Julia Ärzte zum Verlieben Band 138

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EIN BABY FÜR DEN SINGLE-ARZT von SUE MACKAY

Schon als Studentin hat Hebamme Elene für Mattia Ricco geschwärmt. Jetzt muss sie dem attraktiven Chirurgen das Baby ihrer besten Freundin anvertrauen. Denn er ist der Dad! Es abzugeben bricht ihr das Herz, doch dann macht Mattia ihr ein verwegenes Angebot …

LEBENSRETTER KÜSSEN BESSER von DIANNE DRAKE

Mit Herzspezialist Eric Hart hat sie einst die heißeste Nacht ihres Lebens verbracht. Jetzt steht Michi Sato als Mutter seines Sohnes vor ihm. Dem sexy Single die Wahrheit zu sagen ist schwer, aber wie soll sie erklären, dass ihr Kind ohne Erics Hilfe nicht überleben kann?

LIEBESNACHT MIT DR. WILLOUGHBY von LOUISA HEATON

Eigentlich wollte Dr. Leah Hudson nur ihre Freiheit genießen, als sie mit dem charmanten Fremden sinnliche Liebesstunden verbringt. Aber als sie ihn am nächsten Morgen wiedersieht, bebt ihr Herz wie verrückt, denn ihr Lover für eine Nacht ist Dr. Ben Willoughby, ihr neuer Boss …


  • Erscheinungstag 30.04.2020
  • Bandnummer 138
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715557
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sue MacKay, Dianne Drake, Louisa Heaton

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 138

SUE MACKAY

Ein Baby für den Single-Arzt

Für Chirurg Mattia Ricco ist das Thema Liebe für immer abgeschlossen – bis die hinreißende Elene mit einer schockierenden Nachricht in sein Leben platzt. Er hat eine Tochter? Natürlich übernimmt Mattia sofort alle Pflichten. Doch plötzlich schlägt sein Herz nicht nur für die kleine Aimée, er will auch Elena nicht mehr gehen lassen. Aber warum kann er ihr das nicht zeigen?

DIANNE DRAKE

Lebensretter küssen besser

Für den Milliardär und ehemaligen Chirurgen Eric Hart ist Ärztin Michi Sato eine echte Rabenmutter! Wie konnte sie ihm nur all die Jahre seinen eigenen Sohn vorenthalten? Dass er in Michis Nähe das gleiche heftige Verlangen spürt wie damals, macht es nicht besser. Im Gegenteil. Denn als sie ihn um Hilfe bittet, muss er ihr ein erschütterndes Geständnis machen …

LOUISA HEATON

Liebesnacht mit Dr. Willoughby

Dr. Ben Willoughby überwältigt pure Lust, wenn er sich mit seiner schönen Kollegin Dr. Leah Hudson in einem Raum befindet. Schließlich erinnert er sich genau daran, wie ihre feurigen Küsse schmecken. Noch hält er sich mit einer Liebeserklärung zurück, bis Leah ihm mitteilt, dass ihre Nacht süße Folgen hat. Aber warum will sie das Baby allein großziehen?

PROLOG

„Das war knapp.“ Mit dem Handrücken wischte Elene Lowe sich über die Stirn, als sie vom OP-Tisch zurücktrat, wo der fünfjährige Joe Crawford in so viel Gips lag, dass er sich in nächster Zeit erst mal nicht bewegen konnte.

„Verdammt knapp“, bestätigte der Chirurg Mattia Ricco finster. „Könnten bitte alle Anwesenden ihre jeweiligen Schutzengel oder was auch immer darum bitten, über diesen Jungen zu wachen? Er braucht dringend jede Hilfe, die er kriegen kann.“

„Auf jeden Fall.“ Eine der anderen Krankenschwestern warf einen Blick über die Schulter, als sie den Operationssaal verließ, gefolgt von den meisten anderen des Teams.

Piep. Erneut signalisierte der Herzmonitor, dass der Junge einen Herzstillstand hatte.

Fluchend griff Mattia nach den Elektroden. „Zurück!“

Elenes Herz schien ebenfalls einen Moment lang auszusetzen. „Das ist so unfair.“

Während der stundenlangen Operation, bei der seine beiden gebrochenen Beine sowie ein zertrümmerter Arm gerichtet und der Kiefer verdrahtet worden waren, hatte der kleine Junge bereits zweimal einen Herzstillstand erlitten.

Der kleine Körper zuckte, als Mattia den Elektroschock verabreichte.

Piep. Piep. Piep.

„Ich sag Ihnen, was unfair ist“, knurrte Mattia. „Eine Mutter, die an einem Freitagabend in der Hauptverkehrszeit durch die City fährt, während ihr Sohn auf dem Rücksitz liegt und schläft, anstatt auf einem Kindersitz sicher angeschnallt zu sein.“

Er hatte recht. Der betrunkene Autofahrer, der den Wagen mit hoher Geschwindigkeit gerammt hatte, war zwar nicht die Schuld von Joes Mutter gewesen, aber dass sie ihr Kind nicht geschützt hatte, das schon. Elene konnte gut nachvollziehen, weshalb Mattia seinem Zorn freien Lauf ließ. Und da außer ihr und der Anästhesistin keiner mehr da war, verurteilte ihn auch niemand dafür.

„Ich bringe Joe in den Aufwachraum und sag den Kollegen dort Bescheid, was passiert ist“, meinte sie.

„Ich komme mit“, brummte Mattia. „Ich will ihn nicht abgeben, bis ich sicher bin, dass sein Herz nicht wieder stehen bleibt.“

„Ja, das ist schwer, aber er wird dort genauso gut überwacht wie hier drin“, antwortete sie.

Vierzig Minuten später erklärte er: „Seine Werte sind besser, als sie es bis jetzt waren. Wenn auch immer noch nicht so, wie ich sie gerne hätte.“ Er sah Elene an. „Kaffee? Ich möchte in der Nähe bleiben, für alle Fälle.“

Das überraschte sie nicht. Der italienische Fachchirurg mit einem Jahresvertrag an dem Krankenhaus in Wellington wurde für sein Engagement und seinen hohen Anspruch von allen Mitarbeitern der orthopädischen Abteilung sehr geschätzt. Außerdem hatte er mit seinem guten Aussehen und seinem Charme auch die Herzen aller weiblichen Wesen des gesamten Krankenhauses erobert. Elene eingeschlossen.

„Für mich eher einen Tee.“ Sie folgte ihm in den kleinen Aufenthaltsraum neben dem Operationssaal. „Wer möchte da schon ein Elternteil sein?“

„Allerdings, das könnte einen wirklich davon abbringen.“ Mattia fuhr sich mit den Fingern durch das dichte, wellige Haar. „Aber verdammt, ein Fünfjähriger mit einem Herzstillstand ist unfassbar. Wie hätte ich es seinen Eltern sagen sollen, wenn wir ihn nicht wieder zurückgebracht hätten?“ Sein italienischer Akzent wurde stärker.

Elenes Magen schnürte sich zusammen. „In solchen Augenblicken frage ich mich, ob ich den richtigen Beruf gewählt habe. Ich finde es schrecklich, mit so viel Kummer und Leid zu tun zu haben.“ Ohne darüber nachzudenken, hatte sie Italienisch gesprochen. Doch dann fuhr sie auf Englisch fort: „Obwohl wir Joe retten konnten, war das, was wir heute Nacht erlebt haben, der reinste Albtraum.“ Sie tat ein paar Löffel Instantkaffee in einen Becher und einen Teebeutel in einen zweiten.

„Sie sind eine hervorragende Krankenschwester. Wir alle haben unsere Zweifel, wenn so etwas geschieht.“ Mattia langte um sie herum nach der Milch.

„Ja, wahrscheinlich.“ Sie seufzte.

Auf dem sexy Kinn hinter ihr war ein leichter Bartschatten zu erkennen. Als sie beiseitegehen wollte, um ausreichend Abstand zu wahren, prallte sie mit Mattias Brustkorb zusammen. Kraftvoll und muskulös, füllte er das Oberteil seines Klinik-Anzugs perfekt aus. Als Elene erneut auswich, stand Mattia plötzlich direkt vor ihr und hielt mit seinen eindringlichen dunklen Augen ihren Blick fest. Es schien sich so etwas wie Lust darin zu spiegeln.

Hatte auch er das Bedürfnis, die vergangenen langen Stunden zu verdrängen? Schlagartig war jeder vernünftige Gedanke aus ihrem Kopf verschwunden, während eine überwältigende sexuelle Erregung in ihr aufstieg, ihr ganzes Sein durchströmte. Unwillkürlich neigte sie sich zu diesem attraktiven Körper, den sie mehr als einmal bewundert hatte. Es gab nichts mehr außer dem Verlangen danach, sich an Mattia zu pressen und ihn zu spüren. Seine Kraft, seine durchtrainierten Muskeln, seine Männlichkeit. Um dadurch die furchtbaren Szenen auszublenden, die sich in ihr Gehirn eingebrannt hatten.

Die Hände an ihrer Taille, zog er Elene enger an sich heran. Es waren feste, warme, sinnliche Hände. Doch dann vergaß sie die Hände, als Mattia den Kopf vorbeugte, bis seine Lippen nur noch wenige Millimeter von ihren entfernt waren. Er weckte etwas in ihr, was sie in all den Jahren, seit sie ihren Ex verlassen hatte, nicht mehr erlebt hatte. Weil sie es nicht wollte, aus Angst, denselben Fehler noch einmal zu begehen. Aber das hier war Mattia, der Mann, den sie schon elf Monate lang begehrte, seit er hier arbeitete. Und mit dem sie deshalb so viele Auseinandersetzungen hatte, um ihn auf Distanz zu halten.

Der Mann, mit dem deine beste Freundin gerade eine Affäre hat.

Sofort fuhr Elene zurück. Fort von seinen Händen und diesem erotischen Mund. Dabei verwünschte sie den Tag, an dem er aus Italien nach Neuseeland gekommen war.

Mattia atmete tief durch. Sein Blick hing am Gesicht von Elene, die mühsam schluckte. In ihren geweiteten Augen erkannte er ihre Schuldgefühle. Da machte sich allmählich auch bei ihm das schlechte Gewissen bemerkbar. Obwohl es keine tiefgehende Beziehung war, hatte er dennoch gerade eine Affäre mit Danielle, einer anderen Krankenschwester. Zwar handelte es sich nur um eine lockere Sache, aber er wollte nichts mit einer neuen Frau anfangen, bis das Ganze vorbei war. Vermutlich dann, wenn sein Vertrag in vier Wochen zu Ende ging.

Trotzdem war Mattia einem Kuss mit Elene viel zu nahegekommen. Es schien die perfekte Ablenkung von der Operation des so schlimm zugerichteten Kindes zu sein. Aber Elene hatte recht mit ihrem Rückzug.

„Vergessen Sie den Kaffee. Ich gehe auf die Kinderintensivstation.“ Hoffentlich war der Junge inzwischen dort.

„Klar, kein Problem“, entgegnete sie. Ihr Tonfall besagte jedoch etwas anderes.

