Julia Ärzte zum Verlieben Band 132

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KEINER KÜSST WIE DR. STEEL von CAROL MARINELLI
Sein Anblick trifft Krankenschwester Candy wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Noch nie hat sie einen Mann so begehrt wie Dr. Guy Steel. Schon bald verbringt sie heiße Nächte in seinen Armen - und verliebt sich in den Herzensbrecher. Aber er ist kein Mann für die Ewigkeit …

AUCH KRANKENSCHWESTERN BRAUCHEN LIEBE von JANICE LYNN
Die hinreißende Carly hat ihn vom ersten Augenblick an fasziniert. Und Dr. Stone Parker ist fest entschlossen, die bezaubernde Krankenschwester für sich zu gewinnen. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen, das spürt er genau. Aber warum weist sie ihn dann immer wieder zurück?

EIN NOTFALL FÜR ZWEI von KATE HARDY
Nie wieder wird sie sich verlieben, das hat sich Notärztin Beatrice geschworen. Doch der umwerfend attraktive Dr. Daniel Capaldi bringt ihren Entschluss ins Wanken, und sie beginnt mit ihm eine leidenschaftliche Affäre. Bis das passiert, wovor sie am meisten Angst im Leben hat …


  • Erscheinungstag 15.11.2019
  • Bandnummer 132
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713560
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Janice Lynn, Kate Hardy

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 132

CAROL MARINELLI

Keiner küsst wie Dr. Steel

Dr. Guy Steele ist kein Mann für immer und ewig, das sagt er auch der hinreißenden Candy – und beginnt eine heiße Affäre mit der lebenslustigen Krankenschwester. Es folgen sinnliche Tage und Nächte, und Guy muss feststellen: Er hat sein Herz an Candy verloren. Aber wird sie ihn noch wollen, wenn sie sein tragisches Geheimnis erfährt?

JANICE LYNN

Auch Krankenschwestern brauchen Liebe

Ein Blick in seine grünen Augen, und es ist um Carly geschehen. Doch sie darf sich nicht in Dr. Stone Parker verlieben. In ihrem Leben ist kein Platz für einen Mann! Irgendwann kann sie der Versuchung nicht mehr widerstehen – und erlebt sinnliche Stunden in seinen Armen. Aber wird sie es jemals wagen, ihm auch ihr Herz zu öffnen?

KATE HARDY

Ein Notfall für zwei

Eine feste Beziehung kommt für Dr. Daniel Capaldi nicht infrage, schließlich muss er sich alleine um seinen Sohn kümmern. Doch den Reizen seiner neuen Kollegin Beatrice kann er auf Dauer nicht widerstehen und beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit der sexy Notärztin. Womit er nicht gerechnet hat: Die heißen Nächte bleiben nicht ohne Folgen …

1. KAPITEL

„Sie haben mich angepiept, ich soll zu einem Patienten?“

„Nein, habe ich nicht.“ Candy, einen Haufen Bettwäsche im Arm, lächelte, obwohl mit offenem Mund zu starren naheliegender gewesen wäre. Er sah atemberaubend aus – groß, schlank, in Anzug und Krawatte. Sein dunkelbraunes Haar war kurz geschnitten, und seine Stimme so tief und eindringlich, dass Candy wie angewurzelt stehen blieb. Sie sah ihm direkt in die schokoladenbraunen Augen und brauchte einen Moment, um normal zu antworten. „Zu wem sollen Sie?“

„Zu einem Thomas Heath.“

Candy ging hinüber zum Brett. In der Notaufnahme im London Royal Hospital war an diesem Nachmittag nicht viel los, aber da sie im Schockbereich eingesetzt war, wusste sie nicht, welche Patienten in den Kabinen lagen. „Er ist in der Sieben. Trevor ist sein Pfleger, wahrscheinlich hat er Sie angepiept.“

„Dankeschön. Ich bin übrigens Steele.“

„Steele?“

Er sah, wie der Blick aus ihren tiefblauen Augen zu seinem Namensschild wanderte. „Also, Dr. Guy Steele, wenn Sie es lieber förmlich haben“, sagte er.

„Steele reicht.“ Ich muss aussehen wie aus der Zahnpastawerbung, dachte Candy, denn sie konnte einfach nicht aufhören, ihn anzulächeln. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, deutlich älter als sie mit ihren vierundzwanzig und auch als alle anderen, in die sie sich bisher verguckt hatte. Doch er hatte diese Wirkung auf sie, diese Präsenz, die Candys Herz schneller schlagen ließ.

„Und wer sind Sie?“, fragte er.

„Candy. Candy Anastasi.“ Sie sah seine Mundwinkel zucken. „Ich weiß, ich weiß, mit so einem Namen müsste ich eigentlich groß, langbeinig und blond sein!“ Stattdessen war sie klein und ein bisschen rundlich, hatte lange schwarze Locken und blaue Augen. „Dazu gibt es eine Geschichte.“

„Ich kann es nicht erwarten, sie zu hören, Schwester Candy.“

Was für eine tiefe Stimme. Er klang wie ein Schuldirektor, ernst und streng, doch das wurde abgemildert von seinem wunderschönen Mund, von dem sie ihren Blick kaum losreißen konnte. „Sie werden nie erfahren, wie ich zu meinem Namen gekommen bin“, sagte Candy.

„Na, das werden wir noch sehen.“

Haben wir gerade geflirtet? fragte sich Candy, als dieser unglaublich attraktive Mann davonging.

„Wer ist das denn?“, fragte Kelly, als sie anfingen, eines der Betten abzuziehen.

„Steele!“, sagte sie mit betont tiefer Stimme, sodass Kelly lachen musste. Sie sprach weiter in schroffem Ton, während sie sich über das Bett beugten und das Bettlaken feststeckten. „Oder Dr. Guy Steele, wenn wir es förmlich halten wollen, und, junge Dame, ich werde Ihr Trommelfell dröhnen lassen mit meiner tiefen …“

„Schwester Candy?“

Candy erstarrte. Steele stand hinter ihr.

„Kann ich mir Ihr Stethoskop ausleihen?“, fragte er.

Sie lachte, nahm ihr Stethoskop vom Hals und hielt es ihm hin, zog es aber wieder zurück, als er danach griff. „Können Sie“, sagte sie. „Wenn Sie aufhören, mich Schwester Candy zu nennen.“

Er nahm nur das Stethoskop, lächelte und ging.

Sie bezogen alle Betten und prüften die Notfallwagen. Dann hörten sie auf, beschäftigt zu tun, da ihre Chefin Lydia ohnehin im Büro war. Stattdessen brachten sie eine Kanne Eistee ins Stationszimmer, wo Steele am Computer saß und geschäftig tippte.

„Wie komme ich denn an meine Pathologie-Ergebnisse ran?“, fragte er, ohne sich umzudrehen.

„Haben Sie Ihr Passwort?“, fragte Candy.

„Ja, und ich bin bis …“ Er drückte noch einmal die Eingabetaste. „Jetzt hab ich’s.“

„Hast du deinen Eltern schon das mit Hawaii erzählt?“, fragte Kelly und setzte damit das Gespräch fort, das sie in der Küche bei der Zubereitung des Tees mit Candy geführt hatte.

„Nein.“

„Du fährst in vier Wochen“, gab Kelly zu bedenken.

„Vielleicht merken sie gar nicht, dass ich weg bin“, entgegnete Candy hoffnungsvoll. Sie seufzte. Ihre Eltern waren Sizilianer, streng und durchaus geneigt, unangekündigt bei ihr vor der Tür zu stehen. Außerdem telefonierten sie jeden Tag. „Ich weiß, ich muss es ihnen sagen, sonst setzen sie mich gleich auf die Vermisstenliste von Interpol.“

Candy hatte aus einer Laune heraus einen Urlaub in Hawaii gebucht. Als die Werbung auf ihrem Fernseher lief, mit einem Sonderangebot für die ersten zehn Anrufer, war sie müde gewesen, ausgepowert, und hatte sich auch noch über ihre dumme Affäre mit Gerry, einem der Stationspfleger, geärgert. Zum Glück war er jetzt ein paar Monate in Griechenland, und ihr blieb es erspart, ihn ständig zu sehen. Als sie zum Telefon gegriffen hatte und tatsächlich unter den ersten zehn Anrufern gewesen war, hatte sie gewusst, dass sie diese Auszeit brauchte.

Sie konnte es nicht erwarten, zwei Wochen lang am Strand zu liegen, die wunderschöne Insel zu erkunden und sich nebenbei über ein paar Sachen klar zu werden.

„Die flippen aus, wenn sie das hören“, sagte Candy. „Sie wissen, dass ich mir das eigentlich nicht leisten kann.“

„Das ist all-inclusive?“, erkundigte sich Kelly, und Candy nickte.

„Ich brauche nur ein bisschen Taschengeld. Aber ich habe gerade mit dem Springerpool gesprochen und mache in nächster Zeit jede Menge Schichten. Ich habe gar keinen Tag mehr frei, bis ich fliege.“

„Wo machst du die Schichten?“

„In der Geriatrie.“

Kelly verzog das Gesicht. „Bah.“

Candy machte das nichts aus. Die Arbeit in der Geriatrie hatte ihr schon in der Ausbildung Spaß gemacht, und sie konnte die zusätzlichen Schichten wirklich gebrauchen. Auch wenn sie schon erschöpft war, wenn sie nur daran dachte, dass sie noch vier Wochen durcharbeiten musste.

Wie ihre Eltern entgegenhalten würden, wenn sie ihnen endlich von ihrem Urlaub erzählen würde, war es zwar unsinnig, Zusatzschichten zu übernehmen, weil man so ausgelaugt war, dass man einen Urlaub brauchte, aber Candy wollte einfach einmal eine Weile weg von allem.

„Wann fängst du dort an?“

„Dieses Wochenende. Ich arbeite Freitagnacht, dann habe ich eine Vierstundenschicht Sonntagvormittag, und dann bin ich am Montag wieder da.“

„Okay.“ Steele drehte sich um. „Mr. Heath kommt in den Schockbereich. Er muss überwacht werden, während ich die Medikation einleitete. Seine Blutwerte sind furchtbar.“

„Alles klar.“ Candy sprang von der Bank, und sie und Trevor verlegten Mr. Heath.

Danach schrieb Candy seinen Namen auf das Whiteboard und wandte sich Steele zu. „Zu welcher Station gehört er?“

„Geriatrie“, sagte er. Dann schmunzelte er. „Bah!“

Candys Wangen liefen rot an. Sie wollte ihm erklären, dass das nicht von ihr gekommen war.

„Ist in Ordnung“, lenkte Steele ein, als er sah, wie peinlich es ihr war. „Sie haben einen wunden Punkt getroffen, so was muss ich mir oft anhören.“

„Sie sind also der neue Facharzt in der Geriatrie?“, fragte Kelly, doch Steele schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bin nur vorübergehend hier. Ich vertrete sechs Wochen lang Kathy Jordan während ihrer Abwesenheit.“

„Nur sechs Wochen?“, fragte Kelly ungeniert.

„Japp“, sagte Steele und ging davon.

