Julia Extra Band 481

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VERFÜHRT VON EINEM SEXY PLAYBOY von MELANIE MILBURNE
Wenn Francesca den attraktiven Milliardär Gabriel Salvetti heiratet, zahlt er die Schulden ihrer Familie! Sie weiß, die Ehe ist für ihn nur ein Deal, um seinen Playboy-Ruf loszuwerden. Trotzdem lässt sie sich gegen jede Vernunft zu einer Nacht der Leidenschaft hinreißen …

KÜSS MICH SO HEISS WIE DAMALS von THERESE BEHARRIE
Fassungslosigkeit, Wut - und heißes Verlangen! Als Selfmade-Millionär Wyatt Montgomery seine Ex-Frau Summer auf einer Party trifft, sind sofort die Gefühle von damals wieder da. Doch sosehr er sie begehrt, er darf nicht vergessen: Sie hat ihn einst aus heiterem Himmel verlassen!

IN DEINEM ERREGENDEN BANN von KELLY HUNTER
Bis König Augustus eine standesgemäße Verlobte findet, muss er die atemberaubend schöne Kurtisane Sera im Palast aufnehmen - so verlangt es das Gesetz! Schon bald gerät er gegen seinen Willen immer mehr in Seras gefährlich erregenden Bann. Und plötzlich steht seine Welt Kopf …

EINE ENGLISCHE ROSE FÜR DEN MILLIARDÄR? von SHARON KENDRICK
In Argentinien begegnet PR-Beraterin Emily überraschend ihrer Jugendliebe Alejandro Sabato wieder. Während sie nach sinnlichen Küssen erneut ihr Herz an den heißblütigen Milliardär verliert, muss sie sich plötzlich fragen: Hat er sie womöglich nur aus Berechnung verführt?


  • Erscheinungstag 31.03.2020
  • Bandnummer 481
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714819
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Melanie Milburne, Therese Beharrie, Kelly Hunter, Sharon Kendrick

JULIA EXTRA BAND 481

MELANIE MILBURNE

Verführt von einem sexy Playboy

„Verlieb dich nicht in mich!“ Milliardär Gabriel Salvetti stellt klare Regeln für seine Ehe mit Frankie auf. Schließlich heiratet er sie nur, um seinen Ruf als Playboy loszuwerden – nicht aus Liebe!

THERESE BEHARRIE

Küss mich so heiß wie damals

Als Summer ihren Ex Wyatt in Südafrika wiedersieht, prickelt es heiß und sie verspürt diese unvernünftige Sehnsucht nach seinen Küssen. Doch Wyatt darf nie erfahren, warum sie ihn verlassen musste …

KELLY HUNTER

In deinem erregenden Bann

Sera ist die offizielle Gesandte ihres Volkes am Hof von König Augustus. Er will sie nicht, stellt er klar! Doch Sera muss ihre Pflicht erfüllen: Erst wenn sie ihm als Kurtisane zu Diensten war, ist sie frei …

SHARON KENDRICK

Eine englische Rose für den Milliardär?

Alejandro hat Emily nie verziehen, dass sie ihn nach ihrer ersten Liebesnacht eiskalt abserviert hat! Er trifft die süße englische Rose nur aus einem Grund wieder: um sich leidenschaftlich zu rächen!

1. KAPITEL

Ein letztes Mal stattete Frankie ihrem Elternhaus am Comer See einen Besuch ab. Das herrschaftliche Haus mit dem wunderschönen Garten würde schon bald für eine andere Familie ein Zuhause sein.

Frankie stand am Fuß der großen Freitreppe, die zum Eingang der Villa Mancini hinaufführte, und schaute auf das Maklerschild, auf das jemand mit blutroten Buchstaben „Verkauft“ geschrieben hatte. Ihr Magen zog sich zusammen. Ob der neue Besitzer den Namen ändern und das Gebäude in ein Hotel oder Casino umwandeln würde? Vierhundert Jahre war es im Besitz ihrer Familie gewesen – hier hatten Generationen ihrer Verwandten und Vorfahren gelebt.

So viele Erinnerungen …

Und dann hatte eine Partie Blackjack ausgereicht, um eine vierhundertjährige Familiengeschichte auszulöschen.

Frankie holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. Sie musste sich zusammenreißen. Jetzt war nicht der richtige Moment für eine Panikattacke. Oder für Tränen. Bald würde die Öffentlichkeit von ihrer Schande erfahren. Bislang hatte die Presse noch keinen Wind bekommen von dem enormen Schuldenberg, den sie von ihrem Vater geerbt hatte. Frankie hatte lediglich verlauten lassen, dass sie die Villa verkaufen wollte, um nach den zwei Monaten, in denen sie ihren todkranken Vater gepflegt hatte, nach London zurückzukehren. Die Presse hatte die Notlüge geschluckt. Aber wie lange würde es dauern, bis das schmutzige Geheimnis ihres Vaters ans Licht käme?

Sie sah die Schlagzeile schon vor sich: Reiche Erbin Francesca Mancini durch Spielschulden ihres verstorbenen Vaters völlig mittellos.

Um die Spielsucht ihres Vaters geheim zu halten, hatte Frankie ihr eigenes Konto bis auf den letzten Penny geplündert. Vom Erbe ihrer Mutter war nichts mehr übrig. Auch die Londoner Eigentumswohnung hatte sie verkaufen müssen. Aber hätte sie zulassen sollen, dass das Ansehen ihres Vaters in den Schmutz gezogen wurde, nur weil er während seiner letzten Lebensmonate spielsüchtig geworden war? Die Medikamente, die er wegen des unheilbaren Hirntumors hatte nehmen müssen, hatten seinen Verstand benebelt. Er hatte nicht mehr gewusst, was er tat, und war leichtsinnig geworden. In ihrer Naivität hatte sie geglaubt, ihre Ersparnisse würden ausreichen, um die Schulden zu tilgen. Aber ihr Gehalt als Sonderschullehrerin reichte für die Schulden in Millionenhöhe bei Weitem nicht aus.

Es war zum Verzweifeln.

Langsam stieg Frankie die Treppe hoch. Ihre Schlüssel hatte sie noch nicht abgegeben – die Maklerin hatte nicht danach gefragt, weil der neue Eigentümer erst einziehen wollte, wenn der Papierkram erledigt wäre. Sie schloss auf, betrat die Eingangshalle und blieb abrupt stehen. Sie wusste sofort, dass sie nicht allein war. Im Haus war eine ganz besondere Energie zu spüren, es kam ihr nicht länger kalt und leer vor, sondern irgendwie lebendig.

Die Tür zur Bibliothek im Erdgeschoss stand einen Spaltbreit offen, und von drinnen waren das Rascheln von Papier und das genervte Aufstöhnen eines Mannes zu vernehmen. Einen kurzen Moment lang glaubte Frankie, sie hätte den Tod ihres Vaters nur geträumt. Erleichterung überkam sie, aber das Gefühl war nicht von Dauer. Plötzlich hörte sie Schritte in der Bibliothek. Kraftvolle, entschlossene Schritte. Frankie wusste sofort, zu wem sie gehörten.

Gabriel Salvetti riss die Tür auf und starrte Frankie von oben herab an. Warum hatte sie keine High Heels angezogen? In ihren Ballerinas hatte sie dem weltgewandten Gabriel Salvetti nicht viel entgegenzusetzen. Im Vergleich zu seinen Einsfünfundneunzig kam sie sich mit ihren Einsneunundfünfzig winzig vor – wie ein kleines Kätzchen, das einem wilden Tiger gegenüberstand.

Ihre Blicke trafen sich.

„Francesca.“ Das kurze Nicken war zugleich höflich und herablassend.

„Was machst du hier?“ Frankie konnte seinen Blick nicht deuten. Schon immer hatte sie gedacht, er würde einen erstklassigen verdeckten Ermittler abgeben. Auch wenn das bei seinem kriminellen Vater und den zwielichtigen Brüdern und Cousins sicherlich nicht gut angekommen wäre. Bei den superreichen Salvettis galt Gabriel als weißes Schaf der Familie.

Aber warum hielt er sich in ihrem Haus auf? Er war nicht mal bei der Beerdigung ihres Vaters gewesen, obwohl er seit Jahren mit ihm Geschäfte gemacht und der alte Mann ihn als guten Freund betrachtet hatte.

Plötzlich fiel ihr Blick auf die Papiere in seiner Hand, und ihr Magen verkrampfte sich. Nein. Nein. Nein. Gabriel konnte nicht der neue Eigentümer des Hauses sein. Wie sollte sie es verkraften, wenn der Mann, dessen Annäherungsversuche sie vor Jahren zurückgewiesen hatte, ins Haus ihrer Familie zog?

Gabriel hielt die Tür zur Bibliothek auf und machte eine einladende Geste. „Wir müssen uns dringend unterhalten.“

Trotzig reckte Frankie das Kinn. „Wir müssen gar nichts. Aber du musst jetzt gehen.“ Sie zeigte zur Eingangstür. „Sofort.“

„Erst reden wir. Ich will dir einen Vorschlag machen, der dich sehr interessieren dürfte.“ Er wirkte ruhig und gelassen. Aber laut werden musste er auch gar nicht bei der Aura von Macht, die ihn umgab.

Erst vor Kurzem hatte Frankie ihn auf einem Zeitungsfoto gesehen. Es war an einem Strand in Südamerika entstanden – Gabriel zusammen mit seiner jüngsten Eroberung, einem blonden Topmodel, dessen schlanker Körper Frankie neidisch gemacht hatte. Frankie hatte die Kurven ihrer englischen Mutter und die schwer zu bändigende Mähne ihres italienischen Vaters geerbt. Besonders stolz war sie auf beides nie gewesen.

Gabriel hatte vielleicht nicht die kriminellen Energien seines Vaters geerbt, dafür aber dessen attraktives Äußeres. Dank seines rabenschwarzen Haars, der schokoladenbraunen Augen, der aristokratischen Nase und des athletischen Körperbaus konnte er sich vor Verehrerinnen kaum retten. Er strahlte die Selbstsicherheit eines Mannes aus, der felsenfest davon überzeugt war, dass ihm keine Frau widerstehen konnte.

Genau das war der Grund gewesen, warum Frankie am Tag ihres einundzwanzigsten Geburtstags seine Einladung zu einem Essen sofort ausgeschlagen hatte. Sie hatte ihm beweisen wollen, dass sie gegen ihn immun war. Selbstverständlich war er davon ausgegangen, sie würde Ja sagen, daher hatte sie einen Tonfall angeschlagen, der ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, sie niemals wieder zu belästigen. Dabei hatte sie sich heimlich gefragt, ob es schlau war, es sich mit diesem weltgewandten Mann zu verscherzen.

Auch bei den wenigen Malen, die sie sich seitdem zufällig begegnet waren, hatte sie ihm die kalte Schulter gezeigt. Denn er war der einzige Mann, in dessen Gegenwart sie sich selbst nicht über den Weg traute. Er weckte Gefühle in ihr, die sie unterdrücken musste. Gefühle und Wünsche, die sie innerlich zu verbrennen drohten.

Gabriel ging auf sie zu, und Frankie zwang sich, seinem durchdringenden Blick standzuhalten. Sah er ihr an, wie sehr er sie einschüchterte? Ihr Körper reagierte auf seine Nähe wie eine Eisskulptur auf Feuer. Ihre Haut begann zu prickeln, als würde sie nur auf seine Berührung warten. Sogar ihre Brüste schienen zu spannen …

„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du mir irgendwas zu sagen hast, das mich auch nur im Geringsten interessieren könnte.“ Ihre Stimme klang schneidend. Das bekam niemand so gut hin wie sie. Den Spitznamen Eisprinzessin trug sie nicht umsonst.

Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen, und ihr Magen schlug einen Purzelbaum. Gabriel hielt die Papiere in die Luft. „Ich habe die Lösung für deine Probleme.“

„Die Lösung für meine Probleme?“ Frankie lachte gekünstelt. „Ich glaube kaum, dass ich mich auf einen Vorschlag von dir einlassen werde.“

Er zuckte mit den Achseln. „Ist nur ein Angebot. Nimm es an oder nicht.“

Nervös befeuchtete sie sich die trockenen Lippen. „Willst du mir etwa … Geld leihen?“

„Nicht leihen. Schenken.“

Etwas in seinem Blick hielt sie gefangen. Was genau es war, wollte sie lieber nicht wissen. Aber ihr verräterischer Körper schien es zu spüren und sandte Hitzewellen in ihre intimsten Regionen. Seine samtweiche Stimme mit dem italienischen Akzent hatte schon immer diese Wirkung auf sie gehabt. Sie verspürte nur noch den Wunsch, ihm ganz nah zu sein, obwohl ihr Verstand sagte, dass sie sich damit in Gefahr brachte.

„Schenken?“ Frankie zog eine Augenbraue hoch. „Einfach so? Da ist doch ein Haken an der Sache.“

„Einen Haken gibt es immer, cara mia.“ Langsam ließ er den Blick zu ihrem Mund wandern und dort verweilen, als hätte er ähnlich lüsterne Gedanken wie sie. Obwohl Gabriel sich am Morgen rasiert haben musste, ließ der Bartschatten an seinem Kinn vermuten, dass mit seinen männlichen Hormonen alles zum Besten stand. Seine dunklen Augen waren von dichten schwarzen Wimpern eingerahmt und wurden von markanten Brauen gekrönt.

