Happy End in Argentinien

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Francesca stockt der Atem: Hat Marcos ihr einen Heiratsantrag gemacht – schon wieder? Ihre erste Ehe dauerte nur drei Stunden; noch einmal möchte Francesca so etwas nicht erleben! Doch Marcos hat sie in der Hand: Sie muss ihm nach Argentinien – und in sein Schlafzimmer – folgen …


  • Erscheinungstag 18.03.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521765
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Wie bitte?!“ Entgeistert starrte Marcos Navarre die dunkel gekleidete zierliche Gestalt an. Die Pistole, die genau auf sein Herz zielte, zeigte nicht die Spur eines Zitterns.

„Ich sagte, beweg dich!“, wiederholte die Gestalt.

Täuschte er sich, oder klang die Stimme nun weniger barsch und rau?

Marcos entfernte sich ein paar Schritte von der Tür des Hotelzimmers, die Hände gerade so weit erhoben, dass der Einbrecher sah, er würde keine Dummheiten machen.

Zum Beispiel sich auf ihn stürzen und ihm die Pistole entreißen.

Aber natürlich würde Marcos genau das tun, sollte die Waffe in seine Reichweite gelangen. Es war nicht das erste Mal, dass er in die Mündung einer Pistole blickte. Sein Gehorsam geschah nicht aus Angst. Die Jahre als Guerillerokämpfer im südamerikanischen Dschungel hatten ihn gegen Angst vor Waffen und Gewalt immun gemacht. In Situationen wie dieser bot sich früher oder später immer eine Möglichkeit, den Gegner zu überwältigen, das wusste er aus Erfahrung. Solange seine Hände frei waren, hatte er eine Chance.

Nein, Angst war es auf keinen Fall, was er empfand. Wut, das traf es schon eher. Rasende Wut.

Die Person, der er sich gegenübersah, war klein – was jedoch nicht heißen musste, dass sie schwach war. Die Dunkelheit im Zimmer verbarg die körperlichen Details des Eindringlings vor ihm. So viel jedoch konnte Marcos erkennen, dass er die Gestalt um mindestens einen halben Kopf überragte und deutlich schwerer war als sie.

Sobald sich eine Gelegenheit böte, würde er handeln. Entscheidend war, die Hände frei zu behalten und die Sinne in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Darüber, was er täte, sollte der Eindringling ihn fesseln oder einsperren, dachte er lieber nicht nach. Unangenehme Erinnerungen zuckten wie Blitze durch sein Gedächtnis: ein dunkler Raum, der scharfe Geruch von Angstschweiß, unbändiger Zorn, sein eigenes Blut, das von seinen Handgelenken tropfte.

Stopp! Denk nicht daran. Konzentrier dich auf das Hier und Jetzt.

„Sie verschwenden Ihre Zeit“, sagte Marcos ruhig. „Ich habe nicht die Angewohnheit, größere Summen Bargeld in meinem Zimmer aufzubewahren.“

„Halt den Mund.“

Marcos blinzelte erstaunt. Der tiefe, raue Ton in der Stimme des Eindringlings war nun völlig verschwunden. Die Person, die so kühl eine Waffe auf ihn gerichtet hielt, war ohne Zweifel eine Frau. Unwillkürlich entspannte er sich.

Dios mío.

Wen hatte er jetzt wieder gekränkt? Welche seiner Exgeliebten war so außer sich, dass sie zu einer Tat wie dieser fähig war? Fiona? Cara? Leanne?

Er war stets sehr großzügig zu seinen Frauen, trotzdem gab es jene, die es nicht akzeptieren konnten, wenn die Zeit gekommen war und er die Beziehung beendete. War der Eindringling eine enttäuschte Geliebte? Aber warum erkannte er sie dann nicht? So kalt und abgestumpft war er nicht, dass er den Körper und die Stimme einer Frau vergaß, mit der er lustvolle Stunden verbracht hatte.

