Julia Ärzte zum Verlieben Band 80

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EIN HOFFNUNGSLOSER FALL VON LIEBE von GEORGE, LOUISA
Hat sie für diese Schuhe einen Waffenschein? Ein Blick auf Karas rote High Heels, und Declans Puls rast. Seit die Chirurgin in seinem Team ist, will er sie berühren, verführen … Leider ist er, der allen Hoffnung schenkt, selbst ein hoffnungsloser Fall - für die Liebe.

SO KÜSST NUR DR. KENNEDY von CLAYDON, ANNIE
Starker Kaffee, serviert mit einem süßen Lächeln: Seit Katya in Knightons Coffeeshop arbeitet, freut Dr. Kennedy sich wieder auf jeden Morgen. Doch warum hat die Schöne panische Angst vor Nähe? Behutsam versucht er ihr Geheimnis zu ergründen - und rührt an seinen eigenen Wunden …

HEIßE NACHT IM ORIENT-EXPRESS von MCARTHUR, FIONA
Ein Traum wird wahr: Kelsie verreist mit dem Orient-Express. Doch zu ihrem Schrecken ist Connor Black an Bord! Mit neunzehn war sie vor ihrer Trauung davongelaufen, nun holen die Gefühle für den attraktiven Arzt sie wieder ein. Bis zur Endstation - oder für immer?


  • Erscheinungstag 13.11.2015
  • Bandnummer 0080
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702892
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Louisa George, Annie Claydon, Fiona McArthur

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 80

LOUISA GEORGE

Ein hoffnungsloser Fall von Liebe

Drei Küsse! Kara ist erschüttert. Gerade hatte sie ihrem Boss sagen wollen, dass ihr erster Kuss verrückt und der zweite unverzeihlich war – da ist es wieder passiert. Kein Wunder: Seit sie Declans berührendes Schicksal kennt, hat sie außer der Beherrschung auch ihr Herz verloren. Doch sie weiß: Selbst hundert Küsse können nie in eine Zukunft mit ihm führen …

ANNIE CLAYDON

So küsst nur Dr. Kennedy

Wilde Locken, sanfte Augen und wunderbar breite Schultern … Ob Dr. Luke Kennedy sie beschützen könnte? Bestimmt. Doch vor ihrer Angst kann Katya keiner schützen, sie begleitet die ehemalige Krankenschwester auf Schritt und Tritt. Bis sich alles ändert: Luke bietet ihr einen Platz in einem Hilfsprojekt an – und in seinem Herzen …

FIONA MCARTHUR

Heiße Nacht im Orient-Express

„Ich kann ganz leise sein“, flüstert Connor rau, als er das Abteil der bezaubernden Kelsie betritt. Eben noch hatten sie im Zug einem Baby auf die Welt geholfen, nun weicht ihr Adrenalin purem, ungezähmtem Verlangen. Doch noch vor dem Morgengrauen setzt Connor das zarte Glück durch einen einzigen, fatalen Satz aufs Spiel …

1. KAPITEL

„Nur meine Schokoladenseite, bitte!“, rief Declan den wartenden Paparazzi zu, nachdem er sein Motorrad vor dem Princess Catherine’s Hospital abgestellt und den Helm abgenommen hatte.

Kameraverschlüsse klickten, Fragen prasselten auf ihn herab aus einer Menge sensationshungriger Reporter, die an diesem sonnigen Sommermorgen anscheinend nichts Besseres zu tun hatten, als ein Krankenhaus zu belagern. Declan lächelte höflich, obwohl ihm kaum danach zumute war. Gerade heute hatte er es besonders eilig.

„Ist Prinzessin Safia hier?“

„Wird sie sich vollständig erholen? Oder für den Rest ihres Lebens entstellt sein?“

Declan war die hellen Steinstufen hinaufgeeilt, drehte sich um, wartete, bis Ruhe herrschte. „Ladies und Gentlemen, wie Sie wissen, sind mir die Hände gebunden. Die Privatsphäre des Mädchens geht vor. Also – kein Kommentar.“

Er machte sich mentale Notizen: Jalousien immer geschlossen lassen. Patientin in ein höheres Stockwerk verlegen. Sicherheitsmaßnahmen verstärken.

Natürlich brauchten die Hunter Clinic und das Kate’s, wie dieses Krankenhaus allgemein genannt wurde, eine gute Presse. Aber der Medienrummel war Declan zu viel, auch wenn es um eine Scheichtochter ging. Das junge Mädchen kämpfte um sein Leben, und da sollte alles andere zweitrangig sein.

Kein Wunder, dass das Personal des Scheichs streng darauf bedacht war, sie abzuschotten. Wäre auch nur irgendjemand aus Declans Familie in eine solche Tragödie geraten, er hätte alles versucht, um sie zu schützen. Einen Moment lang wurde ihm die Brust eng. Ich habe versucht, sie zu schützen, aber es hat nichts genützt.

„Ach, kommen Sie, Declan. Sie sind landesweit einer der besten Chirurgen für Brandverletzungen. Dass Sie hier sind und ein Privatjet aus Aljahar jeden Augenblick in London landen wird, das kann doch kein Zufall sein!“

War das nicht die blonde Journalistin, mit der er kürzlich ein paar Mal ausgegangen war? Wollte sie den Kontakt nutzen, um ihm Informationen zu entlocken? Declan warf ihr ein Lächeln zu, ähnlich dem, als er sich zum letzten Mal von ihr verabschiedet hatte: Hey, bedräng mich nicht.

Allmählich schmerzten ihm die Kiefermuskeln vom Lächeln. Aber Leo, der Leiter der Hunter Clinic, hätte es nicht gern gesehen, wenn sein Stellvertreter das entspannte Verhältnis zu den Medien gefährdet hätte. „Tut mir leid, aber wie Sie alle wissen, steht es mir nicht zu, Gerüchte zu dementieren oder zu bestätigen. Der Scheich legt großen Wert auf Diskretion. Ich bin mir allerdings sicher, dass er und seine Familie Ihre Anteilnahme zu schätzen wissen und zu einem angemessenen Zeitpunkt eine Presseerklärung herausgeben werden. Jetzt muss ich zur Arbeit. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“

Als die Glastüren sich hinter ihm schlossen, flammten erneut Blitzlichter auf. Declan atmete tief durch, während er sich auf den Weg zur Abteilung für Brandverletzte machte. Zwei aufwendige Operationen, ein Sprechstundennachmittag und ein abendlicher Termin lagen vor ihm, gewürzt mit einem nervigen Medienhype wegen einer prominenten Patientin.

Das wird ein langer Tag, dachte er.

„Sie da! Ja, Sie. Halt, warten Sie!“

Eine Männerstimme mit starkem Akzent und in gebieterischem Tonfall draußen auf dem Flur ließ Declan aufhorchen, als er am Schreibtisch Notizen durchsah und dabei sein Lunch-Sandwich aß.

„Was ist da unten auf der Straße los? Die Fotografen, Presse? Seine Hoheit hatte sich klar ausgedrückt, dass Scheicha Safias Ankunft keine Aufmerksamkeit erregen darf. Seine Tochter leidet, sie braucht absolute Ruhe!“

„Das verstehe ich vollkommen“, antwortete eine Stimme, die einen leichten Hauch vom anderen Ende der Welt mitbrachte. „Ich habe bereits mit dem Sicherheitsdienst gesprochen. Die Prinzessin soll durch den Hintereingang gebracht werden.“ Trotz des entschiedenen Tonfalls klang die Australierin bemerkenswert ruhig, ihre Stimme ein bisschen rauchig, berückend feminin. Declan legte sein Sandwich hin und lauschte.

„Wir sind davon ausgegangen, dass Dr. Underwood sich um jedes Detail kümmert“, erwiderte der Mann scharf.

„Was den Eingriff und die Behandlung betrifft, selbstverständlich. Doch nicht alles auf Ihrer Liste …“

Sie verstummte, Declan hörte Papier rascheln.

„Er ist nicht verantwortlich für die Qualität der Bettwäsche, das Essgeschirr oder die Speisenfolge. Ich werde den Servicemanager bitten, ein Auge darauf zu haben.“

„Und Lilien … wir haben um weiße Lilien als Blumenschmuck für ihr Zimmer gebeten.“

„Natürlich, die Lilien, Punkt zweiundzwanzig.“ Die Frau blieb unerschütterlich gelassen. „Leider sind frische Blumen in der Abteilung für Brandverletzte nicht gestattet. Aus Gründen der Infektionskontrolle.“

„Ach ja? Sicher können Sie das für die Scheicha arrangieren. Sie hat immer Lilien in ihrem Zimmer. Ich muss Sie warnen – Seine Hoheit erwartet hohe Standards, und er wird sie bekommen. Seine Tochter ist ihm das Kostbarste unter der Sonne, er sieht es nicht gern, wenn sie traurig ist. Ich bestehe darauf, dass Sie eine Ausnahme machen.“

„Und ich bestehe darauf, dass unsere Mediziner sich nach den Regeln richten, Sir. Durch die Blütenpollen frischer Blumen können sich Wunden entzünden, was für unsere Patienten schwerwiegende Folgen hätte. In dem Punkt müssen wir sehr streng sein. Also keine Ausnahmen.“

Declans Interesse war erwacht. Das Management hatte einen Glücksgriff getan, als es diese Frau einstellte. Lächelnd stellte er sich vor, wie sie und der Lakai des Scheichs sich mit Blicken maßen.

„Ist das alles? Sir?“

„Nicht in dem Ton. Der Scheich ist sehr einflussreich. Ein Wort von ihm genügt, und Sie verlieren Ihre Stelle.“

Da verging Declan das Lächeln. Niemand hatte das Recht, so mit dem medizinischen Personal zu sprechen!

Er stieß seinen Stuhl zurück und marschierte in den Flur, bereit, den Mann zur Schnecke zu machen, sollte die Sache außer Kontrolle geraten. Allerdings beschränkte er sich vorerst darauf, die beiden Kontrahenten aus der Ferne zu beobachten. Die Frau würde ihm seine Einmischung nicht danken, zumal er damit aus ihrer Sicht nur eins signalisierte: dass sie der Situation nicht gewachsen war. Seine jüngeren Schwestern hatten Declan gelehrt, sich erst einzumischen, wenn Körperkraft gefordert war.

„Nun, ich könnte auch ein paar Worte dazu äußern, doch ich werde es nicht tun.“ Bei dem energischen Tonfall und so viel Selbstbewusstsein hätte Declan eine ältere Frau erwartet. Aber diese hier war jung und mit gut einem Meter fünfundsechzig nicht gerade überragend groß! Sie stand mit dem Rücken zu ihm, und es war etwas an ihr, das Alarmglocken auslöste. Schrill, warnend …

Hellblonde Locken, zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, verführerische weibliche Kurven in einer eisblauen Seidenbluse und einem schwarzen Bleistiftrock, der gerade noch ihre Knie bedeckte. Dazu trug sie schwarze High Heels mit schwindelerregend hohen Absätzen. Declan fragte sich immer wieder, wie Frauen darauf überhaupt laufen konnten. Aber in diesen Schuhen wirkten ihre Beine unglaublich lang und sehr sexy. Sie hielt sich gerade, der Rücken war durchgedrückt.