Und er war ihr gefährlich nah. Ihr Puls begann zu rasen. Hätte sie die Hand ausgestreckt, hätte sie die breite, muskulöse Brust berühren können. Hätte die Konturen seines Mundes, der römisch anmutenden Nase und der zackigen weißen Narbe an seiner linken Wange nachzeichnen können. Er war leger gekleidet: dunkelblaue Jeans, weißes T-Shirt und grauer Kaschmirpulli gegen die spätherbstliche Kälte. Das herbe Zitrusaroma seines Rasierwassers stieg Frankie in die Nase und betörte ihre Sinne.

Schnell ballte sie die Hände zu Fäusten und trat einen Schritt zurück. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, sie würde jeden Haken akzeptieren, solange er sie nur vor der Schande bewahrte, die Schulden ihres Vaters öffentlich bekannt geben zu müssen. Aber ihr Stolz ließ das nicht zu. Daher bedachte sie ihn mit einem eiskalten Lächeln. „Du bist wohl hier, um mir mitzuteilen, dass du das Haus gekauft hast.“

„Ich hab’s gekauft, ja. Aber ich will es dir überlassen.“

„Was meinst du damit?“ Dass sie überhaupt einen Ton herausbrachte, überraschte sie. Ihr Hals war wie zugeschnürt, und sie verspürte gleichermaßen Hoffnung und Angst. Die Hoffnung, dass sie ihr Zuhause behalten konnte, und die Angst, dass sie dafür einen hohen Preis zahlen musste.

Energisch wedelte er mit den Papieren in der Luft herum. „Mein Anwalt hat einen Vertrag aufgesetzt. Aber hier in der kalten Eingangshalle will ich nicht darüber reden.“ Er nickte in Richtung Bibliothek. „Ich würde vorschlagen, dass wir da reingehen und du dich hinsetzt.“

Frankie riss die Augen auf, blickte dann aber schnell zu Boden und ging vor ihm in die Bibliothek. Auf gar keinen Fall durfte er merken, wie sehr er sie durcheinanderbrachte. In den letzten Jahren hatte sie Männer mit unlauteren Absichten auf Abstand gehalten. Männer, die sie wegen ihrer gesellschaftlichen Stellung und des Vermögens ihrer Familie als Trophäe betrachteten. Und weil sie in der Vergangenheit zu oft verletzt worden war, stand sie allen Menschen misstrauisch gegenüber. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Sie war sich nur allzu bewusst, dass Gabriel hinter ihr ging, und fragte sich, ob er ihr auf den Po starrte. Verglich er sie insgeheim mit der Strandschönheit von dem Zeitungsfoto?

Sobald sie in der Bibliothek waren, drehte sie sich zu ihm um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schieß los.“

Er deutete auf einen Stuhl. „Setz dich.“

Sie drückte die Schultern durch. „Ich tue bestimmt nicht alles, was du mir sagst. Ich bin eine Frau, kein Hund.“

Langsam musterte er sie von Kopf bis Fuß und sein Blick hinterließ dabei eine glühend heiße Spur auf ihrer Haut. Dann schaute er ihr unvermittelt in die Augen, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Ich will dir doch nur helfen, Francesca. Daher wäre es klüger, es sich nicht mit mir zu verscherzen.“

Frankie ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte sie Gabriel den arroganten Ausdruck aus dem Gesicht geschlagen. Er spannte sie absichtlich auf die Folter. Warf ihr einen Köder hin. Weil sie damals seine Einladung zum Essen ausgeschlagen hatte, wollte er sich mit einem unmoralischen Angebot an ihr rächen. Seufzend ließ sie sich auf den Stuhl fallen und warf Gabriel einen bösen Blick zu. „Du willst mich erpressen, damit ich mit dir ins Bett gehe?“

Er hatte sich lässig an den Schreibtisch ihres Vaters gelehnt und streckte die langen Beine aus. „Ich würde ein weniger schlimmes Wort als erpressen vorziehen, cara.“

„Welches denn?“ Fragend zog sie die Augenbrauen in die Höhe. „Und nenn mich nicht cara.“

„Ich will dir einen Gefallen tun.“

Sie runzelte die Stirn. „Einen Gefallen?“

„Ich würde dir das Haus schenken und genug Geld, damit du die Schulden deines Vaters begleichen kannst – unter der Bedingung, dass du einwilligst, meine Frau zu werden“, erklärte er grinsend.

Sie sprang so schnell vom Stuhl auf, dass dieser umfiel. „Deine … Frau?“

„Ja. Aber nur für ein Jahr.“

Frankie öffnete den Mund und machte ihn sofort wieder zu. Natürlich hätte sie den Vorschlag entrüstet zurückweisen müssen, aber das Angebot klang einfach zu verlockend. Das Haus würde in ihrem Besitz bleiben, und sie würde die Schulden zurückzahlen können, ohne dass die Presse von der Spielsucht ihres Vaters erfuhr.

Aber konnte sie das Angebot wirklich annehmen? Schließlich widersprach es komplett ihren tiefsten Überzeugungen. „Ich verstehe nicht ganz … Wieso willst du nur ein Jahr mit mir verheiratet bleiben?“

Er stieß sich vom Tisch ab, bückte sich und stellte den umgefallenen Stuhl wieder hin. „Du hast etwas, das ich kurzfristig brauche.“

Seine dunklen Augen nahmen sie gefangen. Frankie schluckte und griff hinter ihrem Rücken nach der Tischkante, weil sie Angst hatte, ihre Beine könnten ihr den Dienst versagen. „U…und zwar?“ Dass sie gestammelt hatte, ärgerte sie.

„Einen guten Ruf. Gesellschaftliches Ansehen.“

„Gesellschaftliches Ansehen?“ Beinah hysterisch lachte sie auf. „Du weißt schon, welchen Schlamassel mein Vater mir hinterlassen hat? Schulden in Millionenhöhe, da kann man wohl kaum noch von Ansehen sprechen.“

„Wenn du mich heiratest, wird niemand davon erfahren. Ich habe gerade erst mit dem Anwalt deines Vaters telefoniert. Ich komme für sämtliche Schulden auf, wenn du noch dieses Wochenende meine Frau wirst.“

Ihr Herz begann wie wild zu hämmern. „Dieses Wochenende schon? Aber jetzt ist schon Donnerstag und …“

„Du kennst den schlechten Ruf meiner Familie, oder?“ Angespannt presste er die Lippen aufeinander.

„Ja, aber jeder weiß doch, dass du anders …“

„Jeder außer den Mitgliedern des Vorstands, dem ich gern weiterhin angehören möchte. Dein Vater hat mich letztes Jahr nominiert, aber jetzt, da er nicht mehr lebt, bekommen die anderen plötzlich kalte Füße. Aber wenn ich Marcos einzige Tochter heirate, werde ich mit Sicherheit ihr Vertrauen gewinnen.“

„Aber warum ich? Schließlich sind wir nicht gerade befreundet. Du kennst doch bestimmt andere Frauen, die einen guten Ruf genießen.“

Gabriel baute sich vor ihr auf. Jeder Zentimeter seines Körpers strahlte Männlichkeit und Macht aus. Wenn er ihr so nah war, musste sie sich ermahnen, das Atmen nicht zu vergessen. Musste sich in Erinnerung rufen, nicht auf seinen Mund zu starren und davon zu träumen, wie es sein mochte, wenn er ihn auf ihren presste. Und vor allem musste sie sich daran erinnern, dass sie ihren Stolz hatte und seinen absurden Heiratsantrag ganz bestimmt nicht annehmen würde.

Auch wenn der Vorschlag noch so verführerisch war. Sie würde ihm ein Jahr ihres Lebens schenken und im Gegenzug ihr Elternhaus behalten und die Schulden zurückzahlen können …

„Ich warte noch auf deine Antwort, Francesca. Ja oder nein?“

Sie flüchtete hinter den Schreibtisch ihres Vaters. „Ich … ich brauche Zeit, um über dein Angebot nachzudenken …“

Ein Jahr lang mit Gabriel Salvetti verheiratet sein? Sie hatte immer davon geträumt, eines Tages aus Liebe zu heiraten. So wie ihr Vater ihre Mutter aus Liebe geheiratet hatte. Die Mutter, die Frankie nie kennengelernt hatte, weil sie an dem Tag gestorben war, als Frankie und ihr Zwillingsbruder Roberto auf die Welt gekommen waren. Ihr Bruder war eine Totgeburt gewesen, und Frankie hatte sich immer gefragt, ob sie schuld am Tod der beiden war. Ihr Vater hatte nie wieder eine andere Frau geliebt und kein weiteres Mal geheiratet.

Das war die Liebe, die sie sich von einem Mann wünschte.

Krampfhaft hielt sie sich an der Rückenlehne des Ledersessels fest. „Was für eine Art Ehe schwebt dir denn vor …?“

Kurz ließ er den Blick zu ihrem Mund wandern. „Das hängt allein von dir ab.“

„W…was soll das heißen?“

„Entweder besteht unsere Ehe nur auf dem Papier, oder wir leben ganz normal als Mann und Frau zusammen. Das entscheidest du.“ Mit einem Mal schien die Atmosphäre im Raum elektrisch aufgeladen zu sein. Frankie konnte es mit jeder Faser ihres Körpers spüren – ein Verlangen, das sich wie flüssige Lava in ihrem Inneren ausbreitete.

Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe. „Und wenn ich mich für eine Ehe auf dem Papier entscheide, suchst du dir dann eine andere für … deine Bedürfnisse?“

„Nein.“

Seine Antwort überraschte sie. Mit zweiunddreißig Jahren stand Gabriel in der Blüte seines Lebens. Fast jede Woche hatte er eine neue Geliebte an seiner Seite. Frankie hatte die Fotos in den Zeitungen selbst gesehen. „Du willst ein ganzes Jahr lang enthaltsam leben?“, fragte sie erstaunt.

„Wenn du auf einer Ehe auf dem Papier bestehst, ja.“ Sein Blick wirkte höhnisch. „Aber von dir erwarte ich dann natürlich dasselbe.“

Frankie fragte sich, ob er wusste, dass sie noch Jungfrau war. Aber sie ging mit ihrer Unschuld natürlich nicht hausieren. Selbst ihr Vater hatte nichts von ihrem nicht vorhandenen Liebesleben gewusst. Das lag auch daran, dass sie in den letzten vier Jahren in London gelebt hatte. Mit Männern hatte sie kein Glück gehabt. Viele hatte es ohnehin nicht gegeben. Als Teenager hatte sie eine herbe Enttäuschung erlebt, die sie derart abgeschreckt hatte, dass sie sich nie wieder auf einen Mann eingelassen hatte. Sosehr sie sich auch wünschte, eines Tages den Partner fürs Leben kennenzulernen, sie hatte einfach Angst vor Nähe.

Wäre ihr nämlich jemand nähergekommen, hätte er erkannt, wer sie wirklich war. Eine Frau, auf der seit Jahren ein Fluch lastete. Ihr Geburtstag war gleichzeitig der Todestag ihrer Mutter und ihres Bruders …

Frankie umklammerte die Sessellehne noch fester und setzte ein hochmütiges Lächeln auf. „Du denkst wohl, wenn wir verheiratet wären, würde ich dich über kurz oder lang auf Knien anflehen, mit mir ins Bett zu gehen.“

Jetzt lächelte er sie so sexy an, dass ihr die Knie weich wurden. „Falls du es tun solltest, stehe ich dir liebend gern zur Verfügung.“

Sie spürte, wie sie errötete. „Sorry, aber ich gehöre nicht zu den Frauen, die um etwas betteln. Du würdest also vergeblich warten. Trotzdem verstehe ich immer noch nicht, warum du dir so viel Mühe machen willst, um mir aus meiner finanziellen Klemme zu helfen.“

Gabriel nahm einen Briefbeschwerer vom Schreibtisch und strich über das runde Glas, als wäre es die Brust einer Frau.

Frankies Brust.

Sie spürte, dass ihre Brüste tatsächlich zu kribbeln begannen. Warum war dieser Mann nur so verdammt attraktiv? Er erregte sie, auch ohne sie zu berühren. Als würde ihr Körper ihm gehören. Der Gedanke war beängstigend … und verführerisch zugleich.

Er legte den Briefbeschwerer zurück und schaute Frankie in die Augen. „Dein Vater war ein guter Mensch, Francesca. Er hat mir am Anfang meiner beruflichen Laufbahn eine Chance gegeben. Zuerst war er noch etwas skeptisch, aber ich habe ihm bewiesen, dass sein Vertrauen berechtigt war.“ Er blickte auf die Papiere auf dem Schreibtisch, bevor er sich wieder Frankie zuwandte. „Okay, am Ende seines Lebens hat er nicht besonders klug gehandelt. Aber schuld war nur die Krankheit. Ich will nicht, dass sein Andenken in den Schmutz gezogen wird, nur weil ihm die Dinge in den letzten Monaten entglitten sind.“

Auf das gute Verhältnis zwischen Gabriel und ihrem Vater war Frankie immer neidisch gewesen. Sie hatte ihrem Vater nie so nah gestanden, wie sie es sich gewünscht hätte, und gab sich selbst die Schuld daran. Immerhin war sie diejenige, die für den Tod seiner großen Liebe verantwortlich war. Und ihretwegen war auch der Sohn gestorben, den er sich so sehr gewünscht hatte. Mit dieser Schuld lebte sie nun schon, solange sie denken konnte.

