Girls Just Want to Have Fun - Drei Schulfreundinnen, Klatsch und heiße Typen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DAS ERSTE MAL IST FÜR IMMER
Sam ist wieder in London? Glamourmodel Amber DuBois weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Damals hat der Journalist sie verlassen, weil er in New York Karriere machen wollte. Jetzt möchte er sie interviewen. Amber ist bereit - unter einer rachesüßen Bedingung …

DER MANN, VON DEM ICH TRÄUMTE
So hatte Kate ihr Wochenende nicht geplant. Aber ihren Jugendschwarm Heath auf eine Luxus-Hochzeit zu begleiten, ist verlockend - auch wenn sie nur für seine Ex einspringt! Als die Funken zwischen ihnen sprühen, ahnt Kate noch nicht, dass sein Kuss ihr Leben für immer verändert…

EINE PRICKELNDE ROMANZE
Zarte Aromen, prickelnde Atmosphäre: Seit Saskia mit Rick Burgess durch Frankreich reist und die edelsten Weine verkostet, ist jeder Tag ein Abenteuer! Warum hat sie niemand gewarnt, dass ihr neuer Geschäftspartner einfach unwiderstehlich ist?


  • Erscheinungstag 05.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736293
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Nina Harrington

Girls Just Want to Have Fun - Drei Schulfreundinnen, Klatsch und heiße Typen

IMPRESSUM

Das erste Mal ist für immer erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2013 by Nina Harrington
Originaltitel: „The First Crush Is The Deepest“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 20 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gisela Blum

Umschlagsmotive: bernardbodo / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733736453

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

 

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

 

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

1. KAPITEL

Amber DuBois schloss die Augen und rang um Gelassenheit. „Ja, Heath, natürlich gebe ich auf mich acht. Nein, ich komme nicht zu spät nach Hause.“

Der Chauffeur lenkte die Limousine in die Einfahrt eines noblen Londoner Privatclubs und hielt vor dem großen Portal, das von eindrucksvollen Steinsäulen umgeben war. „Wir sind da, ich muss auflegen. Mach’s gut.“

Seufzend verstaute sie das Handy in ihrem winzigen Designerhandtäschchen. Ihr Stiefbruder meinte es gut mit ihr, hielt sie aber offenbar immer noch für ein dummes Kind, um das er sich kümmern musste.

Immerhin sorgt er sich um mich, dachte sie. Sie konnte sich auf ihn verlassen, was in schwierigen Zeiten wie diesen ungemein wichtig war.

Am liebsten wäre sie gar nicht ausgestiegen, sondern direkt wieder nach Hause zurückgekehrt. Ehe sie dem Fahrer die Anweisung dazu erteilen konnte, kam eine mollige Blondine in einem viel zu engen violetten Kleid aus dem Club gerannt, riss die Wagentür auf und zerrte Amber geradezu aus dem Auto.

Sie ähnelte immer noch dem hochnäsigen resoluten Mädchen, das in der Highschool den Ton angegeben hatte. Als ihr Blick auf den Gips an Ambers rechtem Unterarm fiel, erblasste sie sichtlich.

„Meine Liebe.“ Sie neigte sich vor und hauchte zwei Küsse neben ihren Wangen in die Luft. „Wie schön, dass du zu unserem Jahrgangsstufentreffen kommst, wo du doch so ein aufregendes Leben als Konzertpianistin führst. Du musst uns alles darüber erzählen.“

Sie griff nach ihrer Hand und zog sie mit sich in das altehrwürdige Gebäude. Amber, die hohe Plateaupumps trug, hatte alle Mühe, ihr über den blank polierten Marmorboden zu folgen. Sie durchquerten das Foyer und betraten einen großen eleganten Saal mit cremefarbenen Seidentapeten, raumhohen Spiegeln und vergoldeten Kronleuchtern. Gelangweilt dreinblickende Frauen standen in Grüppchen beieinander und hielten Weingläser und Cocktailteller in den Händen.

Schlagartig verstummten alle Gespräche. Neugierig wandten sich die Frauen zur Tür und starrten Amber an. Für einen Augenblick herrschte Totenstille.

Die frostige Atmosphäre, die ihr hier entgegenschlug, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„Seht mal alle her: Amber DuBois hat schließlich doch noch zu uns gefunden. Ist das nicht toll?“, rief ihre Begleiterin affektiert.

Sie führte Amber zum Buffet und reichte ihr einen Teller voller köstlicher Häppchen und ein Glas Mineralwasser. Dabei blickte sie sich immer wieder nervös um und zupfte an ihrer Unterlippe herum, bis Amber sich erkundigte: „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, natürlich. Ich muss mich nur rasch um etwas kümmern. Misch dich doch unter die Leute, Liebes.“ Mit diesen Worten stürzte sie sich geradezu auf eine der ehemaligen Vertrauensschülerinnen, packte sie beim Arm, gestikulierte erst zu Amber hinüber, dann in die entgegengesetzte Ecke des Raums.

Allein gelassen, sah Amber sich um. Die in Grüppchen beieinanderstehenden Frauen warfen ihr verstohlene Blicke zu, kamen aber nicht auf sie zu oder sprachen sie gar an.

Beinahe hätte sie deswegen laut losgelacht, gleichzeitig war ihr elend zumute. In den vergangenen Jahren hatte sie sich einen Ruf als exzellente Konzertpianistin erarbeitet, innerlich war sie aber dieselbe geblieben wie zu ihrer Schulzeit: das schüchterne, ein wenig linkische Mädchen, auf dem die anderen gern herumhackten.

Zufällig fiel ihr Blick auf den glänzenden schwarzen Konzertflügel, der ihr gegenüber strategisch geschickt unter einem Panoramafenster platziert war. Jetzt wurde ihr klar, weshalb die Jahrgangsstufensprecherin sich die Mühe gemacht hatte, sie ausfindig zu machen und ihr sogar eine ganz persönliche Einladung zum zehnjährigen Ehemaligentreffen zuzusenden.

Enttäuscht ließ sie die Schultern hängen. Manche Dinge ändern sich nie, dachte sie.

Während ihrer Highschoolzeit hatten die anderen Mädchen keinerlei Interesse an ihr gezeigt. Ihrer ausgezeichneten gesellschaftlichen Stellung zum Trotz hatte weder die elitäre Clique der In-Girls sie akzeptiert, noch hatte sie unter den ehrgeizigen Schülern – zu denen sie zugegebenermaßen nicht gehörte – Anschluss gefunden. Beim Essen hatte sie meist am letzten Tisch gesessen, im Bus ganz hinten bei den anderen Außenseitern.

An diesem Abend jedoch erwartete man von ihr offenbar einen Auftritt – gratis. Ihr wollt die Diva sehen? dachte sie wütend. Das könnt ihr haben. Sie richtete sich zu ihrer vollen, nicht unbeachtlichen Größe auf und schritt im Blitzlichtgewitter mehrerer Kameras hoch erhobenen Hauptes, Teller und Glas geschickt im Gleichgewicht haltend, elegant über den schimmernden Parkettboden – zum Waschraum der Damen.

Glücklicherweise gelang es ihr, die Tür mit dem Ellbogen aufzudrücken. Als sie hinter ihr ins Schloss fiel, hörte sie, wie jemand im Saal zweimal auf das Mikrofon klopfte. Erschöpft lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür und schloss für einen Moment die Augen.

Gerade noch rechtzeitig! dachte sie. In ihrem Versteck konnte sie den langweiligen Reden entgehen. Vielleicht entdeckte sie sogar eine Möglichkeit zur Flucht.

Als sie sich aufmerksam umsah, ertönte ein Geräusch aus dem angrenzenden Raum, gefolgt von einem unterdrückten Fluch.

Sie schlich zu der nur angelehnten Tür und spähte vorsichtig um die Ecke. Eine kleine Brünette balancierte auf Knien auf dem steinernen Waschtisch. Mit ausgestrecktem Arm versuchte sie, den Griff des Fensters hoch über ihr zu erreichen. Ein roter Plastikeimer, der ihr offenbar als Stufe gedient hatte, lag umgekippt auf dem Boden.

„Dass ich das noch erlebe: Kate Lovat flüchtet von einer Party!“

Die Brünette wirbelte herum, schrie entzückt auf und winkte so begeistert, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor.

Hastig stellte Amber Teller und Glas auf dem Waschtisch ab und schlang ihr den linken Arm um die Taille.

Kate war eine der wenigen wahren Freundinnen, die sie auf der Highschool gefunden hatte, ein kleines Temperamentbündel mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein. In einem atemberaubend sexy kirschroten Cocktailkleid, das dunkle kurze Haar asymmetrisch geschnitten, wirkte sie zugleich elegant und exzentrisch.

