Julia Extra Band 276

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INSELNÄCHTE VOLLER LIEBE von FIELDING, LIZ
Auf der romantischen Trauminsel Meridia küsst Max sie zärtlich. Nun ist es endgültig um Louises Herz geschehen. Schon so lange sehnt sie sich nach dem charmanten Topmanager. Sagt er ihr am Valentinstag endlich die entscheidenden Worte?

KOMM AUF MEIN SCHLOSS, PRINZESSIN von LENNOX, MARION
Auf dem imposanten Schloss in Monte Estella beginnt für Philippa ein Märchen der Liebe. Doch dann erfährt sie: Ihr Traummann Max ist der Thronfolger des kleinen Staates! Zweifel erwachen in ihr. Wird der Prinz sie, die bürgerliche Australierin, wirklich zu seiner Prinzessin machen?

SÜSSE KÜSSE IN ATHEN von SPENCER, CATHERINE
Die hübsche Kanadierin Angelina hofft auf die große Liebe, als sie in Athen den faszinierenden Griechen Mikolas Christopoulos kennenlernt. Seine Küsse schmecken süß, doch sein Geständnis zerstört ihren Traum vom Glück: Mikolas will niemals heiraten...

IM HERZEN DER TOSKANA von ROSS, KATHRYN
In der weißen Traumvilla in der Toskana erliegt Charlotte dem leidenschaftlichen Werben des attraktiven Marco Delmari. Wird der berühmte Autor ihr das Herz brechen? Für Marco scheint Liebe nicht mehr als nur ein Wort zu sein ...


  • Erscheinungstag 01.01.2008
  • Bandnummer 276
  • ISBN / Artikelnummer 9783863499952
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

CATHERINE SPENCER

Süße Küsse in Athen

Mikolas’ leidenschaftliches Werben beeindruckt Gina zutiefst. Wie magisch fühlt sie sich zu dem faszinierenden griechischen Reeder hingezogen. Aber meint er es wirklich ernst mit ihr?

LIZ FIELDING

Inselnächte voller Liebe

Louise schwebt auf rosa Wolken, als ihr Traummann Max und sie auf der romantischen Insel Meridia endlich ein Paar werden. Doch seit sie wieder in London sind, ist Max kühl wie das Wetter ...

KATHRYN ROSS

Im Herzen der Toskana

Zum ersten Mal spürt der berühmte Bestsellerautor Marco Delmari, dass er sein Herz verloren hat. Aber er darf seiner hinreißenden Assistentin Charlotte seine Gefühle nicht gestehen ...

MARION LENNOX

Komm auf mein Schloss, Prinzessin

Stürmisch erwidert Phillippa die sinnlichen Küsse des attraktiven Max. Aber dann erfährt sie: Er ist der zukünftige Regent von Monte Estella. Plötzlich rückt das große Glück in weite Ferne ...

1. KAPITEL

Von seiner Position neben der Orchesterbühne aus ließ Mikos seinen Blick durch den Raum schweifen und dann auf der jungen Frau ruhen, die sich gerade einen Weg zu Angelos Tisch bahnte. Wer war sie? Und wieso war sie ihm nicht schon vorher aufgefallen? Die Party war seit drei Stunden in vollem Gang, und erst jetzt, kurz vor Mitternacht, erregte diese Dame sein Interesse.

Sie schien allein zu sein und bevorzugte, ebenso wie er, ganz offensichtlich die Beobachterrolle auf dieser Veranstaltung, anstatt sich wie jeder gewöhnliche Partygast zu amüsieren. Der Unterschied war nur, er war gut in dem, was er tat. Nur wenige Menschen wussten, dass er mehr als nur Angelos Vizepräsident und engster Vertrauter war.

Sie ihrerseits bemühte sich zu sehr, unauffällig zu wirken. Wenn man sich im Hintergrund halten wollte, sollte man etwas weniger Aufsehenerregendes als dieses rauchig malvenfarbene, eng geschnittene Kleid in der Schattierung des Ägäischen Meeres wählen …

Ein letztes Mal ließ er seinen Blick durch den Festsaal schweifen. Dann nickte er einem Sicherheitsmann an der Tür flüchtig zu, stieg vom Podium herab und schlenderte auf die von Blumen halb verdeckte Fensternische zu, in die sich die Fremde zurückgezogen hatte.

Mit ihren dunklen Haaren und dunklen Augen hätte sie als Griechin durchgehen können, doch Mikos hatte sich lange genug im internationalen Jetset bewegt, um eine Europäerin zu erkennen, sobald sie seinen Weg kreuzte. Und diese Frau passte eindeutig nicht ins Bild. Spontan ordnete er sie als Amerikanerin ein und sprach sie an: „Kalispera. Ich glaube, wir sind uns nicht vorgestellt worden.“

Falls sie überrascht war, von einem Fremden angesprochen zu werden, ließ sie es sich nicht anmerken. „Da könnten Sie recht haben“, entgegnete sie gelassen und hielt seinem Blick stand. „Andererseits habe ich heute Abend kaum jemanden kennengelernt.“

Ihren Akzent wusste er nicht auf Anhieb einzuordnen, aber eines war sicher: Dieser Frau war er noch nie zuvor begegnet. Sie hatte ein Gesicht, das kein Mann so leicht vergessen konnte. „Erlauben Sie mir, diesen Umstand zu ändern. Ich bin Mikolas Christopoulos.“ Und meine Aufgabe ist es, alles über sie herauszufinden, was es herauszufinden gibt, fügte er in Gedanken hinzu.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Christopoulos“, entgegnete sie höflich. „Ich bin Gina Hudson.“

„Und Sie sind keine Amerikanerin.“

„Nein“, bestätigte sie mit einem melodischen Lachen, das die musikalische Kompetenz des Orchesters buchstäblich in den Schatten stellte. „Ich bin Kanadierin. Ist das ein Problem für Sie?“

In Gedanken ging er die Gästeliste durch und war sich so gut wie sicher, dass niemand aus Kanada offiziell eingeladen war. „Natürlich nicht. Mit wem sind Sie hier?“

„Mit niemandem. Ich bin allein hier und gehe einem Auftrag nach.“

Also arbeitete sie. Das konnte natürlich sein, allerdings war er sicher, dass sie nicht bei Tyros angestellt war. Angelo war ein Macho der alten Schule und stellte so gut wie nie Frauen ein. Andererseits beschäftigte er sie, trotz seiner achtzig Jahre, mit Begeisterung in anderer Hinsicht … Sollte diese Dame etwa seine besondere Aufmerksamkeit erregt haben?

Dieser Gedanke missfiel Mikos. „Worum handelt es sich bei diesem Auftrag?“, erkundigte er sich etwas zu scharf und schob sie dabei geschickt aus Angelos Sichtfeld.

„Ich schreibe einen Artikel für ein Magazin, das in Vancouver verlegt wird. Falls Sie es nicht wissen, Vancouver liegt an der Westküste von …“

„Mir ist Vancouver wohlbekannt“, unterbrach er sie gelassen. „Ich arbeite für Hesperus International. Und wie Ihnen bekannt sein dürfte, gehört das Unternehmen unserem Ehrengast am heutigen Abend. Für zwei unserer Kreuzfahrtschiffe führt die Sommerroute von Vancouver aus nach Alaska. Vancouver ist eine wunderschöne Stadt.“

„Allerdings.“ Sie strahlte. „Atemberaubend, um genau zu sein.“

Genau wie du, erwiderte er im Stillen. Von Weitem hatte sie schon anziehend auf ihn gewirkt, aber aus der Nähe betrachtet, war ihre Wirkung noch um einiges stärker. Eine umwerfend hübsche Brünette mit einer Sanduhrfigur und honigfarbener Haut. Und dieses Lächeln!

Mikos konnte sich nicht daran erinnern, ob ihn das Lächeln einer Frau jemals so sehr aus der Fassung gebracht hatte. Es fiel ihm schwer, nicht spontan die Hand auszustrecken, um zu fühlen, ob ihre Haut ebenso seidig wie ihr glänzendes Kleid war.

„Mich wundert, dass Menschen aus Vancouver überhaupt auf diese Feier aufmerksam werden, ganz zu schweigen davon, dass es Sie interessieren könnte. Wie kam es zu Ihrem Auftrag?“

„Wir mögen Ihnen wie Hinterwäldler erscheinen, Mr. Christopoulos“, begann sie tonlos, „aber wir haben dennoch einen ganz guten Kontakt zum Rest der Welt. Angelo Tyros ist eine weltweit bekannte Persönlichkeit, und seine Geburtstagsfeier zum Achtzigsten hat internationales Interesse erregt. Gemessen an Vancouvers großer griechischer Gemeinde und der Tatsache – die Sie ja bereits deutlich gemacht haben –, dass zwei von Tyros’ Kreuzfahrtschiffen regelmäßig dort im Hafen liegen, sollte unser mediales Interesse wohl kaum überraschen.“

Mit einem schnellen Seitenblick stellte Mikos fest, dass ihre perlenbestickte Handtasche groß genug war, um ein Diktafon oder ein Notizbuch zu enthalten. „In der Tat kann er mit einem Wimpernschlag für Aufsehen sorgen“, gab er zu. „Aber eine so lange Reise für so eine kleine …“

„Dem stimme ich zu“, warf sie kühl ein. „Deshalb verbinde ich die Pflicht mit dem Vergnügen und bleibe nach vollendeter Arbeit noch ein oder zwei Wochen hier, um mir die griechischen Inseln anzusehen.“

Sie klang so überzeugend, dass er ihr beinahe geglaubt hätte. Aber für beinahe wurde er nicht bezahlt: Er musste sich stets einhundert Prozent sicher sein. Nicht weniger wurde von Angelo erwartet, und im Übrigen gab es schon mehr als genug Bedrohungen für Leib und Leben des alten Mannes.

Auf keinen Fall würde Mikos es riskieren, ihn einer weiteren auszusetzen, selbst wenn diese Bedrohung buchstäblich in Samt und Seide daherkam. Denn gerade in dieser Verkleidung waren Risiken am gefährlichsten.

Entschlossen führte er Gina an ein paar aufdringlichen Fotografen vorbei. „Nichtsdestotrotz ist diese Party für Menschen gedacht, die sich amüsieren sollten“, sagte er in einem Brustton der Überzeugung. „Auch wenn Sie, wie wir beide, nicht nur zu Ihrem Vergnügen hier sind. Deshalb meine ich, wir sollten für einen Moment die Arbeit vergessen und tanzen gehen.“

„Sind Sie sicher, dass Ihr Boss nichts dagegen hat?“

Er sah kurz zu dem Tisch hinüber, an dem Angelo saß und gerade in diesem Augenblick in den Ausschnitt einer Frau blickte, die sich über seine Schulter beugte. „Er wird es kaum bemerken.“

Mit verkniffener Miene folgte Gina seinem Blick. „Sie haben anscheinend recht.“

„Dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren.“

Sie zögerte nur einen Sekundenbruchteil. „Gut. Ich würde gern tanzen.“

„Die können Sie guten Gewissens hierlassen“, wandte er galant ein und streifte ihre Handtasche von ihrer Schulter. Dann versteckte er die Tasche mit einer Handbewegung hinter den Stofffalten eines Wandbehangs. „Hier ist sie sicher.“ Er tauschte einen Blick mit Theo Keramidis, einem offiziellen Sicherheitsbeauftragten, der einige Meter entfernt von ihnen stand. Dann legte er einen Arm um Ginas Taille und geleitete sie in die Mitte der Tanzfläche.

Die Musik schwoll an, und die vielen Leute um sie herum zwangen Mikos und Gina regelrecht dazu, sich dicht aneinander zu drängen. Es ging gar nicht anders – eine flüchtige Berührung hier, eine gefährlich erotische dort.

Mikos hatte nichts dagegen. Seine Pflicht hatte er erfüllt, und so genoss er den Moment in vollen Zügen, und wenn es nach ihm ging, hätte der Augenblick endlos sein können.

Von Anfang an knisterte es zwischen ihnen. Ein Knistern, das es nur zwischen Mann und Frau geben konnte, das war offensichtlich. Er war in seinem Leben vielen Frauen begegnet und kannte den schnell entflammbaren Reiz einer kurzen Affäre nur zu gut. Aber seine emotionale Reaktion auf diese spezielle Frau war anders und deutete auf eine tiefere Verbindung zwischen ihnen hin, die über das gewöhnliche Maß hinausging. Gina Hudson war einfach anders. So anders, dass er mit der Beachtung ihrer Einzigartigkeit leicht seine professionelle Integrität in Frage gestellt sah.

Und etwas Derartiges gestattete er sich niemals, ganz gleich, wie reizvoll die Ablenkung sich ihm darstellte. Das Vernünftigste wäre es, er würde sie an ein unvoreingenommenes Mitglied seines Teams verweisen, damit es sich ihrer annehmen konnte. Trotzdem zog er Gina enger an sich, als das Orchester in einen langsameren Walzertakt wechselte.