„Aber wenn du dich mit meinem Vater so gut verstanden hast, warum warst du dann nicht auf seiner Beerdigung?“

Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. Eine Mischung aus Schmerz und schlechtem Gewissen. Mit der Hand fuhr er sich durch das volle pechschwarze Haar. „Mir ist etwas Unvorhergesehenes dazwischengekommen …“

Frankie verschränkte die Arme vor der Brust. „Und das war nicht zufällig eine blonde Sexbombe im Bikini?“

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Nein.“

„Sondern?“

Er setzte eine undurchdringliche Miene auf. „Sagen wir mal so: Es ist etwas passiert, und ich war der Einzige, der die Krise meistern konnte.“

Sie wartete auf eine nähere Erklärung, aber er sprach nicht weiter. Nach einem Moment stieß sie den angehaltenen Atem aus und schaute Gabriel in die Augen. „Kann ich ein paar Tage Bedenkzeit haben?“

„Ich brauche deine Antwort noch heute Abend. Die Pressemeute schnüffelt bereits, und ich kann sie nicht mehr lange hinhalten.“

Panik breitete sich in Frankie aus. Unter Druck Entscheidungen zu fällen hatte noch nie zu ihren Stärken gezählt. Eine Ehe war ein großer Schritt, den sie sich gut überlegen musste. Blieb ihr überhaupt eine andere Wahl? Wenn sie die Schulden ihres Vaters nicht bald beglich, hätten andere Menschen darunter zu leiden.

Aber Gabriel Salvetti heiraten?

Alles ging so schnell. Ihr blieb keine Zeit, in Ruhe nachzudenken. Das Für und Wider abzuwägen. Die Flucht zu ergreifen. Sie hatte das Gefühl, die Wände würden auf sie zukommen. Sie musste sich hinsetzen, bevor ihr die Beine wegsackten …

Plötzlich griff eine warme Hand nach ihrem Arm. „Alles in Ordnung?“ In Gabriels tiefer Stimme schwang Besorgnis mit. „Ruhig atmen, cara.“ Er führte Frankie zum Stuhl. „Setz dich und leg den Kopf auf die Knie.“ Nachdem sie seinen Rat befolgt hatte, strich er mit der Hand über ihr Haar, um sie zu beruhigen. „So ist’s gut.“

Frankie nahm mehrere tiefe Atemzüge und versuchte, nicht darauf zu achten, wie gut sich Gabriels Berührung anfühlte. Ein angenehmer Schauer lief ihr über den Rücken. Gabriel war ihr so nahe, dass sie die Wärme seines muskulösen Oberschenkels durch den Stoff ihrer Bluse spüren konnte. Nur vage erinnerte sie sich an das letzte Mal, dass sie einem Mann so nahe gewesen war. Aber das hier war etwas anderes.

Gabriel war anders. Niemals hätte sie von ihm erwartet, dass er sich ihretwegen Sorgen machen würde. Seine Berührung löste etwas in ihr aus – Gedanken und Wünsche, die sie sich bisher nie eingestanden hatte, nun aber nicht länger unterdrücken konnte. Fast sah sie im Geiste vor sich, wie ihre Körper sich aneinanderschmiegten und ihre Lippen sich zu einem leidenschaftlichen Kuss fanden.

Gabriel ging vor ihr in die Hocke und ergriff ihre Hand. „Besser?“ Sein attraktives Gesicht war ihr so nahe. Wieder wurde ihr schwindelig, weil sie sich plötzlich danach sehnte, seinen Mund auf ihrem zu spüren. Sie benetzte die Lippen und sah, dass er der Bewegung ihrer Zunge mit den Augen folgte. Ihre Blicke trafen sich, und Frankie hatte das Gefühl, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Die Atmosphäre knisterte beinah vor Sinnlichkeit.

Frankie sah auf ihren Schoß und konnte nicht aufhören, sich vorzustellen, wie Gabriel die Hände über ihren Körper wandern ließ, wie er sie streichelte und erregte. Vergeblich versuchte sie, einen Schauer zu unterdrücken. „Alles okay. Mir war nur ein bisschen schwindelig …“

Sofort ließ er sie los, richtete sich auf und legte ihr kurz die Hand auf die Schulter. „Mein Vorschlag kam natürlich sehr überraschend, aber ich gebe dir mein Wort, dass ich keine Hintergedanken habe.“

Aus Angst, dass Gabriel das nackte Verlangen in ihrem Blick wahrnehmen könnte, schaute sie erneut nach unten. „Nehmen wir mal an, wir würden tatsächlich heiraten, was machen wir, wenn das Jahr um ist?“

„Dann lassen wir uns scheiden.“ Er klang so, als wäre das die normalste Sache der Welt.

Jetzt schaute sie ihm doch in die Augen. „Richtig viel springt für dich dabei aber nicht raus. Du willst Millionen ausgeben, um ein Jahr lang meinen Mann zu spielen – für einen guten Ruf?“

Er schaute zum Fenster, sodass sie sein markantes Gesicht nur noch im Profil sah. „Du liest doch Zeitung, oder? Dann hast du bestimmt vom letzten Skandal um meinen Vater gehört.“ Die Härte in seiner Stimme verriet, wie sehr er sich für die kriminellen Machenschaften seiner Familie schämte. „Es geht um Drogen. Der größte Fund in der Geschichte Italiens. Muss ich dir noch mehr erzählen?“

Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. „Nein. Das muss schlimm für dich sein.“

„Verdammt schlimm.“ Er ging um den Tisch herum und stellte sich hinter den Ledersessel. „In letzter Zeit war es mir fast nicht möglich, meine eigenen Geschäfte am Laufen zu halten. Wichtige Verträge sind geplatzt. Verträge, die ich über Monate ausgearbeitet habe. Jedes Mal, wenn ich zu einer Vorstandssitzung komme, spüre ich die Anspannung der anderen. Deine Situation ist auch nicht gerade rosig. Wenn wir so schnell wie möglich heiraten, wäre das die beste Lösung für uns beide.“

„Aber selbst wenn wir nur auf dem Papier heiraten, werden die Leute doch von uns erwarten, dass wir in der Öffentlichkeit hin und wieder Zärtlichkeiten austauschen …“

Kurz ließ er den Blick zu ihrem Mund wandern. Dann blinzelte er und schaute ihr in die Augen. „Ab und zu werden wir nicht um eine liebevolle Geste herumkommen. Deshalb sollten wir vorher absprechen, wie weit wir gehen sollten. Was angemessen ist.“

„Das klingt so … technisch.“

„Wenn man vor einem Problem steht, darf man sich nicht von Gefühlen leiten lassen.“ Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf der Sessellehne. „Das bringt mich zu Regel Nummer eins, an die du dich unbedingt halten musst.“

„Und zwar?“

„Verlieb dich nicht in mich“, sagte er bestimmt.

Frankie sprang von ihrem Stuhl auf, als hätte sie sich verbrannt. „Wie bitte? Ich soll mich nicht in dich verlieben?“ Sie streckte den Zeigefinger in Gabriels Richtung. „Und was ist, wenn du dich in mich verliebst?“

Die Muskeln an seinem Kinn verspannten sich, und sein Blick wurde kalt und hart. „Nimm’s mir bitte nicht übel, aber das ist höchst unwahrscheinlich.“

Frankie stieß einen wütenden Laut aus, obwohl sich ihr Herz verkrampfte. Hatte sie mit ihren Befürchtungen all die Jahre recht gehabt? Würde sich nie ein Mann in sie verlieben? „Weißt du, was ich dir wirklich übel nehme? Dass du mich für verzweifelt genug hältst, deinen verrückten Vorschlag anzunehmen.“

Gabriel schob ihr die Papiere hin, die er auf den Tisch gelegt hatte. „Im Vertrag steht, dass ich dir das Haus überschreibe, sobald wir geheiratet haben. Danach fliegen wir nach Frankreich und machen eine Hochzeitsreise, damit sich niemand wundert.“

Eine Hochzeitsreise? Frankie nahm den Vertrag ihn in die Hand und las ihn aufmerksam durch. Als sie fertig war, legte sie ihn zurück auf den Tisch. „Eins ist mir nach wie vor schleierhaft. Wieso willst du eine Frau heiraten, die du niemals lieben wirst?“

„Glaub mir, es ist für uns beide das Beste, wenn wir Gefühle aus dem Spiel lassen.“ Er lächelte. „Sollten wir die Ehe tatsächlich vollziehen, müssen wir unbedingt verhüten. Darauf bestehe ich. Damit das von Anfang an klar ist.“

Sie hob die Hand. „Immer schön langsam. Ich habe noch nicht mal eingewilligt …“

„Aber das wirst du, cara. Für dich steht einfach zu viel auf dem Spiel.“

Leider hatte er damit recht. Denn noch schlimmer als die Vorstellung, einen Mann zu heiraten, der sie niemals lieben würde, war die Aussicht, ihr Elternhaus zu verlieren und das Ansehen ihres Vaters beschmutzt zu sehen.

Langsam stieß Frankie den angehaltenen Atem aus, schaute Gabriel aber nicht an. „Offensichtlich habe ich keine andere Wahl …“

Er kam um den Tisch herum. „Sieh mich an, Francesca.“

Sie blickte auf und schaute ihm in die undurchdringlich dunklen Augen. Längere Zeit musterte er sie, dann strich er ihr mit dem Zeigefinger über die Wange. Bei der Berührung begann Frankies Haut zu kribbeln. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sie hielt den Atem an.

Er grinste wissend. „Ich helfe dir, und du hilfst mir. Das ist alles.“

Sie zog den Kopf weg und rieb sich demonstrativ die Wange. „Okay, ich habe auch ein paar Grundregeln. Du fasst mich nicht an, wenn ich dich nicht dazu auffordere.“

„Klingt vernünftig. Aber in der Öffentlichkeit kann sich schon mal eine Situation ergeben, in der es komisch wirken würde, wenn ich dich erst um Erlaubnis frage, oder?“

„Ich meinte auch mehr die Zeit, in der wir allein sind.“ Trotzig reckte sie das Kinn. „Und wir werden nur eine Ehe auf dem Papier führen.“

Seine Augen funkelten. „Bist du dir da ganz sicher, cara mia?“

2. KAPITEL

Gabriel hielt dem abweisenden Blick aus Frankies graublauen Augen stand. Ihrem hübschen Gesicht war deutlich anzusehen, dass sie einen inneren Kampf ausfocht. Sie ballte die zierlichen Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Dann drückte sie die Schultern durch wie eine Prinzessin, die sich soeben eine Frechheit von einem Stallburschen hatte gefallen lassen müssen.

„Ich habe dir gesagt, du sollst mich nicht so nennen.“ Ihre Augen funkelten vor Wut. Bei der Vorstellung, dass ihn diese ungewöhnlich schönen Augen voller Lust anblicken würden, verspürte er ein Ziehen in der Lendengegend. In einem Moment waren ihre Augen grau, im nächsten blau. Sie erinnerten ihn an den See vor dem Fenster mit seinen stets wechselnden Blautönen, in dem sich die rauchgrauen Wolken spiegelten.

„Wenn wir verheiratet sind, werden die Leute von mir erwarten, dass ich dich so nenne. Ich bin nun mal durch und durch Italiener.“ Beim Anblick ihrer aufeinandergepressten Lippen musste er unwillkürlich lächeln. Nur allzu gern hätte er diesen perfekt geschwungenen Mund geküsst. Diesen Mund, von dem er kosten, den er erforschen wollte.

Frankie hielt ihn für unter ihrer Würde, was nicht weiter verwunderlich war, wenn man an seine kriminelle Familie dachte. Vor vier Jahren hatte sie seine Bitte, mit ihm essen zu gehen, noch ausgeschlagen, doch nun konnte sie ihn nicht länger zurückweisen.

Schon vor Jahren hatte Gabriel sich von seiner Familie losgesagt und ein eigenes Geschäftsimperium aufgebaut. Einer der Gründe, warum er Francesca Mancini heiraten wollte, war die Dankbarkeit, die er für ihren Vater empfand. Marco Mancini hatte seine Vorurteile gegenüber Gabriels Familie außer Acht gelassen und Gabriel eine Chance gegeben. Mit der Unterstützung des älteren Mannes war es Gabriel gelungen, den Grundstein für sein gewaltiges Vermögen zu legen. Erst im letzten Jahr hatte Marco ihn dann in den Vorstand seiner Firma berufen. Diese Mitgliedschaft würde ihm ein internationales Netzwerk eröffnen, das Millionen wert war. Und er würde nie vergessen, welches Risiko der ältere Mann eingegangen war, als er auf ihn, der aus einer Familie mit zweifelhaftem Ruf stammte, gesetzt hatte.

Aber Gabriel wollte mit dem Angebot, Frankie zu heiraten, nicht nur seinem verstorbenen Freund und Gönner einen Gefallen tun.

Nein. Er wollte Frankie für sich gewinnen. Diesen Wunsch verspürte er, seit sie ihn damals zurückgewiesen hatte. Denn innerlich war er überzeugt, dass sie ihn ebenso sehr wollte wie er sie. Sie sträubte sich nur dagegen, es sich einzugestehen. Und das machte sie für ihn zu einer unwiderstehlichen Herausforderung. Er war ein Mann, der seine Ziele immer erreichte, koste es, was es wolle.

Selbst wenn Frankie die Ehe nicht vollziehen wollte, hätte er einen Sieg errungen, sobald sie seinen Ring am Finger trug.

