Julia Extra Band 452

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EINE VILLA AM SEE, EIN TRAUM VON LIEBE von MILBURNE, MELANIE
Sechs Monate? Sechs Sekunden an Cristianos Seite wären schon zu viel! Nur um ihren Beauty-Salon zu retten, stimmt Alice der Zweckehe zu. Doch als der Millionär sie in seiner Villa am Lago Maggiore fordernd in seine Arme zieht, verliert das Wort "Zeit" plötzlich seine Bedeutung …

RACHE, KÜSSE, LEIDENSCHAFT von BLAKE, MAYA
Allein ihren Namen aus Ramon Acostas Mund zu hören berauscht ihre Sinne. Und ein Kuss setzt sie in Brand. Doch die scheue Suki weiß, mit dem Milliardär wird sie nie mehr teilen als diese eine Nacht! Ein Irrtum. Denn nach einer Tragödie verlangt Ramon etwas völlig Absurdes von ihr …

DER SCHEICH UND DAS PARTYGIRL von GILMORE, JESSICA
Saskia ist empört! Schlimm genug, dass Scheich Idris Delacour sie einst im Stich ließ! Aber sie nach dem Tod des Königs, dessen Kind sie austrägt, zu erpressen, stellt alles in den Schatten! Warum soll sie ihm helfen, sein Wüstenreich zu retten, wenn Idris sie für ein Partygirl hält?

BELÜG MICH NICHT, PRINZESSIN! von CREWS, CAITLIN
Achilles Casilieris spürt es vom ersten Moment an: Nicht seine Assistentin sitzt mit ihm im Jet, sondern ihre Doppelgängerin Prinzessin Valentina! Dass sie ihn hemmungslos anlügt, ist eine Sache, aber dass die Schönheit ein nie gekanntes Verlangen in ihm weckt, eine ganz andere …


  • Erscheinungstag 24.07.2018
  • Bandnummer 0452
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710842
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Melanie Milburne, Maya Blake, Jessica Gilmore, Caitlin Crews

JULIA EXTRA BAND 452

MELANIE MILBURNE

Eine Villa am See, ein Traum von Liebe

Damals hat Alice ihn eiskalt verlassen! Um jetzt sein Erbe anzutreten, muss Cristiano sie heiraten – für ein halbes Jahr. Doch der Millionär denkt nicht an ein Spiel auf Zeit, sondern an Rache …

MAYA BLAKE

Rache, Küsse, Leidenschaft

Für Hoteltycoon Ramon Acosta ist Suki eine Lügnerin! Sie hat nicht nur ihn getäuscht, sondern auch seinen verstorbenen Bruder! Doch warum kann er nur daran denken, sie zu küssen, bis sie besinnungslos ist?

JESSICA GILMORE

Der Scheich und das Partygirl

Partygirl Saskia soll über die Zukunft seines Landes entscheiden? Für Scheich Idris Delacour ein Desaster, das er verhindern muss! Aber lässt sich die eigensinnige Schönheit wirklich zähmen?

CAITLIN CREWS

Belüg mich nicht, Prinzessin!

Als Prinzessin Valentina kurz vor ihrer Hochzeit einer Doppelgängerin begegnet, tauscht sie aus Spaß mit ihr den Job. Doch ihr umwerfender Chef raubt ihr nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz …

1. KAPITEL

Das Erste, was Alice an diesem Morgen, als sie zur Arbeit kam, registrierte, war der Brief auf ihrem Schreibtisch. Irgendetwas an dem leicht übertrieben erscheinenden Umschlag bewirkte, dass sich ihr die Nackenhaare sträubten. Bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass es sich bei dem Absender um eine italienische Anwaltskanzlei handelte. Was wollten die von ihr?

Als ihr Blick auf den Poststempel fiel, stockte ihr der Atem. Mailand.

Cristiano Marchetti lebte in Mailand.

Ihre Finger begannen zu zittern. Er war doch nicht etwa … tot? Ein heißer Schmerz durchzuckte sie. Ihre Brust hob und senkte sich schnell unter ihren heftigen Atemstößen, das Herz klopfte ihr laut in den Ohren.

Oh, nein …

Konnte es wirklich sein, dass ihr das entgangen war? Darüber hätten die Medien doch bestimmt berichtet, oder? Wo sein Name ständig irgendwo erwähnt wurde. Die glamourösen Frauen, mit denen er ausging. Die hochkarätigen Events, an denen er teilnahm. Die Partys und Nachtclubs, die er besuchte. Cristiano konnte nicht einmal sein Hemd wechseln, ohne dass darüber geschrieben wurde.

Alice riss den Umschlag auf und überflog das kurze Anschreiben, aber sie verstand kein Wort. Vielleicht lag das ja auch an dem Tohuwabohu, das plötzlich in ihrem Kopf herrschte, entfesselt von einer Flut unerwünschter Erinnerungen. Erinnerungen, die sie in den vergangenen sieben Jahren rigoros verdrängt hatte. Weil zu befürchten stand, dass sie etwas bereuen könnte, und das durfte nicht sein. Sie hatte so weiche Knie, dass sie blind nach ihrem Stuhl tastete und sich, das Anschreiben noch immer in der Hand, setzte.

Doch halt …

Nicht Cristiano war gestorben, sondern Volante Marchetti, seine Großmutter. Bei ihr und seinem Großvater Enzo hatte Cristiano gelebt, nachdem seine Eltern und sein älterer Bruder tödlich verunglückt waren. Damals war Cristiano elf gewesen.

Mit gerunzelter Stirn ließ Alice den Blick über das Dokument schweifen, das dem Anschreiben beilag. Erst auf den zweiten Blick sah sie zu ihrem größten Erstaunen, dass sie neben verschiedenen anderen Personen als Erbin benannt wurde. Wie konnte das sein? Wie kam Cristianos Großmutter ausgerechnet auf sie? Alice hatte die alte Dame nur zweimal getroffen.

„Da ist jemand für Sie, Alice“, verkündete Meghan, ihre Mitarbeiterin, von der Tür her. Alice schaute auf den Kalender und runzelte die Stirn. „Wieso? Meine erste Kundin kommt erst um zehn. Clara Overton hat abgesagt, eins ihrer Kinder ist krank.“

Vielsagend zog Meghan die Augenbrauen in die Höhe. „Es ist ein Mann“, flüsterte sie theatralisch.

Alice hatte mehrere männliche Kunden, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass dieser Mann keiner von ihnen war. Ihre Haut kribbelte in Vorahnung einer drohenden Gefahr, als wären ihre Nerven mit einem Radar ausgestattet, das ein schwaches, aber unmissverständliches Signal empfing. Ein Signal, das sie aus ihrer Erinnerung gelöscht hatte. Schnell rutschte sie mit ihrem Stuhl zurück, um aufzustehen, aber dann beschloss sie, doch lieber sitzen zu bleiben. Auf ihre Beine war kein Verlass. Nicht wenn der Besucher Cristiano Marchetti war. „Sagen Sie ihm, dass ich ihn in zehn Minuten empfange.“

„Das kannst du mir selbst sagen.“

Ruckartig hob Alice den Kopf, sah zur Tür – und direkt in ein Paar dunkler Augen. Oh Gott, da war er … Er war es wirklich, in Fleisch und Blut, nicht auf einem Foto in irgendeinem Hochglanzmagazin. Vor Schreck blieb ihr beinah das Herz stehen. Himmel, ich weiß wirklich nicht, ob ich das packe.

Ihre Stimme versagte. So wie er da vor ihr aufragte, schien ihr Büro auf die Größe einer Taschentuchbox zusammenzuschrumpfen. Die Schultern so breit, als ob er Bankdrücken mit einem Bulldozer gemacht hätte … oder gleich mit zweien. Schmale Hüften, lange Beine. Pechschwarzes volles Haar, in lockeren Wellen aus der Stirn gekämmt.

„Hallo, Cristiano. Was führt dich in Alices Wunderland der Schönheit?“, fragte sie betont heiter. „Willst du dir die Augenbrauen zupfen lassen? Oder steht dir der Sinn nach einer Typveränderung?“

Alice wusste, dass es idiotisch war, ihn zu provozieren, aber egal. Es war ihre Verteidigungsstrategie. Sarkasmus statt Emotionen. Sich bloß nicht anmerken lassen, dass er durch sein unerwartetes Auftauchen ihre sorgfältig geordnete Welt durcheinanderwirbelte. Der Boden unter ihren Füßen geriet ins Wanken, während sie in der elektrisch aufgeladenen Atmosphäre die Kontrolle zu verlieren drohte.

Langsam ließ er den unergründlichen Blick über ihr Gesicht schweifen. Zwischen seinen Augen erschien eine Falte, die ihm eine noch einschüchterndere Ausstrahlung verlieh. Früher hatte er sie zärtlich angesehen. Sanft. Liebevoll.

Eine Liebe, die sie zurückgewiesen hatte.

„Hast du sie dazu angestiftet?“, fragte er.

Alice legte die Hände auf ihre Oberschenkel unter dem Schreibtisch, damit er das verräterische Zittern nicht sah. „Ich vermute, du sprichst von deiner Großmutter?“

In seinen Augen blitzte etwas auf. Bitterkeit. Wut. Und noch etwas, das sie ignorieren wollte, es aber trotzdem fühlte. Ein feuerspeiendes Ungeheuer, das Erinnerungen weckte. Erotische Erinnerungen, die ihr Blut in Wallung brachten. „Hattest du in den letzten sieben Jahren Kontakt zu ihr?“, fragte er in demselben scharfen Ton.

„Nein. Wie käme ich dazu?“ Alice warf ihm einen bohrenden Blick zu. „Ich habe deinen Heiratsantrag abgelehnt, erinnerst du dich?“

Er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass sich die Muskelstränge unter seiner olivfarbenen Haut abzeichneten. „Und warum hat sie dich dann in ihrem Testament bedacht?“

„Keine Ahnung. Ich habe sie nur zweimal getroffen, als wir … na ja … damals eben.“

Er schaute auf das Testament, das vor ihr auf dem Schreibtisch lag. „Hast du es gelesen?“

„Ich war gerade dabei, als du hier reingeplatzt bist.“

Er nagelte sie mit Blicken fest. Aus stahlharten Augen. Augen, die mit einem einzigen Blick den gesamten Wachsvorrat des Salons zum Schmelzen bringen konnten, wie sie aus Erfahrung wusste. „Gut, dann lass es mich kurz zusammenfassen. Du erbst eine Hälfte der Villa meiner Großmutter in Italien. Unter der Voraussetzung, dass du bereit bist, mich zu heiraten und mindestens sechs Monate mit mir zusammenzuleben. Darüber hinaus sollst du nach Bekanntgabe unserer Verlobung bereits eine nette Geldsumme erhalten.“

Alice war so geschockt, dass ihr die Luft wegblieb. Sie sollte … ihn heiraten?

Blind tastete sie nach dem Dokument, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen.

Es stimmte.

Wieder und wieder las sie die Worte, rang nach Atem wie bei einer Asthma-Attacke, ihr Herz hämmerte. Warum hatte sie heute Morgen kein Make-up aufgelegt? Warum hatte sie nicht eine neue Uniform angezogen statt dieser hier mit dem Farbfleck auf der rechten Brust? Und warum, um Himmels willen, hatte sie ihre Augenbrauen nicht gezupft?

Da stand es schwarz auf weiß.

Sie war Miterbin von Volante Marchettis Villa am Lago Maggiore, aber nur wenn sie Cristiano heiratete und sechs Monate mit ihm verheiratet blieb. Sechs Monate? Sechs Sekunden wären schon zu viel. Dazu auch noch vier Wochen Verlobungszeit. Das war total verrückt. Sie war so aufgeregt, dass ihre Finger beim Umblättern zitterten, was Cristiano ganz offensichtlich nicht entging. Aber wenigstens wusste er nicht, was für ein Chaos in ihr herrschte.

Sie … seine Frau?

Mit ihm leben?

Sie dachte an das denkwürdige Wochenende, das sie mit Cristiano in der Sommervilla seiner Großmutter verbracht hatte. An die Liebeserklärung, die er ihr dort gemacht und die sie nicht erwidert hatte. Weil ihre Beziehung für sie nur eine heiße, flüchtige Affäre gewesen war und sie ihren Gefühlen nicht getraut hatte. Außerdem hatte sie geplant, in London einen Schönheitssalon aufzumachen, während er wollte, dass sie für immer bei ihm in Italien blieb.

Er wollte, dass sie heirateten und eine Familie gründeten.

Aber Alice war schon immer gegen die Ehe gewesen. Ihr war es wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen. Deshalb hatte sie bei Cristianos überstürztem Antrag prompt Panik bekommen. Schließlich war es praktisch ein Ultimatum gewesen, das er ihr da an jenem Abend gestellt hatte.