Mattia blieb an der Tür stehen. „Ich muss mich für mein Verhalten entschuldigen. Ich bin mit Ihrer Freundin zusammen, und es war falsch von mir.“

Sich nicht fest binden zu wollen, bedeutete für ihn nicht, kaltschnäuzig und gefühllos zu sein. Ihm war durchaus bewusst, wie verletzend so etwas wirkte. Wobei seine Ex-Verlobte ihn auf ganz andere Weise vernichtet hatte. Aber trotz all seiner Wut darüber hatte Mattia sich nie dazu herabgelassen, andere Frauen absichtlich zu verletzen, um seinen eigenen Schmerz zu lindern.

Momentan war Danielle seine neueste Eroberung, also waren andere Frauen tabu. Leider. Denn dieser Beinahe-Kuss … Doch wusste er jetzt zumindest, warum Elene ihn in den letzten Monaten immer wieder unterbewusst angezogen hatte. Sie war sexy und daher gefährlich für sein inneres Gleichgewicht. An seiner Einstellung zu Frauen und Beziehungen würde das allerdings nichts ändern. Selbst wenn diese Frau sein Herz so zum Rasen brachte, als würde es von einem Windhund gejagt.

„Ich …“ Erneut schluckte sie angestrengt. „Da Sie sich entschuldigen, sollte ich es auch tun. Das hätte nicht passieren dürfen. Und es wird ganz sicher nicht wieder vorkommen. Ich kann nicht fassen, dass ich mich fast von Ihnen hätte küssen lassen.“ Sie holte tief Luft. „Vielleicht deshalb, weil wir die letzten Stunden möglichst weit hinter uns lassen wollten.“

Mattia trat in den Korridor hinaus. „Elene, es ist okay. Am besten vergessen wir das Ganze einfach.“ Nur wie? „Ob Sie es glauben oder nicht, ich möchte Danielle genauso wenig verletzen wie Sie.“

Sie nickte. „Dann verhalten wir uns ab jetzt wieder ausschließlich professionell zueinander, und niemand wird davon erfahren.“

Er konnte nicht genau sagen, ob er einen Ausdruck der Erleichterung oder Enttäuschung in ihren Augen sah. Er hatte jedoch nicht die Absicht, noch länger zu bleiben, um der Sache auf den Grund zu gehen. Immerhin mussten sie einen Monat lang weiter zusammenarbeiten. Die Vorstellung, dass sie dabei ihre übliche distanzierte und manchmal streitlustige Fassade aufrechterhalten würden, gefiel Mattia nicht sonderlich, obwohl es richtig war.

Denn es war eine Fassade. Zumindest, was ihn betraf. Nur allzu gern hätte er Elene auf eine sehr intime Weise kennengelernt.

Aber das kommt überhaupt nicht infrage, Mann!

1. KAPITEL

„Was soll das heißen? Es gab eine Doppelbuchung für mein Zimmer?“

Nur das knapp einjährige Kind auf ihrem Arm hielt Elene Lowe davon ab, auf dem grellroten Teppich zusammenzubrechen. Was die Sache kein bisschen besser machen würde. Stattdessen schlug sie mit der Hand auf den Ausdruck ihrer Reservierungsbestätigung, der auf dem Tresen lag. „Gebucht und bezahlt, vor sechs Wochen. Und ich werde nirgendwo anders hingehen.“ Sie war vollkommen erschöpft. „Ich brauche dieses Zimmer.“

„Ich verstehe, Signora.“ Nach einem schnellen Blick auf Elenes Ringfinger verbesserte sich die Rezeptionistin. „Signorina, es tut mir leid. Manchmal werden Fehler gemacht. Die anderen Gäste, die das Zimmer reserviert und bezahlt haben, sind vor drei Stunden angekommen und haben sich bereits eingetragen. Wir können von ihnen jetzt nicht mehr verlangen, dass sie gehen.“

„Aber von mir schon, ja?“ Elene drückte das Baby an sich. Sie wollte Aimee nur noch ins Bett bringen, damit sie beide endlich schlafen konnten. „Was soll ich denn jetzt tun?“

Aimee begann, mit den Füßen zu strampeln, was anzeigte, dass sie kurz davor war aufzuwachen. Bei der Landung auf dem internationalen Flughafen von Neapel war sie wach geworden, auf der Fahrt nach Sorrent jedoch sofort wieder eingeschlafen. Nach dem vierunddreißigstündigen Flug von Wellington hatte Elene sich dafür ein Taxi gegönnt.

Die Rezeptionistin, die angelegentlich ihre Fingernägel betrachtete, murmelte: „Es gibt keine freien Hotelzimmer mehr in der Stadt. Das habe ich von anderen Leuten gehört, die hier nach einer Unterkunft gefragt haben.“

„Ich muss aber etwas finden! Können Sie mir irgendetwas in der Nähe empfehlen? Eine andere Stadt? Meine T…tochter.“ Noch immer stolperte Elene über das Wort. „Sie ist müde nach einer langen Reise, und ich muss sie hinlegen.“

, das verstehe ich, Signorina. Ich werde es bei den Hostels versuchen, obwohl Sie sich dort vielleicht ein Zimmer mit anderen Frauen teilen müssen.“ Die junge Frau griff nach dem Telefon.

Ein Hostel, mit einem Baby? Großartig. Aber was blieb ihnen anderes übrig?

Da ertönte ein durchdringender Schrei, und Elene spürte kleine Hände, die auf ihre ihre Brust trommelten, und strampelnde Beinchen.

„Schsch.“ Elene küsste das Baby auf die Stirn. „Schsch, wir sind ja bald da.“ Sie hob das sich sträubende kleine Mädchen hoch über den Kopf und lächelte zu ihm auf. „Aimee, Aimee, hey, hey.“

Die Kleine stieß einen weiteren spitzen Schrei aus, und Tränen liefen über ihr gerötetes, zusammengekniffenes Gesicht.

„Ach, Süße, ich weiß.“ Elene wäre beinahe selbst in Tränen ausgebrochen. Aus dem Rucksack neben sich holte sie eine Flasche Milch und versuchte, Aimee damit zu beruhigen. Da die Milch jedoch kalt war, verursachte dies nur ein noch viel größeres Geschrei. Armes kleines Ding.

Die Rezeptionistin stand mit dem Rücken zu ihnen und sprach schnell in den Telefonhörer. Ein Bett in einem Hostel zu finden, schien wohl auch nicht gerade leicht zu sein.

Voller Bitterkeit stieß Elene den Atem aus. Es ließ sich wohl nicht mehr vermeiden, sie musste sich der Sache früher stellen als erwartet. Und vollkommen unvorbereitet. Allerdings wäre sie sowieso nie wirklich darauf vorbereitet gewesen, Mattia Ricco als ebenbürtige Gegnerin zu begegnen. Aber sie hatte das Recht auf ihrer Seite, ebenso wie den Rückhalt einer warmherzigen, liebevollen Familie in Neuseeland. Wenn sie doch nur hier wären! Allerdings hatte Elene sich das selbst zuzuschreiben, da sie alle Angebote ihrer Mutter und ihrer beiden Schwestern abgelehnt hatte, sie auf dieser entscheidenden Reise zu begleiten.

Sie klopfte auf den Tresen. „Mi scusi – taxi?“ Da ihre Stimme viel zu leise klang, wiederholte sie lauter: „Bitte rufen Sie mir ein Taxi.“

Die Rezeptionistin drehte sich zu ihr um und deutete durch den Haupteingang nach draußen. „Dietro l’angolo.“

„Grazie.“ Wenn Elene nur die nötige Energie gehabt hätte, um die Ecke zu gehen.

„Ma-ma-ma-ma.“ Mit ihrem kleinen Fäustchen schlug Aimee auf Elenes Schulter, sodass die Flasche durch die Luft flog und dabei einen Schwall weißer Tröpfchen auf Elenes zerknittertem Hemd und dem Teppich verteilte.

„Ja, Schätzchen, du hast recht.“ Entschuldigend blickte Elene zur Rezeptionistin hinüber. „Tut mir leid.“ Wieso hatte sie bloß kein Hotel in Neapel gebucht?

Zu Hause in Neuseeland war es ihr als gute Idee erschienen, gleich nach Sorrent zu fahren und sich hier auszuruhen, ehe sie sich auf die Suche nach ihrem Gegner machte. Auf dieser schier endlosen Reise hatten sie sich nirgendwo länger aufgehalten, sondern immer nur auf den nächsten Flug gewartet. Elene hatte geglaubt, die Reise hinter sich zu bringen und dann abzuwarten, bis sie sich für die bevorstehende Konfrontation ausreichend gewappnet fühlte, wäre die beste Variante.

Die junge Frau kam um den Tresen herum und hob die Flasche auf. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen, ein Taxi zu bekommen. Wohin wollen Sie denn?“

„Zum Krankenhaus.“

Die Augen der Rezeptionistin weiteten sich, als sie Aimee ansah, und sie machte eine zerknirschte Miene. „Es tut mir so leid, dass uns bei Ihrer Reservierung ein Fehler unterlaufen ist. Ich werde die Milch für Sie warm machen.“

„Schon gut“, meinte Elene. „Aimee ist nicht krank. Ich kenne dort jemanden, der mir helfen wird.“ Er hatte schließlich keine andere Wahl. „Aber wenn Sie die Milch anwärmen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“ Glücklicherweise war Italienisch ihre Zweitsprache. Sie hätte nicht gewusst, wie sie sonst hätte zurechtkommen sollen.

„Meine Schwester hat auch ein Baby.“

Aimee ist nicht meins. Doch Elene machte sich nicht die Mühe, es zu erklären. Das wäre zu kompliziert gewesen. „Aimee hat einen sehr langen Flug hinter sich, aber sie war der reinste Engel.“

Im Taxi schnallte sie die Kleine auf dem Kindersitz an. „Nicht einschlafen, Süße. Trink deine Milch. Wir sind gleich da.“ Bei jeder Kurve, die das Taxi nahm, beschleunigte sich Elenes Herzschlag.

Mit einem hörbaren Seufzer trank Aimee in großen Schlucken aus ihrer Flasche.

Unwillkürlich krampfte sich Elenes Herz zusammen. „Hab dich lieb, Schätzchen. Es war richtig, hierherzukommen.“ Aber was war, wenn Mattia …?

Nein, daran durfte sie nicht denken. Immer einen Schritt nach dem anderen. Danielle hatte es so gewollt, und Elene hatte es ihr versprochen. Dennoch hatte sie nicht vor, sich das Herz brechen zu lassen. Hier ging es um Aimee und nicht um Mattias erotische Anziehungskraft, die Elene nicht hatte vergessen können, obwohl sie es hätte tun sollen.

Also kämpfe für Aimee, für euch beide.

Es konnte ein teurer Kampf werden. Elenes Familie besaß zwar Geld, aber Mattia war schwerreich. Vermutlich wäre es klüger gewesen, in Wellington zu bleiben und so zu tun, als hätte sie ihrer besten Freundin dieses Versprechen nie gegeben. Aber das konnte sie nicht. Da Elene bereits vor ihrer Geburt von ihrem leiblichen Vater verlassen worden war, hatte dies ihr Denken beeinflusst. Erst nachdem sie ihn als Teenager schließlich kennengelernt hatte, war sie imstande gewesen, den Mann, der sie nach der Heirat mit ihrer Mutter aufgezogen hatte, vollkommen als ihren Vater zu akzeptieren. Jetzt wusste sie, wie viel Glück sie damit gehabt hatte. Jeder Mensch hatte ein Recht auf die bedingungslose Liebe guter Eltern.

„Du auch, Schätzchen“, flüsterte sie dem Baby zu.