Er hielt die Hände so, dass die Frau sie sehen konnte, und ging vor bis zur Mitte des Zimmers. Als er an der Frau vorbeiging, wich sie zurück. Ihre Reaktion schien sie zu ärgern, denn sogleich machte sie einen entschlossenen Schritt nach vorne und richtete sich kerzengerade auf.

Einige Sekunden verstrichen in völliger Stille. Nur das Surren des Deckenventilators war zu hören.

„Hol den Diamanten“, wies sie ihn an.

„Ich befürchte, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“

Sie gab ein ungeduldiges Geräusch von sich. Im kalten Mondlicht, das als scharf umrissenes Rechteck durch das Fenster auf den Boden fiel, schimmerte die Pistole bläulich. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ein Schalldämpfer auf den Lauf der Waffe geschraubt war. Keine sehr tröstliche Entdeckung.

„Du weißt sehr gut, was ich meine. Ich will die Kette mit dem Corazón del Diablo, dem Herzen des Teufels. Bring sie her, wenn dir dein Leben lieb ist!“

Jetzt wurde ihm einiges klar. Verflucht, er hätte der unverschämten Forderung der Familie d’Oro auf keinen Fall nachkommen dürfen! Besser hätte er sich geweigert, den Diamanten zurück in die USA zu bringen. Andererseits würden seine Geschäfte im Land möglicherweise darunter leiden, wenn er ihren betrügerischen Absichten nicht ein für alle Mal einen Riegel vorschob. Die Gerichte in Argentinien hatten bereits zu seinen Gunsten entschieden. Wieso brauchte er die Bestätigung eines amerikanischen Gerichts, um behalten zu dürfen, was sein rechtmäßiges Eigentum war? Was er mit Blut bezahlt hatte?

Hatten die d’Oros diese Frau geschickt? Und der Prozess – war das womöglich nur ein Trick, um den Stein zurück in die USA zu holen, wo sie ihn leichter stehlen konnten? Der Alte war tot, aber die Mädchen lebten noch.

Er verdrängte die schmerzhafte Reue, die ihn beim Gedanken an die jüngste Tochter überkam. Weshalb er Reue empfand, war ihm ganz und gar schleierhaft – schließlich hatte sie ihn von vorne bis hinten manipuliert.

Während ein Teil in ihm darauf beharrte, dass sie unschuldig war, kannte ein anderer Teil die dunklen Abgründe, in die eine menschliche Seele mitunter abtauchen konnte, nur zu gut. Manchmal war Unschuld nur die Fassade, hinter der sich gemeine Heimtücke verbarg.

„Wenn du mich erschießt, querida, bekommst du den Diamanten nie.“

„Vielleicht bekomme ich dann etwas viel Besseres …“, knurrte sie ihn mit rauer Stimme an.

Marcos’ Nackenhaare richteten sich unwillkürlich auf. Irgendetwas an dieser Stimme … Etwas, das er schon lange vergessen hatte …

„Aber vorerst will ich nur den Diamanten“, fuhr sie fort. „Er liegt im Safe. Den du jetzt öffnen wirst. Los!“

Bebender Zorn stieg in ihm auf. Wer war diese halbe Portion von einer Frau, die sich erdreistete, sein Familienerbe rauben zu wollen? Sie war nicht die Erste, die es versuchte, aber auch ihr würde es nicht gelingen.

Als er noch ein Junge gewesen war, hatte man den Stein zum ersten Mal gestohlen. Kurz darauf waren seine Eltern von der Militärjunta ins Gefängnis geworfen worden und nie zurückgekehrt. Wie Tausende andere gehörten sie zu den desaparecidos, den Verschwundenen, jenen armen Seelen, die die Regierung verschleppt und getötet hatte, bevor in späteren Jahren die Demokratie wiederhergestellt worden war.

