Herzensüberraschung für Dr. Jenkins

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Eine Familie, Kinder? Taylor Jenkins, sexy Chirurg mit Nerven aus Stahl, genießt lieber seine Freiheit als Single. Bis eines schönen Sommertages die warmherzige Piper als Schwester auf seiner Station anfängt und unter atemberaubenden Umständen sein Herz verzaubert …


  • Erscheinungstag 11.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717896
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Santa Fe, New Mexico, USA

Was soll ich?“ Dr. Taylor Jenkins sah seine Schwester entsetzt an. Er würde alles für sie tun. Fast alles. Das hier jedoch überstieg seine Fähigkeiten bei Weitem. Er war Arzt und kein …

„Bitte, Taylor. Ich habe dich nie um einen Gefallen gebeten. Nach allem, was wir durchgemacht haben, brauche ich dich jetzt.“ Caroline trat einen Schritt näher und griff nach seiner Hand. Sie sah ihn mit ihren blauen Augen bittend an. Flehend geradezu. Sein ganzes Leben war von Schuld bestimmt, und er versuchte alles, um sich davon zu lösen. Keine Verpflichtungen, keine Schuldgefühle. So einfach war das. Er lebte sein Leben und war niemandem Rechenschaft schuldig außer sich selbst.

„Ich kann ihn nicht zu Mom und Dad schicken, das weißt du.“

„Was ist mit …“

„José? Nein. Er ist unterwegs bei einer Reserveübung.“ Sie wischte den Vorschlag mit einer Handbewegung beiseite. „Ich kann ihn kaum dazu bringen, dass er Alex für ein Wochenende im Monat nimmt. Auf keinen Fall lasse ich ihn so lange bei ihm.“

„Aber …“ Eine leichte Panik stieg in ihm auf. Taylor riss sich zusammen. In seinem Job bewältigte er ständig bedrohliche Situationen. Er würde auch das hier schaffen.

„Dir vertraue ich“, sagte Caroline. „Und es ist ja nur für sechs Wochen. Er ist alt genug, um sich selbst zu beschäftigen. Ich kann dir Namen von Babysittern geben, und er wird außerdem seine Cousins besuchen wollen. Carmelita hat mich seit der Scheidung sehr unterstützt. Sie möchte, dass die Jungs in Kontakt bleiben, auch wenn ihr Bruder und ich Probleme haben.“ Caroline ließ ihn nicht aus den Augen, während sie sprach.

Verdammt. Sie schien zu spüren, dass er nachgeben würde. Frauen hatten so etwas wie einen sechsten Sinn für männliche Schwächen. Widerstand war zwecklos, sie hatte gewonnen.

Taylor seufzte auf und rieb sich die Stirn. Ganz sicher würde er das noch bereuen. Die bloße Vorstellung, dass er sich sechs Wochen lang um ein Kind kümmern konnte, war lächerlich. Er war nicht imstande, länger als ein paar Stunden für ein anderes Lebewesen zu sorgen. Er hatte nicht einmal ein Haustier oder auch nur eine Pflanze in seinem Haus.

„Ich wusste, dass du es tun würdest! Oh, Alex wird so aufgeregt sein. Danke, Taylor. Vielen Dank. Du weißt ja nicht, was mir das bedeutet.“ Caroline umarmte ihn so stürmisch, dass sie beide ins Stolpern kamen.

„Schon gut, schon gut. Aber du versprichst mir, dass du rechtzeitig zurückkommst? Keinen Tag länger?“ Vielleicht würde er es ja hinkriegen, sein Leben sechs Wochen lang auf den Kopf zu stellen. Aber das war die absolute Obergrenze.

„Ja natürlich. Mit dieser Fortbildung kann ich endlich ein richtiges Leben für Alex und mich aufbauen. Die Firma bezahlt den Aufenthalt in Kalifornien, aber für Kinder ist dort einfach kein Platz.“ Sie atmete tief aus. „Glaub mir, es ist die einzige Möglichkeit.“

Ein trauriger Ausdruck trat in ihre Augen, und Taylor wusste, dass er das Richtige für seine Schwester tat. Ob es auch das Richtige für ihn war, wusste er allerdings nicht. In seinem Leben ging es um Freiheit, darum, neue Herausforderungen zu suchen und seine körperlichen Grenzen auszutesten. Würde er für sein eigenes Leben Zeit haben, während sein Neffe bei ihm war? Hätte er ein Kind gewollt, dann wäre er wohl inzwischen Vater geworden. Aber das war er nicht.