Was sie bewogen hatte, das nächste Flugzeug nach England zu nehmen, in der Erwartung, nie wieder von ihm zu hören. Obwohl, wenn sie ganz ehrlich sein wollte, musste sie zugeben, dass das so nicht stimmte. Eigentlich stimmte es überhaupt nicht. Sie hatte sogar fest damit gerechnet, schon sehr bald eine Nachricht von ihm zu erhalten. Dass er sich entschuldigen würde, weil er sie so unter Druck gesetzt hatte. Doch es war nichts gekommen, gar nichts. Was in ihren Augen nur der Beweis dafür gewesen war, dass er sie nicht geliebt hatte. Nicht genug jedenfalls, um wenigstens ein Stück weit auf sie zuzugehen.

Erneut schaute Alice ihm in die funkelnden Augen. „Darauf willst du doch wohl nicht bestehen, oder?“

Um seine Mundwinkel zuckte ein vages Lächeln. „Doch, selbstverständlich. Wie käme ich dazu, nonnas letzten Willen zu missachten?“

Alice zog so fest die Augenbrauen zusammen, dass selbst fünfzig Einheiten Botox wirkungslos geblieben wären. „Und was ist, wenn ich nicht mitmache?“

Er zuckte die Schultern. „Dann gehen ein paar Firmenanteile an einen Verwandten über, mehr nicht.“

Alice fragte sich, wie wichtig ihm diese Anteile sein mochten. Wichtig genug, um eine Frau zu heiraten, die er inzwischen hasste? Würde er versuchen, das Testament anzufechten? Nervös benetzte sie sich die trockenen Lippen. „Dann … Aber warum solltest du eine Frau heiraten wollen, die dich abgewiesen hat?“

Alice erschauerte, als sie das Glitzern in seinen nachtschwarzen Augen sah. „Du weißt, warum.“

Sie hob eine Augenbraue und versuchte das verräterische Pochen zwischen ihren Beinen zu ignorieren. „Was soll das werden? Ein Rachefeldzug? Ich wusste gar nicht, dass du so tickst.“

„Ich will dir entgegenkommen.“

Alice lachte auf. Entgegenkommen war ganz bestimmt kein Wort, das sie mit ihm in Verbindung brachte. Schließlich wollte er stets seinen Willen durchsetzen. Obwohl sie zugegebenermaßen ziemlich ähnlich gestrickt war. Auch ihr sagte man nach, dass sie immer mit dem Kopf durch die Wand wollte. „Entgegenkommen? Inwiefern?“

Er hielt ihren Blick fest, seine Miene undurchdringlich. „Die Ehe wird nicht vollzogen werden.“

Nicht vollzogen werden …? Es war wie ein präzise gesetzter linker Haken in den Magen, aber Alice zuckte mit keiner Wimper. Was sie verspürte, war eine Mischung aus Schmerz und Demütigung. Ihre Affäre war wild und leidenschaftlich gewesen. So etwas hatte sie niemals zuvor – und auch danach nicht – erlebt. Seine Berührungen waren förmlich in ihren Körper eingebrannt. Er hatte sie gezeichnet. Ihre Haut begann zu jucken, wenn ein anderer Mann sie berührte. Deshalb hatte sie seit einem Jahr keine Affäre mehr gehabt.

„Du redest ja fast so, als ob diese absurde Heirat schon beschlossene Sache wäre. Ich habe es dir vor sieben Jahren gesagt und sage es jetzt noch einmal: Ich werde dich nicht heiraten.“

„Sechs Monate sind schnell vorbei. Und am Ende gehört dir die eine Hälfte einer Luxusvilla.“

Aber was war der Preis? Sie wurde gezwungen, einen Mann zu heiraten, der schon einmal versucht hatte, sie zu kontrollieren. Und jetzt versuchte er es wieder.

Aber ohne sie!

Und was ist mit deinem Business-Plan?

Alice war rein zufällig zu einer Art Spezialistin für Hochzeits-Make-up geworden. Obwohl ihr immer noch schleierhaft war, wie das bei ihrer Einstellung zur Ehe überhaupt möglich war. Doch wie auch immer – Hochzeiten hatten sich für sie mittlerweile zu einer sprudelnden Einkommensquelle entwickelt. So sprudelnd, dass sie erwog, in größere Räume umzuziehen, weil es in ihrem Salon in Chelsea schlicht zu eng wurde.

Von diesem Umzug träumte sie seit Monaten … fast seit Jahren. Das Einzige, was sie bisher daran gehindert hatte, ihre Pläne in Angriff zu nehmen, war der Kredit, den sie dafür aufnehmen musste. Schulden machten ihr Angst. Allein der Gedanke, Schulden zu haben, konnte sie die ganze Nacht lang wach halten. Ihre Mutter war früher oft verschuldet gewesen, eine Erinnerung, die sich ihr unauslöschlich eingeprägt hatte.

Nach sechs Monaten Ehe auf dem Papier könntest du deine Haushälfte verkaufen und hättest ausgesorgt.

Für einen kurzen Moment erlaubte Alice dem Gedanken, seine Wirkung zu entfalten. Der Schönheitssalon war ihr Baby, ihre Mission, der Antrieb ihres Lebens. Es war wirklich enorm befriedigend, zu sehen, wie er sich seit seinen Anfängen mit kaum einer Handvoll Kundinnen entwickelt hatte. Inzwischen zählte ihr Salon zu einer der gefragtesten Adressen in der Gegend. Wenn sie ihren Traum, ein Luxus-Hochzeits-Spa zu eröffnen, verwirklichen konnte, hatte sie es geschafft.

Die Möglichkeit eines Scheiterns war nie vorgesehen gewesen.

Nicht nachdem sie ihre Karriere als Ausrede dafür benutzt hatte, Cristianos Heiratsantrag abzulehnen. Eine Karriere, die ihr wichtiger gewesen war als alles andere. Wichtiger als Beziehungen. Als Urlaub. Als Spaß. Sogar wichtiger noch als Freundschaften. Ihre Arbeit hatte für sie immer an erster Stelle gestanden.

Deshalb wäre es das Falscheste, was sie tun könnte, Cristiano jetzt doch noch zu heiraten. Damit würde sie das Problem nur vergrößern.

Eisern entschlossen stand sie auf. „Du hast mich gehört. Und jetzt geh bitte, ich habe zu tun.“

Er hielt ihren Blick unverwandt fest, als wartete er darauf, dass ihre kühle Selbstbeherrschung Risse bekam. „Gibt es da einen Mann in deinem Leben? Sagst du deshalb Nein?“

Was für eine unerträgliche Arroganz. Für ihn war es schlicht unvorstellbar, dass sich ihm eine Frau verweigern könnte, ganz egal in welcher Hinsicht. In diesem Moment wünschte sich Alice, es gäbe tatsächlich einen Mann in ihrem Leben. Sie dachte daran, zu lügen, aber er würde ihr wahrscheinlich sehr schnell auf die Schliche kommen.

„Ich weiß, dass du dich für unwiderstehlich hältst, trotzdem habe ich nicht vor, mich für ein Erbe zu prostituieren.“

Sein Gesicht gab nichts von seinen Gefühlen preis. „Ich wiederhole mich nur ungern, Alice, aber es ist nur eine Formalität.“

Niemand sprach ihren Namen so aus wie er. Aliice. Es klang so sinnlich, dass sie prompt eine Gänsehaut bekam. Als ob er sie gestreichelt, sie liebkost hätte.

Seine Hände.

Unwillkürlich schaute sie darauf. Große, kräftige Hände, die jeden Quadratzentimeter ihrer Haut berührt hatten. Diesen langen braunen Fingern hatte sie ihren ersten richtigen Orgasmus zu verdanken. Überall auf ihrem Körper hatten sie Brandherde entfacht, ihr süße Folterqualen beschert. Das Echo konnte sie jetzt noch spüren.

Als Alice aufschaute, trafen sich ihre Blicke. Er weiß es. Verdammt, er war sich der sinnlichen Macht, die er noch immer über sie hatte, nur allzu bewusst. Sie konnte es in seinen Augen sehen.

Er zog eine Visitenkarte aus der Jackentasche und legte sie auf den Schreibtisch neben das Testament seiner Großmutter. „Hier erreichst du mich, falls du deine Meinung doch noch ändern solltest. Ich habe die ganze nächste Woche geschäftlich in London zu tun.“

Alice ignorierte die Karte. „Ich werde meine Meinung nicht ändern, Cristiano.“

Niemals.

Um seine Mundwinkel spielte ein zynisches Lächeln. „Abwarten.“

Abwarten?

Was meinte er damit? Alice konnte nicht mehr nachfragen, weil er sich bereits umgedreht und ihr Büro verlassen hatte. Zurückgeblieben war nur der nach Zitrone und Leder riechende Duft seines Aftershaves, der ihr in der Nase kribbelte. Und nicht nur dort.

Meghan war immer noch völlig aus dem Häuschen. „Oh mein Gott! Ich wusste ja gar nicht, dass Sie Cristiano Marchetti kennen. Erst habe ich ihn überhaupt nicht erkannt, er sieht ja in echt sogar noch traumhafter aus als auf den Fotos. Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als er an mir vorbei ist, und dann noch dieses umwerfende Lächeln. Was wollte er denn? Hat er sich einen Termin geben lassen? Darf ich ihn übernehmen? Bitte.

Alice hatte nicht die Absicht, ihrer Angestellten zu erzählen, was sie mit Cristiano verband. Auch wenn Meghan eine der tüchtigsten Mitarbeiterinnen war, die sie je gehabt hatte. „Er ist kein Kunde. Ich habe ihn vor ein paar Jahren kennengelernt, und er wollte nur kurz Hallo sagen.“

„Hatten Sie mal was mit ihm?“

Alice hüllte sich in Schweigen und verzog leicht den Mund. Prompt wurde Meghan rot und biss sich auf die Unterlippe. „Entschuldigung. Ich weiß, das geht mich natürlich nichts an. Es ist einfach nur, weil er so toll aussieht und weil Sie nie ausgehen, deshalb dachte ich, vielleicht …“

„Könnten Sie mir meinen Behandlungsraum fertig machen?“, bat Alice. „Ich muss hier dringend noch was erledigen.“

Als Meghan endlich weg war, atmete Alice laut aus. Sieben Jahre lang hatte sie sich eingeredet, dass sie damals die richtige Entscheidung getroffen hatte. Für ihre Freiheit, gegen eine Familie. Und sie hatte es nie bereut. Jetzt bot sich ihr die einmalige Gelegenheit, ihr Geschäft zu erweitern, ohne dass sie einen Kredit dafür aufnehmen musste.

Sie bräuchte nur ihre Einwilligung für eine sechsmonatige Scheinehe zu geben.

Vorsichtig schielte sie auf die Visitenkarte, so wie das Kaninchen auf die Schlange.

Greif zu. Greif zu. Greif zu.

Alice schnappte sich das Kärtchen, zerriss es in winzige Schnipsel, die sie wie Konfetti in den Papierkorb regnen ließ.

Blieb nur zu hoffen, dass das kein Omen war.

Wäre Cristiano ein Gewohnheitstrinker gewesen, hätte er sich jetzt garantiert einen doppelten Whiskey genehmigt. Aber der durch einen Betrunkenen verursachte Unfall, der seine Familie das Leben gekostet hatte, hatte ihn im Umgang mit Alkohol vorsichtig gemacht. Cristiano trank nur zu ganz besonderen Anlässen, wozu das Wiedersehen mit Alice Piper mit Sicherheit nicht gehörte. Noch immer fragte er sich, wie er es geschafft hatte, die Begegnung mit ihr zu überstehen, ohne sich etwas anmerken zu lassen.

Obwohl sein Blut mächtig in Wallung geraten war. Das Herz hatte in seinen Ohren gehämmert, während ihm die Begierde durch die Adern gerauscht war. Er hatte ihren Anblick förmlich in sich aufgesogen – ihr unbewegtes Gesicht, die kornblumenblauen Augen, die, wenn sie es darauf anlegte, sogar Quecksilber erstarren ließen, die Art, wie sie ihn über ihre aristokratisch anmutende Nasenspitze hinweg gemustert hatte. Als ob er aus irgendeinem urzeitlichen Sumpf gekrochen wäre. Sie war noch immer genauso schlank wie damals, schlanker sogar. Ihr silberblondes Haar, das so aufregend mit den dunklen Augenbrauen kontrastierte, kombiniert mit ihrer perfekten Haut, verlieh ihr ein Aussehen, das ihm damals wie heute den Atem raubte.

