Julia Extra Band 489

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DREI WORTE NUR, MEIN WÜSTENPRINZ von ELISA MARSHALL

So lange Inès denken kann, liebt sie Prinz Akim. Aber als Tochter der Haushälterin im Palast darf sie sich keine Hoffnungen machen! Verzweifelt flieht sie in eine Oase, um ihre Trauer um das nie erfüllte Glück zu vergessen. Doch eines Tages steht Akim vor ihr. Er hat sie gesucht …

VERGESSENE HOCHZEIT - GEFUNDENES GLÜCK? von LYNNE GRAHAM

Ich bin mit diesem unglaublich attraktiven Traummann verheiratet? Ein schrecklicher Autounfall hat Brooke das Gedächtnis genommen. Selbst nach einer heißen Liebesnacht in der Toskana könnte sie schwören, es sei ihr erstes Mal mit dem italienischen Milliardär Lorenzo Tassini …

WAS NACH DEM MASKENBALL GESCHAH von DANI COLLINS

Magisch fühlt sich Pia von dem Fremden auf dem Ball angezogen. Einmal die Liebe mit ihm genießen, bevor sie eine standesgemäße Ehe eingeht … Doch Pia hat nicht mit den süßen Folgen gerechnet, die ihr die sinnlichen Stunden bescheren. Der Skandal ist perfekt!

IM SCHOTTISCHEN SCHLOSS DER SEHNSUCHT von MELANIE MILBURNE

"Ich brauche eine Ehefrau.” Entweder Logan McLaughlin heiratet blitzschnell - oder er verliert den Erbanspruch auf das Schloss in Schottland! Dass ihm das scheue Zimmermädchen Layla für ein Jahr eine Vernunftehe anbietet, ist ebenso überraschend wie verführerisch …


  • Erscheinungstag 15.09.2020
  • Bandnummer 489
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714895
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Elisa Marshall, Lynne Graham, Dani Collins, Melanie Milburne

JULIA EXTRA BAND 489

ELISA MARSHALL

Drei Worte nur, mein Wüstenprinz

Ich werde sie heiraten! Das ist Prinz Akim sofort klar, als er Inès, die Tochter der Haushälterin im Palast, zum ersten Mal sieht. Aber als Bruder des Sultans darf er nicht nur auf sein Herz hören …

LYNNE GRAHAM

Vergessene Hochzeit – gefundenes Glück?

Seit seine Ehefrau Brooke einen schweren Autounfall hatte, kommt sie Lorenzo ganz verändert vor. Eigentlich läuft ihre Scheidung. Aber jetzt könnte er sich glatt von Neuem in Brooke verlieben …

DANI COLLINS

Was nach dem Maskenball geschah

Nach einer verbotenen Liebesnacht erwartet Pia ein Kind von ihm? Für Angelo Navarro gibt es nur eine Lösung: Heirat! Doch wie, wo er doch für diese blaublütige Schönheit nicht standesgemäß ist?

MELANIE MILBURNE

Im schottischen Schloss der Sehnsucht

Das schottische Schloss ist nicht nur Laylas Arbeitsplatz, sondern auch ihre Heimat! Als sie erfährt, dass Logan McLaughlin heiraten muss, um es zu behalten, macht sie ihm einen gewagten Vorschlag …

PROLOG

„Rosa, kann ich dir ein Geheimnis verraten?“

„Natürlich, kleiner Prinz, komm und setz dich auf meinen Schoß.“

Wie so oft kuschelte Akim sich an sein Kindermädchen. Rosa war freundlich und sanft und kümmerte sich gut um ihn. Jeden Tag, wenn er vom Unterricht mit seinem Privatlehrer kam, erzählt er ihr, was er erlebt hatte.

„Du wirst Tarek doch nichts sagen, oder?“

Eigentlich erzählte er seinem älteren Bruder fast alles, aber diesmal wollte er ihn nicht ins Vertrauen ziehen, obwohl er selbst nicht so recht wusste, warum.

„Natürlich nicht. Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst, mein Kleiner.“

Akim nickte. Rosa versuchte immer, ihn zu beschützen. Meistens verriet sie ihn nicht einmal, wenn er etwas angestellt hatte.

„Heute habe ich einen Engel getroffen“, flüsterte er.

Rosa lächelte, worüber Akim erleichtert war. Er hatte befürchtet, dass sie sich über ihn lustig machen würde.