Nur allzu schnell hielt das Taxi vor dem Krankenhaus in Sorrent. Sobald sie Aimee in ihren Wagen gesetzt hatte, ging Elene zu dem Aufzug, der sie zu Mattias Dienstzimmer bringen sollte. Den Koffer zog sie hinter sich her. Trotz der Wärme dieses Frühlingstages bekam sie eine Gänsehaut. Es war so weit. „Bitte sag mir, dass ich das Richtige tue. Deine Mutter hat es so gewollt, aber die Angst, dich an ihn zu verlieren, schnürt mir die Kehle zu.“

Ping. Schon stoppte der Lift auf der dritten Etage. Die Tür öffnete sich auf einen Korridor voller medizinischem Personal, Patienten auf Krücken und Krankenwärtern, die Betten vor sich herschoben.

Entschlossen reckte Elene das Kinn, betrat das Büro mit der Aufschrift „Dottore Mattia Ricco“ und sagte zu der Frau am Schreibtisch: „Mein Name ist Elene Lowe. Ich möchte gerne Dr. Ricco sprechen.“

„Sie haben keinen Termin“, gab die Frau abweisend zurück.

„Nein, aber ich kann warten, bis er mit seiner Arbeit fertig ist.“ Das würde ja sicherlich bald der Fall sein. Die Wanduhr draußen hatte kurz nach sechs Uhr abends angezeigt.

„Der Doktor ist ohne Termin für niemanden zu sprechen. Er ist ein sehr beschäftigter Mann.“

„Bitte sagen Sie ihm, dass ich hier bin, und lassen Sie ihn darüber entscheiden, ob er mit mir sprechen möchte.“ Wenn er sich weigerte, hatte Elene auch seine Privatadresse auf ihrem Telefon. Und im Moment würde sie alles tun, was nötig war, um ein Bett für Aimee zu finden.

Die Frau schaute auf die geschlossene Tür an der Seite. „Das geht nicht.“

In diesem Augenblick stieß Aimee einen lauten Schrei aus, trommelte sich auf die Beinchen und bäumte sich gegen das Haltegeschirr in ihrem Wagen auf.

„Ich glaube, ich muss meinem Baby die Windel wechseln.“

„Es gibt öffentliche Toiletten auf dieser Etage.“

Plötzlich schossen Elene Tränen in die Augen. „Bitte.“

„Tut mir leid.“

Typisch Mattia, dass eine herzlose Löwin sein Vorzimmer bewachte. „Ich werde jetzt zu dem Doktor reingehen, und ich nehme mein Kind mit.“

Die Sekretärin stand auf. „Das geht nicht. Er ist beschäftigt.“

Ja, natürlich. Wahrscheinlich war gerade ein Patient bei ihm. Elene hob Aimee aus dem Buggy. „Dann bleibe ich hier sitzen und warte. Ich werde nirgendwo hingehen, bevor ich mit Mattia geredet habe.“

„Dann rufe ich den Sicherheitsdienst.“

„Das ist nicht nötig, Sonia“, hörte Elene einen verärgerten Befehl hinter sich. „Ich werde mich um diese Lady kümmern. Sie können nach Hause gehen. Es ist sowieso schon spät.“

„Aber …“

„Kein Aber, Sonia. Bitte tun Sie, was ich sage.“ Zwar sprach Mattia mit seiner Sekretärin, doch sein Blick war auf Elene gerichtet, als sie sich zu ihm umdrehte. Mit einem erstaunten Ausdruck in seinen dunklen Augen sah er sie an. „Elene.“

„Mattia.“

„Was für eine unerwartete Freude.“

„Ich bin sicher, Freude ist so ziemlich das Letzte, was Sie gerade empfinden.“ Bei der Arbeit waren sie nie besonders gut miteinander ausgekommen. Und als er ihre beste Freundin hatte fallen lassen, bevor er von Wellington aus zu seinem nächsten Abenteuer aufbrach, waren die Fronten zwischen ihnen klar.

„Sie nehmen also noch immer kein Blatt vor den Mund“, stellte er fest.

„Anders geht’s nicht“, fuhr Elene ihn an. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass sie sich mit ihm vertragen musste. Sonst gab es für sie oder Aimee keine Hoffnung. „Entschuldigen Sie. Es waren zwei lange anstrengende Tage, und meine spitze Zunge ist mit mir durchgegangen.“

Sein Blick blieb an ihrem Mund hängen, wobei seine Augen sich fast unmerklich weiteten. Ob er sich etwa an jenen seltsamen Moment damals in Wellington erinnerte? Aber warum sollte er? In den knapp zwei Jahren, seitdem er aus Neuseeland weggegangen war, hatte er ja wohl kaum wie ein Mönch gelebt.

„Sie haben diese ganze Reise gemacht, um mich zu sehen?“, fragte er ungläubig.

„Können wir vielleicht irgendwo unter vier Augen reden?“ Elene drückte Aimee an sich. Die Anspannung breitete sich in ihr aus wie Feuer in einem Kiefernwald.

Der Blick aus den dunklen Augen, der bis jetzt nur auf sie gerichtet gewesen war, senkte sich auf das Kind in ihren Armen. Mattia erstarrte und presste die Lippen zusammen.

„Ich denke, wir sollten uns woanders unterhalten“, brachte Elene mühsam hervor. Ihr Mund war plötzlich wie ausgetrocknet.

Mattia hob den Kopf, und der Schock war ihm deutlich anzumerken.

Er weiß Bescheid, dachte sie.

Da wich er vor ihr zurück. „Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Baby. Wie alt ist sie denn?“

„Das ist Aimee. Sie ist ein Jahr alt.“

„Ein Jahr? Dann haben Sie Ihre Beziehung aber sehr für sich behalten. Ich dachte immer, Sie wären überzeugter Single.“

„Als Sie mit Danielle zusammen waren, hatte ich keine Beziehung.“

„Wie geht es Danielle?“ Mit seinem Blick streifte er Aimee, schaute aber sofort wieder weg.

Mit einem Nicken wies Elene auf die Tür zu seinem Dienstzimmer. „Können wir?“

„Ich denke, das müssen wir wohl.“ Mattia wandte sich an seine Sekretärin. „Sonia, wir sehen uns dann morgen.“ Sein Ton duldete keine Widerrede.

Trotzdem sprang die Frau nicht sofort auf, um den Raum zu verlassen.

Elene, die sich ein Beispiel an Sonias Haltung nahm, ging hocherhobenen Hauptes an Mattia vorbei, zögerte dann jedoch. Noch nie war er ihr so groß und eindrucksvoll erschienen. Nicht einmal in dem Moment, als er kurz davor gewesen war, sie zu küssen. Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, hatte Elene Mühe zu atmen. Sie setzte sich auf den nächsten Stuhl und nahm Aimee auf ihren Schoß, den Arm um sie gelegt.

Mit langen Schritten ging Mattia zu seinem Schreibtisch, wo er stehen blieb und auf sie herunterschaute.

Dadurch fühlte Elene sich zwar deutlich im Nachteil, konnte es aber nun nicht mehr ändern.

Dann brach er das Schweigen. „Also? Danielle?“

Es gab keine einfache Art, das zu sagen. „Sie ist gestorben. Krebs.“ Es war zwei Monate her, tat jedoch immer noch so weh, als wäre es gestern gewesen. Der Schmerz saß wie ein Felsbrocken auf ihrem Herzen. Sie vermisste ihre Freundin so sehr. Aber da war auch Zorn darüber, dass Danielle so jung hatte gehen müssen, obwohl es so vieles gab, worauf sie sich hätte freuen können. Und weil sie eine Tochter hatte, die sie brauchte und ihre Mutter kaum kennenlernen konnte.

Hörbar stieß Mattia den Atem aus. „Damit hätte ich nicht gerechnet.“

„Niemand hätte das getan.“

Danielle war vierunddreißig gewesen, fit und vermeintlich gesund, und hatte den größten Teil ihres Lebens noch vor sich.

Mit den Fingern kämmte er sich durch das dunkle Haar. „Darf ich fragen, welche Art von Krebs?“

„Gebärmutterhals. Es ging sehr schnell.“ Und brutal. Sich in diesen letzten Monaten um ihre beste Freundin zu kümmern, war das Schwerste, was Elene je hatte tun müssen.

Aimee quäkte.

Dankbar für diese Unterbrechung, lockerte Elene ihren Griff und gab der Kleinen ein Küsschen auf die Wange. „Entschuldige, Schätzchen.“ Als sie wieder aufblickte, konnte sie den dunklen Augen, die auf sie gerichtet waren, nicht mehr ausweichen. „Der Krebs wurde entdeckt, bevor Aimee geboren wurde.“

Mattia nickte kurz. „Das ist also Danielles Kind?“

„Sie heißt Aimee.“ Elene erhob sich und baute sich direkt vor ihm auf. „Sie verstehen?“

Er hielt ihrem Blick stand. „Ja, ich verstehe.“

Das nahm ihr den Wind aus den Segeln. Daher setzte sie sich wieder und versuchte, sich zu entspannen. Mit Zorn oder Ärger würde sie nichts erreichen. „Aimee ist knapp ein Jahr alt. Sie wurde am dritten Mai vorigen Jahres geboren.“

„Stier.“

„Was?“ Elene war verblüfft. Dieser Mann mit seinem wissenschaftlichen Geist kannte die Tierkreiszeichen?

„Der Stier. Bedachtsam in seinem Handeln, methodisch. Mag Luxus.“

Überrascht fragte sie: „Woher wissen Sie das?“

„Ich bin auch Stier. Mit dieser Kleinen werden Sie alle Hände voll zu tun haben.“

„Wir“, betonte sie. Ich möchte Aimee ganz bei mir haben, kann dir aber deine Rolle nicht streitig machen.

„Jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Grund Ihres Besuchs.“ Mattia lehnte sich an eine Ecke seines Schreibtischs. „Sagen Sie mir genau, weshalb Sie hier sind.“

Um ganz ehrlich zu sein, wollte Mattia es gar nicht wissen. Natürlich hatte er seine Berechnungen angestellt. Aber wenn Elene es bestätigte, gab es keinen Ausweg mehr. Dann konnte er nicht wieder zurück in das Leben, das er noch vor zehn Minuten gehabt hatte.

Aufmerksam beobachtete er sie. In der Sekunde, als er sie in seinem Vorzimmer hatte stehen sehen, das lange kastanienbraune Haar durcheinander, die schmalen, nach vorne gebeugten Schultern, die Rundungen ihrer Hüften unter dem leichten Stoff ihrer weiten Hose, da hatte er etwas gespürt, was er nicht hätte spüren sollen. Nämlich Verlangen. Nach Elene? Das konnte doch nicht sein, nachdem sie sich gegenseitig so entschieden auf Distanz gehalten hatten. Vor allem nach jenem Abend, an dem sie sich fast geküsst hatten. Aber die Empfindung, die sich bei ihm regte, war eindeutig. Und das, obwohl er sich so oft über Elene geärgert hatte.

Danielle Hicks hatte darüber gelacht, dass Mattia in der Nähe ihrer Freundin immer so angespannt gewesen war. Sie hatte gesagt, er sollte Elene besser kennenlernen, weil sie toll sei. Eine Welle der Traurigkeit überflutete ihn. Danielle. Niemand hatte ein solches Schicksal verdient. Sie war eine so strahlende, lebensprühende Frau gewesen, die gerne ihren Spaß hatte. „Es tut mir sehr leid wegen Danielle“, sagte er aufrichtig. Elene musste am Boden zerstört gewesen sein und war es sicher immer noch.