Ihre Zurückweisung schmerzte selbst nach so langer Zeit unerträglich. Sie war seine große Liebe gewesen und ihre leidenschaftliche Affäre anders als alles, was er vorher erlebt hatte. Er hatte davon geträumt, sich eine Zukunft mit ihr aufzubauen. Eine Familie zu gründen. Weil er aus leidvoller Erfahrung wusste, wie wichtig eine Familie war. Damals war er siebenundzwanzig und schon ein erfolgreicher Unternehmer gewesen. Und bereit, in die nächste Lebensphase einzutreten.

Doch Alice hatte ihn nicht geliebt. Das war eine Erkenntnis, zu der er jedoch erst später gelangt war. Er war damals sträflich naiv gewesen, unverzeihlich romantisch. Dabei war ihm entgangen, dass sie nur ein flüchtiges Abenteuer gesucht hatte.

Was mochte sich seine Großmutter wohl dabei gedacht haben, sie in ihrem Testament zu bedenken? Immerhin war sie Alice nur zweimal begegnet. Wie kam sie dazu, Alice eine Hälfte der großen Villa zu vererben, noch dazu verknüpft mit derart haarsträubenden Bedingungen? Was für ein Unsinn war das?

Er betete zu Gott, dass sich die alte Dame keine falschen Hoffnungen gemacht hatte. Aber sollte sie tatsächlich versucht haben, Alice und ihn noch vom Grab aus zu verkuppeln, musste er sie enttäuschen. Er ließ sich von niemandem vorschreiben, wie er sein Leben zu leben hatte.

Von niemandem. Auch nicht von seiner Großmutter.

Im Fall eines Nichtzustandekommens der Ehe mit Alice sahen die Bedingungen im Testament vor, dass er wertvolle Anteile der Familienfirma an seinen Cousin Rocco abtreten musste. Was wirklich keine gute Idee wäre, weil absehbar war, dass Rocco seine Anteile weiterverkaufen würde, sobald er wieder einmal im Spielkasino verloren hatte. Um das zu verhindern, war Cristiano zu allem bereit. Dafür würde er sogar diese Zwangsehe mit seiner schlimmsten Feindin eingehen.

Jetzt musste er Alice Piper nur noch davon überzeugen, ihn zu heiraten.

Nicht, dass sie eine Feindin im wahrsten Sinn des Wortes wäre. Eher war sie ein Fehler, den er vor Jahren gemacht hatte. Er hatte sie aus seiner Erinnerung getilgt. Immer wenn ein Gedanke an sie aufflackerte, verbannte er ihn rücksichtslos aus seinem Kopf. Nachdem sie sich von ihm getrennt hatte, hatte er sein Leben weitergelebt, als ob sie nie existiert hätte. Als ob es diesen atemberaubenden Sex mit ihr nie gegeben hätte. Als ob er diesen sinnlichen Mund nie geküsst hätte. Als ob ihn diese sinnlichen Lippen und diese Zunge nie so erregt hätten, dass es ihm fast die Schädeldecke weggepustet hatte.

Cristiano war entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es ihm gegen den Strich ging, dass seine Großmutter versucht hatte, sich in sein Leben einzumischen. Aber vielleicht war eine Vermeidungsstrategie auch die falsche Art, mit dem immer noch vorhandenen Schmerz umzugehen. Möglicherweise war eine Immuntherapie erfolgversprechender.

2. KAPITEL

In den nächsten zwei Tagen ließ Cristiano nichts von sich hören. Alice, die wusste, wie stur er sein konnte, war davon ausgegangen, dass er bald wieder bei ihr im Salon auftauchen würde. Zwischenzeitlich hatte sie einen Anruf des Notars erhalten, der ihr ein paar Details des Testaments erklärt hatte.

Am dritten Tag wurde Alice von Ray Gormley, ihrem Vermieter, angerufen. „Ich weiß, dass das ziemlich überraschend kommt, Alice, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich das Haus verkauft habe“, erklärte er. „Und der neue Besitzer möchte sofort über sein Eigentum verfügen. Aber da Ihr Mietvertrag ohnehin in ein paar Monaten ausläuft …“

„Verkauft?“, stieß Alice keuchend hervor. „Ich wusste nicht mal, dass Sie das Haus veräußern wollten.“

„Das wollte ich eigentlich auch nicht, aber ich erhielt ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Und das Haus nebenan ist auch verkauft. Der neue Besitzer sagt, dass er beide Immobilien in ein Boutique-Hotel umwandeln will.“

Alice sträubten sich die Nackenhaare. „Ein … ein Hotel?“

„Ja“, erwiderte Ray. „Sagt Ihnen der Name Cristiano Marchetti etwas? Diese Boutique-Hotels sind der letzte Schrei. Er hat sie überall in Europa.“

Alice presste so fest die Kiefer aufeinander, dass ihre Ohren schmerzten. Verdammt.

„Dann … nur damit ich nichts falsch verstehe … Marchetti ist mit seinem Angebot völlig überraschend an Sie herangetreten?“

„Ja“, gab Ray zurück. „Er sucht in London nach geeigneten Objekten. Das Vereinigte Königreich ist das einzige Land, in dem er noch nicht investiert hat.“

Alices Herz klopfte ihr bis zum Hals. Cristiano ihr neuer Vermieter? Was hatte er vor? Ihr Mietvertrag lief noch drei Monate. Es hatte sie schon immer nervös gemacht, dass sie nur einen befristeten Mietvertrag hatte, weshalb sie bereits seit einiger Zeit mit dem Gedanken spielte, sich etwas Eigenes zuzulegen. Aber Ray hatte ihr stets versichert, dass er nicht vorhatte, das Haus zu verkaufen. Seine Frau und seine drei Töchter waren Kundinnen von ihr. Sie hatte sich in Sicherheit gewiegt … törichterweise.

Wütend legte Alice auf und begann, in ihrem Büro auf und ab zu laufen. So eine Schande. Offenbar versuchte Cristiano mit den fiesesten Mitteln ihren Willen zu brechen. Na warte …

Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und wählte seine Nummer. Es klingelte mehrmals hintereinander, dann meldete sich eine leicht heisere weibliche Stimme. „Hallo?“

Alice rutschte das Herz in die Hose. „Ähm … ich weiß nicht genau, ob ich die richtige Nummer habe …“

„Suchen Sie Cristiano?“, fragte die Frau.

„Ja, aber wenn er beschäftigt ist, kann ich …“

„Er ist direkt neben mir“, erklärte die Frau. „Mit wem spreche ich?“

Direkt neben ihr … und was macht er da?

Alice knirschte mit den Zähnen. Es war mitten am Tag, um Himmels willen. Warum war er mit irgendeiner Nymphe im Bett, statt zu arbeiten?

„Hier ist Alice Piper.“

Sie hörte, wie das Telefon übergeben wurde, und war machtlos gegen die erotischen Bilder, die vor ihrem geistigen Auge aufstiegen. „Ich dachte mir schon, dass du dich meldest“, sagte Cristiano. „Hast du es dir anders überlegt?“

Alice umklammerte den Telefonhörer so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Nein.“

„Das ist bedauerlich.“ In seiner Stimme schwang ein belustigter Unterton mit. „Ich wollte eigentlich keine schmutzigen Tricks anwenden …“

Alice versteifte sich. „Ich weiß, was du vorhast, aber …“

„Komm in mein Hotel, und lass uns reden.“

Alice hatte nicht vor, auch nur in seine Nähe zu kommen. Ein Hotelzimmer war viel zu intim. Wer konnte wissen, was passierte, wenn sie und Cristiano allein waren, mit einem Bett in unmittelbarer Nähe? Es war nicht er, dem sie misstraute, sondern vielmehr sich selbst. Ihr Körper erinnerte sich einfach zu gut an ihn. Selbst jetzt reagierte er auf seine wohlklingende tiefe Stimme, die ihre Sinne benebelte wie eine Droge. „Ich würde einen anderen Ort vorziehen, einen …“

„… ungefährlicheren?“

Alice bekam ganz weiche Knie. Sie presste die Lippen zusammen, versuchte sich zu wappnen. Er war nicht mehr derselbe Mann wie vor sieben Jahren. Er hatte sich verändert. War härter geworden. Rücksichtsloser. Berechnender und brutal planvoll. Sie würde gut aufpassen müssen. Inzwischen liebte er sie nicht mehr. Er hasste sie und wollte Rache. „Ich habe keine Angst vor dir, Cristiano.“

„Kann sein, aber du hast Angst vor dem, was ich dich fühlen lasse. So war es doch immer zwischen uns, oder?“

„Damals habe ich dich begehrt und Lust verspürt. Das war alles.“

„Und daran hat sich nichts geändert, nicht wahr, cara mia?“ Seine Stimme klang wie eine Liebkosung.

„Du verstehst mich falsch“, sagte sie mit eisigem Stolz. „Ich fühle nichts als Verachtung für dich.“

„Verachtung ist ein starkes Wort.“

„Weißt du was? Du verzeihst mir nicht, dass ich dein Ego verletzt habe“, sagte Alice. „Darum geht es doch in Wahrheit. Du kannst mich gar nicht geliebt haben, weil du in diesem Fall meine Entscheidung respektiert hättest.“

„Darüber können wir ein andermal reden“, erwiderte er mit einem stählernen Unterton in der Stimme. „Heute Abend sollten wir uns darüber einig werden, was aus deinem Salon wird.“

Alice versteifte sich. Im Unterschied zu ihr war Geld für ihn nie ein Problem gewesen. Sie entstammte keiner wohlhabenden Familie, auf deren Hilfe sie sich im Notfall verlassen konnte. Sie hatte alles aus eigener Kraft erreicht – und mithilfe von gelegentlichen Trotzanfällen. Wenn er ihr jetzt finanziell die Daumenschrauben anlegte, stand alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte, auf dem Spiel. Oder war – Gott behüte – womöglich sogar verloren. „Manchmal frage ich mich, wie du mit all diesen goldenen Löffeln im Mund überhaupt noch sprechen kannst.“

Eine aufgeladene Stille folgte.

Alice überlegte, ob sich hier wieder einmal eine ihrer gnadenlosen Auseinandersetzungen anbahnte. Im Nachhinein war ihr klar geworden, dass ihre Beziehung zu einem großen Teil ein Machtkampf gewesen war. Sie hatten ständig über irgendetwas gestritten, ohne dass sie sich je geeinigt hätten – außer im Bett. Keiner von ihnen war bereit gewesen, nachzugeben oder einen Schritt auf den anderen zuzugehen. Der Sex hatte zwar immer zu einem vorübergehenden Waffenstillstand geführt, aber die darunterliegenden Konflikte waren ungelöst geblieben.

Er hatte sie kontrollieren wollen, und dagegen hatte sie sich vehement gewehrt.

Langsam atmete Cristiano aus. „Ich hätte gern auf jeden einzelnen dieser goldenen Löffel verzichtet, wenn ich dafür meine Eltern und meinen Bruder wieder zurückbekommen hätte.“

Plötzlich schämte Alice sich. Kein Mensch konnte etwas für seine Herkunft. Es war billig, ihm seinen privilegierten Hintergrund vorzuwerfen, so wie sie es bereits in der Vergangenheit getan hatte. Ihre Wortgefechte waren immer eine Art Vorspiel gewesen. Der Kampf zweier willensstarker Persönlichkeiten, vermischt mit leidenschaftlichem Begehren, hatte oft zu hitzigen Auseinandersetzungen geführt. Viel zu oft. Wann hatten sie sich jemals in Ruhe zusammen hingesetzt und geredet? Hatte der eine dem anderen überhaupt jemals zugehört? „Tut mir leid. Das war … unfair von mir.“

„Ich muss Schluss machen. Natalia wartet.“

Das war wie ein Messerstich ins Herz. Wilde Eifersucht erfasste sie. Was war nur los mit ihr, warum fühlte sie so? Dazu hatte sie kein Recht. Schließlich war sie es gewesen, die damals Schluss gemacht hatte. Er konnte schlafen, mit wem er wollte. Es gab keinen Grund, warum ihr der Gedanke, dass er mit ihr telefonierte, während er mit einer anderen Frau im Bett lag, so … wehtun sollte.

„Entschuldige, dass ich dich gestört habe“, sagte sie. „Vielleicht solltest du vor deiner nächsten Marathon-Sex-Session dein Telefon stumm stellen.“

Wieder folgte kurzes Schweigen.

Alice wünschte, sie hätte nicht mit so einem gehässigen Unterton in der Stimme gesprochen. Giftig. Wie führte sie sich nur auf? Es war doch verrückt, ihm auch noch Munition gegen sie zu liefern. Wenn er nur eine Millisekunde dachte, dass sie eifersüchtig war, würde er das gnadenlos ausnutzen.