Frankie drehte den Kopf so schnell weg, dass ihr volles, zum Pferdeschwanz gebundenes Haar zur Seite schwang. Von ihrer englischen Mutter hatte sie den cremefarbenen Teint geerbt und die wunderschönen rauchblauen Augen mit den langen, dunklen Wimpern. Ihr Körper hatte Kurven an genau den richtigen Stellen. Zu gern hätte er diesen Körper überall liebkost und erforscht … Schnell verdrängte er diesen Gedanken.

„Ich fürchte, für eine kirchliche Trauung bleibt uns keine Zeit“, sagte er in die Stille hinein.

Ihr Gesichtsausdruck war so unterkühlt, dass er fast eine Gänsehaut bekam. „Wenn du wirklich glaubst, ich würde vor einem Priester ein Versprechen ablegen, das ich nicht halten will, dann hast du dich geschnitten.“

„Die Leute werden es verstehen, wenn wir in aller Stille heiraten. Schließlich ist dein Vater erst vor wenigen Wochen gestorben.“ Einen Moment lang schwieg er. „Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie sehr du ihn vermisst.“

Ein Anflug von Schmerz huschte über ihr Gesicht. Dann schloss sie kurz die Augen. „Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass er nicht mehr da ist …“ Sie schaute wieder zu Gabriel. „Als ich vorhin ins Haus gekommen bin und dich in der Bibliothek gehört habe, dachte ich für einen kurzen Moment, er wäre es. Dass er gar nicht tot ist und seine Schulden nur ein schlimmer Albtraum waren.“ Ihre Lippen bebten leicht.

Gabriel wusste, wie sehr der Verlust eines geliebten Menschen schmerzte. Als er neun Jahre alt gewesen war, war seine Mutter gestorben, und es hatte Jahre gedauert, bis er sie nicht mehr jeden Tag vermisst hatte. Ihr Tod hatte nicht nur Einfluss auf sein Leben gehabt, sondern auch auf das seiner beiden jüngeren Brüder Ricci und Lorenzo. Am schlimmsten aber hatte er seine kleine Schwester Carli getroffen, die damals erst zwei gewesen war.

Gabriel hatte sich immer bemüht, die Lücke, die seine Mutter hinterlassen hatte, so gut wie möglich auszufüllen. Er hatte versucht, seinen Geschwistern ein Ersatzvater zu sein, aber seine beiden Brüder vergötterten ihren Vater, und Gabriel hatte nie einen positiven Einfluss auf sie nehmen können. Bei Carli hatte er bessere Chancen gehabt. Als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, war er ihr Held gewesen. Vor ihrem Vater und seinen Wutausbrüchen hatte sie dagegen immer Angst gehabt. Gabriel hoffte, dass er noch heute Einfluss auf sie nehmen konnte, denn Carli hatte seit ihrer Teenagerzeit mit einer Essstörung zu kämpfen. Noch war es ihm nicht gelungen, Carli zu helfen, aber er hatte die Hoffnung nicht aufgegeben und würde es auch nie tun.

Gabriel stellte sich direkt vor Frankie. „Er war ein guter Mensch. Und er hat dich geliebt und wollte nur das Beste für dich.“

Erneut huschte ein Schatten über ihr Gesicht, und ihre Augen färbten sich grau. „Im Vergleich zu deinem Vater muss meiner auf dich gewirkt haben wie der Vater des Jahres.“

Du weißt längst nicht alles über ihn. Gabriel bewahrte eine ausdruckslose Miene. Er hatte es sich angewöhnt, seine Gefühle für seinen Vater anderen gegenüber zu verbergen. Der Name „Vater“ war im Grunde viel zu gut für den Mann, der ihn und seine Geschwister gezeugt hatte. „Man kann die beiden nicht miteinander vergleichen“, sagte er schnell und schaute auf seine Uhr. „Höchste Zeit, auf unsere bevorstehende Hochzeit anzustoßen. Da fällt mir ein, ich habe noch was für dich …“ Er fischte in seiner Hosentasche nach dem Verlobungsring, den er für Frankie gekauft hatte. Dann nahm er ihre linke Hand und streifte ihr den mit Diamanten übersäten Ring über.

Frankie schaute zu ihm und wieder auf ihre linke Hand. „Er ist wunderschön … aber viel zu teuer, wo du doch schon so viel Geld …“

Sanft drückte er ihre Hand. „Mach dir wegen des Geldes bitte keine Gedanken mehr. Wir helfen uns gegenseitig, schon vergessen?“

Ihre Augen schimmerten verräterisch, was ihn tief berührte. Schnell ließ er ihre Hand los und trat einen Schritt zurück, damit der Wunsch, sie zu küssen, nicht übermächtig wurde. „Was hattest du für heute Abend geplant?“

„Ich wollte in mein Hotel und dort etwas essen.“

„Warum bist du überhaupt in ein Hotel gegangen? Du hättest doch hier wohnen können.“

„Ich dachte, hier bin ich nur der Maklerin im Weg.“ Verlegen spielte sie mit dem Ring. „Und nach dem Tod meines Vaters kommt mir das Haus so leer und einsam vor …“

„Würdest du hierbleiben, wenn ich mit einziehe?“

„Wäre das klug?“

Ganz und gar nicht. Aber er würde seine Selbstbeherrschung bestimmt nicht verlieren. „In achtundvierzig Stunden sind wir verheiratet. Die Leute werden erwarten, dass wir zusammenleben.“

Frankie zuckte zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Mach dir meinetwegen keine Sorgen, Francesca. Ich werde deine Entscheidung, die Ehe nur auf dem Papier zu führen, respektieren.“ Das Versprechen würde ihm alles abverlangen, dennoch wollte er sich um jeden Preis daran halten.

„Vielen Dank.“ Ihr hübsches Gesicht wirkte eiskalt, aber hinter ihren graublauen Augen braute sich ein Sturm zusammen, das spürte Gabriel.

Gabriel hatte nur eine Stunde gebraucht, um Frankies Sachen vom Hotel in die Villa Mancini transportieren zu lassen. Jetzt saßen sie in einem Edelrestaurant an einem Tisch mit Blick auf den Comer See. Die schneebedeckten Berge bildeten einen herrlichen Kontrast zum tiefblauen Wasser. Obwohl Frankie die letzten Jahre in London verbracht hatte, konnte sie sich an der norditalienischen Landschaft einfach nicht sattsehen.

Doch musste sie bei diesem Anblick unweigerlich auch an ihre Mutter und den Zwillingsbruder denken, für deren Tod sie sich verantwortlich fühlte …

Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie Gabriels musternden Blick erst spät bemerkte. „Tut mir leid, ich war ganz woanders.“ Sie nahm das Glas mit dem sündhaft teuren Champagner, den Gabriel ausgesucht hatte, und nippte daran. „Mhm, köstlich. Du hast einen sehr guten Geschmack.“

„Für einen Mann, der aus der falschen Familie kommt?“, fragte er trocken.

Frankie stellte das Glas ab. „So hab ich das nicht gemeint …“

„Schon gut, cara.“ Er drehte den Stiel seines Glases zwischen Daumen und Zeigefinger.

„Siehst du ihn hin und wieder? Deinen Vater?“

„Nein.“

„Wann hast du ihn zum letzten Mal …“

„Hör auf, Francesca.“ Seine Miene war wie versteinert.

„Warum nennst du mich immer Francesca?“

Ihre Blicke trafen sich. „Das ist ein wunderschöner Name. Vornehm. Wie für eine Königin.“ Seine Stimme klang noch tiefer, und ein Schauer rann über Frankies Rücken.

„So siehst du mich also?“

Er nahm sein Glas, hob es aber nicht an die Lippen. „Du willst nicht wirklich wissen, wie ich dich sehe.“

„Na los. Sag schon.“ Der Champagner stieg ihr zu Kopf und lockerte ihre Zunge. Das war nicht gut. Sie flirtete mit Gabriel, dabei war Flirten etwas, das sie niemals tat. Niemals.

„Unter dieser Eisköniginnen-Maske, die du immer aufsetzt, steckt eine äußerst leidenschaftliche Frau.“ Er schaute auf ihren Mund, als würde er sich vorstellen, ihn zu küssen.

Frankies Wangen fingen an zu glühen. „Du weißt gar nichts über mich …“

Leise lachte er auf und trank einen Schluck Champagner. Dann stellte er das Glas wieder ab und bedachte Frankie mit einem amüsierten Lächeln. „Dir ist es peinlich, dass du dich zu mir hingezogen fühlst. Mädchen aus gutem Hause stehen nicht auf böse Jungs wie mich.“

Damit hast du voll ins Schwarze getroffen. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, spürte ein Verlangen nach ihm, das ihr Angst einjagte. Sie nahm ihr Glas und setzte eine unterkühlte Miene auf, obwohl sie innerlich brannte. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich ein Mann wie du für ein Mädchen aus gutem Hause interessiert. Die müsste dir doch viel zu langweilig sein.“

„Hängt ganz davon ab.“

„Wovon denn?“

„Welches Mädchen du meinst.“

Frankies Herz klopfte wie wild. Allmählich bewegten sie sich auf dünnem Eis. Das lag nicht etwa daran, dass sie Angst vor Gabriel hatte. Nein, sie hatte Angst vor sich selbst. Davor, dass sie die Beherrschung verlor und sich ihm an den Hals warf.

Über den Rand der Champagnerflöte schaute sie ihn an. „Warum willst du keine Kinder?“ Die Frage war ihr herausgerutscht, bevor sie darüber nachdenken konnte.

„Ich habe nicht das Verlangen, meine Gene weiterzugeben.“

„Wegen deiner Familie?“

„Wie sieht’s bei dir aus? Wünschst du dir eigene Kinder?“, antwortete er mit einer Gegenfrage.

Frankie spielte mit dem Stiel ihres Glases und betrachtete ihre Hände. „Ich weiß nicht … Aber mir bleiben ja noch ein paar Jahre, bis ich mich endgültig entscheiden muss.“ Sie legte ihre Hände in den Schoß und schaute zu Gabriel. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine gute Mutter wäre. Schließlich bin ich ohne Mutter aufgewachsen. Gut, ich hatte Kindermädchen, aber das ist wohl nicht dasselbe.“

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Nein, vermutlich nicht.“

Einen Moment herrschte Schweigen.

„Und deine Mutter?“, fragte Frankie schließlich. „Ist sie noch mit deinem Vater zusammen?“

„Sie ist tot“, antwortete er schnell, trank einen Schluck und stellte das Glas abrupt auf den Tisch.

„Tut mir leid. Woran ist sie gestorben?“

Er sog scharf die Luft ein und bedachte Frankie mit einem abweisenden Blick. „Merk dir bitte eins, Francesca: Ich rede nicht gern über meine Familie. Okay?“

„Okay.“ Frankie lehnte sich zurück und musterte ihn. Seine dunklen Augen wirkten undurchdringlich, und sein Kinn war so markant, als wäre es aus Stein gemeißelt. Sie konnte sich nur ansatzweise vorstellen, wie schlimm es für ihn sein musste, aus einer kriminellen Familie zu stammen.

Doch trotz seines familiären Hintergrunds hatte sie Gabriel nie für einen schlechten Menschen gehalten. Als er sie vor vier Jahren zum Essen eingeladen hatte, hatte sie ihn lediglich arrogant und überheblich gefunden. Es hatte sie abgeschreckt, dass er glaubte, sie würde ihm nicht widerstehen können. Aber wenn sie ganz ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, dass sie damals fast nachgegeben hätte. Die Vorstellung, einen Abend mit ihm zu verbringen, war äußerst verführerisch gewesen.

Daran hatte sich bis heute nichts geändert.

Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, stieß Gabriel vernehmlich die Luft aus. „Tut mir leid, dass ich so heftig reagiert habe. Es ist nur so, dass ich schon seit Jahren versuche, nicht mehr über meine Familie nachzudenken.“

Frankie legte die Hand auf seine. „Und mir tut es leid, dass ich dich dazu bringen wollte, über etwas zu reden, über das du nicht gern sprichst. Ich werde versuchen, das Thema nicht wieder anzuschneiden.“

Er nahm ihre Hand und hielt sie sanft. Sofort spürte Frankie, wie sich Hitze zwischen ihren Schenkeln sammelte. Jede seiner Berührungen löste diese Reaktion in ihr aus, und sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn sich ihre Körper in Leidenschaft vereinigten.

Der Kellner brachte die Speisen und riss Frankie damit aus ihren Gedanken. Während des Essens unterhielten sie sich über neutralere Themen. Alles schmeckte köstlich, und Gabriel gab ein paar witzige Anekdoten aus seinem Berufsleben zum Besten. Doch nach einer Weile fiel Frankie auf, dass die Gäste an den umliegenden Tischen sie neugierig anstarrten. Irgendwann zog eine Frau sogar ein Handy aus der Tasche und schoss ein Foto von ihnen.

Frankie senkte den Kopf und flüsterte Gabriel zu: „Nicht hinschauen, aber die Frau da drüben hat uns gerade fotografiert.“

„Daran musst du dich gewöhnen, cara.“ Sein Tonfall klang resigniert. „Im Moment folgt mir die Presse auf Schritt und Tritt. Hoffentlich gibt sich das, wenn wir erst mal verheiratet sind.“

Verheiratet. Dieses Wort ließ Frankie an Dinge denken, die in ihrem Verhältnis zu Gabriel nichts zu suchen hatten. Schließlich hatte sie selbst darauf bestanden, nur eine Ehe auf dem Papier zu führen.