„Und außerdem“, sagte Caroline und boxte ihn spielerisch, „ist es Zeit, dass du deinen Neffen besser kennenlernst.“

„He, ich kenne ihn doch.“ Oder etwa nicht?

Caroline lachte leicht auf und wischte sich schnell eine Träne aus dem Gesicht. Sie weinte nie. „Du kennst seinen Namen, sein Alter und so etwas. Aber ich glaube nicht, dass du weißt, wie es in seinem Inneren aussieht.“ Sie legte eine Hand auf Taylors Arm. „Alex braucht dich. Sein Vater hat ihn schon so oft enttäuscht, dass ich nicht weiß, ob er je darüber hinwegkommt. So ähnlich wie bei dir und Dad.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Taylor rief sich die unzähligen Gelegenheiten ins Gedächtnis, bei denen sein Vater ihn ignoriert hatte, weil er Wichtigeres vorhatte, als Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. Schnell schob er diese schmerzlichen Erinnerungen beiseite. „Wann brichst du auf?“, fragte er seine Schwester.

„Am Montagmorgen.“

„Dann bring ihn doch am besten Sonntag zu mir, dann haben wir noch Zeit, alles zu besprechen, was ich wissen muss.“

„Danke, Taylor. Irgendwie werde ich das wiedergutmachen.“

„Sicher.“ Gab es eine Möglichkeit, ihn für die verlorene Zeit zu entschädigen? Andererseits, sechs Wochen mit seinem Neffen waren schließlich kein so großes Opfer, wenn es darum ging, seiner Schwester zu helfen.

„Wirklich. Wenn du einmal Kinder hast, dann werde ich die beste Tante, die du dir vorstellen kannst.“

„Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass ich jemals Kinder haben werde.“ Schließlich gab es keine Garantie, dass er ihnen eine bessere Kindheit bieten konnte als seine eigene, und das würde er niemandem wünschen.

Caroline gab sich alle Mühe, Alex auch als alleinerziehende Mutter ein gutes Zuhause und eine stabile Umgebung zu bieten, aber das war nicht leicht. Besser, Taylor blieb Single und bemühte sich, seinem elfjährigen Neffen ein guter Onkel zu sein.

„Wenn du damit aufhören würdest, auf hohe Berge zu klettern oder dich mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug zu stürzen, könntest du auch eine Frau kennenlernen, die dich am Boden hält.“ Caroline warf ihm einen wissenden Blick zu. „Dann löst sich vielleicht auch die Kinderfrage.“

„Ja, ja, schon gut. Hatten wir dieses Gespräch nicht schon, als du mich mit dieser Krankenschwester verkuppeln wolltest?“ Bei der Erinnerung an die katastrophale Verabredung musste Taylor sich schütteln.

„Anscheinend hast du es ja noch nicht verstanden.“

Kopfschüttelnd schob Taylor seine Schwester zur Seite. Er wurde jetzt in der Notaufnahme gebraucht.

Als Piper Hawkins ihre neue Zeitarbeitsstelle als Krankenschwester in der Notaufnahme antrat, herrschte dort das pure Chaos. Kurz entschlossen legte sie ihre Handtasche zur Seite und stürzte sich in das Getümmel, noch bevor sie ihre neuen Kollegen begrüßt hatte. Das Adrenalin rauschte bereits durch ihren Körper – Piper kam mit brenzligen Situationen bestens zurecht und hoffte, sie würde schnell akzeptiert werden. Sie hatte schon viele Kurzzeiteinsätze absolviert und wusste, dass der erste Eindruck entscheidend war.

„Ich bin neu hier. Wie kann ich helfen?“, sagte sie, als sie den ersten Schockraum betrat. Da nur ein Arzt anwesend war, schien sie hier auf jeden Fall gebraucht zu werden.