„Kate, ich habe so gehofft, dich heute hier zu treffen! Du siehst toll aus.“

„Danke, dasselbe lässt sich von dir sagen.“ Sie betrachtete die Freundin von Kopf bis Fuß, wo ihr Blick hängen blieb. „Oh, mein Gott … diese Schuhe! Ich muss sie haben. Wenn wir dieselbe Größe hätten, würde ich sie dir von den Füßen reißen und damit davonlaufen.“

Dann trat sie einen Schritt zurück und runzelte besorgt die Stirn. „Du bist seit unserer letzten Begegnung sehr schmal geworden … Weißt du eigentlich, dass ich unter die Wahrsager gegangen bin? Ich sehe Berge von Schokolade, die nur auf dich warten.“

Mit einer Geste deutete sie auf den Gips an Ambers rechtem Arm und drückte die Fingerspitzen der anderen Hand gegen die Stirn, als würde sie erneut Gedanken lesen: „Sag nichts: Du bist auf einer wahnsinnig exklusiven Party auf einem Eiswürfel ausgerutscht. Oder war es auf einer Jacht in der Karibik? Kannst du damit überhaupt Klavier spielen?“

„Ganz so romantisch war es leider nicht. Ich bin vor einigen Wochen über meinen Koffer gestolpert. Es wird eine Weile dauern, bis mein Handgelenk ausheilt. Sämtliche Konzerte für die nächsten sechs Monaten sind abgesagt.“ Sie hielt einen Augenblick inne. „Wieso unterhältst du dich eigentlich nicht mit unseren ehemaligen Klassenkameradinnen, sondern versuchst, durchs Fenster zu flüchten?“

Kate atmete tief ein. Ihre Unterlippe bebte, und sie schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Stattdessen deutete sie schief lächelnd auf die Tür. „Das habe ich bereits hinter mir. Es war einfach nur grässlich. Ich habe mich nach einem Fluchtweg umgesehen, aber sämtliche Türen sind verschlossen. Inzwischen ist mir allerdings eine bessere Idee gekommen.“ Sie hob das Kinn und wies mit dem Kopf auf ein rotes Sofa am anderen Ende des Waschraums. Ihre grünen Augen blitzten vergnügt. Auf dem Boden vor der Couch standen zwei Teller, hoch beladen mit Häppchen und Partyspießen.

„Wozu brauchen wir die anderen? Wir haben ein Sofa, etwas zu essen, und Saskia ist gerade unterwegs, um Getränke und Kuchen zu organisieren. Lass uns zu dritt unsere eigene Party feiern. Was meinst du?“

Amber umarmte ihre Freundin mit dem gesunden Arm. „Du bist ein Genie! Ihr beide habt mir schrecklich gefehlt. Ich dachte, Saskia wäre noch in Frankreich?“

„Nicht mehr. Hier hat sich in letzter Zeit viel getan. Du wirst staunen, was wir dir zu erzählen haben.“

Sie schlang Amber den Arm um die Taille. „Es tut gut, dich wiederzusehen. Komm, setz dich. Was hat dich aus dem erlesenen Kreis hierher getrieben – oder sollte ich fragen, wer?“ Erschrocken schlug sie sich eine Hand vor den Mund. „Sag bloß nicht, Petra, die falsche Schlange, hat es gewagt, hier aufzukreuzen?“

Überrascht schnappte Amber nach Luft. „Gesehen habe ich sie nicht. Ich bin sicher, ich hätte sie wiedererkannt.“

„Bestimmt. Zehn Jahre reichen nicht, um dieses Gesicht zu vergessen. Man spannt der besten Freundin nicht den Freund aus, schon gar nicht an ihrem achtzehnten Geburtstag. Es gibt Dinge, die sind unverzeihlich. Oh … sind da etwas Pilze drin?“

„Bedien dich.“ Amber hielt Kate ihren Teller hin. Die Bemerkung über die ehemalige Freundin hatte ihr den Appetit verschlagen. „Zum Fremdgehen gehören immer zwei“, murmelte sie. „Soweit ich mich erinnere, hat Sam Richards sich nicht gewehrt, als Petra sich auf ihn gestürzt hat. Ganz im Gegenteil.“

„Wie auch? Sie hat ihn überrumpelt und geblendet. Er hatte keine Chance. Von dem Moment an, als sie sich auf ihn eingeschossen hatte, war er erledigt.“ Kate hustete und wischte sich Teigkrümel von den Fingern. „Übrigens, Sam ist kürzlich nach London zurückgekehrt. Er fängt bei der Zeitung an, von der er immer geschwärmt hat.“

„Soll ich den Herausgeber anrufen und ihn warnen, dass sein neuer Reporter sich leicht überwältigen lässt?“ Amber war froh, dass ihre Stimme so fest klang.

„Lieber nicht, sonst heißt es noch, ich hätte einen schlechten Einfluss auf dich.“

„Das wollen wir wirklich nicht riskieren“, kam es von der Tür her. „Hallo, Amber.“

„Saskia!“ Kate stutzte. „Um Himmels willen! Was ist mit deinem Kleid passiert?“

Saskia kam zum Sofa und stellte eine Flasche Chardonnay und zwei Gläser auf dem Boden ab, ehe sie Amber vorsichtig umarmte. Vom Ärmel ihres cremefarbenen Seidenkleids tropfte eine rote Flüssigkeit. Es sah aus, als hätte jemand ein Glas Rotwein darübergeschüttet.

Vielleicht ist doch nicht alles beim Alten, dachte Amber. Die dunkelhaarige Saskia verkörperte seit jeher die zurückhaltende klassische englische Schönheit. Eine Szene hatte sie noch nie verursacht.

„Entschuldigt mich einen Moment.“ Saskia nahm sich eines der Papierhandtücher vom Waschtisch, riss es zornig der Länge nach in schmale Streifen und dann in winzige Quadrate. Schließlich atmete sie tief durch und schob die Fetzen mit einer Handbewegung in den Papierkorb. „Jetzt geht es mir besser.“ Sie lächelte und rieb sich die Hände.

Kate starrte sie mit offenem Mund fasziniert an.

„Möchtest du darüber reden?“, bot Amber an.

Saskia setzte sich neben sie auf das Sofa und tupfte beiläufig mit einem Papiertuch an dem Flecken herum. „Ich habe mich geweigert, dem Ehemaligenkomitee Elwood House kostenlos zur Verfügung zu stellen für die wöchentlichen Treffen, zu denen ich nicht eingeladen war. Seither gelte ich als Spielverderberin. Ihr hättet ihre Gesichter sehen sollen, als ich ihnen den Mietpreis genannt habe! Damit fing alles an. Es war grässlich.“

Kate hob angriffslustig das Kinn. „Wo sind sie? Niemand beleidigt meine Freundin ungestraft.“

„Ich komme mit“, pflichtete Amber ihrer Freundin bei. „Wenn ich die Diva herauskehre, erstarren alle vor Angst.“

Aber Saskia winkte ab. „Das hieße, ihnen in die Hände spielen. Sie warten nur auf eine Szene, über die sie tratschen können, um damit ihrem langweiligen hohlen Leben Würze zu verleihen. Nein, ich stehe über den Dingen.“ Unvermittelt lächelte sie. „Außerdem gefällt mir unsere Privatparty. Kate, würdest du die Flasche öffnen? Ich will alles über euch erfahren und fange deswegen freiwillig an. Das Wichtigste aus meinem Leben ist schnell erzählt: Mein Liebesleben liegt auf Eis, bis Elwood House als Veranstaltungsort etabliert ist. Was ist mit dir, Kate?“

„Ich scheine etwas an mir zu haben, das die Männer abschreckt – ganz im Gegensatz zu dieser Dame hier: Amber, erzähl uns von dem heißen Bergsteiger, mit dem du in sämtlichen Klatschmagazinen abgebildet warst.“

„Das ist längst vorbei.“ Amber trank einen Schluck Wein, den Kate ihr reichte, ehe sie das Glas an Saskia weitergab. „Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Sollte ich jemals aus diesem Waschraum entkommen, betätige ich mich als Spendensammlerin für ein Wohltätigkeitsprojekt meiner Freundin Parvita. Vielleicht lerne ich dabei jemanden kennen.“ Gedankenverloren erklärte sie: „Sie kümmert sich um ein Waisenhaus in Indien, das ich vor einigen Monaten besucht habe. Es liegt wunderschön, direkt am Strand. Ich habe den Mädchen dort versprochen zurückzukehren.“ Sie räusperte sich. „Ich sollte mir besser nichts vormachen. Heath dreht durch, wenn er erfährt, dass ich eine Rückkehr auch nur in Erwägung ziehe.“

„Dein Stiefbruder? Was hat er dagegen?“, wollte Kate wissen.

„Auf dem Rückweg von Indien bin ich nicht einfach über meinen Koffer gestolpert und habe mir das Handgelenk gebrochen. Ich bin regelrecht kollabiert, weil ich mich angesteckt hatte mit …“

Lautes Gelächter ließ sie innehalten. Eine Horde aufgedrehter Frauen stürmte ihren Zufluchtsort, schrille Stimmen hallten in den gekachelten Räumen wider.