Doch für Marcos trug sein Onkel die Schuld an seinem Unglück. Wäre Federico Navarre nicht so von Ehrgeiz und Gier getrieben gewesen, hätte das Leben für Marcos einen völlig anderen Lauf genommen. Nun war der Corazón del Diablo alles, was ihm von seiner Familie geblieben war, und er würde es nicht zulassen, dass ihm jemand diesen Rest entwendete.

„Ich hoffe, du weißt, was du da tust, Süße.“

Die Frau machte einen Schritt auf ihn zu, die Waffe mit festem Griff auf ihn gerichtet. Doch dann verharrte sie, als habe sie es sich anders überlegt. Sie blieb stehen und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Halt den Mund und mach den Safe auf. Sofort.“

Für einen kurzen Augenblick stand er wie gelähmt da. „Wie du meinst.“

Mit etwas Glück würde sie unvorsichtig sein und ihm zu nahe kommen.

Mit langen Schritten ging er zu der Wand, in die der Safe eingelassen war, und schob die Holzverkleidung zur Seite. Verärgert drehte er den Zahlenknopf hin und her. Rechts, links, rechts. Dann klickte der Schließmechanismus hörbar, und die Tür öffnete sich.

„Frankie“, ertönte eine Stimme. „Beeil dich.“

Marcos hielt inne und versuchte auszumachen, wo die Stimme herkam. Sie hatte seltsam dünn und entfernt geklungen.

„Frankie!“, erklang es wieder, dieses Mal lauter.

„Sei still“, flüsterte die Frau. „Ich bin jetzt am Safe.“

Das war es: Sie trug ein Walkie-Talkie bei sich und stand per Funk mit einem Komplizen in Kontakt. Sehr ungewöhnlich und unvorsichtig für einen professionellen Dieb. Noch ein Puzzleteil, das es zu bedenken galt.

„Weg vom Safe!“, befahl sie Marcos. Die Pistole schimmerte im Mondlicht auf, als sie ihm damit die Richtung wies. „Und halt die Hände so, dass ich sie sehen kann.“

Marcos ging vorsichtig rückwärts, die Hände auf Schulterhöhe. Erst als er fast an der gegenüberliegenden Wand stand, bewegte sich die Frau. Der Lichtkegel einer Taschenlampe blitzte auf und glitt über den Inhalt des Safes – dann wirbelte die Frau herum.

„Er ist nicht da!“, entfuhr es ihr ungläubig. „Wo ist er?“

Fast tat sie ihm leid. Jedoch nur fast. „Es gibt viele andere Diamanten auf der Welt. Stiehl die stattdessen.“

„Der Corazón del Diablo!“, stieß sie mit bebender Stimme hervor. „Wo ist er?“

„Nicht hier“, antwortete er lakonisch.

„Das kann nicht sein. Man hat mir versichert …“ Die Waffe war wieder voll auf ihn gerichtet, während ihre Stimme keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit ließ. „Wo hast du ihn versteckt?“

„Vergiss es … Frankie“, sagte er gelassen und betonte den Namen, den die Walkie-Talkie-Stimme benutzt hatte, nachdrücklich. Was hatte man ihr versichert? Und wer? „Du hast versagt. Jetzt nimm, was da ist, und verschwinde.“

„Du hast hier gar nichts zu sagen, Navarre. Mir schreibst du nicht mehr vor, was ich tun oder lassen soll!“, fuhr sie ihn an. „Nie wieder“, fügte sie so leise hinzu, dass er nicht sicher war, ob er richtig gehört hatte. Nie wieder?

„Wer bist du?“, fragte er. Nur mühsam hielt er den Zorn, der in ihm brannte, im Zaum.

Doch bevor sie eine Antwort geben konnte – oder ihm befehlen, gefälligst den Mund zu halten, was wahrscheinlicher war –, hatte er blitzschnell den Arm ausgestreckt und den Lichtschalter betätigt.

