Hochzeit unter dem Mistelzweig

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"Komm unter den Mistelzweig!" So überraschend leidenschaftlich küsst Sophies bester Freund Bram sie plötzlich, dass er die köstlichsten Gefühle in ihr erweckt. Wird etwa doch noch ihre heimliche Sehnsucht wahr: eine Traumhochzeit am Fest der Liebe?


  • Erscheinungstag 20.11.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728397
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein eisiger Wind strich über die Hügel und wirbelte winzig kleine Schneeflocken durch die Luft. Schützend legte Sophie die Hand vor die Augen, während sie sich durch den Sturm zur Scheune vorkämpfte. In vier Wochen war Weihnachten, doch Sophie empfand keine Vorfreude, ihr graute vor dem Fest.

Suchend sah sie sich auf dem Hof um. Endlich entdeckte sie Bram, der gerade Strohballen auslud.

Es war eine knifflige Aufgabe, jeden Ballen einzeln aus dem Anhänger zu hieven, ohne dass die anderen herabfielen. Eine Weile schaute sie Bram zu und bewunderte, wie ruhig und methodisch er diese Aufgabe anging.

Als Bram sich das nächste Mal umdrehte, winkte sie, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Er hielt in der Bewegung inne, als er sie sah. Ihm schien das unwirtliche Wetter nichts auszumachen, während sie sich noch tiefer in ihrer Jacke verkroch, um sich gegen den kalten Wind zu schützen, der ihr die widerspenstigen Locken ins Gesicht blies.

„Hallo.“ Er sprang vom Traktor, gefolgt von der treuen Bess, die sofort auf Sophie zurannte. Sophie bückte sich und streichelte den Hund, der vor Freude ausgelassen an ihr hochsprang, obwohl sich dieses Verhalten für einen ausgebildeten Hütehund nicht geziemte. „Ich wusste gar nicht, dass du kommen wolltest“, meinte Bram.

Sophie richtete sich wieder auf. „Ich habe mich spontan dazu entschlossen.“

Nachdem ihre Mutter erzählt hatte, dass Melissa und Nick im Urlaub waren, hatte sie entschieden, nach Hause zu fahren. Inzwischen aber bereute sie ihren Entschluss.

„Ich bin nur übers Wochenende hier.“

„Jedenfalls ist es schön, dich zu sehen.“ Bram umarmte sie. „Es ist lange her.“

Brams Berührungen hatten immer etwas sehr Tröstliches. Wenn sie seine starken Arme spürte, fühlte Sophie sich sicher und geborgen und wähnte sich in dem Glauben, dass alles in Ordnung sei.

„Freut mich auch, dich zu sehen.“ Sie erwiderte die Umarmung ihres Freundes aus Kindertagen mit ehrlicher Zuneigung.

Gemeinsam gingen sie zum Gatter, hinter dem sich in weitem Bogen das Heideland erstreckte. Früher hatten sie oft hier gestanden und sich unterhalten.

„Und, wie geht’s so?“, fragte Bram.

Statt einer Antwort verzog Sophie das Gesicht.

„Hast du Probleme?“

„Ja … eine Menge“, seufzte sie.

Sophie verschränkte ihre Arme und legte sie auf das Gatter, blickte auf das Tal hinunter und sog tief die frische Luft ein. Sie dachte an die kleine Wohnung in London, die sie sich mit einer Freundin teilte. Ihre Fenster dort gingen auf den Hinterhof und zur Straße mit ihrem Verkehrslärm, der selbst nachts nicht abebbte.

Tief atmete sie den Duft nach Glockenheide und Schafen ein, vermischt mit dem schwachen Geruch von verbranntem Holz, der vom Dorf heraufstieg. Sie spürte, dass ihre Anspannung allmählich nachließ.

So war es ihr auf der Haw Gill Farm immer gegangen. Mochte sie auch noch so aufgewühlt ankommen, ihre Sorgen schienen nicht mehr so schlimm, sobald sie die die vertrauten Düfte ihrer Kindheit wahrnahm.

Eine Menge Probleme bedeutet vermutlich, es geht dir so wie immer?“, beschied Bram, und Sophie runzelte die Stirn angesichts seines trockenen Tons.