Doch als sie kurze Zeit später aufstanden und Gabriel ihr die Hand reichte, reagierte ihr Körper sofort auf die Berührung. Gabriel legte ihr den Arm um die Taille und führte sie aus dem Restaurant. Unbändiges Verlangen erfasste sie. Er war so stark und männlich und überragte sie um etliche Zentimeter.

Als sie das Auto erreichten und Gabriel ihr die Beifahrertür öffnete, ließ er die Hand von ihrer Taille zur Hüfte wandern und dort wenige Sekunden lang verharren. Frankie stieg ein, und Gabriel gab ihr den Sicherheitsgurt. Die kurze Berührung ihrer Hände war wie ein Stromschlag.

Wie konnte es sein, dass mit Gabriel selbst das Einsteigen in ein Auto zu einem sinnlichen Erlebnis wurde?

Das ist doch lächerlich!

Gabriel stieg ebenfalls ein, und Frankie blickte kurz zu ihm. Würde sie jemals genug davon bekommen, ihn anzuschauen? Er sah aus wie ein gefallener Engel. Schön wie die Sünde, mit einer männlichen Ausstrahlung, die das Blut in ihren Adern zum Sieden brachte. Als er den Gang wechselte und dem Motor ein kehliges Schnurren entlockte, sah sie zu seinen muskulösen Schenkeln.

Gabriel warf ihr einen Seitenblick zu. „Keine Sorge. Bei mir bist du in Sicherheit.“

Aber was, wenn sie gar nicht in Sicherheit sein wollte?

3. KAPITEL

Während der Fahrt zur Villa konzentrierte Gabriel sich auf die Straße. Trotzdem entging ihm nicht, dass die Luft zwischen ihnen förmlich knisterte. Etliche Male hatte er bemerkt, dass Frankie ihn verstohlen musterte, und sich gefragt, ob sie es auch spürte. Ob ihre Gedanken in eine ähnliche Richtung abgedriftet waren wie seine. Ob sie ebenfalls von dem Verlangen erfasst worden war. Aber er würde keinen Annäherungsversuch starten. Er wollte, dass sie den ersten Schritt machte. Denn dass sie ihn begehrte, konnte er in ihren Augen lesen.

Er umklammerte das Lenkrad noch fester, weil er Angst hatte, seine Hand würde sich selbstständig machen und sich auf Frankies schlanken Schenkel legen.

„Kannst du dir das nächste Jahr freinehmen?“ Er wunderte sich selbst, dass sein Tonfall so lässig klang, obwohl er sich innerlich vor Lust verzehrte.

Frankie rutschte auf ihrem Sitz nach vorn. „Du erwartest, dass ich meinen Job aufgebe? Findest du das nicht reichlich altmodisch?“

Gabriel zuckte mit den Schultern. „Ich habe kein Problem damit, dass du arbeitest. Aber mir gefällt nicht, dass du deinem Job in einem anderen Land nachgehst. Ich will keine Fernbeziehung führen.“

„Aber wir führen ja keine echte Beziehung …“

„Schon, aber die Leute sollen sich nicht das Maul zerreißen, weil meine Frau es nicht erträgt, mit mir unter einem Dach zu leben.“

„Warum ziehst du dann nicht nach London?“, fragte sie. „Du hast dort doch bestimmt ein Büro.“

„Ich besitze eine Wohnung in London, aber mein Zuhause ist in Mailand.“ Er schaute kurz zu ihr hin. „Ich bin derjenige, der dir unter die Arme greift. Da finde ich es nicht zu viel verlangt, wenn du zu mir ziehst. Es ist ja nur für ein Jahr, und du wirst dafür reichlich entschädigt.“

Sie schwieg.

Gabriel stieß einen Seufzer aus. „Ich will dir das Leben nicht unnötig schwer machen.“

„Kommt mir aber so vor.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Du erwartest von mir, dass ich mein altes Leben aufgebe und mich deinen Wünschen füge wie eine Ehefrau aus dem vorletzten Jahrhundert. Aber ich hatte mich schon zwei Monate lang beurlauben lassen, um meinen Vater zu pflegen.“

„Ich fürchte, in diesem Punkt lasse ich nicht mit mir verhandeln. Ich brauche dich an meiner Seite, sonst wird uns niemand abnehmen, dass wir eine echte Ehe führen.“

„Und wenn ich Nein sage?“

„Dann kannst du die Abmachung vergessen.“

Sie blickte auf den Verlobungsring, als spiele sie mit dem Gedanken, ihn abzunehmen und Gabriel ins Gesicht zu schleudern. Doch dann seufzte sie resigniert. „Ziehst du bei einem Streit eigentlich jemals den Kürzeren?“

„Nein, schon lange nicht mehr.“

Als sie wieder in der Villa waren, setzte Gabriel sich in die Bibliothek, um geschäftliche E-Mails zu beantworten, und Frankie begab sich in das Zimmer, in das sie ein paar Stunden zuvor ihre Sachen gebracht hatte. Es war ein komisches Gefühl, wieder in ihrem Elternhaus zu sein. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie hier keine Nacht mehr verbracht. Aber jetzt, da Gabriel mit eingezogen war, kam ihr das Haus wie verwandelt vor.

Es hatte keinen Zweck gehabt, mit ihm darüber zu diskutieren, dass sie ihr Leben in London fortsetzen wollte. Teilweise konnte sie ihn sogar verstehen. Sie verdiente nicht annähernd so viel wie er. Dennoch liebte sie die Arbeit mit den körperlich behinderten Kindern. Tatsächlich hatte sie schon länger mit dem Gedanken gespielt, eines Tages ein Ferienheim für Kinder mit besonderen Bedürfnissen in ihrem Elternhaus einzurichten. Viele Kinder aus ihrer Klasse kamen aus schwierigen Verhältnissen. Einige hatten noch nie Ferien gemacht. Und das wollte sie ihnen gern ermöglichen.

Sobald Frankie ihre Sachen in den Schränken verstaut hatte, ging sie zu einem geräumigen Gästezimmer, um es für Gabriel herzurichten. Vor dem ehemaligen Schlafzimmer ihrer Eltern blieb sie kurz stehen. Es war seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr benutzt worden. Nach dem Tod der Mutter hatte ihr Vater es nie mehr betreten. Und es hatte Jahre gedauert, bis er es übers Herz gebracht hatte, die Haushälterin zu bitten, die Kleider und Sachen seiner verstorbenen Frau auf den Dachboden zu bringen. Frankie konnte sich noch gut an den Tag erinnern und auch daran, dass ihr Vater noch Monate später depressiv gewesen war.

Frankie ging weiter zu dem Gästezimmer mit herrlichem Blick auf den Comer See. Tatsächlich lag es von ihrem eigenen am weitesten entfernt, und das war auch gut so, wenn sie daran dachte, welches Gefühlschaos Gabriels Anwesenheit in ihr auslöste.

Als sie kurze Zeit später die Treppe ins Erdgeschoss nahm, kam Gabriel gerade aus der Bibliothek.

„Ich hab ein Zimmer für dich vorbereitet“, sagte sie. „Das vierte rechts.“

„Vielen Dank. Aber ich hätte mein Bett selbst beziehen können. Du bist schließlich nicht meine Haushälterin“, erwiderte er stirnrunzelnd. „Das bringt mich zu der Frage, ob ich die Angestellten deines Vaters zurückholen oder neue einstellen soll.“

Bei dem Gedanken, das Gehalt der Angestellten aus eigener Tasche zu bezahlen, zuckte Frankie innerlich zusammen. Aber die Villa war viel zu groß, als dass sie die Arbeit allein hätte bewältigen können. „Die alte Haushälterin ist nach Vaters Tod in Rente gegangen. Eigentlich würden eine Hilfe im Haushalt und zwei Gärtner vollkommen ausreichen. Was meinst du?“

„Natürlich musst du nicht für ihr Gehalt aufkommen, das mache ich“, beruhigte er sie. „Gleich morgen höre ich mich mal nach neuen Leuten um.“

Hatte Gabriel ihre Gedanken gelesen? Die Vorstellung war beunruhigend. Was würde er sonst noch darin sehen? Sie spürte, wie sie errötete, und schaute zu Boden. „Danke. Das ist sehr großzügig von dir.“ Sie biss sich auf die Unterlippe, bevor sie hinzufügte: „Ich weiß nur nicht, wann ich dir das Geld zurückzahlen kann.“

„Bleib ein Jahr mit mir verheiratet. Mehr verlange ich nicht von dir.“

Frankie hielt den Blick gesenkt. Sonst wäre er wie von selbst zu Gabriels Mund gewandert.

Er stellte sich so nah vor sie hin, dass sie ihn hätte berühren können. „Morgen kommt mein Anwalt, um unseren Ehevertrag zu beglaubigen. Danach kannst du in die Stadt fahren und dir ein Hochzeitskleid aussuchen.“

Frankie hob den Kopf. „Ich soll ein richtiges Hochzeitskleid anziehen? Auch ohne kirchliche Trauung?“

„Wenn du willst, kannst du dich wie eine traditionelle Braut kleiden.“ Seine Stimme klang ruhig, aber an seinem Kinn zuckte ein Muskel.

„Und wo soll die Zeremonie stattfinden?“

„Wenn du möchtest, hier im Garten. Oder schwebt dir was anderes vor?“

Als kleines Mädchen hatte sie oft davon geträumt, eines Tages im Garten der Villa zu heiraten. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie am Arm ihres Vaters den von Glyzinien gesäumten Weg entlanggehen und von ihrem total verliebten Bräutigam sehnsüchtig erwartet werden würde.

Doch nun war ihr Vater tot, und ihr zukünftiger Mann liebte sie nicht.

„Im Garten wäre schön.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Und ein Hochzeitskleid habe ich schon. Das von meiner Mutter. Mein Vater hat es für mich aufbewahrt. Es muss irgendwo auf dem Dachboden bei ihren alten Sachen hängen. Wahrscheinlich muss ich es noch in die Reinigung geben oder zumindest ein, zwei Tage lang auslüften lassen.“

„Die Zeit haben wir noch.“ Gabriel nahm ihre linke Hand und strich mit dem Daumen über den Verlobungsring. „Gibt es jemanden, den du einladen möchtest? Verwandtschaft aus England? Freundinnen?“

Sie seufzte und schaute auf seine Hand, die ihre hielt. „Meine Verwandten aus England kenne ich kaum. Sie haben sich zurückgezogen, nachdem meine Mutter und mein Zwillingsbruder gestorben sind.“

„Oh. Ich wusste nicht, dass du einen Zwillingsbruder hattest.“ Die Betroffenheit in seiner Stimme ließ sie aufblicken. „Dein Vater hat ihn nie erwähnt …“

Aus Angst, sich zu sehr an die Berührung zu gewöhnen, zog Frankie die Hand weg. „Tja, er hat nicht gern über den Tod meiner Mutter gesprochen. Oder darüber, dass Roberto tot auf die Welt kam. Für ihn war das ein traumatisches Erlebnis, weil er sich so auf seinen Stammhalter gefreut hatte. Aber es gab Komplikationen bei der Geburt, und meine Mutter hat es nicht überlebt.“

„Was für eine schreckliche Tragödie.“ Seine Stimme war voller Mitgefühl.

„Ich habe nur davon erfahren, weil es einem Kindermädchen rausgerutscht ist. Damals war ich vier oder fünf. Im ganzen Haus gab es kein Foto von Roberto. Und von mir selbst auch nur die paar, die ein Kindermädchen von mir gemacht hatte.“

„Dein Vater hat nur selten von deiner Mutter gesprochen. Aber einmal – wir hatten etwas getrunken – hat er mir ein Foto von ihr gezeigt. Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Einen Augenblick lang schwieg er. „Ich glaube, die ganze Geschichte hat ihn sehr mitgenommen. Das ist kein Wunder, wenn man an die tragischen Umstände ihres Todes denkt. Trotzdem habe ich mich manchmal gefragt, warum er nie wieder geheiratet hat. Er war damals noch jung und hätte weitere Kinder haben können.“

„Es gab ein, zwei Frauen, mit denen er eine Affäre hatte“, erwiderte Frankie. „Aber ich glaube, sie haben es nicht ertragen, in Konkurrenz zu einem Geist zu stehen. Bis vor einigen Jahren hingen die Sachen meiner Mutter sogar noch im Schrank. Ganz ehrlich, ich fand das ein bisschen unheimlich.“

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Es muss schlimm für dich gewesen sein, ganz ohne Mutter aufzuwachsen.“

„Tja, aber wie sagt man so schön: Was man nie hatte, kann man auch nicht vermissen.“ Sie seufzte. „Trotzdem vermisse ich sie. Ich stelle mir manchmal vor, wie es sein würde, wenn sie noch da wäre. Ihr Tod hat eine Leere in mir hinterlassen.“ Sie ballte die Hand zur Faust und klopfte sich gegen die Brust. „Nichts und niemand kann diese Leere füllen.“ Sie ließ die Hand sinken und blickte zu Boden, als schäme sie sich, weil sie Gabriel von ihren Gefühlen erzählt hatte.