„Danke.“ In ihrer Stimme schwang tiefe Trauer mit.

Mattias Blick ging zu dem Baby, das jetzt anfing zu quengeln.

Sofort küsste und streichelte Elene die Kleine, ehe sie sie auf den Boden setzte, damit sie herumkrabbeln konnte. „Bitte schön, meine Süße. Endlich frei. Diese ganze Fliegerei ist jetzt erst mal zu Ende.“

„Sie sind durchgeflogen?“, fragte Mattia.

„Ja. Vielleicht wäre es besser gewesen, in Hongkong zu übernachten, aber ich wollte so schnell wie möglich herkommen und danach entspannen“, erwiderte Elene. „Ein längerer Zwischenstopp hätte Aimee vielleicht nicht gutgetan, aber da kann ich mich auch irren.“

Die Kleine ließ sich auf ihrem Hosenboden nieder und schaute sich neugierig in dem Zimmer um, bis sie schließlich mit ihren dunklen Augen Mattia ansah. Meine Augen. Sie war seine Tochter. Es ließ sich nicht leugnen, dass dieses Baby seine Gene in sich trug. Auf seinem Schreibtisch standen Fotos mit fast denselben Gesichtern. Nur gehörten diese zu seiner Nichte und seinem Neffen. Genauso niedlich wie Aimee. Irgendwann innerhalb der paar Wochen, in denen er mit Danielle zusammen gewesen war, hatte er ein Kind erschaffen. Unwillkürlich verkrampften sich seine Finger. Er war ein Babbo, ob es ihm passte oder nicht.

Das konnte er akzeptieren. Aber zuerst wollte er erfahren, was wirklich hinter diesem Besuch steckte. Offenbar ging es nicht nur darum, ihm sein Kind vorzustellen, damit er es kennenlernte.

Elenes plötzliches Auftauchen ohne jede Vorwarnung gab Mattia zu denken. Damals in Wellington hatten ihn ihre schnippischen Bemerkungen über seine Frauengeschichten genervt. Außerdem hatte sie ihm ein schlechtes Gewissen für den sinnlichen Moment mit ihr gemacht, als er gerade eine Affäre mit ihrer Freundin hatte. Zu seiner Verteidigung konnte er jedoch vorbringen, dass er Frauen immer ehrlich sagte, was er von einer Beziehung erwartete. Und falls sie nicht damit einverstanden waren, brach er die Sache schnell ab. Danielle hatte kein Problem damit gehabt, sich an die vereinbarten Regeln zu halten, was jedoch Elene nie akzeptieren konnte. Wenn es darum ging, ihre Freundin zu beschützen, wurde sie zur Löwin. Es war also naheliegend, dass dies auch für die Tochter ihrer Freundin galt.

Meine Tochter. Nein, Mattia durfte nichts überstürzen. Zuerst mussten ihm Beweise und gesetzliche Regelungen vorliegen. Trotzdem zog sich sein Magen so heftig zusammen, dass es wehtat. Denn eigentlich wusste er ja schon Bescheid. Aimee war von ihm. Und er würde sie niemals im Stich lassen. Egal, was kommen mochte.

„Warum sind Sie hier?“, wollte er von Elene wissen.

Wegen Geld? Um Aimee abzugeben und dann ohne Verpflichtungen wieder zu gehen? Nein, trotz seines tief sitzenden Misstrauens wusste er, dass sie so etwas nicht tun würde. Oder doch? Das Aufziehen eines Kindes würde sich mit ihrem Beruf schlecht vereinbaren lassen, und Mattia hatte selbst gesehen, mit welcher Hingabe sie als Krankenschwester arbeitete. Tatsächlich hätte er ihre Fähigkeiten gut hier gebrauchen können. Es gab viel zu wenig kompetentes Pflegepersonal.

„Wir haben im Augenblick keine Unterkunft“, erklärte sie. „Ich hoffe, Sie können über unsere früheren Meinungsverschiedenheiten hinwegsehen, um mir aus der Klemme zu helfen.“

Mattia betrachtete Elenes blasses Gesicht. Schatten lagen unter ihren Augen, ihr Mund und ihr ganzer Körper wirkten müde. Sie war zu Tode erschöpft. Kein Wunder nach den endlos langen Flügen von Neuseeland. Und außerdem hatte sie noch ein Baby bei sich, was das Ganze noch anstrengender machte.

„Glauben Sie mir, mich zu streiten, ist das Letzte, was ich will.“ Dabei verschwieg er allerdings wohlweislich, welche Hitze durch das unvermutete Wiedersehen in ihm aufflammte.

„Bitte entschuldigen Sie, dass ich auf diese Weise bei Ihnen auftauche. Ich hatte gehofft, wir könnten uns vorher noch eine Nacht lang erholen“, meinte Elene.

„Sie sind vom Flughafen gleich hierhergekommen?“

„Mit einem Abstecher zu dem Hotel, in dem es eine Doppelbuchung für mein Zimmer gab.“ Sie blinzelte ihre drohenden Tränen fort. Nein, nicht weinen. Sie war schließlich eine robuste, energische Frau.

Da erst drangen ihre Worte zu Mattia durch. Er fühlte sich, als hätte sie gerade eine Bombe fallen lassen. Wenn er ihr anbot, ein paar Tage bei ihm zu wohnen, würde er seine Tochter jeden Tag sehen. Und viele Stunden in Elenes Nähe zu sein, wäre ein weiteres großes Problem. Er atmete tief durch. Völlig unmöglich, sie auf die Straße zu setzen. Immerhin besaß er ein riesiges Haus. Vielleicht war die Sache ja doch nicht so schwierig.

„Ich glaube, Sie wollten eben eine Windel wechseln.“ Er hatte ihren Wortwechsel mit Sonia gehört.

Elene nickte. „Das stimmt.“

Entschlossen sagte Mattia: „Ich muss noch nach einem Patienten schauen, was aber nicht lange dauern wird. Danach fahren wir nach Hause. Es sei denn, Sie wollen das Windelwechseln mir überlassen.“ Dazu war er durchaus in der Lage.

Sie sah ihn an, als hätte sie nicht die geringste Kraft mehr übrig. Bis sie schließlich murmelte: „Ich übernehme die Windel.“

Im Augenblick hatte Mattia das Bedürfnis, ihr alles zu geben, was sie wollte. Egal was. Trotzdem wollte er auch, dass sie bald wieder ans andere Ende der Welt verschwand. Fort aus seinem Leben.

„Sie können bei mir wohnen, bis Sie eine andere Unterkunft finden“, meinte er. „Es besteht keine Eile. Ich habe viel Platz und jede Menge Zimmer.“

Elene schien in sich zusammenzusacken. Doch als er einen Schritt auf sie zukam, um sie zu stützen, riss sie sich rasch zusammen. „Danke.“

„Sie brauchen mir nicht zu danken. Deshalb sind Sie doch hergekommen, oder?“ Genau, am besten erst mal nur die praktischen Dinge regeln.

„Ich war verzweifelt“, gestand sie. „Aimee hat geschrien, und die Rezeptionistin im Hotel hatte Mühe, uns in irgendeinem Hostel unterzubringen. Es tut mir leid. Ich wusste nicht, was ich sonst noch tun sollte.“ Elene vermied es ebenfalls, über den eigentlichen Grund zu sprechen, der sie nach Sorrent gebracht hatte.

„Sie haben das Richtige getan.“ Zumindest für Aimee. Mattia wäre erbost gewesen, wenn sie in einem Raum voller fremder Leute übernachtet hätten. Seine Tochter hatte etwas Besseres verdient. Und Elene auch. „Ich bin gleich wieder da.“

Schnell ging er hinaus, ohne einen Blick zurückzuwerfen, obwohl ihm der Kopf schwirrte. Noch immer konnte er es kaum fassen. Er war Vater! Elene hatte seine Tochter zu ihm gebracht. Natürlich musste noch vieles geklärt, und es mussten Entscheidungen getroffen werden. Dennoch machte sich ein aufregendes Kribbeln in ihm bemerkbar.

Nur dass nicht Aimees Gesicht vor ihm auftauchte, sondern das von Elene. Ihr Ausdruck, als ihre Lippen sich an jenem Abend beinahe berührt hätten. Die Reaktion seines Körpers, als Mattia ihren Duft wahrgenommen hatte. Das würde nicht wieder passieren. Nicht, wenn sie gemeinsam für ein Kind sorgen sollten, dessen Zukunft geregelt werden musste.

Noch nie hatte er Elene derart erschöpft gesehen, war ihre Stimme so tonlos gewesen. Nicht einmal nach einem Tag voller Notfälle und Dramatik im Operationssaal. Sie besaß überhaupt keine Energie mehr, und allzu schnell würde sie sich davon wahrscheinlich nicht erholen. Ein Jetlag konnte selbst den Stärksten umhauen. Also wollte Mattia dafür sorgen, dass ihr alles Nötige zur Verfügung stand, um diese Phase zu überwinden.

Erstens zeigte er sich grundsätzlich immer hilfsbereit, und zweitens war er ja zum Teil auch an Elenes Erschöpfung mitbeteiligt. Selbst wenn er keine Ahnung davon gehabt hatte, stand er in ihrer Schuld, weil sie ihm sein Kind gebracht hatte. Und er hasste es, irgendjemanden etwas schuldig zu sein. Schulden jeglicher Art mussten so schnell wie möglich beglichen werden.

Mattia stürmte durch den Gang, wobei er versuchte, das Bild von Elene, die so verloren wirkte, aus seinem Kopf zu verbannen. Normalerweise war sie eine temperamentvolle Frau, die ihn nur allzu oft herausgefordert und verärgert hatte. Doch diese Elene löste Mitgefühl in ihm aus. Sanftes, liebevolles Mitgefühl.

Verdammt.

2. KAPITEL

Elene bemerkte nur vage das große Herrenhaus, zu dem Mattia hinauffuhr. Sie achtete nicht auf die breite Front, die sich auf dem Hügel abzeichnete, da sich ihre Gedanken überschlugen – von Mattia zu Aimee zu Schlaf und wieder zurück. Sobald sie das Haus betraten, wich die Hitze von draußen der angenehmen Kühle einer Klimaanlage. Doch Elene bekam von ihrer Umgebung kaum etwas mit, weil sie einfach keine Kraft mehr hatte. Im Gegensatz dazu drehte sich Aimee auf ihrem Arm hin und her, um sich eifrig umzuschauen.

Mattia, der vorausging, hielt inne. In einer Hand hielt er den Koffer, in der anderen den Kinderwagen. „Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Im Keller steht auch noch ein Babybett, das meine Nichte und mein Neffe in dem Alter benutzt haben.“

„Das wäre wunderbar. In einem Bettchen ist Aimee sicherer als auf einem großen Bett mit Kissen um sie herum. Sie schläft ziemlich unruhig.“

„Soll ich das Babybett mit in Ihr Zimmer stellen?“

„Ja, bitte. Bis jetzt läuft es ganz gut. Aber wenn sie ohne mich in einem fremden Zimmer ist, könnte das ihre Laune sehr verschlechtern.“ Nachdem sie auf der Reise so viel geschlafen hatte, zeigte Aimee nicht die geringsten Anzeichen von Müdigkeit. Elene dagegen sehnte sich nur noch danach, sich eine Decke über den Kopf zu ziehen, ihrer Erschöpfung nachzugeben und für vierundzwanzig Stunden nicht wieder aufzutauchen. Doch das war ihr bestimmt nicht vergönnt.