„Sind Sie Krankenschwester? Assistieren Sie mir. Ich muss ihn intubieren, bevor wir ihn nach oben bringen können.“ Der große Mann im OP-Kittel trug eine Schutzmaske. Sie konnte nur seine Augen sehen, die den Patienten vor ihm intensiv musterten.

„Alles klar.“ Piper griff nach einem Paar Schutzhandschuhe und streifte sie über. Sie warf einen schnellen Blick auf den Monitor und prüfte die Vitalwerte. Der Blutdruck war niedrig, die Herzfrequenz unregelmäßig. „Ich bin Piper Hawkins, die neue Vertretungsschwester“, sagte sie, während sie begann, den Mundraum des Patienten mit dem Sauger zu säubern.

„Taylor Jenkins, ich habe heute Dienst in der Notaufnahme.“

„Sagen Sie mir, was ich tun kann.“ Obwohl um sie herum Lärm und Unruhe herrschten, kam es Piper vor, als wären sie und Dr. Jenkins ganz allein. Beide konzentrierten sich nur auf den Patienten. Genau deswegen war sie Krankenschwester geworden: um inmitten des größten Chaos Leben zu retten. Dafür war sie ausgebildet.

Dr. Jenkins wies mit dem Kopf auf ein Regal hinter ihr, während er die Sauerstoffmaske auf das Gesicht des Patienten presste. „Das Intubationsbesteck ist dort. Kriegen Sie das hin?“

„Aber sicher“, sagte Piper voller Selbstvertrauen.

„Gut. Dann bereiten Sie das Besteck vor.“

Offenbar war sie doch etwas nervös, denn fast wäre ihr der Intubationsschlauch aus den Händen geglitten und auf den Boden gefallen. „Oje, tut mir leid.“ Piper spürte, wie sie errötete. Sie war manchmal so ungeschickt, verdammt.

„Alles in Ordnung, entspannen Sie sich“, sagte Taylor.

Der Klang seiner tiefen Stimme beruhigte sie. Piper musterte ihn kurz, er wirkte vollkommen gelassen, und sie fühlte sich sofort besser. Andere Ärzte hätten sie schroff angefahren, aber Dr. Jenkins hatte offenbar Nerven aus Stahl. Sie würde ihn nicht enttäuschen.

Sie öffnete die Verpackung des Intubationsbestecks und half ihm, die Beatmungshilfe in den Mund des Patienten einzuführen. Nach der Sicherung der Atemwege konnten sie sich um die weiteren Verletzungen kümmern.

Piper musterte den Mann. Er war in den Fünfzigern und blutete aus Schnittverletzungen im Gesicht. Wahrscheinlich ein Autounfall. Sein Genick war durch einen Halskragen gesichert, um weitere Verletzungen der Wirbelsäule zu verhindern, bevor er geröntgt wurde. Offensichtlich war sein Zustand kritisch, und sie konnte nur hoffen, dass er es schaffen würde. Piper rief sich selbst zur Ordnung. Jetzt war nicht der richtige Moment, an den schrecklichen Tod ihrer Eltern zu denken. Sie hatte einen Job zu erledigen.

„Okay, können Sie den Sauger halten? Ich wäre dann so weit, geben Sie mir den Schlauch.“ Dr. Jenkins streckte eine Hand aus, und sie gab ihm den Schlauch. Gleich darauf hatte er den Tubus auch schon eingeführt.

„Das war die schnellste Intubation, die ich je gesehen habe“, sagte Piper und fixierte den Schlauch. Erstaunlich, dass sie so gut harmonierten, obwohl sie noch nie zusammengearbeitet hatten.

„Danke. Ich hatte früher einmal vor, Anästhesist zu werden, aber dann bin ich doch in der Notaufnahme gelandet.“

„Das war sicher eine gute Entscheidung. Ich hoffe, Sie sind in der Nähe, wenn ich einmal intubiert werden muss.“ Piper lachte auf.

„Ich werde mich bemühen“, entgegnete er und lachte ebenfalls.