„Wow, da kriegt die Geriatrie ja mal richtig was zu sehen“, sagte Kelly. „Und du Glückliche darfst dort arbeiten. Ich wette, jetzt beschwerst du dich nicht mehr.“

Ich habe mich gar nicht beschwert, war Candy versucht, sie zu korrigieren.

Bald war es mit der Ruhe vorbei, und die Notaufnahme füllte sich. Sie und Kelly hatten im Schockbereich jede Menge zu tun. Kelly kümmerte sich um ein schwerkrankes Baby, und Candy versuchte, Mr. Heath zu beruhigen. Die Medikation hatte ihn zittrig werden lassen, er wurde immer aufgeregter und versuchte, aus dem Bett zu steigen.

„Die Medikamente lassen Ihr Herz schneller schlagen, Mr. Heath“, versuchte Candy zu erklären. „Das wird sich bald geben …“ Doch er verstand sie nicht und versuchte weiter aufzustehen, also versuchte Candy es mit lauter Stimme. „Die Medikamente …“

„So geht das.“ Steele sah, dass sie Schwierigkeiten hatte, und kam zu ihr. „Mr. Heath!“, brüllte er.

Das hat man sicher bis ins Wartezimmer gehört, dachte Candy, als er Mr. Heath seinen Zustand genau so erklärte, wie sie es versucht hatte. Der ältere Herr nickte schwach und legte sich dann wieder hin. „So ist gut!“, rief Steele und lächelte Candy zu. In vergleichsweise lieblichem Ton fügte er hinzu: „Ich habe die perfekte Stimme für meinen Job.“

„Definitiv.“

„Sie machen also ein paar Schichten oben in der Geriatrie?“

„Genau.“

„Für einen Urlaub, den Sie sich gar nicht leisten können?“

„Ich weiß“, stöhnte Candy.

„Das machen Sie ganz richtig“, entgegnete Steele, und Candy hob überrascht die Augenbrauen. „Okay, wenn die Medikation bei Mr. Heath durch ist, soll er hier noch eine Stunde überwacht werden. Dann kann er aufgenommen werden. Wir warten nur noch auf ein Bett, das könnte ein paar Stunden dauern. Die von der Station werden hier anrufen, wenn er hochkommen kann.“

„Haha“, entgegnete Candy, denn die Station würde nie und nimmer anrufen. Stattdessen würde sie den Leuten hinterherlaufen und darauf drängen müssen, dass das Bett fertig gemacht wird.

Steele verstand ihre sarkastische Reaktion. „Ich hoffe wirklich, dass sie bald anrufen. Ich bin nicht besonders begeistert davon, wie lange Patienten im Royal warten müssen, bis sie ein Bett bekommen.“

Mit diesen Worten schritt er davon.

Noch niemals hatte es jemand geschafft, Candy so schnell in seinen Bann zu ziehen.

Als man sie die Mittagspause schickte, ließ sie Mr. Heath in der Obhut von Kelly. Sie hatte vergessen, sich etwas zu essen mitzunehmen, also kaufte sie eine Tüte Salz-Essig-Chips aus dem Automaten und steckte diese zwischen zwei Scheiben Butterbrot. Im Aufenthaltsraum lächelte sie Trevor zu, der ebenfalls zu Mittag aß, und sah auf ihr Telefon. Ja, ihre Eltern hatten angerufen, weil sie nicht vorbeigekommen war.

Ich erzähle ihnen das mit Hawaii heute Abend, beschloss Candy. Sie musste es einfach nur hinter sich bringen, dann würde sie sich vielleicht besser fühlen. Doch sie war auch todmüde und wollte eigentlich nur nach Hause, eine Kleinigkeit essen und früh ins Bett gehen.

„Hier.“

Diese spezielle Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und sie sah auf zu Steele, der ihr das Stethoskop hinhielt.

„Danke“, sagte Candy. „Aber Sie hätten sich mit dem Zurückgeben nicht so beeilen müssen, das ist nur das Standardmodell vom Krankenhaus.“

„Oh, ich dachte, es wäre Ihr persönliches. Aber ich musste sowieso runterkommen. Ich warte auf eine Patientin. Sie wurde von ihrem Hausarzt eingewiesen, will aber nicht direkt auf die Station. Sie will nur einen Röntgen-Thorax und ein paar Bluttests und glaubt, dass sie dann nach Hause kann.“

„Glaubt?“, fragte Candy, als Steele sich neben sie setzte und seine langen Beine ausstreckte. Ihr gefiel es, dass er sich neben sie setzte, obwohl ungefähr zwanzig Stühle zur Auswahl gestanden hätten. Sie wandte sich ihm zu und lächelte, während er weitersprach.

„Ihr Hausarzt macht sich große Sorgen um sie. Er vermutet, dass bei ihr deutlich mehr los ist, als sie zugibt. Macey ist seit dreißig Jahren bei ihm, und wenn er besorgt ist, dann bin ich das auch. Er glaubt, dass sie depressiv ist.“ Er wandte sich ihr zu, schaute ihr direkt in die Augen. Candy hatte das Gefühl, ihr Herz würde einen kleinen Salto hinlegen. „Das ist ein großes Problem bei Senioren.“

„Wirklich?“

Steele nickte und sah sich an, was sie aß. „Das sieht so eklig aus, dass es lecker sein muss.“

„Es ist superlecker“, sagte Candy, brach ihr Brot entzwei und gab ihm die Hälfte. „Man muss nur richtig viel Butter nehmen.“

„Das ist genial!“, sagte Steele, als er es gekostet hatte.

„Brot kann ich gut“, sagte Candy. „Sandwich vom Grill, Eiscreme-Sandwich, Bohnen auf Toast …“

„Ich dachte, eine nette Sizilianerin wie Sie müsste eine super Köchin sein.“

„Leider nein“, sagte Candy. „Das bereitet meiner Mutter auch große Sorgen. Und wer sagt, dass ich nett bin?“

Sie lächelten sich an.

Es war ein eigentlich unangemessenes Lächeln für einen Mann, den sie erst seit etwa einer Stunde kannte. Es war ein Lächeln, wie sie es noch nie einem anderen Mann geschenkt hatte, und sie hatte keine Ahnung, wo es herkam.

Candy Anastasi! ermahnte sie sich selbst, als sie in diese dunkelbraunen Augen blickte.

Halte dich fern von dieser blutjungen Pflegerin, dachte Steele. Aber sie ist doch so hinreißend.

Lydia kam herein, und beide wandten ihren Blick ab. Lydia wedelte mit einer Ansichtskarte von einem wunderschönen azurblauen Meer, und Candy hielt angespannt die Luft an, während Lydia sie vorlas. „Eine Postkarte von Gerry. Da steht ‚Das Wetter ist schön, aber noch schöner ist, dass keiner von euch hier ist‘.“

Lydia lächelte gequält und steckte die Karte an die Pinnwand.

Candy starrte nur auf den Fernseher. War diese Spitze von Gerry an sie gerichtet?

„Wann kommt er zurück?“, fragte Trevor.

„Ende Juli, glaube ich.“

Lydia blieb absichtlich vage, und Candy wusste, warum. Gerry, Stationspfleger der Notaufnahme, war dringend geraten worden, einen verlängerten Urlaub zu nehmen.

Gerry war einer der Gründe für Candys Bedürfnis, zwei Wochen ganz allein am Strand zu liegen.

Ihre Eltern waren entsetzt gewesen, als sie sich mit zweiundzwanzig von einem ihrer meiner Meinung nach bestens geeigneten Mann getrennt und verkündet hatte, ausziehen zu wollen. Die Aussicht, dass die einzige Tochter aus dem Haus gehen könnte, hatte sie so erschüttert, dass Candy noch ein Jahr dort blieb.

Doch danach musste sie einfach gehen.

Ihre Mutter hatte nichts dabei gefunden, ihre Post zu öffnen. Sie fragte ständig, mit wem Candy telefonierte, und wenn Candy auf ihr Recht auf Privatsphäre pochte, fragten sie, was sie zu verstecken hatte.

Letztes Jahr war sie ausgezogen, aber dass sie dies auch ausgenutzt hätte, konnte man nicht sagen. Kurz nach dem Einzug in ihre Wohnung war sie eine Zeit lang mit Gerry zusammen gewesen, aber das hatte nicht funktioniert, und seitdem war sie Single.

Vor ein paar Monaten war sie mit ihm etwas trinken gegangen, weil sie wusste, dass er Probleme hatte. Das hatte zu einem One-Night-Stand geführt, den Candy sofort bereut hatte. Gerry war sauer gewesen, dass sie ihre kurze Beziehung nicht wiederaufnehmen wollte.

Candy war nur froh, dass auf der Arbeit niemand von dieser unsäglichen Nacht wusste, und Candy wollte sie einfach vergessen.

„Du wirst auch bald Postkarten verschicken“, sagte Steele, aber Candy schüttelte den Kopf.

„Ich werde nicht eine Sekunde an dieses Krankenhaus denken.“

Das entsprach jedoch nicht ganz der Wahrheit. Candy würde sehr wohl an die Arbeit denken – denn sie erwog ernsthaft, mit der Notfallmedizin aufzuhören.

2. KAPITEL

Als sie aus der Mittagspause kam, wurde sie informiert, dass Steeles Patientin eingetroffen war, sich aber weigerte, in die Notaufnahme zu kommen, und lauthals gefordert hatte, der Krankenwagen solle sie nach Hause bringen.

„Ich komme raus und rede mit ihr“, sagte Candy, als Steele telefonieren musste. Sie ging hinaus zum Krankenwagen und fand eine Frau mit Tränen in den Augen vor, die sich als Catherine, die Nichte von Macey Anderson, vorstellte.

„Ich wusste, dass das passieren würde“, sagte Catherine. „Es hat zwei Tage gedauert, sie hierher zu bekommen. Sie war früher an diesem Krankenhaus Oberschwester und glaubt, dass sie das immer noch ist.“ Catherine lächelte müde. „Sie war vor ein paar Monaten schon mal hier, und am Ende hatte sie praktisch den ganzen Laden unter ihrer Fuchtel.“

„Ich will nach Hause“, rief Macey, als Candy in den Krankenwagen stieg.

Macey war eine sehr große, sehr hübsche Frau mit drahtigen grauen Locken, einem rot angelaufenen Gesicht und sehr wütenden dunkelgrünen Augen. Sie hatte all ihre Sachen dabei, einen großen Koffer, ein Gehgestell und verschiedene weitere Taschen.

„Mrs. Anderson …“, setzte Candy an und hatte schon einen Fehler begangen.

„Ich bin Miss Anderson!“

„Entschuldigung, Miss Anderson. Mein Name ist Candy Anastasi, ich bin Pflegerin in der Notaufnahme und werde mich heute um Sie kümmern.“

„Wie oft muss ich noch sagen, dass sich keiner um mich kümmern soll!“, entgegnete Macey. „Ich will nach Hause gebracht werden.“

Es schien hoffnungslos. Je mehr sie versuchten, sie zum Hineingehen zu überreden, desto wütender wurde Macey. Candy wollte sie auf keinen Fall aufgelöst und weinend in die Notaufnahme schieben, also versuchte sie eine andere Taktik. Da sie selbst einmal Oberschwester gewesen war, wollte sie doch sicherlich keine Schwester in Schwierigkeiten bringen.