„Dann erledigen wir das als Erstes, damit Sie sich ausruhen können.“ Mattia ging weiter, und Elene musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten.

Wie lange diese ungewohnte Höflichkeit wohl noch anhalten würde? Elene ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, in das er sie hineinführte. Es war riesengroß und sogar jetzt am frühen Abend noch warm von der Sonne. Das angrenzende Bad war ein zusätzlicher Pluspunkt. „Perfekt.“

Aber sie sollte sich hier besser nicht allzu häuslich einrichten. Schließlich war dies nur eine vorübergehende Notlösung.

„Freut mich, wenn es Ihnen gefällt.“ Seine Miene wirkte undurchdringlich.

„Morgen werde ich die Hotels abtelefonieren, sodass wir Ihnen nicht allzu lange zur Last fallen.“

„Lassen Sie sich ruhig ein oder zwei Tage Zeit damit.“

Offenbar hatte Mattia nicht die Absicht, sie für ihren gesamten Aufenthalt zu beherbergen. Aber er wusste ja auch noch nicht, wie lange Elene bleiben wollte. „In drei Wochen fliegen wir nach Neuseeland zurück.“

Seine angespannte Haltung schien sich ein wenig zu lockern. „Werden Sie die ganze Zeit in Sorrent bleiben?“

„Das hängt von Ihnen ab und davon, wie die Dinge sich entwickeln. Ich habe Verwandte außerhalb von Florenz, die ich auch noch besuchen könnte.“ Die Züge hier waren zuverlässig und schnell, wodurch eine solche Fahrt mit Aimee ein Kinderspiel wäre. „Aber bei dieser Reise geht es nicht um meine Verwandten.“

„Falls Sie sie doch besuchen wollen, werde ich die Fahrt dorthin für Sie arrangieren.“

„Ich bin durchaus imstande, mir ein paar Zugfahrkarten zu besorgen. Aber trotzdem danke.“ Immer mit der Ruhe, rief Elene sich zur Vernunft. Es war nicht nötig, Mattia gegen sich aufzubringen, wenn er bloß helfen wollte. Ihr Kopf fühlte sich an wie Watte, daher konnte sie nicht mehr klar denken. Warum sollte sie sonst ständig auf diesen flachen Bauch und den breiten Brustkorb schauen?

„Ich dachte dabei nicht an eine Zugfahrt.“

„Lassen Sie uns später darüber reden, wenn ich ausgeschlafen bin und wieder vernünftig denken kann.“

„Gut. Ich hole das Babybett.“ Kurz darauf kehrte er mit einer großen rechteckigen Tasche zurück, die er auf dem Teppich ausleerte. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Bettchen zusammengebaut.

„Das haben Sie offensichtlich schon öfters gemacht.“ Elene steckte das Nachtlicht in Form eines Teddybären in die Steckdose. „Wie viele Nichten und Neffen haben Sie denn?“

„Eine Nichte und einen Neffen, beide zweieinhalb. Und es sind noch zwei weitere bambini unterwegs.“ Mattia blickte zur Seite auf Aimee hinunter, die auf ihr Bett zukrabbelte. „Sie hat nicht viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter.“

„Bis auf die Locken.“ Die waren definitiv von Danielle.

„Danielle hat sich immer über ihre Locken beklagt.“ Seine Stimme klang wehmütig. „Auch wenn Sie es mir nicht geglaubt haben, ich mochte Danielle sehr. Wir sind gut miteinander ausgekommen. Aber unsere Freundschaft ging nicht über die paar Wochen hinaus, in denen wir zusammen gewesen sind.“

„Ich weiß.“ Als er überrascht die Brauen hochzog, fügte Elene schnell hinzu: „Damals war es anders. Ich dachte wirklich, Sie würden ihr wehtun. Aber später hat Danielle mir dann erklärt, dass sie nur auf eine kleine Affäre aus war. Genau wie Sie.“

„Sie hatte mehrere Affären. Wieso war es bei mir etwas anderes?“

Elene wusste nicht recht, was sie darauf antworten sollte. „Ich weiß nicht. Sie war glücklich. Vor allem, als Sie sie gegen diesen Betrunkenen verteidigt haben.“

Mattia nickte. „Er hatte sie schon den ganzen Abend im Pub angestarrt, was ihr sehr unangenehm war. Als er dann rüberkam und anfing, anzügliche Bemerkungen zu machen, hatte ich endgültig genug davon und schlug vor, die Sache im Hinterhof auszudiskutieren. Aber darauf wollte er sich wohl nicht einlassen.“

„Gut gemacht.“ Die Ritterlichkeit war also doch noch nicht ganz ausgestorben. Aber bei einem Mann wie Mattia gehörte das wohl dazu. Eins musste man ihm lassen: Er war ein Gentleman und behandelte Frauen so, wie sie es verdient hatten.

Aimee benutzte das Bettchen, um sich daran hochzuziehen, rutschte jedoch ab und fiel zurück auf ihren Hosenboden.

Elene wartete auf das entrüstete Geschrei, das normalerweise auf einen solchen Fehlversuch folgte. Stattdessen grinste Aimee jedoch vergnügt und streckte die Ärmchen aus, um es erneut zu probieren. „Sie ist froh, endlich Bewegungsfreiheit zu haben.“

Mattia beobachtete sein Töchterchen, wobei sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck von Ungläubigkeit mit noch etwas anderem mischte. Sehnsucht? Noch hatte er Aimee kein einziges Mal berührt. Hatte er womöglich Angst davor, wozu das führen könnte? Elene wusste es nicht und war momentan auch nicht mehr in der Lage, weiter darüber nachzudenken.

Im Grunde war sie sogar erleichtert, dass er sich nicht sofort in Aimee verliebte, solange er sie nur als seine Tochter akzeptierte. Dieser Besuch diente dazu zu entscheiden, wo die Kleine leben sollte und bei wem. Allerdings war Elene felsenfest entschlossen, Aimee bei sich zu behalten. Doch sie durfte Mattia auch nicht seine Rechte als Vater nehmen.

Sie beugte sich hinunter, um Aimee hochzuheben, und hielt sie ihm dann hin. „Hier. Jetzt sind Sie dran. Ich muss dringend unter die Dusche.“

Sofort nahm Mattia die Kleine entgegen. Während er sie von sich abhielt, beobachtete er, wie sie mit den Beinen strampelte und mit den Händchen auf seine Arme patschte. Mit einem breiten Babylächeln strahlte sie ihn an.

„Hallo“, brachte er heraus, obwohl ihm ein tennisballgroßer Kloß im Hals steckte.

„Ma-ma-ma-ma.“

„Tatsächlich?“ Mattia lächelte sie an. „Du bist wunderschön.“

„Sie ist nicht zerbrechlich“, hörte er da eine leicht ironische Stimme hinter sich.

Ach ja, er sollte Aimee wohl lieber auf dem Arm halten. Über die Schulter schaute er zu Elene. „Ich dachte, Sie wollten duschen gehen.“

Ihre sonst so funkelnden grünen Augen hatten sich verdunkelt, und ihre Miene wirkte besorgt.

Um sie zu beruhigen, meinte er sanft: „Gehen Sie ruhig. Ich nehme Aimee mit ins Wohnzimmer. Und ich verspreche Ihnen, dass ich weiß, was ich tue.“

Nach kurzem Zögern nickte Elene und ging zum Badezimmer hinüber. Ihre weite Hose verbarg weder die Rundungen ihres Pos noch ihre superschlanke Taille. Sie besaß eine sinnlich-weibliche Figur mit vollen Brüsten. Allerdings hatte Mattia sich bemüht, nicht allzu sehr mit seinem Blick daran hängen zu bleiben, als Elene das Baby an sich gedrückt hatte.

Aimee. Langsam zog Mattia sie näher an sich heran, bis er spürte, wie sie an seiner Brust strampelte. Es fühlte sich komplett anders an, als wenn er Marco oder Giulia auf dem Arm hielt. Das hier bedeutete, Vater zu sein. Ich bin wirklich papà.

Er stieß den Atem aus, wodurch er die Löckchen seiner Tochter zerzauste. Er drückte ihr ein Küsschen auf den Kopf. „Komm, wir machen dir jetzt mal was zu essen, meine Kleine.“ Vielleicht hatte Elene auch Hunger. Mattia brauchte jedenfalls eine anständige Mahlzeit. Zum Lunch hatte er nur ein paar Bissen zwischendurch gegessen, und das war schon vor Stunden gewesen – zwischen einer Hüftgelenksoperation und einer Schulter-Rekonstruktion.

Sobald er Aimee auf den Boden gesetzt hatte, wo sie keinen Schaden anrichten konnte, schenkte er zwei Gläser Sangiovese ein. Das eine davon stellte er auf den Tisch, ehe er den Inhalt seines Kühlschranks begutachtete. Seine Haushälterin Anna sorgte dafür, dass dieser immer gut gefüllt war. Sie hatte auch ein Essen vorbereitet, was man nur aufwärmen musste. Doch das reichte nicht für zwei Personen. Es ließ sich auch noch für den Lunch morgen aufheben.

Mattia beschloss, heute Abend ein richtiges italienisches Essen zu kochen, wofür er den von Anna ebenfalls vorbereiteten Pasta-Teig benutzen wollte. Elene hatte ein wenig Aufmerksamkeit und Fürsorge verdient. Immerhin hatte sie eine sehr lange Reise mit einem Kleinkind hinter sich. Für ihre Freundin. Und auch seinetwegen? Irgendetwas an der tiefen Trauer in ihren Augen besagte, dass beides zutraf. Bestimmt fragte sie sich, was er jetzt tun würde und welche Rolle sie dann noch spielen mochte.

Verdammt. Wieder fuhr Mattia sich mit den Fingern durchs Haar. Er versuchte, nicht zu sehr über all diese Dinge nachzugrübeln. Es gab noch so vieles zu klären. Aber nicht heute Abend. Elene war müde – und schön und hinreißend. Doch er durfte nicht vergessen, welch schnippische Frau hinter ihrer Erschöpfung zum Vorschein kommen konnte.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass Aimee noch immer fröhlich mit den bunten Holzklötzchen spielte, die er ihr gegeben hatte, begann er, alle Zutaten für eine Alfredo-Sauce zusammenzusuchen. Die Wanduhr schlug acht. Eine halbe Stunde war vergangen, seit er Aimee mit heruntergebracht hatte. Ob Elene womöglich im Bad eingeschlafen war? Mattia überlegte, ob er nach ihr schauen sollte.

Da riss sie plötzlich die Tür auf, wobei sich ihr Oberkörper hob und senkte, als sei sie durchs ganze Haus gerannt. „Was für eine kraftvolle Dusche. Wahrscheinlich habe ich das gesamte heiße Wasser verbraucht, aber das war es mir wert. Alle Muskelschmerzen sind weg, und ich fühle mich wieder normal.“

Sie machte auch tatsächlich diesen Eindruck. Obwohl sie so zierlich war, stand sie hoch aufgerichtet, und zum ersten Mal, seit Mattia sie im Vorraum zu seinem Sprechzimmer erblickt hatte, wirkten ihre Züge entspannt. In ihren Augen war keine Besorgnis mehr zu erkennen, und sie sah erholt aus. Toll und sexy wie immer. Unwillkürlich ließ er den Kochlöffel fallen. Das ist Elene. Hier geht es nicht darum, wie sexy sie ist.

