Herz an Herz mit dem Boss?

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Das azurblaue Meer, Palmen, die sich im Wind wiegen, schneeweißer Strand und neben sich einen wahren Traummann: Jamie könnte so glücklich sein auf dieser karibischen Insel! Wenn nicht Ryan, der Mann neben ihr, ihr Boss wäre! Und sie kein gebranntes Kind: Schon einmal wurde sie enttäuscht, weil sie sich in den falschen Mann - ihren damaligen Chef! - verliebte. Das darf ihr nicht wieder passieren. Und doch: Wenn sie in Ryans Augen blickt, beginnt ihr Puls zu rasen. Aber sie kann ihm ihr Herz nicht schenken - die Gefahr ist zu groß, dass sie erneut tief verletzt wird …


  • Erscheinungstag 11.12.2012
  • Bandnummer 2053
  • ISBN / Artikelnummer 9783954461400
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jamie war spät dran. Seitdem sie für Ryan Sheppard arbeitete, würde sie zum ersten Mal zu spät kommen. Eingepackt in ihren dicken Wintermantel stand sie auf dem Bahnsteig und sah alle zehn Sekunden auf die Uhr.

Ryan Sheppard hasste es, wenn man zu spät kam. Jamie konnte sich zugutehalten, dass sie in den vergangenen achtzehn Monaten stets überpünktlich gewesen war – doch das hieß nicht, dass er nun nachsichtiger mit ihr sein würde.

Als die Bahn schließlich einfuhr, hatte Jamie die Hoffnung, vor halb zehn im Büro zu sein, bereits aufgegeben. Widerwillig dachte sie an den Grund dafür, warum sie das Haus erst eine Stunde später verlassen hatte als sonst, und der Gedanke an ihre Schwester ließ sie alles andere vergessen. Sie fühlte, wie sie sich immer mehr verspannte, und als sie das auffällige, hochmoderne Gebäude erreichte, das RS Enterprises beherbergte, konnte sie ihre Kopfschmerzen nicht mehr leugnen.

Hinter dieser stattlichen Fassade befand sich das Herzstück des Firmenkonglomerats ihres Chefs, das seine Arme in die unterschiedlichsten Richtungen ausstreckte. Ein Heer von hoch qualifizierten, hoch motivierten und hoch bezahlten Angestellten hielt alles am Laufen, auch wenn um Viertel vor zehn kaum einer davon zu sehen war. Die meisten saßen an ihren Schreibtischen und sorgten dafür, dass in seinem Konzern alles glattging.

Normalerweise saß auch sie um Viertel vor zehn an ihrem Schreibtisch und machte ihre Arbeit.

Aber heute …

Um das Gesicht ihrer Schwester aus ihren Gedanken zu vertreiben, zählte Jamie bis zehn, dann fuhr sie mit dem Aufzug hoch in die Vorstandsetage.

Sie öffnete die Bürotür – überflüssig, herauszufinden, in welcher Laune er sich befand. Normalerweise würde er entweder nicht da sein und ihr eine Mail geschickt haben, in der er sie darüber informierte, was sie in seiner Abwesenheit zu erledigen hatte, oder er würde in seine Arbeit versunken am Schreibtisch sitzen.

Heute saß er zurückgelehnt auf seinem Schreibtischsessel, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Füße auf den Tisch gelegt.

Sogar nach achtzehn Monaten konnte Jamie noch immer nicht mit der Autorität umgehen, die von Ryan Sheppard ausging, von diesem unerträglich anziehenden und verwirrend ungewöhnlichen Mann, der ganz anders war, als man sich einen erfolgreichen Unternehmer vorstellte.

Lag es daran, dass das Kerngeschäft der Firma Computersoftware war, ein Bereich, in dem Köpfchen und Kreativität wichtiger waren als Anzüge und hochglanzpolierte Schuhe? Oder lag es daran, dass Ryan Sheppard sich so wohl in seiner Haut fühlte, dass er sich keine großen Gedanken darüber machte, was er anhatte oder was die anderen über ihn dachten?