„Lassen Sie mich Ihnen versichern, Sir, dass Safia bei uns die beste Pflege der Welt bekommt“, fuhr sie fort. „Der Prinzessin wäre mehr gedient, wenn ich mich statt mit der Dekoration ihres Zimmers jetzt mit den Vorbereitungen für ihre Aufnahme beschäftigen könnte.“

Ihr Gegenüber starrte sie an, als hätte es ihm die Sprache verschlagen.

Unbeirrt fuhr sie fort: „Ich bin überzeugt, dass Seine Hoheit es nicht gern hört, wenn die Behandlung sich verzögert, weil das medizinische Team sich erst um Lilien oder die richtige Kristallvase kümmern muss. Sind wir fertig?“

Oh Mann. Der pochende Kopfschmerz, den Declan nach dem Anruf seiner Schwester heute Morgen mühsam im Griff gehalten hatte, drohte wieder stärker zu werden. Diese Frau gehörte zu seinem Team? Seit wann? Und warum hatte das niemand mit ihm besprochen? Declan mochte keine Überraschungen. Er legte großen Wert darauf, genau zu wissen, womit er es zu tun hatte.

Der Bedienstete des Scheichs wurde blass und verbeugte sich leicht. „Natürlich. Verzeihen Sie, Doktor. Sie wissen, was am besten ist.“

„Richtig. Danke.“

Als sie sich umdrehte, um dem Mann nachzusehen, entdeckte sie Declan. Ihr Lächeln schwand augenblicklich, und ein rosiger Hauch überzog ihre Wangen. „Oh.“

Für einen Moment, zum ersten Mal in den letzten zehn Minuten, wirkte sie verunsichert, fing sich jedoch wieder.

Küss mich.

Hitze durchpulste ihn, als die Erinnerungen ihn überfielen. An ein goldfarbenes Abendkleid, schimmernde blonde Locken, die ihr über den Rücken fielen, an betörende grüne Augen und einen verlockenden roten Mund, der ihm den sinnlichsten Kuss seines Lebens schenkte. Aber Declan hatte auch die Traurigkeit gespürt, die von ihr ausging, als er sie an der Bar getroffen hatte, wo sie sich einen Kurzen nach dem anderen einverleibte. Er hatte ein Spiel daraus gemacht, nur weil er sie lächeln sehen wollte. Und danach war es interessant geworden.

Wann war das gewesen? Vor sechs Monaten? Beim Krankenhausball? Der Kuss blieb unvergessen, genau wie die Frau, die er gelegentlich von Weitem erspäht hatte. Entweder auf der Chirurgiestation oder in Drake’s Bar. Einmal hatte er geglaubt, ihr Parfüm in der Hunter Clinic wahrzunehmen. Flüchtig nur, es hätte auch Einbildung sein können.

Declan hatte nie versucht, sie wiederzusehen. Aus einem Grund: Mit ihr zu reden, zu lachen, sie zu küssen, das hatte in ihm ungewohnte Sehnsucht nach mehr geweckt. Und für „mehr“ war Declan Underwood nicht zu haben. Niemals.

„Guten Tag, Dr. Underwood. Gehört Lauschen auch zu Ihren legendären Fähigkeiten?“

„Sie und Ihr Sparringspartner standen praktisch genau vor meinem Büro.“ Declan versuchte, sich an ihren Namen zu erinnern. Hatte er ihn überhaupt gewusst? „Warum schüchtern Sie meine geschätzten Besucher ein und geben sich als Mitglied meines Teams aus? Und wo zum Teufel ist Karen?“

Seine schüchterne, aber ausgesprochen tüchtige Assistenzärztin Karen, die keinen reizvollen Mund und nicht dieses verführerische Funkeln in den Augen hatte!

Der Blondschopf verzog spöttisch die vollen Lippen. „Weiße Lilien, also wirklich. Wenn Ihre geschätzten Besucher alle so sind wie er, kommen wir hier nicht mehr zum Arbeiten. Safia scheint eine kleine Diva zu sein. Und wegen Karen … haben Sie es nicht gehört? In ihrer Familie gab es einen Notfall, und ich wurde gebeten, für sie einzuspringen und Ihnen zu assistieren, bis Karen wieder da ist.“

„Moment mal, habe ich Sie richtig verstanden – Sie übernehmen Karens Aufgaben?“

Sie lächelte, wirkte aber nicht gerade begeistert. Declan fragte sich, ob sie auch an jenen Kuss dachte und vor allem daran, wie sie ihren Mumm oder die Nerven – oder auch beides – verloren hatte, als sie ihn mitten auf der Tanzfläche einfach stehen ließ.

Allein der Gedanke an den Kuss überschwemmte ihn mit heißem, unerwünschtem Verlangen.

„Tja, da haben die Glücksfeen heute ihren Zauberstaub über uns beiden ausgeschüttet“, meinte sie ironisch. „Ich bin in Ihrem Team, bis Karen sich um ihre Familie gekümmert hat.“

Mit Notfällen in der Familie kannte er sich besser aus, als ihm lieb war. Und seiner Erfahrung nach konnte es Wochen dauern, bis Karen zurückkam. Ihm sank der Magen in die Kniekehlen. Declan hielt nichts davon, Arbeit und Vergnügen zu vermengen. Und ganz gleich, was sein Körper wollte, er würde jetzt nicht damit anfangen!

„Welches Genie hat sich das denn ausgedacht?“

„Ethan Hunter. Er rief mich heute Morgen an, erklärte mir den Sachverhalt und sagte, dass er mit Ihnen darüber reden wollte, Sie aber nicht erreicht hätte. Jedenfalls hat er Ihnen eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen. Karen übrigens auch.“

Wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt, als die älteste seiner Schwestern ihm ausführlich von dem neuen Freund seiner mittleren und den unbefriedigenden Klausurnoten seiner jüngsten berichtet hatte. Damit nicht genug, hatte sie ihm in epischer Breite ihre Pläne für den anstehenden Geburtstag seiner Mutter mitgeteilt. Declan nahm sich vor, solche Telefongespräche in Zukunft kurz zu halten und im Allgemeinen seiner Familie gegenüber Grenzen zu setzen. Allerdings versuchte er das seit siebzehn Jahren vergeblich …

„Ist das Ihr Ernst? Ich verpasse einen Anruf und werde einfach vor vollendete Tatsachen gestellt? Bei einem der profiliertesten Fälle seit Jahren kann ich nicht entscheiden, wer mit mir zusammenarbeitet?“

„Ich oder keine, so sieht’s aus.“ Sie stemmte die Hände in die sanft gerundeten Hüften. „Wenigstens habe ich eine Menge Erfahrung mit Brandverletzten. Da Leo und Lizzie noch in den Flitterwochen sind, bleibt Ihnen nichts anderes übrig.“

„Tatsächlich?“

„Sie könnten natürlich alles selbst machen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie die niederen Arbeiten übernehmen möchten. Wie zum Beispiel den leidigen Papierkram? Oder Blutkonserven organisieren?“

„Vielen Dank, ich weiß genau, was Sie meinen. Und es geht nicht darum, dass ich das nicht machen möchte. Mir fehlt schlicht die Zeit dazu.“ Seit er auch noch in Leos Abwesenheit die Hunter Clinic leitete, könnte er mehr Assistenten gebrauchen und nicht weniger!

Unglaublich, aber er hatte wirklich keine Wahl. Declan rieb sich den Nacken. Hoffentlich ist sie als Chirurgin genauso gut wie beim Küssen. Patzer konnte er sich nicht leisten. Nicht nur, weil sein Ruf auf dem Spiel stand, sondern vor allem die Zukunft eines jungen Mädchens.

Na toll. Sein Tag war gerade noch ein Stück länger geworden!

„Es wird also keine Probleme geben?“

„Absolut nicht.“

Was gelogen war. Kara hatte gerade ein großes Problem. Declans tiefe Stimme mit dem rauen irischen Akzent streichelte ihre Haut wie liebkosende Hände. Sanft, forschend, sexy … Nein, das durfte sie nicht denken! Der Mann war ihr Chef. Und er küsste wie ein Gott. Jetzt betrachtete er sie, nickte kaum merklich, ein Zeichen, dass er sich erinnerte?

Sie hatte das Gefühl, am ganzen Körper zu erröten. Die verräterische Wärme kroch höher, erreichte ihre Wangen. Mit ihm zu tanzen, war der erste Fehler gewesen. Der zweite, ihn hemmungslos zu küssen, wie berauscht von seinen starken Armen und der tiefen Stimme. Kein Wunder, dass sie kalte Füße bekommen und ihn auf der Tanzfläche einfach hatte stehen lassen.

Er lehnte am Türrahmen zu seinem Büro, die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkt, und musterte sie wachsam.

Schade, schade, aber sie hatte jenen Kuss wirklich genossen. Egal, wie falsch und wie dumm er gewesen war. Declan Underwood schien sich jedoch kaum an sie zu erinnern. Was sie nicht überraschte. Der Mann konnte sich vor Frauen nicht retten.

Kara kratzte zusammen, was an Selbstbewusstsein übrig war. Beziehungsweise das, was sie in schwierigen Situationen zur Schau stellte. Augen geradeaus, Schultern nach hinten. Das letzte Mal, als sie Stärke vorgetäuscht hatte, war an einem offenen Grab gewesen. Die Erinnerung überrollte sie.

„Der Name ist Kara“, begann sie.

Nur falls er es vergessen haben sollte. Hatte sie sich damals überhaupt vorgestellt? Sie erinnerte sich, wie sie aufgeblickt hatte. Daran, wie er dastand, in seinem tadellos sitzenden Smoking, atemberaubend attraktiv, das schwarze Haar leicht zerzaust. Und als er sich vorbeugte, sein Duft nach herbem Aftershave und Mann – ein Hauch nur, aber so verlockend! Kara hatte nicht vergessen, wie heiß ihr geworden war, als sie in seinen dunkelbraunen Augen unerwartet Verlangen aufblitzen sah. Oder wie der Boden unter ihren Füßen leicht schwankte, nachdem er sie auf der Tanzfläche in die Arme gezogen hatte.

„Kara Stephens?“, fügte sie sicherheitshalber hinzu.

Declan runzelte die Stirn. „Fragen Sie mich? Denn wenn Sie es nicht wissen, dann haben wir wirklich ein Problem.“

Sehr witzig. „Mein Name ist Kara Stephens“, sagte sie und betonte jedes Wort mit einer kleinen Pause. „Sie sehen nicht gerade glücklich aus, und ich kann nur annehmen, dass ich der Grund bin.“

Noch immer starrte er sie an. Groß, breitschultrig, arroganter Blick. Selbst die formlose OP-Kleidung konnte den durchtrainierten Männerkörper nicht verbergen, den flachen, muskulösen Bauch, den harten Bizeps, an den sie sich beim Tanzen geschmiegt hatte. Geschweige denn die starken Schultern, auf denen ihre Arme gelegen hatten, als sein Mund ihren berührt hatte.

Hitze knisterte in ihrem Bauch, als hätte jemand eine Zündschnur in Brand gesetzt.

Er ist dein Chef!