Sie war so zierlich, dass er mit einer Hand den Bereich zwischen Hüfte und Schulter bis hin zum oberen Abschluss ihres Abendkleids umspannte. Schob er seine Hand nur einen Zentimeter nach oben oder nach unten, konnte er mit dem Daumen ihre Haut oder mit dem kleinen Finger die begehrenswerte Rundung ihrer Hüfte ertasten. Und schob er seinen Arm noch enger um sie, berührten seine Fingerspitzen seitlich ihre Brüste …

Diese Erkenntnis schickte eine unerträgliche Hitzewelle in seine Lendengegend und ließ ihn für einen Sekundenbruchteil die Umsicht vergessen, für die er so berühmt war.

Vollkommen blind für seinen Ausnahmezustand strahlte Gina ihn unter dichten Wimpern an. „Kommen Sie aus Athen, Mr. Christopoulos?“

„Nein“, presste er hervor. „Ich bin in einem kleinen Dorf im Nordwesten dieses Landes geboren. Und bitte nennen Sie mich Mikos. Mein richtiger Vorname ist Mikolas, aber ich bevorzuge Mikos.“

Um einen Zusammenstoß mit einem älteren Paar zu verhindern, machte er mit Gina im Arm eine schnelle Drehung rückwärts. Nach der Art, wie sie seiner Bewegung ohne zu zögern folgte, hätten sie schon seit Jahren ein eingespieltes Tanzpaar sein können. Das sanfte Rascheln ihres Seidenkleids und das Gefühl ihrer Brüste an seinem Oberkörper raubten ihm die Sinne.

Die Musik verstummte. „Also, was gibt es noch über Gina Hudson zu wissen?“, erkundigte er sich etwas zu aufgesetzt. „Womit verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie nicht für Ihr Magazin schreiben?“

Ein flüchtig gequälter Ausdruck huschte über ihr Gesicht, den sie eilig mit einem hellen Lachen überspielte. „Nichts Aufregendes, befürchte ich.“

Dafür bist du es umso mehr, schloss er im Stillen. Mit einer Hand auf ihrem Rücken geleitete er sie zurück zu ihrer Handtasche.

„Wie lange leben Sie schon in Athen?“, fragte sie – ganz offensichtlich, um von sich selbst abzulenken.

„Ich kam als Teenager hierher, um zu arbeiten.“ Er musste bei dem Gedanken an jene aufregende Zeit lächeln. „Mit anderen Worten: Es ist schon wahnsinnig lange her.“

Sie sah aus dem Fenster auf den Straßenverkehr der Vassilissis Sofias hinunter und schnitt eine Grimasse. „Macht Ihnen das Tempo dieser Stadt gar nichts aus? Der Lärm und die ganze Verschmutzung?“

„Nicht solange ich dem von Zeit zu Zeit entfliehen kann. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht viel vom Stadtleben halten?“

„Seinerzeit schon. Aber heute lebe ich im Haus meiner Familie auf den Golfinseln.“

Das überraschte ihn. Er hätte sie auf Anfang zwanzig geschätzt – ein bisschen zu alt, um noch bei den Eltern zu wohnen, aber definitiv zu jung, um sich auf einer einsamen Insel abzuschotten. „Ich habe selbst ein kleines Plätzchen vor der Küste“, sagte er beiläufig und warf seinem Kollegen Theo einen unauffälligen Blick zu, den dieser mit einem kaum merklichen Kopfnicken quittierte, „und dann noch ein Apartment hier in Lykabettos Hill.“

„Das sagt mir nichts. Leider kenne ich mich in dieser Stadt überhaupt nicht aus.“

Genau wie er erwartet hatte. Vom Nebentisch her ertönte lautes Gelächter, und so musste er sich ihrem Ohr nähern, damit sie ihn verstehen konnte. Dabei atmete er tief ihr zartes Parfum ein. „Warum besorgen wir uns nicht ein paar Drinks und gehen auf die Dachterrasse des Hotels? Dann kann ich Ihnen einen Überblick über die Stadt geben. Obendrein ist es dort viel ruhiger, und man kann sich unterhalten, ohne schreien zu müssen.“

Darüber dachte sie einen Moment lang nach und legte dann den Kopf schief. „Hier ist es wirklich ziemlich laut.“

„Warten Sie hier, ich bin sofort zurück!“

An der Bar gesellte sich Theo zu ihm. „Nun? Was hast du in der Tasche gefunden?“, fragte Mikos.

„Nichts Auffälliges“, antwortete der Sicherheitsbeauftragte. „Einen gültigen Presseausweis, ein wenig Bargeld und den üblichen Mädchenkram: Kamm, Lippenstift, Spiegel, Pfefferminzbonbons, so was eben.“ Er klopfte gegen die Außentasche seines Jacketts. „Oh, und ihren Hotelzimmerschlüssel. Die altmodischen mit der eingravierten Zimmernummer“, fügte er abfällig hinzu.

„Presseausweis, wie? Sie behauptete auch, für ein Magazin zu schreiben.“

„Sieht aus, als hätte sie die Wahrheit gesagt. Oder nicht?“

„Sieht so aus.“ Seine plötzliche Erleichterung war natürlich zu vorschnell, aber Mikos konnte nicht anders. „Gute Arbeit, Theo. Kommst du eine Weile ohne mich aus?“

Theo machte keine Anstalten, sein freches Grinsen zu verbergen. „So lange wie es dauert herauszufinden, in welchem Hotel sie abgestiegen ist.“

Der Ausblick vom Dach des Grande Bretagne war beeindruckend. Das elegante alte Hotel befand sich direkt am Rand eines der reichsten Viertel des Stadtzentrums und überblickte Syntagma Square, das griechische Parlament und die Nationalgärten. Zu Fuß konnte man von hier aus verschiedene Sehenswürdigkeiten erreichen, allen voran natürlich die Akropolis und den Präsidentenpalast.

Unter normalen Umständen hätte sie diese interessanten Informationen buchstäblich aufgesogen, aber in diesem Augenblick fiel es ihr außerordentlich schwer, sich zu konzentrieren. Zu sehr irritierte sie das Gefühl, wie der Ärmel von Mikos Christopoulos’ Smoking ihren nackten Arm streifte.

Mikos stand dicht neben ihr, sehr dicht, und blies beim Sprechen seinen Atem in ihr Haar. Seine Stimme, schwarz wie die Nacht und verführerischer als Schokolade, bezauberte sie mit ihrem exotischen Akzent. Seine enorme maskuline Ausstrahlung umwebte sie mit einem Netz von sexueller Anspannung, und Gina fühlte sich wie ein Schmetterling, der rettungslos gefangen war.

Offenbar war sich Mikos seiner Wirkung auf sie nicht bewusst, denn er deutete ungerührt auf einen Häuserblock östlich des Hotels. „Dort unten ist Kolonaki, eine der begehrtesten Gegenden Athens. Es wird oft als Botschaftsviertel bezeichnet, verfügt allerdings auch über jede Menge Gewerbeflächen und einige exklusive Apartmenthäuser.“

„Aber dort wohnen Sie nicht, oder doch?“, fragte sie abwesend und bemühte sich verzweifelt, dabei einigermaßen vernünftig zu klingen. „Im Ballsaal sprachen Sie von einem anderen Stadtteil.“

„Richtig, Lykabettos Hill.“ Er legte seine warmen Hände auf ihre Schultern und drehte sie behutsam ein Stück zur Seite. „Man kann es gut von hier aus erkennen. Dort! Aber ich arbeite in Kolonaki, im Tyros-Bürokomplex.“

Die Erwähnung von Tyros’ Namen riss Gina in die Gegenwart zurück, und sie erinnerte sich an das, was sie überhaupt nach Griechenland geführt hatte. In möglichst neutralem Ton fragte sie: „Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?“

„Fast mein halbes Leben, aber nicht die ganze Zeit über in meiner heutigen Position.“

„Dann kennen Sie ihn gut?“

„So gut wie jeder andere, ja.“

„Was für ein Mann ist er? Ich meine, abgesehen von seinem Reichtum und seiner Berühmtheit.“

Über diese Frage dachte Mikos eine Weile nach, bevor er antwortete: „Unzerstörbar. Wie Sie wissen, ist er gerade achtzig Jahre alt geworden, aber er ist noch immer ein Vorstandsvorsitzender, der die Zügel selbst in der Hand hält. Jeden Morgen um neun sitzt er an seinem Schreibtisch, und dasselbe erwartet er auch von allen anderen. Er ist außerordentlich stolz auf die Tatsache, dass er in seinem ganzen Leben noch keinen Arbeitstag verpasst hat. Nicht als seine Frau starb und auch nicht als sein einziger Sohn vor etwa dreißig Jahren bei einem Autorennen ums Leben kam.“

Das passt zu ihm, dachte Gina verbittert. Wen kümmert die Familie, wenn man in der Zeit noch mehr Geld scheffeln kann? „Und einen solchen Mann bewundern Sie?“

„Ich respektiere ihn, ich bin ihm dankbar, und ich mag ihn sehr, sehr gern. Vielleicht stimmen wir mit unseren Ansichten oder Entscheidungen nicht immer überein, aber ohne Angelo Tyros wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“

Genau wie meine Mutter! fluchte Gina innerlich.

Ihre Missbilligung war ihr offensichtlich anzumerken, denn Mikos legte fragend den Kopf schief, um sie genauer betrachten zu können. Dabei fiel ihr auf, dass seine Augen nicht dunkelbraun waren, wie sie es bei einem Mann erwartet hatte, der in jeder anderen Hinsicht dem Stereotypen eines griechischen Gottes entsprach. Sie waren hell und grün, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, und strahlten eine betörende Intelligenz aus. Diesem Mann konnte man nicht so leicht etwas vormachen.

Daran werde ich stets denken, nahm sie sich vor und wandte ihren Blick ab, um sich in den Tiefen seiner Augen nicht zu verlieren. Wenn ich meine Karten richtig ausspiele, kann Mikos mich Angelo Tyros vorstellen.

Ohne Mikos’ Hilfe hatte eine unbedeutende Reporterin wie sie nicht die geringste Chance, auch nur in die Nähe des alten Mannes zu gelangen. Seine Armee von Einschmeichlern würde sie daran hindern, sobald sie wieder einen Fuß in den Ballsaal setzte.

Er interpretierte ihr Schweigen als Ablehnung und sagte: „Falls ich den Eindruck vermittelt habe, er wäre ein gefühlloser, kalter Knochen, dem mehr an seiner Macht als an den Menschen liegt, lassen Sie mich das bitte korrigieren. Tyros kann ausgesprochen großzügig und freundlich sein.“

„Ich werde das im Hinterkopf behalten, wenn ich meinen Artikel schreibe.“

Seine Stimme wurde tiefer, wie eine Welle warmen Wassers umspülte sie Gina und raubte ihr die Orientierung. „Und ich werde diese Nacht und vor allem diesen Moment immer im Gedächtnis behalten“, raunte er.

„Warum?“, wisperte sie leise.

Wieder umfasste er mit seinen warmen Händen ihre Schultern, nur dieses Mal, um seine Hände an ihrem Hals hinaufgleiten zu lassen. „Wir beide wissen warum, calli mou.“

Nun, sie wusste es nicht, nicht wirklich. Natürlich war ihr klar, und zwar vom ersten Augenblick, nachdem sie die Terrasse betreten hatten, dass er sie küssen würde. Ebenso klar war ihr, dass sie diesen Kuss erwiderte. Ganz ungeachtet irgendwelcher strategischen Absichten war er so schön wie der sprichwörtliche griechische Gott und so charmant, dass es einem die Sprache verschlagen konnte.

Es war lange her, seit sie sich zum letzten Mal begehrt gefühlt hatte. Nur fragte sie sich, warum er ausgerechnet sie ausgewählt hatte. Im Ballsaal wimmelte es von atemberaubend schönen Frauen in den aufregendsten und modernsten Abendkleidern.

Ginas Kleid dagegen war schon fünf Jahre alt und wäre auch seinerzeit nicht als Designerstück betrachtet worden. Und im Gegensatz zu den anderen Damen, die über und über mit kostbaren Juwelen behängt waren, trug sie selbst nur eine auffällige purpurfarbene Modeschmuckkette, mit der sie sich schon als kleines Mädchen verkleidet hatte.

Eigentlich war es nur noch der Anhänger, den sie mühsam auf Hochglanz poliert hatte. Die Kette selbst war längst zerrissen, und so trug Gina den Anhänger an einem schwarzen Samtband. Das sah elegant aus und war dem Anlass entsprechend optisch durchaus angemessen, allerdings konnte diese Kreation nicht mit dem echten Schmuck der anderen Frauen konkurrieren.