Typisch Bram. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Es war erstaunlich, dass sie schon so lange befreundet waren, obwohl sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Sie war chaotisch und ungestüm, während seine Zurückhaltung sich im Laufe der Jahre noch verstärkt hatte. Wo er nachdenklich und bedacht war, neigte sie zu Überschwang. Manchmal brachte er sie schier zur Verzweiflung mit seiner Gelassenheit, doch gleichzeitig kannte Sophie keinen Menschen, der aufrichtiger war als Bram. Er war ihr Fels in der Brandung, ihr ältester Freund, der es immer schaffte, dass sie sich besser fühlte.

„Bring mich nicht zum Lachen“, beschwerte sie sich. „Ich will mich erst besser fühlen, wenn ich dir vorgejammert habe, was alles passiert ist.“

Alles klingt ziemlich umfassend“, meinte Bram.

„Spotte nur, aber im Moment läuft wirklich viel schief“, brummte Sophie. Der Wind blies ihr die Locken ins Gesicht, und Bram beobachtete, wie Sophie sie mit der Hand zusammenzuhalten versuchte. Ihm waren ihre Haare immer wie ein Abbild ihrer Persönlichkeit erschienen – wild und unbezähmbar. Oder, wie ihre Mutter häufig anmerkte, ein völliges Durcheinander.

Die meisten Menschen nahmen nur das Ungebändigte ihres Haares wahr, nicht aber die Weichheit oder die ungewöhnliche Farbe. Auf den ersten Blick schienen ihre Haare von einem matten Braun, doch wenn das Licht darauf fiel, entdeckte man noch andere Farben darin: Gold, Kupfer und einen Hauch Bronze.

Sophies Charakter spiegelte sich auch auf ihrem Gesicht wider. Beherrscht von leuchtenden Augen mit einem ungewöhnlichen Farbton zwischen Grau und Grün, wirkte es sehr ausdrucksvoll, ohne im engen Sinn schön zu sein. Ihre Augen erinnerten Bram an einen Fluss, dessen Farbe sich durch die Bewegung und das Licht ständig änderte. Sie hatte einen breiten Mund, der immer in Bewegung schien. Ihr energisches Kinn verriet ihre Sturheit, die früher immer wieder zu Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter geführt hatte.

„Ich habe in jeder Hinsicht versagt“, meinte Sophie gerade, ohne sich bewusst zu sein, dass er sie beobachtet hatte. „Ich bin jetzt einunddreißig“, fuhr sie fort und hob für jedes ihrer Probleme einen Finger. „Ich lebe in einer grässlichen Mietwohnung, in einer Stadt, in der ich nicht leben will. Ich bin dabei, meinen Job zu verlieren – also stehen die Chancen gut, dass ich vielleicht bald nicht mal mehr diese Wohnung bezahlen kann. Ich habe die Liebe meines Lebens verloren, und mit meiner Karriere als Töpferin hat es auch nicht geklappt. Die einzige Galerie, die ich dazu überreden konnte, meine Arbeiten auszustellen, hat zugemacht.“ Sie seufzte. „Ach ja, und jetzt werde ich obendrein noch von meiner Mutter erpresst.“

Mitfühlend hob Bram eine Augenbraue. „Das klingt nicht gut.“

„Nicht gut?“ Sophie sah ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und Zuneigung an. In seiner schmutzigen Hose, den lehmverkrusteten Stiefeln und der abgetragenen Jacke entsprach er genau der Vorstellung, die ein Städter von einem Farmer hatte. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“

„Was möchtest du denn hören?“ Ein wenig amüsiert sah er sie mit seinen blauen Augen an.

„Du könntest zumindest sagen Wie schrecklich oder Du Arme. Nicht einfach nur Das klingt nicht gut.“

„Tut mir leid“, entgegnete Bram in gespielter Demut. „Ich dachte nur eben, dass deine Mutter vielleicht wieder ihre übliche Taktik fährt.“

Er hatte recht. „Wie hast du das denn erraten?“, fragte sie mit einem Anflug von Ironie.