„Einen Engel? Ja? Was hast du für ein Glück! Hatte dieser Engel auch Flügel?“

Akim dachte einen Moment nach. Er hatte nichts dergleichen bemerkt.

„Ich weiß es nicht, aber sie hatte langes dunkles Haar und große grüne Augen.“

„Sie?“

„Ja, der Engel hat wie ein Mädchen ausgesehen.“

Rosa drückte ihn liebevoll. Sie roch gut, und er genoss ihre Umarmung wahnsinnig.

„Wenn das so ist, kleiner Prinz, dann glaube ich, dass dein Engel Inès heißt. Sie ist die Tochter der neuen Haushälterin. Sie ist heute Morgen mit ihrer Mutter im Palast angekommen.“

Inès. Was für ein schöner Name für einen Engel! Wenn er so darüber nachdachte, war es der schönste Name, den er je gehört hatte.

Akim fühlte, wie sein Herz schneller schlug – so schnell, dass er sich fragte, was mit ihm geschehen war.

„Hoffentlich hast du recht, Rosa. Wenn Inès ein Mädchen ist, werde ich sie heiraten, wenn ich groß bin.“

1. KAPITEL

Wo zum Teufel steckte Inès? Es war nun drei Monate her, dass sie verschwunden war. Und Akims Geduld neigte sich dem Ende zu.

Wenn sie versuchte, ihm den letzten Nerv zu rauben, war ihr das gelungen. Es konnte Inès nicht entgangen sein, dass er sie suchte, also warum versteckte sie sich weiterhin vor ihm? Er musste wissen, ob es ihr gut ging.

Erst dann könnte er sie endgültig aus seinem Leben streichen.

Denn was nutzte es ihm schon, sich einer Illusion hinzugeben? Für sie beide gab es keine gemeinsame Zukunft. Sich etwas anderes vorzustellen – und sei es nur für einen Moment –, war reiner Wahnsinn gewesen. Eine Beziehung zwischen ihnen war nicht nur unmöglich, Inès liebte auch einen anderen.

Lag sie gerade in diesem Moment in den Armen dieses Mannes, dieses Fremden, den er nie gesehen hatte, aber gerne eigenhändig erwürgt hätte?

Aufgebracht beschleunigte Akim seine Schritte, die auf dem Marmorboden widerhallten.

Als er an Chahd vorbeikam, bedachte er sie mit einem vernichtenden Blick. Seine Ex-Geliebte wollte einfach nicht verstehen, dass er das Interesse an ihr verloren hatte. Ständig lauerte sie ihm auf und warf ihm verführerische, beinahe anzügliche Blicke zu.

Eigentlich hatte Akim geglaubt, bei der Trennung klare Worte gefunden zu haben, dennoch klammerte sie sich an ihn wie eine Klette.

Zweifellos war er selbst mitverantwortlich für diese Situation. In den vergangenen Jahren hatten sich viele Frauen in sein Bett verirrt, und jede von ihnen hatte gehofft, sein Herz erobern zu können. Zwar hatte er ihnen in dieser Hinsicht nie Hoffnungen gemacht, er hätte jedoch wissen müssen, dass Frauen immer das glaubten, was sie wollten.

Die Zeit, in der Akim sich lediglich amüsiert und sein Verlangen ausgelebt hatte, war jedenfalls vorbei. Jetzt musste er die Kontrolle über sein Leben zurückgewinnen.

Schließlich hatte er wichtige Pflichten zu erfüllen. Daran hatte ihn Inès immer wieder erinnert, wenn er seine Aufgaben vernachlässigt hatte.

Er war Prinz Aal Shelad, der Bruder des mächtigen Sultans von Aljazar. Alle Welt erwartete von ihm, dass er seine Rolle mit Stolz und Ehre erfüllte.

Doch bevor er das tun konnte, musste er dieses absurde, aber unstillbare Bedürfnis, Inès wiederzusehen, loswerden.

Trotz allem, was sie zusammen durchgestanden hatten, war sie gegangen, ohne sich von ihm zu verabschieden. Ohne ein Wort. Noch nie hatte eine Frau ihn verlassen. Sonst war immer er derjenige gewesen, der sich trennte.