„Auf dem Tisch steht ein Glas Sangiovese. Eines der bestgehüteten Geheimnisse Italiens.“ Er musste sich zusammenreißen und sich wieder darauf konzentrieren, sachlich zu bleiben. Vor allem, wenn sie sich in den nächsten Tagen über das Sorgerecht für Aimee auseinandersetzen würden. In Neuseeland hatte Elene ihn einmal eine Eintagsfliege genannt. Tja, Miss Lowe, ich werde Ihnen beweisen, wie falsch Sie damit lagen. Ihre geringschätzige Meinung über ihn hatte Mattia nicht gefallen. Auch wenn er wusste, dass sie nur versucht hatte, Danielle zu beschützen.

Er leugnete nicht, dass er ein Jahr lang ein lockeres Leben geführt hatte, nachdem seine Ex-Verlobte Sandy seine Stiftung bestohlen hatte. Danach hatte sie außerdem versucht, den guten Ruf seiner Familie zu schädigen, indem sie Mattia beschuldigte, die Gelder veruntreut und sie selbst in eine Falle gelockt zu haben, damit sie für ihn den Kopf hinhalten sollte. Allerdings war Sandy jetzt diejenige, die im Gefängnis saß.

Seine Familie hatte Mattia dazu gedrängt, sich für ein Jahr eine Auszeit zu nehmen und ein bisschen Spaß am Leben zu haben, um diese Geschichte hinter sich zu lassen. Er war nur widerstrebend und mit einem schlechten Gewissen wegen seines fatalen Fehlers weggegangen. Doch seine Eltern hatten offenbar gewusst, was ihm guttun würde.

Neuseeland mit seinen zahlreichen Outdoor-Aktivitäten und dem ungezwungenen Lebensstil war eine interessante und befreiende Erfahrung für ihn gewesen. Doch seit seiner Rückkehr nach Italien war Mattia fest entschlossen, seiner Familie nie wieder Probleme zu bereiten. Er arbeitete weiter daran, seine einmal gesteckten Ziele zu erreichen. Mit einer Ausnahme – nämlich eine Frau so zu lieben, dass er sie heiraten und eine Familie mit ihr gründen wollte. Unwillkürlich ging sein Blick zu Elene, die gerade den Wein probierte.

„Lecker.“ Sie lächelte ihm auf eine Weise zu, die Mattia direkt unter die Haut ging. „Einen Sangiovese hatte ich nicht mehr, seit ich das letzte Mal in Italien war.“

„Wie lange ist das her?“, fragte er.

„Drei Jahre. Damals habe ich in einem Krankenhaus in Florenz gearbeitet und jede Sekunde genossen.“ Nach einem weiteren Schluck waren ihre vollen Lippen in ein dunkles Rot getaucht.

Schnell trank auch Mattia von seinem Wein. Noch ein Schluck, dann griff er wieder nach der Flasche. „Sie hatten eine Arbeitserlaubnis?“

„Ja, und ich habe sie auch behalten“, antwortete Elene. „Das ist einfacher, als sie mir jedes Mal neu ausstellen zu lassen, wenn ich meine Verwandten besuchen möchte.“

Das könnte sich für die Zukunft als nützlich herausstellen, dachte er bei sich. „Ihre Mutter ist Italienerin, richtig?“ Mattia erinnerte sich vage daran, nachdem Elene einmal im Operationssaal Italienisch mit ihm gesprochen hatte.

„Ja“, bestätigte sie. „Als sie zwei war, sind ihre Eltern nach Neuseeland ausgewandert. Jahre später traf sie meinen Vater, der zusammen mit seinem Bruder ein Weingut in Masterton besaß. Jetzt ist eine meiner jüngeren Schwestern die Weinproduzentin, und unsere Eltern genießen es, ihr gute Ratschläge geben zu können und Großeltern zu sein.“

„Dann sind Sie vermutlich ein Pasta-Fan.“

„Was denn sonst?“ Sie verdrehte die Augen, was ihn zum Lachen brachte.

„Und was ist mit all dem Lamm- und Rindfleisch, das die Kiwis tonnenweise essen? Mögen Sie das auch?“

„Wieso sollte man gebratenes Lamm oder ein saftig gebratenes Rinderrückensteak nicht mögen?“ Sie lachte.

Ein seltsames Gefühl machte sich in seiner Magengrube bemerkbar. Noch nie hatte Mattia sie lachen sehen. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund übte dieses Lachen eine ungeheure Wirkung auf ihn aus. Es war scherzhaft, freundlich, normal. Eine ganz andere Elene als die, die er bisher kannte.

Sie schaute an ihm vorbei. „Ihr Topf kocht gerade über.“

Blitzartig fuhr Mattia herum und rettete den Topf, bevor eine allzu große Sauerei auf dem Herd entstand. Er war abgelenkt, das war das Problem. „Was ist mit Essen für Aimee?“

„Für die ersten Tage habe ich genug mitgebracht.“ Elene kam zu ihm. Sie hielt ein versiegeltes Päckchen mit Haferbrei in der Hand. „Ich brauche bloß eine kleine Schale, um das hier aufzuwärmen.“

„Dann muss ich sie wohl bald an Pasta gewöhnen.“ Mattia gab Elene das Gewünschte, ehe er sich wieder seiner Sauce zuwandte. Auf keinen Fall wollte er sie anbrennen lassen. Und genauso wenig sollte das Nudelwasser noch mal überkochen.

Schweigen trat ein, nur gelegentlich unterbrochen durch das Gemurmel von Aimee, als sie ihre Klötzchen aufeinanderstapelte, die jedes Mal wieder umstürzten. Geduldig fing sie immer wieder von vorne an, bis Elene sich hinkniete und den Turm geraderichtete, sobald die Kleine ein Holzklötzchen oben draufgelegt hatte. Schließlich waren alle Klötzchen verbraucht, und Aimee kreischte begeistert. Dabei klatschte sie lebhaft in ihre Händchen und stieß den Turm fröhlich um.

Mattia beobachtete die beiden zusammen. Zwei sehr unterschiedliche Köpfe. Einer mit welligem kastanienbraunem Haar, der andere dunkel und lockig.

„Warum hat Danielle den Namen Aimee gewählt?“, fragte er.

Mit einem herausfordernden Blick schaute Elene zu ihm auf. „Ihnen gefällt der Name nicht?“

„Habe ich das gesagt? Ich habe mich nur gefragt, ob es eine Verbindung zu irgendjemandem gibt, dem Danielle nahestand. Jemand Besonderem.“ Er mochte den Namen, auch wenn er nicht italienisch war.

Elene nickte. „Danielle ist bei ihrer Großmutter Aimee aufgewachsen.“

„Das ist schön“, erwiderte Mattia. „Und hat sie einen zweiten Vornamen?“

Ein fast trotziger Ausdruck trat in ihre Augen. „Elene.“

„Dann hat sie also auch einen italienischen Namen. Das gefällt mir. Und der Nachname?“ Er nahm den Nudeltopf vom Herd, um das Wasser abzugießen.

Elene war klar, dass Mattia sicher jede Menge Fragen hatte. Aber im Moment musste sie es ruhig angehen lassen. Sie waren einander erst vor zwei Stunden wiederbegegnet, und jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Zum Beispiel Aimee zu füttern und solange mit ihr zu spielen, bis all ihre aufgestaute Energie verbraucht war.

„Er ist doch wohl nicht Lowe, oder?“, brummte Mattia ungeduldig.

Sofort gab sie angriffslustig zurück: „Was gäbe es daran auszusetzen?“ Ihr Vater wäre stolz gewesen, wenn Aimee den Familiennamen erhalten hätte.

„Nichts, nehme ich an.“

„Sie nehmen es an? Oh, Freundchen, Sie wissen gar nichts. Sie haben keine Ahnung davon, was passiert ist, nachdem Sie Wellington verlassen haben. Was Danielle sich für ihre Tochter gewünscht hat. Wie sehr sie darunter gelitten hat, dass sie Aimee nie würde aufwachsen sehen. Und alles, worüber Sie sich Gedanken machen, ist ein Name?“ Woher kamen diese blöden Tränen? Ärgerlich wischte Elene sich über die Wangen und drückte Aimee fest an sich.

Doch dann war Mattia bei ihr und hielt ihr ein Taschentuch hin, ehe er sein Töchterchen hochhob. „Erzählen Sie mir mehr, damit ich Bescheid weiß.“

Elene stand auf, griff nach ihrem Weinglas und atmete tief durch. Sie und Danielle hatten versucht, sich auf diesen Moment vorzubereiten. Aber es würde immer schwierig sein, die Gründe ihrer Freundin dafür zu erklären, weshalb sie sich geweigert hatte, Mattia etwas von seinem Kind zu sagen. Oder auch ihre eigene Angst davor, dass er das alleinige Sorgerecht für seine Tochter beantragen könnte.

„Elene?“ Seine Stimme klang sanft. „Ich kann verstehen, wie schwer es sein muss, über sie zu sprechen.“

Sie nickte. „Hat Danielle Ihnen gegenüber jemals ihre Kindheit erwähnt?“ Das hätte sie überrascht.

Mattia schenkte ihr noch Wein nach. „Nein, nie.“

„Ihre Mutter lief davon, als Danielle drei Jahre alt war“, sagte Elene. „Ihr Vater hat sie aufgezogen, oder besser, irgendwie durchgebracht. Es gab wenig Geld, eine lange Reihe von Frauen, die unfreundlich zu ihr waren, und sie hatte nur wenige Freunde. Als sie mit vierzehn schwanger wurde, versuchte ihr Vater, sie zu einer Abtreibung zu zwingen. Irgendwie gelang es ihr jedoch, das zu verhindern. Aber dann wurde sie von ihrem Vater dazu gedrängt, das Kind zur Adoption freizugeben.“

Mattia stieß einen Fluch aus. „Wie grausam. Wieso ist er damit durchgekommen? Es hätte gar nicht seine Entscheidung sein dürfen.“

„Er drohte Danielle damit, sie auf die Straße zu setzen, falls sie sich weigerte. Mit vierzehn und ohne irgendwelche anderen Verwandten, die sie hätten unterstützen können, blieb ihr keine andere Wahl. Das Sozialsystem hat bei ihr total versagt. Offenbar hat ihr Vater dem Jugendamt weisgemacht, dass Danielle ihr Baby weggeben wollte.“ Elene starrte auf den Teppich. „Ich glaube, darüber ist sie nie hinweggekommen.“

„Da draußen gibt es einige echte Scheusale.“

„Das stimmt. Ich dagegen hatte großes Glück.“ Sie sah Mattia offen an. „Der Mann, der mich gezeugt hat, wollte mich nicht. Aber der Mann, den ich mein ganzes Leben lang Dad genannt habe, hat das mehr als wettgemacht.“

„Noch mehr Grausamkeit. Es tut mir leid, diese Geschichten zu hören. Dann haben Sie und Danielle sich sicher sehr gut verstanden.“

„Ja.“ Um Danielles Geschichte zu Ende zu erzählen, fuhr Elene fort: „Ursprünglich hatte sie vor, Ihnen von ihrer Schwangerschaft zu berichten. Doch sie hat es immer weiter hinausgeschoben. Sie war so glücklich darüber, ein Baby zu bekommen, dass man hätte glauben können, sie würde ihre Freude gerne teilen. Aber es schien so, als wollte sie einfach alles nur für sich behalten.“ Sie trank einen Schluck von ihrem Wein. „Dann kam die Krebsdiagnose, und danach hatten Sie keine Chance mehr.“

„Sie hatte Angst, dass ich ihr das Baby wegnehmen würde?“

„Nicht, weil sie wirklich glaubte, Sie wären zu einer solchen Grausamkeit fähig“, antwortete Elene schnell. „Sie wollte jede Minute, die sie konnte, mit ihrem Baby verbringen, ohne darum kämpfen zu müssen. Es war eine Nachwirkung ihrer Vergangenheit, dass sie Sie nicht von Anfang an dabeihaben wollte. Ich glaube, sie hat keinem Mann zugetraut, sich wirklich gut um sie zu kümmern.“

„Danke. Danielle hat mir einmal gesagt, dass Sie der einzige Mensch sind, bei dem sie sich sicher genug fühlte, um die Dinge zu erzählen, die ihr wirklich wichtig waren.“ Mattia machte ein nachdenkliches Gesicht.