Jedenfalls sah man ihn selten im Anzug, und wenn, dann nur, wenn er sich mit Geldgebern traf. Doch Jamie war recht schnell zu dem Schluss gekommen, dass selbst dann noch alle nach seiner Pfeife tanzen würden, wenn er in Badehosen bei einem Meeting erscheinen würde.

Sie wartete geduldig ab, während er einen bedeutsamen Blick auf die Uhr warf, die Stirn runzelte und Jamie mit seinen dunklen Augen durchdringend ansah.

„Du bist zu spät.“

„Ich weiß. Es tut mir sehr leid.“

„Du bist sonst nie zu spät.“

„Ja, also, der unzuverlässige öffentliche Nahverkehr Londons ist schuld, Sir.“

„Ich hasse es, wenn du mich Sir nennst. Falls ich irgendwann zum Ritter geschlagen werde, können wir noch einmal darüber reden, aber bis dahin heiße ich Ryan. Und du bist nicht die Einzige, die Bus oder Bahn benutzt, aber außer dir ist niemand zu spät gekommen.“

Jamie wusste nicht, was sie sagen sollte. Da sie sich die Zeit genommen hatte, sich kurz in dem luxuriösen, marmorgetäfelten Waschraum am Ende des Ganges frisch zu machen, wusste sie, dass sie nicht mehr so besorgt und verschreckt aussah wie vor zwanzig Minuten, als sie aus der U-Bahn gestiegen war. Aber ihre Nerven lagen weiterhin blank.

„Könnten wir nicht einfach mit der Arbeit anfangen und … und … Ich hole die Zeit nach, die ich zu spät gekommen bin. Ich kann die Mittagspause durcharbeiten“, versuchte sie der unangenehmen Situation auszuweichen und setzte sich an ihren Platz.

„Wenn es nicht an den öffentlichen Verkehrsmitteln liegt, dass du zu spät bist, woran liegt es dann?“ Seit eineinhalb Jahren versuchte Ryan, hinter die ruhige, undurchdringliche Fassade seiner übertüchtigen Sekretärin zu blicken, um den Menschen zu sehen, der sich dahinter verbarg. Doch die 28-jährige Jamie Powell mit ihrem gepflegten, kinnlangen braunen Haar und ihren coolen braunen Augen blieb ihm ein Rätsel.

Er schwang seine Füße vom Tisch und beugte sich vor, um sie neugierig zu mustern. „Anstrengendes Wochenende? Lange gefeiert? Kater?“

„Natürlich habe ich keinen Kater!“

„Nein? Es spricht ja nichts dagegen, sich ab und zu mal ein bisschen gehen zu lassen. Ganz im Gegenteil, ich bin ja der Meinung, dass das gut für die Seele ist.“

„Ich trinke nicht.“ Solche Vermutungen wollte Jamie gar nicht erst aufkommen lassen. Bei RS Enterprises verbreiteten sich Gerüchte in Windeseile, und Jamie wollte auf keinen Fall, dass irgendjemand dachte, dass sie ihre Wochenenden im Alkoholrausch verbrachte. Genau genommen wollte sie nicht, dass überhaupt irgendjemand irgendetwas über sie dachte. Sie wusste es aus eigener Erfahrung: Wenn man etwas mit den Kollegen unternahm, ab und zu aus sich herausging und ein entspanntes Verhältnis zu seinem Chef aufbaute, konnte es ganz schnell kompliziert werden. Genau das war ihr passiert und sie hatte nicht vor, so etwas noch einmal mitzumachen.