Sie horchte die Lungen ab. „Die Atemgeräusche klingen gut. Aber die Herztöne sind etwas gedämpft“, sagte sie. „Vielleicht sollten Sie sich das einmal anhören.“

Dr. Jenkins griff nach seinem Stethoskop. Er horchte aufmerksam, dann nickte er. „Sie haben recht. Er hat ein stumpfes Trauma auf der Brust erlitten, ich fürchte, es ist noch nicht überstanden.“ Er beobachtete einige Sekunden lang den Monitor.

Piper wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Dann sah sie sich um. „Warum ist außer Ihnen niemand hier?“

„Wir hatten vier Notfälle auf einmal, es sind alle beschäftigt.“

„Wow. Ich hätte nicht gedacht, dass der Dienst in der Notaufnahme hier auch so stressig ist wie bei meinem letzten Job in der Großstadt.“ Kein Wunder, dass die Zeitarbeitsfirma ihr einen so hohen Bonus angeboten hatte.

„Wir sind in der Nähe einiger großer Freeways, da passiert ziemlich oft etwas. Heute war es eine echte Tragödie.“ Sein Blick verlor sich in der Ferne, er wirkte angespannt.

Obwohl Piper den Mann nicht kannte, spürte sie, dass die Ereignisse des heutigen Tages ihn betroffen machten.

„Was ist passiert?“ Aus eigener Erfahrung wusste Piper, dass es helfen konnte, über die Dinge zu sprechen, selbst wenn sie sich nicht ändern ließen. Und sie war eine gute Zuhörerin.

„Frontalzusammenstoß. Ein betrunkener Idiot hat die Highway-Auffahrt in der falschen Richtung genommen.“ Taylor schüttelte den Kopf.

„Oh nein.“ Die leichte Unruhe, die Piper verspürt hatte, breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Mühsam verdrängte sie die Erinnerungen, die sie überfielen. Ein betrunkener Fahrer war auch für den Tod ihrer Eltern verantwortlich gewesen. Sie war damals zwanzig und ihre Schwester erst zwölf. Von einem Tag auf den anderen hatte Piper die ganze Verantwortung übernehmen müssen. Der Schmerz und die Trauer lasteten noch immer auf ihr. Manche Wunden heilten eben nie.

Sie strich dem Patienten das Haar aus der Stirn und bemerkte, dass ihre Hand leicht zitterte. In diesem Moment ertönte der Herzalarm, und Pipers Blick ging zum Monitor. Der Patient war noch lange nicht außer Gefahr. „Der Herzschlag ist beschleunigt.“

„Er hat Blut im Herzbeutel. Ich muss eine Punktion durchführen.“ Mit eiligen Schritten war Taylor neben dem Patienten. „Spritze und Kanüle, schnell!“

„Sofort.“ Piper reichte ihm die Instrumente. Ihr Herz raste ebenfalls, und sie hoffte inständig, dass Taylor den Mann retten konnte. Aber sie wusste nur zu gut, dass Menschen auch bei der besten medizinischen Versorgung manchmal starben.

Ohne ein weiteres Wort platzierte Taylor die Nadel an der exakten Stelle zwischen zwei Rippen. Als er sie aufzog, trat sofort Blut aus dem Herzbeutel in die Kanüle. Das würde den Druck zumindest kurzzeitig verringern.

„Wir müssen ihn in den OP schaffen.“

„Ist dort alles vorbereitet?“ Der Alarm schrillte noch immer durch den Raum, und Piper stellte ihn rasch ab. Sie war ohnehin nervös genug.

„Das hoffe ich, wir haben sie alarmiert.“

Sie warf einen schnellen Blick auf den Monitor. Für den Moment war der Mann stabil. „Gut gemacht.“

„Das war eine Komplikation, mit der man rechnen musste. Also los, bringen wir ihn in den OP.“ Dr. Jenkins streifte Maske und Schutzbrille ab.

Piper hielt sekundenlang inne, dann bereitete sie den Patienten für den Transport vor. Bereits der kurze Blickkontakt mit Taylor war wie ein elektrischer Schlag. Er war der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Auch unter dem Dreitagebart waren die markanten Züge seines Gesichts noch zu erkennen, seine vollen Lippen waren leicht nach oben gebogen, als würde er sich über etwas amüsieren. Aber vor allem seine Augen hielten Pipers Blick gefangen. Sie waren von einem klaren Blau und schienen direkt in ihr Innerstes zu blicken.