Also gut. „Aimee Hicks-Ricco“, setzte Elene hinzu und beobachtete seine Reaktion. „Der Ricco-Teil müsste allerdings noch von Ihnen bestätigt werden.“

Plötzlich wich alle Farbe aus seinem Gesicht.

„Tut mir leid. Es ist schwer, verstehen Sie?“

„Ja, sehr schwer.“ Er schaute Aimee auf seinem Arm an, und ganz langsam erschien ein Ausdruck in seinen Augen, den Elene nicht recht deuten konnte.

Hoffnung? Sehnsucht? Sie wartete ab.

Schließlich wandte Mattia sich ihr wieder zu. „Hicks-Ricco. Aimee wird sich ihrer Mutter also immer bewusst sein. Das finde ich schön.“

Als sie ihren Namen hörte, klopfte Aimee mit ihrer kleinen Faust auf das Kinn ihres Vaters. „Ma-ma-ma-ma.“

Elene stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er hatte die Wahrheit viel schneller akzeptiert, als sie geglaubt hatte. „Ich kann mir gut vorstellen, wie viele Fragen Sie haben. Aber können wir die noch ein bisschen verschieben? Wenigstens so lange, bis Aimee gefüttert und zu Bett gebracht ist? Bitte.“

Seit sie vor ihrem Ex weggelaufen war, hatte sie nie wieder einen Mann um irgendetwas gebeten. Craig hatte ihre Bitten niemals beachtet, also warum sollte Mattia es tun? Aber seit Aimee zu ihrem Leben gehörte, war Elene bereit, alles zu tun, um dem kleinen Mädchen das zu geben, was es brauchte. Nur auf Aimee zu verzichten, kam nicht infrage.

Mattia sah sie an, als suchte er Antworten, ohne seine Fragen auszusprechen. Dann nickte er schließlich. „Einverstanden.“

Erleichtert ging Elene zur Mikrowelle, die mit ihrem Piepen zeigte, dass der Haferbrei fertig war. „Haben Sie Milch?“

„Hier.“ Mit dem Baby auf dem Arm holte er einen Milchkarton aus dem Kühlschrank und reichte ihn Elene. „Besteck ist in der rechten Schublade.“

Was für eine nette häusliche Atmosphäre. Wenn auch die kommenden Wochen so verlaufen könnten, wäre das ideal. Elene beschloss, ihr bestes Pokerface aufzusetzen. Sie hatte mitbekommen, wie charmant Mattia bei anderen Frauen gewesen war. Aber auf diesen Charme hereinzufallen, würde nur unnötige Probleme schaffen. Er wollte gerne alles und jeden um sich herum kontrollieren. Ob dies wohl schon immer so gewesen war? Oder lag es vielleicht an einer früheren Beziehung?

Elene hatte einen kontrollsüchtigen Partner gehabt. Sie hatte die Unterstützung ihrer Eltern und von Danielle und sehr viel Mut gebraucht, um ihn zu verlassen. Craig hatte es ihr schwergemacht, indem er ihr einerseits seine unsterbliche Liebe geschworen, aber gleichzeitig ihr Geld verlangt, ihren Kleidungsstil und sogar ihre Arbeitszeiten bestimmt hatte. Alles so, wie es ihm passte. Als er jedoch versuchte, auch ihre Familie und Freunde von ihr fernzuhalten, hatte Elene ihre Sachen gepackt und war aus dem sterilen Apartment geschlichen, das Craig gehörte. Danach war sie in das Gartenhäuschen ihrer Eltern gezogen, bis sie sich wieder so weit gefangen hatte, um sich ein eigenes Haus zu kaufen.

Es war lähmend gewesen, nicht selbst entscheiden zu dürfen, welches Outfit sie tragen oder was sie zum Frühstück essen sollte. Ohne ihre Familie und Danielle hätte Elene womöglich nie den Mut gefunden, sich wieder ihre Freiheit zu erkämpfen. Und sie hatte nicht vor, sich noch einmal einem kontrollsüchtigen Mann auszuliefern. Was bedeutete, dass sie und Mattia höchstens Freunde sein konnten, nichts weiter.

Während sie Aimee fütterte, sah Elene zu, wie er die Sauce für die Nudeln abschmeckte. Nach seinem befriedigten Gesichtsausdruck zu urteilen, als er die Pasta probierte, war diese offenbar genau al dente. In der Küche fühlte Mattia sich sichtlich zu Hause. Er hatte keine Probleme damit, selbst zu kochen oder beim Arbeiten auch gleich alles wieder sauber zu machen. Ein unabhängiger Mann.

„Sie kümmern sich selbst um das Haus?“, erkundigte sie sich.

„Nein. Morgen werden Sie Anna kennenlernen. Sie ist meine Haushälterin. Seien Sie gewarnt, sie liebt kleine Kinder und wird Aimee nur allzu gern verwöhnen. Im Erdgeschoss gibt es ein kleines Apartment, in dem sie wohnt.“

„Das kriegen wir schon hin. Für Aimee gibt es nichts Schöneres. Meine Mum und mein Dad kümmern sich manchmal um sie, wenn ich arbeite, und das liebt sie. Als Gegengewicht dazu geht sie dreimal die Woche in eine Kinderkrippe“, erklärte Elene. „Aber ich muss zugeben, dass ich deshalb manchmal ein schlechtes Gewissen habe.“

„Was bleibt Ihnen anderes übrig? Sie sind ja im Prinzip eine alleinerziehende Mutter.“

Mattia füllte die Teller, woraufhin sich sofort ihr leerer Magen meldete. Das Essen im Flugzeug war nicht besonders ansprechend gewesen.

„Das duftet ja köstlich.“ Elene wischte Aimee das Kinn ab, bevor sie die Kleine wieder zu ihren Holzklötzchen auf den Fußboden setzte.

Das Aroma, das von ihrem Teller aufstieg, war jedoch noch gar nichts im Vergleich zu der Geschmacksexplosion, die sich auf ihrer Zunge entfaltete. „Wenn Sie glauben, dass ich Ihr Haus verlasse, bevor ich wieder nach Neuseeland fliege, haben Sie sich gewaltig getäuscht“, meinte sie in scherzhaftem Ton.

„Falls ich Ihnen mal gekochte Kartoffeln und Käsesauce vorsetze, wird das die Botschaft sein, dass Sie packen müssen“, gab er belustigt zurück.

„An dem Tag, an dem das passiert, werde ich einen Lammbraten mit allem Drum und Dran zubereiten.“

Doch Mattia brauchte sich keine Sorgen zu machen. Ab morgen wollte Elene sich nach einem Hotelzimmer umsehen.

„Damit wären die Fronten ja geklärt.“ Er lachte.

Elene hatte Mühe, nicht auf seinen Mund zu starren, der ihre Fantasie auf eine Weise anregte, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Lippen, die sinnlich über ihre Haut gleiten würden … Sofort erwachte ihre Libido und wollte mehr von Mattia. Hallo? Eine solche Ablenkung konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Und trotzdem, ein Kuss von ihm wäre aufregender als alles andere.

Unvermittelt verschluckte sie sich an ihrem Wein, sodass Mattia ihr hilfsbereit mit seiner großen, warmen Hand auf den Rücken schlug.

Verlegen beugte Elene sich vor und trank noch einen Schluck aus ihrem Glas. Diesmal allerdings etwas vorsichtiger. „Danke.“

„Genießen Sie das Essen, und entspannen Sie sich. Ich werde Sie heute Abend nicht mehr mit Fragen bedrängen.“ Als Beweis dafür widmete Mattia sich jetzt intensiv seiner Pasta.

Obwohl das Essen hervorragend war, konnte Elene kaum mehr die Augen offenhalten. Der Wein trug ebenfalls zu ihrer Müdigkeit bei, aber den hatte sie sich verdient. Außerdem musste sie lange genug wach bleiben, um Aimee nachher ins Bett zu bringen. Allerdings sah es so aus, als würde das noch eine Weile dauern.

Nachdem Mattia schließlich die Teller abgeräumt hatte, stellte er eine große Schale mit Erdbeeren auf den Tisch.

Da schaute Aimee auf und schmiss ein Holzklötzchen über den Fußboden, gefolgt von einem durchdringenden Schrei, den man wahrscheinlich sogar unten in der Stadt hören konnte. Dann kam das nächste Klötzchen, und das Geschrei wurde noch schriller.

„Okay, es ist so weit. Ein Wutanfall.“ Wenigstens war das nicht unterwegs im Flugzeug passiert.

Verblüfft sah Mattia die Kleine an.

„Haben Ihr Neffe und Ihre Nichte etwa keine solchen Ausbrüche?“ Elene nahm Aimee auf den Arm, woraufhin eine kleine Faust sie mitten auf die Nase traf. „Aua!“ Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. „Vorsicht, mein Fräulein.“

Das Gebrüll wurde lauter.

„Schsch, meine Süße.“ Elene wiegte sie auf ihrer Hüfte hin und her.

Doch Aimee ließ sich dadurch nicht beschwichtigen. Noch immer schlug sie mit ihren kleinen Fäusten um sich. Dann wechselte das Gebrüll zu heftigem, herzzerreißendem Schluchzen.

„Soll ich ein bisschen Milch warm machen?“, fragte Mattia.

„Das können Sie gerne versuchen, aber ich fürchte, es wird eine Weile dauern, bis sie sich wieder beruhigt hat“, meinte sie. „Und ich kann mich nicht beschweren, weil sie auf der gesamten Reise keinmal geweint hat.“

Er lächelte. „Dann hast du dir alles für mich aufgehoben, meine Kleine, stimmt’s?“ Liebevoll fuhr er Aimee über den Kopf.

„Ich gehe mit ihr in unser Zimmer, damit Sie Ihre Ruhe haben.“

„Geben Sie sie mir. Ich werde ein bisschen draußen im Garten mit ihr herumlaufen. Vielleicht lenkt sie das ja so weit ab, dass sie sich beruhigt.“ Mattia streckte die Arme aus.