„Sehr löblich!“, gratulierte Ryan mit gespieltem Ernst. „Also können wir den bösen Alkohol schon einmal ausschließen. Hat dein Wecker vielleicht versagt? Oder …“

Er lächelte sie an. Kein Wunder, dass er so gut bei Frauen ankam. Bei jemandem, der sich nicht unter Kontrolle hatte, konnte dieses Lächeln eine Gänsehaut verursachen. „Vielleicht“, fuhr er fort, „gab es da jemanden in deinem Bett, der das Aufstehen an einem kalten Dezembermorgen noch schwerer gemacht hat …?“

„Ich möchte mit Ihnen nicht über mein Privatleben sprechen, Sir – Entschuldigung, Ryan.“

„Damit bin ich auch völlig einverstanden, solange es sich nicht auf deine Arbeit auswirkt. Aber der Umstand, dass du erst um zehn Uhr hier aufgetaucht bist, erfordert doch eine Erklärung. Und es reicht nicht aus, mich mit dem Versprechen, die Mittagspause durchzuarbeiten, abzuspeisen. Ich bin ein äußerst verständnisvoller Mensch“, fuhr er fort, klopfte mit dem Stift auf den Schreibtisch und musterte ihr verschlossenes Gesicht. „Ich gebe dir sehr gern frei, wenn irgendetwas Dringendes ist. Weißt du noch, als das mit dem Klempner war?“

„Das war ein einziges Mal!“

„Und was ist mit letzten Weihnachten? Da habe ich dir großzügigerweise einen halben Tag freigegeben, damit du deine Weihnachtseinkäufe erledigen konnest.“

„Aber da hast du allen einen halben Tag freigegeben.“

„Eben! Was beweist, dass ich ein verständnisvoller Mensch bin. Und darum finde ich, dass ich eine vernünftige Erklärung für dein Zuspätkommen verdient habe.“

Jamie atmete tief ein und machte sich bereit, etwas von ihrem Privatleben preiszugeben. Sie würde ihn mit einem Minimum an Information zufriedenstellen, denn wenn sie gar nichts sagte, würde Ryan sie weiterhin belagern wie ein Bullterrier seinen Knochen.

So war er – seine Hartnäckigkeit war schon fast krankhaft. Sie nahm an, dass er es deshalb geschafft hatte, aus der winzigen, schwächelnden Computerfirma seines Vaters einen florierenden multinationalen Konzern zu machen. Hinter seinem anziehenden, relaxten Äußeren verbarg sich ein Mann mit starkem Geschäftssinn, der sagte, wo es langging und zusah, wie alle andern sich ihm fügten.

Gerade als sie den Mund öffnete, um ihm eine gekürzte Version dessen, was vorgefallen war, vorzutragen, wurde seine Bürotür aufgerissen. Und zwar so theatralisch, dass sich beide im gleichen Moment nach der langbeinigen, blonden, blauäugigen Frau umdrehten, die ins Büro hineingerauscht kam. Ihr üppiges langes Haar wogte, und über dem Arm trug sie einen dicken roten Mantel.

Sie warf den Mantel mit einer so übertriebenen Geste auf den nächstbesten Stuhl, dass Jamie sich sehr anstrengen musste, nicht laut loszulachen.

Ryan Sheppard hatte keine Skrupel, seine Frauen zu sich ins Büro kommen zu lassen, sobald er Feierabend gemacht hatte. Jamie nahm an, dass dies der Arroganz eines Mannes geschuldet war, der mit einem Kopfnicken jede Frau bekam, die er haben wollte. Warum sollte er sich die Mühe machen, um neun Uhr abends zu einer Frau nach Hause zu gehen, wenn sie genauso gut in sein Büro kommen konnte und er sich so den Weg sparte? Als es einmal besonders hektisch zuging und seine Angestellten bis spät in die Nacht angespannt arbeiteten, hatte sie beobachten können, wie er in einer höchst romantischen Geste seine Mitarbeiter nach Hause geschickt hatte, damit er seine Geliebte im Büro mit chinesischem Fast Food bewirten konnte. Nicht ein einziges Mal hatte Jamie mitbekommen, dass irgendeine seiner Frauen sich beklagt hätte. Sie lächelten und sahen bewundernd zu ihm auf, und wenn sie ihm langweilig zu werden begannen, wurden sie auf taktvolle und teure Weise abgeschoben. Und sein Charme wirkte so nachhaltig, dass es ihm gelang, mit dem größten Teil seiner Exfreundinnen ein freundschaftliches Verhältnis aufrechtzuerhalten.