„Ah! Mistkerl!“, rief sie und blinzelte wild in das helle Licht, das das Zimmer durchflutete. Dennoch wich der Lauf ihrer Pistole keinen Millimeter von ihm ab.

Aber das war ihm mit einem Mal gleichgültig. Diese Frau, diese Frankie, sah einfach hinreißend aus. Ihr braunes Haar mit hellen Strähnen war im Nacken zu einem dicken Knoten zusammengebunden. Der Größe des Knotens nach zu urteilen, musste ihr Haar sehr lang sein, wenn sie es offen trug. Ihre helle makellose Haut wies einen golden schimmernden Teint auf. Mit grünbraunen Augen funkelte sie ihn herausfordernd an. Sie trug einen schwarzen Arbeitsoverall, der ihr eine Nummer zu klein war, sodass er ihre üppigen Kurven wie eine zweite Haut umhüllte.

Sie sah wütend und entschlossen aus, zu allem bereit. Aber als sie sich auf ihre schöne volle Unterlippe biss, wusste er, dass sie nicht ansatzweise so hart gesotten war, wie es schien. Ihre Verletzlichkeit ließ eine Woge heißen Verlangens durch seinen Körper rollen.

Dios. Jetzt war wirklich nicht der richtige Moment, eine Frau in Gedanken auszuziehen. Schon gar nicht, wenn sie eine Pistole auf sein Herz gerichtet hielt. Marcos drängte seine Lust zurück und versuchte stattdessen, sich ihr Aussehen, so gut es ging, einzuprägen. Sollte sie entkommen, war es wichtig, sich möglichst genau an ihr Aussehen zu erinnern.

Denn eines war sicher: Verletzliche Frau hin oder her – er würde sie jagen, bis er sie erwischte. Sie würde für die Dummheit bezahlen, zu glauben, man könne Marcos Navarres Erbe stehlen und einfach so damit durchkommen.

„Wer bist du, Frankie? Und was willst du mit der Kette?“

Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich ihre Augen. Die Pistole in ihrer Hand zitterte leicht. Wie seltsam – gerade eben war sie noch die Ruhe selbst gewesen.

„Du weißt wirklich nicht, wer ich bin, oder?“ Sie lachte auf, aber es klang gequält. „Mein Gott, natürlich weißt du es nicht. Du bist so unglaublich egoistisch, Marcos Navarre. Egoistisch und kalt.“

Der vage Schatten einer Erinnerung regte sich in einem entlegenen Winkel seines Gedächtnisses, aber Marcos wischte ihn abrupt beiseite. Er hatte jetzt keine Zeit, ihm nachzuspüren. Das einzig Wichtige war, sich diese Frau einzuprägen, bevor sie entkam. Und sie wenn möglich zu entwaffnen und zu überwältigen. „Der Corazón del Diablo gehört mir“, sagte er. „Und du wirst ihn mir nicht stehlen. Nimm das, was da ist. Oder erschieß mich endlich.“

„Das würde ich zu gerne“, erwiderte sie mit hasserfüllter Stimme. „Glaub mir, nur zu gerne. Aber ich will die Kette, Navarre. Und du wirst sie rausrücken – so oder so.“

Francesca spürte, wie Wut ihr die Kehle zuschnürte. Als er das Licht eingeschaltet hatte, hatte sie für einen Augenblick geglaubt, sie müsse sterben. Ein mitleidsvoller Blick oder ein enttäuschtes Kopfschütteln von ihm hätte genügt, ihren Willen und ihre Entschlossenheit wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen zu lassen.

Aber seine Augen hatten keine Spur von Wiedererkennen gezeigt, sein Körper hatte sich nicht ruckartig aufgerichtet – nichts deutete darauf hin, dass er auch nur den blassesten Schimmer hatte, wer sie war.