„Dr. Steele wartet schon auf Sie“, sagte Candy. „Soll ich reingehen und ihm sagen, dass ich Sie nicht überzeugen konnte mitzukommen?“

Macey sah Candy lange an, dann schweifte ihr Blick an ihr vorbei. Candy konnte sich denken, dass Steele gerade in den Krankenwagen gestiegen war.

„Gibt es ein Problem, Schwester? Ich warte schon eine ganze Weile.“ Seine tiefe Stimme klang ein wenig unheilvoll, und Candy und Macey schauten sich kurz an.

„Nein“, antwortete Macey an Candys Stelle. „Ich sollte gerade reingebracht werden.“

„Gut“, sagte Steele. „Dann sehen wir uns gleich drinnen, Miss Anderson.“

Als er zurück in die Notaufnahme ging, verstand Candy, warum sich Steele möglicherweise so seriös kleidete. „Wenigstens ist er nicht so ein junger Bursche in Jeanshosen“, murmelte Macey.

Candy lächelte – ja, Steeles Erscheinung und sein autoritärer Tonfall hatten Macey besänftigt.

Macey wurde auf der Trage in Kabine sieben geschoben. „Keine Sorge, Miss Anderson, wir helfen Ihnen aufs Bett“, versicherte Candy.

„Das schaffe ich schon allein“, zischte die ältere Dame. „Und nennen Sie mich bitte Macey.“

„Das bedeutet, dass sie Sie mag“, sagte ihre Nichte und bedeutete Candy mit einem kurzen Nicken, ihr nach draußen zu folgen.

„Ich hab das hier im Griff“, sagte Matthew, ein sehr geduldiger Sanitäter, und Candy ging nach draußen, um mit Catherine zu sprechen.

„Ihr Hausarzt wollte sie schon vor zwei Tagen einweisen“, erklärte Catherine. „Ich bin so erleichtert, dass sie jetzt endlich hier ist. Sie hat Fieber und isst und trinkt kaum etwas. Ihre Tabletten nimmt sie nicht, und wenn, dann bringt sie sie durcheinander …“

„Wir kümmern uns um all das.“ Candy tat ihr Bestes, Maceys Nichte zu beruhigen.

„Sie ist so störrisch und unhöflich“, erzählte Catherine, „dass sie alle verschreckt, aber sie kann auch so reizend sein. Sie war immer allein, hatte nie einen Partner, geschweige denn einen Ehemann. Sie ist so eingefahren und hasst es, sich vor jemandem ausziehen zu müssen. Da steht Ihnen noch einiges bevor …“

„Lassen Sie das unsere Sorge sein“, sagte Candy, „und machen Sie sich keine Gedanken darum, wie sie mit uns redet. Glauben Sie mir, wir haben schon viel Schlimmeres erlebt.“

„Danke.“ Catherine lächelte vorsichtig, und sie gingen wieder hinein. Mit Maceys riesiger Tasche und dem Gehgestell war die Kabine ziemlich voll, und Candy räumte ein wenig auf. „Ich würde sagen, wir ziehen Ihnen erst einmal ein Hemd an, und dann …“

„Ein Hemd anziehen?“, rief Macey entsetzt. „Sie haben sich noch nicht mal vorgestellt, und schon soll ich mich ausziehen?“ Candy sagte nichts. Sie hatte sich schon im Krankenwagen vorgestellt. „Sie taugen doch überhaupt nichts als Krankenschwester“, sagte Macey zur Candy, als Steele gerade hereinkam.

„Guten Tag, Miss Anderson“, sagt er. „Ich habe mich im Rettungswagen gar nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Steele, oder Dr. Steele, wenn Sie es lieber förmlich haben.“

Candy unterdrückte ein Grinsen. So stellte er sich wahrscheinlich fünfzigmal am Tag vor.

Er ging mit Macey ein paar Fragen durch, und Catherine hörte mit sorgenvollem Blick zu.

„Sie hatten vor drei Monaten einen Herzinfarkt?“, erkundigte sich Steele. „Und waren danach eine Woche lang hier im Krankenhaus?“

„Die haben mich nur mit Medikamenten vollgepumpt“, schimpfte Macey. „Wo waren Sie denn da?“

„In Newcastle, glaube ich“, entgegnete Steele.

„Und wie lange arbeiten Sie jetzt hier?“

„Seit zwei Tagen“, antwortete Steele ungerührt.

„Dann sind Sie morgen wieder weg“, schnaubte Macey. „Sie sind ja nur Vertretungsarzt.“

„Ja, das bin ich, allerdings ein ausgesprochen guter“, sagte Steele völlig unbeeindruckt. „Ich bin sechs Wochen hier, da haben wir genug Zeit miteinander.“

Sie gingen ihre ganze Krankengeschichte durch. Abgesehen vom Herzinfarkt war Macey durchaus gesund. Sie hatte nie geraucht, nie getrunken und verrichtete trotz ihrer achtzig Jahre noch immer ihre Hausarbeit allein. Nur ihre Nichten Catherine und Linda halfen ein wenig. Bis vor ein paar Tagen war Macey jeden Tag allein einkaufen gegangen.

„Das ist eine ganz schöne Strecke“, erzählte Catherine. „Ich habe ihr angeboten, einmal in der Woche im Supermarkt für sie einkaufen zu gehen, aber Tante Macey wollte nichts davon wissen.“

„Ich laufe nun mal gern“, zischte Macey.

„Das ist prima, Bewegung ist gut für Sie“, sagt Steele. „Haben Sie Treppen im Haus?“

„Ja, und die bereiten mir überhaupt keine Probleme“, erwiderte Macey scharf. „Meine Beine sind bestens in Form!“

„Gut, Miss Anderson“, sagte Steele. „Candy wird Ihnen jetzt beim Umziehen helfen, Ihre Vitalzeichen kontrollieren, eine Infusion legen und etwas Blut abnehmen. Danach untersuche ich Sie.“ Er sah sich zwei mit verschiedenen Döschen und Tablettenblistern gefüllte Eiscremedosen an. „Die nehme ich mal mit und schaue sie durch.“

Steele wandte sich zum Gehen um, aber Macey rief ihn zurück. „Ich lasse mir nicht von einer Schwester Blut abnehmen. Das hat ein Arzt zu machen.“

„Oh, ich kann Ihnen versichern, mit Candy sind Sie besser dran als mit mir“, sagte Steele. „Nach achtzehn Uhr werde ich immer so zittrig.“

Seine Witzelei entlockte Macey ein kleines Lächeln, und nachdem Steele gegangen war, half Candy ihr in das Krankenhaushemd, ohne die alte Dame dabei unnötig zu entblößen. Doch die kämpfte um jedes Kleidungsstück, selbst um die Strumpfhose.

„Meine Strumpfhose lasse ich an“, sagte Macey.

„Okay, dann kann sie Steele nachher ausziehen, ja?“

Macey schnaubte und hob ihren Po an, doch als Candy die Strumpfhose nach unten rollte, erkannte sie, warum Macey sich so ungern ganz ausziehen wollte – ihr Bein war verbunden, und um den Verband herum war die Haut rot und entzündet.

„Das nehme ich mal ab, damit Steele sich das ansehen kann“, sagte Candy. Sie ging sich die Hände waschen, öffnete eine Packung Verbandsmaterial und zog sich Handschuhe über.

„Vorsichtig“, warnte Macey.

„Tut es sehr weh?“, fragte Candy, und Macey nickte.

„Okay, wir weichen das mit Kochsalzlösung ein, damit der Verband leichter abgeht. Haben Sie das Ihrem Hausarzt gezeigt?“

„Ich brauche keinen Arzt, um einen Verband anzulegen.“

Candy tränkte den Verband mit Kochsalzlösung, deckte Macey mit einer Decke zu und kontrollierte ihre Vitalzeichen, bevor sie die Kabine verließ, um Steele zu suchen. Er saß im Stationszimmer und ging Maceys Medikation durch. Er hatte ein Tablettenzählgerät und schüttelte gerade eine der Flaschen aus, als Candy ins Zimmer trat.

„Sie hat eine schlimme Wunde am Bein“, sagte sie.

„Wie schlimm?“

„Ich hab sie noch nicht gesehen“, antwortete Candy. „Ich weiche gerade den Verband ein, aber ihr Schienbein ist ganz rot, und ich glaube, sie hat ziemliche Schmerzen.“

„Okay.“ Er kippte die Tabletten wieder in die Dose. „Sie darf nicht alleine sein.“

„Bitte?“

„Dieser Tablettencocktail hier gefällt mir gar nicht“, sagte Steele. „Mich würde nicht wundern, wenn sie was Dummes macht.“

„Oh!“

„Ich gehe jetzt gleich zu ihr.“

Sie kehrten zusammen zur Kabine zurück, und Steele untersuchte Macey. Er hörte lange ihren Brustkorb ab, tastete den Bauch ab und widmete sich dann ihrem Bein.

Er zog Handschuhe an, nahm den Verband ab, und Macey zuckte vor Schmerz zusammen. „Es tut mir leid, Miss Anderson“, sagte Steele. „Wie lange haben Sie das schon?“

„Seit zwei Wochen.“

Steele sah Macey an. „Das macht mir Sorgen. Innerhalb von zwei Wochen ist das so geworden?“

Candy hörte den leichten Sarkasmus in Steeles Stimme und sah, wie Macey ihn anstarrte und dann nachgab.

„Ich habe mir das Bein gestoßen, als ich aus dem Krankenhaus kam. Es wollte einfach nicht heilen und ist immer schlimmer geworden.“

„Das klingt schon plausibler.“ Steele lächelte sie an. „Dann wissen wir ja, wo Ihr Fieber herkommt!“ Er nahm einen Tupfer, und obwohl er sehr vorsichtig war, musste sich das Wattestäbchen für Macey wie ein rotglühender Schürhaken anfühlen, denn sie schrie vor Schmerz auf. „Es tut mir sehr leid, Macey“, sagte Steele. Er deckte die Wunde mit einem leichten Verband ab. „Bevor wir das richtig verbinden, bekommen Sie erst einmal ein anständiges Schmerzmittel.“ Dann wandte er sich Candy zu. „Können Sie Macey zum Röntgen-Thorax bringen?“

Als Candy gerade mit dem Blutabnehmen fertig war, kam der Träger, und sie ging mit Macey und Catherine zum Röntgen. Sie kamen recht schnell an die Reihe, doch Macey beschwert sich trotzdem über die ihrer Meinung nach lange Wartezeit.

Nach einem Blick auf das Röntgenbild kam Steele in die Kabine und wandte sich an Catherine. „Gehen Sie ruhig, und holen Sie sich etwas zu trinken“, schlug er vor. „Ich werde die nächsten zwanzig Minuten bei Ihrer Tante sein, nutzen Sie die Gelegenheit für eine Pause.“

„Danke“, erwiderte Catherine erleichtert.

„Ich will nur ein paar Sachen besprechen“, sagte Steele, nachdem Catherine die Kabine verlassen hatte.