Aber soweit sie sich erinnerte, hatte es etwas wie das hier noch nie gegeben – zumindest nicht, seitdem sie für ihn arbeitete.

Jamie konnte sich ein Lachen über diese komische Situation nicht mehr verkneifen. Rasch versuchte sie, es als Hustenanfall zu tarnen, doch als sie ihn ansah, warf er ihr einen finsteren Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der aufgebrachten Schönheit zuwandte, die vor seinem Schreibtisch stand.

„Leanne …“

„Ich fasse es nicht, dass du es wagst, einfach am Telefon Schluss zu machen!“

„Nach Tokyo zu fliegen, um es dir ins Gesicht zu sagen, kam nicht infrage“, antwortete er und warf einen kurzen Blick auf Jamie, die gerade aufstehen wollte, weil sie den Kummer und den Ärger der aktuellen Exfreundin ihres Chefs lieber nicht mit ansehen wollte. Doch Ryan bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, dass sie bleiben solle.

„Du hättest warten können, bis ich zurück bin!“

Ryan seufzte und rieb sich die Augen. Dann stand er auf und ging um seinen Schreibtisch herum, um sich auf dessen Kante zu setzen.

„Beruhige dich“, sagte er mit perfekt modulierter Stimme, in der allerdings eine kalte Drohung mitschwang. Leanne, die den Unterton nicht überhörte, schnappte nach Luft.

„Denk an unsere letzten beiden Treffen“, fuhr er erbarmungslos ruhig fort, „dann erinnerst du dich vielleicht daran, dass ich bereits angedeutet habe, dass unsere Beziehung vorbei ist.“

„Aber das hast du doch nicht so gemeint!“ Sie warf ihre blonde Mähne zurück.

„Es ist nicht meine Art, Dinge zu sagen, die ich nicht meine. Aber du wolltest es nicht wahrhaben, und so blieb mir nichts anderes übrig, als es in aller Deutlichkeit auszusprechen.“

„Aber ich dachte, dass da mehr zwischen uns sei. Ich hatte noch einiges vor mit dir! Und was …“, Leanne warf Jamie, die zu Boden starrte, einen finsteren Blick zu, „… was macht sie hier? Ich will, dass wir das unter uns ausmachen! Und nicht in Anwesenheit deiner langweiligen kleinen Sekretärin, die alles genau mit anhört und sich Notizen macht, damit sie jedem in der Firma Bericht erstatten kann.“

Klein? Ja. Eins dreiundsechzig konnte man kaum als groß bezeichnen. Aber langweilig? Diese Bezeichnung hätte Jamie verletzt, wenn sie von irgendjemand anderem gekommen wäre als von Leanne. Wie alle Frauen in Ryans Leben war Leanne eine Schönheit, die für Frauen, die sich nicht so sehr um Äußerlichkeiten kümmerten, nur Geringschätzung übrig hatte.

Jamie warf der hochgewachsenen Blondine mit den blauen Augen einen verächtlichen Blick zu.

„Jamie ist hier“, antwortete Ryan kühl, „weil das hier, falls du es noch nicht bemerkt hast, mein Büro ist, und wir gerade mitten in der Arbeit stecken. Ich glaube, ich hatte dir klar gesagt, dass ich es nicht leiden kann, wenn ich bei der Arbeit gestört werde. Egal wann. Und egal von wem.“

„Ja, aber …“

Er ging zu dem Stuhl, auf den sie ihren Mantel geworfen hatte, und reichte ihn ihr. „Du bist verärgert, und ich entschuldige mich bei dir. Aber jetzt würde ich vorschlagen, dass du sowohl mein Büro als auch mein Leben mit Würde verlässt. Du bist eine schöne Frau und wirst keine Probleme haben, jemanden zu finden, der mich ersetzt.“

Fasziniert beobachtete Jamie, wie in Leanne Stolz und Wut gegen Selbstmitleid und den Wunsch, ihn anzuflehen, kämpften. Doch am Ende ließ sie sich in ihren Mantel helfen, und als sie die Tür hinter sich schloss, tat sie das wesentlich weniger stürmisch als beim Hereinkommen.