Amber presste sich die Hände auf die Ohren. „Sieht aus, als wären die Reden vorüber. Sollen wir versuchen, durch einen Seiteneingang zu entwischen? Zu meinem Apartment ist es nicht weit. Dort erzähle ich euch, was mir zugestoßen ist.“

2. KAPITEL

Frank Evans stürmte in sein Büro und hielt Sam Richards, der ihn bereits erwartete, die neueste Ausgabe des Starmagazins unter die Nase. „Was wissen Sie über Amber DuBois?“

Vor Schreck verschluckte sich Sam an seinem Kaffee. Sein neuer Chef galt als einer der schärfsten Köpfe in der Zeitungsbranche, leider aber auch als schwierig im persönlichen Umgang.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Frank, und vielen Dank für den herzlichen Empfang im Londoner Büro.“

„Ja, ja. Setzen Sie sich.“ Er deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. „Sie wissen ja, wie das ist. Der übliche Montagmorgen-Wahnsinn: Es ist noch nicht einmal neun Uhr, und der Boss sitzt mir schon im Nacken. Lassen Sie hören, was Sie über Amber wissen. Beweisen Sie mir, dass Sie nach zehn Jahren in der Wildnis den Kontakt zur Londoner Szene nicht ganz verloren haben.“ Er ließ sich in seinen Ledersessel sinken, fuhr sich mit den Händen durch das schüttere graue Haar und betrachtete den jungen Journalisten abschätzend.

Einen ruhigen Einstand im neuen Job kann ich vergessen, seufzte Sam innerlich, ehe er fieberhaft darüber nachgrübelte, was er seinem Chefredakteur über sie erzählen konnte. Von diesem Mann hing seine weitere Karriere ab. Allerdings hatte er sich seinen Traumjob anders vorgestellt.

Bedächtig stellte er die Tasse auf die Untertasse zurück. „Meinen Sie die blonde Pianistin mit den langen Beinen? Die Modedesigner reißen sich darum, dass sie bei Konzerten ihre Roben trägt. War sie nicht kürzlich das Gesicht einer Kosmetikkampagne? Übrigens würde ich Los Angeles nicht gerade als Wildnis bezeichnen.“

Frank schob ihm das Magazin über den Tisch zu. „Es war die größte Kosmetikkampagne in ganz Asien. Eine Kleinigkeit ist Ihnen allerdings entgangen. Sehen Sie hier.“

Sam griff nach dem Blatt des stärksten Konkurrenten seines Arbeitgebers. Vom Cover lächelte ihm Amber entgegen, in einem exquisiten blauen Kleid mit juwelenbesetztem Oberteil. Aus dem schüchternen ungelenken Mädchen, das er einmal gekannt hatte, war eine wunderschöne elegante Frau und Künstlerin ersten Ranges geworden.

Sie saß an einem schwarzen Konzertflügel, die schlanken Beine ausgestreckt, hochhackige Sandalen an den schmalen Füßen. Von ihrem Anblick gefesselt, bemerkte er erst nach einer Weile, dass sein Chef mit dem Finger auf die Schlagzeile wies:

Mit ihrer Ankündigung, sich im Alter von achtundzwanzig Jahren zur Ruhe zu setzen, erschüttert Amber DuBois die Welt der klassischen Musik. Einen Grund für ihre Entscheidung nennt sie nicht.

„Ich wittere eine Story. Ein Profi wie sie, auf dem Gipfel des Ruhmes, wirft nicht ohne Grund das Handtuch. Es heißt, unsere Amber tut es anderen Stars gleich und engagiert sich für ein Wohltätigkeitsprojekt. Ihr Agent verweigert jeden Kommentar dazu.“ Frank schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und deutete mit dem Finger auf Sams Brust. „Meiner Meinung nach will sie mit ihrem Rücktritt lediglich Aufmerksamkeit erregen und sich – gegen ein fürstliches Honorar – zu einem Comeback überreden lassen. Wir werden der Geschichte nachgehen und sie als Erste bringen.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dazu beschaffen Sie mir ein Exklusivinterview mit ihr. Das ist Ihr erster Auftrag.“ Er zuckte mit den Achseln. „Sie können mir später für diese einmalige Chance danken.“

Das ist nicht dein Ernst! schoss es Sam durch den Kopf. Unterzog Frank ihn gerade einem bizarren Initiationsritus, den jeder Neuling im Londoner Büro von GlobalStar Media durchlaufen musste? Befand sich an der Wand hinter ihm vielleicht eine versteckte Kamera, die seine Reaktion aufzeichnete?

Es erforderte seine gesamte Selbstbeherrschung, nicht die Zeitschrift zu packen und sie Frank an den Kopf zu werfen. Stattdessen legte er sich rasch Argumente zurecht, weshalb ein anderer diesen Auftrag übernehmen musste.

Seit zehn Jahren arbeitete er von den USA aus für den Medienriesen. Den Transfer aus Los Angeles zu bewerkstelligen, hatte ihn drei volle Monate gekostet. Dort hatte er sich mühsam vom Postjungen nach oben gearbeitet und dabei auf Beziehungen und alles verzichtet, was einem gesellschaftlichen Leben auch nur nahekam.

Mit dem Wechsel hatte er nicht nur eine weitere Stufe auf der Karriereleiter erklommen, er hatte den Job, von dem er schon als Teenager geträumt hatte. Niemand würde ihm den Posten eines Investigativjournalisten streitig machen, nicht, nachdem er so weit gekommen war.

„Entschuldigen Sie, Frank. Habe ich etwas falsch verstanden? Ich habe in den USA zehn Jahre lang als Klatschreporter Berühmtheiten interviewt. Hier in London soll ich laut Jobbeschreibung als Enthüllungsjournalist arbeiten.“

Frank schnaubte abfällig und lachte. „Wissen Sie, wie Ihr hübsches Büro finanziert wird? Durch den Verkauf von Magazinen. Die Öffentlichkeit liebt Promiklatsch, besonders wenn es um schöne Frauen wie Amber DuBois geht. Sie können es im Internet nachlesen: Die Orchester stehen Schlange bei ihr und bieten ihr enorme Summen an, damit sie eine letzte Saison mit ihnen spielt, ehe sie sich aus dem Konzertbetrieb zurückzieht.“

Er streckte zwei Finger in die Höhe. „In den vergangenen zehn Jahren hat man sie lediglich mit zwei Männern in Verbindung gebracht – keine langweiligen klassischen Musiker, oh nein. Die Dame steht auf Action. Ihr erster Freund war ein italienischer Rennfahrer auf bestem Weg zum Weltmeistertitel, der zweite ein schottischer Bergsteiger, dem sie vom Basislager des Mount Everest aus zum Abschied hinterhergewinkt hat mit Tränen in den Augen. Sie ist sowohl Musikerin als auch Model, und ihre Fans lieben sie. Betrachten Sie es als Ihr erstes Prominenteninterview in London – und möglicherweise auch gleich als Ihr letztes. Lassen Sie den Charme spielen, für den Sie berühmt sind, dann ist die schöne Miss DuBois Butter in Ihren Händen.“

Nervös rieb Sam sich das Kinn. Wusste Frank etwas von seiner Beziehung mit Amber vor zehn Jahren? Damals hatten sie einander ihre Hoffnungen und Träume anvertraut. Er kannte ihre Vorliebe für eine Extraportion Anchovis auf der Pizza und die Stelle an ihrem Hals, wo er sie berühren musste, um sie förmlich dahinschmelzen zu lassen.

In der Nacht der Trennung hatte er sich geschworen, ihre gemeinsame Vergangenheit niemals ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren, nicht für Geld und Ruhm. Bislang hatte er dieses Versprechen gehalten, so schwer es ihm gelegentlich auch gefallen war.

Im Lauf der Jahre hatte er oft genug erlebt, dass Musiker oder Schauspieler versuchten, mit ihren belanglosen persönlichen Dramen Aufmerksamkeit zu erregen. Amber hatte das nicht nötig. Fleiß und musikalisches Talent garantierten ihren beruflichen Erfolg, mit der fantastischen Figur und dem ausdrucksstarken Gesicht war sie der Liebling jedes Fotografen.

Frank, der ungeduldig auf seine Antwort wartete, trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Als Sam in das intelligente Gesicht blickte, sank ihm der Mut.

Was soll ich nur tun? überlegte er. Als neuester Mitarbeiter in der Redaktion war er nicht in der Position, Aufträge abzulehnen. „Vermutlich haben Sie recht, Frank. Allerdings hatten wir abgesprochen, dass ich mit den Recherchen zum sich abzeichnenden Finanzskandal in der EU beginnen soll. Ist das Thema vom Tisch?“

Frank öffnete eine Schreibtischschublade und zog einen Ordner hervor, den er Sam reichte. „Ganz im Gegenteil. Es stinkt geradezu nach Korruption. Sehen Sie sich das an. Wir haben Interviews mit Insidern zusammengetragen. Was uns fehlt, ist jemand, der jeden einzelnen Stein umdreht und nachsieht, was darunter zum Vorschein kommt.“

Sam überflog die ersten Seiten. Je mehr er las, desto aufgeregter wurde er. In seinem Kopf überschlugen sich die Ideen, wie er die Informationen in eine packende Story verwandeln konnte.

Das ist es! jubelte er innerlich. Damit würde er sich den Ruf als ernstzunehmender Journalist verdienen und sich die Stelle als Redakteur in London sichern.