Seit jenem Kuss, den sie gebraucht hatte und der doch so falsch gewesen war, hatte Kara einen Bogen um Dr. Herzensbrecher Underwood gemacht. Und jetzt war sie in seinem Team gelandet, und er wollte sie nicht einmal haben. Nicht nur, weil sie mit dem Bediensteten des Scheichs nicht gerade zimperlich umgegangen war. Nein, vor allem dieser verdammte Kuss war schuld!

„Es steht viel auf dem Spiel“, sagte er scharf. „Was wissen wir über Sie? Wo wurden Sie ausgebildet? Welche Erfahrungen haben Sie mit Brandverletzungen?“

„Ich habe zuerst in Melbourne, dann in Perth Medizin studiert und einen Abstecher ans Croftwood Institute in Sydney gemacht.“

„Sie waren am Croftwood? Beeindruckend.“

„Genau. Und ich habe jedes Examen mit Auszeichnung bestanden.“ Auch wenn sich ihr Herz verkrampfte, wenn sie an ihre letzten Tage dort dachte.

Aber sie würde nicht zurückblicken. London war ein neuer Anfang und die Stelle ein Traumjob. Gekrönt von der Chance, an der Seite eines Weltklassechirurgen zu arbeiten.

Den du nicht wieder küssen wirst, flüsterte eine mahnende Stimme. Das hatte Kara auch nicht vor. Wenn es nach ihr ginge, bräuchte sie nie wieder jemanden zu küssen!

„Also, was wird das hier? Ein Vorstellungsgespräch auf dem Flur? Ich bin auch schon in der Hunter Clinic eingesprungen. Wenn Sie meinen Lebenslauf oder Referenzen sehen wollen, sagen Sie einfach Bescheid. Außerdem hat Ethan bereits alles arrangiert.“

„Ohne mich zu fragen? Hat er jemals mit Ihnen gesprochen? Sie in Aktion erlebt? Ich habe einen Großteil Ihrer Unterhaltung gerade eben mitbekommen, und ich muss sagen, Ihre Art …“

Kara unterbrach ihn. „Hören Sie, ich halte nicht viel davon, Patienten einem Risiko auszusetzen, nur weil jemand, der viel Geld und Einfluss hat, das von mir verlangt. Es geht nicht allein um Safia, sondern auch um die anderen Patienten auf der Station. Mit Geld kann man eine Menge kaufen, aber meine professionellen Standards stehen nicht zur Debatte.“ Sie versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, doch seine Miene gab nichts preis. „Ich hoffe allerdings, dass ich diplomatisch genug war.“

Er nickte, sah sie an. Forschend, als müsste er ein Rätsel lösen. „Ehrlich gesagt, ich fand, dass Sie den richtigen Ton getroffen und Ihren Standpunkt gut verteidigt haben. Es ist leicht, sich von solchen Leuten beeindrucken zu lassen, und selten kommt dabei etwas Gutes heraus.“

Sie traute ihren Ohren nicht. Hatte er sie tatsächlich gelobt? Das überraschte sie. Er stand in dem Ruf, ein fantastischer Liebhaber und ein großartiger Arzt zu sein, der alles für seine Patienten tat, aber nicht lange bei einer Frau blieb. Sehr zu deren Verdruss.

„Wenn Sie bei einer Hauttransplantation genauso selbstsicher vorgehen wie bei dem Erfüllungsgehilfen des Scheichs, dann werden Sie es weit bringen.“

Da musste sie lachen. „Wissen Sie was? Ich hätte ihn zu gern in die Wüste geschickt!“

„Ich auch.“ Er zwinkerte ihr zu. „Aber erstens haben Sie es nicht getan, und zweitens haben Sie ihm Ihre Kompetenz und Professionalität bewiesen, indem Sie nicht gekuscht haben.“

„Ich habe mein Bestes versucht.“

„Gut. Sicher haben Sie sich Respekt verschafft. Das ist auch im Umgang mit dem Scheich und den Medien nötig, die es uns nicht leicht machen werden. Wir sind ein kleines Team mit hoher Verantwortung. Fühlen Sie sich dem gewachsen?“

„Ja, auf jeden Fall.“

„Bei der Scheicha sollten Sie jedoch behutsamer vorgehen. Sie mag verwöhnt sein und erwarten, dass man ihr jeden Wunsch von den Augen abliest, doch sie hat eine schwere Zeit hinter sich.“ Ein weicher Ausdruck trat in seine schokoladenbraunen Augen. „Und einen beschwerlichen Weg vor sich. Der Unfall hat ihr Leben für immer verändert. Sie wird Angst haben und Schmerzen, und sie wird Hilfe und Zuwendung brauchen. Nicht nur heute, sondern jeden Tag. Also gehen wir sanft mit ihr um.“ Er blickte sie prüfend an. „Können Sie sanft sein?“

„Natürlich.“ Kara wäre sogar auf die Knie gefallen und hätte gebettelt, um mit einem erfahrenen Chirurgen wie ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Erleichterung durchflutete sie, und sie schenkte ihm ihr lieblichstes Lächeln. „Dann bin ich dabei?“

„Fürs Erste, ja. Anscheinend bleibt mir keine Wahl – wir müssen jetzt zu Safia. Über Ihren Platz in meinem Team mache ich mir später Gedanken.“

„Ich habe ausgezeichnete Empfehlungen. Rufen Sie im Croftwood an und fragen Sie nach. Ich garantiere Ihnen, dass Sie nicht enttäuscht sein werden.“

„Den Eindruck habe ich auch.“ Declan lachte. „Meine Güte, Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund.“

Etwas Ähnliches hatte er auch beim Ball gesagt, nachdem sie von ihm verlangt hatte, sie zu küssen – mitten auf der Tanzfläche, weil sie nicht aufhören konnte, daran zu denken, wie sich sein Mund auf ihrem anfühlen würde.

Kara schloss die Augen, hoffte inständig, dass er sich nicht daran erinnerte. Als sie sie wieder öffnete, sah er sie an. Seltsam … interessiert. Wie ein Schatten hing der Kuss zwischen ihnen, während Declan ihr in die Augen blickte. Ja, er wusste es noch. Und wenn sie das flüchtige Aufblitzen in den dunkelbraunen Tiefen richtig deutete, erinnerte er sich auch daran, wie heiß dieser Kuss gewesen war. Das warme Glühen in ihrem Bauch wurde stärker.

Mit einem kräftigen Schuss Realität löschte sie die Glut. Das letzte Mal, als sie sich von Herzchen und Rosen und körperlichem Verlangen hatte hinreißen lassen, war sie kurze Zeit später verheiratet gewesen. Und danach hatte sie ein Wechselbad sämtlicher Gefühle von A bis Z erlebt. Die schmerzlichen Erfahrungen reichten ihr fürs Leben, und Kara hatte nicht vor, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen. Sie war fast daran zerbrochen, während sie sich immer wieder fragte, wie etwas, das so wundervoll begonnen hatte, so bitter enden konnte. Der einzige Weg aus dem Tal war ihre Arbeit gewesen – auch wenn diese sie ironischerweise erst in Schwierigkeiten gebracht hatte.

„Vermutlich liegt es daran, wie ich aufgewachsen bin“, gab sie Declan etwas verspätet zur Antwort und ging den Flur entlang Richtung Station.

„Ach ja? Inwiefern?“ Er blieb an ihrer Seite.

„Meine Eltern waren beim Militär. Immer in Bewegung, nie lange an einem Ort. Ich musste lernen, den Mund aufzumachen, wenn ich zu meinem Recht kommen wollte. Allerdings bringt es mich manchmal in Schwierigkeiten.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Und wie, sagte sein Blick. Zum Beispiel neulich auf der Tanzfläche. „Australische Armee?“

„Ja. Sie waren noch Rekruten, als sie sich kennenlernten, und sind beide beim Heer geblieben.“

„War das aufregend? Interessant?“

„Schwierig, würde ich eher sagen. Wenn einer aus der Familie bei der Armee ist, ist das schon hart, aber wenn beide Eltern versuchen, die Karriereleiter hinaufzusteigen, sind Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Es gab oft Diskussionen, Streitereien, manchmal einen regelrechten Kampf darum, wessen Aufgaben wichtiger sind. Was das Kind möchte, steht ganz am Ende der Hackordnung.“

Sie hatte lautstark und hart verhandeln müssen, um überhaupt gehört zu werden.

„Man bekommt ein dickes Fell und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, wenn man ständig den Wohnort wechselt und auf Militärbasen aufwächst. Und ich kann gut schießen, auf hundert Meter genau.“

„Ich auch.“ Als sie ihn erstaunt ansah, fügte er hinzu: „Farmersjunge.“

Der Mann steckte voller Überraschungen. Er sah nicht nur umwerfend aus, sondern strahlte Klasse aus – ein Umstand, der ihm bei seinen reichen und berühmten Patienten zugutekam. „Vom irischen Bauernburschen zum Londoner Topchirurgen? Muss eine wahnsinnig spannende Geschichte sein.“

„Nicht wirklich.“ Sein Lächeln verschwand, und Declan blickte sie an, als hätte sie eine verbotene Grenze übertreten. Er schob die Hände in die Hosentaschen und beschleunigte seine Schritte.

Kara verstand: Zusammen arbeiten, okay, küssen vielleicht auch noch, aber sein Privatleben war strikt tabu. Von mir aus, dachte sie. Ihr lag auch nichts daran, von ihrer Vergangenheit zu erzählen.

Sie holte unmerklich tief Luft und schlüpfte in die Rolle der tüchtigen Ärztin. „So, hier wissen alle Bescheid, dass die Privatsphäre der Scheicha oberste Priorität hat“, sagte sie, kaum dass sie die Station betreten hatten. „Jeder ist angehalten, am Telefon keine Fragen zu beantworten, egal, wer angeblich am anderen Ende dran ist.“

„Ausgezeichnet.“ Declan betrat das Zimmer, das er persönlich für Safia ausgesucht hatte. „Hier ist auch alles vorbereitet, wie ich sehe. Aber lassen Sie das Bett vom Fenster abrücken.“ Er lugte durch die Jalousien auf die Straße hinunter. „In diesem Stockwerk dürfte niemand einen Blick auf sie werfen können. Sobald sie eintrifft, überprüfen wir als Erstes ihr Schmerzempfinden und die Medikation. Sie soll keine Angst haben, dass es wehtut, wenn wir die Verbände entfernen. Danach brauche ich ein Blutbild, um sicherzugehen, dass sie hämodynamisch stabil ist. Und dann sehen wir uns genau an, womit wir es zu tun haben.“

„Keine Sorge.“ Sie nahm das Klemmbrett vom Fußende des Betts ab und checkte kurz, ob die Papiere vollständig waren.

„Okay.“ Declan sah sich um. „Wann soll sie eintreffen?“

Kara warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „In zehn Minuten.“

„Sehr gut.“

Obwohl ihn ein äußerst schwieriger Fall erwartete, wirkte er voller Energie und Tatendrang. Kara hatte davon gehört, dass er eine Begeisterung für seine Arbeit entwickeln konnte, die ansteckend war. Anscheinend hatte der Mann mehrere Facetten, von seinem unwiderstehlichen Charme einmal abgesehen. Der gar nicht dazu passen wollte, dass Declan Underwood sich in persönlichen Dingen verschlossen wie eine Auster gab.