Er nahm ihre Hand. „Wenn man seine Mutter in so jungen Jahren verliert, hat das ganz sicher Auswirkungen aufs ganze Leben.“

Frankie schaute ihm in die Augen und fragte sich, ob er an den Verlust seiner eigenen Mutter dachte. „Gabriel … wie alt warst du, als du deine Mutter verloren hast?“

Abrupt ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Sein Gesichtsausdruck wirkte so angespannt, als versuche er, die Erinnerungen an seine Mutter mit Gewalt zu verdrängen. Die Gefühle. Den Schmerz. Denn ihr Verlust schmerzte ihn noch immer. Das spürte Frankie. Sie erkannte es an den Schatten, die seine schokoladenbraunen Augen verdunkelten.

„Ich war damals neun.“ Seine Stimme klang ausdruckslos.

„Erinnerst du dich noch an sie?“, fragte Frankie, obwohl sie wusste, dass sie damit einen Schritt zu weit ging.

„Wir haben morgen einiges zu erledigen“, wechselte er abrupt das Thema. „Geh lieber schlafen, und ruh dich aus. Gute Nacht.“

Frankie blieb stehen und schaute zu, wie Gabriel sich umdrehte, in die Bibliothek zurückging und die Tür hinter sich schloss. So wie er seine Gefühle in seinem Herzen eingeschlossen hatte. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er ihr jemals einen Schlüssel zu seinem Herzen geben und sich ihr öffnen würde.

Vielleicht wäre er dazu bereit, wenn sie erst einmal verheiratet waren …

4. KAPITEL

Gabriel wartete, bis er sicher war, dass Frankie im Bett lag, und ging dann in sein Zimmer. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Die Geschichte mit ihrem toten Zwillingsbruder hatte ihn aufgewühlt. Es stimmte ihn traurig, dass sie und ihr Vater eine solche Tragödie erlebt hatten. Dennoch spürte er auch einen kleinen Stich, weil ihr Vater ihm nichts davon erzählt hatte.

Mit Marco Mancini hatte ihn ein besonderes Verhältnis verbunden. Er hatte den älteren Mann respektiert und war stolz auf die Freundschaft gewesen, obwohl ihm schon früh klar geworden war, dass Marco keinen Menschen nah an sich heranließ. Aber verhielt es sich bei ihm selbst nicht ganz ähnlich?

Über die Trauer, die ihn bisweilen noch heute wegen des Verlusts seiner Mutter überkam, sprach Gabriel nicht gern. Oder über die Schande, die an ihm klebte wie Pech. Marco gegenüber hatte er seine Familie kaum erwähnt. Niemand wusste, was er in den Jahren erlebt hatte, bevor die Familie Salvetti reich geworden war. Er hatte Marco nie von dem Hunger erzählt, der ihn in seiner Kindheit oft geplagt hatte. Oder von den Schlägen seines Vaters und den verzweifelten Versuchen, seine Geschwister vor dessen Wutausbrüchen zu schützen. In jungen Jahren hatte Gabriel auf den Straßen von Palermo betteln gehen müssen, damit er und seine Geschwister überhaupt etwas zu essen hatten. Ab und an hatte er sogar Obst aus fremden Gärten gestohlen oder in den Straßencafés Speisereste von den Tischen der Gäste mitgehen lassen.

Von heute auf morgen hatte sich dann alles geändert. Es war ein kleines Wunder gewesen, und Gabriel hatte keine Fragen gestellt, woher der plötzliche Reichtum kam, weil er einfach nur froh gewesen war, dass der tägliche Überlebenskampf endlich vorbei war. Dass der Hunger nicht mehr an ihm zerrte. Dass er sich nicht länger schämen musste. Sie waren in ein schönes Haus in einem vornehmen Stadtteil gezogen, und Gabriel hatte den neuen Wohlstand genossen. Die Annehmlichkeit, vom Personal umsorgt zu werden, von den Köchinnen, Putzkräften, Gärtnern und Chauffeuren.

Den sozialen Aufstieg.

Die Sicherheit.

Sein Vater hatte ihn und seine jüngeren Geschwister auf Privatschulen geschickt. Erfreut, endlich etwas lernen zu dürfen, hatte Gabriel später als Jahrgangsbester abgeschlossen. Er hatte das neue Leben genossen, bis er an seinem achtzehnten Geburtstag erfahren hatte, woher das Vermögen seines Vaters stammte. Danach hatte er sich für jeden Euro geschämt, den sein Vater jemals für ihn ausgegeben hatte. Denn an dem Geld klebte Blut.

Seine Kleidung, die Privatschule und das schöne Haus waren mit Drogengeldern finanziert worden. Drogen, die Menschen vergiftet und Leben zerstört hatten. Die Drogen, die seine Mutter getötet hatten. Weil sie gedroht hatte, mit ihrem Wissen zur Polizei zu gehen, hatte Gabriels Vater ihr starke Beruhigungsmittel gegeben und sie abhängig gemacht. Erst viele Jahre nach ihrem Tod hatte Gabriel die Wahrheit erfahren. Bis dahin hatte sein Vater ihm die Lüge aufgetischt, sie hätte Selbstmord begangen. Insgeheim war Gabriel jedoch schon immer überzeugt gewesen, dass seine Mutter die vier Kinder niemals freiwillig im Stich gelassen hätte. Und nachdem die schmutzige Wahrheit endlich ans Licht gekommen war, war Gabriel mit achtzehn von zu Hause ausgezogen und hatte seine Geschwister angefleht, mit ihm zu kommen. Seine Brüder waren bei ihrem Vater geblieben, weil ihnen Geld mehr bedeutet hatte als ein reines Gewissen.

Und seine Schwester Carli hatte sich so sehr gewünscht, Teil einer richtigen Familie zu sein, dass sie nicht hatte wahrhaben wollen, was ihr Vater war: ein Verbrecher, der andere Menschen aus dem Weg schaffte, wenn sie ihm bei seinen Machenschaften in die Quere kamen. Sogar heute noch, nachdem sie eingesehen hatte, dass ihr Vater ein schlechter Mensch war, wollte sie Gabriels Hilfe oft nicht annehmen.

Doch Frankies Vater hatte offenbar gemerkt, dass der Kummer ihn und Gabriel verband, und ihm vor vielen Jahren die Chance seines Lebens gegeben. Dafür war Gabriel dem älteren Mann auch nach seinem Tod noch dankbar. Obwohl er sich über sich selbst ärgerte, weil er nicht erkannt hatte, in welche Klemme sich der alte Mann hineinmanövriert hatte. Aber jetzt wollte er Marcos Fehler wiedergutmachen, indem er seine Tochter heiratete.

Während ihrer Teenagerzeit hatte Gabriel Frankie nur gelegentlich gesehen, weil sie auf ein englisches Internat ging und nur die Ferien im Haus ihres Vaters verbrachte. Frankie hatte jedes Mal so getan, als wäre er Luft, aber die roten Flecken auf ihren Wangen und die verstohlenen Seitenblicke hatten ihr Interesse verraten. Gabriel konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als er ihr zum ersten Mal die Hand geschüttelt hatte. Damals war Frankie siebzehn gewesen, und die Berührung hatte ihn wie ein Stromschlag getroffen. Er selbst war damals dreiundzwanzig gewesen, also längst kein Teenager mehr, bei dem die Hormone verrücktspielten. Tatsächlich hatte er schon mit mehreren Frauen geschlafen und sich sehr gewundert, weil die züchtige Berührung eines Mädchens diese Wirkung auf seine Libido hatte.

Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Frankie ging nicht sofort ins Bett, obwohl sie von dem nervenaufreibenden Tag todmüde war. Erst musste sie noch das Hochzeitskleid ihrer Mutter finden. Wollte wissen, ob sie es tatsächlich anziehen konnte oder ob sie sich ein neues besorgen musste. Aber als sie das Kleid in einem Schrank auf dem Dachboden fand, war ihr sofort klar, dass sie kein anderes anziehen würde. Nachdem sie es aus der Schutzfolie befreit hatte, hielt sie es vor ihren Körper und betrachtete sich in dem halbblinden Spiegel, der auf dem Dachboden stand. Der lange Rock aus edler Spitze und Seidentaft fiel sanft schwingend bis zum Boden. Fast konnte man meinen, das Kleid wäre extra für sie angefertigt worden.

Der cremeweiße Stoff schmeichelte ihrem Teint, und der Schnitt brachte ihre femininen Kurven perfekt zur Geltung. Im Schrank fand sie einen handbestickten Spitzenschleier und ein Diadem, das sogar einer Prinzessin gut zu Gesicht gestanden hätte. Frankie konnte sich zwar nicht vorstellen, ein anderes Kleid zu tragen, war sich aber trotzdem unsicher, ob es die richtige Entscheidung wäre. Ihre Mutter hatte ihren Vater aus Liebe geheiratet. Würde sie, Frankie, das wunderschöne Kleid entweihen, wenn sie es zur Hochzeit mit einem Mann trug, der sie niemals lieben würde? Einem Mann, der ihr in aller Deutlichkeit klargemacht hatte, dass es in ihrer Ehe keinen Platz für Gefühle gab?

Frankie brachte das Kleid in ihr Zimmer und hängte es in den begehbaren Kleiderschrank. Gedankenverloren strich sie über den Spitzenstoff und fragte sich, wie sich ihre Mutter an ihrem Hochzeitstag gefühlt haben mochte. War sie aufgeregt gewesen? Nervös?

Seufzend ging sie ins Zimmer zurück. Sie musste sich an die Abmachung halten. Eine Hochzeit mit Gabriel war die einzige Möglichkeit, die Schulden ihres Vaters zu tilgen und ihr Elternhaus zu behalten. Und sie war entschlossen, genauso rational an die Sache heranzugehen, wie Gabriel es tat.

Keine Gefühle. Keine Reue.

Nach dem Frühstück ging Frankie in die Bibliothek, wo Gabriel bereits mit seinem Anwalt saß. Dass er einen Ehevertrag aufgesetzt hatte, wunderte sie nicht. Unter den gegebenen Umständen war das nur vernünftig. Allerdings erinnerte er sie auch schmerzlich daran, wie sehr sich ihre Ehe von der ihrer Eltern unterscheiden würde.

Frankie unterschrieb den Vertrag auf den entsprechenden Seiten und schaute zu, wie Gabriel seine Unterschrift neben ihre setzte. Insgeheim fragte sie sich, ob Gabriel dem Anwalt die Wahrheit über ihre Ehe verraten hatte. Aber selbst wenn der ältere Mann sich über einzelne Paragrafen wunderte, ließ er sich nichts anmerken. Nachdem sie ihre Unterschriften geleistet hatten, wünschte ihnen der Anwalt alles Gute für die Hochzeit und verabschiedete sich.

Gabriel schloss die Tür hinter ihm und wandte sich an Frankie. „Ich hoffe, das war nicht allzu schlimm für dich?“

Frankie strich sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. „Warum sollte es schlimm sein? Ich kann gut verstehen, dass du dein Geld schützen möchtest.“ Sie wollte sich umdrehen und weggehen, aber eine Berührung von Gabriel hielt sie zurück. Obwohl sie ein langärmeliges Oberteil trug, konnte sie seine Wärme spüren.

Er zog die Hand zurück, als hätte er sich an ihr verbrannt. Spürte er es etwa auch? Die kleinen Stromstöße, die Frankie jedes Mal durchfuhren, wenn sie sich berührten? War das der Grund, warum seine Augen noch dunkler wurden, als er in ihre schaute?

„Auch wenn wir in der Öffentlichkeit das glückliche Paar spielen, wird unsere Ehe nur ein Jahr lang dauern. Und ich werde mein Vermögen nicht für eine kurzfristige Beziehung aufs Spiel setzen“, erklärte er bestimmt.

Frankie reckte das Kinn. „Gibst du bei all deinen Beziehungen ein Verfallsdatum vor?“

„Nur wenn es nötig ist.“

Glaubte er etwa, dass sie die Scheinehe würde fortsetzen wollen? Dass sie ihn nach einem Jahr auf Knien anflehen würde, bei ihr zu bleiben? „Denkst du wirklich, du müsstest mich immer wieder daran erinnern, dass wir den Leuten nur etwas vorspielen?“ Sie warf ihm einen eisigen Blick zu. „Keine Sorge, die Botschaft ist angekommen. Du musst mir das Verfallsdatum unserer Ehe nicht ständig vorbeten.“

Er hielt ihrem Blick stand. „Vergiss bitte nie, dass nur wir und der Anwalt von unserer Abmachung wissen dürfen. Die Leute, die im Haus für uns arbeiten, sollen denken, es sei eine Liebesheirat gewesen. Und ich erwarte, dass du deinen Freundinnen und Bekannten dasselbe erzählst. Das werde ich auch in der Presseerklärung betonen, die ich herausgebe, sobald wir die Hochzeit hinter uns gebracht haben.“

„Und wie willst du den Leuten, die im Haus arbeiten, unsere getrennten Schlafzimmer erklären?“, fragte sie scharf.

Der Blick aus seinen dunklen Augen löste ein Kribbeln in ihrem Magen aus. „Wir werden keine getrennten Schlafzimmer haben – das ist für ein Ehepaar nicht üblich. In meiner Mailänder Villa gibt es neben dem Schlafzimmer einen kleinen Raum. Dort werde ich schlafen, wenn du das Bett nicht mit mir teilen möchtest.“

Ungläubig riss Frankie die Augen auf. „Spinnst du? Kommt überhaupt nicht infrage, dass du direkt im Nebenzimmer schläfst.“ Abrupt drehte sie sich um und ging zur Treppe.