„Besitzt Ihr Vater immer noch den Limousinenservice in Knightsbridge? Wir verwenden ihn gelegentlich. Gewiss ist er sehr stolz, wenn er Ihren Namen auf der Titelseite liest.“

Und ob, dachte Sam. Sein Dad hatte alles für ihn getan, nachdem seine Mom sie beide verlassen hatte. Er war dem zutiefst verletzten wütenden Teenager, der darauf brannte, sich der Welt zu beweisen, immer ein guter Vater gewesen.

Im Gegenzug habe ich ihm das Leben zur Hölle gemacht, gestand er sich ein. Es wurde höchste Zeit, ihm seine Geduld und sein Vertrauen zu vergelten.

Der erste Schritt in diese Richtung war seine Rückkehr nach London. Zu schade, dass seine neue Karriere an einem Eisberg namens Amber DuBois zu scheitern drohte.

Sam war sich bewusst, dass Frank ihn immer noch genau beobachtete. Er weiß, dass mich das Thema fesselt, dachte er. Entschlossen klappte er den Ordner zu und legte ihn auf den Tisch zurück. Schüchternheit war hier nicht angebracht.

„Mein Vater hat das Geschäft vor einigen Jahren verkauft und investiert inzwischen in Immobilien. Natürlich wäre er stolz auf mich. Was muss ich tun, um die Story zu bekommen?“

„Mein Kollege in Los Angeles hat Sie als harten Arbeiter beschrieben, der auf den Redakteursposten geradezu versessen ist. In dem Großraumbüro dort draußen sitzen allerdings jede Menge ehrgeiziger Journalisten, die sich ebenfalls die Finger nach einem solchen Knüller lecken. Beweisen Sie mir, dass Sie so gut sind, wie es heißt, dann gehört die Story Ihnen.“

Frank griff nach dem Ordner und schob ihn zurück in die Schublade. „Bringen Sie mir ein exklusives Interview mit der schönen Amber. Sie haben zwei Wochen Zeit. Niemand darf uns zuvorkommen. Verstehen wir uns? Ausgezeichnet. Ich freue mich auf Ihren Artikel.“

Sam stand auf und reichte Frank die Hand. Dieser hielt sie einen Moment fest. „Noch etwas, Sam. Liefern Sie mir einen Hit, sonst werden Sie weiterhin Stars und Sternchen interviewen.“ Er entließ ihn mit einem Nicken. „Das Magazin können Sie mitnehmen. Viel Spaß.“

Sam schloss die Tür hinter sich und blieb einen Moment lang in dem Großraumbüro stehen, das direkt an Franks Büro angrenzte. Es glich verblüffend seinem Arbeitsplatz in Los Angeles. Die Arbeitsnischen, das Klappern der Tastaturen und das Stimmengewirr wirkten vertraut und halfen ihm, die Alarmglocken in seinem Kopf zu übertönen.

Als Schuljunge war er Tag für Tag an diesem Gebäude vorbeigefahren, hatte an der Glasfront emporgeblickt und davon geträumt, eines Tages für GlobalStar Media zu schreiben. Die Männer auf dem Rücksitz der Limousinen seines Vaters sollten seine Artikel aufmerksam und interessiert studieren.

Seltsamerweise hatte sein Vater ihn vom ersten Moment an bei seinen Plänen unterstützt. Er hatte Überstunden gemacht, Woche für Woche, Monat für Monat, um ihm seinen Traum zu ermöglichen, und niemals Zweifel geäußert.

Jetzt bin ich hier, ich habe es geschafft, dachte er stolz.

Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sein erster Auftrag in seinem Traumjob ihn mit Amber zusammenführen würde.

Sam betrachtete erneut die Frau auf dem Titelbild des Magazins in seiner Hand. Er würde es ihr nicht übel nehmen, wenn sie die Hunde auf ihn hetzte, sobald er sich ihr auch nur auf Rufweite näherte – das hatte er verdient. Im Alter von neunzehn Jahren hatte er ihr allen Grund gegeben, nie wieder ein Wort mit ihm zu wechseln.

Er hatte ihr den ersten Kuss ihres Lebens gegeben – und ihr wenig später das Herz gebrochen.

Wie konnte er sie nur dazu bewegen, Vergangenes zu vergessen und vergeben und ihm und seinen Lesern ihre ureigensten Geheimnisse preiszugeben?

Die Aufgabe jagte ihm Angst ein, aber ihm blieb keine Wahl. Nachdem er sämtliche Brücken in Los Angeles hinter sich abgebrochen hatte, brauchte er diesen Job – und er wollte ihn. Es hatte ihn Jahre seines Lebens und jede Menge harter Arbeit gekostet, endlich diese Position zu bekommen, auf exakt diesem Stückchen Teppich zu stehen.

Gleichzeitig war er es seinem Vater schuldig, der an ihn geglaubt hatte wie niemand sonst. Und er schuldete es sich selbst. Er war nicht länger bloß der Sohn des Chauffeurs, sondern hatte etwas aus sich gemacht. Deshalb musste er das Interview mit Amber bekommen, was immer es ihn kostete.

3. KAPITEL

„Sie gibt überhaupt keine Interviews? Haben Sie Miss DuBois gesagt, wer darum bittet? Ja, ich verstehe. Danke. Gut, ich halte mich über ihre Homepage auf dem Laufenden.“ Sam klappte sein Handy zu und verstaute es nachdenklich in der Hosentasche.

Dass eine Künstleragentur ihn an die Website ihres Stars verwies, hatte er noch nie erlebt. Was steckte hinter diesem seltsamen Verhalten? Hatte Amber seinen Namen auf eine schwarze Liste unerwünschter Gesprächspartner gesetzt? In diesem Fall musste er sich etwas einfallen lassen – und zwar rasch.

Sorgfältig wand er ein weiches Tuch um seine Hand und begann, die Politur vom Radlauf abzureiben. Der alte Sportwagen war der ganze Stolz seines Vaters, der einzige Oldtimer aus seiner umfangreichen Sammlung, den er bei der Scheidung von seiner Frau zurückbehalten hatte. Den Rest hatte er verkaufen müssen, um sie auszubezahlen. Drei Jahre lang hatte er mit seinem Vater in jeder freie Minute daran gearbeitet, ihn wieder in den ausgezeichneten Zustand zu versetzen, in dem er sich heute befand. Jeden Abend nach der Schule, jeden der wenigen freien Sonntage, die sein Vater sich gegönnt hatte, hatten sie investiert. Die körperliche Anstrengung hatte ihnen geholfen, den Schmerz und die Bitterkeit über den Verlust der Mutter und Ehefrau zu überwinden, wenngleich Sam das damals nicht begriffen hatte. Er hatte die Arbeit gehasst und seine Wut und Frustration an seinem Vater ausgelassen, der aus seiner Sicht die alleinige Schuld am Verschwinden der Mutter trug:

Wieso hatte er sich keinen anderen Job gesucht, als sie es verlangt hatte? Warum war er ihr nicht gefolgt und hatte sie angefleht umzukehren? Sam war dem Taxi, in dem sie davongefahren war, drei Blocks weit hinterhergelaufen, bis die Kräfte ihn verlassen hatten. Sie hatte sich nicht nach ihm umgedreht, kein einziges Mal.

Dad war schuld an allem: den häufigen Streitereien, den Tränen seiner Mutter. Er musste etwas Schreckliches getan haben, sonst wäre sie niemals gegangen.

Verlegen blickte Sam zu der Trennwand, die die Werkstatt von der ehemaligen Taxizentrale abgrenzte. Neben der Tür befand sich eine tiefe Delle im Putz. Sie stammte von seiner Faust, als er einmal kurz davor gestanden hatte, auf seinen Vater einzuschlagen. Seine Vorwürfe und Wutanfälle hatten jedoch nichts bewirkt. Sein Vater hatte weitergemacht, als wäre nichts geschehen, als wäre ihr Leben nicht zerstört worden. Das hatte dem frustrierten Jungen den Rest gegeben.

Irgendwie hatten sie drei lange harte Jahre überstanden, ehe Sam nach Amerika gegangen war. In dieser Zeit hatte er wichtige Lektionen fürs Leben gelernt. Er wusste, dass es keine ewige Liebe gab, dass Ehe und Familie überholte Modelle waren, die Kindern bleibende Schäden zufügten. Als Beispiele dienten ihm nicht nur die eigenen Eltern, sondern auch die von Amber und ihren Freundinnen, die allesamt aus zerrütteten Familien stammten.

Zahllose gescheiterte Ehen und Beziehungen von Journalistenkollegen und Berühmtheiten, die er im Lauf der Jahre interviewt hatte, bestätigten ihn in seiner Auffassung. In seinen Augen heiratete nur ein Narr. Er genoss die Gesellschaft schöner Frauen, ohne sich auf eine feste Bindung einzulassen. Auf diese Weise musste kein Kind darunter leiden, wenn das unausweichliche Ende kam.

Seine letzte Freundin in Los Angeles hatte seine Einstellung nicht akzeptiert. Sie hatte klammheimlich einen Hochzeitsplaner engagiert, ehe ihr klar wurde, dass es ihm ernst war. Obwohl er Alice gemocht hatte, wäre er niemals so weit gegangen, sie zum Altar zu führen. Nie.