„Kann ich danach heimgehen?“

„Dafür sind Sie nicht gesund genug“, sagte Steele. „So, jetzt, wo Catherine nicht da ist, können Sie mir vielleicht sagen, wie viel Sie pro Tag rauchen.“

„Ich rauche nicht.“

„Miss Anderson, soll ich das Röntgenbild von Ihrem Brustkorb holen?“

„Zwei.“ Sie zuckte kurz mit den Schultern. „Vielleicht drei am Tag.“

„Sagen wir zehn, hm?“, erwiderte Steele, und Candy hob erstaunt die Augenbrauen, als Macey ihn nicht korrigierte. „Ich schreibe Ihnen ein Nikotinpflaster auf. Wie viel trinken Sie am Tag?“

„Ich hab Ihnen doch schon gesagt, dass ich nicht trinke.“

„Sechs gebrochene Rippen in unterschiedlichen Heilungsstadien.“ Steele lächelte sie an. „Machen Sie mir doch nichts vor, Macey. Sonst muss ich herausfinden, warum Sie immer wieder ohne Grund hinfallen.“

„Ich bin auf Eis ausgerutscht“, erklärte Macey, „und meine Katze läuft mir immer wieder vor die Füße.“

„Na gut.“ Steele nickte. „Ich soll Ihnen also nicht ein paar Gläschen Sherry für abends aufschreiben? Sie können entweder Ihren eigenen trinken oder das eklige Billigzeug vom Krankenhaus. Wenn Sie Ihren eigenen trinken möchten, brauchen wir nur die Flasche.“

Macey holte tief Luft. „Sie ist in meiner Tasche.“

„Gut, die geben wir an das Pflegepersonal weiter, damit Ihre Nichte sie nicht sieht.“

Candy sah dem Ganzen sprachlos zu, aber es war noch nicht vorbei. Steele hatte die zwei Eiscremedosen wieder mitgebracht, die Macey bei sich gehabt hatte, und fing nun an, die Medikamente durchzugehen.

„Macey, diese sollten Sie eigentlich regelmäßig nehmen.“ Er hielt ein Tablettendöschen hoch. „Tun Sie aber nicht.“

„Es sind so viele, da komme ich durcheinander.“

Steele nahm eine weitere Dose, in der nur noch zwei Tabletten waren. „Und diese wurden erst vorgestern verschrieben“, sagt Steele, „sind aber schon fast wieder leer.“

„Die habe ich nicht genommen“, entgegnete Macey in verächtlichem Ton.

„Ich weiß, sonst würden wir hier nicht zusammensitzen. Wo sind sie dann?“

„Weiß ich nicht. Meine Nichte tut sie immer in eine Tablettenbox …“

„Macey …“

„Ich hab sie ins Klo gekippt. Die Pharmafirmen wollen uns doch alle vergiften.“

„Haben Sie Depressionen, Macey?“

„Ach, jetzt soll ich auch noch Antidepressiva nehmen. Sie werden doch von denen bezahlt.“

„Sind Sie so verwirrt, dass Sie Ihre Medikamente durcheinanderbringen, oder ist Ihnen Ihre Gesundheit egal?“, fragte Steele, und Candy sah, wie er Macey direkt in die Augen sah. „Macey, sind Sie depressiv?“

Nach einem langen Moment des Schweigens antwortete Macey. „Ich bin nicht verwirrt“, sagte sie. „Also, manchmal bringe ich die Tage durcheinander oder so was.“

„Aber mit Ihren Medikamenten kommen Sie nicht durcheinander?“, versicherte sich Steele.

„Nein“, antwortete Macey, und Steeles ernster Tonfall ließ Candy die Stirn in Falten legen.

„Okay.“

„Können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?“, fragte Macey.

„Kommt nicht infrage“, sagte Steele und klappte das Seitenteil ihres Bettes herunter. Seine Beine waren lang genug, dass er bequem auf der Kante sitzen konnte. Ich würde wahrscheinlich eine Leiter brauchen, dachte Candy, wurde aber schnell wieder aus ihren Gedanken geholt, als ihr der Ernst dieses Gesprächs bewusst wurde.

„Warum haben Sie die Tabletten in die Toilette gekippt?“, hakte Steele vorsichtig nach, und Candy hielt kurz den Atem an, als er weitersprach. „Hatten Sie Angst, dass Sie alle auf einmal nehmen könnten?“

Maceys Gesicht fiel in sich zusammen, und Steele nahm ihre Hand. „Schauen Sie mich an, Macey. Haben Sie Selbstmordgedanken?“, fragte er geradeheraus, und nach kurzem Zögern nickte sie und fing an zu weinen.

„Gut, dass Sie sie weggeworfen haben“, sagte Steele. „Gut, dass Sie ins Krankenhaus gekommen sind und mit mir reden.“ Candy sah zu, wie er die nun heftig schluchzende alte Dame in die Arme nahm. „Alles wird gut.“ Seine Stimme war tief, aber unheimlich sanft. „Wir kümmern uns um Sie …“

3. KAPITEL

Freitagnachmittag vor ihrer ersten Nachtschicht in der Geriatrie schlief Candy ein paar Stunden, dann machte sie sich fertig und fuhr mit der U-Bahn zur Arbeit.

Sie war aufgeregt wegen ihrer Nachtschicht. Sie war so an die Arbeit in der Notaufnahme gewöhnt, dass sie nicht wusste, wie gut sie sich auf Station schlagen würde. Sonntagvormittag stand ihr dort außerdem eine kurze vierstündige Schicht bevor.

Das ist es wert, bestärkte Candy sich selbst, als sie die geriatrische Abteilung betrat.

Hawaii, ich komme!

Die Übergabe dauerte viel länger als in der Notaufnahme, und die Kollegen von der Tagesschicht gingen beim Zustand der Patienten viel mehr ins Detail, als sie es gewohnt war. Sie sprachen ausführlich über die Stimmung der Patienten und ihre ATLs: Aktivitäten des täglichen Lebens. Steele saß an einem Schreibtisch mit dem Rücken zu den anderen, ging aber nicht hinaus, als die Übergabe begann. Er arbeitete einfach weiter am Computer und gab ab und zu Bemerkungen oder Erklärungen ab.

Candy wusste, dass er gerade viel zu viel Platz in ihrem Kopf einnahm.

Das Personal mochte ihn ganz offensichtlich. Wenn eine Frage aufkam, sprachen sie ihn an, und er antwortete, während er weitertippte.

Elaine, eine Pflegerin in Ausbildung, machte ihre Übergabe für die Nachtschicht unter der Aufsicht ihrer Mentorin Gloria. Elaine war sehr rechthaberisch und schien sich für die einzig Kompetente im Raum zu halten. Sie hatte genervt gestöhnt, als Candy sich vorgestellt und erzählt hatte, dass sie vom Springerpool kam. „Schon wieder eine!“, hatte Elaine gesagt.

Während Elaine sprach, fing Candy ein paar Mal Abigails Blick ein – Abigail war die Stationspflegerin, mit der sie in dieser Nacht zusammenarbeiten würde. Beide mussten ein Grinsen unterdrücken.

Mr. Heath, der zuletzt in so schlechtem Zustand in die Notaufnahme gekommen war, ging es inzwischen erheblich besser, und er wurde Candy für die Nacht zugewiesen.

Sie würde auch für Toby Worthington zuständig sein, einen todkranken Patienten, der zur Schmerzbekämpfung viel Morphin bekam und Elaine zufolge gern bis elf Uhr abends und dann wieder ab sechs Uhr morgens Radio hörte.

„Dann haben wir noch Macey Anderson.“ Elaine kam zur nächsten Patientin.

„Macey kenne ich“, sagte Candy. „Ich war in der Notaufnahme, als sie reinkam.“

„Nimmst du sie dann bitte auch heute Nacht?“, fragte Abigail, und Candy nickte. Sie gingen ihre Anamnese durch, wovon Candy schon das meiste wusste. Doch seit der Aufnahme hatte sich ihr Zustand offenbar sehr verändert.

„Seit sie auf Station ist, ist sie sehr verschlossen“, erzählte Elaine. „Sie will nicht essen und nicht gewaschen werden. Sie hängt am Tropf, aber wenn sie weiterhin nicht isst und trinkt, braucht sie eine Nasensonde. Steele hat viele ihrer Medikamente abgesetzt und eine niedrigere Dosis Antidepressiva verschrieben …“ Elaine ging auch noch Maceys restliche Medikamente durch. „Pass auf, dass sie sie nimmt und nicht versteckt“, warnte Elaine, und Candy nickte. Doch das reichte Elaine nicht. „Du musst auch unter ihrer Zunge nachsehen.“

„Mache ich“, sagte Candy. Sie musste sich bemühen, sich ihre Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Elaine war eine seltsame kleine Person, mit einem sehr schmalen, breiten Mund, der oft aufging.

Sie erinnerte Candy an eine Puppe.

„Elaine, warum muss denn unter der Zunge nachgesehen werden?“, fragte Steele vom Computer aus, und Candy musste lächeln, denn offensichtlich hatte er sie auch durchschaut.

„Damit sie dort keine Tabletten versteckt“, sagt Elaine und schaute Candy an, um sich zu vergewissern, dass sie ihre Anweisung verstanden hatte.

„Danke“, sagte Candy. „Ich werde dafür sorgen, dass sie alles nimmt.“

Als Elaine das Zimmer verließ, zwinkerte Abigail. „Oberin Elaine!“

„Sie hat das Herz schon am richtigen Fleck“, sagte Gloria, die Tagesschichtleiterin. „Aber sie ist echt ein harter Brocken. Sie besteht darauf, für alles die Fachbezeichnung zu verwenden. Die Patienten haben keine Ahnung, was sie von ihnen will. Heute Abend erst hat sie Mr. Heath gefragt, ob sie ihn auf ein skrotales Ödem untersuchen dürfe.“ Gloria lächelte, als sie daran zurückdachte. „Da sagt er ‚Meinen Sie meine Eier, Liebchen?‘. Es war zum Schießen!“

Alle waren sehr nett zu ihr, und nach der Übergabe führte Elaine Candy noch auf der Station herum, bevor sie nach Hause ging. Dabei war sie sehr gründlich und erklärte alles bis ins kleinste Detail, obwohl Candy doch endlich loslegen wollte.

„Ich denke, jetzt weiß ich Bescheid“, sagte Candy. „Danke für die Führung.“

„Ich zeig dir nur noch, wo die Taschenlampen und so liegen“, sagte Elaine, doch Candy schaute auf die Uhr, es war fast schon zehn. „Geh ruhig heim.“ Candy lächelte. „Es ist Freitagabend, hab einen schönen Abend!“

Elaine nickte und machte sich dann endlich auf den Weg nach Hause. Candy ging nach ihren Patienten sehen.

Mr. Heath sah tatsächlich besser aus.

„Hallo, Candy.“ Er lächelte und legte sein Buch zur Seite, als sie zu ihm kam.

„Sie erinnern sich an mich?“, fragte Candy überrascht.

„Natürlich!“

„Ich freue mich jedenfalls, dass es Ihnen besser geht“, sagte Candy. Anschließend kontrollierte sie seine Vitalzeichen und gab ihm seine Medikamente für die Nacht, während sie sich ein wenig unterhielten.

„Ich hoffe, dass ich Montag nach Hause kann“, sagte Mr. Heath. „Meine Enkelin heiratet nächste Woche.“

„Wie aufregend“, sagte Candy. „Wird es eine große Hochzeit?“

„Riesig!“ Mr. Heath nickte. „Sie heiratet einen Ital…“ Plötzlich verstummte er.