Was ihr nur recht war. Dieser Kuss sollte ihr nicht im Weg stehen, wenn es um ihre Arbeit ging. Noch wollte sie sich von diesem atemberaubenden Männerkörper ablenken lassen. Oder von diesen Augen … Ihr Magen vollführte einen kleinen Salto. Diese Augen waren gerade auf sie gerichtet, und das neckende Funkeln darin bildete sie sich nicht ein!

„Nun denn, Kara Stephens, da bleibt uns gerade noch genug Zeit, das Bett zu testen.“

„Was?“ Ihr Puls ging in die Höhe.

Ein amüsiertes Lächeln glitt über seine markanten Züge. „Wir sollten uns doch vergewissern, dass die Qualität der Bettwäsche den Ansprüchen der Scheichtochter genügt.“

„Oh! Ja … natürlich.“

2. KAPITEL

„Fassen Sie mich nicht an.“ Dunkle Augen blickten furchtsam aus dem fast vollständig bandagierten Gesicht hervor. „Gehen Sie weg.“

Kara beugte sich über das Bett. „Es tut mir leid, Safia, wir müssen den Verband entfernen, um die Brandwunden behandeln zu können. Wir wollen dir nur helfen.“

„Lassen Sie mich in Ruhe.“ Der Versuch, tapfer zu klingen, misslang. Das Mädchen hörte sich an, als hielte es nur mit Mühe die Tränen zurück.

„Hast du Schmerzen? Ich kann die Schmerzmitteldosis erhöhen, du brauchst es nur zu sagen.“

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

„Ich bin ganz vorsichtig, versprochen.“

Doch Safia hob den dick verbundenen rechten Arm und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Bei der plötzlichen Bewegung verhedderten sich die spaghettidünnen Schläuche. Die Geräte schlugen Alarm.

Kara atmete tief durch, überprüfte die Infusionen, regulierte die Maschinen und unternahm einen neuen Anlauf. Die OP war für morgen früh um acht angesetzt. Bis dahin blieben ihr achtzehn Stunden, um das Vertrauen ihrer Patientin zu gewinnen. „Hoheit …“

„Lassen Sie es mich versuchen.“ Scheich El-Zayad von Aljahar, der Vater des Mädchens, trat ans Bett. „Du meine Güte, Safia, tu, was man dir sagt. Der Verband muss ab, sonst können die Ärzte nichts ausrichten, und dir wird es nicht besser gehen.“

„Es wird nie wieder gut. Die Narben werde ich mein Leben lang behalten, also gewöhne dich daran.“

Der Scheich runzelte die Stirn. „Hör auf, dich wie ein Kind aufzuführen.“

Sie ist noch ein Kind. Kara sprach ihren Gedanken nicht laut aus. Der Mann hatte erleben müssen, wie sein Kind litt – das Schlimmste, was Eltern erfahren konnten –, und wollte nur, dass dieser Albtraum vorbeiging. Aber mit siebzehn war seine Tochter noch längst nicht erwachsen. Es fruchtete nichts, an ihre Vernunft zu appellieren oder sie unter Druck zu setzen, wenn sie zutiefst verzweifelt war.

Kara sah zu Declan hinüber, der gerade seine Unterhaltung mit Safias Mutter beendete. In der letzten halbe Stunde hatte er die Eltern auf die anstehenden Prozeduren vorbereitet und den langfristigen Behandlungsplan besprochen. Dabei spürte Kara immer wieder seinen Blick, so als wollte er prüfen, wie sie mit der heiklen Situation zurechtkam.

„Um es noch einmal zusammenzufassen … auf die nächsten Wochen verteilt planen wir eine Reihe von Operationen. Safias Unterlagen entnehme ich, dass einige Verletzungen geschlossen werden können oder für eine Hauttransplantation bereit sind. Das machen wir morgen. Andere müssen warten, weil die Wundränder erst gesäubert werden müssen. Ich werde Sie ständig auf dem Laufenden halten.“

Declan strahlte Ruhe und Kompetenz, aber auch Autorität aus.

„Es ist sehr warm hier“, sagte er jetzt. „Vielleicht möchten Eure Hoheiten sich das Krankenhaus näher ansehen? Vom Dachgarten aus bietet sich ein großartiger Ausblick auf die Themse. Ich kann gern dafür sorgen, dass Sie dort ungestört sind, und Ihnen einen Tee bringen lassen.“

Safias Mutter fächelte sich mit der Hand anmutig Luft zu. „Oh, gern, ich könnte frische Luft gebrauchen.“ Ihrer Tochter flüsterte sie zu: „Nur, wenn es dir nichts ausmacht, mein Augenstern. Wir bleiben nicht lange fort.“

Die Bettdecke bewegte sich leicht. „Geht. Alle. Lasst mich allein. Für immer.“

Ein Anruf genügte, und Declan hatte einen Rundgang für ihre Eltern organisiert. Kurze Zeit später waren Safia, Kara und Declan allein.

Und jetzt? Auch ohne dass die Eltern des Mädchens mit Argusaugen jede Bewegung verfolgten, würde es nicht leicht sein, Safia aus der Reserve zu locken.

Kara suchte noch nach den richtigen Worten, als Declan zu lachen anfing. „Sehen Sie sich den albernen Kerl an!“

„Wie bitte? Wo?“ Verwundert folgte sie seinem Blick. Auf dem Tisch lag ein Stapel Teenie-Magazine. Rosa, mit Glitter verzierte Herzchen zierten das oberste Heft und zeigten den neuesten Mädchenschwarm der Popszene. „Ach, das ist Liam, von der Band Oblivion.“

„Berühmt oder nicht, er sieht aus, als könnte er ein paar anständige Mahlzeiten und einen neuen Gürtel gebrauchen. Trägt er die Hosen seines Großvaters auf? Sie scheinen ihm nicht besonders gut zu passen.“

Kara sah auf und beobachtete, wie er zum Bett blickte. Die Decke wurde tiefer gezogen. Nur ein kleines bisschen.

Kara stieg ins Spiel ein. „Wie können Sie so etwas sagen? Brechen Sie mir nicht das Herz. Liam ist heiß, echt heiß. Was wissen Sie schon? Diese Hosen sind der neueste Schrei. Sie sollten sich auch welche besorgen.“

„Vielleicht. Glauben Sie, die Mädchen fangen an zu kreischen, wenn sie mich sehen?“ Er gab seine, nicht besonders gelungene Version des letzten Hits von Oblivion zum Besten. „That’s what makes me looooove you …“

„Ja, vor Entsetzen wahrscheinlich. Schonen Sie unsere Ohren und bleiben Sie um Himmels willen bei Ihrem Job.“ Sie beugte sich vor, als die Bettdecke wackelte und Geräusche darunter hervordrangen, die wie ein zögerndes Lachen klangen. „Er ist ein erstklassiger Arzt, lass dich von seinem Gesang nicht täuschen“, sagte sie in Richtung Safia. „Ich habe gehört, dass Oblivion in ein paar Wochen in London auftreten wird.“

Die Scheichtochter seufzte vernehmlich. „Er hat auf meinem sechzehnten Geburtstag gesungen. Er fand mich schön.“ Safia zog die Decke weg. „Das würde er jetzt nicht mehr sagen.“

Declan setzte sich zu ihr ans Bett und betrachtete sie. Kara war gespannt, was er antworten würde. „Du hast wunderschöne Augen, Safia. Ein Junge könnte sich darin verlieren.“

„Früher, vielleicht. Aber das ist vorbei.“

„Nein, ganz bestimmt nicht.“

Safia blickte Declan an, noch immer wachsam, doch sie verlangte wenigstens nicht, dass sie das Zimmer verließen.

Er nutzte das Schweigen und fing behutsam und sehr vorsichtig an, einen der Verbände zu entfernen. Als Safia die Hand hob, um ihn aufzuhalten, schüttelte er nur den Kopf und lächelte beruhigend. Da legte sich das Mädchen hin und schloss die Augen.

Kara war beeindruckt, wie sanft und umsichtig er seine Patientin behandelte. Mit keiner Regung verriet er, ob ihm die schweren Verletzungen an die Nieren gingen oder er sich fragte, wie um alles in der Welt sie dem Mädchen seine frühere Schönheit zurückgeben sollten.

Von seinen exzellenten chirurgischen Fähigkeiten hatte sie gehört. Es war kein Wunder, dass der Scheich persönlich darum gebeten hatte, dass Declan die Operationen durchführte. Was sie nicht erwartet hatte, war, dass eine Koryphäe wie er so zuwendend sein konnte.

„Gleich sind wir fertig. Du machst das großartig, Sweetheart. Und es ist nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte.“ Seine Stimme klang beschwichtigend, fast liebevoll. „Safia, ich wette, du hast schon ein paar Herzen gebrochen?“

Das Mädchen öffnete die Augen und lächelte traurig. „Ja … verraten Sie es nicht meinem Vater.“

„Großes Ehrenwort.“

„Aber das ist vorbei. Wer soll mich denn lieben, mit so einem Gesicht? Mit Haut wie dieser?“ Die ersten Tränen flossen. „Erzählen Sie mir nicht, dass wahre Schönheit von innen kommt. Oder dass Narben interessant machen. Das stimmt nicht. Und sagen Sie mir auch nicht, dass Aussehen nicht zählt – denn in meiner Welt ist es wichtig!“

Kara wurde die Kehle eng. An der Wahrheit war nicht zu rütteln: Ein schrecklicher Unfall hatte einem Mädchen jede Hoffnung auf ein glückliches Leben genommen, und niemand schien dagegen etwas tun zu können.

Besänftigend strich Declan Safia übers Haar. „Ach, Sweetheart, ich weiß. Glaub mir, ich weiß, wie das ist. Weine ruhig, weine dir alles von der Seele.“

„Ich bin es so leid, immer tapfer zu sein“, schluchzte sie. „Immer so zu tun, als wäre alles okay, wenn es das doch überhaupt nicht ist. Alle versprechen mir, dass ich bald wieder gesund bin, dass alles wieder in Ordnung kommt. Aber wie soll das gehen?“ Mit bittendem Blick sah sie ihn an, zaghaftes Vertrauen in den dunklen Augen. „Können Sie mich wieder hübsch machen, Dr. Underwood?“

„Declan, bitte. Wenn du willst, kannst du auch Dec sagen – so nennen mich meine Schwestern.“

„Okay.“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Dec.“

„Hör zu, Safia, ich will ehrlich sein. Ich kann die Narben nicht völlig verschwinden lassen.“ Seine Stimme verriet, wie nahe ihm das Schicksal seiner jungen Patientin ging.

Vor wenigen Monaten war Kara in den Armen dieses Mannes über die Tanzfläche eines Ballsaals geschwebt. Er hatte unbefangen mit ihr geflirtet, unwiderstehlich charmant und atemberaubend attraktiv. So viel Tiefgang, wie er jetzt an Safias Bett bewies, hätte sie ihm damals nie zugetraut.