Sam hatte es verlernt zu vertrauen. Für Maschinen, eine elegante Karosserie über einem starken Motor begeisterte er sich in dem Bewusstsein, dass sie ihn nicht im Stich lassen würden – anders als Menschen.

Eine Ausnahme gab es: seinen Vater. In all den harten Jahren, die sie durchgemacht hatten, hatte er nie ein schlechtes Wort über seine Exfrau verloren. Obendrein hatte er nie daran gezweifelt, dass Sam Schule und Universität absolvieren und seinen Traum, Journalist zu werden, verwirklichen würde.

Ganz im Gegensatz zu Sams Mutter. Bei ihrem letzten Gespräch hatte sie ihn einen nutzlosen Träumer genannt, der im besten Fall als Chauffeur enden würde wie sein Vater.

Sie hat sich gründlich geirrt, dachte Sam voller Genugtuung. Er musste lediglich noch die Position als leitender Redakteur erringen, dann war der letzte Schritt auf seiner langen anstrengenden Reise getan. Zugleich bedankte er sich mit seinem Erfolg bei seinem Vater für dessen Vertrauen und seine unendliche Geduld mit dem zornigen Teenager.

Zunächst musste er allerdings das Interview mit Amber führen. Sie hielt sich gerade in London auf, wie er wusste. Irgendwie musste er sie dazu bewegen, mit ihm zu sprechen, was immer es ihn kostete. Notfalls würde er sie verfolgen wie ein Stalker. Kurz vor dem Ziel aufzugeben, kam für ihn nicht infrage.

Er ging zum Kühlschrank in einer Ecke der Werkstatt und holte eine Flasche Mineralwasser heraus, presste sie zur Abkühlung in seinen Nacken und überlegte, wie er an Amber herankäme.

In diesem Moment schlug die Glocke über der Hintertür an. Komisch, dachte er. Die Werkstatt war schon immer der Rückzugsort seines Vaters gewesen. Auch früher hatten Kunden keinen Zugang gehabt.

Er stellte das Radio leiser und wischte sich die Hände an einem Papiertuch ab, als Amber DuBois auf langen schlanken Beinen hereinstolzierte.

Ihr plötzliches Erscheinen verschlug Sam die Sprache. Er musste sich darauf beschränken, den erfreulichen Anblick zu genießen, den Amber in dem geblümten Sommerkleid in zarten Pastelltönen bot, eine leichte Strickjacke um die Schultern gelegt. Beim Gehen glitt der glatte Kleiderstoff verführerisch um ihre schmalen Hüften und umspielte sanft ihre Knie. Wie eine leichte Sommerbrise, die durch die muffige düstere Werkstatt strich, verlieh sie ihr einen goldenen Glanz und brachte die Wärme der Sonne mit sich. Vor den dunklen Regalen voller alter Öldosen und Kataloge wirkte sie umso heller und strahlender.

Zielstrebig kam sie näher, eine Hand in der herzförmigen Tasche ihres Kleides verborgen. Unwillkürlich drängte es ihn, einen Schritt zurückzugehen, um den Abstand zu wahren. Gerade rechtzeitig konnte er sich bremsen. Nicht er drang in ihr Revier ein, es verhielt sich umgekehrt.

Sie sah aus, als käme sie geradewegs von einem Fototermin für ein Modemagazin und brachte Licht in seine Finsternis – wie sie es auch früher getan hatte. Erst in diesem Moment gestand Sam sich ein, wie sehr sie ihm gefehlt hatte.

Kühl lächelnd schob sie die Sonnenbrille auf der Nase zurecht. „Hier hat sich nichts verändert“, stellte sie mit der weichen melodischen Stimme fest, an die er sich so gut erinnerte und die sein Blut immer noch in Wallung brachte. „Du besitzt sogar noch denselben Sportwagen.“

Sam hatte sich oft gefragt, wie Amber sich entwickeln würde. Ihr Äußeres war ihm natürlich aus den Medien, von Plakatwänden und aus dem Fernsehen vertraut, aber das war es nicht allein.

Vor ihm stand die echte Amber, eine wunderschöne junge Frau, die gerade die perfekt manikürten Finger über den Ledersitz des Oldtimers gleiten ließ.

„Dad hat ihn nie verkauft.“

„Ich habe dieses Prachtexemplar zum letzten Mal an meinem achtzehnten Geburtstag gesehen“, erinnerte sie sich. „Du hast meine sogenannte Freundin Petra darin geküsst, zwanzig Minuten, nachdem du mir deine unsterbliche Liebe erklärt hast. Zu schade, dass der Fahrer nicht ebenso viel Klasse besitzt wie der Wagen.“

Halt suchend umfasste Sam die Kante der Werkbank in seinem Rücken. So also sah sie ihn: Als Sohn des Chauffeurs, der es gewagt hatte, ein Auge auf die Tochter des reichen Kunden zu werfen. Als treulosen Verräter, der ihre beste Freundin geküsst hatte.

Den Redakteursposten kann ich abschreiben, dachte er entmutigt. Dennoch beschloss er, seinen ganzen Charme einzusetzen, um sie doch noch zu dem Interview zu überreden.

„Hallo, Amber. Wie schön, dich zu sehen.“ Lächelnd tat er einen Schritt auf sie zu, um sie auf die Wange zu küssen.

Ehe er sie erreichte, schob sie die Sonnenbrille auf den Kopf. Ein scharfer Blick aus ihren leuchtend blauen Augen machte ihm klar, dass sie ihn nicht um der alten Zeiten willen besuchte.

Das intensive Blau, das einen starken Kontrast zu dem seidenweichen blonden Haar bildete, hatte er schon immer unwiderstehlich gefunden. Bei ihrer ersten Begegnung hatten ihn ihre faszinierenden Augen gefesselt. Sie war aus der Limousine seines Vaters ausgestiegen, hinter ihrer Mutter, und hatte nicht gewusst, wohin mit den langen Beinen. Mit gesenktem Kopf hatte sie ihm durch den dichten Schleier ihres langen blonden Haares hindurch einen verstohlenen Blick zugeworfen – und seine Welt auf den Kopf gestellt.

Mittlerweile war sie fast so groß wie er. Sie sah ihm direkt in die Augen, bis zu denen das Lächeln auf ihren Lippen nicht vorgedrungen war. Sam wand sich unbehaglich unter ihrem intensiven Blick.

„Mein Agent hat mir erzählt, dass du wieder im Land bist. Ich dachte, ich komme rein und sage dir Hallo. Das ist dir doch recht?“ Stirnrunzelnd betrachtete sie die ausgetretenen Turnschuhe, die er in dem alten Schrank im Gästezimmer entdeckt hatte, die verwaschene Jeans und das ölbefleckte T-Shirt, die er ausschließlich der Werkstatt vorbehielt. „Wie ich sehe, hat sich dein Sinn für Mode nicht verbessert. Schade.“

Verlegen blickte Sam an sich hinab. „Passiert es dir nicht auch gelegentlich, dass all deine guten Sachen in der Reinigung sind und du nichts anzuziehen findest?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und nein, Amber, dein Besuch stört mich nicht im Geringsten. Zufällig versucht mein Chef seit Wochen, über deinen Agenten ein Interview mit dir zu vereinbaren. Er wird sich freuen zu hören, dass du vorbeigekommen bist.“

Amber trat näher, und süßer Blumenduft hüllte Sam ein, fast so berauschend wie seine Trägerin.

Er musste an die langen Sommerabende denken, an denen er an ihrer Seite durch die Straßen der Stadt gegangen war, um sich die Routen, Namen und Orte einzuprägen, die er als Chauffeur kennen musste. Sie waren Hand in Hand dahingeschlendert, hatten geredet, gelacht, die Gesellschaft des anderen genossen und Geheimnisse ausgetauscht. Amber war lange Zeit seine beste Freundin gewesen. Wie viel sie ihm wirklich bedeutete, hatte er erst nach der Trennung begriffen.

„Bilde dir bloß nichts ein. Darf ich mich setzen?“

Sam wies auf den Holzstuhl in der Ecke der Werkstatt. „Wenn du damit vorliebnehmen möchtest.“

Sie setzte sich und sah ihn an.

„Du steckst voller Überraschungen“, stellte er kopfschüttelnd fest. „Ich dachte, ich könnte dich bestenfalls mit einer Einladung in ein exklusives Restaurant für ein Interview aus deinem Versteck locken.“

Als Antwort hob sie das Kinn und schlug ein langes schlankes Bein über das andere.

Unwillkürlich wurde sein Blick auf die hochhackigen Sandalen an ihren Füßen gelenkt und auf die passend zum Lippenstift lackierten Zehennägel.

Sie strahlte Klasse und Eleganz aus. Für einen Augenblick empfand er das fast unbezwingbare Bedürfnis, sie auf die Kühlerhaube des Sportwagens zu zerren und herauszufinden, ob ihre Haut sich noch so zart anfühlte wie früher.