„Meinetwegen müssen Sie sich nicht zurückhalten.“ Candy grinste. „Ich weiß, wie italienische Hochzeiten sein können. Ich bin wahrscheinlich das einzige Mädchen der Welt, dem schon immer vor seiner Hochzeit gegraut hat.“

Mr. Heath lachte. „Wird es eine große Sache?“

„Sie machen sich keine Vorstellung“, sagte Candy. „Ich habe vier ältere Brüder, alle verheiratet, und meine Mutter kann es gar nicht erwarten, dass ich dran bin. Sie kauft schon immer Bettwäsche und Handtücher für mich ein. Ich bin voll ausgestattet!“ Candy lächelte. „Nur der Bräutigam fehlt noch.“

Die Kolleginnen und Kollegen auf der Station waren alle sehr freundlich zu ihr, und es machte ihnen nichts aus, wenn Candy ab und zu etwas fragen musste. Aber als sie sich daranmachen wollte, Macey ihre Medikamente zu verabreichen, runzelte sie die Stirn und sah sich nach Abigail um. Doch die war bei Mrs. Douglas, der es sehr schlecht ging.

„Gibt es ein Problem?“ Steele war in den Krankensaal gekommen und schrieb einem anderen Patienten ein Medikament auf.

„Nein, ich möchte nur etwas nachfragen“, sagte Candy und ging mit dem Medikamentenblatt zu ihm hinüber. „Hier steht, dass Macey Sherry bekommen soll, aber sie nimmt auch eine Menge anderer Medikamente.“

„Wenn sie wieder zu Hause ist, wird sie sowieso ihren Sherry trinken“, hielt Steele entgegen. „Aber heute Abend müssen Sie sich darüber wohl sowieso keine Gedanken machen – im Moment nimmt sie nämlich fast gar nichts zu sich.“

Er behielt recht. Candy war schockiert, wie anders Macey jetzt war. Bei ihrer Ankunft in der Notaufnahme war sie eine grimmige, stolze Frau gewesen, doch jetzt lag sie nur auf der Seite und starrte in die Luft. Sie sagte nichts, als Candy sich vorstellte, und ihr Arm war schlaff, als Candy ihren Blutdruck maß.

„Ich habe hier Ihre Tabletten für Sie, Macey“, erklärte Candy und half ihr, sich aufzusetzen. Die alte Dame nahm ihre Tabletten, ohne zu protestieren, und versuchte dann, das angebotene Wasser zu trinken, doch ihre Hände zitterten so stark, dass Candy das Glas mit festhalten musste. „Macey, ich müsste Sie leider bitten, mich unter ihre Zunge schauen zu lassen.“

Sie streckte ihre Zunge nach oben, und ja, sie hatte alle Tabletten geschluckt und keine versteckt. Dann ließ sie sich wieder ins Kissen sinken.

„Kann ich Ihnen noch etwas anderes bringen?“, fragte Candy. „Einen Drink?“

Macey schüttelte schwach den Kopf, und Candy prüfte die Aufzeichnungen über ihre Flüssigkeitsbilanz und Nahrungsaufnahme. Sie hing am Tropf, und das war abgesehen von dem Wasser, das sie mit ihren Tabletten trank, praktisch das Einzige, das sie zurzeit zu sich nahm.

„Macey, soll ich Ihnen vielleicht etwas Milch holen?“, schlug Candy vor, als sie sie zudeckte und die Kissen aufschüttelte.

Maceys Lethargie war besorgniserregend. Candy wäre entschieden lieber gewesen, sie würde sie anbrüllen und ihr an den Kopf werfen, sie tauge nichts als Krankenschwester.

„Etwas warme Milch“, versuchte Candy es weiter. „Ich weiß, Ihre Hände zittern im Moment ein wenig, aber ich kann Ihnen beim Trinken helfen. Möchten Sie ein bisschen Milch trinken?“

Macey sagte nicht ja, aber zumindest schüttelte sie dieses Mal nicht den Kopf.

Steele sah, wie lange Candy an Maceys Bett blieb, Kissen aufschüttelte und Decken sortierte. Er rechnete fast damit, Macey lautstark verlangen zu hören, in Ruhe gelassen zu werden, doch zu seiner Freude schienen Macey diese kleinen Aufmerksamkeiten heute Abend nichts auszumachen.

Steele mochte Candy, was ihn durchaus überraschte.

Er hatte sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt, obwohl Candy ganz anders war als die Frauen, mit denen er normalerweise ausging.

Und er traf sich oft mit Frauen.

Sehr oft.

Steeles Typ waren kultivierte Frauen. Er mochte Frauen, die von Anfang an verstanden, dass die Beziehung zu ihm nur von kurzer Dauer sein konnte, weil er sich nirgendwo lange aufhielt. Sechs Monate hier, zwei Jahre dort und jetzt nur sechs Wochen hier.

Steele sah auf das Datum. Er war jetzt fast eine Woche hier, also blieben ihm noch fünf Wochen am Royal.

Und die letzten zwei davon würde Candy im Urlaub sein.

Heiraten und sesshaft werden, das hatte Steele schon ausprobiert, und es hatte nicht funktioniert.

Das heißt, es hatte funktioniert, vielleicht besser, als ihm bewusst gewesen war, denn zehn Jahre nach der Trennung hatte ihn seine Exfrau aus heiterem Himmel wieder angerufen. Ihre zweite Ehe war in die Brüche gegangen, und sie hatte vorgeschlagen, es noch einmal zu versuchen. Noch bevor Steele antworten konnte, dass er noch nie so etwas Absurdes gehört hatte, hatte sie hinzugefügt, dass dies nur unter einer Bedingung möglich wäre.

Schließlich hatte es in der Zwischenzeit einige medizinische Fortschritte gegeben.

Zehn Jahre danach war der Schmerz noch immer da, und sie hatte noch einmal den Finger in die Wunde gelegt. Sein einer empfindlicher Nerv, der Riss in seiner selbstsicheren Persönlichkeit, war wieder offengelegt. Steele hatte sofort wieder aufgelegt, ohne ihr zu antworten, denn sonst wäre er vermutlich explodiert.

Zu erfahren, dass er zeugungsunfähig war, hatte Steele hart getroffen. Und die Reaktion seiner Frau war niederschmetternd gewesen.

Jetzt achtete er peinlich genau darauf, sich nie wieder in eine Lage zu begeben, in der er diesen Teil seines Selbst offenbaren musste. Er sorgte dafür, dass seine Beziehungen oberflächlich blieben – intim in sexueller, aber nicht in emotionaler Hinsicht.

Und dann zog er weiter.

Gerade in diesem Moment lief Candy mit einer Schnabeltasse in der Hand vorbei, ging zu Macey und half ihr, sich aufzurichten.

Candy sagte nichts. Sie lächelte Macey nur an, während die ältere Dame in kleinen Schlucken ihre Milch trank. Mehr wollte Macey gerade nicht: keine Gespräche, nur ein warmes Getränk und wohltuendes gemeinschaftliches Schweigen.

Dagegen hatte Candy nichts – im Gegenteil, sie war daran gewöhnt.

Als sie zehn gewesen war, war ihre Nonna bei ihnen eingezogen. Candys Aufgabe war gewesen, ihr jeden Morgen ihre Biscotti und ihren Milchkaffee zu bringen und sie dann ins Badezimmer zu bringen und ihr Bett zu machen. Candy hatte diese Momente geliebt, in denen ihr die Großmutter so viel erzählt hatte – von dem Dorf, in dem sie aufgewachsen war, vom Verlieben, von Festen und Tanzabenden und davon, wie sie aus Sizilien weggegangen und wie ihr Mann, Candys Nonno, gestorben war. Candy hatte aber auch die stillen Tage gemocht, an denen Nonna nur still gegessen hatte, verloren in ihrer eigenen Welt, so wie Macey jetzt.

„Möchten Sie eine Bettpfanne?“, fragte Candy, als Macey die Milch ausgetrunken hatte.

„Ich gehe selber …“ Macey seufzte und schlug die Bettdecke zurück.

Candy war froh, dass sie freiwillig aufstand, half ihr, die Pantoffeln anzuziehen, und holte ihr Gehgestell. Gemeinsam gingen sie zum Badezimmer.

Candy wartete draußen, und als Macey herauskam, um sich die Hände zu waschen, drehte Candy ihr das Wasser auf und drückte für sie auf den Seifenspender. Macey wusch sich ihre Hände sehr gründlich. Ihr Nagellack war abgeblättert, und Candy sah zu, wie sie einen Moment ihre Nägel betrachtete. Sie war ganz offensichtlich unzufrieden mit dem, was sie sah.

„Ich kümmere mich am Sonntag um Ihre Nägel“, bot Candy an und brachte Macey dann zurück zu ihrem Bett. „Setzen Sie sich kurz auf die Kante, ich möchte Ihnen noch das Bett frisch machen.“

Candy richtete das Bett so schön her, dass sie am liebsten selbst hineinsteigen wollte. „Legen Sie sich besser schnell hin, sonst tue ich das.“

„Sie sehen müde aus“, sagte Macey, und Candy freute sich, dass Macey zum ersten Mal an diesem Abend von sich aus das Gespräch suchte.

„Bin ich auch“, erwiderte Candy. „Obwohl ich eigentlich den ganzen Nachmittag geschlafen habe.“

Sie half der alten Dame ins Bett, klappte die Seitenteile hoch und befestigte den Rufknopf in Reichweite. „Wenn Sie irgendetwas brauchen, drücken Sie den Knopf“, sagte Candy. „Schlafen Sie gut.“

Candy kümmerte sich noch um ihre anderen Patienten, und als Abigail um ein Uhr nachts fragte, ob sie die erste Pause machen wolle, war Candy mehr als reif für eine Stunde Ruhe. Anscheinend war sie nicht die Einzige, die ein Nickerchen brauchte, denn als sie den Pausenraum betrat, fand sie dort Steele vor, der bei laufendem Fernseher auf einem der Sofas eingeschlafen war.

„Aloha“, sagte er verschlafen, als sie sich hingesetzt und ihn damit geweckt hatte.

„Aloha.“ Candy lächelte. „Wie kommt es, dass Sie noch hier sind?“

„Ich warte auf die Angehörigen von Mrs. Douglas.“

Candy erinnerte sich von der Übergabe noch, dass Mrs. Douglas die Nacht wahrscheinlich nicht überleben würde.

„Wie lange haben Sie jetzt noch bis zu Ihrem Urlaub?“, fragte Steele.

„Drei Wochen“, sagte Candy und stellte den Wecker ihres Telefons auf eine Stunde später. Sie sah das Datum und dass es nun Samstagfrüh war. „Genau genommen nicht mehr ganz drei Wochen. Ich fliege an einem Freitagabend.“

„Und Sie arbeiten bis zum letzten Tag?“

Candy nickte und gähnte beim bloßen Gedanken daran. „Ich fahre praktisch von hier direkt zum Flughafen.“

„Fahren Sie allein?“

„Ja.“

„Ich dachte, Hawaii wäre mehr was für Paare“, sagte Steele unverhohlen neugierig.