Diese Tatsache schmerzte sie. Es verletzte sie tief, dass er sich nicht im Mindesten an sie erinnerte. Wobei sie doch diejenige gewesen war, die ihm den Corazón del Diablo damals gegeben hatte! Wie ein dummes kleines Mädchen, verliebt bis über beide Ohren, hatte sie ihm den Diamanten gewissermaßen auf einem goldenen Tablett serviert – und ihr Herz gleich mit dazu.

Was dann geschehen war, hätte jeder Mensch außer ihr vorhersehen können: Er hatte die Kette behalten und ihr Herz in den Staub fallen lassen. Zu spät hatte sie die Wahrheit erkannt. Er hatte ihr genau so lange vorgespielt, etwas für sie zu empfinden, bis sie ihm den Diamanten überlassen hatte – und keine Sekunde länger.

Das Herz des Teufels machte seinem Namen alle Ehre. Sie hatte es dem Teufel gegeben und war dafür mit nichts als Herzschmerz belohnt worden.

Jetzt stand er wieder vor ihr, in seinem maßgeschneiderten Smoking, arrogant und gleichzeitig teuflisch attraktiv. Aus seinem Blick sprach Abscheu, als betrachte er ein hässliches Insekt. Und trotzdem pochte ihr dummes Herz wie wild in ihrer Brust.

Er sah immer noch unverschämt gut aus. Groß und breitschulterig. Neben ihm verblasste jeder Filmstar. Wie damals schimmerte auf seiner Wange die helle zickzackförmige Narbe, die bis zum Mundwinkel reichte. Ein lang zurückliegender tragischer Unfall, hatte sie sich immer vorgestellt. Die Narbe entstellte ihn keineswegs, im Gegenteil, sie unterstrich seine dunkle südamerikanische Maskulinität. Wenn es einen perfekten Latin Lover gab, dem die Frauen zu Füßen lagen, dann war er es.

So wie sie es getan hatte.

Ihr ganzes Leben war durch diesen einen Fehler ruiniert worden, den Fehler, Marcos Navarres zärtlich dahingehauchten Lügen und seinem unwiderstehlichen Sex-Appeal zu erliegen. Tatsächlich hatte sie geglaubt, dass es eine gemeinsame Zukunft für sie und ihn gebe, wenn sie nur tat, was er verlangte. Dumm war sie gewesen, sträflich dumm. Wie hätte ein Mann wie er je ein dickes, schüchternes, hässliches Mädchen wie sie lieben können?

Natürlich hatte er es nicht gekonnt. Ihre Schwester hatte versucht, sie zu warnen, aber sie hatte nicht auf sie gehört. Stattdessen hatte sie Livia Eifersucht unterstellt. Die bezaubernde Livia. Die, für die sich Marcos eigentlich hätte interessieren sollen. Francesca hatte seine Heuchelei nicht wahrhaben wollen und sie alle mit ihrer Sucht, geliebt zu werden, ins Unglück gestürzt.

Doch er hatte sie alle hinters Licht geführt, rief sie sich in Erinnerung. Er hatte sie alle mit seinem Charme betört.

Aber was spielte das noch für eine Rolle? Es war ihre Schuld, dass die Navarres die Firma D’Oro Shipping zerstört hatten. Sie trug die Verantwortung dafür, dass ihr Vater sich erschossen hatte, und auch dafür, dass ihre Mutter sich in einem zugigen alten Landhaus hoch oben im Bundesstaat New York an die kläglichen Reste ihres Reichtums klammerte. Auch ihre Schwester Livia wechselte kaum noch ein Wort mit ihr.

Alle ihre Entscheidungen waren falsch gewesen, und sie hatte dafür mit weitaus Schlimmerem als nur mit verletztem Stolz büßen müssen.

Doch sie würde sich vom Leben nicht mehr herumschubsen lassen. Nie mehr würde sie einfach so tatenlos zusehen, wie ihr ein geliebter Mensch genommen wurde. Ihr Griff schloss sich fester um das kühle Metall der Waffe.