Das war nicht schwer gewesen. Harriet Beckwith war eine Meisterin, wenn es darum ging, ihren Willen durchzusetzen. „Was hat sie denn diesmal ausgebrütet?“

„Sie will, dass ich Heiligabend nach Hause komme.“ Sophie schlang fröstelnd die Arme um ihren Oberkörper. „Sie hat schon alles geplant. Wir werden ein vergnügliches Weihnachtsfest haben, mit der ganzen Familie.“

„Aha.“ Bram hatte sofort verstanden, wo das Problem lag. „Und Melissa …?“

„Wird auch da sein“, ergänzte Sophie. Sie zupfte an der widerspenstigen Locke, die der Wind ihr in den Mund geweht hatte. „Zusammen mit Nick.“

Sie hatte versucht, gelassen zu klingen, doch Bram spürte, wie schwer es ihr fiel, den Namen ihres Schwagers auszusprechen.

„Kannst du nicht sagen, dass du bei Freunden bist, so wie letztes Jahr? Oder, dass du in den Skiurlaub fährst?“

„Das würde ich ja, wenn ich es mir leisten könnte, aber ich bin völlig abgebrannt“, meinte Sophie mürrisch. „Sicher, ich könnte so tun als ob, aber das hieße, mich Weihnachten in meiner Wohnung zu verstecken. Ich müsste mich mit einer Dose Ölsardinen durchschlagen und mir nervtötende Weihnachtssendungen ansehen, bis ich schließlich versuche, mich mit Lametta zu erdrosseln.“

„Das hört sich nicht besonders lustig an“, bestätigte Bram.

„Nein.“ Sie seufzte. „Mum hat sich sowieso schon in jeder Richtung abgesichert. Sie hat mich daran erinnert, dass Dad am 23. Dezember siebzig wird, und da soll natürlich mit der ganzen Familie gefeiert werden.“

„Und deshalb fühlst du dich emotional erpresst?“

„Genau.“ Sophie verfiel in die Stimme ihrer Mutter. „‚Wir sind schon so lange nicht mehr alle zusammen gewesen. Und dich sehen wir überhaupt nicht mehr. Es würde deinem Vater sehr viel bedeuten.‘“ Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. „Mum hat gesagt, dass Dad sich in letzter Zeit nicht ganz wohlfühlt, obwohl er mir das Gegenteil erzählt hat. Aber du kennst ja Dad. Er würde das auch sagen, wenn man ihn gevierteilt hätte. Mum hat angedeutet, dass es unser letztes Weihnachten auf der Farm sein könnte. Meinen Eltern wird die Arbeit zu viel und sie denken daran zu verkaufen.“

Sophie zog die Schultern hoch. „Das hat sie allerdings nicht in Anwesenheit von Dad erzählt. Ich schätze, er weiß nichts von diesen Plänen. Denn er würde die Farm nie freiwillig verlassen, das hat er immer gesagt.“

Das klang sehr nach Joe Beckwith. Bram wurde bewusst, in welchem Zwiespalt Sophie steckte, denn ihrem Vater hatte sie von jeher sehr nahegestanden.

„Ich fühle mich schon schrecklich, nur weil ich gezögert habe, Weihnachten zu kommen“, gestand Sophie unglücklich. „Ich muss einfach dabei sein.“

Grübelnd stützte Bram sich auf das Gatter. „Könntest du nicht am 23. kommen und dir dann für Weihnachten etwas anderes vornehmen? So müsstest du nur eine Nacht bleiben.“

„Den Vorschlag habe ich auch schon gemacht, aber da hat Mum erst richtig aufgedreht. Sie erklärte, dass sie die Geburtstagsfeier absagen würde, wenn ich so schnell wieder verschwinde. Und ob es denn zu viel verlangt sei, Dad die Freude zu machen, an seinem Geburtstag da zu sein und an seinem vielleicht letzten Weihnachten mit der ganzen Familie. Wie soll ich denn das Weihnachtsfest genießen, wenn ich so selbstsüchtig bin und meinen Eltern alles verderbe?“

Sie seufzte. „Du kannst dir ja vorstellen, wie es war.“

Bram nickte. Er kannte Harriet Beckwith schon eine Ewigkeit. Wenn sie entschied, dass die ganze Familie zusammen Weihnachten feierte, blieb Sophie nicht anderes übrig, als sich zu fügen.