„Ich habe dir mein Wort gegeben, Francesca. Dass du mir nicht traust, fasse ich als Beleidigung auf.“

Sie wirbelte herum. Der Ausdruck in Gabriels Gesicht war schwer zu deuten. Dennoch hatte sie den Eindruck, ihr Misstrauen hätte ihn enttäuscht. So merkwürdig es war, in Wahrheit hatte sie das Gefühl, ihm voll und ganz vertrauen zu können. Er war ein Mann, der jede Frau haben konnte, daher bestand keine Gefahr, dass er sich ihr aufdrängen würde.

Das Problem war nur, dass sie nicht sicher war, ob sie sich ihm nicht bei der erstbesten Gelegenheit an den Hals werfen würde. Vielleicht würde sie tatsächlich vor seinem Bett auf die Knie gehen und ihn anflehen, mit ihr zu schlafen?

„Warum machst du das? Weil ich damals deine Einladung zum Essen ausgeschlagen habe? Willst du dich an mir rächen?“

„Nein, ich tue das aus rein praktischen Gründen, cara. Wenn wir getrennte Schlafzimmer haben, werden sich die Leute das Maul zerreißen. Ich kann nicht dafür garantieren, dass alle meine Angestellten Diskretion wahren, und ich will nicht gleich am Anfang unserer Ehe die Gerüchteküche anheizen.“ Er zwang sich zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Glaub mir, eines Tages wirst du mir dankbar sein.“

Wofür? Dass sie sich ein Schlafzimmer mit Gabriel Salvetti teilen musste?

Frankie wurden die Knie weich, und sie stützte sich mit einer Hand am Treppengeländer ab. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich neben Gabriel im Bett liegen. Ob er nackt schlief? Bei dem Gedanken verspürte sie eine verräterische Hitze zwischen ihren Schenkeln. „Wird es dir schwerfallen, vor den Hausangestellten so zu tun, als wärst du in mich verliebt?“ Sie war stolz, dass ihr Tonfall trotz des Aufruhrs in ihrem Inneren ruhig und gelassen blieb.

Er zuckte mit den Schultern. „Damit hab ich kein Problem.“

Sie trat vom Treppengeländer weg und baute sich vor ihm auf. „Vielleicht solltest du üben, es mir auch zu sagen.“

„Das wird nicht nötig sein.“

„Ich denke schon. Du solltest üben, mir Liebeserklärungen zu machen, damit die Leute es dir später auch abnehmen.“ Frankie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte. „Man wird erwarten, dass du hin und wieder die berühmten drei Worte zu mir sagst.“

„Aber die drei Worte bedeuten nichts, solange keine Taten folgen.“ Langsam ließ er den Blick zu ihrem Mund und zurück zu ihren Augen wandern. „Meinst du, das sollte ich ebenfalls üben?“

Plötzlich stand er ihr so nahe, dass sie seine Wärme spüren konnte. Einen kurzen Moment lang hielt sie den Atem an. Er schaute wieder zu ihrem Mund, und sein Blick blieb daran haften wie ein leidenschaftlicher Kuss. Sofort begannen ihre Lippen zu prickeln.

Sie zwang sich dazu, seinem Blick standzuhalten. „Du darfst mich nur anfassen, wenn ich es dir erlaube. So haben wir’s abgemacht.“

Sein Mund verzog sich zu einem wissenden Grinsen, und seine Augen waren dunkel wie Kohlen, die nur darauf warteten, vom Feuer verschlungen zu werden. „Immer wenn du mich so ansiehst, gibst du mir die Erlaubnis, cara.“

„Dein Ego ist wirklich gigantisch“, gab sie zurück und errötete.

„Es ist nicht die Größe meines Egos, wegen der du dir Gedanken machen musst.“ Seine tiefe Stimme ließ sie erschauern.

Fragend zog sie eine Augenbraue hoch. „Flirtest du etwa mit mir?“

Er stützte die Hand gegen die Wand hinter ihrem Kopf. Jetzt war sie auf der einen Seite gefangen, aber auf der anderen blieb ihr die Möglichkeit zur Flucht. „Was glaubst du denn, cara?“

Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Ich glaube, du willst mich küssen.“ Ihre Direktheit verblüffte sie selbst. „Und zwar mehr als alles andere.“

Sein kehliges Lachen brachte etwas in ihr zum Schmelzen. „Wenn du mich darum bittest, küsse ich dich. Vorher nicht.“

Frankies Atem stockte, und ihr Herz raste. Ihre Selbstbeherrschung hing nur noch an einem seidenen Faden. Langsam senkte sie die Wimpern, ohne den Blick von seinem Mund zu nehmen. Bitte ihn. Bitte ihn. Bitte ihn, rief ihr eine innere Stimme zu. Ihr Körper schmerzte fast vor Verlangen, seine Lippen endlich auf ihren zu spüren. Aber unter Aufbietung ihrer gesamten Willenskraft schaffte sie es, den Blick zu seinen Augen hochwandern zu lassen. „Du denkst, ich kann dir nicht widerstehen. Aber das kann und werde ich.“

„Gegen wen kämpfst du eigentlich an? Gegen mich oder dich selbst?“ Er versuchte, in ihren Augen zu lesen, und Frankie fragte sich, ob sie nicht etwas voreilig gewesen war.

Ihr war klar, dass sie sich sofort von ihm hätte abwenden und die Flucht ergreifen sollen. Sein linker Arm war ihrem Gesicht so nahe, dass sie den Kopf nur ein, zwei Zentimeter zur Seite hätte drehen müssen, um seine gebräunte, warme Haut zu spüren. Stattdessen reckte sie trotzig das Kinn. „Du hast mich nicht gekauft, Gabriel. Vergiss das bitte nie.“

Seine Augen funkelten gefährlich, dann trat er einen Schritt zurück und gab sie frei. „Wie du meinst, cara.“ Und damit drehte er sich um und ging weg.

Frankie stieß den angehaltenen Atem aus. Ob sie jemals auch nur ein Spiel gegen ihn gewinnen würde? Vermutlich zog sie immer den Kürzeren.

Und in weniger als vierundzwanzig Stunden würde Gabriel ihr Ehemann sein.

Den Nachmittag über sah Frankie Gabriel nicht mehr. Aber sie musste ohnehin ein paar Telefonate führen und ihre Schule informieren, dass sie wegen dringender Familienangelegenheiten ein Jahr lang mit dem Unterricht pausieren musste. Sie war selbst erstaunt, wie leicht ihr die Lüge über die Lippen kam. Aber blieb ihr eine Alternative? Sie durfte nicht riskieren, dass Gabriel von dem Vertrag zurücktrat. Für sie stand einfach zu viel auf dem Spiel. Sobald sie verheiratet wären, würde Gabriel die Schulden ihres Vaters zurückzahlen. Und sie würde sich in die neue Situation fügen: Um das Ansehen ihres Vaters zu schützen, opferte sie ein Jahr ihres Lebens, opferte ihre Freiheit.

Aber welche Opfer würden ihr noch abverlangt werden?

Was wusste sie eigentlich über Gabriel Salvetti? Er hatte den Ruf eines Playboys, der sich nach Lust und Laune Frauen nahm und sie dann wieder fallen ließ. Würde die Öffentlichkeit tatsächlich glauben, dass er sich Hals über Kopf in Frankie verliebt hatte? Schließlich war sie ein völlig anderer Typ als die Frauen, mit denen er sonst ins Bett ging. Wie kam sie jetzt nur auf diese Idee? Sie würde nicht mit ihm ins Bett gehen. Das hatte sie ihm von Anfang an klargemacht. Natürlich glaubte er, sie würde ihre Meinung ändern. Vermutlich dachte er, sie wäre schon ein wenig verliebt in ihn.

Aber so dumm würde sie nicht sein.

Niemals.

Als Frankie ein paar Stunden später nach unten kam, fand sie Gabriel in der Küche vor, wo er das Abendessen zubereitete. Vor ihm auf der Kücheninsel standen Teller mit verschiedenen frischen Zutaten sowie ein paar Töpfe und andere Kochutensilien.

„Was machst du da?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Hast du nicht gesagt, du wolltest eine neue Köchin einstellen?“

Auf der Suche nach einem Brett zog er eine Schublade auf. „Sie fängt erst Montag an.“ Er fand eines und spülte es kurz unter dem Wasserhahn ab. „Ich dachte, wir essen heute Abend zu Hause. Morgen ist schließlich ein wichtiger Tag.“

„Hab ich ein Glück, dass mein zukünftiger Mann kochen kann“, erwiderte sie leicht spöttisch.

Er trocknete sich die Hände ab und funkelte Frankie an. „Wünschen sich das nicht die meisten Frauen? Einen Mann mit geschickten Händen?“

Frankie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich dachte, ein Mann mit deinem Vermögen stellt sich nicht in die Küche. Schließlich hast du doch Angestellte, die rund um die Uhr für dein Wohlbefinden sorgen.“

Er begann, eine Zwiebel zu würfeln. „Weißt du, was man über Menschen sagt, die mit silbernen Löffeln im Mund aufgewachsen sind?“

Frankie setzte sich auf einen Barhocker. Hielt Gabriel sie etwa für ein verzogenes Mädchen aus reichem Haus, das noch nie einen Fuß in eine Küche gesetzt hatte? „Nein, weiß ich nicht.“

„Wer sich zu sehr daran gewöhnt, auf Schritt und Tritt bedient zu werden, wird niemals auf eigenen Füßen stehen.“ Er griff sich eine Knoblauchknolle, löste zwei Zehen heraus und schnitt sie in feine Scheiben.

Frankie kaute auf ihrer Unterlippe. „Bin ich das in deinen Augen? Eine verzogene Göre, die einen Kochlöffel nicht von einer Suppenkelle unterscheiden kann?“

Ihr verletzter Tonfall ließ ihn die Stirn runzeln. „Nein. Von deinem Vater weiß ich, dass du eine hervorragende Köchin bist.“

„Eins meiner Kindermädchen hat es mir beigebracht, als ich ungefähr zehn war. Ich bin echt traurig gewesen, als sie uns verlassen hat.“ Sie sah zu einem Bund Möhren. „Wer hat es dir beigebracht? Deine Mutter? Eine Hausangestellte?“

Er schob die feinen Knoblauchscheiben mit dem Messer in eine kleine Schüssel. Dabei wirkte sein Blick konzentriert, aber Frankie hatte bemerkt, wie er bei der Erwähnung seiner Mutter die Schultern anspannte. „Angestellte hatten wir erst, als ich schon zwölf war.“

„Dann hast du das Kochen von deiner Mutter gelernt?“

Er spülte das Messer ab und schaute dann zu Frankie. „Erinnerst du dich an Regel Nummer eins? Keine Fragen zu meiner Familie.“

Sie runzelte die Stirn. „Hältst du es nicht für sinnvoll, wenn ich dem Mann, den ich morgen heiraten werde, ein paar persönliche Fragen stelle? Ich weiß über dich nicht viel mehr als das, was mein Vater erzählt hat oder ich in der Zeitung gelesen habe.“

Mit verschlossener Miene stützte er sich auf der Kücheninsel ab, bevor er einen tiefen Seufzer ausstieß. „Meine Mutter ist gestorben, als ich neun war. In einem Moment war sie noch da, im nächsten nicht mehr. Ende der Geschichte.“

„Woran ist sie gestorben?“

Jeder Muskel in seinem Gesicht schien sich anzuspannen. In seinen Augen zeichnete sich ganz kurz ein tiefer Schmerz ab, so als wäre das Kind von damals immer noch da.

Gabriel stieß sich von der Kücheninsel ab und hob eine offene Flasche Rotwein in die Höhe. „Möchtest du? Oder trinkst du lieber weißen?“ Sein Tonfall klang beiläufig. Trotzdem nahm Frankie den traurigen Unterton wahr.

„Nein, rot ist super.“

Frankie schaute zu, wie er zwei Gläser zur Hälfte füllte. „Prost.“

„Schon okay“, sagte sie. „Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst. Ich kann dich verstehen, denn ich rede auch nicht gern über meine Mutter. Ich denke dann immer an das, was ich versäumt habe. Und ich hasse die Vorstellung, dass meine Mutter und mein Zwillingsbruder gestorben sind, weil ich auf die Welt gekommen bin.“

Gabriel stellte das Glas ab, in seinen Augen lag tiefe Besorgnis. „Nein, cara. Du darfst dir nicht die Schuld geben.“

Frankie schob ihr Glas weg und seufzte. „Wie hätte ich etwas anderes denken sollen? Jedes Mal, wenn ich meinen Vater angeschaut habe, konnte ich sehen, wie schwer ihn ihr Tod getroffen hat. Mein ganzes Leben musste ich mit dieser schrecklichen Schuld leben. Manchmal frage ich mich, ob ich auch schuld an seinem Hirntumor bin. Jahrelange Depressionen und Trauer wirken sich doch bestimmt negativ auf den menschlichen Organismus aus, meinst du nicht?“

Er ging um die Kücheninsel herum und nahm Frankies Hände in seine. Dann strich er mit den Daumen über ihre Handrücken und schaute ihr in die Augen. „Du kannst doch nichts dafür. Dein Vater wäre sicherlich traurig gewesen, wenn er erfahren hätte, dass du dir für alles die Schuld gibst.“

Frankie schaute auf ihre Hände, und sofort reagierte ihr Körper. Ihre Haut fühlte sich an, als wären sämtlich Nervenenden in Alarmbereitschaft versetzt. Überall breitete sich das Verlangen in ihr aus. In ihren Brüsten, ihrem Bauch, zwischen den Schenkeln. Sie hob den Kopf, und ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sich ihre Blicke trafen.