Warum hat Mikos Christopoulos sich also ausgerechnet Gina ausgesucht, in dieser Gesellschaft nur ein Niemand aus Kanada, ohne nennenswerte Abstammung, ohne Einfluss und ohne Geld?

„Das beantwortet wohl kaum meine Frage, Mikos“, brachte sie mühsam hervor und sah ihm tief in die Augen.

Er lächelte. „Ach nein? Vielleicht beantwortet das alle deine Fragen.“ Mit diesen Worten senkte er den Kopf und küsste sie unendlich zärtlich auf den Mund.

Gina musste sich an ihn klammern, sonst wäre sie wohl hilflos zu Boden gestürzt – so sehr brachte sie sein Kuss aus dem Gleichgewicht. Etwas Vergleichbares hatte sie noch nie erlebt. Wie schaffte es ein Mann, etwas so Einfaches wie einen Kuss in ein ultimatives Instrument der Verführung zu verwandeln?

Das war verrückt! Sie spürte im Inneren ihrer Weiblichkeit eine schmerzhafte Sehnsucht, wie sie sie nie zuvor empfunden hatte. Hilflos stieß sie einen heiseren Laut aus, der von seinen Lippen aufgefangen wurde.

Mit bebenden Händen schob sie ihre Finger in sein Haar und öffnete ihren Mund, damit sie endlich seine Zunge spüren konnte.

Denk daran, warum du hier bist! warnte sie eine innere Stimme. Du bist nicht den ganzen Weg nach Griechenland gereist, nur um Sex zu haben!

Aber wenn der Sex sich zu etwas Wundervollem und Einzigartigem entwickelte? überlegte sie verwegen. Nein, welche Frau ließ ihre Mission außer Acht, nur weil ein Fremder sie eines zweiten Blickes würdigte?

Allerdings schien es bei ihnen beiden nicht bloß um Sex, sondern um eine Anziehungskraft ganz anderer Art zu gehen. Gina würde sogar von Magie sprechen, obwohl das nach der kurzen Zeit, die sie sich kannten, an Wahnsinn grenzte.

Ich habe Instinkte, und denen werde ich vertrauen, dachte sie verträumt.

Haben dir deine Instinkte auch befohlen, deine Mutter allein in den Händen Fremder zu lassen? spottete ihr Gewissen und wirkte damit auf sie wie ein Eimer Eiswasser.

Energisch machte sie sich von Mikos los und schob ihn mit beiden Händen von sich. „Ich kann das nicht tun. Es ist nicht richtig.“

Seine Augen funkelten in der Dunkelheit und ließen keinen Zweifel daran, dass er sich nur mit großer Anstrengung zurückhielt. „Wie kann es falsch sein, agapiti mou, wenn ich dich so unwiderstehlich finde? Wir sind frei, unseren Herzen zu folgen, oder etwa nicht? Bist du jemand anderem verpflichtet?“

„Natürlich nicht!“, entgegnete sie hitzig. „Wenn ich mit einem anderen Mann zusammen wäre, würde ich ihn niemals betrügen. Aber dies … worauf wir uns hier einlassen, das ist …“

Sie verstummte, weil sie genau wusste, dass sie sich ihm nicht anvertrauen durfte. Auch wenn es ihm nicht klar war, befand er sich doch auf der Seite ihres Feindes. Und sollte er den wahren Grund für ihren Aufenthalt in Athen herausfinden, würde auch er ihr Feind werden. Und dann würde er sie bestimmt nicht mehr unwiderstehlich finden.

„Es geht dir zu schnell. Das verstehe ich. Wir haben uns vor weniger als einer Stunde kennengelernt, und wir haben noch den morgigen Tag und viele Tage danach, wenn du magst. Es gibt für uns keinen Grund, die Dinge zu überstürzen.“

Seine Worte beruhigten sie. Er würde im Falle eines Falles auf sie eingehen und keine Ansprüche stellen. Wahrscheinlich lief es darauf hinaus, dass sie sich gegenseitig ein oder zwei Wochen ihres Lebens schenkten. Danach würde er zu einer nächsten Eroberung weiterziehen, und Gina würde nach Hause zurückkehren – vermutlich mit einem gebrochenen Herzen, aber dafür als erfüllte Frau. Und hoffentlich hatte sie zu jenem Zeitpunkt auch ihre Mission erfüllt, dann wären buchstäblich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen!

Sam Irving, ihr Arzt, hatte ihr dringend dazu geraten, nach Griechenland zu fliegen und sich dort zu amüsieren. Du bist eine junge Frau in den besten Jahren, Gina. Und es ist lange her, dass du etwas Spaß hattest. Entdecke Griechenland, lass dich von einem jungen Mann mitreißen und überlasse es mir, hier zu Hause alles im Griff zu behalten!

Diesen Rat wollte sie sich nun zu Herzen nehmen.

Lächelnd sagte sie zu Mikos: „Nein, es gibt keinen Grund. Ich genieße es, einfach mit dir hier oben zu sein, obwohl mich überrascht, dass wir allein sind. Ich dachte, die Athener gehen nicht vor dem Morgengrauen ins Bett.“

„Das stimmt. Aber bei einem Anlass wie diesem werden die öffentlichen Räume des Hotels gesperrt. Nur offiziell geladene Geburtstagsgäste sind gebeten.“

„Wollen wir uns dann einfach setzen und mehr voneinander erfahren? Du sagtest vorhin, du wärst ohne Angelo Tyros heute nicht dort, wo du bist. Ich habe mich gefragt, was das bedeutet.“

Er hob leicht die Schultern. „So gern ich mit dir den Sonnenaufgang betrachtet hätte, muss ich mir dieses Vergnügen verwehren. Ich bin offiziell am Arbeiten und sollte die Party nicht so lange verlassen.“

So viel zu der Behauptung, er fände mich unwiderstehlich! dachte sie gekränkt. Solange ich mich gefügig gebe, hat er alle Zeit der Welt übrig.

Nachdem sie ihn körperlich zurückgewiesen hat, schien Mikos nun anderen Verpflichtungen nachjagen zu müssen. Vielleicht ja sogar einer dieser Damen der gehobenen Gesellschaft, die ihn wenige Momente zuvor so gierig angestarrt haben, als wäre er eine besonders saftige exotische Frucht.

„Gut, dass du mich daran erinnerst“, erwiderte Gina kühl. „Ich darf die Dinge auch nicht so schleifen lassen. Immerhin soll ich einen Artikel über die Reichen und Prominenten verfassen. Wahrscheinlich verpasse ich alle möglichen delikaten Vorkommnisse unten.“

Er wollte etwas sagen, doch Gina war an keiner Antwort mehr interessiert. Ihre kleine Seifenblase war geplatzt, und das lag hauptsächlich daran, dass sie lange nicht mehr unterwegs gewesen war. Sich hingabevoll um ihre arme, verlorene Mutter zu kümmern, hatte ihre sozialen Fähigkeiten und ihr Urteilsvermögen außer Kraft gesetzt. Gina hungerte nach einem Hauch von Glamour und Beachtung, nach dem Gutschein für eine kleine Romanze, und das machte sie anscheinend allmählich blind für die Realität.

Wie konnte ich bloß so naiv sein? überlegte sie wütend, während sie mit schnellen Schritten auf den Fahrstuhl zueilte. Nicht schnell genug, denn Mikos schaffte es, ihr bis in die Kabine zu folgen.

„Ich habe dich beleidigt“, sagte er entschuldigend.

„Mach dich nicht lächerlich!“ Sie wünschte, er würde sie nicht ständig auf diese eindringliche Art ansehen.

„Wenn es allmählich ruhiger wird“, begann er, „würde ich gerne später noch eine Kleinigkeit essen. Leistest du mir dabei Gesellschaft?“

Mit einer Hand versteckte sie ein aufgesetztes Gähnen. „Oh, ich glaube nicht. Ich bin jetzt schon wahnsinnig müde und werde nur so lange bleiben, bis ich genügend Material für meinen Artikel gesammelt habe.“

„Verstehe.“ Er schwieg kurz. „Hast du ein Zimmer hier im Hotel?“

Sie lachte humorlos. „Wohl kaum. Ich wohne im Viertel Topikos, das kennst du bestimmt auch.“

„Dann besorge ich dir einen Wagen, sobald du gehen möchtest.“

„Kein Bedarf“, wehrte sie schnell ab. „Ich werde laufen oder ein Taxi nehmen.“

Zurück im Ballsaal, verabschiedete sie sich hastig von ihm und tauchte in der Menge unter. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er nicht damit einverstanden, dass sie sich selbst um ihren Heimweg kümmern wollte. Trotzdem hielt er sie nicht zurück, sondern wandte sich an einen Mann, der in seiner Nähe an einem kleinen Tisch saß.

Nun, wenn Mikolas Christopoulos ihr keinen Zugang zu Angelo Tyros ermöglichte, musste sie es eben selbst zustande bringen. Tapfer schluckte sie ihre Enttäuschung über Mikos’ Verhalten hinunter und bahnte sich ihren Weg zu der großen Haupttafel – doch der griechische Milliardär war weit und breit nicht zu sehen.

„Könnten Sie mir vielleicht sagen, wo ich Mr. Tyros finden kann?“, fragte sie eine ältere Dame, die noch an der Haupttafel saß. „Ich hoffte auf ein kurzes Interview mit ihm.“

Amüsiert zog die Lady ihre Augenbrauen hoch. „Da kommen Sie zu spät, Kyria. Selbst wenn er bereit gewesen wäre, sich mit Ihnen zu unterhalten, was ich persönlich bezweifle, hat Angelo die Feier schon vor einiger Zeit verlassen. Schließlich ist er mittlerweile achtzig Jahre alt!“

Die Enttäuschung brannte bitter in Ginas Kehle. Dabei hatte der Abend so vielversprechend begonnen. Sie war in dem Nobelhotel begrüßt und hofiert worden, als würde sie zum Hochadel gehören. Und darüber hinaus hatte ihr der attraktivste Mann, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte, eindeutige Avancen gemacht.

Nur um sie dann fallen zu lassen, weil sie sich nicht für ein zwangloses Abenteuer zwischen den Topfpflanzen interessierte. Und alles in allem mündete der Abend seither in einer einzigen Katastrophe.

Entmutigt und erschöpft zwängte sie sich durch die Menschenmassen in Richtung Ausgang und stellte erleichtert fest, dass Mikos nirgendwo zu sehen war.

Wenigstens glaubte sie das, bis sie über den dicken Perserteppich durch die Lobby schritt und plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Eine raue, tiefe Stimme murmelte in ihr Ohr: „Wohin des Weges, Miss Hudson?“

2. KAPITEL

„Obwohl es Sie eigentlich nichts angeht“, erwiderte Gina gekünstelt höflich, während sie sich durch die aufdringliche Fotografenmeute drängelte, „aber ich fahre zu meinem Hotel zurück.“

Unbeeindruckt folgte Mikos ihr nach draußen. „Wir haben doch abgemacht, dass du mir Bescheid sagst, wenn du gehen möchtest“, sagte er etwas leiser.

„Nein“, erwiderte sie mit steinerner Miene, „das hast nur du beschlossen, nicht ich.“

Mit herrischer Geste hob er die linke Hand und schnippte mit den Fingern. Das schien zu genügen, um eine schwarze Mercedeslimousine aus dem Schatten hervorzulocken, die dann direkt vor ihnen am Bürgersteig hielt. „Dann ist wenigstens einer von uns beiden bei Verstand, nicht wahr?“, bemerkte Mikos trocken und hielt Gina die Hintertür auf. Sein Blick machte deutlich, dass er keinerlei Widerstand duldete.

Obwohl sie sein Angebot gern ausgeschlagen hätte und hocherhobenen Hauptes davonstolziert wäre, war sie insgeheim froh über die Fahrgelegenheit. Ihre hochhackigen Sandalen waren für sie ungewohnt und zudem gnadenlos schmerzhaft. Also schluckte Gina ihren Stolz hinunter und ließ sich elegant in die Ledersitze gleiten. „Wie aufmerksam von dir!“

Parakalo! Gern geschehen“, entgegnete er höflich.

Damit war für sie der gemeinsame Abend beendet, und sie beugte sich vor, um dem Fahrer den Namen ihres Hotels zu nennen. Doch zu ihrer Überraschung stieg Mikos wie selbstverständlich auf der anderen Seite des Wagens ein.

„Was glaubst du, tust du da gerade?“, erkundigte sie sich gereizt.

„Ich beende diese Farce.“ Er wechselte ein paar griechische Worte mit dem Fahrer, der daraufhin die Trennscheibe zur Fahrerkabine hochfuhr und die Limousine in den regen Straßenverkehr hineinlenkte.