„Wäre es denn wirklich so schlimm?“, fragte er sanft.

„Nein … vermutlich nicht. Wahrscheinlich mache ich nur mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist nur so …“

„Dass du Nick wiedersiehst“, beendete Bram, weil ihre Stimme brach.

Ihre Lippen zitterten, sodass sie nur stumm nicken konnte. Finster blickte sie auf die Heidelandschaft. „Eigentlich sollte ich schon darüber hinweg sein“, platzte sie schließlich heraus.

„Das braucht seine Zeit, Sophie“, entgegnete Bram. „Dein Verlobter hat dich wegen deiner Schwester sitzen lassen. So etwas vergisst man nicht so schnell.“

Er dachte daran, wie sie ihm zum ersten Mal von Nick erzählt hatte. Sie hatte gestrahlt vor Glück und war so aufgeregt, dass sie nicht still stehen konnte. Bram war verblüfft gewesen, wie sehr seine Freundin mit den wirren Haaren und dem Dickkopf sich verändert hatte.

Für ihn war sie einfach nur Sophie gewesen, die zu seinem Leben dazugehörte. Als sie dann aufs College gegangen war, hatte er sie zwar vermisst, sich aber keine weiteren Gedanken darum gemacht. Wenn sie nach Hause kam, trafen sie sich, und sie war wie immer. Lustig, herzlich und chaotisch – ein Mädchen eben, mit dem man reden und lachen konnte. Aber sie war kein Mädchen, mit dem er schlafen wollte oder bei dem er überhaupt nur daran dachte.

Deshalb war es seltsam für ihn gewesen, sie plötzlich in einem anderen Licht zu sehen. Sie war wie früher und doch irgendwie anders.

Sophie hatte weiter von ihrer großen Liebe erzählt und war viel zu aufgeregt, um Brams nachdenkliche Miene zu bemerken.

„Endlich weiß ich, was es heißt, auf einer Wolke zu schweben“, schwärmte sie. „Ach Bram, du musst Nick unbedingt kennenlernen. Ein unglaublicher Mann! Er ist klug, witzig und bezaubernd und … einfach wunderbar. Ich kann es kaum glauben, dass er wirklich mich liebt, wo er doch jede haben kann.“ Sie seufzte. „Ich muss mich immer wieder zwicken, damit ich merke, dass es nicht nur ein wunderschöner Traum ist. Denn das könnte ich nicht ertragen. Ich glaube, ich würde sterben.“

Das war typisch für Sophie, dachte Bram voller Zuneigung. Keine halben Sachen. Wenn sie sich verliebte, dann ohne Wenn und Aber. Sie war nicht zurückhaltend, sondern mit ganzem Herzen dabei.

„Nick hat mich sogar schon gefragt, ob ich ihn heiraten will“, sagte Sophie. Wieder lag dieses ungewohnte, verwirrende Strahlen in ihren Augen. „Mum und Dad habe ich bis jetzt noch nichts erzählt. Sie würden sicher sagen, dass es ein bisschen zu schnell geht, weil ich ihn noch nicht so lange kenne. Aber Melissa kommt in ein paar Wochen nach London und bleibt einige Tage bei mir. Dann lernt wenigstens sie ihn schon mal kennen. Wenn sie wieder zu Hause ist, wird sie bestimmt erzählen, wie fantastisch er ist, und ich muss nicht mit der Tür ins Haus fallen, wenn ich ihn dann irgendwann zu Hause vorstelle.“

Aber es war nicht so gelaufen, wie sie sich ausgemalt hatte.

An einem ungewöhnlich heißer Spätnachmittag im Juni war Bram gerade auf dem Weg nach Hause, als er eine einsame Gestalt entdeckte, die mit gesenktem Kopf durch die Felder trottete. Es war Sophie. Bram stoppte den Traktor und wartete, bis sie ihn erreicht hatte. Ihre gereizte Stimmung bestätigte ihm, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Wortlos war sie zu ihm getreten. Sie streichelte seine Hündin Bess, die sie wie üblich begeistert begrüßte. Doch dann blickte Sophie hoch, und sein Herz zog sich zusammen, als er den verzweifelten Ausdruck in ihren Augen sah.