Jacques durfte nicht sterben – nicht, wenn sie es verhindern konnte. Der alte Mann hatte sie bei sich aufgenommen, als sie nach dem Tod ihres Vaters davongelaufen war, hatte ihr eine Arbeit gegeben und ihr alles beigebracht, was sie über das Schmuck- und Edelsteingeschäft wusste. Er war es gewesen, der sich um sie gekümmert hatte, als sie die schwärzesten Stunden ihres Lebens durchlitten hatte. Damals hatte sie sterben wollen, so wie ihr Kind, das sie niemals hatte im Arm halten können.

Nach Marcos’ Verrat hatte es Jahre gedauert, bis sie wieder einen Mann in ihr Leben gelassen hatte: Robert. Als sie unbeabsichtigt schwanger geworden war, hatte sie sich für das Kind entschieden. Robert hatte es nicht gewollt, war aber noch einige Monate aus Anstand mit ihr zusammengeblieben. Sogar verlobt hatte er sich mit ihr, und es hatte so ausgesehen, als wäre er bereit, die Rolle des Ehemanns und Vaters zu übernehmen. Bis ihr Bauch immer dicker geworden war und er sie schließlich verlassen hatte.

Und so war Jacques der einzige Mensch, der für sie da gewesen war, als sie ihr Kind auf so furchtbare Weise verloren hatte.

Dafür liebte sie ihn und stand in seiner Schuld.

„Die Kette, Marcos“, wiederholte sie mit fester Stimme und zeigte mit der Waffe erneut auf sein Herz. „Jetzt.“

„Sie ist nicht hier, querida. Du verschwendest deine Zeit.“

Francesca senkte den Lauf der Pistole und zielte auf seinen Schritt. „Dich zu töten wäre vielleicht zu viel des Guten. Aber womöglich muss die Frauenwelt in Zukunft sehen, wie sie ohne deine Fähigkeiten als Liebhaber auskommt … Du kannst mir glauben, ich bin ein guter Schütze!“

Nach dem Überfall hatte sie tatsächlich schießen gelernt. Zwar würde sie niemals absichtlich einen anderen Menschen verletzen, aber bei diesem Mann hatte sie keinerlei Skrupel, ihn zumindest glauben zu lassen, dass sie es tun würde.

Seine Stimme war ein zorniges, hasserfülltes Knurren, als er antwortete. „Damit kommst du nicht durch, Frankie! Ich werde dich finden. Und wenn ich dich gefunden habe, wirst du dir wünschen, mich nie getroffen zu haben.“

Das Herz in ihrer Brust hämmerte wie wild, aber sie ignorierte es. „Das wünsche ich mir jetzt schon. Jetzt gib mir endlich den Diamanten – oder willst du später keine Kinder haben?“

Bitterkeit erfüllte sie bei diesen Worten. Was für eine Ironie, ihm mit etwas zu drohen, was sie keiner Seele jemals wünschen würde. Doch es ging nicht anders. Sie musste hart, kalt und rücksichtslos sein – genau wie er.

In dem starrenden Blick seiner tiefschwarzen Augen loderte ohnmächtige Wut. Hätten Blicke töten können, wäre sie auf der Stelle tot umgefallen. Seine markanten Kiefer bewegten sich lautlos. Wie in Zeitlupe hob er die Hand und zog den Knoten seiner Fliege auf. Dann riss er sie sich mit einem Ruck ab und ließ sie zu Boden fallen.

Nur mit Mühe konnte Francesca ruhig atmen, als er die obersten Hemdknöpfe öffnete und die kleine weiche Mulde zwischen Brust und Hals zum Vorschein kam.

„Was soll das? Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, den Verführer zu spielen, Navarre“, sagte sie eisig.

Seine Finger tauchten unter den schneeweißen Hemdstoff und kamen mit einer silbernen Kette wieder zum Vorschein. In einer gleitenden Bewegung zog er sie über den Kopf und warf sie in Francescas Richtung. Geschickt fing sie sie auf.