„Ich hole dich um sieben zum Essen ab“, sagte Cristiano. „Wie ist deine Adresse?“

„Keine Chance …“

„Ich bestehe darauf, oder ich kündige mit sofortiger Wirkung deinen Mietvertrag.“

Alices Herz hämmerte gegen ihr Brustbein. „Das kannst du nicht machen.“

„Glaubst du?“

Sie schluckte schwer, musste aufpassen, was sie sagte. Es brachte nichts, ihn ständig zu provozieren. Besser war, auf seine Essenseinladung einzugehen. Das konnte sie aushalten. Ganz bestimmt. Sie sollte es als Test ansehen. Als Beweis, dass sie eine oder zwei Stunden mit ihm verbringen konnte, ohne sich zu wünschen, ihm die Kleider vom Leib zu reißen.

Huch! An diesen Leib darfst du nicht mal denken!

Er war wahrscheinlich immer noch nackt und verschwitzt nach einer heißen Nummer. „Macht es Natalia nichts aus, wenn du andere Frauen zum Essen ausführst?“

„Nein.“

Frustriert über seine Einsilbigkeit, bohrte Alice weiter: „Dann scheint sie ja sehr großzügig zu sein.“

„Natalia kennt ihren Platz.“

„Hast du vor, sie zu heiraten?“

„Das ist sie bereits.“

Für einen Moment verschlug es Alice die Sprache. Was war mit Cristianos konservativer Einstellung passiert? Der Cristiano von früher hätte nie etwas mit einer verheirateten Frau angefangen. Niemals.

Was hatte ihn so verändert?

Es ist deine Schuld.

Dieser Verdacht behagte ihr ganz und gar nicht. Konnte es sein, dass sie sein Vertrauen in Beziehungen zerstört hatte? Aber es war schließlich kein Verbrechen, einen Heiratsantrag abzulehnen, oder? Nichtsdestotrotz wollten ihre Schuldgefühle nicht weichen. Hatte er den Wunsch nach einer eigenen Familie wirklich aufgegeben? Und warum machte sie dieser Gedanke so … traurig?

„Na, dann lege ich jetzt besser mal auf, damit du zu deiner schmuddeligen kleinen Affäre zurückkehren kannst.“

„Bis heute Abend.“ Bevor sie noch etwas sagen konnte, legte er auf.

Alice kleidete sich für das bevorstehende Essen mit Cristiano, als zöge sie in eine Schlacht. Jedes Kleidungsstück, in das sie schlüpfte, war Teil einer Rüstung, die sie anlegte – einer Rüstung aus Erfahrenheit und Raffinesse, an denen es ihr vor sieben Jahren bedauerlicherweise noch gemangelt hatte.

Manchmal fragte sie sich, was Cristiano damals an ihr gefunden hatte. Sie war einundzwanzig gewesen und hatte soeben erst ihre Ausbildung zur Kosmetikerin beendet. Es war ihre erste Auslandsreise gewesen, die sie auf eigene Faust unternommen hatte. Mit wenig Geld und einem Tramper-Rucksack war sie zu einer Rundreise durch Europa aufgebrochen. Sie hatte es gerade mal bis Italien geschafft, als sie in Mailand auf einer belebten Straße im Vorbeigehen mit ihrem Rucksack an seiner Jacke hängen geblieben war.

Sie standen mitten auf dem Bürgersteig, komisch ineinander verhakt, und er hatte launig bemerkt, dass das die Redewendung „jemanden aufreißen“ in einem ganz neuen Licht erscheinen ließ. Lachend hatte sie ihm zugestimmt. Nachdem er sich entwirrt hatte, hatte er darauf bestanden, sie auf einen Kaffee einzuladen.

Aus einem Kaffee waren zwei geworden, anschließend hatten sie zu Abend gegessen. Und dann hatte sie sein Angebot angenommen, für die Dauer ihres Aufenthalts in Mailand bei ihm im Gästezimmer zu wohnen statt wie geplant in der Jugendherberge. Zu keinem Zeitpunkt hatte sie sich gedrängt gefühlt, mit ihm zu schlafen, obwohl es zwischen ihnen sofort gefunkt hatte. Aber der Respekt, den er ihr entgegenbrachte, hatte sie beeindruckt.

Am Ende war sie es gewesen, die den ersten Schritt getan hatte. Alice erinnerte sich nur allzu gut an ihren ersten Kuss. Manchmal, wenn sie die Augen schloss, konnte sie immer noch spüren, wie seine festen Lippen auf ihrem Mund jede Zelle ihres Körpers in Schwingungen versetzten. Da ein Kuss allein es nicht vermocht hatte, ihr Verlangen zu stillen, hatte sie ihm die Kleider von Leib gerissen und sich regelrecht auf ihn gestürzt.

Diese Küsse … berauschend. Das Vorspiel … phänomenal. Sex, bei dem die Erde gebebt hatte. Und am Ende die reinste Ekstase. So viel Ekstase, dass sie es noch Stunden danach gespürt hatte.

Wie hatte sie bloß so lange ohne all das leben können?

Seufzend griff Alice nach ihrem Lippenstift. Sie hatte nie wieder einen Mann getroffen, den sie so begehrt hatte wie ihn. Woraus folgte, dass sie jetzt in seiner Nähe extrem vorsichtig sein musste.

Als es klingelte, warf sie den Lippenstift in ihre Handtasche, nahm ihre Stola und ging zur Tür. Trotz ihrer zehn Zentimeter hohen High Heels überragte Cristiano sie. „Du bist spät dran“, beschwerte sie sich. „Hast du nicht sieben gesagt? Inzwischen ist es halb acht.“

Nonchalant zuckte er mit den Schultern. „Ich wusste ja, dass du auf mich wartest.“

Das klang fast so, als ob sie die letzten sieben Jahre nichts anderes getan hätte, als auf ihn zu warten. Sie reckte das Kinn und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Woher weißt du, wo ich wohne?“

„Von deinem sehr hilfsbereiten ehemaligen Vermieter.“

Sie hatte gute Lust, ihn zu erwürgen, aber dann beschloss sie doch, sich die Stola lieber um die Schultern zu legen statt um seinen Hals. „Wohin gehen wir?“

„Willst du mir nicht erst dein Haus zeigen?“

Alice presste die Lippen zusammen. „An deins kommt es natürlich nicht ran.“

Er sah sich im Flur um. „Hübsch. Wie lange wohnst du schon hier?“

„Seit zwei Jahren.“

„Allein?“

Alice zwang sich, diesem bohrenden Blick standzuhalten, obwohl jede Zelle in ihrem Körper protestierte. „Im Moment ja.“

Er nickte knapp, als ob er das schon vermutet hätte. „Ziemlich groß für eine Person. Wie viele Schlafzimmer?“

„Vier.“

Seine tiefschwarzen Augenbrauen schnellten hoch. „Wohnst du zur Miete?“

Alice warf ihm einen finsteren Blick zu. „Warum? Willst du das Haus hier auch noch kaufen und dann die Miete erhöhen? Den Spaß muss ich dir leider verderben. Es gehört mir.“ Oder zumindest der Bank.

Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln, bei dem ihr Herz ins Stolpern kam. „Wenn du dich mit den Bedingungen des Testaments einverstanden erklärst, könntest du die Hypothek tilgen und hättest immer noch Geld übrig. Oder du könntest expandieren.“

Alice runzelte die Stirn. Woher wusste er, dass sie sich mit Expansionsplänen trug? Mit wem, in aller Welt, hatte er gesprochen? Es fiel ihm offenbar leicht, Informationen über sie zu gewinnen. Und ihre Gedanken zu lesen. Ganz zu schweigen von ihrem Körper.

Oh, du lieber Gott, warum ignoriert mein Körper ihn nicht einfach? Verdammt.

Ihre körperliche Reaktion auf ihn verriet sie ständig. Weil sie sich nur allzu gut erinnerte. Sobald sie sich in Reichweite von Cristiano befand, begann ihr Körper verrücktzuspielen. Als ob es die letzten sieben Jahre nicht gegeben hätte. Jeder Nerv in ihr schrie nach seiner Berührung. „Mein Businessplan geht dich überhaupt nichts an. Genauso wenig wie mein Privatleben.“

Er taxierte sie von Kopf bis Fuß, was sie unwillkürlich erschauern ließ. Diesen Blick kannte sie, er sagte: Ich will dich, und ich weiß, dass du mich auch willst. Ich kann es beweisen.

„Ist doch bestimmt manchmal ziemlich einsam so ganz allein in diesem großen alten Haus, sì?“

„Ich bin kein bisschen einsam.“

Er stieß den Atem aus. „Natürlich nicht.“ Er musste näher gekommen sein, so dicht stand er plötzlich vor ihr. Warum hatte sie nichts bemerkt? Er streckte die Hand nach ihr aus, griff nach einer Haarsträhne und wickelte sie sich um den Finger. Jetzt war es zu spät, auf Abstand zu gehen.

Warum, zum Teufel, war sie nicht zurückgewichen?

Ihre Kopfhaut begann zu kribbeln.

„Habe ich dir gefehlt, cara?“ Das R rollte er so verführerisch, dass ihre Selbstkontrolle nahezu ausgehebelt wurde.

Alice musste dreimal schlucken, ehe sie wieder sprechen konnte. Dreimal! Sie konnte sich gerade noch daran hindern, ein verräterisches Wimmern auszustoßen. „Wenn du mich nicht auf der Stelle loslässt, zerkratze ich dir das Gesicht.“

Sein Mund verzog sich zu einem trägen Lächeln, während er sich die Haarsträhne fester um den Finger wickelte. „Der Rücken wäre mir lieber.“

Seine zweideutigen Worte schickten Schockwellen der Erregung durch ihren Körper. Dabei wurde sie zurück in die Vergangenheit katapultiert. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihn tief in sich zu spüren, seine Härte, die sich beschleunigenden rhythmischen Bewegungen, bis sie beide keine andere Wahl mehr hatten, als loszulassen. Das Blut pulsierte heiß durch ihre Adern.

Reiß dich zusammen. Reiß dich zusammen. Reiß dich zusammen.

In ihrem Kopf läuteten alle Alarmglocken, aber ihr Körper ignorierte es und neigte sich ihm entgegen … oder vielleicht war er es ja, der näher kam. Seine muskulösen Beine streiften ihre, eine Erinnerung an all die Male, wenn diese Beine ihre Schenkel mit ihrer sinnlichen Kraft, ihrer souveränen Stärke eingeschlossen hatten. Dem Sex mit Cristiano hatte immer eine kräftige Dosis Gefahr innegewohnt. Eine dunkle unbekannte Gefahr. Eine unkontrollierbare Macht, die sie zugleich erregt und geängstigt hatte. Ekstase, wie sie sie weder vorher noch nachher auch nur annähernd erlebt hatte. Jetzt war sie für jeden anderen Mann verloren.

Noch ein Grund mehr, ihn zu hassen.

Alice versetzte ihm einen kräftigen Stoß vor die Brust, obwohl es grausam an ihren Haaren zerrte. „Nur in deinen Träumen.“

Cristianos Augen funkelten spöttisch. „Ich könnte dich hier auf der Stelle nehmen, das weißt du.“

„Ah, aber du willst mich ja gar nicht, erinnerst du dich?“, sagte Alice. „Eine Ehe, die nicht vollzogen wird, richtig?“

Seine Mundwinkel zuckten kaum merklich. Dann trat er zurück und hielt ihr die Tür auf. „Wir müssen los, sonst ist unser Tisch weg. War gar nicht so einfach, einen zu ergattern.“

„Außer man hat Beziehungen.“ Auf dem Weg zur Tür warf Alice ihm ein zuckersüßes Lächeln zu. „Zu schade, dass ich nicht über jedes Stöckchen springe, das man mir hinhält.“

Seine langen starken Finger schlossen sich wie ein Schraubstock um ihren Unterarm, drehten sie zu sich herum, um sie zu zwingen, ihm in die Augen zu schauen. In diese grüblerischen onyxschwarzen Augen, in denen sich jetzt Mutwillen spiegelte. „Ich bin noch nicht fertig mit dir. Aber wenn es so weit ist, wirst du mich auf Knien anflehen, dich zu heiraten, das verspreche ich dir.“

Alice warf ihm einen finsteren Blick zu, wand sich aus seinem Griff und rieb sich den Arm. Warum, oh, warum nur war es so aufregend, mit ihm zu kämpfen? So wie jetzt hatte sie sich seit Jahren nicht mehr gefühlt. So durch und durch lebendig. So unter Strom, regelrecht berauscht. „Was hast du vor? Mich so lange schikanieren, bis du mich weichgeklopft hast? Nur zu, du wirst schon sehen, was passiert.“

Sein Blick fiel auf ihren Mund, was eine Kettenreaktion in ihrem Körper in Gang setzte. Das konnte nur er. Ihr Verlangen wecken, allein indem er sie anschaute. „Es wäre wirklich töricht, wenn du dir die Chance deines Lebens entgehen lässt“, sagte er. „Man sollte sich nie allein von seinen Gefühlen leiten lassen.“

„Für wen hältst du dich, dass du glaubst, mir kluge Ratschläge erteilen zu können?“, fragte Alice. „Dabei warst du es doch, der mich geliebt hat, nicht umkehrt. Und jetzt prügelst du auf mich ein, weil ich so ungefähr der einzige Mensch auf diesem Planeten bin, der genug Rückgrat besitzt …“

„Ich habe dich nie geliebt.“

Die Worte trafen sie bis ins Mark. Alice blinzelte. Schluckte. Blinzelte wieder. Er hatte sie nicht geliebt? Nicht einmal ein bisschen? Warum sie das überhaupt interessieren sollte, wollte sie lieber nicht genauer ergründen.