Kurz schaute Gabriel auf ihren Mund, bevor er ihr wieder in die Augen sah. Erneut drückte er sanft ihre Hände, dann ließ er sie los. „Ich mach mich jetzt lieber ans Kochen. Setz dich doch so lange mit deinem Glas Wein auf die Terrasse. Ich habe draußen den Kamin angemacht und komme nach, sobald ich hier fertig bin.“ Sein sachlicher Tonfall irritierte sie, denn Sekunden zuvor war sie noch überzeugt gewesen, dass er sie gleich küssen würde.

„Soll ich dir nicht beim Kochen helfen?“, fragte sie. „Ich könnte die Pilze schneiden oder …“

„Nein. Ich mache das lieber allein.“ Er bedachte sie mit einem aufreizenden Lächeln. „Wenn ich zu sehr abgelenkt bin, wird das Essen nämlich nie fertig.“

Frankie ging auf die Terrasse. Über dem See stand der Vollmond und tauchte das dunkle Wasser in silbriges Licht. Es wehte eine leichte Brise, nicht eisig, aber doch kalt genug, dass Frankie froh war über das wärmende Feuer, das Gabriel im Gaskamin entzündet hatte. Die majestätischen Berge am anderen Ufer des Sees wirkten unter den schneebedeckten Gipfeln tiefblau, und Frankie genoss den Anblick sehr.

Wie viele Generationen ihrer Familie hatten auf dieser Terrasse gesessen und sich an dem fantastischen Ausblick erfreut? Hatte ihre Mutter hier einst von ihrer Zukunft geträumt? Hatte sie von Frankie und ihrem Zwillingsbruder Roberto geträumt?

Frankie war Gabriel zutiefst dankbar, weil er ihr Zuhause gerettet und ihr die Demütigung erspart hatte, die Spielschulden ihres Vaters öffentlich bekanntgeben zu müssen.

Dennoch fragte sie sich auch, ob sie nicht einen Schritt zu weit ging, wenn sie ihm am nächsten Morgen das Jawort gab und für ein Jahr seine Frau wurde.

Ein Jahr an der Seite des unwiderstehlichen Gabriel Salvetti. Wie sollte sie so lange die Selbstbeherrschung bewahren?

5. KAPITEL

Sobald er den Auflauf in den Ofen geschoben hatte, kam Gabriel auf die Terrasse. Frankie saß auf einem Stuhl und blickte auf den mondbeschienen See. Sie trug eine dunkelblaue Skinny-Jeans und einen smaragdgrünen Pulli, der ihre vollen Brüste umschmeichelte. Das üppige dunkelbraune Haar hatte sie im Nacken zu einem lässigen Knoten geschlungen, der ihren langen Hals perfekt betonte. Sie sah aus wie eine Mischung aus Mondgöttin und Mädchen von nebenan, und Gabriel musste sich extrem zusammenreißen, um sie nicht sofort in die Arme zu ziehen.

Schon in der Küche hatte er sich nur mit Mühe und Not beherrschen können. Als er auf ihre vollen rosigen Lippen geschaut hatte, hatte er seine gesamte Willenskraft aufbieten müssen, um ihren Mund nicht mit einem Kuss zu erobern. Frankies unterkühlte Unnahbarkeit hatte ihn schon immer irritiert. Aber er wusste auch, dass sich unter der Maske der Schneekönigin eine zutiefst leidenschaftliche Frau verbarg. Dass sie so entschlossen war, diese Seite zu unterdrücken, warf bei ihm die Frage auf, ob sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Hatte es in ihrem Leben einen Mann gegeben, der ihr das Herz gebrochen hatte?

Ihr Vater hatte sich nie zu Frankies Liebesleben geäußert, und natürlich hatte Gabriel nicht nachgefragt. Sonst wäre Marco Mancini vielleicht noch auf die dumme Idee gekommen, dass seine einzige Tochter eine gemeinsame Zukunft mit Gabriel haben könnte.

Doch er war kein Mann, der sich für immer binden wollte. In seiner eigenen Familie hatte er genug Kummer erfahren. Außerdem musste er sich um seine Schwester Carli kümmern. Die Verantwortung wog schon schwer genug, hätte er sich da noch weitere Verpflichtungen aufhalsen sollen?

Frankie schien seine Anwesenheit zu spüren, denn sie drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an. „Ich hatte fast vergessen, wie schön es hier draußen ist …“

Gabriel setzte sich auf den Stuhl neben ihr und streckte die langen Beine aus. „In den Monaten, in denen du deinen kranken Vater gepflegt hast, hattest du sicherlich kaum Zeit, dich hier hinzusetzen und den Ausblick zu genießen.“

Sie runzelte die Stirn und stieß einen langen Seufzer aus. „Nein …“ Gedankenverloren drehte sie den Stiel des Weinglases zwischen den Fingern. „Natürlich hatte ich Hilfe. Eine Pflegerin ist täglich vorbeigekommen und hat ihm seine Medikamente gegeben und mir geholfen, ihn zu waschen.“ Nun warf sie ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Warum hast du ihn in der ganzen Zeit nur einmal besucht? Er hätte sich so gefreut, dich öfter zu sehen …“

Gabriel hatte dem alten Mann nur einen einzigen Besuch abstatten können, weil seine Schwester zu der Zeit in seiner Mailänder Villa gewohnt hatte. Da Carlis Zustand nicht besonders stabil gewesen war, hatte er sie nicht allein lassen können. Wo sie momentan steckte, wusste er nicht. Zwar hatte er ihr einen Platz in einer auf Essstörungen spezialisierten Klinik besorgt, aber Carli hatte die Behandlung nach wenigen Wochen abgebrochen. So war es schon immer gewesen: Carli tauchte in seinem Leben auf, wann immer es ihr passte, und scherte sich nicht um den Kummer, den sie ihm mit ihrem Verhalten bereitete.

Zur Beerdigung von Marco Mancini hatte Gabriel nicht anreisen können, weil Carli eine Überdosis eines verschreibungspflichtigen Schmerzmittels genommen hatte. Tagelang hatte Gabriel an ihrem Krankenhausbett gewacht und sich dabei gefühlt wie der größte Versager. Er hatte für sie den besten Therapeuten ausfindig gemacht, aber bei Carli wusste man nie, ob sie die Termine auch wahrnehmen würde. Manchmal vergingen Wochen ohne eine Nachricht von ihr, dann stand sie plötzlich vor seiner Tür, und er musste sich um sie kümmern.

Schnell verdrängte er die finsteren Gedanken und schaute zum See. „Ich habe geglaubt, du wolltest die wenigen Tage, die euch noch blieben, ungestört sein. Deshalb habe ich ihn nicht öfter besucht.“

„Aber ihr habt euch doch ziemlich nahegestanden, oder?“

Gabriel zuckte mit den Schultern. „Ja und nein. Ich bin ihm immer dankbar gewesen, weil er mir damals eine Chance gegeben hat und mich letztes Jahr in den Vorstand geholt hat. Wir haben uns oft bei Veranstaltungen und Sitzungen gesehen, aber dann nur über Geschäftliches geredet, niemals über private Dinge.“ Er warf ihr einen Seitenblick zu. „Hätte er mich als Freund betrachtet, hätte er mir doch bestimmt die Geschichte mit deinem Zwillingsbruder anvertraut, oder?“

Sie nickte langsam. „Manchmal habe ich mich gefragt, ob er nach dem Tod meiner Mutter überhaupt jemanden an sich rangelassen hat.“ Sie seufzte. „Er hatte eine Mauer um sich errichtet. Selbst wenn ich ihn umarmt habe, hatte ich das Gefühl, er würde innerlich zurückzucken. Diese unsichtbare Mauer habe ich niemals überwinden können.“

„Manchen Männern fällt es eben schwer, ihre Gefühle zu zeigen“, erwiderte er leise. „Selbst den Menschen gegenüber, die sie eigentlich sehr lieben.“

„Fällt es dir auch schwer?“ Als sich ihre Blicke trafen, spiegelte sich der Mond in ihren Augen, sodass sie ähnlich schimmerten wie der See.

Zum Glück traf in diesem Moment eine Nachricht auf seinem Handy ein, denn sonst hätte er Frankie sicherlich geküsst. Schnell schaute er aufs Display und las den Namen seiner Schwester. Eine bange Vorahnung ließ die Haut an seinem Hinterkopf prickeln, und er sprang vom Stuhl auf. „Tut mir leid, aber auf die SMS muss ich leider sofort reagieren.“

Frankie nippte an ihrem Wein und versuchte, die Enttäuschung über die unsanfte Unterbrechung hinunterzuschlucken. Das, was Gabriel über ihren Vater gesagt hatte, war tröstlich gewesen. Dennoch würde sie niemals das Gefühl abstellen können, dass es ihrem Vater lieber gewesen wäre, wenn sie damals anstelle ihres Zwillingsbruders gestorben wäre …

Gabriel kehrte auf die Terrasse zurück. „Es tut mir wirklich leid, Francesca, aber ich muss heute Abend noch nach Mailand fahren.“

Frankie runzelte die Stirn und sprang auf. „Jetzt gleich? Warum?“

„Keine Angst. Ich bin morgen rechtzeitig zur Trauung wieder da.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln, das nicht echt wirkte. „Die Standesbeamtin kommt um zehn Uhr. Das Abendessen ist übrigens fertig, bitte bedien dich. Ich habe den Ofen schon ausgemacht.“ Er ging ins Haus zurück, und sie folgte ihm.

„Aber was immer du in Mailand klären musst, kann doch bestimmt bis Montag warten. Kannst du dir denn nicht mal für deine Hochzeit ein paar Stunden freinehmen?“

Er schnappte sich seinen Autoschlüssel, der in der Empfangshalle auf einer Kommode lag. „Einige Dinge können nicht warten. Es handelt sich um einen Notfall. Ciao.“ Und damit war er zur Tür hinaus.

Frankie ging in die Küche, aber ihr war der Appetit vergangen. Die Villa kam ihr so einsam und verlassen vor. Nur die Schatten ihres jahrzehntealten Kummers schlichen umher wie Geister.

Nach knapp zweistündiger Fahrt betrat Gabriel seine Mailänder Villa und fand Carli im Wohnzimmer vor. Zum Glück hatte sie keinen ihrer sogenannten Freunde mitgebracht, was nicht das erste Mal gewesen wäre. Er hatte ihr einen Schlüssel überlassen – einen von vielen, denn die meisten hatte sie sofort wieder verloren oder irgendeinem Bekannten gegeben. Mittlerweile hatte Gabriel die Schlösser so oft austauschen lassen, dass er fast schon Stammkunde beim Schlüsseldienst war.

Carli stellte den Ton am Flatscreen-Fernseher leiser und erhob ihren hageren Körper vom Sofa, wobei die Bezeichnung „hager“ noch geschmeichelt war. Seit ihrer letzten Begegnung schien sie noch weiter an Gewicht verloren zu haben, und Gabriel fragte sich, ob sie einen Rückfall erlitten hatte. Entweder stopfte sie das Essen in sich hinein oder hungerte sich halb zu Tode. Essen war für sie Freund oder Feind, dazwischen gab es nichts.

„Wieso kommst du erst jetzt?“ Beleidigt zog Carli eine Schnute.

„Wenn ich es dir erzählen würde, würdest du es mir sowieso nicht glauben.“ Gabriel warf seine Jacke über die Sofalehne. „Mich interessiert vielmehr, wo du die ganze Zeit gesteckt hast. Seit drei Wochen versuche ich nun schon, dich zu erreichen. Ich war kurz davor, einen Privatdetektiv auf dich anzusetzen.“

Carlis dunkelbraune Augen funkelten schalkhaft. „Oh, ja, bitte. Der Letzte hat mir gut gefallen. Er war eine Granate im Bett.“

Gabriel verdrehte die Augen und ging in die Küche. „Hast du was gegessen?“ Dumme Frage. In der Küche herrschte das blanke Chaos. Überall lagen Essensreste, aufgerissene Verpackungen und schmutziges Geschirr herum.

Carli war ihm gefolgt, und er drehte sich zu ihr um. „Übrigens heirate ich morgen.“

Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe. „Ehrlich? Wer ist die Glückliche? Das Supermodel, mit dem du letztens in den Zeitungen abgebildet warst?“

„Nein.“ Tatsächlich konnte er sich nicht einmal mehr an den Namen der Frau erinnern. „Es ist Francesca Mancini.“

Carli riss die Augen auf und setzte sich auf einen Barhocker. „Die Schneekönigin? Kein Witz?“

„Mir wär’s lieber, du würdest sie nicht so nennen.“

Sie fischte sich einen Kartoffelchip aus einer Tüte und steckte ihn in den Mund. „Wann stellst du sie mir vor?“

„Kommt darauf an.“

Autor

Therese Beharrie

Autorin zu sein war immer Therese Beharries Traum. Doch erst während ihres letzten Studienjahres, als der Arbeitsalltag in einem Unternehmen bereits auf sie wartete, wurde ihr klar, dass sie diesen Traum bald zur Wirklichkeit machen wollte. Also machte sie sich ernsthaft ans Schreiben. Inzwischen verdient sie tatsächlich ihren Lebensunterhalt mit...

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