Er räusperte sich. „Aber ich verspreche dir, dass du sehr viel besser aussehen wirst als jetzt. Lässt du es mich versuchen?“

„Auf den ersten Blick haben wir es mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades zu tun“, sagte Declan zu Kara, als sie sich auf dem Weg zum Medienzimmer einen Kaffee holten. „Bei einigen muss erst nekrotisches Gewebe entfernt werden, bevor wir Haut transplantieren können.“

Wie immer bei Patienten wie Safia schüttelten ihn Emotionen durch, die er sich allerdings niemals anmerken lassen würde. Er hatte sie so weit im Griff, dass sie seine ärztlichen Entscheidungen nicht beeinflussten. Jedes Mal, sobald er den Verband von einer Brandverletzung löste, suchten ihn Erinnerungen an eine Nacht heim, die siebzehn Jahre zurücklag. Aber die Ereignisse damals waren immer ein Antrieb gewesen, seine chirurgischen Fähigkeiten und Techniken zu vervollkommnen.

Seine Assistentin trank einen Schluck Kaffee und merkte anscheinend nicht, was in ihm vorging. Was ihm verdammt recht war.

„Also, was ziehen Sie vor, Declan – Eigen- oder Fremdtransplantat?“

„Das hängt vom Zustand der einzelnen Hautschichten ab. Wir sehen uns das morgen im OP an und entscheiden dann.“

Erstaunt sah sie ihn an. „Wir?“

„Genau. Sie dürfen dabei sein, Sie haben sich heute bewährt. Teenager gehören zu den schwierigsten Fällen. Im Herzen sind sie noch halbe Kinder, doch sie wollen handeln wie Erwachsene und als solche wahrgenommen werden. In den nächsten Tagen dürfen wir nichts falsch machen. Was wir im OP und bei der Nachbehandlung tun, wird starke Auswirkungen auf das Leben des Mädchens haben. Nicht nur physisch, sondern auch psychisch.“ Seiner Erfahrung nach waren die seelischen Wunden oft schlimmer und veränderten den Betroffenen für immer.

Kara nickte zustimmend. Ihre Augen leuchteten, die blonden Locken tanzten. Es war seltsam, sie weckte in ihm etwas, das ihn beunruhigte. Und doch war da eine Zuverlässigkeit an ihr, die gut tat.

„Ich begreife nicht, warum man ihr in dem Krankenhaus, in das sie zuerst eingeliefert wurde, keine Beruhigungsmittel gegeben hat, um ihre Ängste zu mildern“, sagte sie. „Vielleicht sollten wir darüber noch mit ihr sprechen.“

„Vermutlich hatten sie Dringenderes zu tun, sie am Leben erhalten, zum Beispiel.“ Declan öffnete die Tür zum Presseraum und ließ Kara den Vortritt.

Er bereute es im selben Augenblick. Das Blitzlichtgewitter, das ihn heute Morgen schon geblendet hatte, traf sie unvorbereitet. Doch er war auch neugierig, wie sie die Situation meisterte. Immerhin gehörte es zu ihrem Job.

„Ist Prinzessin Safia hier?“

„Was können Sie uns über ihren Zustand sagen?“

Kara stand neben ihm, aufrecht und selbstsicher. Declan unterdrückte ein Lächeln, als er sah, wie sie den Blick ruhig durch den Raum schweifen ließ. Plötzlich hatte er nicht den geringsten Zweifel mehr, dass sie die Fragen der Presse geschickt und unbeirrt parieren würde.

Allerdings hatte er nicht vor, das auszutesten. Geschweige denn, irgendetwas zu tun, um den Kontakt mit ihr zu vertiefen. Die junge Ärztin war auf rätselhafte Weise anziehend. Ihr Duft stieg ihm in die Nase … dezent, aber exotisch genug, dass Declans Fantasie ihm einen strahlend blauen Himmel, Hitze und tropische Blüten heraufbeschwor.

Er trat einen Schritt zur Seite und blickte kurz zu Boden, um sich zu sammeln. Doch er sah nur sexy High Heels, schlanke, sonnengebräunte Knöchel und wohlgeformte Beine, die unter dem Saum eines schmalen Rocks verschwanden. Seine Gedanken entwickelten sich in eine Richtung, die nicht mehr jugendfrei war …

Declan fuhr sich durchs Haar, bemüht, die verführerischen Bilder zu vertreiben. Verdammt, seit wann ließ er sich durch eine Frau von der Arbeit ablenken? Lag es an dem Kuss?

Mit erhobenen Händen und einem Lächeln brachte er die Menge zum Schweigen. „Mit dem Einverständnis des Scheichs von Aljahar kann ich Ihnen bestätigen, dass seine Tochter Safia sich zurzeit im Princess Catherine’s Hospital aufhält und von mir behandelt wird. Wie Sie alle wissen, wurde die Prinzessin vor ein paar Tagen in einen Autounfall verwickelt. Dank der großartigen Pflege, die sie im Aljahar Hospital bekommen hat, ist ihr Zustand inzwischen stabil. Ihre Verletzungen erfordern jedoch, dass sie etwas länger in meiner Obhut bleiben muss. Die Familie bittet noch einmal darum, dass ihre Privatsphäre gewahrt wird. Vielen Dank.“

„Was sagt der Scheich zu der Angelegenheit?“

„Seine Hoheit ist natürlich erschüttert angesichts der Verletzungen seiner Tochter, aber er unterstützt uns in jeder Beziehung.“

„Wie lange werden Sie Safia behandeln?“

„Das hängt vom Therapieverlauf und dem Heilungsprozess ab. Wir gehen von einigen Wochen aus.“ Er schwieg kurz. „Okay, mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Entweder ich selbst oder ein Mitglied meines Teams werden Sie auf dem Laufenden halten.“ Er deutete auf Kara, die daraufhin mit einem selbstbewussten Lächeln vortrat. „Dies ist Dr. Stephens, wir arbeiten zusammen, und sie ist bestens mit dem Fall vertraut.“

„So etwas lernt man nicht auf der Universität“, meinte Kara, während sie zur Sprechstunde in die Polioklinik hinübergingen. „Vorlesungen zum Thema ‚Umgang mit den Medien‘ sollten im Medizinstudium nicht fehlen. Wegen der Schweigepflicht bewegt man sich auf dünnem Eis – erst recht bei prominenten Patienten.“

„Man muss aufpassen, dass man nicht zu viel preisgibt, aber auch genug, dass die Presseleute zufrieden sind.“

„Ein Drahtseilakt, oder?“

„Wenn Sie wollen, mache ich Sie mit der PR-Chefin der Hunter Clinic bekannt. Lexi wird Ihnen sicher gern ein paar Tipps geben.“ Declan versetzte sich einen mentalen Stoß. Warum ließ er sich noch mehr auf diese Frau ein? „Aber ich glaube, Sie kommen auch gut allein zurecht.“

„Meinen Sie wirklich?“ Ihr Lächeln war purer Sonnenschein. „Danke, ich gebe mein Bestes.“

Sein Kompliment hing zwischen ihnen wie eine flüchtige Berührung. Ich muss aufpassen, dass ich ihr keinen falschen Eindruck vermittle, dachte Declan. Aber er fühlte sich zu Kara hingezogen.

Während er neben ihr den schmalen Flur entlangging, achtete er darauf, sie nicht aus Versehen zu streifen, um nicht noch Öl in das Feuer zu gießen, das in ihm schwelte. Deshalb traf ihn ihre Frage auch wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

„Wie viele Schwestern haben Sie?“

„Wie bitte?“ Wieder einmal überrumpelt von ihrer direkten Art, blieb er stehen. „Verzeihung?“

„Sie haben Safia von Ihren Schwestern erzählt. ‚Sie nennen mich Dec‘, sagten Sie … oder so ähnlich.“

„Wieso müssen Sie das wissen?“

In ihren Augen blitzte ein Lachen auf. „Ich muss gar nichts. Ich versuche nur, mich zu unterhalten. So etwas machen Menschen, um die lange Zeitspanne zwischen Geburt und Tod zu füllen. Man sagt auch Kommunikation dazu.“

Für ihn fühlte es sich an wie eine Herausforderung.

Kara wich seinem Blick nicht aus. „Ich habe keine Geschwister, hätte aber gern welche gehabt. Ich wollte nur mit Ihnen plaudern, Declan. Es sollte kein Kreuzverhör sein.“

Sie hatte recht. Mit einer Antwort entblößte er nicht gerade seine Seele. Außerdem hatte er Herausforderungen noch nie aus dem Weg gehen können. „Okay, ich an Ihrer Stelle würde mich freuen, als Einzelkind durch die Welt zu wandern. Eins können Sie mir glauben, Kara: Sie brauchen keine vier Schwestern.“

„Vier? Donnerwetter.“

„Alle jünger als ich. Alle vier echte Quälgeister.“

Kara lachte hell auf. „Sie müssen eine bewegte Kindheit gehabt haben. Und viel Spaß, oder?“

„Es war chaotisch und verrückt und laut. Sehr laut.“

„Jetzt ist mir klar, warum Sie so gut mit Mädchen wie Safia umgehen können.“

„Ob gut, weiß ich nicht. Ich habe nur irgendwann begriffen, dass alle Mädchen wie Prinzessinnen behandelt werden möchten. Zufällig ist sie tatsächlich eine. Aber im Grunde sind sie alle gleich – sie machen sich Gedanken über ihr Aussehen, wie sie später sein werden, was sie sich vom Leben wünschen. Immer wieder geht es um Liebe. Und um Jungen … ja, meistens um Jungen, falls ich von meinen Schwestern auf andere schließen kann. Es ist ständig was los.“

Der Mann im Haus, diese Rolle war ihm viel zu früh zugeschoben worden. Er hatte dafür sorgen müssen, dass das Nötigste vorhanden war. Wie genug zu essen, zum Beispiel, obwohl es hinten und vorn an Geld fehlte. Später, als sie größer gewesen waren, hatte er miterlebt, wie man ihnen das Herz brach, und er hätte die Schuldigen am liebsten verprügelt.

Declan hatte Gespräche über Schwangerschaften und ungeschützten Sex geführt, hatte wie eine Glucke festgelegt, wann die flügge werdenden Küken abends wieder zu Hause sein mussten, oder sie mit Tee und Wärmflaschen versorgt, wenn sie ihre Tage, Migräne oder unspezifische Bauchschmerzen hatten. Und schließlich, als sie endlich alle erwachsen gewesen waren, war er entkommen, hatte zumindest räumlich Abstand zwischen sie und sich gebracht.

Und trotz all seiner Erfahrungen begriff er immer noch nicht, wie Frauen tickten. Er wusste nur, wann es höchste Zeit war, zu verschwinden – nämlich, sobald sie anfingen, Zukunftspläne zu schmieden. Gemeinsame Zukunftspläne.

Karas vergnügtes Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. „Aber man hört und sieht Ihnen an, wie stolz Sie auf sie sind. Sie lieben Ihre Schwestern von ganzem Herzen.“

„Ja, das mag sein. Doch verraten Sie es ihnen bitte niemals, weil sie es gnadenlos ausnutzen würden. Nicht umsonst habe ich mir Hunderte von Meilen entfernt einen Job gesucht, sodass die gesamte Irische See zwischen uns liegt.“ Er erwiderte ihr Lachen. „Zum Glück sind sie keine guten Schwimmerinnen, die meisten von ihnen werden seekrank, und das Flugticket können sie sich nicht leisten. Sonst wären sie im Handumdrehen hier – und würden mir auch in England das Leben zur Hölle machen.“

Kara lächelte. „Man muss dahin gehen, wo es Arbeit gibt.“

„War es bei Ihnen so? Sydney liegt am anderen Ende der Welt. Da Sie keine vier Schwestern an den Hacken haben, was hat Sie nach London getrieben?“

„Ich brauchte einen Tapetenwechsel. England bot sich aus mehreren Gründen an.“

Declan konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nicht ganz freiwillig hergekommen war. Sie blickte auf wie ertappt, rieb sich dabei den linken Ringfinger und schien nach Worten zu suchen. Weil sie antworten, aber die Wahrheit nicht sagen wollte?