„Wie kommst du auf die Idee, ich würde dir ein Interview geben?“, fragte sie in einem schneidenden Tonfall, der ihn unsanft in die Realität zurückholte. „Vielleicht wollte ich dir nur zur Verlobung gratulieren? Hast du deine Braut aus Los Angeles mitgebracht?“

„Was?“

„Es stand doch in der Los Angeles Times. Oder existiert dort noch ein anderer Samuel Patrick Richards?“

„Das war ein Missverständnis. Meine Exfreundin hat beschlossen, die Hochzeit zu organisieren, ohne mich vorher zu fragen. Ihr war nicht klar, dass ich rotsehe, sobald es ums Heiraten geht. Du kannst dir deine Glückwünsche sparen.“

Amber atmete tief durch. „Du machst es dir also zur Gewohnheit, Frauen zu verlassen? Vielleicht sollte ich eine Selbsthilfegruppe gründen?“ Sie hob die Arme und schrieb in die Luft: „‚Frauen, die von Sam Richards sitzen gelassen wurden.‘ Wir könnten einen Blog schreiben … Was ist?“

Sam machte einen Schritt auf sie zu und zupfte vorsichtig am Ärmel ihres Strickjäckchens. „Dein Arm ist eingegipst. Was ist passiert? Kannst du so überhaupt Klavier spielen?“

Rasch zog sie den Jackenärmel zurück. „Ich habe mir das Handgelenk gebrochen und bin offiziell krankgeschrieben, aber das bleibt unter uns.“

„Das tägliche Üben dürfte dir ziemlich schwerfallen. Bleibt ein Schaden zurück?“

Sie öffnete den Mund … und stockte. „Es ist ein glatter Bruch, kein Problem. In einigen Monaten ist alles verheilt.“

„Gut zu hören. Das erklärt allerdings nicht, was dich zu mir führt.“

Er stützte einen Arm auf die Lehne des Stuhls, auf dem sie saß. Dabei kam er ihr so nahe, dass ihr Atem über seine Wange strich und er den Pulsschlag an ihrer Kehle sah.

Amber presste die Lippen aufeinander, neigte sich vor und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. In ihren blauen Augen funkelte etwas, das er noch nie gesehen hatte. Als sie sprach, klang ihre Stimme weich wie eine Feder und ebenso verlockend.

„Also gut. Mir ist bekannt, dass du ein Interview zu meinem Rückzug aus dem Konzertbetrieb machen willst. Was bietest du mir, damit ich dir den Vorzug vor anderen Journalisten gebe? Es sollte schon etwas Besonderes sein, denn schüchtern oder bescheiden warst du noch nie.“

„Da hast du recht. Erinnerst du dich an meinen großen Traum? Ich wollte eines Tages ein bedeutender Enthüllungsjournalist bei der Zeitung werden, die mein Vater täglich gelesen hat. Wie es aussieht, muss ich ein letztes Starinterview führen, um den Posten zu bekommen.“ Er formte mit den Fingern eine Pistole, zielte auf sie und tat, als würde er abdrücken.

„So etwas Ähnliches dachte ich mir. Weiß dein Chef von unserer Beziehung damals?“

„Dann hätte er mich mit einem Blumenstrauß und einer Schachtel Pralinen zu deiner Privatadresse geschickt. Keine Sorge, das ist eine reine Privatangelegenheit und bleibt unter uns.“

„Eine Veröffentlichung reizt dich nicht? Denk nur an die Schlagzeile: ‚Die wahre Geschichte: Wie ich Amber DuBois das Herz brach‘. Ich könnte noch nicht einmal gerichtlich dagegen vorgehen.“

„Vermutlich nicht. Sagen wir so: Die Story spare ich mir für den Notfall auf.“

„Als Fallschirm bei einem finanziellen Engpass? Soll ich jetzt geschmeichelt sein oder gekränkt? Oder beides? Mit einem Stapel Banknoten gleichgesetzt zu werden, den du unter der Matratze aufbewahrst, ist nicht gerade angenehm.“

„Machst du das so? Ich persönlich ziehe die Bank vor, sie erscheint mir sicherer.“

Amber runzelte die Stirn und leckte sich nachdenklich über die Unterlippe.

Unwillkürlich musste Sam an ihren ersten Kuss denken. Er hatte den Auftrag gehabt, sie aus einer Pizzeria abzuholen. Als sie das Lokal verließen, ging ein Platzregen nieder. Er hatte sie unter seinen Mantel gezogen und ihr den Arm um die Taille gelegt, um sie halbwegs trocken zum Auto zu bringen. Dort angekommen, hatte sie sich zu ihm umgewandt. Ihr Gesicht war seinem ganz nah gewesen, so nah, dass er nicht länger widerstehen konnte. Als wäre es gestern gewesen, erinnerte er sich an das Gefühl ihrer warmen Lippen auf seinen, an den köstlichen Duft ihrer Haut und den scharfen Geruch nach Regen. Einen winzigen Moment hatte sie den Kopf noch an seiner Schulter geborgen, dann war sie ins warme, trockene Auto geschlüpft.

Als er um den Wagen herumgelaufen war, hatte er nur an eins denken können: Sie war der Passagier auf dem Rücksitz, er der Chauffeur – ein Dienstbote. So würde es bleiben, bis er etwas dagegen unternahm.

Das hatte er getan. Dennoch würde er in ihren Augen immer der Rohdiamant bleiben, an dem sie sich die Zähne ausgebissen hatte.

Schmunzelnd trat er einen Schritt zurück und räumte Politur und Lappen weg.

„Keine Sorge. Ich habe mir meinen Job redlich verdient, ganz ohne mich auf die Vergangenheit zu berufen. Mein Chef inte­ressiert sich ohnehin nur für die Frage, warum du mit achtundzwanzig in den Ruhestand gehst.“

„Und was willst du von mir wissen?“

Er sah überrascht auf. Eine Mischung aus Verwirrung und bittersüßen Erinnerungen drohte ihn zu überwältigen. Einen Moment lang war er versucht, eine Charmeoffensive zu starten, um herauszufinden, wer Amber heute war – aus rein persönlichem Interesse. Rasch rief er sich zur Ordnung.

„Mein Interesse beschränkt sich ausschließlich auf meine Beförderung. Immerhin arbeite ich seit zehn Jahren auf diese Stellung hin.“

„Ach so! Dein Chef braucht eine Story, und du dachtest, ich würde dir die Wahrheit anvertrauen um der alten Zeiten willen. Auf die solltest du dich lieber nicht berufen, sonst hole ich umgehend meine Freundinnen und meine Rechtsanwälte zu Hilfe.“

„Wie grausam und unnötig! Ich fürchte, ich bin deinen Rachegelüsten ausgeliefert. Glaub mir, ich habe nicht die Absicht, in der Vergangenheit zu wühlen, wenn ich es vermeiden kann.“

Ihre Lippen bebten verdächtig. Unvermittelt wirkte sie so zart und verletzlich wie das Mädchen, das er gekannt hatte. Gleich darauf lachte sie spöttisch.

„Das freut mich zu hören. Ich möchte dir nämlich einen Vorschlag unterbreiten, der nur funktioniert, wenn wir uns auf rein geschäftlicher Basis begegnen.“

„Ein geschäftlicher Vorschlag? Das ist etwas ganz Neues. Soweit ich mich erinnere, haben bislang dein Stiefbruder und deine Mutter sämtliche Angelegenheiten für dich geregelt. Geschäftssinn ist nicht gerade deine Stärke.“ Im nächsten Moment bereute er seine Worte.

Wie macht sie das nur? fragte er sich. Jahrelang hatte er seinen Unterhalt damit verdient, mit Charme und professionellem Verhalten Promis ihre Geheimnisse zu entlocken. Dennoch genügte ein Blick auf Amber, und er verwandelte sich wieder in einen ängstlichen, großspurigen Teenager, der im Bestreben, ihr zu imponieren, nichts als Dummheiten sagte – und beging.

Natürlich war ihre Mutter entsetzt gewesen, als sie herausfand, dass ihre begabte Tochter sich mit dem Sohn des Chauffeurs eingelassen hatte. Dennoch hätte er nicht auf sie zu hören brauchen, als sie ihm vorwarf, er würde die Karriere ihrer Tochter ruinieren. Er hätte den Scheck nicht annehmen müssen, den sie ihm damals gab.

Stattdessen hatte er Amber an ihrem achtzehnten Geburtstag verlassen und sich mit einer anderen getröstet, die im Auto auf ihn gewartet hatte.

Er war auf die Lügen und Intrigen ihrer Mutter hereingefallen, doch das war keine Entschuldigung für sein Verhalten.

Sie hat wenigstens eine liebevolle, besorgte Mutter – im Gegensatz zu mir, schoss es ihm durch den Kopf.

„Vielleicht habe zumindest ich mich in den vergangenen zehn Jahren weiterentwickelt“, meinte Amber leise.