„Kann sein, aber ich habe einen Werbespot gesehen und konnte nicht widerstehen“, gestand Candy und deutete zum Fernseher, wo auf dem Teleshoppingkanal gerade Messer beworben wurden. „Es war ein begrenztes Angebot, mit enormem Rabatt für die ersten zehn Anrufer … Darauf falle ich jedes Mal rein.“

„Jepp.“ Steele nickte. „Ich auch. Ich habe den Entsafter, den Universalzerkleinerer und so einen komischen Mixer gekauft, bevor ich endlich eingesehen habe, dass ich Gemüse in keiner Form mag.“

„Das ist einer der Nachteile von Nachtarbeit“, stimmte Candy zu. „Zwei Uhr morgens sieht alles wahnsinnig nützlich aus, und wenn das Paket ankommt, fragt man sich, was man sich dabei gedacht hat. Jedenfalls habe ich die Werbung für den Urlaub gesehen, als ich gerade besonders schlecht drauf war. Es sah alles so schön aus, und ich brauche wirklich eine Auszeit …“

„Warum das?“

„Ach, verschiedene Gründe.“

„Zum Beispiel?“

Candy zögerte. Sie hatte noch niemandem davon erzählt, dass sie über eine berufliche Veränderung nachdachte. Doch dann fiel ihr ein, dass Steele nicht mehr hier sein würde, wenn sie aus Hawaii zurückkam, also war es auch egal. „Ich weiß nicht, ob ich weiter in der Notaufnahme arbeiten will.“

„Die Arbeit dort muss ziemlich stressig sein.“

„Manchmal, ja.“ Candy nickte. „Aber es ist nicht nur das. Vor ein paar Monaten habe ich einen Fehler gemacht.“ Sie führte das nicht weiter aus. Stattdessen legte sie sich auf ein Sofa, fest entschlossen, während ihrer Pause etwas Schlaf abzubekommen.

„Einen Behandlungsfehler?“, hakte Steele nach, und Candy lachte wegen dieser sehr direkten Frage kurz auf.

„Nein, einen privaten.“

„Erzählen Sie mir mehr.“

„Kommt nicht infrage.“

„Also gibt es jetzt zwei Dinge, die ich noch über Sie herausfinden muss“, neckte Steele. „Die Geschichte hinter Ihrem Namen und den Fehler, den Schwester Candy begangen hat.“

„Sie können es ja versuchen, aber das wird nichts bringen“, sagte Candy und schloss ihre Augen. „Ich ruh mich jetzt ein bisschen aus.“

„Hoffentlich reden Sie im Schlaf.“

Sie lächelte mit geschlossenen Augen und war etwas überrascht, als Steele nach einem kurzen Augenblick weitersprach.

„Candy, wir machen alle Fehler“, sagte er. Seine wohltuende tiefe Stimme holte sie wieder aus dem Halbschlaf zurück. „Wenn ich in diesem Job eins gelernt habe, dann, dass jeder sogenannte Fehler macht und dass alle viel zu viel Zeit darauf verschwenden, sie zu bereuen.“

Sie öffnete die Augen und sah ihn an. „Sie mögen Ihren Job wirklich“, sagte Candy, und das war keine Frage, mehr eine Feststellung, und Steele nickte.

„Ja, das tue ich.“

Sie wusste, dass sie eigentlich schlafen sollte und es später vielleicht bereuen würde, aber sie beschloss, auf die Stunde Schlaf zu verzichten, um etwas mehr über ihn zu erfahren. Sie lag auf der Couch und sah hinüber zu Steele, der sie immer noch anschaute.

„Wolltest du schon immer in der Geriatrie arbeiten?“, fragte sie und wechselte unbewusst zum Du.

„Eigentlich nicht“, sagte Steele. „Es hat sich so ergeben. Ich wurde mehr oder weniger von meiner Großmutter aufgezogen …“

„Sind deine Eltern …?“ Sie sprach die Frage nicht aus, und Steele lächelte.

„Nein, sie leben noch.“

„Gut.“

„Meine Eltern sind beide Ärzte, ihre Karriere war ihnen sehr wichtig. Ich war ein Unfall. Ich glaube, sie wollten eigentlich nicht unbedingt Kinder. Meine Mutter war sehr erfolgreich als Herzchirurgin, die hatte was Besseres zu tun, als Kinder großzuziehen.“

Candy schnaufte.

„Meine Großmutter hat sich um mich gekümmert, bis ich ins Internat kam, und in den Ferien war ich auch bei ihr.“ Er sah, wie sie die Stirn runzelte. „Meine Eltern sind keine schlechten Menschen. Sie waren nur sehr, sehr ehrgeizig. Als ich jedenfalls einmal in den Osterferien zu meiner Großmutter kam, war sie sehr verwirrt. Völlig durch den Wind. Ich habe meine Mutter angerufen, und die hätte sie am liebsten noch am selben Tag in ein Pflegeheim gegeben.“

„Wirklich?“

„Wirklich!“ Steele nickte. „Doch dann kam der Hausarzt, und wie sich herausstellte, hatte sie nur eine Blasenentzündung. Er erklärte, dass das bei älteren Menschen zu Desorientiertheit führen kann. Zwei Tage später war sie wieder ganz die Alte. Ich nehme an, das hat mich geprägt.“

„Meine Nonna hat bei uns gewohnt.“ Candy gähnte. „Ich glaube, meine Mutter geht davon aus, dass ich sie aufnehmen werde …“

„Ist deine Mutter arbeiten gegangen?“, fragte Steele, und Candy schüttelte den Kopf. „Aber du arbeitest. Du hast eine Karriere.“

Candy sah ihn an. In diesem Moment hatte sie das Gefühl, er würde den Konflikt in ihrem Herzen ganz genau verstehen. Denn obwohl sie ihre Eltern liebte, gerieten sie oft aneinander, weil Candy unabhängiger sein wollte, als ihnen recht war. „Ja, ich habe eine Karriere“, sagte Candy, „und ich musste darum kämpfen.“

„Ruh dich aus.“ Er lächelte, und Candy nickte.

Ich musste kämpfen, um hierherzukommen, dachte Candy, als sie ihre Augen schloss. Ihre Eltern hatten gewollt, dass sie Franco heiratete und im Familienunternehmen arbeitete. Sie hatten nicht verstanden, dass sie studieren und Krankenpflegerin werden wollte.

Candy schlief ein, doch gefühlte zwanzig Sekunden später weckte sie ihr Telefon. Die Arbeit rief. Der Aufenthaltsraum war leer, und als sie wieder im Krankensaal war, fand sie Steele auch dort nicht vor.

Sie mochte ihn.

Das merkte sie auch daran, dass sie sich auf der Station wohler fühlte, wenn er in der Nähe war.

Der Rest der Nacht verging wie im Flug. Candy kümmerte sich um Mrs. Douglas, während Abigail Pause machte, und danach war es Zeit für das Morgenprogramm. Um sieben Uhr dreißig, nach der Übergabe, verabschiedete sich Candy von ihren Patienten und sagte Macey Bescheid, dass sie morgen früh wieder da sein würde und ihre Nägel machen könnte, wenn sie Zeit und Macey Lust hatte.

Macey sagte nichts.

Als Candy den Flur zum Haupteingang entlangging, sah sie Steele auf seinem Weg zur Arbeit. Sein Haar war noch feucht vom Duschen, und er trug einen dunkelgrauen Anzug mit einem frischen Hemd. Nur die Krawatte hing ihm noch lose um den Hals. Er stand vor einem der Bilder, die im Gang aufgehängt waren, Fotos vom Krankenhaus und wie es sich über die Jahre verändert hatte.

„Was schaust du dir an?“, fragte sie.

„Komm mal her“, forderte Steele sie auf, und als sie neben ihm stand, fing er an, sich die Krawatte zu binden. „Erkennst du jemanden?“

Candy sah sich das Foto genau an. Es war eine Gruppe von Krankenschwestern und Ärzten im Park hinter dem Krankenhaus. Einige der Schwestern trugen Medaillen. Candy lächelte, als sie die langen Kleider und Schürzen der Pflegerinnen und ihre Hauben und Umhänge sah. Dann erkannte sie, wen Steele meinte. „Du liebe Güte, das ist Macey.“

„Genau.“

Sie hatte damals schon ihre wilden Locken gehabt, doch auf dem Foto wurden sie von einer rüschenbesetzten Haube im Zaum gehalten. Sie hatte hohe Wangenknochen, und obwohl sie lächelte, sah sie etwas angespannt aus. Sie wirkte wahnsinnig jung, aber es war definitiv Macey.

„Denkst du, sie wird ihre Depression überwinden?“, fragte Candy.

„Jetzt schon, ja.“

„Was meinst du damit?“

Doch Steele antwortete ihr nicht direkt. „Ich fand es gut, wie du gestern Abend mit ihr umgegangen bist. Ich bin froh, dass sie etwas getrunken hat und selbst ins Bad gegangen ist. Wie ging es ihr vorhin nach dem Aufwachen?“

„Sie war immer noch sehr still, hat aber noch etwas getrunken, und sie hat meine Biscotti gegessen.“

„Biscotti?“

„Italienische Kekse, eingeweicht in warmer Milch.“ Candy lächelte und stöhnte dann, als ihr Magen beim bloßen Gedanken daran zu knurren anfing. „Na toll, jetzt habe ich Hunger, ich werde wohl zu Hause welche essen müssen.“

„Hast du sie gefüttert?“

„Ja.“ Candy nickte. „Sie ist sehr zittrig.“

„Das liegt an den ganzen neuen Medikamenten“, sagte Steele, „und daran, dass ihr der Sherry fehlt, aber es sollte sich bald alles eingepegelt haben.“

„Woher hast du gewusst, dass sie trinkt?“

„Weil das bei älteren Menschen ganz oft so ist, häufiger, als man denkt. Das hat aber auch etwas Gutes.“ Steele lächelte. „Macey kann ihre Nichte nicht bitten, ihr jede Woche vier Flaschen Sherry mitzubringen, oder wie viel auch immer sie trinkt. Deshalb muss sie zumindest jeden Tag zum Einkaufen raus. Ich mache mir schon Sorgen, was passiert, wenn meine älteren Herrschaften alle das Online-Shopping entdecken.“

Candy merkte, dass sie ihm schon wieder ihr Zahnpastalächeln schenkte.

Er brachte sie einfach zum Lächeln.

„Ich geh jetzt schlafen.“ Candy schwang sich ihre Tasche auf die Schulter. „Ich sag mal gute Nacht.“

„Schlaf gut“, sagte Steele grinsend, „und rede nicht zu viel dabei.“

„Ich rede nicht im Schlaf!“ Sie grinste zurück. „Zumindest nicht, dass ich wüsste.“

Während sie davonging, folgte ihr seine tiefe Stimme, und sie spannte unwillkürlich die Schultern an.

„Dann gibt es jetzt drei Sachen, die ich noch über dich herausfinden muss.“

Oh mein Gott, dachte Candy.

Jetzt flirten wir wirklich.

Und sie zog tatsächlich in Erwägung, ihre erst vor Kurzem aufgestellte Regel noch einmal zu überdenken – dass sie nie wieder etwas mit einem Kollegen anfangen wollte.

So verführerisch war dieser Dr. Steele.

4. KAPITEL

„Kannst du mir bitte helfen, Mr. Worthington umzudrehen?“, fragte Candy am nächsten Morgen Elaine.