Wortlos rückte er zur Seite, um ihr auf dem Traktor Platz zu machen. Eine ganze Weile saßen sie schweigend da, während die Abendsonne die sanften Hügel in ein goldenes Licht tauchte. Es war gespenstisch still, nur Bess, die im Schatten neben dem Traktor lag, japste leise.

„Ich habe immer gedacht, es ist zu schön, um wahr zu sein“, sagte Sophie schließlich. Das Schlimmste für Bram war, sie so zu hören. Ihre Stimme hatte immer gesprudelt vor Leben, doch jetzt klang sie völlig ausdruckslos.

„Möchtest du darüber reden?“, fragte er vorsichtig.

„Eigentlich habe ich versprochen, dass ich es niemandem erzähle.“

„Nicht mal deinem ältesten Freund?“

Unendliche Qual lag in ihren Augen. „Ich glaube, du bist der Einzige, der es verstehen kann.“

„Dann erzähl es mir“, bat Bram. „Geht es um Nick?“

Betrübt nickte Sophie. „Er liebt mich nicht mehr.“

„Was ist passiert?“

„Er hat Melissa gesehen. Ein Blick genügte, um mich zu vergessen und sich in sie zu verlieben.“ Sie schluckte schwer. „Ich musste ihn nur ansehen und wusste, dass es aus ist mit uns.“

„Ach, Sophie …“ Bram wusste nicht, was er sagen sollte.

„Ich hätte damit rechnen müssen“, fuhr sie fort. „Du kennst doch Melissa.“

Bram wusste, was sie meinte. Sophies Schwester war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Ihre ätherische, helle Schönheit schien nicht in die derbe Landschaft Yorkshires zu passen, im Gegensatz zu Sophies lebendiger und sprühender Robustheit.

Es war kaum zu glauben, dass diese beiden Mädchen Schwestern waren. Melissa war ganz anders als Sophie. Eine liebliche, zerbrechliche Erscheinung, der nur wenige Männer widerstehen konnten. Auch Bram war ihr einst verfallen, doch ihre kurze Verlobungszeit vor zehn Jahren schien ihm im Rückblick manchmal nicht mehr als ein schöner Traum. Wie konnte ein praktisch veranlagter, durchschnittlicher Mann wie er auch jemals hoffen, einen solchen Schatz sein Eigen nennen zu dürfen?

Deshalb verübelte er es Nick auch nicht, dass er sich in Melissa verliebt hatte. Aber er hasste ihn dafür, dass er Sophie verletzt hatte.

„Und was hast du gemacht?“

„Was konnte ich schon machen? Es wäre doch unmöglich gewesen, so zu tun, als sei nichts geschehen. Als wir abends nach Hause kamen, habe ich ihm gesagt, dass es sinnlos sei, uns alle drei unglücklich zu machen.“ Ein Anflug von Verbitterung lag in ihrem Lächeln. „Ich habe ihn gehen lassen. Ella meinte, dass ich um ihn kämpfen soll, aber was könnte ich schon gegen Melissa ausrichten?“

„Vielleicht hätte er sie vergessen, sobald sie gegangen wäre“, gab Bram zu bedenken. Er selbst hatte diese Erfahrung mit Melissa gemacht. Solange sie da war, konnte man den Blick nicht von ihr lassen. War sie fort, erinnerte er sich manchmal kaum noch daran, wie sie war, was sie gesagt hatte oder was er selbst fühlte – außer, dass ihre zarte Schönheit ihn geblendet hatte.

Bei Sophie war es anders. Sie hatte nicht Melissas makelloses Aussehen, und trotzdem hatte er sie immer lebhaft vor Augen, ihre Miene, ihr Lachen und ihre ausholenden Gesten, mit denen sie ihre Worte unterstrich. Sophie konnte er sich immer ganz genau vorstellen.

