kompliziert genug war, mied er verheiratete Frauen, alleinerziehende Mütter und Singles, die eine feste Bindung wollten. Er hatte aus seinen Fehlern gelernt, und seine teure Scheidung, durch die er sowohl seine Frau als auch seinen besten Freund verloren hatte, war eine heilsame Lektion gewesen. Warum sollte er sich Probleme aufhalsen, wenn es genug attraktive, ungebundene Frauen gab, die genau wie er ein bisschen Spaß haben wollten?

Es fiel ihm nicht schwer, einer Versuchung zu widerstehen, so groß sie auch sein mochte. Deswegen wunderte er sich jetzt darüber, dass es ihm schwerfiel, sich so lässig zu geben wie sonst.

Irritiert stellte Zoe fest, dass sie immer noch angespannt war, obwohl sie ihre Nichte in Sicherheit gebracht hatte.

Aus der Nähe hatte sie gesehen, dass der Fremde dunkelbraune Augen mit langen Wimpern und markante, klassische Züge hatte. Kurzum, sein Gesicht war perfekt.

Er erinnerte an einen gefallenen Engel – gefährlich attraktiv und verführerisch –, vorausgesetzt, Engel waren etwa einen Meter fünfundneunzig groß und trugen schwarze Designersachen.

Isandro lächelte. Entweder versuchte diese Frau nicht zu überspielen, dass sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte, oder sie konnte es nicht. Dass sie nicht mit ihm flirtete, fand er ebenfalls erfrischend, denn oft fand er das Verhalten von Frauen zu vorhersehbar.

Der intensive Blick des Fremden jagte Zoe einen prickelnden Schauer über den Rücken. Sie war beinah erleichtert, als sie einen winzigen Schönheitsfehler entdeckte – eine helle Narbe, die von seinem rechten Auge zum Wangenknochen verlief.

Nervös schluckte sie und zupfte am Ausschnitt ihres T-Shirts. Schließlich gelang es ihr, sich zusammenzureißen und den Blick von seinem Gesicht abzuwenden.

„Ich fürchte, Sie dürfen auch nicht hier sein.“ Leider klang es nicht ganz so energisch, wie sie gehofft hatte, aber zum Glück hatte sie überhaupt die Sprache wiedergefunden!

Isandro, der sich gerade vorgestellt hatte, der Frau das T-Shirt über den Kopf zu ziehen, wandte den Blick von dem Logo darauf ab, als ihm ein Gedanke kam.

Das war unmöglich … oder?

Hatte Tom den Verstand verloren?

Wenn diese Frau tatsächlich seine Haushälterin war, ganz bestimmt!

Oder hatte sein normalerweise absolut zuverlässiger Assistent sich nicht von seinem Verstand leiten lassen, als er diese Frau als Haushälterin eingestellt hatte?

Nein, das kann nicht sein, befand Isandro, für den die perfekte Haushälterin eine ältere, resolute Frau mit grauem Haar war.

„Dieser Teil des Hauses ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich“, erklärte die Fremde lächelnd.

Madre de Dios, sie war es! Tom hatte wirklich den Verstand verloren.

„Das ganze Haus ist es nicht. Trotzdem laufen die Leute hier herum …“ Zoe verstummte, als sie merkte, wie ängstlich sie klang. Energisch fügte sie hinzu: „Wenn Sie mir also bitte folgen würden …?“

Statt diese Person in ihre Schranken zu weisen, dachte Isandro über die Frage nach.

Natürlich würde er ihr gern folgen – die Treppe hoch und in sein Schlafzimmer, was allerdings nicht möglich war, weil er sich grundsätzlich nicht mit Mitarbeiterinnen einließ. Wenn er sie jedoch feuerte, wäre sie das nicht mehr …

Vielleicht hatte Tom ähnliche Gedanken gehegt, als er zu dem Ergebnis kam, dass diese Frau dem Anforderungsprofil entsprach und erfahren und leistungsorientiert war. Vielleicht besaß sie diese Qualitäten im Bett? Vielleicht wusste sein Assistent es bereits?

Die Vorstellung, dass Tom seiner Bettgespielin einen Job gegeben haben könnte, für den sie völlig ungeeignet war, machte Isandro furchtbar wütend.

Weil sein Assistent gegen die Regeln verstoßen haben könnte oder weil er den Regelverstoß gerade mit dieser Frau begangen haben könnte, bevor er, Isandro, die Gelegenheit dazu hatte?

Isandro runzelte die Stirn und stieß einen frustrierten Laut aus.

Als der Mann mit dem Aussehen eines Filmstars keine Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen, spürte Zoe Panik in sich aufsteigen.

Sie konnte die Beherrschung verlieren, wenn dieser Tag vorüber war, aber nicht vorher. Momentan hatte sie allerdings das Gefühl, dass er nie enden würde.

Wie hatte etwas, das so schön angefangen hatte, so böse enden können?

Die Antwort lag auf der Hand: Sie konnte nicht Nein sagen … Sie hatte sich auf so viele Dinge eingelassen, dass sie schon die Hälfte vergessen oder vielmehr ausgeblendet hatte. Wäre in diesem Moment die Kunstflugstaffel der Royal Airforce vorbeigeflogen, hätte es sie überhaupt nicht gewundert.