Jamie starrte weiter vor sich hin und wartete darauf, dass Ryan etwas sagen würde.

„Wusstest du, dass sie zu mir wollte?“, fragte er abrupt. „Bist du deswegen ausgerechnet heute zwei Stunden zu spät gekommen?“

„Natürlich nicht! Ich bin nicht gerade scharf darauf, in deine Privatangelegenheiten hineingezogen zu werden.“ Obwohl genau das schon vorgekommen war: Sie hatte Geschenke für die Frauen gekauft, Blumen ausgesucht und bringen lassen und Theaterkarten vorbestellt. Einmal hatte er sie sogar zu einem Nobelwagenhändler mitgenommen und sie gefragt, für welche Farbe er sich entscheiden sollte, als er einer Frau, mit der er nur ein paar Wochen lang zusammen war, einen Porsche kaufen wollte. Obwohl er nie eine längere Beziehung im Sinn hatte, war er ein großzügiger Liebhaber. „Und es gefällt mir nicht, wenn du mich bezichtigst, gemeinsame Sache mit deinen Tus… Freundinnen zu machen.“

Sie fühlte, wie sie errötete. Ryan sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich frage nur, weil du Leannes Auftritt eben offenbar etwas Komisches abgewinnen konntest. Ich könnte schwören, dich lachen gehört zu haben.“

Jamie sah ihn an. Er hatte sich wieder auf die Tischkante gesetzt, seine langen Beine, die in Jeans steckten, ausgestreckt und die Füße übereinandergelegt. Mit hochhackigen Schuhen war Leanne mindestens einen Meter dreiundachtzig groß, und trotzdem hatte er sie noch um ein gutes Stück überragt.

„Es tut mir leid. Das war unangemessen.“ Doch sie musste sich sehr beherrschen, um nicht wieder loszulachen, und sah auf ihre gefalteten Hände hinab.

Als sie wieder aufsah, stand er vor ihr, und bevor sie mit ihrem Stuhl wegrücken konnte, hatte er sich zu ihr heruntergebeugt, die Hände auf die Stuhllehnen gestützt und sein Gesicht so nah an ihrem, dass sie sah, wie ungewöhnlich lang seine Wimpern waren und dass seine dunklen Augen leicht goldgesprenkelt waren. Er kam ihr so nah, dass sie die Hand nur wenige Zentimeter hätte heben müssen, um ihm über die Wange zu streichen und seine Bartstoppeln an den Fingern zu spüren.

Verwirrt von diesem abwegigen Gedanken kämpfte Jamie gegen ein flaues Gefühl im Magen an und sah Ryan unverwandt ins Gesicht, obwohl sie ihr eigenes Herz wie verrückt schlagen hörte.

„Was mich interessiert“, sagte er sanft, „ist, was genau du daran so lustig fandest.“

„Warum willst du das wissen?“

„Weil ich gern wüsste, was im Kopf meiner Sekretärin vor sich geht. Das mag verrückt klingen, aber ich glaube, dass das die Zusammenarbeit wesentlich leichter macht.“ In Wirklichkeit glaubte Ryan nicht, dass es irgendjemanden gab, mit dem die Arbeit angenehmer gewesen wäre. Jamie besaß eine verblüffende Fähigkeit, sein Handeln vorauszusehen, und ihre Ruhe bildete einen angenehmen Gegenpol zu seiner Sprunghaftigkeit.