„Vielleicht hätte ich gekämpft, wäre es nicht um Melissa gegangen“, erklärte Sophie. „Aber ich habe ihr Gesicht gesehen. Sie ist es gewohnt, dass die Männer sie anbeten, aber ich glaube, sie selbst hat vorher noch nie wirklich etwas für einen Mann empfunden.“

Abrupt hielt sie inne. Zu spät war ihr bewusst geworden, dass Bram ziemlich lange in ihre Schwester verliebt gewesen war. Und Bram zu verletzen war das Letzte, was sie wollte. „Tut mir leid“, sagte sie zerknirscht.

„Ist schon in Ordnung. Ich weiß, was du meinst.“ Sophie hatte recht. Melissa war es eher gewohnt, geliebt zu werden als selbst zu lieben.

„Ich glaube, bei Melissa war es Liebe auf den ersten Blick“, fuhr Sophie fort. „Es hat sie völlig umgeworfen. Sie konnte ihre Augen nicht von Nick lassen. Und obwohl sie meinetwegen versucht hat, es nicht zu zeigen, konnte ich erkennen, was in ihr vorging.“ Sie rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Für mich war es da schon zu spät. Ich wusste, dass Nick mich nie wieder so sehen konnte wie früher, nachdem er Melissa kennengelernt hatte. Jetzt haben Melissa und Nick wenigstens die Chance, glücklich zu werden.“

„Weiß Melissa eigentlich, was du für sie getan hast?“, fragte Bram. Nur wenige Schwestern würden ein solches Opfer bringen wie Sophie.

Sie nickte. „Sie hat sich schrecklich gefühlt und sehr geweint, als ich ihr sagte, dass ich Nick nun doch nicht heiraten würde. Sie meinte, mir das nicht antun zu können, aber ich habe ihr klargemacht, dass es nicht ihre Schuld sei. Die beiden konnten ja nichts dafür, dass sie sich ineinander verliebt haben.“

„Also sind Nick und Melissa jetzt zusammen?“

„Ja.“ Sophie schaute auf ihre Hände und kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals an. Sie würde nicht mehr weinen. „Nick ist hierher zu Melissa gezogen. Sie wollen zusammen ein Geschäft für Freizeitkleidung aufmachen. Im September werden sie heiraten.“ Endlich – das Schlimmste war heraus. „Deshalb bin ich auch gekommen. Mum will, dass ich mein Brautjungfernkleid anprobiere.“

„Du wirst Melissas Brautjungfer?“, fragte Bram entgeistert. „Das musst du dir doch nicht antun, Sophie. Du verlangst dir damit viel zu viel ab.“

„Es würde doch seltsam aussehen, wenn ich nicht Melissas Brautjungfer wäre“, erklärte sie. „Meine Eltern wissen ja nichts von Nick und mir. Ich glaube, es wäre schrecklich für sie, wenn sie davon erfahren würden. Außerdem wüssten sie dann gar nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollen. Deshalb habe ich Melissa vorgeschlagen, dass wir es ihnen nicht sagen.“ Sie seufzte. „Die Version für meine Eltern lautet, dass Melissa ihn getroffen hat, als sie mich in London besuchte. Mein Verlobter hat mich etwa zur gleichen Zeit sitzen lassen und hieß zufällig auch Nick. Zumindest erklärt das, warum es mir im Moment nicht sonderlich gut geht.“ Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande. „Meine Mutter glaubt, dass ich eifersüchtig bin, weil Melissa bald heiratet und ich nicht.“

Bram zog die Brauen zusammen. „Das ist nicht fair dir gegenüber.“

Sophie zuckte die Schultern. „Um ehrlich zu sein, fühle ich überhaupt nichts mehr, sodass es mir ziemlich egal ist. Melissa und Nick wollen sich hier gemeinsam etwas aufbauen. Und es ist doch sinnlos, ihnen Schwierigkeiten zu machen oder Mum und Dad damit zu belasten, die sie jeden Tag sehen. Ich glaube, es ist für alle am besten, wenn nur ich, Melissa und Nick wissen, wie es wirklich war.“ Sie schwieg einen Moment.