Konnte er Inès’ Flucht überhaupt als Trennung werten, obwohl ihre Verbindung nie über eine platonische Freundschaft hinausgegangen war? Sie waren Freunde gewesen – sogar die besten der Welt. Immerhin dessen war er sich noch sicher.

Das war, bevor er den schlimmsten Fehler begangen und ihr seine Gefühle offenbart hatte.

Unfähig, seine Wut zu kontrollieren, öffnete Akim gewaltsam die Tür zu seiner Wohnung, stürmte ins Schlafzimmer und knöpfte sein Hemd auf. Er musste schlafen, auch wenn er wahrscheinlich kein Auge zutun würde. Jede Nacht quälten ihn Inès’ grüne Augen. Wie gern hätte er sich an das lachende Gesicht seiner Freundin erinnert und nicht an die Tränen, die bei ihrem letzten Gespräch geflossen waren.

Als er sich seinem großen Himmelbett näherte, spürte er einen Kloß im Hals und blieb wie angewurzelt stehen. Denn dort saß eine Frau, die in aufreizender Pose auf ihn wartete. Lina – oder hieß sie Lilia? – lag vollkommen nackt auf dem beigen Seidenlaken.

„Guten Abend, Liebling. Ich hab auf dich gewartet.“

Er begann zu fluchen. Schlimmer konnte dieser Tag nicht mehr werden.

„Akim! Lass mich rein.“

Tareks Stimme riss ihn aus einem unruhigen Schlaf. Abrupt drehte sich Akim in seinem Bett um. Der Platz neben ihm war leer und kalt. Gott sei Dank!

Seine Erinnerungen an den Vortag waren noch etwas verschwommen, aber es war ihm immerhin gelungen, den Annäherungsversuchen der hübschen Brünetten zu widerstehen, die in seinem Bett auf ihn gewartete hatte. Trotz seines maßlosen Ärgers darüber, dass sie heimlich in sein Zimmer geschlichen war, hatte er sie einfach nur freundlich, aber bestimmt hinausgeworfen. Schließlich konnte sie nichts für den Sinneswandel, der von jetzt an sein Leben bestimmen würde. Früher, vor nicht allzu langer Zeit, hätte er die junge Frau mit offenen Armen empfangen, bevor er zu ihr ins Bett gestiegen wäre.

Aber diese Option – unzählige Male ausgelebt – hatte für ihn mittlerweile jeglichen Reiz verloren. Er hatte etliche Frauen mit auf sein Zimmer genommen, doch mit keiner von ihnen mehr als ein paar Minuten oder Stunden ausgiebiger Sinnesfreuden verbracht.

Er müsste seine Wachen daran erinnern, diese Frauen nicht mehr in seine Wohnung zu lassen. Gewohnheiten hielten sich hartnäckig, und offenbar war die Botschaft noch nicht bei ihnen angekommen.

Akim warf die Decke zurück, suchte nach seinen Kleidern, die auf dem Boden verstreut lagen, und öffnete in einem einigermaßen vorzeigbaren Zustand die Tür.

„Du siehst schrecklich aus“, sagte Tarek und reichte ihm eine Tasse Kaffee. „Ich dachte, den könntest du gebrauchen.“

„Vielen Dank, dass Ihr euch Sorgen um mich macht, Eure Hoheit“, antwortete Akim in ironischem Ton. „Was machst du so früh am Morgen hier, liebster Bruder? Komm rein.“

Tarek runzelte die Stirn, als er in die Wohnung trat. Zugegeben, sie sah ein bisschen chaotisch aus – genau wie Akims Inneres –, aber was spielte das für eine Rolle?

Wie ein Armeechef, der seine Truppen überprüfte, ließ Tarek den Blick durch den Raum schweifen: über den gläsernen Schreibtisch, der mit Unterlagen und Briefen überladen war; den Ledersessel, der unter einem Bücherstapel kaum zu sehen war; das Hemd und die Schuhe, die Akim am Abend zuvor achtlos auf den Boden geworfen hatte; und die halb leere Scotch-Flasche, die auf einer Anrichte stand.

Wortlos ging der Sultan auf die dicken Vorhänge zu und öffnete sie mit einer schnellen Bewegung, sodass der Raum von gleißendem Licht durchflutet wurde.

Geblendet legte Akim seine Hand über die Augen.

„Wie spät ist es?“, murmelte er.