Nachdem seine treue Sekretärin mittleren Alters, die ihm fast zehn Jahre lang gute Dienste geleistet hatte, nach Australien ausgewandert war, hatte er sich drei Jahre lang mit unfähigen Sekretärinnen herumgeärgert, die sich dummerweise alle in ihn verliebt hatten.

Jamie Powell hingegen arbeitete wirklich für ihn, ganz unabhängig davon, was in ihrem Kopf vorging oder was sie über ihn dachte. Trotzdem überkam ihn plötzlich das Bedürfnis, sie aus der Reserve zu locken.

Er richtete sich auf und ging zu dem Sofa, welches ihm auch als Bett diente, wenn er so lange arbeitete, dass es das Einfachste war, im Büro zu übernachten.

Widerwillig drehte sich Jamie mit ihrem Stuhl in seine Richtung und fragte sich, wie viele milliardenschwere Chefs in Jeans und verblichenem Pulli die Arbeit unterbrachen und sich mit hinter dem Kopf verschränkten Händen auf ihrem Sofa ausstreckten, um Dinge zu fragen, die sie nichts angingen.

Ihr lief ein nervöser Schauer den Rücken hinunter. Hätte sie diese Stelle angenommen, wenn sie gewusst hätte, was sie erwartete?

„Ich werde nicht dafür bezahlt, dir meine Meinung über dein Privatleben mitzuteilen“, sagte sie in einem letzten Versuch, das Thema zu wechseln.

„Keine Sorge. Du hast hiermit die Erlaubnis, zu sagen, was du denkst.“

Jamie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Dies war das erste Mal, dass er nicht von ihr abließ, obwohl er wusste, dass seine Neugierde bei ihr nicht auf fruchtbaren Boden fiel.

„Na gut.“ Sie sah ihn ruhig an. „Ich war überrascht darüber, zu erleben, dass eine deiner Freundinnen es wagt, ins Büro zu stürmen und dir die Meinung zu sagen. Ich fand es lustig, darum musste ich lachen. Und wenn ich das Büro verlassen hätte, als ich es wollte, hätte ich nicht gelacht. Aber du hast mich gebeten zu bleiben. Also kannst du mir meine Reaktion nicht zum Vorwurf machen.“

Ryan setzte sich auf und sah sie aufmerksam an. „Siehst du? Ist es nicht befreiend, sich auszusprechen?“

„Ich weiß, dass es dir Spaß macht, mich durcheinanderzubringen.“

„Bringe ich dich durcheinander?“

Jamie wurde rot und kniff die Lippen zusammen. „Im Bezug auf Frauen scheinst du keinerlei Sitte oder Anstand zu kennen“, sagte sie knapp. „Ich arbeite erst ein wenig länger als ein Jahr für dich, und in der Zeit hattest du ein Dutzend Frauen oder mehr. Du spielst mit den Gefühlen der Menschen und scheinst dir überhaupt nichts dabei zu denken.“

„Findest du, dass ich die Frauen benutze? Dass ich sie schlecht behandele?“

„Ich …“ Sie öffnete den Mund, um zu sagen, dass sie bis jetzt nie irgendetwas darüber gedacht hatte, wie er mit Frauen umging, aber das wäre gelogen gewesen. Etwas widerwillig gestand sie sich ein, dass sie viel über Ryan Sheppard und seine außerberuflichen Beziehungen nachgedacht hatte. „Ich bin sicher, dass du sie gut behandelst, aber die meisten Frauen wollen mehr als nur teure Geschenke und ein paar Wochen Spaß.“

„Wie kommst du darauf? Hast du dich mit meinen Freundinnen unterhalten? Oder sprichst du von dem, was du willst?“

„Ich habe mich nicht mit deinen Freundinnen unterhalten, und wir reden jetzt auch nicht über mich“, antwortete Jamie brüsk.

Sie war rot geworden, und zum ersten Mal bemerkte er, wie viel Temperament in ihrem Blick lag und wie voll ihre Lippen waren. Er fragte sich, warum ihm diese Details an ihr nicht früher aufgefallen waren. Ihm fiel auf, dass sie fast nie – wenn überhaupt – längere Unterhaltungen führten, die Augenkontakt erforderten.