Für einen Moment herrschte eisiges Schweigen. Schließlich stand sie auf. „Weißt du was, ich habe meine Meinung geändert. Es war ein Fehler, zu dir zu kommen. Viel Glück mit deinem Job und grüße bitte deinen Dad von mir. Wenn du mich jetzt entschuldigst? In einer Stunde habe ich einen Termin mit dem Redakteur einer anderen Zeitung. Ich hasse es, zu spät zu kommen.“ Sie winkte ihm lässig zu. „Ciao.“

Ohne sich noch einmal umzusehen, eilte sie auf ihren hochhackigen Sandalen auf die Tür zu, im Begriff, aus seinem Leben zu verschwinden und damit seine Chance auf eine Karriere in London zu zerstören.

4. KAPITEL

„Möchtest du nicht wissen, wie es für mich ist, in dem Gebäude zu arbeiten, zu dem ich dich Woche für Woche geschleppt habe?“, rief Sam hinter Amber her. „Hast du die großartigen Pläne vergessen, mit denen ich dir täglich in den Ohren gelegen habe? Bist du gar nicht neugierig? Gib mir fünf Minuten, dann erkläre ich dir, warum du mir und keinem anderen deine Geschichte anvertrauen sollst.“

Zögernd wandte Amber sich um. Allein sein Anblick brachte ihr Herz aus dem Takt. Sie musste daran denken, wie sie mit siebzehn Jahren Tag und Nacht jedem Moment entgegengefiebert hatte, ihn wiederzusehen – auch wenn es nur vom Rücksitz der Limousine aus war, in der sie mit ihrer Mutter von einem Konzert zum anderen fuhr. Ihr Tag war perfekt gewesen, wenn Sam sie während der Auftritte ihrer Mutter zu Pizza oder Cola ausgeführt hatte. Sie hatte ihn geradezu angehimmelt.

Er hatte sich im Lauf der Jahre wenig verändert. Seine Schultern waren breiter geworden, um seine Augen hatten sich Lachfältchen eingegraben, und statt jungenhaft wirkte er männlich, attraktiv und sexy. Doch sobald sie die Augen schloss und nur seine Stimme hörte, war er wieder der Junge von damals. Zusätzlich hatte er einen umwerfenden Charme entwickelt, dem zu widerstehen vermutlich jeder Frau schwerfiel. Auch an körperlicher Anziehungskraft hatte er nichts eingebüßt.

Ihr letzter Besuch in dieser Werkstatt fiel ihr ein. Er hatte sie geneckt, weil sie sich den Kopf an den tief hängenden Lampen gestoßen hatte, dann hatten sie sich gebalgt … und geküsst.

Kurz darauf, an ihrem achtzehnten Geburtstag, hatte er sie mit einer ihrer besten Freundinnen betrogen. Die Wochen danach waren die schlimmsten in ihrem Leben gewesen.

Sich gegen seine Ausstrahlung wappnend, stemmte sie den gesunden Arm in die Taille. „Vielleicht frage ich mich, ob du mit einem versteckten Aufnahmegerät jedes meiner Worte aufzeichnest?“

Sein strahlendes Lächeln verschlug ihr den Atem.

Wenn die Welt gerecht wäre, hättest du dreißig Kilo zugenommen und deine blendend weißen Zähne mit Süßigkeiten ruiniert, dachte sie frustriert. Schon als Teenager hatte er sexy und zum Anbeißen ausgesehen und sich in seinem Körper wohlgefühlt – im Gegensatz zu ihr. Die Jahre hatten es gut mit ihm gemeint. Er strahlte Lebenslust, Gesundheit und Selbstvertrauen im Übermaß aus.

„Hier in der Werkstatt? Bestimmt nicht. Was du auch sagst, es bleibt unter uns – wie immer.“

Amber schob sich das Haar mit einer Hand aus dem Gesicht und überlegte, weshalb er sich solche Mühe gab, das Interview zu bekommen. Gleichzeitig schalt sie sich für ihre Neugierde.

Sie erinnerte sich, als sei es gestern gewesen, wie er ihr von seinen Plänen erzählte. Er wollte die Journalistenschule besuchen und sich an die Spitze der Londoner Tageszeitungen vorarbeiten, zum Star unter den Enthüllungsjournalisten. Sein Name sollte auf der Titelseite der Zeitung stehen, die sein Vater las, wenn er im Auto auf die Rückkehr seiner Kunden wartete. War das auch heute noch der Grund für seine Beharrlichkeit? Jagte er dem großen Erfolg hinterher, der bislang ausgeblieben war? Ein Exklusivinterview mit ihr würde ihn eine weitere Stufe nach oben bringen. Sollte sie ihm die Story liefern, die ihm fürs Titelblatt fehlte?

Um mich persönlich geht es ihm nicht, machte sie sich klar. Hatte er sie nicht auch damals bei der ersten Gelegenheit verlassen, um seinen großen Traum zu realisieren? Du bist ihm nichts schuldig, gar nichts, ermahnte sie sich.

„Wie immer? Träum weiter“, murmelte sie so leise, dass er es nur mit Mühe verstand. „Mich wundert, dass du es wagst, dich auf die alten Zeiten zu berufen. Offenbar übt dein Chef gewaltigen Druck auf dich aus.“

Sam ignorierte den Spott und gab vor, den Werkzeugkasten aufzuräumen. Einen Moment später wandte er sich wieder zu ihr um. „Im Gegensatz zu gewissen Leuten brauche ich einen Job.“ Er lachte bitter. „Stil hattest du schon immer, aber um mit achtundzwanzig in den Ruhestand zu gehen, bedarf es einer gehörigen Portion Dreistigkeit.“

Er tat einen Schritt auf sie zu und deutete auf ihren Arm. „Ist es deswegen? Du behauptest zwar, es wäre ein glatter Bruch, aber …“

„Nein. Mit dem Handgelenk hat es nichts zu tun …“

„Was ist an den anderen Gerüchten dran? Es heißt, du wolltest mit deiner Ankündigung möglichst lukrative Angebote erzwingen. So etwas soll schon vorgekommen sein.“

„Ich werde nie wieder als Konzertpianistin auftreten. Zumindest sehe ich das heute so.“ Amber schluckte nervös. Dass sie nicht recht wusste, was sie künftig mit ihrem Leben anfangen wollte, brauchte Sam nicht zu wissen. Die Entscheidung, sich für immer aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen, hatte sie im Krankenhaus getroffen. In einem Anfall von Naivität war sie davon ausgegangen, eine kurze Pressemeldung würde genügen, um mit diesem Kapitel ihres Lebens abzuschließen. Sie hatte sich geirrt.

So lange sie denken konnte, hatte die Musik ihr Leben bestimmt. Es fiel ihr schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, nie wieder öffentlich aufzutreten. Sie war eine hervorragende Pianistin. Klavier spielen war das Einzige, was sie wirklich beherrschte, die einzige Fähigkeit, die ihr das Lob ihrer Mutter einbrachte.

Julia Swan hätte es zwar vorgezogen, wenn ihre Tochter in ihre Fußstapfen getreten wäre und sich für die Geige entschieden hätte, doch Amber konnte sich ausschließlich für das Klavier begeistern.

Rasch wurde die Musik zu einer der wenigen Konstanten im Leben des kleinen Mädchens, das von einem Stiefvater zum anderen, von einer Schule in die nächste gereicht wurde. Die täglichen Übungsstunden dienten ihr als willkommene Ausrede, um langweiligen Abenden mit ihrer Mutter und deren jeweiligem Freund zu entgehen. Das Klavier war ihr Ausweg, ihre Zuflucht. Ihm widmete sie ihre ganze Liebe und Hingabe, investierte ihre ganze Leidenschaft darin, während ihre Mutter auf Männerfang ging.

Die Liebe zur Musik war ihre Motivation, Klavier zu spielen. Sie ging ganz darin auf. Im Gegensatz zu ihrer Mutter war sie nicht auf Ruhm und Bewunderung durch Publikum und Kollegen aus. Sam Richards war der einzige Mensch auf Erden, der das jemals verstanden hatte. Auch aus diesem Grund hatte sie sich ihm in besonderer Weise verbunden gefühlt – und tat es offenbar noch immer, wie ihr erst in diesem Moment bewusst wurde.

Vielleicht sollte ich meinen Rachefeldzug aufgeben? überlegte sie. Hier, in der alten ihr immer noch vertrauten Werkstatt, erschien ihr der Plan albern und beschämend. In den letzten Jahren hatte sie eine Reihe dummer Fehlentscheidungen getroffen. Konnte sie Sam nicht einen Fehler verzeihen, den er als Teenager begangen hatte in dem Bestreben, etwas aus seinem Leben zu machen?