Anscheinend hatte jeder seine eigenen Gespenster der Vergangenheit. Declan konnte es sich auch nicht erklären, aber er wollte mehr über Kara wissen. Er, der sich geschworen hatte, sich niemals in die Lebensdramen einer Frau hineinziehen zu lassen – es sei denn, dass sein Fluchtweg gesichert war!

Sie blickte zu ihm auf, und der Boden unter seinen Füßen geriet kurz ins Wanken. Declan war es nicht gewohnt, dass jemand ihn prüfend unter die Lupe nahm. Es irritierte ihn.

„Und Sie, Declan? Warum haben Sie sich auf Brandwunden spezialisiert? Als Schönheitschirurg hätten Sie sich Ruhm und eine schöne Stange Geld verdienen können.“

Ein Ablenkungsmanöver, das war ihm klar. Die blonde Ärztin wollte nicht näher beleuchten, weshalb sie ihre Heimat verlassen hatte. Schön, das konnte er respektieren. Aber ihre Fragen … Mit jeder einzelnen wuchs der Druck auf seine Brust. Natürlich wurde er so etwas gelegentlich gefragt, doch normalerweise nicht nach einem Gespräch über seine Familie. Oder nach der Untersuchung einer von schweren Narben entstellten Patientin.

Nein, diese Fragen würde er nicht beantworten. Nicht einmal, wenn sie ihn mit ihren wunderschönen grünen Augen ansah, als könnte sie auf den Grund seiner Seele blicken.

Declan verschloss sein Herz. „Ach, Sie wissen ja, wie das ist … es ergibt sich einfach.“

Damit wandte er sich ab und ging davon.

3. KAPITEL

Der große Declan Underwood zieht also schon bei normaler Unterhaltung die Zugbrücke hoch, dachte Kara, während sie sich am nächsten Morgen für die OP Hände und Unterarme schrubbte. Denk in Zukunft dran.

Sie hätte schon gestern Abend daran denken sollen, als sie im Bett gelegen und im Dunkeln ihren Erinnerungen an eine Ballnacht nachgehangen hatte. Mit dem Gedanken daran, wie richtig es sich anfühlte, von seinen starken Armen gehalten zu werden. Wie seine Lippen schmeckten – nach etwas Neuem, Aufregendem, nach Mann, einem erfahrenen Mann, der wusste, was eine Frau sich ersehnte. Nicht zu vergleichen mit den Küssen des Jungen, den sie ihr Leben lang gekannt hatte.

Declans breite Schultern, breit wie die eines australischen Rugby-Nationalspielers, sahen aus, als könnten sie das Gewicht von tausend Problemen tragen. Aber in jener Nacht hatte sie nicht an ihre Probleme gedacht, sondern an etwas anderes. Nette Sachen … verruchte Sachen …

Sein Gesicht war das Letzte, was sie beim Einschlafen vor Augen gehabt hatte, und fast das Erste, das ihr in den Sinn gekommen war, als der Wecker sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Das Erste war wie immer bedrückendes Bedauern gewesen. Der helle Streifen dort, wo ihr Ehering gesessen hatte, würde mit der Zeit verschwinden. Doch noch war er da und die traurigen Erinnerungen.

Allerdings waren sie heute Morgen nicht ganz so deutlich gewesen.

Vielleicht hatte sie deshalb keinen Gedanken an Declans Abwehrhaltung verschwendet, sondern nur träumerisch an seinen Mund gedacht, an den süßen Kuss, bei dem sie wie auf Wolken geschwebt hatte.

Derselbe Mund lächelte sie jetzt an, als Declan den Raum betrat. Karas Herz hüpfte, schlug dann schneller. Das lag bestimmt an der Aufregung vor der wichtigen Operation und nicht an dem Duft nach Mann und herb würziger Seife, der ihr in die Nase stieg. Oder an seinen dunkelbraunen Augen. Geschweige denn am Anblick der beachtlichen Muskeln, als Declan den Arm ausstreckte, um den Wasserhahn zu betätigen.

Der V-Ausschnitt des OP-Hemds ließ eine sonnengebräunte Brust erahnen, und Kara stellte sich vor, was sich unter dem marineblauen Baumwollstoff verbarg. Ihr wurde warm.

Declan öffnete ein steriles Päckchen, legte es auf einen Wagen, setzte OP-Kappe und Mundschutz auf und begann, mit routinierten Bewegungen Finger, Hände und Arme zu bürsten.

„Guten Morgen, Dr. Stephens. Haben Sie gut geschlafen?“

„Hi … Ja, danke.“ Lügnerin. Gedanken an Declan Underwood und Schlaf waren zwei Bettgenossen, die sich nicht vertrugen.

Sie trocknete sich die Hände ab, zog ihren Kittel und Handschuhe über. Ein kurzer Blick in den Spiegel machte ihr das Herz leichter. In weit geschnittener OP-Kleidung, die Haare unter einer Kappe verborgen, sah sie nicht gerade wie eine Göttin aus. Nichts an ihrer Erscheinung rief: Ich bin heiß auf dich. Zum Glück!

Da trat er zurück, seine Hüfte streifte ihre, und Kara wirbelte herum, ihre Körper berührten sich. Prickelschauer jagten über ihren Rücken, ihr Herzschlag beschleunigte sich.

„Oh, Entschuldigung.“

Ihre Blicke trafen sich, und einen winzigen Moment lang sah Declan sie intensiv an. Kara las Verwirrung in den dunklen Augen und noch mehr. Glutvolle Hitze, die sie atemlos machte.

Declan hatte schon Kittel und Handschuhe an und hielt die Arme hoch erhoben, um den sterilen Zustand nicht zu gefährden. Doch dadurch kam sein Gesicht ihrem sehr nahe. Gut, dass er den Mundschutz trug, sonst wäre sie noch in Versuchung geraten, ihn zu küssen.

Hitze hüllte sie ein, Wärme, die sein starker Körper ausstrahlte. Declan lächelte. Zumindest schloss sie das aus den feinen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln.

„Nicht nötig, sich zu entschuldigen, Kara. Ist nichts passiert. Und ehrlich gesagt … Es hat mir gefallen.“

Ihr auch. Nur seine tiefe Stimme zu hören, wenn er das sagte …

Hastig drückte sie mit der Hüfte die Tür zum OP-Saal auf und bedeutete Declan, voranzugehen. Wie sollte sie die nächsten Stunden überstehen, wenn sie immer wieder in diese dunklen Augen blicken, diese Stimme hören, diesen kraftvollen athletischen Körper vor sich sehen musste? Ihre Hormone würden sie auf eine heiße Achterbahnfahrt schicken!

Am besten nahm sie sich an Declan ein Beispiel und mied jede Unterhaltung über Themen, die nichts mit der vor ihnen liegenden Aufgabe zu tun hatten.

„Wie geht es Safia?“, begann sie. „Als ich vor einer Stunde bei ihr war, hat sie nicht viel gesagt. Ich hatte den Eindruck, dass sie nur auf Sie wartete.“

„Natürlich hat sie vor dem Eingriff Angst. Oder besser gesagt, vor den Schmerzen. Wir haben über Schmerzbehandlung gesprochen, und Paul, der Anästhesist, wird dafür sorgen, dass sie gut versorgt ist, wenn sie aus der Narkose aufwacht.“

Declan drehte sich um, als Safia hereingerollt wurde.

„Okay, fangen wir an. Zuerst die Hände, dann ihr Gesicht.“

Kara hatte das Gefühl, einem Künstler bei der Arbeit zuzusehen. Und es war eine Lehrstunde in Konzentration. Declan ging zügig, aber gründlich vor. Statt hämmernder Rockmusik wie bei vielen anderen Chirurgen, denen Kara assistiert hatte, bevorzugte Declan Klassik. Leichte, inspirierende Klänge, die aufmunternd und beruhigend zugleich wirkten.

Oder war die Stimmung im OP seiner Ausstrahlung zu verdanken?

Obwohl er Chefarztstatus genoss, behandelte er jeden im Raum gleichermaßen respektvoll und erklärte geduldig jede Prozedur.

„Sehen Sie das hier?“ Er deutete auf Safias Wange. „Es liegen Verbrennungen unterschiedlichen Grades vor. An dieser Stelle zweiten Grades, doch dort, wo ihr Gesicht gegen das Armaturenbrett prallte, geht die Verletzung tiefer. Also verwende ich ein Spalthauttransplantat.“

„Verwenden Sie selbstauflösendes Nahtmaterial oder Kleber?“ Sie reichte ihm ein Stück Gaze im selben Moment, als er die Hand ausstreckte. Schon zum dritten Mal hatte sie erahnt, was er brauchte.

„In diesem Fall nähe ich.“ Er schüttelte kurz den Kopf, als müsste er einen ablenkenden Gedanken loswerden. „Was haben Sie in Sydney gemacht?“

„Oh, dies und das. Konzertbesuche, Schwimmen, Ausgehen mit Freunden. Mein Mann war viel unterwegs, sodass ich studieren …“ Sie verstummte, als sie merkte, dass alle sie ansahen.

Chirurgie.

Die tiefe, volle Männerstimme, in der sie sich immer wieder zu verlieren drohte, hatte nach den üblichen Verfahren am Croftwood Institute gefragt – nicht nach ihrem Privatleben. Ihre Brust fühlte sich an wie im Schraubstock. Oh Mann. Da ging sie hin, ihre professionelle Glaubwürdigkeit.

„Also … normalerweise haben wir genäht. Kleber nur, wenn wir sicher waren, dass der Verband nicht verrutschen konnte. Im Grunde hing es vom jeweiligen Patienten und der betroffenen Fläche ab.“

Kara wagte es nicht, ihn anzusehen. Aber sie wusste, wie sie aussah: knallrot, in einer Umgebung, in der steriles Weiß vorherrschte.

„Ihr Mann?“

Bildete sie sich den anklagenden Unterton ein? Als sie sich ihm zuwandte, hob er fragend die dunklen Brauen.

Rasch senkte sie den Blick, richtete ihn auf die Schale, in der das Röhrchen mit der antibiotischen Salbe lag. Glaubte er wirklich, dass sie ihn geküsst hätte, wenn sie einen Ehemann gehabt hätte? Kara war unschuldig und in dem festen Glauben in die Ehe gegangen, dass sie für immer Ja gesagt hatte. Ihr Pech, dass die Ewigkeit ein Verfallsdatum hatte!

„Nicht mehr.“

„Okay.“ Declans Stimme war nichts zu entnehmen. „Gute Arbeit, danke an alle. Sie kann in den Aufwachraum. Die Eltern hören von mir, sobald ich mit der nächsten Operation fertig bin.“

Safia wurde aus dem Saal gerollt und Vorbereitungen für den nächsten Patienten getroffen. Kara war für ein paar Minuten mit Declan allein. Der Mann weckte die verrücktesten Gefühle in ihr. Im Moment war es eine große Dosis Verlegenheit.