„Okay, gut zu wissen. Dann kannst du ja nur froh sein, dass ich deinen Heiratsantrag abgelehnt habe. Andernfalls wären wir jetzt nämlich schon geschieden, und das hätte dich einiges gekostet.“

Er öffnete die Beifahrertür und deutete mit dem Kopf auf den Beifahrersitz – wie ein Polizist, der einen Verhafteten zum Einsteigen auffordert.

Alice straffte die Schultern und warf ihm einen bitterbösen Blick zu. „Geht’s auch ein bisschen freundlicher?“

In seinem Kiefer zuckte ein Muskel, die schwarzen Augen funkelten beunruhigend. „Treib es nicht zu weit. Du weißt, was sonst passiert.“ Unter dem seidenweichen Ton lauerte sein unbeugsamer Wille.

Alice machte trotzdem weiter. Sie konnte einfach nicht anders, es war wie ein innerer Zwang. Sie wollte ihn schlagen. Oder ködern. Um ihn zu brechen. Um ihn auf seine niedersten Instinkte zu reduzieren. Unbändige Erregung erfasste sie, Hitze durchströmte ihren Körper. Ihre Brüste kribbelten erwartungsvoll, ihre Schenkel zitterten.

Oh, wie ich das vermisst habe!

Sein Blick hielt ihren weiterhin fest. Die Luft war statisch so aufgeladen, dass es förmlich zwischen ihnen knisterte. „Was hast du vor, Cristiano? Willst du mich dir über die Schulter werfen und in deine Höhle schleppen wie der Neandertaler, der du unter diesem coolen Armani-Anzug eben immer noch bist?“

Wieder zuckten seine Mundwinkel, die Augen loderten, während sie sich mit Blicken maßen. Er ließ die Tür los und packte grob ihre Hand, um sie so nah an sich heranzuziehen, dass kein Blatt Papier mehr zwischen ihre Körper passte. Alice spürte seine Gürtelschnalle, die sich in ihren Bauch bohrte, eine schockierend erotische Erinnerung an die sinnliche Manneskraft, die dicht darunter lauerte.

„Ist lange her seit dem letzten Mal, hab ich recht, cara?“, fragte er in diesem gefährlich sanften Ton.

Alice lachte auf, aber es klang weniger überzeugend als erhofft, eher atemlos. Verunsichert. „Mein Liebesleben geht dich nichts an.“

Seine Finger umschlossen ihr Handgelenk fester. Die Berührung war wie ein Feuerband, das Ströme glühender Elektrizität direkt in ihr Innerstes schickte. „Wenn wir verheiratet sind schon.“

Alice hob das Kinn und schleuderte ihm einen Blick reinster Verachtung zu. „Du scheinst ein echtes Problem mit dem Wort Nein zu haben. Ich … heirate … dich … nicht.“

Spöttisch verzog er den Mund. „Du willst mich so sehr, dass ich es förmlich riechen kann.“

Alice schluckte. Der Moschus- und Salzgeruch der Erregung hing zwischen ihnen wie Dampfschwaden, die einem Zaubertrank entstiegen. Es war ein schwindelerregender böser Zauber. Mit gefährlichen Tentakeln, die sich um ihren Körper schlangen und sie würgten, bis sie verzweifelt nach Atem rang.

Nur er hatte diese Wirkung auf sie. Nur er konnte dieses ungestüme Verlangen in ihr entfachen, das sie alles andere vergessen ließ. Bis sie nur noch daran denken konnte, diese wilde Begierde zu stillen.

Seine Schenkel waren auf gleicher Höhe mit ihren, die steinharte Wölbung in seinem Schritt war so atemberaubend männlich, so eklatant und unverschämt, dass jede Zelle in ihrem Körper um Aufmerksamkeit bettelte. Auf wunderbare Weise gelang es ihr irgendwie, zu lächeln. „Dein Ego ist so groß, dass es eine eigene Postleitzahl braucht.“

In seinen Augen blitzte Belustigung auf. Er lockerte den Griff, während er mit dem Daumen über ihr Handgelenk fuhr, wo ihr Puls rasend schnell wie der Flügelschlag eines Kolibris pochte. „Hast du vermisst, was wir hatten?“

Alice versuchte, ein möglichst ausdrucksloses Gesicht zu machen. „Gar nicht.“

Sein bohrender Blick hielt ihren fest. „Und warum hattest du seitdem keine ernsthafte Beziehung?“

Woher, um Himmels willen, wusste er das?

Alice hob eine Augenbraue. „Sagen wir mal, keine, von der du weißt. Im Gegensatz zu dir lebe ich nämlich nicht mit einer Paparazzi-Meute im Schlepptau, die jedes Niesen von mir dokumentiert.“

„Wann hattest du deine letzte Beziehung?“

Sie verdrehte die Augen. „Oh Gott, was soll das denn jetzt werden? Zwanzig Fragen?“

Noch immer war sein Blick unverwandt auf sie gerichtet. „Scheint lange her zu sein.“

Alice schürzte die Lippen und stieß die Luft aus. „Gehen wir essen, oder stehen wir hier rum und tauschen Berichte über unser Liebesleben aus? Willst du eine Liste mit Namen und Telefonnummern? Oder törnt es dich mehr an, wenn ich dir ein paar SMS und E-Mails ausdrucke?“

„Das wird nicht nötig sein.“

Alice schob sich an Cristiano vorbei, um einzusteigen. Als er ums Auto herum auf die Fahrerseite ging, warf sie ihm durch die Windschutzscheibe einen finsteren Blick zu. Er ließ beim Anfahren den Motor aufheulen und fädelte sich geschmeidig in den Verkehr ein, während sie von der Schubkraft in den butterweichen Ledersitz gedrückt wurde.

Alices Blick fiel auf seine Hände, die so selbstsicher auf dem Lenkrad lagen, die langen braunen Finger, die die köstlichsten Empfindungen in ihr hervorrufen konnten, wie sie aus Erfahrung wusste. Wie, um Gottes willen, sollte sie den Abend mit ihm nur überstehen?

Und wie, zum Teufel, hatte er es angestellt, dass sie seiner Einladung zugestimmt hatte?

Das war eine der unheimlichsten Seiten an Cristiano Marchetti. Er hatte die beunruhigende Fähigkeit, sie dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie eigentlich gar nicht wollte.

Aber …

Dieses heimtückische kleine „Aber“ nagte an ihr. Was war, wenn sie einer Ehe mit ihm zustimmte? Sechs Monate waren im Nu vorüber. Und am Ende würde sie sich finanziell saniert haben. Fürs ganze Leben. Sie könnte ihr Hochzeits-Spa verwirklichen und darüber hinaus noch etwas sparen. Außerdem könnte sie sich die beste Ausstattung leisten, ohne ständig am Limit herumzukrebsen. Sogar Urlaub wäre wieder drin …

Alice überlegte hin und her. Was war eigentlich, wenn er gar nicht wollte, dass sie Ja sagte? Wenn er diesen ganzen Zirkus nur aufführte, um sie in die Enge zu treiben?

Sie lächelte in sich hinein. Sie würde ihn noch eine Weile auf die Folter spannen, und zum geeigneten Zeitpunkt würde sie ihn zwingen, Farbe zu bekennen und seine wahren Motive zu enthüllen.

Sechs Monate Ehe mit dem Feind?

Okay, das Spiel war eröffnet.

3. KAPITEL

Cristiano bewegte die Finger seiner rechten Hand, die auf dem Lenkrad lag. Noch immer kribbelten seine Fingerspitzen, mit denen er Alices heiße Haut berührt hatte. Sein Verlangen nach ihr dröhnte wie eine Buschtrommel tief in seinem Körper. Er begehrte sie, verzehrte sich nach ihr, brannte lichterloh vor Verlangen. Niemand sonst konnte ihn derart aus der Fassung bringen, eine so primitive, außer Kontrolle geratende Begierde in ihm wecken. Eine Begierde, die den Sex, den er vorher und seitdem gehabt hatte, als schalen Ersatz erscheinen ließ.

Nicht, dass er in all den Jahren nicht auch befriedigenden Sex gehabt hätte. Sicher. Oft sogar. Schließlich hatte er es sich zum Prinzip gemacht, sich mit jeder sexuellen Begegnung zu beweisen, dass er ohne Alice leben konnte.

Aber im Vergleich zu dem, was er mit ihr geteilt hatte … nun, es war einfach nicht dasselbe. Ihr Körper, ihre Berührungen, die Tatsache, dass sie wie eine rollige Wildkatze auf ihn reagierte – das alles löste etwas in ihm aus. Etwas Unerklärliches. Etwas, das ihn erschauern ließ, sobald er in ihre Nähe kam. Etwas, das er sogar jetzt, einen halben Meter von ihr entfernt, spüren konnte.

Er musste sie aus seinem System entfernen.

Endgültig!

Es war unerträglich, jedes Mal einen Adrenalinstoß zu verspüren, wenn irgendwo in einer Menge ein silberblonder Kopf auftauchte, und anschließend diese niederschmetternde Leere, wenn sie es dann doch nicht war. Irgendwie musste er sich beweisen, dass er über sie hinweg war.

Cristiano hatte sich geschworen, nicht mit Alice zu schlafen. Betrachten erlaubt, berühren verboten. Aber wie lange würde er diesen Vorsatz aufrechterhalten können? Er schaffte es ja jetzt schon kaum, die Finger von ihr zu lassen. Er bräuchte nur die Hand auszustrecken und ihr über den schlanken Schenkel zu fahren, der unter ihrem kleinen Schwarzen hervorlugte.

Plötzlich begannen seine Finger am Lenkrad zu zucken. Seine Lenden fingen Feuer, als sie die langen Beine übereinanderschlug und nervös mit dem Fuß wippte, als ob sie dieselbe innere Unruhe verspürte wie er.

Natürlich verspürt sie das.

Unmerklich lächelte Cristiano in sich hinein. Sein Ego hatte damit nichts zu tun. Schließlich konnte er ihr ansehen, wie sie sich abmühte, ihr Verlangen unter Kontrolle zu bringen. Er hatte es von dem Moment an gefühlt, in dem er ihr Büro betreten und sie steif wie eine Lehrerin an ihrem Schreibtisch sitzend vorgefunden hatte. Sie hatte den Schreibtisch als Schutzwall benutzt. Weil sie sich selbst nicht getraut hatte. Weil sie wusste, dass ihr Körper sie ebenso verraten würde, wie sein Körper ihn verriet. So war das schon immer bei ihnen gewesen. Wumm! Wie wenn man ein brennendes Streichholz in einen Benzintank wirft.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis er sie da hatte, wo er sie haben wollte. Sie sollte ihn anflehen. Und diese Wildkatzenkrallen in ihn schlagen und zwischen zwei keuchenden Atemzügen seinen Namen flüstern, während er ihr demonstrierte, was sie vermisst hatte. Was er vermisst hatte. Du lieber Gott, wie sehr er es vermisst hatte! Wie sehr er sie vermisst hatte. Ihre Rücksichtslosigkeit. Diese spitze Zunge. Dieses leicht entflammbare Temperament und diese Na-los-fang-mich-doch-Frotzeleien, bei denen er sich immer gefühlt hatte, als würde er am Rand einer Klippe stehen.

Wie sie sich angefühlt hatte, wenn er tief in sie eingedrungen war.

Aber er würde nicht mit ihr schlafen. Er wollte, dass sie ihn heiratete. Obwohl, so wie es sich im Moment anfühlte, würde er eher früher als später mit ihr im Bett landen. Erpressung war eigentlich nicht seine Art, aber diese Ehe musste unter allen Umständen zustande kommen, weil sonst seine Anteile futsch waren.

Ganz zu schweigen von der Villa.

Die konnte er nicht einfach so aufgeben. Dieses Haus zu verlieren wäre so, als würde seine Familie ein zweites Mal sterben.

„Wir werden nett zusammen essen und über diese Situation diskutieren, in der wir uns so unvermutet wiederfinden“, gab er endlich zurück.