„Zeit, die Rolle des Musteronkels zu spielen. Leïla erwartet dich zu ihrer Reitstunde im Park.“

Trotz seiner Kopfschmerzen lächelte Akim. In den letzten Wochen war seine bezaubernde Nichte ein guter Grund für ihn gewesen, morgens aufzustehen. Er genoss es nicht nur, ihr reiten beizubringen, sondern wollte auch die verlorene Zeit mit ihr wieder wettmachen.

Wie die Bewohner von Aljazar hatte Akim das kleine Mädchen erst vor Kurzem kennengelernt. Wie sich herausgestellt hatte, war Leïla Tareks Tochter und damit die Erbin des Sultans. Vier Jahre lang hatte ihre Mutter Jasmine sie am anderen Ende der Welt versteckt. Einen Skandal hatte man gerade so abwenden können, und Akim freute sich, dass das Schicksal Jasmine und Tarek nun endlich zusammengeführt hatte. Die beiden hatten sich vom ersten Tag an geliebt, auch wenn sie es früher nie zugeben hätten.

Jetzt verbrachte Leïla glückliche Tage mit ihren Eltern und ihrem Onkel, der sich besser beeilen sollte, wenn er sie nicht enttäuschen wollte.

„Ich gehe duschen und komme dann“, sagte Akim mit rauer Stimme.

In einem Schluck leerte er seine Tasse, bevor er ins Bad ging.

„Sagst du mir endlich, was dich bedrückt?“, rief Tarek ihm hinterher.

Akim drehte sich um. Sein Bruder schien aufrichtig besorgt zu sein, und für einige Sekunden war Akim versucht, ihm von Inès, seiner erfolglosen Suche und seiner Sorge, dass ihr etwas passiert sein könnte, zu erzählen.

Doch er begnügte sich damit, schelmisch eine Augenbraue hochzuziehen.

„Ich habe gestern einfach zu lange gefeiert. Ich hatte noch Besuch und …“

Tarek schnitt eine Grimasse und bedeutete ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. An diese Reaktion war Akim gewohnt. Seit jeher hatte er die Rolle des sorglosen, etwas leichtsinnigen Bruders eingenommen, während sein älterer Bruder ernsthaft durchs Leben ging, so wie es sich für seinen Rang gebührte.

In Wahrheit war das Bild, das die anderen von Akim hatten, schlichtweg falsch. Nur Jasmine wusste, wie es wirklich in ihm aussah und welche Qualen sein Herz durchlitten hatte. Seit dem Tag, als sein Vater – der Sultan – Jasmine vor zehn Jahren in Aljazar aufgenommen hatte, war sie wie eine Schwester für ihn gewesen.

In all den Jahren, in denen sie zusammen aufgewachsen waren, war Jasmine seine Vertraute gewesen. Doch nun, da sie sich wiedergefunden hatten, konnte Akim sich nicht dazu durchringen, sich ihr anzuvertrauen. Obwohl sie darauf bestanden und ihm unzählige Fragen gestellt hatte, fühlte er sich außerstande, sie in seine finsteren Gedanken einzuweihen.

Vielleicht wollte er keinen Schatten auf das Leben seiner Freundin werfen, die schon genug Leid erlebt hatte und nun so glücklich war, wie sie es verdiente. Vielleicht schämte er sich auch, ihr zu zeigen, was für ein Mensch in ihrer Abwesenheit aus ihm geworden war. Wenn er ihr sein Inneres offenbarte, wie er es früher oft getan hatte, was würde sie dann über den dunklen Abgrund in seiner Seele sagen?

„Schau mal, Onkel Akim.“

Das Kinn stolz vorgereckt, trieb Leïla Sidi zum Trab an, während ihre dunklen Augen vor Schalk aufblitzten. Ihr Vater hatte ihr die fügsame Stute geschenkt, die sich jeden Tag bereitwillig von dem Kind reiten und umsorgen ließ. Unter dem wachsamen Blick des Pferdepflegers ritt die Kleine gerade hochkonzentriert um einen Baum im Palastpark, der auch als Reitplatz diente.

„Hallo, Leïla“, sagte Akim und ergriff die Zügel. „Bist du bereit für deinen Unterricht?“

Er setzte ein Grinsen auf und führte seine Nichte und ihr Pferd zu einem Rundkurs, den er am Vortag in der Nähe der Ställe vorbereitet hatte.