„Wegen vorhin …“ Weiter kam sie nicht.

„Kara“, unterbrach er sie und blickte von der OP-Liste auf. „Ihr Leben ist Ihr Leben. Sie müssen nichts erklären.“

„Ich hätte nicht so daherplappern sollen.“

„Im Gegenteil, wir waren fasziniert. Konzerte? Schwimmen?“

Dass er den Ehemann unterschlug, machte ihren Lapsus noch beschämender.

Kara täuschte Nonchalance vor und zuckte lässig mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Wir sind eine Nation von Wasserratten. Sydney liegt am Meer.“

„Und es kann sehr heiß werden, es gibt Schlangen und Spinnen und alles mögliche andere, das einen umbringen kann. Ja, ich weiß.“ Seine Stimme klang eine Spur schärfer, als er hinzufügte: „Außerdem ist es weit weg, da kann einem einsam zumute werden.“

Wie meinte er das? Dass sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, weil sie ihren Mann vermisste?

Kara war sich nicht sicher.

Vier Tage später saß Declan an seinem Schreibtisch und quälte sich durch Büroarbeit. Laborergebnisse seiner Patienten, Dienstpläne für die Hunter Clinic. Eine lange, anstrengende Woche lag hinter ihm, und für morgen sah es nicht besser aus. Seine OP-Liste war gestrichen voll, eine Begegnung mit den Medien würde ihm nicht erspart bleiben, und Leo erwartete einen Bericht, wenn er aus den Flitterwochen zurückkam.

Warum machte er sich dann nicht an die Arbeit, sondern verlor sich stattdessen in Tagträumereien von weichen Lippen und grünen Augen? Dachte an eine junge Chirurgin, die jeden seiner Handgriffe bei der OP vorausgeahnt hatte, deren Duft er auf fünfzig Schritte erkannte, die ihn mehr erregte, als gut für ihn war?

Und die eine Ehe hinter sich hatte.

Er musste lächeln, als er daran dachte, wie sie errötet war. Das passte gar nicht zu der energischen, fast kühlen Ärztin, aber es verriet eine weiche Seite, eine Verletzlichkeit, die sie sonst gut verbarg.

„Hi, ich bin auf dem Weg zu einem Notfall. Alles okay hier?“

Schon in OP-Kleidung stand sein Freund und Kollege Ethan Hunter am Türrahmen.

In Leos Abwesenheit sollte er die Hunter Clinic leiten, doch es war ihm gelungen, Declan davon zu überzeugen, diese Aufgabe zu übernehmen. Ethan konnte ziemlich kurz angebunden sein, und er wusste selbst, dass er mit seiner harschen Art für die Klinik nicht gerade ein glänzendes Aushängeschild war. Obwohl er als Chirurg im karitativen Bereich Großartiges leistete. Aber Ethan hatte viel durchgemacht, und deshalb war Declan einverstanden gewesen, Leo zu vertreten.

Declan schob einige Papiere zusammen. „Sieht so aus“, antwortete er. „Ich schlage mich mit Buchhaltungsunterlagen herum, damit ich fit bin, wenn ich Leo Rede und Antwort stehen muss.“

Ethan versteifte sich, als der Name seines Bruders fiel. „Du schaffst das, da bin ich sicher. Übrigens, wie macht sich Kara im Team? Ich habe nur Gutes gehört.“

Ethan hatte bestimmt von dem Kuss beim Ball gehört. Schließlich hatten zig Leute zugesehen. „Sie ist okay, aber ich bin froh, wenn Karen zurück ist. Sie kennt die Abläufe und weiß, wie ich am besten arbeiten kann.“ Und sie kommt mir nicht bei allem, was ich tue, zuvor.

Declan erinnerte sich an den Ausdruck in ihren tiefgründigen Augen, als sie von ihrem Mann gesprochen hatte. Er würde sich hüten, nachzufragen, schließlich hatten die gebrochenen Herzen seiner Schwestern ihm schon genug graue Haare beschert. Doch es beschäftigte ihn.

„Ich habe lange überlegt, ob ich sie deinem Team zuweisen soll, aber wir sind knapp an Personal, daran ist nicht zu rütteln. Ich hoffe, ihr habt euch unterhalten?“ Zweifellos meinte er den Kuss.

„Dazu war noch keine Zeit. Der Medienrummel verfolgt einen überallhin.“

„Dann finde die Zeit, geh mit ihr einen Kaffee trinken. Fachlich ist sie in Ordnung?“

„Mehr als das, sie ist eine ausgezeichnete Chirurgin. Aber da sie nicht lange in meinem Team bleiben wird, wozu sich die Mühe machen, das ganze Kennenlern-Programm durchzuziehen?“

„Warum wohl?“ Ethan rieb sich das Kinn. Er sah müde aus, abgekämpft. „Unser Betriebsklima ist gut, und so soll es auch bleiben. Versuche, mit ihr klarzukommen, Declan. Hier ist viel zu lange böses Blut geflossen.“ Er blickte auf seine Armbanduhr. „Ein Drink, ein Kaffee. Es ist mir egal, was. Aber tu etwas. Ich möchte keine Klagen hören. Man hat schon genug Stress auch ohne komplizierte Arbeitsbeziehungen.“

Declan vermutete, dass er damit auf das schwierige Verhältnis zwischen den Hunter-Brüdern anspielte.

„Okay, Boss.“ Fast hätte er salutiert. Declan musste über sich selbst schmunzeln, aber er konnte sich gut vorstellen, welche Autorität Ethan beim Militär gehabt hatte.

Declan klappte den Laptop zu, schob ihn in seinen Rucksack und verließ das Krankenhaus. Draußen atmete er tief ein und schmeckte zu seiner Enttäuschung stickige Großstadtluft. Eine Tour mit seinem Motorrad, um den Kopf auszulüften, wäre jetzt genau das Richtige. Zum Henker mit dem Plauderstündchen! Mehr als alles andere brauchte er Kara-freie Stunden.

Zum Glück belagerten die Klatschreporter nicht auch noch den Parkplatz. Ungehindert schlenderte Declan, den Helm in der Hand, auf seine Maschine zu, die chromglänzend das Sonnenlicht reflektierte.

Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Noch jemand verließ das Kate’s und eilte – so gut das in rubinroten High Heels möglich war – zur Bushaltestelle. Nicht schnell genug, denn der Bus sauste an ihr vorbei, und die Trägerin der sexy roten Schuhe hatte das Nachsehen. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf.

Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass es tatsächlich Kara war. Das blonde Haar fiel ihr in seidigen Wellen über den Rücken und lenkte den Blick auf ihre schmale Taille und tiefer zu ihrem hinreißenden Po in der schwarzen Jeans. Hitze durchpulste Declan.

Er hätte einfach wegfahren sollen. Doch bevor er wusste, was er tat, marschierte er zu ihr.

Hatte Ethan ihm doch nahegelegt, oder? Teampflege, sozusagen, wegen des guten Betriebsklimas. „Hey, Dr. Down-Under.“

„Vorsicht!“ Sie wirbelte herum, in perfekter Karatehaltung, und ihre Handfläche befand sich gefährlich nahe an seinem Kinn.

Blitzschnell wich Declan einen Schritt zurück und griff nach ihrer Hand. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie versuchen würde, ihn aufs Kreuz zu legen und ihren Stiletto als Waffe einzusetzen! „Immer mit der Ruhe, ja?“

„Oh, Sie sind’s. Ich hätte fast einen Herzschlag bekommen.“

„Gut, dass ein Krankenhaus in der Nähe ist.“ Seine Fantasie gaukelte ihm vor, wie er sie mit einem heißen Kuss wiederbelebte.

„Machen Sie das öfter? Frauen erschrecken?“ Ihr Blick glitt über seine Bikerjacke, das dunkelgraue T-Shirt, die Jeans. „In schwarzem Leder?“, fügte sie leicht atemlos hinzu.

„Nur zu besonderen Gelegenheiten.“ Anzug und Krawatte ließ er in der Klinik, wenn er mit dem Motorrad zur Arbeit fuhr. Declan grinste. „Sie haben den Bus verpasst.“

„Was Sie nicht sagen, Einstein.“ Eine steile Falte erschien zwischen ihren Brauen. „Der Mann muss blind gewesen sein, ich habe gewunken.“

„Blind wie ein Maulwurf. Welcher Mann würde bei den heißen Schuhen nicht stehen bleiben? Aber Sie waren noch ein ganzes Stück weit weg von der Haltestelle. Vielleicht ziehen Sie nächstes Mal lieber Laufschuhe an.“

Sie blickte an sich hinunter, hob anmutig einen Fuß, drehte ihn und betrachtete den Schuh. Wie gebannt verfolgte Declan jede Bewegung. Sie hat tolle Beine.

Rein objektiv betrachtet natürlich.

„Ach, kommen Sie … Funktionalität vor Fashion, das geht gar nicht. Allerdings …“ Sie musterte ihn wieder von oben bis unten, verweilte bei der Lederjacke. „Bei Ihnen schon.“

Ihre betörenden grünen Augen verrieten, dass ihr gefiel, was sie sah.

„Moment. Diese Jacke hat mich davor bewahrt, meine Haut über den Asphalt zu schleifen, nachdem mir ein betrunkener Fahrer die Vorfahrt genommen hatte. Meine Lieblingsjacke.“

„Da haben Sie ja Glück gehabt.“

„Genau.“ Declan zögerte. Geh mit ihr was trinken, hatte Ethan verlangt. Ein bisschen plaudern, die Rahmenbedingungen festlegen. Das schaffst du. „Sie haben nicht vielleicht Zeit, kurz einen Kaffee mit mir zu trinken? Ich möchte mit Ihnen reden … über unsere Patientenliste, Safia, Sprechstunden, Richtlinien …“ Und den Kuss. Und den Ehemann.

Verdammt, er wusste zu viel über Kara Stephens und gleichzeitig nicht annähernd genug.

„Und wenn ich schon etwas vorhabe?“

Warum nicht? Eine schöne Frau wie sie saß bestimmt nicht allein zu Hause herum. „Okay, ist auch in Ordnung. Ein andermal, dann.“

„Na ja …“ Sie blickte zu ihm auf. Seidige blonde Ponyfransen hingen ihr in die Stirn. „Eine kleine Besprechung kann nicht schaden. Wo gehen wir hin? Ins Drake’s?“

„Nach dem Tag heute muss ich raus aus der Stadt, irgendwohin, wo ich frische Luft atmen, den Kopf klären kann.“

„Aber nicht zu weit. Ich muss morgen früh anfangen, mit einem Chef, der ganz schön grantig werden kann.“

Declan unterdrückte ein Lächeln, als er zu seiner Maschine ging und einen Helm aus dem Motorradkoffer holte. Er hatte weniger den frühen Morgen im Sinn als vielmehr den späten Abend …

Was machte diese Frau mit ihm? Sie näher kennenzulernen, gewann plötzlich eine völlig andere Bedeutung.

Was bei Licht betrachtet eine grandios dumme Idee war. Sie spukte ihm schon genug im Kopf herum. Vielleicht sollte er für sich selbst auch ein paar Richtlinien aufstellen – zum Beispiel, einen Bogen um Kara Stephens zu machen.