Zwar kannte Gina sich in Athen nicht aus, dennoch genügte ein Blick aus dem Fenster, um zu bemerken, dass sie nicht in die Richtung ihres Hotels fuhren. „Falls du es nicht bemerkt hast: Der Fahrer nimmt den falschen Weg.“

„Er ist absolut auf dem richtigen Weg“, widersprach Mikos und knöpfte sein Jackett auf. Dann streckte er seufzend die Beine aus. „Ich schlage vor, du entspannst dich und genießt die Fahrt.“

Einen Augenblick lang war sie versucht, seinem Vorschlag zu folgen. Zu lange hatte sie die schönen Dinge des Lebens entbehrt, und eine Luxuskarosse mit plüschig weichen Sitzen, die wie eine geschmeidige Katze die Straße entlangschnurrte, war ein verlockender Ruhepol.

Eine Flasche Champagner – Bollinger, wie Gina feststellte – ragte direkt vor ihr aus einem silbernen Kühler heraus. Geschliffene Champagnerflöten brachen das warme Licht der Kabinenbeleuchtung, und zudem war der Mann neben ihr nicht nur sexy und wahnsinnig attraktiv, sondern auch weltgewandt, kultiviert und charmant.

Andererseits befand sie sich auf dem Weg zu einem unbekannten Ziel, und das noch mit einem Fremden, der sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen konnte. Es gab eine Menge junger Frauen, die allein in ein fernes Land reisten und nie wieder gesehen wurden, weil sie sich naiv in Gefahr gebracht hatten.

„Wenn das eine Entführung werden soll“, begann Gina mit wankender Stimme, „solltest du wissen, dass du für mich keine beachtenswerte Summe erhalten kannst. Ich bin für keine Person von großem Wert, weder finanziell noch sonst irgendwie.“

Außer für meine Mutter, die keinen Schimmer hat, wer ich bin, dachte sie traurig. Und selbst wenn sie verstehen würde, dass ich in Schwierigkeiten stecke, könnte sie absolut nichts dagegen tun.

„Entführung?“, wiederholte er lachend. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber jetzt, wo du es erwähnst …“

„Schön, dass zumindest einer von uns beiden etwas zu lachen hat“, giftete sie.

Mikos warf ihr einen abschätzenden Blick zu. „Ich lache doch nicht über dich.“

„Ach, ich finde dich unmöglich!“

Jetzt lachte er laut auf. „Wenigstens habe ich Eindruck auf dich gemacht.“

Dann öffnete er den Champagner und schenkte zwei Gläser ein, während Gina wie gebannt auf seine gebräunten, kräftigen Hände starrte.

„Worauf sollen wir trinken, Gina?“ Seine Frage riss sie aus ihrer Starre.

Automatisch griff sie nach dem Glas, das er ihr reichte. „Du entscheidest.“

„Darauf, dass wir uns ein bisschen besser kennenlernen?“

„Vor einer Stunde hattest du noch etwas Besseres zu tun!“

„Seitdem habe ich aber meine Meinung geändert.“

„Damit bist du nicht der Einzige!“, konterte sie scharf. „Und wenn du glaubst, mich dazu bringen zu können, mich hier in diesem Sexmobil für dich auf die Rücksitze zu legen, hast du dich geschnitten!“

Einige Sekunden lang war er sprachlos. Eine Hand hielt er vor seinen Mund – nicht vor Schreck, sondern um sein Lachen zu unterdrücken. „Ich versichere dir“, begann er amüsiert, „dass ich viel zu viel Respekt vor dir habe, um auf einen solchen Gedanken zu kommen.“

Er klang aufrichtig, trotzdem runzelte Gina die Stirn. „Was willst du dann?“

„Ich möchte nur mit dir reden, und unter anderen Umständen hättest du mir vermutlich nicht zugehört. Wenn es dich nicht gestört hätte, dass unser kleines Rendezvous auf dem Hoteldach so abrupt endete, hätte ich keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Aber …“ Er sah ihr tief in die Augen und zuckte seine breiten Schultern. „Es hat dir etwas ausgemacht, oder? Du hast es doch auch gespürt? Diesen Funken Anziehungskraft zwischen uns, der stärker als jede Vernunft ist?“

Fasziniert von seinen Worten nickte sie stumm. Und schließlich zwang Gina sich dazu, ihm die Frage zu stellen, die sie die ganze Zeit über beschäftigte. „Warum bist du dann vorhin …?“

„Verschwunden, bevor die Dinge außer Kontrolle geraten konnten?“

Das traf es zwar nicht ganz genau, doch sie nickte langsam.

Er nahm ihr das Champagnerglas ab und stellte es zur Seite. „Ich bin ein zivilisierter Mann und längst über das Alter hinaus, in dem man sich nichts dabei denkt, mit einer Lady in der Öffentlichkeit zu turteln. Aber du, Gina, du bringst mich dazu, die Kontrolle zu verlieren.“

„Ich dachte schon, du wärst verheiratet.“

„Bin ich nicht und war ich auch nie.“

„Oh“, sagte sie und spürte, wie ihr wärmer wurde. Das konnte natürlich auch am Champagner liegen.

„Und ich lege es auch nicht darauf an, dich auf dem Rücksitz zu verführen“, fügte er aufrichtig hinzu. „Falls wir uns lieben sollten, was ja jetzt noch nicht feststeht, dann werden wir Ort und Zeitpunkt dafür gemeinsam auswählen.“ Er grinste frech. „Aber wenn du es erlaubst, würde ich dich gern noch einmal küssen.“

Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als er ihr Gesicht unendlich langsam zwischen beide Hände nahm und ihr zärtliche Küsse auf ihre Augenlider, ihre Wangen, ihre Nasenspitze und ihr Kinn hauchte, bevor er seine Lippen auf ihren Mund presste.

Das Verlangen packte sie rau und gnadenlos. Sie fühlte sich genauso ausgeliefert wie zuvor auf der Dachterrasse des Hotels. Das Blut rauschte durch ihren Körper und schien nur dem Zentrum ihrer weiblichen Empfindung entgegenzuströmen.

Hör mit der Gentleman-Tour auf! beschwor sie ihn im Stillen. Halte dich nicht so zurück!

Sie begehrte ihn, wollte ihn überall berühren. Und sie wünschte sich, er würde ihr das Kleid über die Schultern abstreifen. Er sollte seine Hand über ihre Wäsche gleiten lassen, seine kräftige, gebräunte Hand …

Noch nie im Leben hatte sie so verwegene Gedanken wie heute gehabt. Vor ihrem inneren Auge sah sie sich selbst, wie sie sich ganz eng an ihn schmiegte und wie sie dabei zärtlich seine wachsende Männlichkeit streichelte.

Erschrocken über ihre eigene Leidenschaft, wich sie vor ihm zurück. Was war mit ihr geschehen, dass sie sich wie ein Flittchen einem vollkommen Fremden an den Hals warf? War sie von einem exotischen Insekt gebissen worden und dem Fieberwahn verfallen?

Zugegeben, sie war in Bezug auf Sex nicht vollkommen unschuldig. Mit zweiundzwanzig hatte sie ihre Unschuld an Paul Johnson verloren. Ihr Exverlobter hatte aber seine Meinung über eine gemeinsame Zukunft geändert, nachdem ihm klar wurde, dass er mit Gina auch ihre Mutter zu seiner Verantwortung machen würde.

Aber Gina war niemals ein leichtes Mädchen gewesen. Dazu hatte sie auch keinerlei Gelegenheit. Nachdem Paul sie sitzen gelassen hatte, war ihr gesellschaftliches Leben so ziemlich am Ende, besonders was Verabredungen mit Männern betraf. Die wenigen Begleiter, mit denen sie sich bislang getroffen hatte, waren an keiner Frau interessiert, die sich um ein sechzigjähriges Kind kümmern musste.

Nur hier in Griechenland – in Athen – war sie weit weg von diesen Sorgen, und der atemberaubende Mikos Christopoulos hatte sie schon zweimal geküsst. Damit hatte er verborgene Bedürfnisse und Sehnsüchte wachgerufen, die Gina während der letzten fünf Jahre unterdrückt hatte.

Und jetzt tobten diese Sehnsüchte außer Kontrolle in ihr, und das machte Gina Angst. „Meine Güte!“, rief sie überwältigt und rückte von Mikos ab. „Ich glaube, das ist erst mal genug!“

Er hielt sie nicht zurück. Merkwürdigerweise machte er den Eindruck, als wäre er erleichtert darüber, dass sie den Dingen Einhalt geboten hatte. „Darauf trinke ich.“

Seine widersprüchliche Haltung verwirrte sie. „Ich hatte nicht erwartet, dass dieser Abend so endet.“

„Was genau hast du denn erwartet?“

„Ich wollte einfach in mein Hotel zurück, sobald ich genug Informationen für meinen Artikel habe“, sagte sie schulterzuckend.

„Ach ja, der Artikel“, wiederholte er langsam.

Zu langsam.

„Glaubst du mir etwa nicht?“ Sein zynischer Unterton war ihr nicht entgangen.

„Sollte ich nicht?“

„Du klingst nur so komisch. Irgendwie misstrauisch“, fügte sie nachdenklich hinzu.

„Lass es mich so ausdrücken“, begann Mikos und machte eine kleine Pause. „Ich bin kein Mann, der sich schnell von einem hübschen Gesicht oder einer reizvollen Figur beeindrucken lässt. Es braucht mehr als das, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Aber zu dir fühle ich mich so stark hingezogen, dass ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll.“

„Du kommst mir nicht wie der Typ Mann vor, der mit irgendetwas nicht umgehen kann.“

„Normalerweise nicht. Aber ich würde lügen, wenn ich diese Situation zwischen uns als normal bezeichne. Ich halte sie für absolut außergewöhnlich.“

„Und dir gefällt es nicht, ausgeliefert zu sein“, schloss sie.

„Ganz und gar nicht“, gab er zu. „Wie du schon vermutet hast, bin ich ein Kontrollfreak. Das macht mich ja so gut in meinem Job.“

„Was ist eigentlich genau dein Job? Du hast nie erwähnt, was du eigentlich für Mr. Tyros machst.“

„Ich bin im Management. Geschäftsführender Vizepräsident, um genau zu sein.“

Das sagte Gina so gut wie nichts. Aber wer in geschäftsführender Position für einen Tycoon wie Angelo Tyros arbeitete, war es bestimmt gewohnt, keine internen Informationen mit Außenstehenden zu teilen.

„Gefällt dir deine Arbeit?“, fragte sie in beiläufigem Ton.

Das Kabinenlicht war schwach, aber nicht schwach genug, um seinen Gesichtsausdruck zu kaschieren. „Nicht immer“, räumte er ein. „Aber bei wem ist das schon so? Nimm dich, zum Beispiel! Bist du richtig glücklich mit dem, was du jeden Tag tust?“

Sie wandte sich ab und sah aus dem Fenster. Plötzlich wurde ihr wieder bewusst, warum sie eigentlich nach Griechenland gekommen war.

Miss Hudson, ich bin mir sicher, dass ich meine Ohrringe heute Morgen auf die Frisierkommode gelegt habe. Und jetzt sind sie fort!

Gina, bist du das? Ich habe gerade deine Mutter am Strand gesehen, wie sie vollkommen bekleidet bis zum Bauch im Wasser stand. Gina, wir haben November …

Maeve gesehen? Seit heute Morgen nicht, Gina, nein. Seit wann vermisst du sie denn?

Wie soll man Arbeit bemessen, die man aus Liebe erledigt, überlegte sie und legte ihre Stirn gegen die kühle Fensterscheibe der Limousine.

Sie hasste, was mit ihrer Mutter geschehen war. Sie hasste es, wie die Frau allmählich verschwand, die immer der Mittelpunkt ihres Lebens gewesen war. Demnach war sie natürlich nicht glücklich mit dem, was sie Tag für Tag tat.

Gina drehte sich wieder zu ihm um. „Einige Tage sind besser als andere. Das ist wohl bei jedem Job so.“

„Erzähl mir von deiner Arbeit. Du sagtest, du lebst auf den Golfinseln?“

„Richtig.“

„Ist das nicht eher unpraktisch? Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, liegen sie ziemlich weit vom Festland entfernt. Wie verträgt sich das mit Gesellschaftsjournalismus?“

„Mit dem Wasserflugzeug ist die nächste große Stadt nicht weit, und der Rest lässt sich via Internet regeln“, erwiderte sie abwesend.

„Warum beschließt eine junge Frau, wieder zu Hause zu leben?“

Langsam fühlte Gina sich in die Enge gedrängt. Sie durfte ihm nicht zu viel von sich erzählen. Und plötzlich bemerkte sie, dass sie in diesem Augenblick ein unbekanntes Gewässer überquerten. Einen See? Eine Meerenge? Ihre Angst kehrte zurück.

„Wieso sagst du mir nicht endlich, wohin wir fahren?“, fragte sie.