Eine Stunde lang gab er Leïla Reitunterricht. Es machte ihm Spaß, ihr alles zu erklären. Das kleine Mädchen war begierig zu lernen und verhielt sich unglaublich reif für ihr Alter. Sie hörte aufmerksam zu, nutzte aber jede Gelegenheit, um zu lachen und sich zu amüsieren.

In ihrer Gesellschaft konnte sich Akim entspannen und seine Sorgen vergessen. Wenn er Zeit mit Leïla verbrachte, ergriff eine Fröhlichkeit von ihm Besitz, die er in seinem Alltag oft schmerzlich vermisste.

„Ich bin stolz auf dich, meine Kleine“, sagte er, als er ihr vom Pferd half. „Bald wirst du so gut reiten können wie deine Mutter. Du wirst jeden Tag besser!“

„Das liegt daran, dass meine Tochter den besten Lehrer hat“, sagte eine Frauenstimme hinter seinem Rücken. „Wenn er nicht gerade zu viel Alkohol getrunken hat.“

Stirnrunzelnd drehte sich Akim zu Jasmine um.

„Erspare mir deine Vorhaltungen. Du klingst genau wie Tarek! Und das ist nicht gerade ein Kompliment, Prinzessin.“ Er richtete den Blick zum Himmel.

Jasmine lächelte, wie jedes Mal, wenn jemand ihren Mann erwähnte. Es fiel Akim immer noch schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die junge Frau von einst nun die Sultanin von Aljazar war. Für ihn würde sie mit Sicherheit immer die junge Prinzessin bleiben, die vor vielen Jahren vollkommen verzweifelt und schüchtern im Palast angekommen war und die ihn in den darauffolgenden Jahren immer geärgert hatte. Er war nie mehr derselbe gewesen, nachdem er beschlossen hatte, sie wie seine Schwester zu beschützen. Jetzt spürte er einen Stich im Herzen bei dem Gedanken, dass diese Rolle nun seinem älteren Bruder zufiel.

„Ich brauche Tarek nicht, um zu sehen, dass es dir nicht gut geht. Dein Blick spricht Bände.“

Warum war Jasmine so versessen darauf, sich um ihn zu kümmern? Er brauchte sie nicht mehr.

„Lass mich in Ruhe, ja?“, sagte er ein wenig zu unwirsch. „Ich werde Leïla mit Sidi helfen.“

Als er sich umdrehte, hielt Jasmine ihn am Arm fest.

„Wenn du bereit bist, mit mir zu reden, bin ich für dich da, Akim. Ich werde immer für dich da sein. Ich hoffe, das weißt du.“

Ohne zu überlegen umarmte er sie, blieb jedoch weiterhin still. Was hätte er auch sagen sollen, ohne sie noch mehr zu beunruhigen? Wie sehr er auch versuchte, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen – er stand schon lange neben sich. All die schlaflosen Nächte, all die Tage des vergeblichen Suchens hatten ihn mehr getroffen, als er sich eingestehen wollte.

Seit Inès verschwunden war, schien sein ganzes Wesen in Aufruhr zu sein.

Seine Fröhlichkeit hatte ihn verlassen, und er war in zunehmend finstere Gedanken abgedriftet.

Sein Herz schlug nicht mehr in seinem gewöhnlichen Rhythmus.

Er hatte Angst, endgültig den Boden unter den Füßen zu verlieren und in einem Meer aus Traurigkeit, Wut und Wahnsinn zu versinken.

2. KAPITEL

Ein silberner Faden, eine Seidenstickerei, eine bläuliche Perle.

Inès trat einen Schritt zurück, um die Wirkung der Materialien auf das Kleid zu betrachten, das vor ihr hing. Sie müsste ein wenig Tüll hinzufügen, um den Unterrock aufzubauschen, und die Taille lockern. Bei der letzten Anprobe hatte ihr die zukünftige Braut gestanden, dass sie sich in dem Kleid ein bisschen eingeengt fühle, da sie schwanger war.

Es war ein berauschendes Gefühl, für eine Frau ein Kleid zu entwerfen, das sie am glücklichsten Tag ihres Lebens tragen würde. Seitdem Inès beschlossen hatte, ihre Kreationen zu verkaufen, konnte sie sich vor Aufträgen kaum retten. Für sie war es eine unglaubliche Gelegenheit. So konnte sie nun für sich selbst sorgen und gleichzeitig ihrer Leidenschaft nachgehen.