Sie hatte den ganzen Samstag geschlafen, war zum Abendessen aufgestanden und ein paar Stunden mit Kelly unterwegs gewesen, nur um gegen zehn schon wieder im Bett zu liegen und sofort einzuschlafen.

Und sie war immer noch müde.

Elaine war sehr brüsk, aber bei ihr saß jeder Handgriff, und schnell hatten sie Mr. Worthington gedreht. „Warum ist sein Radio nicht an?“, fragte Elaine und schaltete es ein. „Toby hört gerne Radio, besonders sonntagsvormittags. Das habe ich doch in seinen Pflegeplan geschrieben.“

„Tut mir leid“, murmelte Candy, während Elaine hinausmarschierte.

Doch so herrisch Elaine auch war, sie hatte das Herz am rechten Fleck, denn Toby fing an zu summen, während Candy ihn rasierte, und es dauerte nicht lang, da sang sie die Lieder mit. Das brachte Tobi zum Lächeln, und sein Blick ermunterte sie. Er fing sogar an, selbst hin und wieder den Refrain mitzusingen, was Candy nur noch lauter singen ließ.

„Mr. Worthington?“ Gloria steckte ihren Kopf herein. „Sie haben Besuch von Ihrer Familie.“ Sie lächelte Candy an. „Die werden sich freuen, dass er so fröhlich aussieht. Steele hat gerade mit ihnen geredet.“

Candy brachte schnell das Zimmer in Ordnung und schaffte etwas Platz, während Tobys Familie noch Steele dankte.

„Ihr habt aber schön gesungen“, bemerkte Steele, als sie herauskam.

„Ja, nicht wahr?“, sagte sie. „Obwohl ich nicht weiß, was Toby darüber sagen würde, wenn er reden könnte.“

„Ach, er bekommt so viel Morphin, dass deine Stimme für ihn bestimmt toll klang.“

„Willst du mir sagen, dass ich nicht singen kann?“

„Na ja, vielleicht nicht ganz perfekt“, neckte Steele, aber Candy blieb ungerührt.

„Dann singe ich das nächste Mal extra laut.“

Sie hätten noch länger geredet, aber Elaine war wieder da und wollte vorankommen. „Los, Candy, wir sind spät dran. Ich helfe dir mit Macey.“

Candy hätte gern auf ihre Hilfe verzichtet.

„Viel Spaß!“, sagte Steele, als Candy die Augen verdrehte.

Doch seltsamerweise hatte Candy tatsächlich so viel Spaß wie lange nicht mehr.

„Guten Morgen, Macey.“ Candy lächelte, als sie die Vorhänge um Maceys Bett zuzog. „Möchten Sie duschen?“

Macey schüttelte langsam den Kopf.

„Gut, dann werden Elaine und ich Sie im Bett waschen, wenn das in Ordnung ist, und ich beziehe Ihr Bett neu. Danach verbinde ich Ihr Bein.“

„Ich verbinde Maceys Bein“, sagte Elaine. „Ich muss den aseptischen Verbandswechsel noch üben.“

„Okay“, stimmt Candy zu und wendete sich dann wieder Macey zu. „Soll ich Ihnen die Haare waschen? Das können wir auch im Bett machen, ich muss nur das Kopfteil abnehmen. Vielleicht geht es Ihnen dann ein bisschen besser“, versuchte Candy behutsam, Macey zu überzeugen, doch diese schüttelte den Kopf.

Elaine hatte alles zum Waschen bereitgelegt und holte Laken und Kopfkissenbezüge, während Candy Macey das Gesicht und die Hände wusch. „Nachher entferne ich den Nagellack und mache Ihnen die Nägel neu.“

„Zum Nägellackieren haben wir keine Zeit“, sagte Elaine, die gerade wieder hereinkam.

„Das mache ich in meiner Kaffeepause“, sagte Candy, während sie Macey umdrehten und ihr den Rücken wuschen. Elaine ging ihr so langsam wirklich auf die Nerven. „Nägel lackieren macht mir Spaß.“

Als Macey wieder auf dem Rücken lag, fing sie Candys Blick ein und zwinkerte ihr fast unmerklich zu. Candy freute sich, denn das zeigte ihr, dass Macey langsam wieder anwesend war und verstand, wie schwierig Elaine manchmal sein konnte.

Sie zwinkerte zurück und seifte den Waschlappen noch einmal ein.

„Möchten Sie sich untenrum selbst waschen?“, bot Candy an, zuckte aber zeitgleich mit Macey zusammen, als eine laute Stimme sie unterbrach.

„Nein!“, donnerte Elaine. „Wir reden mit unseren Patienten wie Erwachsene. Du musst es beim Namen nennen.“

Candy und Macey tauschten kurz einen erschrockenen Blick aus.

„Es tut mir leid, Macey“, sagte sie und sah ihr in die Augen, während beide überlegten, was sie wohl sagen sollte.

„Möchten Sie sich im Intimbereich selbst waschen?“, fragte Candy und sah, wie Maceys Mundwinkel zu zucken begannen, besonders, als Elaine noch einmal einsetzte.

„Nein!“, sagte sie. „Du musst den Fachbegriff verwenden.“

Da Candy die ausgebildete Krankenpflegerin war, hätte sie Elaine einfach auffordern können, still zu sein, aber in Maceys Augen sah sie ein seltenes Funkeln, und ihr Lächeln verriet Candy, dass ihr dieses Gespräch viel Spaß bereitete.

Macey hatte wahrscheinlich immer noch den Humor einer Krankenschwester.

„Es tut mir leid, Macey“, sagte Candy noch einmal und überlegte angestrengt, was sie sagen sollte. Sie spülte den Waschlappen aus, sah Macey an und formte mit den Lippen die Frage: „Was soll ich sagen?“

Macey zuckte leicht mit den Schultern.

„Macey“, sagte Candy und räusperte sich. Sie sahen sich gegenseitig mit sehr ernster Miene an, obwohl sie im Inneren kicherten. Sie wussten beide, was die andere dachte. „Möchten Sie Ihre Genitalien selbst waschen?“

„Nein!“ Erbost über Candys offensichtliche Unfähigkeit nahm Elaine ihr den Waschlappen aus der Hand. „So macht man das“, sagte Elaine und seifte den Lappen noch einmal ein. „Macey“, sagte sie und hielt ihr den Waschlappen hin. „Möchten Sie Ihre Mumu selbst waschen?“

Macey und Candy liefen die Tränen vor Lachen.

Natürlich nicht in Anwesenheit von Elaine, aber als diese den Verbandswechsel vorbereiten ging, musste Candy Maceys Augen trocken tupfen, während beide versuchten, nicht zu laut zu lachen.

Das gelang ihnen anscheinend nicht, denn Steele steckte seinen Kopf herein.

„Hat Elaine wieder Mumu gesagt?“, fragte er.

„Ja.“ Candy grinste. „Das war also nicht das erste Mal?“

Steele nickte. „Irgendjemand muss ihr mal verraten, dass das nicht der Fachbegriff ist.“ Steele grinste. „Oh nein, nicht ich.“

„Sie wird mal eine tolle Krankenschwester“, sagte Macey, die immer noch lächelte. „Zumindest ist sie gründlich.“

Candy wurde in die Pause geschickt, also holte sie sich eine Tasse Kaffee und stellte sie neben Maceys Bett, entschlossen, ihr die Nägel zu lackieren.

„Machen Sie doch Pause“, sagte Macey.

„Nägel lackieren macht mir ehrlich Spaß“, sagte Candy. „Das mache ich jede Woche für meine Mutter, und ich finde es fast schade, dass ich nicht vier Schwestern habe, sondern vier Brüder. Es entspannt mich wirklich.“

Sie hielt ein Fläschchen korallenroten Nagellack hoch. „Einverstanden mit der Farbe?“

Macey nickte schwach.

Sie sagte kein Wort, während Candy sich an die Arbeit machte. Candy sagte auch nicht viel, weil sie sich konzentrieren musste. Nägel zu lackieren hatte etwas so Beruhigendes für sie. Der sofortige Verschönerungseffekt war immer wieder beeindruckend, und schöne Nägel machten auch gleich gute Laune.

„Vier Brüder?“, fragte Macey plötzlich.

„Und dann kam eine Tochter.“ Candy lächelte schief.

„Sind Ihre Eltern sehr streng?“

„Ja, aber auch sehr liebevoll. Ich weiß, ich kann mich eigentlich nicht beschweren, aber …“ Candy schüttelte den Kopf. „Ich habe immer noch nicht den Mut aufgebracht, ihnen von meiner Reise nach Hawaii zu erzählen. Sie werden nicht begeistert sein.“

„Warum?“, fragte Macey. „Weil Sie mit Ihrem Freund fahren?“

„Ich habe keinen Freund“, sagte Candy, nahm Maceys andere Hand und fuhr mit dem Lackieren fort. „Das wird es für sie aber nicht besser machen. Ich ganz allein in Amerika …“

Macey blickte auf und sah, dass Steele vom anderen Ende des Saals zu ihnen – oder eher zu Candy – herüberschaute. Als er bemerkte, dass sie ihn sah, lächelte er kurz und wandte sich dann ab.

Macey sagte vielleicht nicht viel, wusste aber ganz genau, was auf der Station vor sich ging.

„So“, sagte Candy und bewunderte ihr Werk. „Lassen Sie die Nägel noch schön trocknen, bevor Sie etwas anfassen.“

„Meine Mumu darf ich also in der nächsten halben Stunde nicht waschen“, scherzte Macey und lächelte Candy an. „Danke, Liebes.“

Auf dem Weg in die Küche mit der Kaffeetasse in der Hand kam Candy an Steele vorbei. „Wann hast du Schluss?“, fragte er.

„Halb zwölf“, antwortete sie.

„Wollen wir mittagessen gehen?“

Er hatte sie völlig überrumpelt. Das scheint zur Gewohnheit zu werden, dachte Candy. „In der Kantine?“, schlug sie vor.

„Wenn du möchtest. Aber ich denke, da fällt uns auch noch was Besseres ein.“

Oha!

Wollte sie mit dem verführerischsten Mann, den sie je getroffen hatte, mittagessen? Da musste sie nicht lang nachdenken.

„Ja“, sagte Candy. „Das klingt gut.“

„Schön.“

„Aber hast du nicht Bereitschaft?“

„Mein Assistenzarzt kann auch mal zwei Stunden zeigen, wofür er bezahlt wird“, sagte Steele.

Wow.

Steele machte wirklich keine halben Sachen. Sie hatte noch nie jemanden erlebt, der so direkt war wie er.

„Außerdem“, setzte Steele hinzu, „habe ich ein paar Fragen, die ich gern beantwortet hätte.“

„Frage Nummer eins“, sagte Steele, als sie in einem sehr netten Café saßen, das nur ein paar Minuten mit dem Auto vom Krankenhaus entfernt lag. „Ich will wissen, was es mit deinem Namen auf sich hat – Candy?“

„Das erfährst du nie“, sagte Candy mit Blick auf die Speisekarte. „Das ist der Grund, warum ich nie heiraten werde. Das ist der Grund, warum ich alleine in den Urlaub fahre. Niemand darf meinen Pass sehen!“

„Ich werde nicht lockerlassen.“

„Du kannst dich anstrengen, wie du willst.“ Sie lächelte. „Es wird nichts bringen.“

„Was möchtest du essen?“, fragte Steele.