„Diskutieren?“ In Alices Stimme schwang eine gehörige Portion Skepsis mit. „Du diskutierst nicht. Du befiehlst.“

Lächelnd sah er sie an. „Und du als meine Ehefrau wirst gehorchen.“

Jetzt blitzten diese strahlend blauen Augen wütend auf. „Wir leben nicht mehr im Mittelalter, weißt du. Keine Ehefrau muss heutzutage noch gehorchen. Obwohl du natürlich niemals mein Ehemann sein wirst …“

„Die Testamentsbestimmungen sehen eine einmonatige Verlobungszeit vor“, fiel Cristiano ihr ungerührt ins Wort. „Und anschließend hast du die Wahl, mich entweder zu heiraten oder eine ruinöse Mieterhöhung zu akzeptieren.“

Auf ihrem Gesicht, das ganz rot geworden war, spiegelte sich hilflose Wut. „Du … du Mistkerl.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Du Schuft.“

Er zuckte die Schultern. „Die Welt ist schlecht.“

Eine ganze Weile schwieg sie, und Cristiano fragte sich, ob sie alles neu durchdachte, im Kopf Zahlen addierte. Ihr Salon lief gut, gar keine Frage, aber eine saftige Mieterhöhung würde sie in Turbulenzen stürzen. Und er würde gnadenlos sein.

Gnadenlos.

„Wozu soll diese einmonatige Verlobungszeit gut sein?“, fragte sie. „Warum schleifst du mich nicht im Laufschritt zum nächsten Standesamt?“

„Weil ich keine Lust auf irgendwelche wilden Spekulationen in der Öffentlichkeit habe, darum“, gab Cristiano zurück. „Ein angemessener Rahmen gehört zu so einer Hochzeit nun mal dazu. Und der bedarf einer gewissen Vorbereitung.“

„Aber das kann unmöglich dein Ernst sein. Also, ich meine, so eine richtige Hochzeit kostet doch einen Haufen Geld.“

„Geld spielt keine Rolle.“

Wieder blieb es eine Weile still.

„Na schön.“ Geräuschvoll atmete sie aus. „Du hast gewonnen. Ich heirate dich.“

Mit einer so raschen Kapitulation hatte Cristiano nicht gerechnet. Deshalb fragte er sich, was sie wohl im Schilde führen mochte. Sie hatte es faustdick hinter den Ohren. Was für einen hinterhältigen Plan mochte sie ausgeheckt haben? Hatte sie vor, ihn jede Minute ihrer gemeinsamen Zeit leiden zu lassen? Glaubte sie wirklich, dass sie ihn überlisten konnte? Erneut lächelte er in sich hinein. Das Ganze begann, ihm Spaß zu machen. Wer hätte das gedacht?

„Freut mich, dass du anfängst, die Dinge positiv zu sehen. Es ist eine Win-win-Situation für uns beide, ?“

Mit dem Blick, den sie ihm zuwarf, hätte sie einen Hornissenschwarm in die Flucht schlagen können. „Sogar ein Blinder wird sehen, dass das nur eine Scharade ist.“

„Ah, genau hier irrst du, tesoro“, hielt Cristiano dagegen. „Wir werden überall und jederzeit wie ein bis über beide Ohren verliebtes Paar wirken.“

Sie lachte prustend. „Guter Witz, wirklich …“

„Aber wenn wir allein sind, dürfen die Krallen gewetzt werden, und darauf freue ich mich schon jetzt“, fuhr er unbeirrt fort und warf ihr ein provozierendes Lächeln zu. „Du siehst also – alles wie gehabt.“

Ihre Augen schleuderten eisblaue Blitze, ihr Mund war fest zusammengepresst. Vor Wut zitterte sie so stark, dass er die Vibrationen sogar auf seiner Seite spüren konnte.

„Warum tust du das? Warum?“

Gute Frage. Warum tue ich das?

Es ging nicht nur um die Anteile, obwohl diese natürlich eine erhebliche Rolle spielten. Aber im Grunde war es wohl eher das Bedürfnis, die Vergangenheit umzuschreiben. Diesmal die Kontrolle zu behalten, derjenige zu sein, der die Ansagen machte. Er war entschlossen, nie wieder der zu sein, der allein zurückbleiben musste. Der war er als Junge mit elf gewesen.

Bis zum heutigen Tag wirkte der Schock dieses Verlusts nach. Manchmal konnte er immer noch spüren, wie ihn die nackte Verzweiflung packte. An jenem schrecklichen Tag hatte er sich von Gott und der Welt verlassen gefühlt.

Mutterseelenallein.

Als Alice seinen Heiratsantrag zurückgewiesen hatte, hatte er sich wieder genauso gefühlt. Wie hinter einer Glaswand. Unerreichbar, abgetrennt, isoliert. Eingesperrt mit all seinen zerstörten Hoffnungen und zerbrochenen Träumen in einem Käfig aus Glas.

„Wir haben noch eine Rechnung offen, Alice.“

„Nein. Haben wir nicht“, gab sie eisig zurück. „Wir sind quitt. Es ist aus. Vorbei.“

Cristiano parkte den Wagen, bevor er sich ihr zuwandte. Steif, mit verschränkten Armen, die Beine übereinandergeschlagen, saß sie da und wippte nervös mit einem Fuß. „Aber das stimmt nicht, cara. Nichts ist vorbei.“

Ihr Blick begegnete seinem, sie schluckte mehrmals hintereinander. Dann schaute sie weg, auf einen Punkt dicht unterhalb seines Krawattenknotens. Er hörte, wie sie Atem holte, und es klang, als ob sie erschauerte. „Du spielst falsch.“

„Ich will nur gewinnen“, sagte er. „Wie du auch. Deshalb kracht es so oft zwischen uns.“

Erneut sah sie ihn an. Ihre Augen funkelten vor Zorn. „Diesen Kampf gewinnst du nicht, Cristiano. Du kannst mich vielleicht erpressen, aber du kannst mich nicht zwingen, dich zu lieben. Und das willst du doch, oder? Du willst, dass ich mich in dich verliebe, um dich an mir zu rächen.“

„Ganz bestimmt nicht, und ich würde es dir auch nicht raten. Aber mit dir schlafen? Warum eigentlich nicht?“

Sie riss die Augen auf. „Aber du hast doch gesagt …“

„Es ist nicht verboten, seine Meinung zu ändern, oder?“

Sie machte den Mund auf und zu, auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken. „Ich schlafe aber nicht mit dir. Selbst wenn du mich erpresst.“

„Fein. Ist wohl auch besser so.“ Er öffnete die Fahrertür und schickte sich an, auszusteigen. „Ich kann meine Bedürfnisse auch woanders befriedigen.“

Sie war ausgestiegen, noch ehe er dazu kam, ihre Tür zu öffnen. „Niemals“, widersprach sie entschieden. „Jedenfalls nicht, solange wir verheiratet sind … oder ich nehme mir auch dieses Recht.“

Langsam schüttelte Cristiano den Kopf, als spräche er mit einem uneinsichtigen Kind. „Du irrst. Diesmal bestimme ich die Regeln. Und du befolgst sie.“

Sie bohrte ihm den ausgestreckten Zeigefinger in die Brust. „Da müsste ich ja völlig bescheuert sein. Ich mache, was ich will, selbst wenn du dich auf den Kopf stellst.“

Cristiano griff nach ihrer Hand, sehnte sich danach, sie an sich zu ziehen. Aber er riss sich zusammen. Er musste warten, bis sie zu ihm kam. Und das würde passieren, da war er sich ganz sicher.

Er hungerte nach ihr.

Gott allein wusste, wie sehr er nach ihr hungerte.

Es war ein Hunger, den nur sie stillen konnte. Sie war in seinen Gedanken, seinem Körper, seinem Blut. Sie war wie ein Fieber, das in ihm geschlummert hatte, bis er sie nach so langer Zeit wiedergesehen hatte.

Und auch er ließ sie nicht kalt, auf gar keinen Fall. Sonst würde sie nicht immer wieder auf seinen Mund schauen und sich dabei die Lippen lecken.

Mit der Hand fuhr er ihr über den warmen, seidig glatten Schenkel. „Wenn wir jetzt nicht an einem öffentlichen Ort wären, würde ich dich auf der Stelle nehmen.“

Sie stieß ihn von sich. „Träum weiter.“

„Pass bloß auf, Alice“, warnte er.

Wutschnaubend kniff sie die Augen zusammen. „Pass selber auf. Du wirst mit mir noch dein blaues Wunder erleben.“

Er lächelte und erschauerte theatralisch. „Ich kann es kaum erwarten.“

Alice war so geladen, dass sie es kaum schaffte, die Speisekarte zu lesen. Das lag an dem roten Nebel, der vor ihren Augen waberte. Wie hatte Cristiano es bloß geschafft, den Spieß so geschickt umzudrehen? Er wollte sie also tatsächlich heiraten. Aber was versprach er sich davon? Nur wegen dieser Anteile, auf die er bestimmt nicht angewiesen war? Nein, wahrscheinlicher war, dass er sie bestrafen wollte.

Doch je länger sie über die Geschichte nachdachte, desto mehr Gefallen fand sie daran, sich auf das Spiel einzulassen. Wenn sie sich mit ihrem Salon tatsächlich vergrößern wollte, war dies genau der richtige Weg. So würde sie viel schneller am Ziel sein als jemals erhofft.

Sie dachte an das Haus seiner Großmutter. Es war keine heruntergekommene Ferienhütte, sondern eine wunderschöne alte Villa am Lago Maggiore. Wer so ein Erbe ausschlug, dem war nicht zu helfen.

Außerdem hatte die alte Dame sie gemocht – eine Wertschätzung, die durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Deshalb war es nur vernünftig und respektvoll, wenn sie ihr Erbe auch antrat.

Das einzige Problem war, dass Cristiano Teil des Deals war.

Unbehaglich rutschte Alice auf ihrem Stuhl herum. Vorhin hatte sie einen Moment lang geglaubt, Cristiano würde sie küssen. Sie waren sich so nah gewesen, dass sie seine Wärme gefühlt, seinen Duft wahrgenommen hatte. Eine feine Mischung aus Zitrone, Limette und Leder, bei der ihr ganz schummrig wurde. Sein Blick hatte an ihrem Mund geklebt. Noch schockierender war, dass sie ihn ebenfalls gewollt hatte. Wie verrückt sogar.

Was war nur los mit ihr?

Aber war das nicht genau das, was er erreichen wollte? Ihr zu demonstrieren, dass sie ihm nicht widerstehen konnte? Leider wusste er nur zu genau, welche Knöpfe er bei ihr drücken musste.

Wie hatte sie bloß je auf die Idee kommen können, sie könnte ihn überlisten? Wo doch jeder sehen konnte, dass er kein Mann war, der sich manipulieren ließ.

Vor sieben Jahren hatte sie wirklich geglaubt, dass er sich kurzfristig mit ihr in Verbindung setzen würde. Um sich zu entschuldigen, dass er sie mit seinem Heiratsantrag so unter Druck gesetzt hatte.

Aber ihr Handy war stumm geblieben. Keine SMS, keine Mail. Keine Blumen, keine Karte. Tage, eine Woche, zwei Wochen waren vergangen, und immer noch kein Zeichen von ihm. Dann hatte sie dieses Foto entdeckt, das ihn in einem Nachtclub in Mailand, umlagert von schönen Frauen, gezeigt hatte. Und einen Tag später ein weiteres Foto, das ihn mit seiner neuen Liebschaft zeigte, einem atemberaubenden internationalen Model. Dass er mit seinem Leben einfach so weitermachte, als ob nichts geschehen wäre, war ein schwerer Schlag für sie gewesen. Er hatte sie nie geliebt. Er hatte sie nur besitzen wollen. Um sie zu kontrollieren.

Aber dazu war sie nicht bereit. Diese Zwangsehe auf Zeit würde sie nur eingehen, um zu bekommen, was sie wollte.

Du willst ihn.

Schön, das war eine unbequeme Wahrheit, mit der sie irgendwie umgehen musste. Sie hatte doch einen starken Willen, oder? Diese einmonatige Verlobungszeit war die erste Hürde, und die würde sie mühelos nehmen. Im September herrschte im Salon immer noch Hochbetrieb, außerdem hatte Cristiano ja nebenbei noch diese andere Sache laufen. Mit Natalia. Grrr. Aber sie würde sich ihre Eifersucht nicht anmerken lassen, Hauptsache, er war aus dem Weg.

Alice griff nach ihrem Glas und leerte es mit zwei großen Schlucken. Dann stellte sie es mit einem dumpfen Knall auf der blütenweißen Tischdecke ab. „Schmeckt gar nicht mal so übel. Also, wann kommst du mit dem Klunker rüber? Oder hast du den alten dabei?“

Seine dunklen Augen funkelten. „So ist es.“ Er zog den Verlobungsring aus der Tasche, den er vor sieben Jahren für sie gekauft hatte, und hielt ihn ihr hin.