Das Metall der Kette war warm von seiner Haut, aber auf ihrer Handfläche fühlte es sich wie glühendes Feuer an. Instinktiv schloss sie fest die Finger darum. Erst jetzt bemerkte sie, dass ein Schlüssel an der Kette hing.

„Was soll ich damit?“, fragte sie.

„Unter dem Bett liegt eine Stahlkassette. Der Diamant ist darin.“

Zu einfach, viel zu einfach … Er hat irgendetwas vor …

Aber vielleicht war ihm der Erhalt seiner Zeugungskraft auch einfach nur wichtiger als der Besitz einer Kette. Typisch. Und genau die Reaktion, die sie mit ihrer Drohung beabsichtigt hatte.

Francesca zeigte mit der Pistole in Richtung Schlafzimmer. „Du holst mir den Stein!“

Marcos zuckte gleichgültig die Schultern und ging dann auf die Schlafzimmertür zu. Sie folgte ihm, hielt aber Abstand, falls er plötzlich herumwirbeln sollte. Ihm war alles zuzutrauen. Zwar hatte sie ihn nie wirklich gekannt, aber so viel war sicher, dass er ein gefährlicher Mann war.

Hinter seinem unwiderstehlichen Äußeren verbarg sich etwas Teuflisches.

Genau das war es, was sie ursprünglich so angezogen hatte. Seine düstere, manchmal schroffe, doch stets sinnliche Männlichkeit, hinter der sich dunkle Geheimnisse zu verbergen schienen, von denen sie sich als behütete Tochter kaum einen Begriff machen konnte. Der Hauch von Abenteuer und Gefahr, der ihn umwehte. Und die Art, wie er nur für sie zu lächeln schien.

Francesca verkniff sich ein verächtliches Aufschnauben.

Das naive Mädchen, das sie einmal gewesen war, gab es nicht mehr. Die Frau, die sie jetzt war, kannte Schmerzen und düstere Geheimnisse selbst zur Genüge.

Sie blieb auf der Türschwelle stehen, während er zu dem riesigen Doppelbett hinüberging, das den Raum beherrschte. Die seidenbezogene Decke war einladend zurückgeschlagen. Auf dem Nachttisch ragte eine Flasche Champagner aus einem silbernen Kühler, auf dem winzige Wassertropfen glitzerten, daneben standen zwei Gläser aus feinem Kristallglas.

Francesca spürte, wie prickelnde Hitze sie bis in die Finger- und Zehenspitzen durchflutete. Selbstverständlich erwartete er eine Frau – was hatte sie gedacht? Erwartete er nicht immer eine Frau?

Sie musste die Kette an sich bringen und verschwinden, bevor sein Betthäschen kam. Eine weitere Person würde alles nur komplizierter machen. Aber vielleicht spekulierte er genau darauf – dass seine Geliebte kam und sie so abgelenkt wurde.

„Los, beeil dich!“, drängte sie ihn, als er neben dem Bett auf die Knie ging. „Und keine Tricks. Ich schwöre dir, ich erschieße dich wirklich!“

Gelassen wandte er den Blick zu ihr. „Wen versuchst du zu überzeugen? Mich oder dich?“

„Fordere mich nicht heraus, Marcos!“ Sie nahm die Waffe fester in die Hand. „Nur mit einer Hand“, befahl sie, als er sich daranmachte, unters Bett zu greifen.

Autor

Lynn Raye Harris

Lynn Raye Harris las ihren ersten Harlequin Mills & Boon Roman als ihre Großmutter mit einer Kiste Bücher vom Flohmarkt zurück kam. Sie wusste damals noch nicht, dass sie eines Tages selber Schriftstellerin werden wollte. Aber sie wusste definitiv, dass sie einen Scheich oder einen Prinzen heiraten und ein so...

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