„Ich behandele die Frauen, mit denen ich zusammen bin, sehr gut, und, was noch wichtiger ist, ich mache ihnen keine falschen Hoffnungen darüber, welchen Stellenwert sie in meinem Leben haben. Ihnen ist von Anfang an klar, dass ich nicht auf eine längere Beziehung aus bin oder gar eine Familie gründen will.“

„Warum?“

„Wie bitte?“

„Warum bist du nicht auf eine längere Beziehung aus und willst keine Familie gründen?“

Ungläubig sah Ryan sie an. Er hielt sich zugute, dass er damit umgehen konnte, wenn man ihm die Meinung sagte. Vielleicht dachte er manchmal nicht weiter darüber nach, meistens sogar, aber man konnte wirklich nicht sagen, dass er für die Ansichten anderer nicht offen wäre. Aber so eine sonderbar persönliche Frage war ihm noch nie gestellt worden.

„Das ist eben nicht jedermanns Sache.“ Doch nun wollte er diese Unterhaltung beenden. „So. Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns an die Arbeit machen.“

Jamie zuckte mit den Schultern. „Gut. Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, die Berichte über die Softwarefirma, in die du investieren willst, durchzusehen. Soll ich das jetzt machen? Bis heute Nachmittag hätte ich dann alles zusammen.“

Und so begann der Arbeitstag – was Ryan ein wenig enttäuschte – genau wie immer: mit einer Jamie, die ihre Arbeit machte, und zwar mit einer Geschwindigkeit und Gründlichkeit, dass er sich fragte, wie er vorher ohne sie hatte klarkommen können.

Um drei nahm er seinen Mantel; er hatte ein Meeting mit drei Investmentbankern und war spät dran. Als er nach dem erfolgreichen Treffen um halb sechs zurück ins Büro kam, packte sie gerade ihre Sachen.

Jamie, die dabei war, den Computer auszuschalten, fühlte, wie ihr Herz unangenehm zu flattern begann. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er zurückkommen würde, bevor sie ging.

„Du gehst schon?“ Ryan ließ seinen Mantel auf seinen Schreibtisch fallen und zog den Pullover aus, den er des Meetings wegen angezogen hatte.

Das T-Shirt, welches er darunter trug, verbarg kaum, wie muskulös Ryan war. Jamie wandte den Blick ab und hätte sich dafür ohrfeigen mögen, weil sie mittlerweile an all das hätte gewöhnt sein müssen und sie nicht wusste, warum sie auf einmal so dumm darauf reagierte. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass ihre Schwester wieder auf der Bildfläche erschienen war. Wenn sie sich die Mühe machen würde, der Sache auf den Grund zu gehen, würde sie sicher einen Zusammenhang finden.

„Ich … ich wäre gern noch länger geblieben, Ryan, aber es ist etwas dazwischengekommen, darum muss ich mich jetzt sputen.“

„Es ist etwas dazwischengekommen? Was denn?“ Er kam auf Jamie zu, die noch immer zögernd am Rechner stand.

„Nichts.“

„Nichts? Etwas? Was denn nun, Jamie?“

„Ach, lass mich doch in Ruhe“, rief sie, und zu ihrem Entsetzen fühlte sie, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie drehte sich weg und begann, in einem Stapel Unterlagen herumzukramen, in der Hoffnung, dass Ryan ihren Wink verstehen und verschwinden würde. Doch das tat er nicht. Schlimmer noch, er legte ihr einen Finger unters Kinn und hob sanft ihren Kopf.

„Was geht hier vor?“

„Nichts geht hier vor. Ich bin nur ein bisschen müde, das ist alles. Vielleicht habe ich mir etwas eingefangen.“

Sie schüttelte seine Hand ab, spürte aber deren Wärme auf ihrer Haut, als sie in ihren dicken schwarzen Mantel schlüpfen wollte, um für die beißende Kälte draußen gerüstet zu sein.