„Zu einem Ort, an dem wir allein sind.“

„Wir sind doch schon allein.“

„Nicht ganz.“ Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf die getönte Scheibe, die sie von der Fahrerkabine trennte. „In meiner Position kann ich es mir nicht so oft erlauben, einfach zu entfliehen. Aber heute Nacht …“ Mit dem Zeigefinger strich er sacht über ihre Unterlippe. „Heute schwänze ich einfach – zusammen mit dir.“

Hinter der riesigen Brücke durchquerten sie noch eine kleine Stadt, deren Straßen nur schwach beleuchtet waren. „Sind wir noch auf dem Festland?“

Er verschränkte seine Finger mit ihren. „Nein.“

Diese einfache Berührung wirkte auf Gina regelrecht elektrisierend, und sie vergaß alle Vorsicht. Fünfzehn Minuten später fuhren sie durch ein kleines Dorf und hielten weit dahinter an einer einsamen Küstenstraße an.

„Komm“, sagte Mikos und zog sie hinter sich her aus dem Wagen. Dann wechselte er ein paar schnelle Worte mit dem Fahrer, der daraufhin die Limousine wieder startete und in die Richtung des Dorfes lenkte, das sie gerade durchquert hatten.

In Sekundenschnelle war die Nacht nur noch von Sternenlicht und dem leisen Rauschen des nahe gelegenen Meeres erfüllt. Und von Ginas aufgeregtem Herzschlag …

Direkt neben ihr stand Mikos, groß und dunkel wie ein Fels in der Brandung, und hielt noch immer ihre Hand fest.

Ihre Stimme zitterte leicht. „Ich fühle mich hier nicht besonders wohl. Was genau hast du vor?“

„Einen Strandspaziergang machen. Was hast du denn gedacht?“

„Es ist fast drei Uhr morgens. Die meisten Menschen sind um diese Zeit im Bett.“

Er lachte leise. „Willst du damit sagen, du wärst mit mir lieber im Bett, Gina?“

Dieser Gedanke war ihr an diesem Abend tatsächlich schon einige Male gekommen, und sie war froh, dass die Nacht ihre entlarvende Gesichtsfarbe verschluckte. „Nein“, log sie. „Ich verstehe nur nicht, warum wir hier sind.“

„Sieh dich doch um!“ Er machte eine raumgreifende Armbewegung und wandte sich dem Wasser zu. „Schau dir die Sterne an, wie sie sich im Meer spiegeln. Spüre die weiche Brise, wie sie deine Haut streichelt. Atme den Duft von Kiefern und Oleander. Und dann behaupte noch einmal, du wärst lieber in deinem Hotelzimmer mitten in der Stadt.“

Eine Lüge dieser Größenordnung wollte ihr nicht über die Lippen kommen. „Es ist in der Tat wunderschön hier.“

Er zog sie näher zu sich heran und raunte in ihr Ohr: „Dann begrabe deine Zweifel und komm mit mir!“

Hatte sie eine andere Wahl? Wollte sie überhaupt eine Wahl haben? Nein, und deshalb riskierte sie auch einen gebrochenen Knöchel, während sie auf ihren Stilettos hinter ihm durch den Sand stakste.

Mikos bemerkte ihre Schwierigkeiten und blieb stehen. „Zieh die Schuhe aus“, riet er ihr und kniete sich vor ihr in den Sand. „Halte dich an meiner Schulter fest!“

Ihr kam nicht einmal in den Sinn zu protestieren, so sehr war sie von seinen warmen Händen an ihren Fußgelenken fasziniert. Mit einer Hand stützte sie sich auf seinen starken Schultern ab und hob ihm erst einen Fuß entgegen, dann den anderen.

„Bitte schön“, sagte er schließlich. „Wie fühlt es sich an?“

Der Sand drückte sich sanft und kühl wie Puderzucker gegen ihre Fußsohlen. „Himmlisch“, gab sie zu und seufzte erleichtert. Insgeheim machte es ihr aber große Sorge, wie schnell sie sich seinem Willen beugte. „Und was jetzt?“, fragte sie etwas schärfer.

„Wir spazieren am Wasser entlang zum Dorf zurück. Das sind etwa drei Kilometer, und es dauert nicht länger als eine halbe Stunde.“

Im Grunde dauerte es dann fast zwei Stunden. Sie hielten Händchen, und von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und küssten sich zärtlich. Die Ausläufer der seichten Wellen umspülten ihre Füße, und für die wenigen Stunden fühlte Gina sich wie im Märchen. Ein gut aussehender Prinz entdeckt Cinderella und befreit sie, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, aus der Tristesse ihres realen Lebens.

Selbst als die Ziegeldächer des Dorfes in Sichtweite waren, hörte der Zauber nicht auf. Mikos führte sie an ein paar Fischerbooten vorbei über einen hölzernen Pier bis hin zu einem kafinion, das direkt am Strand lag und den köstlichen Geruch starken Kaffees verbreitete. Schwaches gelbes Licht wurde auf ein paar eiserne Tische und Stühle geworfen, die auf einer verfallenen Veranda standen.

„Setz dich doch.“ Er zog einen der Stühle für sie zurück.

Als sie sich hinsetzte, fröstelte sie vor Kälte. Mikos bemerkte es und legte ihr galant sein Jackett um die Schultern. Er selbst war noch barfuß, genau wie sie. Sein Hemd war am Kragen aufgeknöpft, und die aufgekrempelte Hose war unten vom Meerwasser durchnässt.

Obwohl Mikos seinen teuren Designeranzug ruiniert hatte, bewegte er sich mit einer sicheren Haltung und Lässigkeit, die ihn von den meisten anderen Menschen unterschied.

In diesem Moment erschien der Inhaber des Cafés.

„Der Kaffee hier ist vermutlich stärker, als du ihn gewohnt bist“, warnte Mikos sie und schob ihr eine der Tassen mit schwarzbraunem Gebräu entgegen, die der Wirt zusammen mit einer Flasche Wasser auf den Tisch gestellt hatte. „Aber so mögen wir Griechen unseren Kaffee. Ganz besonders dann, wenn wir die Nacht über auf den Beinen waren.“

„Der ist gut“, behauptete Gina und verkniff sich eine Grimasse, als der Kaffee sich schmerzhaft seinen Weg durch ihre Speiseröhre bahnte. „Ähm, musst du heute arbeiten?“

„Nein. Am Wochenende kann ich tun und lassen, was ich will. Was ist mit dir?“

Ich kann natürlich auch über meine Zeit frei verfügen, spottete sie in Gedanken und stürzte ein ganzes Glas Wasser auf einmal hinunter. „Ich werde meine Notizen überarbeiten und mich an den Artikel setzen.“

„Nachdem du Schlaf aufgeholt hast, nehme ich an.“

„Natürlich“, seufzte sie und spürte, wie sich ihre Märchenwelt langsam in Luft auflöste. Denn Mikos versäumte es, ein weiteres Treffen später am Tag vorzuschlagen.

Stattdessen lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und sah Gina direkt an. „Hast du genug Material zusammen, um deinen Arbeitgeber zufriedenzustellen?“

Du brauchst mir absolut nichts zu liefern, Gina, das weißt du!

Lorne MacDonalds Worte klangen noch in ihrem Ohr. Ihr ehemaliger Boss hatte ihr den Presseausweis für Tyros’ Geburtstagsparty gegeben.

Ich bin froh, wenn ich dir irgendwie helfen kann. Aber falls es dein Gewissen beruhigt, gib mir etwas, das ich veröffentlichen kann: Namen von Reichen und Berühmten, was haben die Damen getragen, was gab es zu essen und zu trinken, wer mit wem und so weiter. Du kennst das ja. Hast es in den guten alten Tagen alles durchgemacht.

„Nicht wirklich“, antwortete sie matt. „Ich habe auf ein Interview mit Mr. Tyros persönlich gehofft, aber da habe ich mir wohl zu viel versprochen.“

„Definitiv. Angelo gibt nur noch sehr selten private Interviews. Aber wenn du Fragen hast, schieß los! Vielleicht kann ich sie dir beantworten.“

Oh, sie hatte jede Menge Fragen! Aber sie bezweifelte, dass ihr irgendjemand außer Angelo Tyros persönlich Rede und Antwort stehen konnte. Eines war jedenfalls sicher: Sie würde einen Weg finden, den alten Mann in die Ecke zu drängen und ihre Forderungen gegen ihn durchzusetzen. Sie hatte nicht ihr letztes Geld zusammengekratzt und war hierhergekommen, um mit leeren Händen wieder nach Hause zu fahren. Dafür stand zu viel auf dem Spiel.

3. KAPITEL

Er betrachtete sie durch die Gläser seiner leicht verspiegelten Sonnenbrille, die er gegen die ersten frühen Strahlen aufgesetzt hatte. „Nur keine Scheu, Gina. Du kannst mich alles fragen.“

Vorsichtig nahm sie noch einen kleinen Schluck Kaffee. „Du hast erwähnt, er wäre Witwer. War er nur ein Mal verheiratet?“

Mikos konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen. Die Leidenschaft seines Arbeitgebers für Frauen war legendär. Allerdings wunderte es ihn, wie wenig Gina ihren Auftrag vorrecherchiert hatte. Fünf Minuten im Internet hätten für die Beantwortung dieser Frage ausgereicht. „Fünf Mal. Seine erste Frau, Mutter seines Sohnes, starb in ihren Vierzigern. Von der zweiten und dritten Frau ließ er sich innerhalb des ersten Ehejahres scheiden, von der vierten nach sechs Monaten, und die fünfte verstarb vor circa acht Jahren.“

„Meinst du, er heiratet noch einmal?“

„Es ist gut möglich. Angelo ist nicht gern allein, und er hat eine ausgeprägte Schwäche für schöne Frauen.“

Ginas Lachen war eisig. „Mit anderen Worten: Er benutzt sie.“

„Nein“, widersprach er schlicht. „Das habe ich nicht gesagt. Und ich rate dir, mich mit äußerster Sorgfalt zu zitieren.“

Seine Kritik trieb ihr die Röte ins Gesicht. „Ich entschuldige mich. Natürlich werde ich mich dem Artikel mit dem Respekt zuwenden, den er verdient.“

Fasziniert bewunderte er die losen Haarsträhnen, die ihr strahlendes Gesicht umspielten. Sie sah aus wie eine griechische Statue – nur mit extrem großen Augen und einem sinnlichen Mund. Mikos unterdrückte sein erneut aufkeimendes Verlangen und überlegte, ob sie wohl mediterrane Vorfahren hatte.

„Ich entschuldige mich ebenfalls.“ Sein Ton war grundehrlich. „Es tut mir leid, dass ich so vorschnell war.“

„Das muss es nicht. Du hast nur getan, wofür du bezahlt wirst. Außerdem hast du mir bereits erzählt, dass Mr. Tyros deine uneingeschränkte Loyalität gewonnen hat. Das hätte ich bedenken sollen, bevor ich so etwas Unüberlegtes sagte.“ Sie wechselte schnell das Thema und wandte ihre Aufmerksamkeit den Fischern zu, die auf ihren Booten mit orangefarbenen Netzen herumhantierten. „Schläft in diesem Land eigentlich niemand?“

„In den Sommermonaten eigentlich nicht“, bestätigte er lächelnd. „Dafür schlafen wir tagsüber mehrere Stunden. So vermeiden wir die größte Hitze.“

„Dann ist es für ein kleines Café üblich, in aller Herrgottsfrühe geöffnet zu haben?“

„Sicherlich. Um diese Zeit kommen die Dorfbewohner her, um frischen Fisch zu kaufen. Aber dies alles hat doch nichts mit Angelo Tyros zu tun. Wieso hast du plötzlich das Interesse an ihm verloren, Gina?“

„Habe ich nicht“, entgegnete sie leidenschaftlich. „Ich bin sogar regelrecht fasziniert von ihm.“

Ihre Antwort klang in seinen Ohren nur wie die halbe Wahrheit. „Das klingt, als hättest du einen Grund, ihn nicht zu mögen“, mutmaßte er und schob seine Sonnenbrille hoch. „Aber das macht keinen Sinn, wenn du ihm nie begegnet bist, oder?“

Verlegen bückte sie sich nach einem Hundewelpen, der aus dem Café herauskam, und nahm ihn auf ihren Schoß. „Vielleicht klinge ich ein wenig enttäuscht, weil ich persönlich eben nicht das Vergnügen hatte. Aber das bringt mich auf einen Gedanken. Wenn er dem Rampenlicht entgehen will, wozu feiert er dann so öffentlich seinen Geburtstag?“

„Er will dem Rampenlicht nicht grundsätzlich entgehen. Wie ich schon sagte, er ist nicht gern allein und liebt es, von Freunden umgeben zu sein. Aber wie jeder reiche Mann hat er sich mit den Jahren auch viele Feinde gemacht. Als er noch jünger war, störte ihn das nicht besonders, aber mit den Jahren ist er Fremden gegenüber vorsichtiger geworden.“

Sie setzte das Hundejunge wieder auf den Boden. „Wovor fürchtet er sich?“

„Drei Erpressungsversuche allein im letzten Monat. Kidnapping. Und natürlich wird er ständig von Kleinunternehmern belästigt, die von irgendwoher hervorkriechen und vorgeben, bisher unentdeckte Verwandte von ihm zu sein. Wenn man allen Glauben schenken würde, müsste er in den letzten Jahren mindestens fünfhundert Kinder gezeugt haben.“

Gina verschluckte sich an ihrem Kaffee. Hastig kramte sie ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Mund trocken. „Ich bin ziemlich müde“, brachte sie atemlos hervor.