Elene konnte es nicht fassen. Dieser Mann bot freiwillig an, ein schreiendes Baby zu übernehmen, um es zu beruhigen? „Sind Sie sicher?“

Zutiefst erleichtert übergab sie Aimee in seine großen, schützenden Hände. Denn sie wusste nicht, ob sie es schaffen würde, jetzt noch stundenlang mit Aimee herumzulaufen und mit ihr zu reden. „Ich mache weiter, wenn Sie genug haben. Das könnte noch lange dauern.“

„Ich schaffe das schon.“ Sein Töchterchen auf dem Arm schaukelnd, durchquerte er die Küche. „Wärmen Sie die Milch an, essen Sie ein paar Erdbeeren und machen Sie sich einen Tee, wenn Sie wollen. Ich bin draußen.“

Na, das wird den Nachbarn bestimmt gefallen, dachte Elene ironisch. „Wenn Sie meinen.“ Doch da war sie bereits allein in der Küche und hörte das Geschrei nur noch gedämpft durch die geschlossene Hintertür.

Knapp eine Stunde später wurde alles ruhig. Elene ging hinaus, um Aimee ins Bett zu bringen, doch die Kleine war hellwach und lachte fröhlich. „Eigentlich solltest du jetzt einschlafen.“

„Warum gehen Sie nicht einfach selbst schlafen?“, meinte Mattia. „Geben Sie mir einen Strampler oder was Kleinkinder sonst so zum Schlafen anhaben. Dann kann ich Aimee ins Bett bringen, wenn es so weit ist. Ich denke, sie wird noch um einiges länger durchhalten als Sie.“

Es war verlockend. Aber eigentlich sollte Elene sich um Aimee kümmern, nicht Mattia. Jedenfalls noch nicht.

„Lassen Sie es gut sein, Elene. Sie sind erschöpft, und wenn Sie noch länger aufbleiben, würde das niemandem helfen.“

„Sie haben recht“, gab sie zu.

Während sie im Koffer nach Aimees Schlafsachen suchte, kam ihr plötzlich der Gedanke, dass Mattia sie dann später schlafend hier sehen würde. Na und? Sie würde ja ohnehin nichts davon mitbekommen. Und außerdem würde ihr langweiliger Baumwoll-Schlafanzug jeden heißblütigen Mann abschrecken. Da brauchte sie sich keine Sorgen zu machen.

3. KAPITEL

In dem dämmrigen Schein des Nachtlichts stand Mattia über das Babybettchen gebeugt, um Aimee sanft in den Schlaf gleiten zu lassen. Dabei schaute er gelegentlich zu Elene hinüber, die mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Rücken schlief. All die Anstrengung von vorhin war verschwunden, und ihr Gesicht wirkte friedlich. Nur hin und wieder verzog sie es ein wenig, wenn ihr ein leises Schnarchen entschlüpfte.

Sì. Sehr anziehend.

Er richtete sich auf. Elene mochte vielleicht im Schlaf reizend sein, aber sobald sie die Augen öffnete, war da nichts Charmantes mehr. Sie wird mit Klauen und Zähnen für das kämpfen, was sie will, dachte er. Nämlich das Richtige für Aimee. Also das, was Elene dafür hielt. Mattia wusste jetzt, dass er das Sorgerecht für Aimee haben wollte. Aber Elene war sicher nicht gekommen, um die Kleine so einfach abzugeben. Auf gar keinen Fall. Sie liebte seine Tochter, daran bestand kein Zweifel.

Ein tiefer Seufzer kam vom Bettchen her, der zeigte, dass Aimee endlich eingeschlafen war. Die Arme weit ausgebreitet, das gerötete Gesichtchen ins Kissen gedrückt. Hinreißend. Wunderschön. Meine Tochter. Er spürte einen Stich in der Brust. Wie konnte er die Kleine nur so schnell in sein Herz schließen? Er wusste doch gar nichts über sie, hatte bis zum heutigen Abend nicht einmal etwas von ihrer Existenz geahnt. Und dennoch liebte er sie bereits über alles. Zum Glück hatte keine Frau jemals einen solchen Einfluss auf ihn gehabt. Abgesehen von Sandy. Und sie hatte ihm den Entschluss leicht gemacht, sich nie wieder zu verlieben.

Als Mattia erneut zu Elene blickte, schlich sich ein ganz unbekanntes Gefühl von Wärme bei ihm ein. Weil sie für seine Tochter sorgte, und nicht etwa, weil er etwas von ihr wollte. Kinder brauchten die Geborgenheit und Liebe von zwei Elternteilen. Ob Elene wohl bereit wäre, ihn zu heiraten, um für Aimee da zu sein? Ohne Liebe?

An jenem Abend im Wellington Hospital hätte er sich jedenfalls mehr von ihr gewünscht. Mattia war schockiert über sich selbst. Eine Ehe? Das war doch komplett verrückt. Andererseits würde es bei einem solchen Arrangement keinerlei unangenehme Überraschungen geben. Sie könnten ganz bewusst einen Ehevertrag aufsetzen, wobei Mattia seine Hand fest auf dem Vermögen der Familie behalten würde. Ganz anders als damals, als er noch an Liebe, Gemeinsamkeit und gegenseitige Fürsorge geglaubt hatte.

Rasch verließ er das Zimmer und ging in die Küche. Ein weiteres Glas von dem Sangiovese würde ihm vielleicht helfen, so weit zur Ruhe zu kommen, dass er heute Nacht zumindest ein bisschen Schlaf fand. Doch morgen früh musste er sich wieder um seine Patienten kümmern. Schließlich war er Arzt und immer ansprechbar, wenn nötig. Also kein Wein mehr.

Mattia ließ sich auf den großen Ledersessel im Wohnzimmer fallen, streckte die Beine aus und schaltete den Fernseher ein, der den größten Teil der gegenüberliegenden Wand einnahm. Gerade liefen die Nachrichten, doch davon bekam er kaum etwas mit. Erst als sein Telefon klingelte, brachte ihn das wieder zurück in die Realität. „Pronto.“

„Mattia, hier ist Carla. Signor Familaro hat starke Schmerzen, die wir nicht unter Kontrolle kriegen. Er ist sehr aufgebracht.“

Wenn Carla ihn nicht besänftigen konnte, dann niemand. „Was ist mit Rose?“ Sie war die Ärztin, die heute Rufbereitschaft hatte.

„Niemand hat etwas von ihr gehört, seit sie um zehn Uhr gegangen ist.“

Merkwürdig. „Hoffentlich hatte sie keinen Unfall.“ Die Zahl der Touristen stieg allmählich an, und nicht alle waren mit der Fahrweise der Italiener vertraut. Zu dieser Nachtzeit war es in Sorrent jedoch meistens ruhig.

„Die Notaufnahme hat uns nichts von einem Unfall berichtet“, erwiderte Carla. „Sie hätten es sicher weitergegeben, falls jemand von uns eingeliefert worden wäre.“

Es war ein kleines Krankenhaus, in dem jeder jeden kannte.

„Bin gleich da.“ Mattia legte einen Zettel auf die Kücheninsel, damit Elene wusste, wo er sich befand, falls sie nachts aufstehen und ihn suchen sollte.

Sobald er auf der chirurgischen Station eintraf, las er zuerst die Eintragungen der Pflegekräfte durch, ehe er zu seinem Patienten ging. „Stefano, wie ich höre, haben Sie mehr Schmerzen, als nach einer Schulteroperation üblich wäre.“

„Ich brauch was Stärkeres“, knurrte der ältere Mann.

Laut der Eintragungen hatte Stefano vor einer Stunde nach weiteren Schmerzmitteln verlangt. „Sind die Schmerzen plötzlich aufgetreten, oder haben sie sich allmählich immer mehr verschlimmert?“

„Ich weiß nicht. Schmerzen sind Schmerzen, Doktor. Ich will bloß irgendwas, um sie loszuwerden.“ Dem Patienten stand der Schweiß auf der Stirn.

„Sind Sie von den Schmerzen wach geworden? Oder haben Sie den Arm abrupt bewegt, ohne darüber nachzudenken?“

Verlegen senkte Stefano den Blick. „Kann sein.“

Seine Schulter, die Mattia an diesem Nachmittag operiert hatte, musste so still wie möglich gehalten werden.

„Trotz der Schmerzen, der Bandage und der Rückenlage ist es leicht, unbewusst eine Bewegung zu machen, an die man sein ganzes Leben lang gewöhnt war. Leider tut das Ihrer Schulter aber nicht gut. Ich werde Sie an einen Morphium-Tropf legen“, erklärte Mattia.

Erleichtert meinte Stefano: „Grazie. Es tut mir leid, Ihnen so spät noch solche Umstände zu bereiten.“

Mattia lächelte. „Kein Problem. Ich schaue mir Ihre Schulter jetzt noch einmal an, falls Sie sich doch einen Schaden zugefügt haben.“ Kurz danach stellte er fest: „Alles in Ordnung.“

Carla, die die ganze Zeit dabei gewesen war, sagte: „Die Morphiumpumpe steht schon im Medikamentenraum bereit. Wir brauchen nur noch deine Unterschrift.“

„Gut.“

Sobald Stefano an die Pumpe angeschlossen worden war, erklärte Mattia: „Jedes Mal, wenn die Schmerzen zu schlimm werden, drücken Sie einfach auf diesen Ball. Dann erhalten Sie eine Dosis Morphium. Bitte tun Sie es, bevor der Schmerz allzu heftig wird, aber erst dann, wenn es Ihnen unangenehm wird. Die Dosen sind zwar niedrig, zu viele davon wollen wir jedoch nicht. Sie verstehen?“

Der Patient sah ihn an. „Sì. Das will ich auch nicht.“

„Gut, und versuchen Sie nicht, besonders tapfer zu sein. Unser Ziel ist, den Schmerz auf einem gleichmäßigen Stand zu halten, wo Sie ihn nicht spüren und er nicht ständig nach oben schießt.“ Dasselbe hätte Mattia auch in Bezug auf die Hitze sagen können, die sein Blut jedes Mal in Wallung brachte, wenn das Bild von Elene auf ihrem Bett vor ihm auftauchte. Ein Hochschießen war überhaupt nicht gut. Eine flache, regelmäßige Linie war das einzig Richtige.

„Nochmals vielen Dank, Doktor. Wie sehen uns dann morgen früh?“

„Irgendwann im Laufe des Tages.“ Draußen am Stationstresen fragte Mattia: „Soll ich noch nach jemand anderem schauen, wenn ich gerade da bin?“

„Nein, abgesehen von Stefano ist alles ruhig“, erwiderte Carla.

„Hast du irgendwas von Rose gehört?“

„Ja, sie hat angerufen. Wegen eines Magen-Darm-Virus muss sie sich ständig übergeben. Deshalb bleibt sie lieber weg.“

Autor

Sue MacKay
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Louisa Heaton
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Dianne Drake
Diane, eine relative neue Erscheinung im Liebesromanbetrieb, ist am meisten für ihre Sachliteratur unter dem Namen JJ Despain bekannt. Sie hat mehr als sieben Sachbücher geschrieben, und ihre Magazin Artikel erschienen in zahlreichen Zeitschriften. Zusätzlich zu ihrer Schreibtätigkeit, unterrichtet Dianne jedes Jahr in dutzenden von Schreibkursen.
Dianne`s offizieller Bildungshintergrund besteht...
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