„Wie wäre es mit Hammersmith? Ich kenne einen netten kleinen Pub direkt am Wasser, bei den Furnival Gardens. Nicht zu vergleichen mit Darling Harbour, aber auch ein malerischer Flecken, wo es um diese Zeit nicht zu voll sein dürfte.“

Skeptisch betrachtete sie sein chromglänzendes Gefährt. „Ich fahre nicht Motorrad.“

„Neue Erfahrungen erweitern den Horizont, Kara. Lassen Sie sich darauf ein. Außerdem macht es Spaß. Und was haben Sie schon zu verlieren?“

„Meine Haut? In der plastischen Chirurgie sehe ich tagtäglich genug Gründe dafür, mich nicht auf so ein Ding zu setzen. Niemals!“

„Ich fahre auch vorsichtig. Abgesehen davon fließt der Verkehr in London so langsam, dass man kaum vorankommt. Na los, leben Sie ein bisschen!“ Declan schwang sich auf die Maschine und deutete auf den Sozius. „Ich verspreche Ihnen, dass ich nicht beiße … es sei denn, Sie wollen es.“

„Oh nein, beißen kommt nicht infrage.“

Aber sie ließ seinen Blick nicht los, und Declan sah deutlich Verlangen in den grünen Augen aufflackern. Ihm entging auch nicht, dass ihre Stimme rau klang, leicht atemlos. Flüchtig fragte er sich, wie weit sie gehen würde … „Kommen Sie jetzt oder nicht?“

„Schön, dass Sie so nett bitten. Es gibt doch noch Kavaliere.“

„Warten Sie, ziehen Sie die an. Auf der Fahrt kann es frisch werden, und so sind Sie besser geschützt. Wie gesagt, es ist meine Glücksjacke.“

Er zog sie aus und half Kara hinein. Sie verschwand fast in der Jacke und sah trotzdem heiß aus, wie eine Rockerbraut und nicht wie eine Chirurgin. Declan setzte ihr den Helm auf und zog den Riemen unter ihrem Kinn fest. Es kostete ihn viel Willenskraft, nicht ihren verlockenden weichen Mund zu küssen.

„Okay, fertig. Halten Sie sich gut fest.“

Er hielt ihre Hand, während sie sich auf den Sitz schwang. Der hochhackige rote Schuh an ihrem schlanken Fuß glänzte im Sonnenlicht. Unwillkürlich atmete Declan scharf ein, als Kara die Arme um seine Taille schlang.

Und er hoffte, dass die Glücksfeen nicht wieder ihren Schabernack mit ihm trieben. Dass Kara sich nicht zu sehr an ihn schmiegte. Dass sein Körper nicht auf ihre Berührung reagierte. Dass er sich im Griff hatte, bis er sie sicher zu ihrer Wohnung gebracht hatte.

Ohne mit hineinzugehen …

Zaghaft legte Kara die Arme um Declans Taille, überlegte es sich anders und hielt sich lieber hinten am Rücksitz fest.

„Okay“, rief sie, während ihr Helm seinen berührte. „Auf nach Hammersmith!“

„Ich nehme die schöne Strecke, biete Ihnen ein bisschen Sightseeing.“

In seiner Stimme schwang ein Lächeln mit, er hob den Daumen und startete den Motor. Mit einem sanften Ruck setzte sich die schwere Maschine in Bewegung, Kara schnappte nach Luft und suchte instinktiv Halt. Sie schlang die Arme fest um Declan. An seinen athletischen Körper gepresst, spürte sie unter ihren Fingern, nur durch ein Baumwollhemd getrennt, seine festen Bauchmuskeln. Ihr wurde heiß.

Du bist verrückt geworden, haderte sie mit sich, während sie durch die Straßen im Westen Londons glitten. Sie nahm deutlich wahr, wie sich ihre Brüste an seinen Rücken drückten, und weniger die Sehenswürdigkeiten, an denen sie vorbeisausten. Die Gärten von Kensington mit ihren prachtvoll blühenden Blumen, die Royal Albert Hall, Schlangen von Besuchern davor, die eleganten Designerboutiquen in der schicken Kensington High Street, alles verblasste vor den Eindrücken, die sie gestochen scharf vor sich sah: das Spiel von Declans Armmuskeln, während er die Maschine lenkte, die Bewegung der kraftvollen Oberschenkelmuskeln, wenn er vor einer roten Ampel hielt, die breiten Schultern …

Trotz der Rushhour kamen sie erstaunlich gut voran, und Declan nutzte geschickt jede Lücke, die sich ihm bot. Ein warmer Wind streichelte ihr Gesicht, das Röhren des PS-starken Motors unter ihr und die Geschwindigkeit erfüllten sie mit einem berauschenden Gefühl von Freiheit. Declan hatte recht, so bekam man wirklich den Kopf frei. Kara hämmerte das Herz in der Brust, ihr Körper schmerzte von der ungewohnten Anspannung, doch sie wünschte sich, dass diese Fahrt nie enden möge.

Declan hingegen schien nicht im Mindesten abgelenkt zu sein. Sie hatte keine, nicht einmal eine schwache Reaktion darauf erspürt, dass sie seinen Körper berührte. Vielleicht hatte sie sich das erotische Knistern zwischen ihnen nur eingebildet? Vielleicht wollte er wirklich nur mit ihr über die Arbeit sprechen.

Auch gut. Sie konnte sich durchaus professionell verhalten und die Finger von ihm lassen – sobald sie anhielten. Im Moment jedoch genoss sie es sehr, sich an ihn zu schmiegen.

Bald darauf erreichten sie einen winzigen, aber in wunderschönem Tudorstil erbauten Pub am Ufer der Themse. Hängekörbe mit überquellenden rosa und lila Blüten hingen an den Mahagonibrüstungen der Balkone, und an den runden Tischen draußen saßen gut gelaunte Gäste.

Declan half ihr vom Motorrad und nahm ihr den Helm ab. „Da sind wir. Hat doch Spaß gemacht, oder?“

„Oh ja, sehr.“

Allerdings anders, als er es wahrscheinlich gemeint hatte. Sie hatte ganz zittrige Beine, was bestimmt nicht nur vom Motorradfahren kam.

„Es gibt nichts Schöneres. Oder doch … die Rückfahrt, wenn es dunkel ist und London bei Nacht wie der Sternenhimmel funkelt.“ Declan verstaute die Helme in den Seitenkoffern und zeigte auf die Uferpromenade. „Wollen wir erst ein Stück spazieren gehen? Dort hinten ist ein kleiner Pier, den ich mir näher ansehen möchte.“

„Okay.“

Kara blickte sich um. Zu ihrer Linken, Richtung London, beherrschte die Hammersmith Bridge mit ihrem filigranen grünen Eisengestänge das Bild. Auf der sachte dahinfließenden Themse trainierten Ruderer eines Rennachters unter den wachsamen Augen seines Steuermanns.

Kara beobachtete sie bewundernd. „Das sieht nach harter Arbeit aus.“

Declan lachte. „Mir ist Rugby lieber, aber weiter unten ist ein Ruderklub. Wenn an den Wochenenden Bootsrennen stattfinden, strömen hier die Schaulustigen zusammen.“

„Sie spielen Rugby?“

„Wenn ich Zeit habe. Für einen irischen Verein in Kilburn.“

Das erklärte, warum er so einen tollen Körper hatte. Ihr Hals fühlte sich trocken an, als sie die nächste Frage stellte: „Auf welcher Position?“

„Kennen Sie sich mit Rugby aus?“

Wie viele Stunden hatte sie an der Seitenlinie gestanden und zusehen müssen, wie Rob sich Schrammen und Prellungen holte? Wie viele Jahre hatte sie sein lädiertes Ego gepäppelt, wenn seine Mannschaft verloren hatte? Unzählige. Es waren Erinnerungen, die sie auf keinen Fall wiederbeleben wollte.

„Kaum.“ Kara wechselte das Thema. „Bei einem Chefarzt wie Ihnen hätte ich eher gedacht, dass sie der Weinbar-Typ sind. Weiße Tischdecken, ein Rotwein oder ein gepflegtes Bier.“

Er lachte. „Ich mag Lokale wie das Drake’s. Man trifft Kollegen, die Leute sind nett. Manchmal aber möchte ich lieber anonym bleiben. Wenn jeder jeden kennt und weiß, was er macht, ist es wie zu Hause.“

„Oder in einer Militärbasis. Oder im Internat. Beides kenne ich zur Genüge.“

„Und Ihrer Miene nach zu urteilen, hat es Ihnen nicht sonderlich gefallen.“ Er schlenderte die Promenade entlang, Kara blieb an seiner Seite. In der Luft hing der Duft von Thymian und Lavendel, niedrige Sträucher, die neben dem Weg wuchsen. „Außerdem mag ich Pubs, wo ich auch in Motorradkluft auftauchen kann. Im Drake’s wäre ich mir da nicht so sicher.“

„Ich glaube nicht, dass jemand Sie deswegen schräg ansehen würde.“ Sie schnupperte an der Lederjacke, nahm heimlich einen tiefen Atemzug. Es war eine aufregende Duftmischung nach Mann, würzigem Aftershave und Leder. Unverwechselbar Declan.

Am anderen Ufer der Themse wuchsen hohe alte Eichen, Kara sah einen Sportplatz, Jogger. Rechts neben ihr erstreckten sich die Furnival Gardens in spätsommerlicher Pracht. Die Blüten waren bereits ein wenig verblasst, doch immer noch leuchtend, sehr hübsch und so typisch englisch. Was für ein Unterschied zu den exotischen botanischen Gärten von Sydney. Wo über ihr dunkle Fledermäuse hingen und sie misstrauisch beäugten oder mit den großen grauen Flügeln schlugen.

Sydney … ihr Herz zitterte ein wenig. Aber sie beruhigte sich. Ihr neues Leben, weit weg von allem, was sie so gern ihr Zuhause genannt hätte, sollte unbeschwert sein. Und das würde es auch – solange sie ihr Herz nicht die Entscheidungen treffen ließ.

Sie kamen an bunt gestrichenen Hausbooten vorbei, auf denen zwischen reich blühenden Topfpflanzen Buddha-Statuen oder verschmitzte Koboldfiguren standen. Eine Entenfamilie watschelte vorbei und glitt ins Wasser.

Kara atmete die duftende Luft tief ein und bewegte die verspannten Schultern. „Ich kann kaum glauben, dass wir noch mitten in London sind. Die Luft scheint hier frischer zu sein, eine angenehme Abwechslung zu den Auspuffgasen in den Straßen und den Desinfektionsmitteln im Krankenhaus.“

„Ein idealer Ort, um den Kopf zu klären. Manchmal verdrücke ich mich in der Mittagspause hierher und gehe laufen. Meine geheime Schwäche“, fügte er lächelnd hinzu, blieb unerwartet stehen und sah ihr in die Augen. „Was ist Ihre, Kara?“

Autor

Fiona McArthur

Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.

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Annie Claydon

Annie Claydon wurde mit einer großen Leidenschaft für das Lesen gesegnet, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit hinter Buchdeckeln. Später machte sie ihren Abschluss in Englischer Literatur und gab sich danach vorerst vollständig ihrer Liebe zu romantischen Geschichten hin. Sie las nicht länger bloß, sondern verbrachte einen langen und...

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