Im Augenblick jedoch war keine Zeit für Schmetterlinge im Bauch. Ihr Patient ging vor. Außerdem war Taylor Jenkins auch nur ein Arzt wie jeder andere, mit dem sie gearbeitet hatte. Obwohl er wirklich umwerfend aussah.

„Piper? Sind Sie so weit?“ Seine Stimme unterbrach ihre Gedanken.

„Ja, Doktor. Sofort.“ Sie schob den Transportmonitor auf das Ende der Trage.

„Nennen Sie mich Taylor.“

„Sicher, danke.“ Sie lächelte ihm zu und zwang sich dann, schnell wieder den Blick abzuwenden. „Gehen Sie voraus. Ich weiß nicht, wo der OP ist.“

„Alles klar.“ Taylor griff nach der fahrbaren Trage und schob sie gemeinsam mit Piper bis zum OP. Dort erwartete sie bereits ein Chirurgenteam.

Nachdem er seine Kollegen auf den neuesten Stand gebracht hatte, spürte Taylor, wie die Anspannung aus seinem Körper wich. Die neue Schwester war direkt ins kalte Wasser geworfen worden und hatte ihre Sache gut gemacht. Wahrscheinlich wäre sie auch froh über eine kleine Pause.

„Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee?“, fragte er, während sie zurück in die Notaufnahme gingen.

„Ich sollte mich besser bei der Oberschwester melden und ihr sagen, dass ich da bin.“

Sie betraten das Dienstzimmer, wo sie der Duft von frisch gebrühtem Kaffee empfing. Piper seufzte auf. „Aber eine Tasse wird sicher nicht schaden.“

„Das denke ich auch.“ Taylor goss ihnen Kaffee ein. „Es ist ja nicht so, als hätten Sie nicht gearbeitet. Emily weiß nur noch nichts davon.“

„Emily ist die Oberschwester?“ Piper ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen.

„Ja, genau. Sie war bei den anderen Unfallopfern. Sie haben es nicht geschafft.“ Wie sehr er es hasste, dass sie nicht jeden Patienten retten konnten, der in die Notaufnahme kam.

„Oh. Es ist immer schwer, Patienten zu verlieren.“ Aus ihren Augen sprach plötzlich eine tiefe Verletzlichkeit, aber Taylor rief sich ins Gedächtnis, dass das nicht seine Angelegenheit war.

„Das stimmt. Vor allem, wenn es zu vermeiden gewesen wäre.“ Taylor setzte sich ebenfalls und dachte an den Patienten, den er vergangene Nacht verloren hatte. Er fühlte sich wie ein Versager, und das gefiel ihm gar nicht.

Taylors Handy klingelte.

„Dr. Jenkins.“

Er lauschte einen Moment und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenflügel. „Okay, und wie schlimm ist es genau, Alex?“

Wieder hörte er zu. „Ich komme bald nach Hause. Mach dir keine Gedanken wegen der Flecken auf dem Teppich oder der Wand. Oder auf dem Sofa. Es ist schon in Ordnung.“

Piper musterte ihn belustigt, als er wieder auflegte und sie ansah.

„Was ist?“ An diesem Gespräch war aus Taylors Sicht nichts amüsant gewesen.

„Oh, nichts.“ Sie nippte an ihrem Kaffee, konnte aber das Funkeln in ihren Augen nicht verbergen. „Ist Ihr Sohn allein zu Hause?“

„Mein Neffe. Er wohnt noch …“ Er schaute auf seine Uhr. „Noch genau fünf Wochen und drei Tage bei mir.“

„Sie zählen wirklich die Tage?“, fragte sie.

„Nein, nur die Minuten.“ Er tippte grinsend auf seine Armbanduhr.

„Im Ernst? Ist es so schlimm?“ Piper war sich nicht ganz sicher, wie ernst es ihm mit seinen Bemerkungen war.