„Hat es etwas mit der Arbeit zu tun?“

„Wie bitte?“

„Ist hier bei der Arbeit etwas vorgefallen? Hat irgendjemand etwas Komisches zu dir gesagt? Irgendeine unangemessene Bemerkung gemacht?“

Jamie sah ihn verständnislos an. „Natürlich nicht. Nein, hier ist alles prima.“

„Ist es ein Mann, der dir Kummer bereitet?“ Er bemühte sich, teilnahmsvoll zu klingen, aber seine Vorstellungskraft war mit ihm durchgegangen und hatte seinen Kopf mit allen möglichen Bildern gefüllt, die eindeutig der Kategorie „unangemessen“ zuzuordnen waren.

„Was für einen Kummer?“

„Hat sich jemand an dich rangemacht, obwohl du es nicht wolltest?“, fragte Ryan direkt. „Du kannst es mir sagen, und ich sorge dafür, dass das nie wieder vorkommt.“

„Wie kommst du auf die Idee, dass ich in einem solchen Fall Hilfe benötigen würde?“, fragte sie kühl. „Glaubst du, ich wäre nicht fähig, selbst mit einem Typen fertigzuwerden, der mich anmacht?“

„Habe ich das gesagt?“

„Du hast es angedeutet.“

„Andere Frauen“, sagte Ryan, indem er sich straffte, „kennen sich wahrscheinlich besser mit Männern aus. Du … vielleicht liege ich da falsch, aber du kommst mir doch recht unerfahren vor.“

Leicht irritiert fragte sie sich, wie ihre Unterhaltung an diesen Punkt hatte führen können. Was musste alles schiefgegangen sein, wenn er aus Gesprächen über Software auf ihr Liebesleben schloss – oder darauf, dass es ein solches nicht gab?

„Ich denke, es wird Zeit, dass ich mich auf den Weg mache. Morgen werde ich pünktlich hier sein“, sagte sie und ging in Richtung Tür. Er folgte ihr, und plötzlich fühlte sie seine warme Hand um ihr Handgelenk. „Du warst so durcheinander. Da kannst du es mir doch nicht übel nehmen, dass ich wissen wollte, warum.“ Mit einem kleinen Ruck zog er sie zu sich.

„Doch, das kann ich.“ Ihr Mund war trocken und sie wusste, dass sie rot geworden war. Es fühlte sich an, als würde ihr ganzer Körper glühen.

„Ich bin dein Chef. Du arbeitest für mich, und daher trage ich die Verantwortung für dich.“ Er sah auf ihren Mund hinunter und dann noch ein wenig weiter hinab, auf ihre frisch gestärkte weiße Bluse und das adrette Jackett, unter dem er ihren wogenden Busen erahnte.

„Ich kann selbst die Verantwortung für mich übernehmen“, presste Jamie hervor. „Es tut mir wirklich leid, dass ich meine Probleme mit hierher gebracht habe. Es wird nicht wieder vorkommen. Und, nur zu deiner Information: Es hat nichts mit der Arbeit oder irgendjemandem hier im Büro zu tun. Niemand hat irgendetwas zu mir gesagt, und es hat mich auch niemand angemacht. Aber, nur der Vollständigkeit halber: Wenn irgendjemand etwas getan hätte, mit dem ich nicht einverstanden gewesen wäre, dann hätte ich mich schon zu wehren gewusst. Es ist nicht nötig, dass du eingreifst und mir zu Hilfe kommst.“

„Die meisten Frauen mögen es, wenn man ihnen hilft“, murmelte Ryan, und auf einmal veränderte sich die Atmosphäre zwischen ihnen. Er lockerte seinen Griff um ihr Handgelenk, und anstatt ihre Hand wegzuziehen, sah Jamie wie hypnotisiert zu ihm auf und verlor sich in seinen dunklen Augen. Schließlich blinzelte sie, was sie glücklicherweise auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte.

Autor

Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

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