„Dann sollten wir schnellstens zurück in die Stadt fahren. Der Wagen steht an der Straße, aber wir müssen einen kleinen Hang dorthin hinaufklettern. Möchtest du die Schuhe wieder anziehen?“

Sie gähnte und stand auf. „Nein. Meine Füße werden mindestens eine Woche brauchen, um sich von diesen Schuhen zu erholen.“

„Dann bleibt mir nur eines“, sagte er und ignorierte ihren Protest, als er sie entschlossen über seine Schulter warf und auf den kleinen Hang zuging.

Gina erinnerte sich nicht daran, sich an Mikos gekuschelt zu haben. Auch nicht an die Tatsache, dass er ihren Kopf sanft an seine Schulter gezogen hat. Erst als der Straßenverkehr um sie herum lauter wurde, spürte sie die glatte Baumwolle an ihrer Wange und die muskulöse Brust darunter.

Verschlafen richtete sie sich auf. „Ich war wohl keine angenehme Gesellschaft, was?“, murmelte sie heiser.

Er lächelte sie an. „Beschwere ich mich etwa? Es ist doch meine Schuld. Ich habe dich zu lange wach gehalten.“

Mit unsicheren Handbewegungen versuchte sie, ihre Haare zu glätten und hoffte inständig, dass sie im Schlaf nicht geschnarcht hatte. Und ihr Make-up war mittlerweile bestimmt hoffnungslos verlaufen.

Heimlich warf sie Mikos einen Seitenblick zu. Trotz der langen Nacht und seiner ramponierten Kleider sah er immer noch elegant aus. Es war einfach nur unfair!

Der Fahrer öffnete ihnen die Tür, Mikos stieg aus und reichte Gina seine Hand. „Kommst du?“

Sie reichte ihm ihre Hand und spürte, wie seine warmen Finger sich um ihre Hand schlossen. Hoffnungsvoll sah sie ihm in die Augen. „Danke für einen außergewöhnlichen Abend.“

Lächelnd trat er einen Schritt auf sie zu, senkte den Kopf und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund. „Parakalo. Schlaf gut!“

Nur mühsam verkniff sie sich die Tränen der Enttäuschung darüber, dass er sie nicht wiedersehen wollte. Hastig wandte sie sich ab.

„Gina, warte!“

Sie fuhr herum und sah, wie er ihre Sandalen in die Höhe hielt.

„Vergiss die hier nicht!“

Erst nachdem die Hoteltür sich hinter ihr geschlossen hatte, atmete sie aus. Ihr märchenhafter Traum war endgültig zerplatzt.

Voller Selbstmitleid steuerte sie auf den Fahrstuhl zu. In ihrem Zimmer stellte sie fest, dass ihr großer Zeh stark geschwollen war und schmerzte. Auf einem Fuß hüpfte sie auf einen Sessel zu und schrie dabei vor Schmerz auf – laut genug, um die Aufmerksamkeit eines Zimmermädchens zu erregen, das gerade ihr Bett neu machte.

Die ältere Frau betrachtete besorgt Ginas Zeh und verschwand. Kurze Zeit später erschien sie mit einer Schüssel voller Eiswürfel.

„Das wird Ihnen helfen, Kyria“, verkündete sie.

Das Eis trieb Gina endgültig die Tränen in die Augen. Ihre aufgestauten Emotionen besorgten den Rest, und in der nächsten Sekunde schluchzte sie hemmungslos an der mütterlichen Brust des Zimmermädchens. Die Frau strich ihr über die Haare und murmelte ein paar griechische Worte, die Gina nicht verstand.

„Es tut mir leid“, stammelte Gina nach einer Weile. „Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, seit ich hier angekommen bin. Ich bin so sentimental.“

Neh, neh“, beruhigte die alte Dame sie. „Neh, katalaveno. Ich verstehe schon. Geht es Ihnen jetzt besser?“

„Viel besser, danke“, versicherte Gina und riss sich zusammen. „Vielen, vielen Dank. Sie waren wirklich reizend zu mir. Efcharisto!“

Parakalo.“ Die Frau strahlte Gina an und schloss dann leise die Zimmertür hinter sich.

Einige Minuten saß Gina nur da und starrte aus dem Fenster auf die beleuchteten Umrisse der Akropolis. Die vergangenen Stunden kamen ihr wie ein unwirklicher Traum vor. Sie war einem Mann begegnet, der ihr wieder das Gefühl gab, eine Frau zu sein.

Mikos traute sich selbst nicht in ihrer Gegenwart, und das schmeichelte ihr. Aber wieso schaffte er es dennoch, sich zurückzuhalten? War sie zu aufdringlich gewesen? Nichts schlug einen Mann schneller in die Flucht.

Es war Samstagmorgen, acht Uhr, Athener Zeit. Das bedeutete Freitagabend, neun Uhr, an der kanadischen Westküste. Ein wunderbarer Zeitpunkt, um zu Hause anzurufen.

Ihre Mutter würde schon im Bett sein. Das gab der Pflegeschwester Lynn O’Keefe Gelegenheit, frei zu sprechen. Entschlossen humpelte Gina auf das Telefon zu.

Lynn nahm nach dem zweiten Klingeln ab. „Ich habe Ihren Anruf schon erwartet“, sagte sie. „Wie ist es in Athen?“

„Heiß, laut, exotisch und ermüdend“, erwiderte Gina knapp. „Wie geht es Mom?“

„Sie hatte einen guten Tag. Wir waren heute Morgen am Strand und haben Muscheln gesammelt. Dann haben wir in der Stadt etwas gegessen und uns anschließend im Park ein Eis gegönnt.“

„Glauben Sie, sie realisiert, dass ich fort bin? Vermisst sie mich?“

„Ich denke nein“, sagte Lynn freundlich. „Die meiste Zeit über bewegt sie sich in ihrer eigenen Welt. Sie wissen, wie es ihr geht, Gina.“

„Allerdings“, flüsterte sie und schämte sich dafür, dass sie während der letzten Stunden kaum an ihre Mutter gedacht hatte. „Aber für gewöhnlich verkraftet sie Veränderungen nicht so gut.“

„Machen Sie sich keine Gedanken! Ich habe sehr viel Erfahrung im Umgang mit Alzheimerpatienten. Und ich werde gut für Ihre Mutter sorgen. Falls ich Hilfe brauche, sind Sie ja nur einen Telefonanruf weit entfernt.“

„Und Sie denken an die Medizin?“

„Natürlich. Sie steht doch auch unter ärztlicher Aufsicht. Hören Sie! Nutzen Sie Ihre Zeit dort aus und vergessen Sie einmal alle Sorgen! Gibt es einen Notfall, werden Sie umgehend informiert. Wenn Sie nichts hören, ist alles unter Kontrolle. Und jetzt genießen Sie Ihren Aufenthalt. Bitte!“

„Ich versuche es“, versprach Gina halbherzig.

Aber die Sorge um ihre Mutter gehörte für Gina zum Alltag wie das Zähneputzen. Daran konnte auch ein Abstand von mehreren tausend Kilometern nichts ändern.

„Du kannst ganz beruhigt sein“, versicherte Theo Keramidis. „Sie ist sauber.“

„Bist du ganz sicher?“

„Mikos, ich habe das Hotelzimmer ganz fein durchkämmt. Glaub mir, wenn sie etwas zu verbergen hätte, hätte ich es auch gefunden. Alles hat seine Ordnung, angefangen bei ihrem Pass bis hin zu den Gepäckstückanhängern. Sie hat dir nichts vorgemacht. Ich habe im Internet das Magazin überprüft, für das sie schreibt, und einige ihrer Artikel gelesen. Sie ist echt – bis hinunter zu ihren Baumwollhöschen.“

Der Gedanke daran, dass Theo in Ginas Unterwäsche gewühlt hatte, hinterließ einen bitteren Geschmack in Mikos’ Mund. „Du hast hoffentlich alles so hinterlassen, wie du es vorgefunden hast?“

Theo zog die Stirn kraus. „Komm, Mikos! Nach all den Jahren unserer Zusammenarbeit solltest du so eine Frage gar nicht stellen.“

Sighnomi“, brummte er. „Du hast natürlich recht. Es ist nur, dass …“

„Ich weiß doch, was los ist, Boss. Du bist hinter dieser Frau her und kannst nicht mehr klar denken.“

Wahre Worte, dachte Mikos entnervt. Dabei trennte er normalerweise Berufliches und Privates streng voneinander. „Ich werde so tun, als hätte ich das nicht gehört“, sagte er kühl. „Danke noch mal, Theo. Ich komme jetzt allein damit zurecht.“

„Das kann ich mir vorstellen!“ Grinsend wandte Theo sich ab, warf jedoch noch einen letzten Blick über die Schulter. „Übrigens gab es eine kleine Auffälligkeit, die mir aber nicht verdächtig vorkam. Sie nennt sich selbst Gina, aber ihr voller Name lautet Angelina Maeve Hudson. Und falls es dich interessiert, sie wird am fünften August neunundzwanzig.“

Mikos behielt dies im Hinterkopf und trat gedankenverloren auf die Terrasse hinaus. Obwohl es noch Anfang Juni war, stieg die Temperatur um Mittag herum auf knapp dreißig Grad an. Das war, selbst für Athen, ungewöhnlich heiß, und unter normalen Umständen wäre Mikos übers Wochenende auf seine Insel geflohen. Nur Gina hielt ihn zurück.

Er hatte am Morgen die Enttäuschung in ihren Augen gesehen, und es war ihm nicht leichtgefallen, sie gehen zu lassen. Aber er musste einfach abwarten, bis er sie einzuschätzen wusste. Und leider hatte er dabei keinen anderen Weg gesehen, als ihre Privatsphäre zu verletzen.

Angelo erinnerte ihn immer wieder gern daran, dass man diesen Preis eben für die absolute Sicherheit im Wirtschaftsgewerbe zahlen müsse. Nur manchmal fühlte Mikos sich bei seinem Job so unwohl, dass er ihn am liebsten mit heißem Wasser und Seife von seiner Haut waschen wollte.

Lautes Klopfen schreckte Gina aus dem Schlaf hoch, und ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits zehn nach sieben am Abend war. Als sie schließlich die Tür öffnete, stand nur ein riesiges Blumenbouquet aus langstieligen roten Rosen davor.

In Erinnerung an eine unvergessliche Nacht, stand auf der Karte. Darunter hatte Mikos nur seinen Namen geschrieben.

Mit klopfendem Herzen trug sie die Rosen zu einem Beistelltisch und ließ sich dann daneben in einen Sessel fallen. Ihr Fuß schmerzte immer noch fürchterlich, aber wenigstens für diesen Moment waren die Schmerzen kurz vergessen.

Plötzlich klingelte das Telefon, und eine tiefe Stimme drang in ihr Ohr, als sie abnahm.

„Bist du jetzt ein bisschen ausgeruhter?“

„Mir geht es viel besser“, sagte sie schnell und verschluckte sich fast dabei.

„Gut genug, um den Abend mit mir zu verbringen?“, fragte Mikos galant.

Diese Einladung übertraf Ginas kühnste Erwartung. „Sehr gern, solange du mir eine Stunde gibst, um mich fertig zu machen.“ Sie warf einen kurzen Blick in den Spiegel. „Besser zwei Stunden“, sagte sie trocken.

„Dann hole ich dich um neun Uhr ab.“

„Perfekt. Und Mikos, vielen Dank für die Blumen. Sie sind wunderschön.“

„Wie du“, erwiderte er heiser und legte auf.

Sie ließ den Telefonhörer langsam sinken, dann tanzte sie spontan und übermütig – auf einem Bein humpelnd – über den weichen Teppich. Ihre Mutter kam ohne sie zurecht, und sie selbst hatte eine Verabredung mit dem aufregendsten Mann, dem sie jemals begegnet war. Wenigstens für eine Weile hatte sich ihre Welt in vollkommene Harmonie verwandelt. Es war ein tolles Gefühl, das sie genießen wollte, ohne sich Sorgen um den nächsten Tag zu machen.

4. KAPITEL

„Der Besitzer dieses Lokals“, verriet Mikos, als sie sich in ein winziges Restaurant setzten, „serviert den besten Ouzo von Athen – vielleicht sogar von ganz Griechenland.“

Aber Gina war es völlig gleichgültig, ob der Wirt ihr Ouzo oder Abwaschwasser vorsetzte. Sie war viel zu verzaubert von ihrer Umgebung und vor allem von ihrem Begleiter.