„Ich tue meiner Schwester einen Gefallen, und zwar keine Sekunde länger.“ Schließlich hatte er ein Leben, das mit Fallschirmsprüngen und Klettertouren auf ihn wartete. Er nahm nur gerade eine vorübergehende Auszeit.

„Dann sind Sie nicht froh darüber, dass Ihr Neffe Sie besucht?“, fragte Piper und unterbrach sich selbst. „Nicht, dass mich das etwas anginge.“

„Es geht nicht darum, dass ich mich nicht freue. Es ist nur ein ganz anderes Leben als das, woran ich gewohnt bin. Die Kollegen hier wetten schon darauf, wie lange es dauert, bis ich meine Schwester zwinge, vorzeitig aus Kalifornien zurückzukehren.“ Er lehnte den Kopf zurück und stöhnte. Die Kopfschmerzen waren heute besonders schlimm.

„Oh, das klingt wirklich schwierig“, entgegnete sie und lachte leise.

„Im Moment liegt die Schwierigkeit darin, dass er Traubensaft auf meinem Sofa, dem Teppich und den Wänden verteilt hat.“ So tragisch war das nicht, aber die Flecken würden vermutlich sehr schwer zu entfernen sein.

„Ich hoffe, Sie haben Ihre Wohnung nicht ganz in Weiß eingerichtet?“ Ein schelmisches Lächeln stahl sich in Pipers Gesicht.

Machte sie sich etwa über ihn lustig? „Nicht ganz, nur die Wände. Teppich und Sofa sind hellbraun.“

„Oje.“ Sie sah ihn mitleidig an. „Sie sollten etwas tun, sonst werden Sie die Flecken nie los. Rufen Sie ihren Neffen noch mal an. Haben Sie Gallseife im Haus?“

Taylor war nicht sicher, was sich alles in seinen Schränken verbarg. Aber hatte seine Putzhilfe so etwas nicht einmal gekauft? „Ich glaube schon.“

„Sagen Sie ihm, dass er die Flecken auf dem Teppich und dem Sofa damit einreiben und warten soll. Die Wand können Sie ja einfach übermalen.“

Taylor starrte sie etwas verblüfft an. Dann nickte er einfach nur. „Okay, ich ruf ihn an.“

Piper stand auf. „Gut, dann mache ich mich jetzt mal auf die Suche nach Emily. Danke für den Kaffee.“

Piper hatte ihren ersten langen Arbeitstag in Santa Fe überlebt. Schon jetzt mochte sie die Hauptstadt von New Mexico mitten in der Wüste mit ihrer charakteristischen Architektur, die aus den Hügeln und Felsen zu wachsen schien. Hier gab es keine Wolkenkratzer. Nachdem ihr letzter Job an der Küste gewesen war, würde sie allerdings einige Zeit brauchen, um sich an die dünne Luft in der Höhe von 2.000 Metern zu gewöhnen.

Mit einem leisen Seufzen rief sie sich in Erinnerung, dass noch drei Tage Arbeit vor ihr lagen, bevor sie die Umgebung erkunden konnte. Einige ihrer neuen Kolleginnen hatten ihr schon Tipps gegeben, was sie sich ansehen sollte. Ihr Aufenthalt in Santa Fe versprach, eine schöne Abwechslung zu werden. Das schätzte Piper an diesen Kurzzeitjobs: Sie lernte immer wieder neue Orte kennen, die sie sonst vielleicht nicht besuchen würde, und die Mischung aus der amerikanischen, mexikanischen und der indianischen Kultur in New Mexico gefiel ihr schon jetzt.

Irgendwann würde sie sich vielleicht an einem Ort niederlassen, möglichst nah bei ihrer Schwester. Aber im Augenblick war sie froh, dass sie in sechs Wochen schon wieder eine neue Aufgabe erwartete.

Schließlich hatte sie ihr Leben lange genug nach den Bedürfnissen ihrer Schwester ausgerichtet. Elizabeths Wohl war ihr immer wichtiger gewesen als ihr eigenes, aber jetzt, da ihre Schwester nicht mehr auf ihre finanzielle Unterstützung angewiesen war, konnte sie sich wieder um ihr eigenes Leben kümmern. Abgesehen von einer kurzen und katastrophalen Beziehung, die sie noch immer nicht ganz verkraftet hatte, war Piper allein geblieben.