„Hm … mir wäre nach einem Braten.“

„Dann nimm den Braten.“

„Mache ich.“ Candy nickte. „Sonntagsbraten ist für mich was Exotisches. In meiner Kindheit gab es immer nur Nudeln, Nudeln, Nudeln.“

„Na, dann nehme ich Nudeln.“ Er lächelte, erfreut, dass sie offenbar Essen genießen konnte. „Das ist für mich exotisch.“

„Ganz bestimmt.“ Candy rollte mit den Augen.

„Okay, zweite Frage – was war der Fehler?“

Candy holte tief Luft. Wenn hieraus irgendetwas werden sollte, und sie hatte das Gefühl, dass die Chance bestand, dann sollte sie es ihm wahrscheinlich sagen. Oder vielleicht auch nicht, schließlich würde Steele schon lange wieder weg sein, wenn Gerry aus Griechenland zurückkam.

Aber es ging nicht nur darum. Sie mochte Steeles Augen, sie mochte sein Lächeln. Es gefiel ihr, dass sie das Gefühl hatte, sich ihm öffnen zu können. Es wäre so eine Erleichterung, mit jemandem darüber zu reden, was in den letzten Monaten so an ihr genagt hatte.

„Hast du schon mal mit einer Ex geschlafen?“, fragte Candy, und sie war sich ziemlich sicher, dass sie dabei von oben bis unten rot anlief.

„Schläft nicht jeder mal mit Expartnern?“, fragte Steele zurück. Er ging mit dem Thema so locker um, dass sie erleichtert ausatmete. Vielleicht das erste Mal, seit es passiert war.

„Na ja, ich hatte bisher nur zwei Exfreunde, und den Fehler habe ich bloß bei einem gemacht.“

„Also“, fuhr Steele fort, „mit meiner Exfrau habe ich nach der Trennung nie wieder geschlafen. Ich wusste sofort, dass sich das zwischen uns endgültig erledigt hat.“

Er sah, wie sie schluckte. Candy hatte von Anfang an angenommen, dass er erfahrener war als sie selbst, und dass er schon einmal verheiratet gewesen und jetzt geschieden war, bestätigte ihren Eindruck.

„Du klingst verbittert“, sagte sie und war etwas überrascht, als er das nicht abstritt.

„Ein bisschen bin ich das, wenn ich daran denke, aber das mache ich nicht oft.“ Er lächelte. „Vor ein paar Wochen hat sie mich angerufen und gefragt, ob wir es vielleicht noch mal miteinander versuchen wollen. Aber ich habe schon vor Langem beschlossen, dass ich nie wieder fest mit jemandem zusammen sein will.“

Er verriet nicht, warum sie sich getrennt hatten. Es hatte keinen Sinn. Er musste nicht lang und breit über seine Unfruchtbarkeit berichten, da er ohnehin an keinem Ort und bei keinem Menschen besonders lange bleiben würde.

Wobei ich das Candy gegenüber vielleicht noch etwas klarer machen sollte, stellte er fest. Sie war absolut hinreißend. Beide hatten sich sofort zueinander hingezogen gefühlt, daran bestand kein Zweifel, aber sie war einige Jahre jünger als er und wesentlich weniger ernüchtert. Er wollte sie nicht verletzen.

„Du hast also mit deinem Ex geschlafen?“, hakte Steele nach, und sie nickte bedrückt.

„Kennst du Gerry?“, fragte Candy. „Er ist einer der Stationspfleger in der Notaufnahme.“

„Ich habe ihn noch nicht kennengelernt“, sagte Steele. „Aber ich habe ein bisschen was über ihn gehört, als ich mich mit den Wartezeiten in der Notaufnahme beschäftigt habe. Anscheinend ist er ein arroganter Mistkerl.“

„Ja, das ist Gerry.“ Candy verdrehte die Augen. „Er war aber nicht immer so. Vor ein paar Monaten wurde er von zwei Patienten zusammengeschlagen, das scheint ihn verändert zu haben.“

„Er ist der, der gerade in Griechenland ist?“, fragte Steele. „Der, der auf seine Postkarte geschrieben hat: ‚Schön, dass keiner von euch hier ist‘?“

„Genau der.“ Candy nickte. „Wir waren zusammen, als ich letztes Jahr zu Hause ausgezogen bin, aber nur kurz.“

„Du bist erst letztes Jahr ausgezogen?“

„Glaub mir, vierundzwanzig ist in meiner Familie noch viel zu früh, außer man heiratet. Ich hätte eigentlich nur ausziehen dürfen, um den Freund zu heiraten, den sie mir mehr oder weniger aufgedrängt haben … Stattdessen habe ich mit ihm Schluss gemacht und mir eine Wohnung gemietet.“

„Das war sicher schwierig“, bemerkte Steele.

„Ja, ich habe viel mit meinen Eltern darüber gestritten, wirklich sehr viel, aber am Ende war das viel leichter, als jemanden nur deswegen zu heiraten, weil meine Eltern ihn für einen guten Kandidaten hielten. Jedenfalls hat mir Gerry beim Umziehen geholfen, weil meine Eltern sich geweigert haben. Wie gesagt, wir waren dann eine Weile zusammen, aber ich habe es recht schnell wieder beendet. Das war voriges Jahr, aber in letzter Zeit hatte er ein paar Probleme. Vor ein paar Monaten hat er dann gefragt, ob wir was zusammen trinken gehen wollen …“ Candy zuckte verlegen mit den Schultern.

„Und eines führte zum anderen?“, fragte Steele, und sie nickte.

„Das war ein Riesenfehler von mir – er dachte, dass wir wieder zusammen sind, und war ganz und gar nicht begeistert, dass ich das anders sah. Seitdem schikaniert er mich bei der Arbeit. Aber zum Glück weiß niemand, dass wir wieder miteinander geschlafen haben.“ Sie sah Steele an und war überrascht, dass sie ihm nach ihrer großen Enthüllung noch in die Augen schauen konnte. „Das sollte mir eine Warnung sein. Fang niemals was mit jemandem von der Arbeit an!“

„Zu spät“, sagte Steele. „Ich denke, wir wissen beide, dass wir auf dem Weg ins Bett sind – und zwar ganz ohne schlechtes Gewissen.“

Es gefiel ihm, dass sie rot wurde, und es gefiel ihm noch mehr, dass sie ihm nicht widersprach. Jetzt war es an der Zeit klarzustellen, dass das nichts für länger sein würde, egal, wie viel Spaß sie erwartete.

„Ich kann dir versichern, dass ich sehr zivilisiert bleibe, wenn das mit uns vorbei ist“, erklärte Steele ihr ungeschönt. „Ich habe viele Exfreundinnen, die dir das bestätigen können.“

Candy sagte nichts, während köstlich aussehendes Roastbeef mit allem Drum und Dran vor ihr auf den Tisch gestellt wurde. Sie war froh, kurz darüber nachdenken zu können, was er gesagt hatte, und nicht sofort reagieren zu müssen. Steele hatte sie im Grunde gewarnt, dass er ein Playboy war und das zwischen ihnen von Anfang an ein Verfallsdatum haben würde.

Das Seltsame für Candy war jedoch, dass es ihr nichts ausmachte. Seine Offenheit war regelrecht erfrischend. Sie hatte es satt, Spielchen zu spielen, so zu tun, als hätte sie Spaß. Sie hatte es satt, nur weiterzumachen, um es nicht beenden zu müssen.

Gerry hatte viel zu früh etwas Festes gewollt, und Franco wollte sie schon heiraten, da hatten sie noch nicht mal einen Kaffee zusammen getrunken. Ihr war anerzogen worden, in jedem Mann, mit dem sie ausging, einen potenziellen Ehemann zu sehen, der für sie sorgen können musste. Dabei wollte sie einfach nur vierundzwanzig sein und Spaß haben, und mit Steele konnte sie das. Mit ihm war es anders – es gab keine Berechnung, nur reines Vergnügen ohne Erwartungen und Absichten. Er hatte etwas so Einzigartiges an sich, etwas, das ihr das Gefühl gab, sie hätte es verdient, wenigstens einmal in ihrem Leben tollen, unverbindlichen Sex zu haben.

„Warum lächelst du?“

„Wegen dem, was ich denke“, sagte Candy. „Und das ist nicht für fremde Ohren bestimmt.“

„Wären deine Eltern enttäuscht von dir, wenn sie es wüssten?“

„Sehr.“ Sie lächelte.

„Gut.“

„Du bist also sechs Wochen hier?“, fragte Candy nach.

„Jetzt nur noch fünf“, antwortete Steele, „und die letzten zwei davon ohne dich, dann bist du ja im Urlaub.“

Und bemühe mich, über dich hinwegzukommen, dachte sie.

Aber zumindest würde sie dafür in den Genuss kommen zu spüren, wie er auf ihr lag.

Das war die einzige Art von Sex, die Candy kannte.

„Und wo ziehst du danach hin?“, fragte sie.

„Kent“, sagte Steele. „Da habe ich eine fantastische Stelle bekommen. Ich beaufsichtigte die Generalüberholung der Geriatrie. Ich richte eine geriatrische Akutstation ein, in die alle Patienten zuerst kommen.“

Er hatte solch eine Energie für seine Arbeit. Das hörte Candy aus jedem seiner Worte heraus. Sie genossen ihr Mittagessen, redeten über die Arbeit, über sich selbst, über so vieles, doch dann sagte Steele, er müsse wieder zurück.

„Um zwei habe ich einen Termin mit Maceys Nichten. Ich fahre dich noch nach Hause …“

„Du musst mich nicht fahren“, sagte Candy. „Ich wohne zwei Haltestellen von hier.“

„Sicher?“

„Absolut.“

„Woher soll ich dann wissen, wo ich dich heute Abend abholen soll?“

„Wohin gehen wir denn?“ Candy lächelte.

„Habe ich noch nicht entschieden.“ Draußen vor dem Café griff er nach ihrem Handgelenk und zog sie zu sich. „Wohin möchtest du denn?“

Mit dir ins Bett, wollte sie antworten, obwohl sie das noch nie gesagt und noch nie so dringend gewollt hatte. „Das überlasse ich dir. Aber ich muss dich warnen, ich halte vielleicht nicht lange durch. Nach den ganzen Nachtschichten bin ich nicht mehr so taufrisch.“ Sie gab ihm ihre Adresse, und er tippte sie in sein Telefon. „Gegen sieben heute Abend?“

„Klingt gut.“

Es war mitten am Tag, sie waren unter lauter Menschen, doch als er sie in die Arme nahm, hätte es auch das Ende eines romantischen Abends sein können.

„Danke, dass du mit mir mittagessen warst.“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
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Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert?
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Janice Lynn

Janice Lynn hat einen Master in Krankenpflege von der Vanderbilt Universität und arbeitet in einer Familienpraxis. Sie lebt mit ihrem Ehemann, ihren 4 Kindern, einem Jack-Russell-Terrier und jeder Menge namenloser Wollmäuse zusammen, die von Anbeginn ihrer Autorenkarriere bei ihr eingezogen sind.

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