Sie öffnete gerade den Mund, um die Worte auszusprechen, als er fragte: „Geht es dir um Geld?“

Der Vorwurf traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Mühsam rang sie sich ein eisiges Lächeln ab. „Meinst du, so wie dir, als meine Mutter dir damals den Scheck gab? Die Abfindung, damit du mich verlässt, aus London fortgehst und anderswo deine Karriere startest?“

„Ich dachte eher, dass du als Gegenleistung für das Interview eine großzügige Spende erwartest, die du einem guten Zweck deiner Wahl zukommen lassen kannst. Die würdest du auch von anderen Zeitungen bekommen. Nicht, dass du Geld nötig hättest oder Werbung. Dein Gesicht war oft genug auf jeder Plakatwand zu sehen, auf jedem Bus. Deine letzte CD gehört zu den bestverkauften in der klassischen Musik, du hast die meisten Anhänger in den sozialen Medien.“

„Das alles gehört zum Geschäft, aber es interessiert mich nicht.“

„Dann verstehe ich nicht, wieso du überhaupt bereit bist, ein Interview zu geben.“

„Ich dachte, die Presse würde innerhalb kurzer Zeit das Interesse an mir verlieren und sich dem nächsten Künstler zuwenden. Leider habe ich mich geirrt. Als ich heute bei meiner Plattenfirma vorbeigeschaut habe, haben mich die Reporter geradezu erdrückt. Ich fürchte, ich muss meine Karriere mit einem letzten ausführlichen Interview beschließen. Ein Interview – ein Journalist.“

Sam schob die Hände tief in die Hosentaschen und beäugte sie skeptisch. „Heißt das, du bietest mir ein Exklusivinterview? Wo ist der Haken?“

„Du bist aber misstrauisch! Es stimmt allerdings, dass ich einige Bedingungen an mein Angebot knüpfe.“ Sie räusperte sich und neigte den Kopf zur Seite, sich seiner vollen Aufmerksamkeit sicher. „Ich gebe dir, was du willst, dafür revanchierst du dich.“

„Ich verstehe. Du hast die Macht und genießt es, sie gegen mich auszuspielen.“

„Glaubst du wirklich? Ich sehe es so: Du brauchst ein Interview von mir, ich benötige Unterstützung bei einigen Dingen. So einfach ist das.“

„Wenn es um dich geht, ist nichts unkompliziert.“ Sam lehnte sich gegen die Werkbank und stützte die Arme neben sich auf.

Fasziniert beobachtete Amber das Spiel seiner durchtrainierten Muskeln. Der schlaksige Junge war zu einem kräftigen Mann herangewachsen, der um seine Stärken wusste und sie für seine Zwecke einsetzte. Unter seinem intensiven Blick erschauerte sie. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus, und sie spürte, wie sie errötete.

Was hatte Kate über Petra gesagt? Sie hätte Sam in jener Nacht geblendet? Mittlerweile war auch Sam in der Lage, anderen den Kopf zu verdrehen.

Er war ihre erste große Liebe gewesen. Nach ihm hatte es nur zwei weitere Männer in ihrem Leben gegeben. Beide hatten gut ausgesehen, waren hart, ehrgeizig und auf ihr Ziel fixiert gewesen, hatten aber keinerlei Verbindung zu ihrer Welt der Musik und Konzerte gehabt. Sie hatten ihr Herz im Sturm erobert und ihr keine Zeit zum Nachdenken gelassen. Daher war sie nach dem Scheitern der Beziehungen jedes Mal verwirrt und weinend zurückgeblieben und hatte sich gefragt, was eigentlich gerade mit ihr geschehen war.

Solchen Kummer und Schmerz wollte sie nie wieder erleben. Daher erschien es ihr klüger, sich von Sam fernzuhalten, der ihr offenbar immer noch unter die Haut ging. Vielleicht würde sie ihren Plan, es ihm heimzuzahlen, doch fallen lassen.

„Nach diesem letzten Interview werde ich keine weiteren mehr geben. Damit ist es vorbei“, erklärte sie mit Nachdruck. „Wenn ich dich richtig verstehe, möchtest du deinen Chef mit einem Bravourstück beeindrucken. Stimmt das?“

Er hob betont gleichmütig die Schultern, doch um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig, wie früher, wenn er Probleme hatte, über die zu sprechen er nicht bereit war. „In etwa.“

„Wenn du das Interview nicht bekommst, musst du dich weiterhin mit Stars und Sternchen abplagen?“

„Ich sehe schon, du legst es darauf an, mich leiden zu sehen.“

Diesmal zuckte Amber mit den Schultern. „Du hast mir zwar das Herz gebrochen, doch das ist Jahre her. Ich würde dieses Kapitel gern endgültig abschließen. Es wird höchste Zeit.“

Sam lachte bitter. „Abschließen? Ich wage kaum zu fragen, wie meine Strafe ausfällt. Aber bitte, lass dich nicht unterbrechen. Bringen wir es hinter uns.“ Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, straffte die Schultern und hob das Kinn. „Schlag zu.“

Gemächlich schlenderte Amber auf ihn zu und streichelte dabei mit den Fingerspitzen über die glatten Ledersitze des Sportwagens. Dass Sam sie nicht aus den Augen ließ, war ihr bewusst. „Ich würde das Interview gern rasch hinter mich bringen. Andererseits habe ich momentan wenig Zeit. Ich gestalte gerade mein Apartment um, und die Mädels – du erinnerst dich an Kate und Saskia – bestehen darauf, meinen Geburtstag nächste Woche groß zu feiern. Der 18. Mai, das weißt du vielleicht noch?“ Sie setzte gerade zu einer weiteren schneidenden Bemerkung an, als sie seinen gequälten, bedauernden Blick auffing.

„Wenn du zu viel zu tun hast, lass mir deine E-Mail-Adresse da. Ich schicke dir meine Fragen, und du beantwortest sie, sobald du kannst.“

„Ich bestehe auf einem persönlichen Interview.“

Sam hustete. „Bist du immer so kompliziert?“

„Nur bei dir.“

Lachend stemmte er die Hände in die Seiten. „Mach mir nichts vor! Du hast einen Plan und genießt es, mich zappeln zu sehen. Andernfalls hättest du deinen Agenten gebeten, das Interview zu organisieren. Aber das wäre nicht halb so amüsant.“ Ehe sie einen Einwand erheben konnte, winkte er ab. „Ich verstehe dich. Ich habe einen schrecklichen Fehler begangen und dich niederträchtig behandelt. Dafür lässt du mich jetzt büßen.“ Er sah sie traurig an. „Glaub mir, ich bedauere, was geschehen ist, aber das ist zehn Jahre her. Wir haben uns verändert, ich zumindest. Bei dir bin ich mir da nicht so sicher.“

„Wie meinst du das?“

„Du warst noch nie nachtragend. Wieso lässt du mich nicht einfach die Liste der Dinge abarbeiten, die ich für dich erledigen soll? Danach können wir die Vergangenheit begraben.“

Amber atmete tief durch, neigte den Kopf zur Seite und schob das vorbereitete Blatt tiefer in die Tasche ihres Kleides. „Wie kommst du auf die Idee, ich hätte eine Liste?“ Sie spielte das Unschuldslamm.

„Du hast schon immer Listen erstellt, für alles.“

Dass er sich auch an jede Kleinigkeit erinnern muss! ärgerte sie sich insgeheim. Die Liste mit ihm durchzugehen, kam jetzt natürlich nicht mehr infrage.

„Betrachte die Aufgaben, die ich dir stellen werde, als Herausforderung. In einem Punkt hast du allerdings recht: Ich weiß genau, was ich im Gegenzug für das Exklusivinterview von dir erwarte.“

Sie ging weiter und blieb nur wenige Zentimeter vor ihm stehen. „Ich verstehe, dass es die Leute interessiert, warum ich mich zur Ruhe setze, aber meine Gründe sind persönlicher Art.“ Sie atmete tief durch und schluckte. „Es wäre jedem Journalisten ein Leichtes, mich mit seinem Artikel zu verreißen und damit die Auflage zu steigern. Von dir erwarte ich eine faire Behandlung.“

„Das ist nicht einfach“, meinte er resigniert.

„Ich weiß. Aus diesem Grund musst du mir auch erst beweisen, dass du der richtige Mann für den Job bist, bevor ich dir das Interview gebe.“

„Was soll ich tun?“

„Du musst eine Art Test bestehen. Wie dir bekannt ist, habe ich diese Woche viel um die Ohren, zusätzlich wirft mein Handgelenk Probleme auf. Ich brauche so etwas wie ein ‚Mädchen für alles‘. Bezahlung gibt es nicht, du bekommst auch keine Uniform, aber ich stelle die Verpflegung. Saskia und Kate können es kaum erwarten, dich wiederzusehen.“

„Mädchen für alles?“, hakte er wenig begeistert nach. „Ich muss eine Woche lang wie ein Sklave für dich schuften, damit du mir Rede und Antwort stehst?“

Amber zog ihre Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie ihm mit ihrem süßesten Lächeln. „Du bist immer noch schnell von Begriff. Der Test beginnt morgen früh um zehn in meinem Apartment. Damit du dich nicht langweilst, werde ich dir täglich neue Aufgaben stellen. Bis dann, Sam. Ich hoffe, du bist Manns genug, dich der Herausforderung zu stellen.“

Autor

Nina Harrington
Nina Harrington wuchs in der Grafschaft Northumberland in England auf. Im Alter von 11 Jahren hatte sie zuerst den Wunsch Bibliothekarin zu werden – einfach um so viel und so oft sie wollte lesen zu können.
Später wollte sie dann Autorin werden, doch bevor sie ihren Traumberuf ausüben konnte, machte sie...
Mehr erfahren