Schnell verdrängte sie den Gedanken an ihren Ex-Freund und seine Treulosigkeit. Sie würde sich nach diesem Job in Santa Fe genau überlegen, wie es mit ihrem Leben weitergehen sollte. Aber nicht jetzt.

Eine Stimme hinter ihr unterbrach Pipers Grübeleien.

„Es tut mir leid, Alex, aber es geht heute wirklich nicht anders.“ Dr. Taylor Jenkins und ein Junge, der wahrscheinlich sein Neffe war, betraten hinter ihr das Gebäude.

Sie drehte sich um und betrachtete den großgewachsenen Mann und den Jungen mit den verstrubbelten Haaren neben ihm. Wieder fiel ihr auf, wie unglaublich attraktiv Taylor war. Nur mit Mühe löste sie ihren Blick von ihm. Es war definitiv keine gute Idee, ihn zu attraktiv zu finden.

Taylor war die Art Mann, vor der sie sich in Acht nehmen musste. Auf keinen Fall durfte Piper sich in ihn verlieben. Ihre letzte schlechte Erfahrung sollte ihr Warnung genug sein.

Leider half diese Einsicht ihr nicht dabei, das Flattern in ihrem Bauch zu ignorieren.

„Aber es ist noch total früh, Onkel T. Ich sollte im Bett liegen und schlafen. Schließlich habe ich Sommerferien, warum muss ich da den ganzen Tag in diesem blöden Krankenhaus sein?“

„Tja, weil dies nun mal der Ort ist, wo ich arbeite. Heute konnte niemand auf dich aufpassen, und nach dem, was gestern passiert ist, werde ich dich kaum noch einmal allein zu Hause lassen.“

„Aber es war einfach Pech, und ich habe schon gesagt, dass es mir leidtut.“

Piper räusperte sich, um die beiden auf sich aufmerksam zu machen. „Hallo.“

Überrascht blieb Taylor stehen. „Hallo, Piper. Haben Sie nach Ihrem ersten Tag noch nicht genug?“, fragte er.

„Auf keinen Fall. Nichts würde mich von dieser Klinik fernhalten.“

„Also mich schon“, stöhnte Alex auf.

„Piper, dieser gut gelaunte junge Mann ist mein Neffe Alex.“

„Schön, dich kennenzulernen, Alex.“ Der Junge schaute missmutig und verlegen zu Boden. Der Rucksack, der ihm über eine Schulter hing, sah sehr schwer aus.

„Hi.“

Als sie hörte, wie unglücklich Alex klang, griff Piper in ihre Handtasche und zog ein großes Päckchen mit Süßigkeiten und Kaugummi heraus. „Hier, die habe ich für das Schwesternzimmer mitgebracht, aber ich wette, du hättest gerne ein paar.“ Sie öffnete die Tüte und bot sie ihm an.

„Oh ja. Super.“ Alex suchte sich etwas aus und schaute sie zum ersten Mal richtig an. Der Blick seiner braunen Augen war wach und intelligent.

„So, und was sagt man da?“, erinnerte ihn Taylor.

„Danke.“ Alex sah wieder zu Boden.

„Wir sehen uns später, Piper.“ Taylor drehte sich um und ging mit seinem Neffen weiter. Piper blieb ein paar Schritte hinter ihnen.

Gleich darauf beugte sich Alex zu seinem Onkel und flüsterte. „Wow, sie ist echt heiß.“

Mit einem kleinen belustigten Grinsen sah Taylor den Jungen an, dann drehte er sich halb zu Piper um. „Ja, das ist sie wirklich.“

In diesem Moment wurde Pipers Name über die Lautsprecheranlage ausgerufen. „Oh, Entschuldigung.“ Eilig drängte sie sich an den beiden vorbei und hoffte, dass Taylor nicht bemerkte, dass sie errötet war. Schrecklich, das passierte ihr ständig.

Autor

Molly Evans
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