Das Restaurant befand sich in der Ecke eines kleinen Platzes ganz oben auf dem Lykabettos Hill. Ganz Athen lag ihr praktisch zu Füßen, in Tausende bunte Lichter getaucht, und ständig dominiert von der eindrucksvollen Akropolis. Hinter ihnen bewuchs wilder Wein die meisten Hauswände, und über den roten Dächern wippten riesige Palmblätter in der Abendbrise.

Nach vielem Hin und Her vor ihrem Kleiderschrank hatte Gina sich schließlich für einen weißen Baumwollstufenrock mit dezenten Silberfäden und einem dazu passenden Neckholderoberteil entschieden. Ihr verletzter Zeh zwang sie flache Schuhe zu tragen, und so hatte sie ihrem Outfit mit einem knallroten Gürtel den nötigen Pep verliehen.

Das Hotel hatte ihr den verlorenen Zimmerschlüssel ersetzt, sie jedoch ermahnt, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Aber da Gina ohnehin nichts von sonderlichem Wert besaß, machte sie sich keine allzu großen Sorgen um mögliche Diebe.

Nur ihr Pass und ihre Reisetickets waren ihr wichtig: für den Fall, dass sie spontan nach Hause gerufen wurde. Deshalb waren diese Unterlagen ab sofort im Hotelsafe deponiert.

Verträumt betrachtete sie Mikos, der ihr direkt gegenübersaß. Das Kerzenlicht verlieh seiner bronzefarbenen Haut einen goldenen Schimmer, und seine Kleidung war an diesem Abend angenehm leger. In so einen Mann konnte eine Frau sich leicht verlieben …

Gina war sich nicht bewusst, dass sie ihn anstarrte, bis er von seiner Speisekarte aufsah. „Bist du hungrig?“

Und wie! entgegnete sie in Gedanken. Aber anders als du denkst! „Ein wenig“, sagte sie ausweichend.

Sie bestellten den berühmten Ouzo, der sofort zusammen mit einem Krug Eiswasser gebracht wurde, Grillfleisch und viel Gemüse. Mikos wechselte ein paar Worte mit dem Kellner, und beide lachten, so als ob sie sich schon lange kannten.

„Du kommst bestimmt oft hierher“, bemerkte Gina, nachdem sie wieder allein waren.

„Mindestens einmal in der Woche“, antwortete er. „Mein Apartment ist ganz in der Nähe.“

„Und wo wohnt Mr. Tyros?“

„Er hat eine Stadtwohnung in Kolonaki und ein Anwesen auf Evia mit Blick auf die Ägäis.“ Mikos mischte das Eiswasser mit dem klaren Ouzo, und das Getränk wurde milchig trüb. „Früher ist er nur am Wochenende auf die Insel gefahren und hat die Woche über in Athen verbracht. Aber in letzter Zeit bleibt er länger auf Evia, besonders im Sommer.“

„Und du besitzt auch eine Art Feriendomizil?“, erkundigte sie sich und nahm dankend ihr Glas entgegen. „Eine Insel?“

Petaloutha, das bedeutet Schmetterling“, erklärte er. „Ein magischer Ort weiter südlich inmitten der Kykladen.“

„Verbringst du viel Zeit dort?“

„Wann immer ich kann. Mit anderen Worten: die meisten Wochenenden.“

„Aber nicht dieses Wochenende.“

„Nein.“ Sein Blick wärmte sie buchstäblich von innen. „Dieses Wochenende hält mich eine andere Magie gefangen.“

Zum Glück erschien in diesem Augenblick ihr Essen, denn Gina wäre darauf keine passende Antwort eingefallen. Deswegen lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Spezialitäten, die vor ihr ausgebreitet wurden: Oliven, sonnengetrocknete Tomaten, Zaziki, Calamares und natürlich ofenfrisches Brot. Nur einen Teller mit kleinen Fleischstücken vermochte sie nicht zu identifizieren.

„Griechische Blutwurst vom Lamm und Schwein, gewürzt mit Pfeffer und Orangenschale“, erklärte Mikos. Er stieß mit seinem Glas gegen ihres. „Trinken wir auf einen Abend der Entdeckungen – für uns beide.“

„Cheers!“, gab sie zurück und nahm tapfer einen großen Schluck von ihrem Drink.

„Nimm lieber kleine Schlückchen“, riet er ihr lachend, als sie sich prompt verschluckte und einen Hustenanfall bekam. „Die ganze Nacht liegt noch vor uns, agape mou.“

„Wenn wir schon dabei sind, uns besser kennenzulernen“, begann sie und fasste sich ein Herz. „Ich bin nach Griechenland gekommen …“

„Stopp!“, unterbrach er sie und legte seine Hand auf ihre. „Ich weiß schon, warum du hierhergekommen bist. Und ich weiß, dass du innerlich so schön bist wie äußerlich. Ich höre Musik in deiner Stimme. Deine Augen verraten, wie leidenschaftlich und großzügig deine Seele ist. Mir reicht das, mehr muss ich nicht wissen. Und wenn du mich nun auf Abstand halten willst, hättest du dich nicht von mir küssen lassen sollen.“

„Du hast mich doch gar nicht geküsst. Jedenfalls nicht heute“, fügte sie leise hinzu und lächelte.

„Noch nicht.“ Er lächelte breit. „Endlich lächelst du wieder. Ich bin fünfunddreißig, Gina. Alt genug, um zu wissen, was ich will. Erfahren genug, um Menschen zu durchschauen. Und schlau genug, ein Geschenk zu erkennen, wenn es mir präsentiert wird.“

„Trotzdem“, warf sie ein und runzelte leicht die Stirn.

„Glaubst du denn, du kennst alle Geheimnisse von mir? Jeder hat eine Vergangenheit, karthula mou, und wir müssen alle mit den Konsequenzen unserer Fehler leben. Aber heute und morgen sind zwei Tage, die wir frei und ungezwungen gestalten können!“

Es war ein verwegener Plan, und Gina dachte lange darüber nach. Die Atmosphäre um sie herum ließ ihr schließlich keine andere Wahl, als das Wagnis einzugehen. Mikos war ein Traummann. Und wenn sie nach Kanada zurückfliegen musste, würde zumindest sein Herz noch intakt sein. Gina hatte sich also nichts vorzuwerfen …

„Warum guckst du so ernst?“, wollte er wissen.

„Ich frage mich“, begann sie leise, „was deine griechischen Koseworte zu bedeuten haben.“

„Sie bedeuten Liebling“, antwortete er mit rauer Stimme. „Mein Liebling, meine Gina.“

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihre Emotionen schäumten über. „Weißt du, ich habe plötzlich gar keinen Hunger mehr.“

„Hast du vorher schon gegessen?“

„Nein, seit gestern Abend nicht mehr.“

Jetzt verstand er ihre Anspielung und drückte mit einem Lächeln ihre Hand. „Dann musst du etwas essen.“ Er dippte ein Stück Brot in das Zaziki. „Hier, fang damit an.“

Er war so fürsorglich, und das gefiel Gina am meisten. Es war unendlich lange her, seit einmal jemand für sie gesorgt hatte.

Ganze drei Stunden schlemmten sie in dem zauberhaften Restaurant, bis sie schließlich satt und zufrieden mit einem Espresso und einem Metaxa beisammen saßen. Beiden war klar, dass in diesem Augenblick, da das Essen beendet war, die eigentliche Nacht begann.

„Kommst du mit zu mir?“, fragte er unumwunden, als sie wenige Minuten später über den Platz spazierten.

„Ja“, sagte sie und nahm seine Hand.

Erstaunt stellte Gina fest, dass er das gesamte Obergeschoss eines riesigen Hauses bewohnte, das modernisiert worden war, ohne ihm seinen ursprünglichen Charme zu rauben.

Oben im großzügigen Foyer zierten abstrakte Kunstwerke die Wände, und durch den Wohnbereich konnte Gina direkt auf eine atemberaubende Dachterrasse mit Swimmingpool blicken. Zitronenbäume wuchsen aus großen Blumentöpfen, und unzählige Blumen verwöhnten das Auge mit einem Blütenmeer. Zwei Sonnenliegen standen einladend unter einem gestreiften Schirm am Pool.

Die Inneneinrichtung war elegant und passte gut zu dem schönen Marmorfußboden und den antiken Tür- und Fensterrahmen. Die wenigen Dekorationsstücke waren sehr sorgfältig und geschmackvoll ausgewählt und passten hervorragend in ihre Umgebung.

Mikos entschuldigte sich und ging telefonieren, während Gina auf eigene Faust einen Streifzug durch das Luxusapartment machte. Und Mikos hatte nichts dagegen, sondern hatte sie dazu sogar ermuntert.

Alles war makellos, sogar die aufgereihten glänzenden Herrenschuhe im offenen Flurschrank. Interessiert betrachtete Gina ein paar Fotos, die auf einem Beistelltisch standen, unter anderem auch das Foto einer Frau. Den Kleidern und der Frisur dieser Frau nach zu urteilen musste das Bild etwa dreißig Jahre alt sein. Seine Mutter in jungen Jahren?

Neugierig nahm Gina das Bild an sich und drehte es sogar um, in der Hoffnung, auf der Rückseite vielleicht einen Hinweis zu finden.

Das ist genauso schlimm, wie bei seinem Gastgeber die Schränke zu durchwühlen! hätte Ginas Mutter in diesem Moment gesagt. Zumindest vor ein paar Jahren, als ihr solche Dinge noch etwas ausgemacht haben.

Hastig stellte sie die Fotografie zurück und wandte sich stattdessen den gläsernen Terrassentüren zu. Sie bemerkte nicht, wie Mikos von hinten an sie herantrat, bis er einen Arm um ihre Taille legte. „Wir können uns nachher eine kleine Abkühlung im Pool gönnen, wenn du magst.“

„Ich habe keinen Badeanzug mitgebracht“, sagte sie und rang nach Luft. Seine Nähe machte sie atemlos.

„Und du würdest ihn auch nicht tragen, selbst wenn du ihn mitgebracht hättest“, lachte er und bemerkte dann ihren verschlossenen Gesichtsausdruck. „Hast du Angst vor mir, Gina?“

„Nein“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. „Ich habe Angst vor mir selbst und vor den Gefühlen, die du in mir auslöst. Wenn ich bei dir bin, scheint der Rest der Welt stillzustehen.“

„Ich weiß“, sagte er heiser. „Mir geht es genauso, schon von dem Moment an, als wir uns begegnet sind. Es ist so, als hätte ich ein Leben lang auf dich gewartet, und endlich haben wir zueinandergefunden.“

Sie hielt den Atem an, als er sie in seine Arme nahm, und sie sein körperliches Verlangen deutlich spürte. „Darf ich dich lieben, Gina?“, flüsterte er.

Energisch verwarf sie jegliche Vernunft und seufzte: „Ja.“

Danach sprachen sie kein Wort mehr, denn ihre Körper fanden eine eigene Sprache miteinander. Ohne Scheu zogen sie sich gegenseitig aus und berührten sich, so als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen – vielleicht lange vor ihrem jetzigen Leben.

Ihr erster Orgasmus durchfuhr Gina, als sie noch mit Mikos nackt im Wohnzimmer stand. Er beugte sich über sie, sog sachte an einer Brustspitze und streichelte Ginas Hüften. In dem Augenblick, als er seine Hand zwischen ihre Beine schob und sie mit seiner Fingerspitze massierte, explodierte sie. Halt suchend sackte sie gegen ihn, während ihr Körper von Wellen der Lust erbarmungslos geschüttelt wurde.

Behutsam nahm Mikos sie auf seine Arme und trug sie in sein Schlafzimmer. Durch riesige Panoramafenster schien der Mond hinein und brachte die weißen Decken und Kissen auf dem Bett zum Leuchten.

Es war ein herrliches Gefühl, ohne Kleider mit Mikos auf der weichen Matratze zu liegen und seinen Köper überall streicheln zu dürfen.

Ohne auf ihr protestierendes Gemurmel zu hören, bahnte sich Mikos mit seiner Zunge einen Weg über ihren Bauch, um dann die sensibilisierte Stelle zwischen ihren Beinen zu liebkosen. Ein zweiter Orgasmus raubte Gina die Sinne – dieses Mal so heftig, dass sie leise aufschrie.

Beruhigend streichelte er ihre Oberschenkel, bis sie wieder normal atmete, dann legte er sich halb auf sie. Ungeduldig zog Gina ihn zu sich und konnte es nicht erwarten, ihn ganz in sich zu spüren. Stöhnend warf sie ihren Kopf zur Seite, als er endlich in sie eindrang, nachdem er sich geschützt hatte.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ihre magnetische Anziehungskraft sich in einem Feuerwerk der Lust entlud und sie beide in ein anderes Universum riss. Sie besaßen sich gegenseitig und klammerten sich nach Atem ringend aneinander fest, bis sie langsam wieder in das Hier und Jetzt eintraten.