Ohne Zögern griff Alice danach und streifte ihn sich über. Der Ring saß so locker, dass er auf ihrem Finger herumrutschte. Das lag nicht nur, aber auch an diesen paar überflüssigen Pfunden, die sie mit einundzwanzig noch mit sich herumgetragen hatte. Der Ring allerdings hatte ihr schon damals nicht gepasst. Doch er sollte ja auch gar nicht passen, und dass er viel zu klobig war, fiel ebenso wenig ins Gewicht. Sie würde ihn so oder so nicht lange tragen.

„Fantastisch. Meine Freundinnen werden bestimmt ganz grün vor Neid.“ Als sie aufschaute und die tiefe Furche zwischen seinen Augen sah, fragte sie: „Ist was?“

Seine Stirn glättete sich, der verkniffene Zug um seinen Mund aber blieb. „Wir müssen ein paar Fragen klären. Zum Beispiel wo wir bis zur Hochzeit wohnen.“

Alice straffte die Schultern. „Bei dir bestimmt nicht. Ich habe mein eigenes Haus und …“

„Es wird seltsam wirken, wenn wir getrennt leben. Also entweder wohnen wir bei mir im Hotel oder bei dir. Deine Entscheidung.“

Sie durfte entscheiden? Na toll. Kämpferisch reckte Alice das Kinn. „Und wenn ich mich weigere?“

Ihr Magen machte einen Satz, als sie seinem ungerührten Blick begegnete. „Wie wär’s mit einem Kompromiss? Immer abwechselnd ein paar Tage hier, ein paar Tage dort.“

Alice stieß einen missbilligenden Laut aus. „Kompromiss? Glaubst du wirklich, du weißt, was dieses Wort bedeutet?“

Geflissentlich überhörte er ihre ironische Bemerkung. „Wenn wir verheiratet sind, werden wir ohnehin unter einem Dach wohnen, und da ich meinen Lebensmittelpunkt in Ita…“

„Du glaubst ja wohl nicht im Ernst, dass ich nach Italien ziehe. Schließlich habe ich Verpflichtungen hier. Bis Weihnachten bin ich komplett ausgebucht.“ Nicht komplett zwar, aber doch recht ordentlich.

In seinem Kiefer zuckte ein Muskel. „Ich bestehe darauf, dass du mitkommst. Sechs Monate, das reicht. Etwas anderes akzeptiere ich nicht.“

Spöttisch verzog Alice den Mund und beugte sich vor. „Oh, mein armes Baby“, höhnte sie. „Muss denn wirklich immer alles nach deinem Kopf gehen?“ Dann ließ sie sich wieder auf ihrem Stuhl zurückfallen und verschränkte die Arme. „Tut mir leid, aber das geht nicht.“

In Cristianos Augen trat ein harter Glanz. „Warum bist du nur so verdammt stur?“

„Stur? Ich? Der Preis für Sturheit geht eindeutig an dich. Ein Maulesel ist im Vergleich mit dir der personifizierte Kompromiss.“

Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Freitag fliegen wir nach Italien. Wir werden das Wochenende in Stresa verbringen, wo du dich mit deiner neuen Immobilie vertraut machen kannst. Betrachte es als eine Probe-Hochzeitsreise.“

Hochzeitsreise?

Alice wurde ganz flau im Magen. „Ich nehme an, du meinst Schein-Hochzeitsreise?“

Um seine Mundwinkel zuckte ein Lächeln. „Kommt ganz darauf an.“

Sie schluckte. „Worauf?“

„Ob du mir widerstehen kannst.“

Alice warf ihm einen Blick zu, der giftigen Efeu zum Verdorren hätte bringen können. „Worauf du dich verlassen kannst. Du stillst deinen Hunger woanders, erinnerst du dich?“

„Natalia ist meine Assistentin.“

Alice zog eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Und wobei assistiert sie dir? Beim Sex?“

Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen, während sich feine Fältchen in seinen Augenwinkeln zeigten. Verdammt, er war attraktiv. So attraktiv, dass sie es kaum schaffte, den Blick von ihm loszureißen.

„Du bist eifersüchtig.“

Alice lachte auf. „Und wie! Ich warte schon sieben lange Jahre darauf, dass du mich endlich holst, nackt an deine Spüle kettest und schwängerst.“

Sein Lächeln erstarb. „Lass den Quatsch. Ich bin heilfroh, wenn diese sechs Monate vorbei sind. Meine Großmutter hatte kein Recht, sich in meine Angelegenheiten einzumischen.“

Alice spielte mit ihrem Glas, während sie überlegte, welcher Teufel seine Großmutter bei ihrer Entscheidung wohl geritten haben mochte. Hätte Volante Marchetti nicht wissen können, dass ihr Vorhaben völlig sinnlos war oder sogar die Gefahr in sich barg, sich ins Gegenteil zu verkehren?

Erst in diesem Moment fiel ihr auf, dass sie ihm noch gar nicht kondoliert hatte, obwohl sie wusste, wie sehr er seine Großmutter geliebt hatte. „Sie muss dir sehr fehlen.“

Er seufzte. „Ja.“

„War sie längere Zeit krank oder …“

„Bauchspeicheldrüsenkrebs“, sagte er. „Vier Monate nachdem sie die Diagnose erhalten hatte, war sie tot.“

„Das muss ein Schock für dich gewesen sein.“

„Ja, aber Nonna war fünfundachtzig und gebrechlich. Sie war bereit zu gehen.“

Der Kellner erschien, um ihre Bestellung aufzunehmen. Anschließend wechselte Cristiano das Thema. „Es gibt da ein paar rechtliche Fragen, die wir klären müssen. Gegen einen Ehevertrag hast du doch bestimmt nichts einzuwenden, oder?“

„Natürlich nicht.“ Alice warf ihm einen finsteren Untersteh-dich-mich-eine-Goldgräberin-zu-nennen-Blick zu. „Auch ich bin nicht gänzlich mittellos.“

„Gut. Dann lasse ich den Vertrag aufsetzen und mache für morgen einen Termin.“

Er brachte die Dinge so schnell ins Rollen, dass ihr fast schwindlig wurde. „Wie willst du es den Medien verkaufen?“, fragte sie. „Ich meine, wer soll uns abnehmen, dass das eine Liebesheirat ist?“

Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Alle. Die Leute lieben Geschichten mit Happy End.“

„Aber du kannst nicht von mir verlangen, dass ich mich für die Hochzeit in irgend so ein Zuckerguss-Brautkleid zwänge. Das wäre lächerlich.“

Es folgte eine Weile Schweigen.

Ihre Worte blieben in der Luft hängen, als müsste ihr Wahrheitsgehalt erst überprüft werden. Zum Glück wusste Cristiano nichts von den Brautmagazinen, die sich bei ihr zu Hause stapelten. Und im Salon. Es war ein törichter Zeitvertreib, den sie damit zu rechtfertigen versuchte, dass sie sich über die neuesten Trends informieren musste. Außerdem konnte sie die Zeitschriften von der Steuer absetzen.

„Man heiratet nur einmal“, sagte er. „Warum solltest du dir da die Gelegenheit entgehen lassen, für einen Tag im Leben eine Prinzessin zu sein?“

„Ich heirate nur einmal, da hast du ausnahmsweise recht“, erklärte Alice. „Und wenn ich diese Ehe hinter mir habe, trinke ich kübelweise Champagner.“

Wenn ich diese Ehe hinter mir habe.

Es war seltsam, diese Worte auszusprechen, da doch die meisten Menschen, die sich das Jawort gaben, fest davon ausgingen, dass es für immer sein würde. Alice hatte nie von ihrer Hochzeit geträumt, auch nicht als kleines Mädchen. Für sie war die Ehe immer eine Falle gewesen, ein Mittel zur Unterdrückung der Frau. Um die Vorherrschaft der Männer in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Wenn Frauen nach der Heirat Kinder bekamen, gaben sie meist ihre finanzielle Unabhängigkeit auf, und nur wenige schafften es, sich diese zurückzuerobern. Sie hatte miterlebt, wie ihre Mutter mit jeder gescheiterten Ehe Selbstbewusstsein und Geld verloren hatte. Das war ihr eine Lehre gewesen.

Aber in letzter Zeit war Alice mit vielen Bräuten in Berührung gekommen. Mit glücklichen Bräuten. Was seltsamerweise nicht spurlos an ihr vorübergegangen war. Jedes Mal, wenn sie eine Braut schminkte, begann sie sich unwillkürlich zu fragen, wie sie sich an deren Stelle wohl fühlen mochte. So hübsch zurechtgemacht vor einem blumengeschmückten Altar den Eheschwur abzulegen, wie es seit vielen Jahrhunderten Brauch war.

Viele ehemalige Bräute waren ihre Kundinnen geblieben. Und alle wirkten immer noch genauso glücklich wie am ersten Tag. Einige hatten inzwischen sogar schon Kinder, wodurch sich ihr Glück noch vergrößerte.

Das führte Alice zu der Frage, ob sie vielleicht zu viele Vorurteile hatte.

„Was hast du mit deinem Teil der Villa vor, wenn wir das alles hinter uns haben?“, erkundigte er sich.

„Verkaufen natürlich. Das Geld kann ich gut brauchen. Außerdem wäre ich gar nicht in der Lage, ein Anwesen dieser Größe – wenn auch nur zur Hälfte – in Schuss zu halten, solange ich in London lebe und arbeite. Die Instandhaltung so alter Häuser verschlingt ein Vermögen.“

Cristiano nickte zustimmend, wenn auch irgendwie merkwürdig enttäuscht.

„Du hast doch sicher damit gerechnet, dass dir deine Großmutter die Villa ganz hinterlässt?“, fragte sie nach einem Moment.

„Ja und nein.“ Sein Gesicht gab nichts von seinen Gefühlen oder Gedanken preis. „Ich bin finanziell nicht darauf angewiesen, weil ich selbst genug Immobilien besitze. Aber deshalb muss ich es noch lange nicht begrüßen, wenn das Haus in fremde Hände fällt.“

„Da hängen für dich bestimmt viele Erinnerungen dran.“

„Gute wie schlechte.“ Er griff nach seinem Wasserglas, trank aber nicht. Stattdessen malte er mit dem Finger ineinandergreifende Kreise auf die beschlagene Seite.

Alice nagte an ihrer Unterlippe. Wann hatten sie jemals so miteinander geredet? Wirklich geredet? „Es muss furchtbar sein, seine Familie so zu verlieren …“

„Ja.“ Er atmete tief aus und malte weiter. „Ich erinnere mich noch genau. Damals habe ich bei meinen Großeltern übernachtet, weil ich mir eine Magenverstimmung geholt hatte und deshalb nicht zu der Feier mitkommen konnte, auf der wir eingeladen waren.“ Er ließ von dem Glas ab und verzog den Mund zu einem schmerzlichen Grinsen. „Glück für mich. Ein Rotavirus hat mir das Leben gerettet.“

Alice versuchte den Kloß hinunterzuschlucken, der ihr plötzlich im Hals saß, als sie an den kleinen Jungen dachte, dessen Familie auf so grausame Weise ausgelöscht worden war. Wie einsam und verzweifelt musste er sich gefühlt haben bei dem Gedanken, die Menschen, die er am meisten geliebt hatte, nie wiederzusehen.

„Ich wünschte, ich hätte damals hartnäckiger nachgefragt. Du hast dich geweigert, darüber zu sprechen, und ich … ich wollte dich nicht drängen.“

„Ich habe praktisch nie darüber geredet, auch nicht mit meinen Großeltern.“ Mit leicht gerunzelter Stirn starrte er in sein Glas. „Als ich ein Auto hörte, dachte ich, meine Eltern kämen zurück. Aber es war die Polizei. Mein Großvater hat mir dann die Nachricht überbracht, dass …“

Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich.

„Es klingt seltsam, aber bis vor ein paar Jahren habe ich nie wirklich darüber nachgedacht. Wie schlimm das für meinen Großvater gewesen sein muss, mir die Nachricht vom Tod seines einzigen Sohnes, seiner Schwiegertochter und seines ältesten Enkels überbringen zu müssen. Er war so … so unglaublich ruhig und stark. Für mich. Für nonna. Ich habe ihn nie weinen sehen, aber manchmal hörte ich ihn. Spätnachts, in seinem Arbeitszimmer, lange nachdem alle anderen zu Bett gegangen waren. Es klang grauenhaft.“

Alice streckte den Arm aus und legte ihre Hand über seine große, warme braune auf dem blütenweißen Tischtuch. „Es tut mir leid“, sagte sie leise.