2. KAPITEL

Es war ein richtiger Albtraum. In den letzten fünf Tagen hatte sie mehr gelogen – und zwar durch Weglassen, was auf dasselbe hinauslief – als in ihrem ganzen bisherigen Leben!

Die erste Lüge hatte alles ins Rollen gebracht. Es war wie ein Schneeballeffekt, nur dass der Schneeball inzwischen die Größe einer Lawine angenommen hatte!

Alles hatte damit begonnen, dass sie bei Chloe, der besten Freundin ihrer verstorbenen Schwester, zum Wohltätigkeitsfrühstück eingeladen gewesen war.

„Von wegen Wohltätigkeitsfrühstück“, hatte diese unter Tränen gesagt. „Hast du eine Ahnung, wie viel Hannahs Operationen kosten?“

Zoe schüttelte den Kopf, aber sie konnte sich vorstellen, wie die Therapie in den USA zu Buche schlagen würde.

„Dazu kommen noch die Reisekosten. Außerdem läuft uns die Zeit davon, Zoe. Mit solchen Veranstaltungen kann ich das Ganze nicht finanzieren. Dazu müsste schon ein Wunder geschehen!“, brachte Chloe schluchzend hervor. „In drei Monaten ist die Krankheit vielleicht schon so weit fortgeschritten, dass die Behandlung nicht mehr anschlägt … Womöglich lehnen die Ärzte sie sogar ab, und dann ist Hannah ihr Leben lang an den Rollstuhl gefesselt.“

Zoe umarmte sie. Sie fühlte sich schrecklich hilflos.

„Chloe, du bist eine Kämpferin. Du bist momentan nur erschöpft.“ Kein Wunder! Chloe fuhr fast täglich mit Hannah ins Krankenhaus. „Sag mir, wie wir dir helfen können.“

Sie wünschte, sie könnte Chloe mehr bieten als hohle Phrasen. Doch dann hatte sie eine Idee. Und sie ließ sie sich nicht einmal durch den Kopf gehen, sondern teilte sie Chloe sofort mit.

„Veranstalte dein Wohltätigkeitsfrühstück in Ravenwood House. Du kennst die Leute – sie werden aus purer Neugier kommen. Wir stellen Bierzeltgarnituren im Garten auf, und Mrs Whittaker, die Köchin, erklärt sich bestimmt dazu bereit, Scones zu backen.“ Zoe wusste, dass die ganze Gemeinde darauf brannte, zu sehen, welche Veränderungen der mysteriöse neue Eigentümer vorgenommen hatte, und diesen kennenzulernen!

„Wirklich?“ Chloe hatte das Taschentuch von ihr entgegengenommen und sich die Tränen abgewischt. „Meinst du, Mr Montero hat nichts dagegen? Ich möchte nicht, dass du Probleme bekommst. Er war ja auch nicht damit einverstanden, dass wir den Krocketpavillon für die Spendenaktion benutzen, auch wenn er einen Pokal für den Gewinner gespendet hat.“

In dem Moment hätte sie Chloe sagen müssen, dass sie das Ganze hinter Mr Monteros Rücken veranstalten würde. Chloe hatte recht gehabt. Ihr neuer Arbeitgeber war nicht daran interessiert, alte Traditionen zu pflegen oder neue zu begründen. Er wollte, wie Tom es ausgedrückt hatte, das Dorf draußen lassen.

„Er ist ein prima Kerl“, hatte der loyale Assistent versichert, als er ihre Miene sah. „Er wahrt nur gern seine Privatsphäre und bleibt auf Abstand. Er ist sehr großzügig und stiftet viel Geld für Wohltätigkeitsorganisationen, ohne dass es öffentlich bekannt wird. Allerdings laufen alle Spenden über den Montero Trust.“

Vermutlich unterstützte Mr Montero Projekte in der Dritten Welt. Das war ja schön und gut, aber Chloe brauchte sofort und unbürokratisch Hilfe und hatte keine Zeit, sich um eine Zuwendung zu bewerben.

„Überlass das alles mir“, hatte Zoe sie gebeten.

Und immer wenn sie Schuldgefühle verspürte, was oft vorkam, dachte sie an das Lächeln, das Chloe ihr daraufhin geschenkt hatte.

Was hatte Tom ihr beim Bewerbungsgespräch gesagt? „Er erwartet von Ihnen, dass Sie eigenständig arbeiten und Initiative zeigen.“ Am heutigen Tag hatte sie vermutlich zu viel Initiative gezeigt, doch Mr Montero würde ja nichts davon erfahren.

Egal, wie sehr sie ihr Verhalten rechtfertigte, sie wusste natürlich, dass sie ihre Kompetenzen bei Weitem überschritten hatte. Und da sie noch in der Probezeit war, konnte sie durchaus ihren Job verlieren, wenn alles herauskam!

Und damit auch ihr Zuhause und das der Zwillinge.

Kein Wunder, dass sie in der vergangenen Woche so schlecht geschlafen hatte. Und da hatte sie noch nicht ahnen können, wie sehr alles aus dem Ruder laufen würde. Alle waren so begeistert und großzügig gewesen und hatten sich so engagiert, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, Nein zu sagen.

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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