„Dir wollte ich es eigentlich auch nicht sagen“, fuhr sie hilflos fort. „Aber manchmal … fühle ich mich so allein. So deprimiert, unglücklich und einsam. Ich hasse mich dafür, weil ich es nicht abstellen kann. Meine Mutter sagt ständig, dass ich Melissa die Hochzeit noch verderbe, aber ich kann mit niemandem darüber reden.“ Ihre Stimme zitterte verdächtig. „Mit Melissa kann ich auch nicht sprechen, weil sie sich nur noch schuldiger fühlt, wenn sie weiß, wie schlecht es mir geht. Und sonst kennt niemand die Wahrheit.“

Tröstend legte Bram den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. „Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast. Du kannst immer mit mir reden, wenn du willst.“

Plötzlich hatte sie ein so überwältigendes Bedürfnis, sich an seiner starken Schulter auszuweinen, dass sie eine Weile brauchte, um sich wieder zu fassen.

„Danke, Bram. Jetzt, wo ich dir alles erzählt habe, geht es mir schon besser.“

Er löste den Arm von ihrer Schulter. „Kann ich sonst noch was für dich tun?“, fragte er schlicht.

Sophie zögerte. „Würdest du … zur Hochzeit kommen? Ich weiß, es ist nicht einfach für dich, dabei zu sein, wenn Melissa heiratet. Und ich habe fast ein schlechtes Gewissen, dich darum zu bitten. Aber es würde mir sehr viel bedeuten, wenn ich wüsste, dass dann jemand an meiner Seite ist.“

Natürlich hatte Bram Sophies Wunsch erfüllt und war zur Hochzeit gegangen. Er hatte in der kleinen Dorfkirche gestanden und Melissa angeschaut. Sie war schöner als je zuvor, während ihr Blick voller Bewunderung auf Nick ruhte. Seltsamerweise hatte es Bram nicht so wehgetan, wie er angenommen hatte.

Vielleicht, weil er zu besorgt um Sophie war, um über seine eigenen Gefühle nachzudenken. Er wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, die Hochzeit zu überstehen. Sie hatte gelächelt und sich unterhalten, und Bram fragte sich, ob er der Einzige war, der den Schmerz in ihren Augen sah, der Einzige, der ahnte, wie viel Überwindung es sie kostete, ihre Rolle zu spielen. Niemand außer ihm wusste es zu schätzen, wie tapfer sie war.

Sophie hatte ihrer Schwester zum Abschied gewinkt, als sie in die Flitterwochen aufbrach – mit dem Mann, den sie selbst liebte. Dann war sie nach London zurückgekehrt. Seither hatte sie die beiden nicht mehr gesehen und kam nur noch nach Hause, wenn sie nicht da waren. Ihren Eltern gegenüber flüchtete sie sich in Ausreden, aber Bram wusste, dass es wegen Nick war.

Als Sophie sich nun bei ihm einhakte, holte sie ihn in die Wirklichkeit des rauen Novembertages zurück. Freundschaftlich lehnte sie sich an seine Schulter, und Bram wurde sich ihrer Gegenwart auf eine ganz neue Weise bewusst. Früher hatte er nie bemerkt, wie weich sie sich anfühlte oder wie perfekt ihre Körper zusammenpassten, wenn sie sich an ihn schmiegte.

Und sie hatte genau die richtige Größe für ihn. Auch das war ihm vorher noch nie aufgefallen. Ihre zerzausten Locken, die ihn am Kinn kitzelten, rochen sauber und frisch wie Stechginster mit einem Hauch von Kokosnuss-Shampoo.

Er selbst zog den reinen Duft des Stechginsters vor. Bram hatte noch nie an einem tropischen Strand unter Kokospalmen gelegen und vermisste es auch nicht. Ihm reichten vollauf die Hügel seiner Heimat mit dem blühenden Stechginster. Die leuchtenden, ansehnlichen gelben Blüten des Ginsters mit ihrem herben Duft und den Stacheln erinnerten ihn an Sophie.