Er zog die Hand weg und lehnte sich zurück. „Es ist lange her. Meine Großeltern haben gut für mich gesorgt.“

Sie beendeten ihr Essen, ohne das Thema noch weiter zu vertiefen. Alice versuchte zweimal, ihn über seine Hotelpläne in London auszufragen, aber er weigerte sich, mit ihr über irgendetwas anderes zu reden als ihre Hochzeit.

Nachdem er sie nach dem Essen zu Hause abgesetzt hatte, blieb Alice noch einen Moment in der Eingangstür stehen, um zuzusehen, wie die roten Rücklichter seines Wagens in der Dunkelheit verschwanden. Rigoros weigerte sie sich, zuzugeben, dass sie enttäuscht war. Aber als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, war ihr, als habe sich ihr schönes Zuhause mit seinen großen Räumen und der eleganten Ausstattung noch nie so leer angefühlt.

4. KAPITEL

Der Anwaltstermin zur Unterzeichnung des Ehevertrags war für den nächsten Tag anberaumt. Cristiano hatte angeboten, Alice vom Salon abzuholen, aber sie war von einer Kundin aufgehalten worden. Als sie mit zwanzig Minuten Verspätung an die Rezeption kam, sah sie, dass Meghan und Cristiano sich angeregt unterhielten.

Mit einem strahlenden Lächeln drehte sich ihre Mitarbeiterin zu ihr um. „Na, das ist ja eine Überraschung, herzlichen Glückwunsch! Oh mein Gott! Wie romantisch, alle Welt twittert darüber. Ich hatte doch gleich so einen Verdacht. Dann sind Sie also verlobt!“

Alice wäre es normalerweise nie eingefallen, mit ihren Schauspielkünsten zu prahlen, aber in diesem Moment fand sie sich reif für einen Oscar und für einen Emmy.

Sie ging auf Cristiano zu und legte ihm einen Arm um die Taille. „Danke. Ja, es ist furchtbar aufregend. Wir sind sehr glücklich.“

Er umarmte sie ebenfalls, eine Hand auf ihrer Hüfte. Die Hitze, die er ausstrahlte, ließ sie erschauern. „Bekomme ich gar keinen Kuss zur Begrüßung?“, fragte er lächelnd.

Zähneknirschend erwiderte Alice das Lächeln. „Du weißt doch, was ich von zur Schau gestellten Intimitäten halte.“

„Oh, mir macht es nichts aus“, versicherte Meghan, die mit gefalteten Händen vor ihnen stand, als wartete sie auf die ultimative Kussszene in einem Liebesfilm.

Alice löste sich aus Cristianos Umarmung, um ihre Tasche zu holen. „Ich bin dann mal weg“, sagte sie zu Meghan. „Ach, ich habe übrigens Suze gebeten, meine Kundinnen am Samstag zu übernehmen.“

„Ist okay. Ach, ich freue mich so für Sie beide“, sagte Meghan. „Darf ich Ihr Hochzeits-Make-up übernehmen? Bitte, bitte. Oder wollen Sie es selbst machen?“

„Äh … das wird nicht so eine Art Hochzeit“, erwiderte Alice. „Wir denken an eine schlichte Zere…“

Was? Sie wollen keine richtig große Hochzeit?“ Meghans hübsches junges Gesicht wurde ganz schlaff vor Enttäuschung. „Aber Sie lieben Hochzeiten. Sie geben sich immer so viel Mühe mit Ihren Bräuten. Sie sind die Beste, das sagt jeder. Warum wollen Sie nicht, wovon wir alle träu…“

„Ich will einfach nur heiraten, ohne großes Tamtam“, unterbrach Alice sie eilig, bevor Meghan etwas über die Brautmagazine herausrutschen konnte, die sich unterm Empfangstresen stapelten. „Außerdem ist die Hochzeit schon nächsten Monat. Da bleibt keine Zeit für Extravaganzen. Cristiano hat es supereilig, stimmt’s, Schatz?“

Cristianos funkelnde schwarze Augen ließen keinen Raum für Zweifel. „Ich habe sieben lange Jahre gewartet, da möchte ich keine Sekunde mehr vergeuden.“

„Darf ich Ihren Ring sehen?“, bat Meghan.

Alice holte ihn aus der Tasche und steckte ihn sich wieder an. „Er sitzt ein bisschen locker, aber …“

„Oh …“ Meghan konnte ihre Enttäuschung nicht verhehlen. „Er ist sehr … äh … hübsch.“

„Es ist nicht der offizielle“, mischte Cristiano ein. „Der ist noch in Arbeit.“

„Oh, wie wundervoll.“ Jetzt strahlte Meghan wieder. „Alice hat nämlich eine Schwäche für hübsche Verlobungsringe, stimmt doch, Alice, oder?“

Alice wünschte sich ganz weit weg. Warum war sie nicht etwas vorsichtiger gewesen, als sie die Verlobungsringe ihrer Kundinnen bewundert hatte? Die klassischen Formen fand sie am schönsten. Elegant und schlicht statt protzig und teuer. Sie lächelte angestrengt. „Ja, das stimmt.“

Als Meghans nächste Kundin den Salon betrat, zog Cristiano Alice durch die Tür nach draußen. „Nettes Mädchen.“

„Ja …“

Und wenn ich zurückkomme, zwinge ich sie, kochend heißes Wachs zu trinken.

„Sie ist ziemlich gesprächig.“

„Ich hätte dich vorwarnen sollen, dass hier wahrscheinlich Paparazzi … äh … oh, zu spät.“

Er ließ ihren Ellbogen los und legte den Arm um ihre Taille, als eine Reportermeute, bewaffnet mit Kameras und Mikrofonen, auf sie zustürmte. „Warte. Ich kümmere mich darum.“

Immer noch umfangen von seinem Arm, stand Alice neben ihm und hörte zu, wie er ein kurzes Interview gab. Er konnte wirklich beunruhigend gut lügen.

„Wir hätten gern noch ein Statement von der glücklichen Braut“, bat eine Journalistin und hielt Alice ein Mikrofon unter die Nase. „Wie man hört, erfreut sich Ihr Beauty-Salon zunehmender Beliebtheit. Haben Sie jetzt vor, mit Ihrer Firma nach Italien zu expandieren, oder wollen Sie demnächst eine Familie gründen?“

Alice ignorierte, dass Cristiano sich durch leichten Druck seiner Finger bemerkbar zu machen versuchte, und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Warum sollte sie ihm erlauben, an ihrer Stelle zu antworten? Vielleicht konnte sie sich hier in der Öffentlichkeit ja ein paar Punkte zurückholen. „Familie ist schon in Arbeit, richtig, Schatz?“

Er warf ihr einen warnenden Blick zu. „Ich hätte eigentlich ganz gern erst noch etwas Zeit mit dir allein.“

Nachdem sich die Reportermeute zerstreut hatte, fragte Cristiano ungehalten: „Was, zum Teufel, sollte das?“

Finster verzog Alice das Gesicht. „Warum werden Frauen immer mit so blöden Fragen konfrontiert? Warum fragt dieser Journalist nicht dich, ob du bereit bist, deine Karriere zu opfern, um eine Familie zu gründen? Warum wird von Frauen immer erwartet, dass sie ihre hart erarbeitete Selbstständigkeit aufgeben?“

Missbilligend hatte er die Lippen zusammengekniffen. „Um Himmels willen, Alice, ich bitte dich doch nicht, deinen Beruf aufzugeben. Alles, was ich will, sind sechs Monate deiner Zeit.“

„Ich fasse es einfach nicht, dass Frauen sich heutzutage immer noch mit diesem Mist auseinandersetzen müssen“, schimpfte Alice weiter. „Es geht niemanden etwas an, ob ich ein Kind möchte oder nicht.“

„Deinen Partner schon, finde ich.“

Alice warf ihm einen Blick von der Seite zu, aber sein Gesicht war undurchdringlich. „Hast du vor, irgendwann eine Familie zu gründen, wenn …“

„Nein.“

„Aber du hast es dir früher so sehr gew…“

„Die Zeiten ändern sich.“

Warum? Weil ich deinen Traum von einer glücklichen Familie ruiniert habe?

Alice behagte der Gedanke nicht, dass sie daran schuld sein könnte, dass er seine Meinung geändert hatte. Er wäre bestimmt ein wundervoller Vater. Warum sollte er den Wunsch nach einer Familie aufgeben? Er hatte einem Kind so viel zu bieten. Stabilität. Sicherheit. Liebe. Sie blieb stehen, schaute ihn wieder an. „Ist es meine Schuld, dass du darüber jetzt anders denkst?“

Für einen kurzen Moment begegneten sich ihre Blicke, bevor er wegschaute und mit energischen Schritten weiterging. „Wir kommen zu spät, wenn wir uns nicht beeilen.“

Alice stieß den Atem aus und ging schneller. „Ich bin eben eine Karrierefrau. Erschieß mich.“

Eine Karrierefrau mit dem vagen Gefühl, dass ihr irgendetwas fehlt …

Alice und Cristiano betraten die Anwaltskanzlei, um den Ehevertrag zu unterzeichnen. Die ganze Prozedur wirkte so kalt und steril, dass Alice sich ausgesprochen unbehaglich fühlte. Als ob sie ein Tabu gebrochen hätte. Hieß es nicht: Was mein ist, soll auch dein sein, und was dein ist mein? Nicht, dass sie sich in ihren Gefühlen verletzt gefühlt hätte, denn immerhin hatte sie ja auch eigene Interessen zu schützen. Trotzdem fragte sie sich insgeheim, ob Cristiano vor sieben Jahren auch auf einem Ehevertrag bestanden hätte.

Am Ende informierte der Notar Alice, dass nun, nachdem die Verlobung offiziell war, eine Einmalzahlung auf Alices Konto fließen würde. Das Geld durfte sie behalten, selbst wenn die Ehe am Ende doch nicht zustande kam, was Alice mit großer Überraschung zur Kenntnis nahm. Es handelte sich um eine stattliche Summe, mit der sich einiges anfangen ließ, und Alice verstand nicht, womit sie das verdient hatte.

Als sie wieder auf der Straße waren, klingelte ihr Handy. Sie warf einen Blick auf das Display und verzog das Gesicht, meldete sich aber trotzdem. „Hi, Mum, ich wollte dich gerade …“

„Sag mir, dass ich träume.“ Ihre Mutter sprach so laut, dass es wahrscheinlich die ganze Straße hören konnte. „Meine Tochter – die Tochter, die geschworen hat, niemals zu heiraten – hat sich verlobt?“

Alice wandte sich ab, um Cristianos spöttischen Gesichtsausdruck nicht sehen zu müssen. „Ja, das geht alles ein bisschen schnell und …“

„Siehst du?“ Ihre Mutter klang triumphierend. „Meine Rede. Die Liebe kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wenn du den Richtigen triffst, weißt du es einfach. Wann ist die Hochzeit? Da brauche ich natürlich was Schickes zum Anziehen. Was meinst du, könntest du mir vielleicht ein bisschen unter die Arme greifen? Nicht dass du dich noch für mich schämen musst. Aber komm bloß nicht auf die Idee, deinen Vater einzuladen …“

Alice schaltete auf Durchzug und wartete, bis ihre Mutter mit ihrem Sermon am Ende war. Das hatte sie jahrelang trainiert.

„Hör zu, Mum, das wird keine große Sache“, erklärte sie, als ihre Mutter endlich nach Luft schnappte. „Wir möchten nur eine schlichte Zeremonie, um … um …“

„Aha … na gut, wenn du deine eigene Mutter nicht bei deiner Hochzeit dabeihaben willst, kann ich es auch nicht ändern“, sagte ihre Mum eingeschnappt. „Ich weiß, dass ich nicht so vornehm bin wie deine handverlesenen Gäste, aber ich habe dich immerhin auf die Welt und einige Opfer gebracht, damit du eine schöne Kindheit hast.“

Eine schöne Kindheit?

Vor Frustration hätte Alice am liebsten laut aufgeschrien. Nichts an ihrer Kindheit war schön gewesen. Ihre Mutter gehörte zu jener Art Frauen, die sich ohne einen Mann in ihrem Leben unvollständig fühlten. Ohne irgendeinen Mann. Ganz egal, wie furchtbar er war, Hauptsache ein Mann. Da waren die Enttäuschungen und Demütigungen natürlich vorprogrammiert gewesen. Aber das hatte sich ihre Mutter selbst zuzuschreiben, besonders weil sie nicht bereit war, aus noch so schlechten Erfahrungen zu lernen.

„Mum, hör zu, ich kann jetzt wirklich nicht reden“, sagte sie. „Ich melde mich, wenn ich aus meinem … Urlaub zurück bin.“ Erschöpft legte sie auf und schob ihr Telefon zurück in ihre Tasche.

Autor

Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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