Gina spürte noch die Wärme seines letzten Kusses auf ihren Lippen und fragte sich, wieso sich während der letzten Stunde nicht die ganze Welt geändert hatte. Der Mond schien noch immer still zum Fenster hinein, und die Sterne funkelten unbeeindruckt am Nachthimmel vor sich hin.

Für Gina selbst würde das Leben nie wieder so sein wie bisher. Mikos hatte sie verändert. Nicht weil er ihr als Liebhaber Dinge über ihren Körper beigebracht hatte, die ihr selbst die letzten achtundzwanzig Jahre verborgen geblieben waren. Sondern weil er der ehrlichste Mann war, den sie sich in dieser Hinsicht vorstellen konnte.

Er machte keinen Hehl aus seinem Wunsch mit ihr zu schlafen. Und er schützte sich, ohne lange darüber zu reden, warum er Kondome in seinem Nachttisch aufbewahrte. Er war alles, was ihr Exverlobter nicht gewesen war: stark genug, sich nicht vor der Wahrheit verstecken zu müssen.

Wie oft Paul betont hat, er würde das Beste für Gina tun wollen. Dabei wollte er einfach ihre Mutter nicht als Teil ihrer Beziehung akzeptieren. Er behauptete, es sei nicht fair von ihm, sie in der Verlobung zu binden. Dabei war sein trauriger Gesichtsausdruck ebenso falsch wie seine Worte.

Du musst in erster Linie an Maeve denken! Ich kann doch nicht verlangen, dass du dich auch noch um mich kümmerst. Es bricht mir das Herz, aber ich gebe dich frei und entbinde dich von deinem Heiratsversprechen.

Danke, Paul! dachte sie in diesem Moment. Du weißt gar nicht, was für einen Gefallen du mir getan hast.

Zufrieden seufzte sie und drehte sich zu dem Mann um, der erschöpft neben ihr lag. Sie musste sichergehen, dass sie sich nicht alles nur eingebildet hatte.

Er war echt und erwiderte ihren Blick sehr intensiv. „Itan katapliktiko!“, hauchte er. „Das war unglaublich!“

„Unglaublich“, stimmte sie überwältigt zu und prägte sich diesen Augenblick für immer in ihrem Herzen ein.

Sie war nicht so naiv zu glauben, dass er sich in so kurzer Zeit ernsthaft in sie verlieben könnte. Was sie miteinander teilten, war nicht automatisch für die Ewigkeit. Es war ein seltenes, kostbares Geschenk, solange es auch dauern mochte.

Danach fand Mikos’ Leben hier in Griechenland statt, während sie selbst am anderen Ende der Welt weiterlebte. Aber jetzt wollte sie jeden Moment voll auskosten und in ihrer Erinnerung verwahren.

Das muss reichen, dachte sie verschlafen. Es muss!

Während sie schlief, dachte Mikos darüber nach, wie jung sie aussah. Der Schlaf hatte das kleine Stirnrunzeln verschwinden lassen, das manchmal ihre Miene trübte.

Ganz sachte deckte er sie zu. Dieses bezaubernde Wesen war den Sommer Athens nicht gewohnt. Hier stand der Sonnenuntergang für den Beginn einer Nacht, die meistens erst im Morgengrauen endete.

Für ihn selbst kam Schlaf gar nicht in Frage. Ihr Geschmack lag ihm noch immer auf der Zunge, und ihre erstickten leisen Schreie lauerten noch immer in seinen Ohren. Wenn er seine Augen schloss, sah er ihre wohlgeformten Beine und ließ seinen Blick hinauf zum Dreieck ihrer zarten Härchen wandern und erkannte den Weg, den sie ihm zeigte …

Leise schlich er sich ins Badezimmer. Er fand Gina einfach unwiderstehlich – alles an ihr faszinierte ihn. Sie war nicht nur eine kurze Affäre, die man schnell wieder vergaß.

Er liebte ihr Temperament und ihre scharfe Zunge. Wie sie ihre Krallen ausgefahren und ihm ins Gesicht gesagt hatte, dass sie sich von ihm nicht auf dem Rücksitz eines Autos nehmen lassen würde. Er lachte leise beim Gedanken daran.

Und er liebte den abwesenden Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn sie etwas betrachtete, was sie zuvor nie gesehen hatte. Ihr wunderschöner Körper beherbergte einen noch schöneren Geist. Einen Geist, den ein Mann lieben konnte, wenn er nicht vorsichtig war.

Verliebte er sich in sie?

Erschrocken erstarrte er bei dieser Vorstellung. Mit der wahren Liebe kannte Mikos sich nicht aus. Jemanden zu mögen, ihn zu respektieren, zu bewundern oder auch zu begehren – damit war er vertraut.

Aber abgesehen von seinen ersten Lebensjahren war er mit Liebe nie wirklich in Berührung gekommen. Nicht seit dem Tod seiner Mutter, weder als Kind noch als Mann. Und er hatte niemandem außer ihr jemals seine aufrichtige Liebe entgegengebracht. Höchstens Angelo, der wie ein Vater für ihn gewesen war, als es sonst niemanden gab …

Was brachte ihn dann an den Punkt, dass er einer Frau seine Liebe gestehen wollte? Einer Frau, die er überprüfen ließ, bevor er ihr vertraute?

5. KAPITEL

Langsam kam Gina wieder zu sich und wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie gerade war. Ihre Lippen, ihre Brüste, ihre Schenkel – alles fühlte sich anders an, sensibler.

Dann fiel ihr ein, was geschehen war. Mikos’ Arme, die Ekstase, die sie gemeinsam erlebt hatten, und sofort reagierte ihr Körper auf die Erinnerung mit erneutem Verlangen.

Allerdings war sie allein, wie sie feststellen musste. Unter der Schlafzimmertür nahm sie einen schwachen Lichtschein wahr, und sie hörte das Geräusch der laufenden Dusche.

Das Badezimmer war gigantisch, viel größer als ihr erstes eigenes Schlafzimmer. Die Badewanne war in den Boden eingelassen und befand sich auf einer Empore, die einen herrlichen Blick auf einen Teil der privaten Terrasse bot.

Die großzügig geschnittene gläserne Dusche war nicht beschlagen, sodass Gina einen ungetrübten Blick auf Mikos’ perfekten Körper hatte. Verträumt wie eine Schlafwandlerin stieg sie in die Kabine, schlang die Arme von hinten um ihn und küsste eine kleine Narbe, die sich knapp über seinem linken Schulterblatt befand.

Für den Bruchteil einer Sekunde war er wie versteinert, seine Muskeln waren angespannt, dann ließ er seine Hand über ihren Rücken gleiten und berührte schließlich ihren Po. Er presste ihre Schenkel gegen seine und schob mit der anderen Hand ihre eigene hinunter zu seiner harten Männlichkeit.

Obwohl das Wasser recht kühl war, fühlte sich seine Haut warm an. Heiß und begehrenswert.

Mit einer schwungvollen Bewegung drehte er sich um, packte ihr Hinterteil mit beiden Händen, hob sie hoch und legte ihre Beine um seine Taille. Dann drückte er sie mit dem Rücken gegen die Glaswand und drang tief in sie, während Gina sich ganz dem Gefühl hingab, ihn an der richtigen Stelle zu wissen.

Sie gab sich ihm widerstandslos hin, und bereits nach wenigen Momenten trieb er sie zu einem Höhepunkt, der ihre kühnsten Träume übertraf.

Ohne es zu merken, vergrub sie sich tief in seine Schulter, während er ihren Kopf umfasste und ihn an seine Brust zog. Dabei murmelte er beruhigende Worte auf Griechisch.

Ihre eigene Reaktion auf ihn schockierte Gina, und sie ließ sich schwer gegen seine Brust fallen, auf der Suche nach Wärme und Trost. Er durfte ihr einfach nicht so viel bedeuten, nicht nach dieser kurzen Zeit!

„Ich habe Angst“, schluchzte sie plötzlich.

„Angst wovor, karthula mou?“

„Dass es zu schnell geht. Du ziehst mich zu tief in deine Welt, und ich gehöre nicht dorthin. Wir müssen reden, Mikos.“

Behutsam ließ er sie los, drehte das Wasser wärmer und seifte sie mit Duschgel ab. Danach führte er sie aus der Kabine und hüllte sie in ein weiches Badetuch. „Ich mache uns einen Kaffee. Und dann sehen wir uns den Sonnenaufgang an und besprechen, was es zu besprechen gibt“, versicherte er ihr aufmunternd. „Aber eines musst du wissen. Du brauchst niemals Angst zu haben, solange ich da bin. Ich kümmere mich um alles.“

Einfache Worte, denen Gina gern Glauben geschenkt hätte.

Als sie wenig später zusammen in der Küche saßen, hatte Gina den Eindruck einer klassischen Junggesellenküche. Viele Geräte, aber die wenigsten waren je benutzt worden.

„Kochst du nicht gern?“, wollte sie wissen.

Er lachte. „Überhaupt nicht. Du etwa?“

„Ich habe mich daran gewöhnt. Ich musste, und ich finde es wichtig, dass du den Grund dafür erfährst.“

„Das will ich auch, Gina“, versicherte er ihr. „Setz dich mit mir auf die Terrasse und lass uns unsere Entdeckungsreise fortsetzen.“

Sie setzten sich auf die Liegen am Pool und hielten die Kaffeebecher in ihren Händen.

„Wo fangen wir an?“, fragte er. „Bei dir oder bei mir?“

„Bei mir“, sagte sie mit überzeugter Stimme. „Mikos, ich habe dich ein wenig getäuscht. Ich bin zwar hier, um einen Artikel zu schreiben, allerdings ist das eine einmalige Sache. Eigentlich arbeite ich nicht mehr für das Magazin, schon seit Jahren nicht mehr. Ich bin also nicht ganz die, für die du mich hältst. Das wollte ich dir schon früher sagen, aber du wolltest es nicht hören, und ich wollte uns auch nicht den Abend verderben.“

„Ich verstehe.“

Im Grunde verstand er gar nichts. Sie schienen sich in Sekundenschnelle voneinander zu entfernen, und die Luft um sie herum wurde spürbar kälter.

Gina schluckte. Es war nicht fair, dass ihre Mutter in dieser furchtbaren Krankheit gefangen war. Es war nicht fair, dass Geld in ihrem Leben und in Bezug auf ihre Entscheidungen eine so große Rolle spielte. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“

„Der Anfang bietet sich meist an“, sagte er etwas ironisch.

Nicht in diesem Fall, dachte sie. Der Anfang würde warten müssen, bis sie den Boden dafür bereitet hatte.

„Okay, ich bin also keine Journalistin mehr, sondern ich führe eine kleine Frühstückspension.“

Offenbar hatte er etwas anderes erwartet. „Ganz allein?“

„Ja.“

„Ist das nicht ein bisschen viel für eine Person?“

„Doch.“

„Und gefällt es dir?“

„Nein“, gab sie zu.

„Warum tust du es dann? Oder besser gefragt: Wieso gibst du etwas vor, das du nicht bist?“

„Weil ich meiner Mutter ein Versprechen gegeben habe.“

„Was für ein Versprechen soll das sein, das eine erwachsene Frau dazu bringt, ihre Identität zu verleugnen?“, fragte er harsch. „Du führst doch kein Bordell!“

„Ich bin vielleicht eine erwachsene Frau, aber meine Mutter, nun, sie ist es nicht. Nicht mehr.“ Sie brach ab. Es fiel ihr schwer, darüber zu sprechen, weil sie ihre Mutter nicht hintergehen wollte. Schlimm genug, dass diese perfide Krankheit sie schon jeder Würde beraubt hatte.

Für einen kurzen Moment war Gina versucht, einfach aus Mikos’ Leben zu verschwinden, ohne die dunklen Geheimnisse ihrer Vergangenheit zu lüften. Andererseits hatte er ihr niemals einen Grund gegeben, an ihm zu zweifeln.

„Meine Mutter“, fuhr sie mit tiefer Stimme fort, „hat Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium.“

Sein Mitleid war ihm anzusehen, als er nach ihrer Hand griff. „Und das ist dein Geheimnis. Oh, Gina, wie konntest du nur denken, dass ich dich nicht verstehe?“

„Niemand versteht es.“

„Ich bin aber nicht jedermann, agape mou. Wahrscheinlich verstehe ich deine Situation besser als sonst irgendwer. Meine eigene Mutter ist auch unverschuldet zum Außenseiter geworden. Sie war Anwältin und hat den damals regierenden Diktator Papadopoulos öffentlich kritisiert. Sie kam ins Gefängnis und ist dort von einem der Wachmänner vergewaltigt worden.“

„Mein Gott!“, rief Gina entsetzt.

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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