Bram versuchte, sich davon abzulenken, dass Sophie ihren Körper an seinen presste. Er spürte eine Erregung, die neu für ihn war. Sophie war für ihn stets wie eine Schwester gewesen.

„Es ist schon mehr als ein Jahr her“, sagte sie, ohne sich seiner beunruhigenden Zerstreutheit bewusst zu sein. „Ich dachte, ich würde Nick allmählich vergessen, aber ich glaube, ich liebe ihn noch immer. So habe ich noch nie für einen Mann gefühlt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals einen anderen so lieben könnte. Ich weiß einfach nicht, wie ich über ihn hinwegkommen soll.“

„War er so perfekt?“ Bram hatte Nick kurz bei der Hochzeit kennengelernt und war keineswegs besonders beeindruckt gewesen. Melissas Ehemann war ihm gönnerhaft und ein bisschen zu selbstgefällig erschienen. Auf der anderen Seite hätte er, Bram, sich vielleicht auch selbstherrlich gegeben, wenn er Melissa für sich hätte gewinnen können.

„Nein, Nick ist nicht perfekt“, entgegnete Sophie. „Manchmal ist er richtig arrogant und ein bisschen zu sehr auf seinen Vorteil bedacht, aber er hatte so etwas Aufregendes an sich … ach, ich kann nicht richtig erklären, welche Gefühle er bei mir ausgelöst hat. Aber seit ich mit ihm zusammen war, ertrage ich den Gedanken nicht, dass mich ein anderer Mann berührt.“

Bram wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Gerade jetzt schmiegte sich ihr weicher warmer Körper an seinen, und ihm drängte sich die Vorstellung auf, wie es sich anfühlen mochte, ihre samtene Haut zu berühren.

„Ich habe versucht, mich mit anderen Männern zu treffen“, fuhr Sophie unbeirrt fort, „aber ich musste jedes Mal daran denken, wie es mit Nick war. Ich habe mir eingeredet, dass es anders sein würde, wenn ich ihm wirklich gegenüberstehe, aber ich habe Angst davor. Was ist, wenn sich nichts verändert hat? Melissa würde sofort erkennen, dass ich ihn immer noch liebe, und sie hätte ein schlechtes Gewissen.“

„Und deshalb bist du in London geblieben.“

Sie nickte. „Ich bin nicht gerne dort, und ich habe furchtbares Heimweh. Aber zu Hause würde ich Nick die ganze Zeit sehen, und ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll. Melissa fühlt sich schrecklich wegen der ganzen Geschichte. Manchmal ruft sie mich an und bittet mich, sie zu besuchen, aber ich schaffe es nicht. Und dann fühle ich mich schuldbewusst, weil sie verstimmt ist.“

Sie schluckte. „Wenn ich einen Freund hätte, wäre es vielleicht anders. Dann könnten Melissa – und wohl auch Nick – den Eindruck haben, dass ich darüber hinweg bin, aber ich kann mir ja keinen Mann aus dem Ärmel schütteln. Meine Mutter glaubt, dass es mein Fehler ist. Sie will mich unbedingt verheiratet sehen.“

„Warum das denn?“, fragte Bram verblüfft.

„Weil ihr Melissas Hochzeit so gut gefallen hat, und jetzt brennt sie darauf, wieder ein solches Fest zu organisieren. Sie war außer sich, als Susan Jackson letzten Sommer geheiratet hat. Du weißt ja, dass sie und Maggie Jackson seit je versuchen, sich gegenseitig auszustechen. Mum war richtig böse, dass Maggie es geschafft hatte, schon drei Töchter zu verheiraten. Und alle mit, wie Mum es ausdrückt, ‚anständigen Hochzeiten‘. Also mit Kirche, langem, weißem Brautkleid und einem Zelt im Garten.“

Autor

Jessica Hart

Bisher hat die britische Autorin Jessica Hart insgesamt 60 Romances veröffentlicht. Mit ihren romantischen Romanen gewann sie bereits den US-amerikanischen RITA Award sowie in Großbritannien den RoNa Award.

Ihren Abschluss in Französisch machte sie an der University of Edinburgh in Schottland. Seitdem reiste sie durch zahlreiche Länder, da...

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