Inès stellte alle möglichen Kleidungsstücke für verschiedene Kunden her – von Hosensäumen über Quilts bis zu Babystramplern: Sie nähte Tag und Nacht. Doch am liebsten entwarf sie natürlich jene sinnlichen Kleider, die zum Zauber einer Hochzeit beitrugen. Verlieh nicht schon der Anlass selbst – erhaben, einzigartig und vergänglich – dem Kleid seine ganze Poesie?

Mit der Zeit hatte sich Inès in dem abgelegenen Dorf, in dem sie sich niedergelassen hatte, einen Namen gemacht. Oder vielmehr einen Vornamen, denn ihre wahre Identität hielt sie geheim, seit sie aus dem Palast geflohen war. Niemand durfte wissen, wer sie war.

Am wenigsten Akim.

Bei dem Gedanken an den Prinzen von Aljazar krampfte sich ihr Herz zusammen. Seit sechs Monaten hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Außer in ihren Träumen, in denen er sie jede Nacht besuchte.

Das Schöne am Träumen war, dass man der Wirklichkeit entfliehen konnte. Wenn Inès abends die Augen schloss, war sie nicht mehr die tapfere Inès, Tochter der Haushälterin des Palastes, sondern eine Prinzessin der Blauen Dünen, die vom Mann ihres Lebens eine Liebeserklärung erhielt.

Nie würde sie den Tag vergessen, an dem Akim die drei Worte gesagt hatte, nach denen sie sich all die Jahre, in denen sie zusammen aufgewachsen waren, verzehrt hatte. Er hatte ihr gestanden, dass er sie liebte, und von Freude überwältigt hatte sie ihn angelächelt.

Bevor ihre Freude plötzlich verflogen war. Obwohl sie die Aufrichtigkeit von Akims Worten nicht bezweifelte, wurden ihr auf einmal der Wahnsinn seiner Aussage und das ganze schreckliche Ausmaß ihrer Lage bewusst. Der Bruder des Sultans hatte nicht das Recht, sie zu lieben. Schließlich war sie nur eine einfache Dienerin.

Der kleine Prinz hatte schon gegen die grundlegenden Konventionen verstoßen, als er ihr nach ihrer Ankunft im Palast seine Freundschaft angeboten hatte. Die Tatsache, dass sie nicht zur selben Welt gehörten, hatte die beiden damals nicht sonderlich interessiert.

Doch Inès Mutter Zohra hatte sie unaufhörlich vor den Gefahren gewarnt, die mit dieser ungewöhnlichen Freundschaft einhergingen. Aber wie hätte Inès auf sie hören sollen, wenn Akim ihr längst die Welt bedeutete? Er hatte ihre Hand genommen und sie eingeladen, im schönsten Palast der Welt mit ihm zu spielen.

Bevor Akims Liebeserklärung sie in einen Abgrund der Verzweiflung stürzte, hatte sie sich über seine Worte gefreut, war erstaunt und zutiefst bewegt gewesen. Doch es war nicht das erste Mal, dass er so zu ihr gesprochen hatte. Wie oft hatte er ihr bei ihren kindlichen Spielereien verkündet, dass er sie eines Tages, wenn sie beide alt genug wären, heiraten würde? Verzaubert von diesen wiederholten Liebesbeteuerungen hatte Inès schon in sehr jungen Jahren davon geträumt, dass dieser Traum eines Tages Wirklichkeit werden könnte.

Aber als Akim ihr als Erwachsener an jenem schicksalshaften Tag seine Gefühle gestand, wies Inès ihn zurück. Damit stellte sie sich gegen ihn und die unsinnige Hoffnung, dass er eines Tages zu ihr – und nur zu ihr – gehören würde.

Sie hörte auf ihre Vernunft und verschloss ihr Herz vor seinen Worten, obwohl es die schönsten Worte waren, die sie je gehört hatte. Seitdem wurde sie jeden Tag von derselben Traurigkeit heimgesucht, die sie in Akims Augen gesehen hatte. Danach hatten die beiden nie wieder zu jener vertrauten Verbundenheit zurückgefunden, die ihre Beziehung seit jeher ausgezeichnet hatte.

Nach und nach hatten sie sich auseinanderentwickelt. Als Inès eines Tages erfuhr, dass Akim aus Vernunftgründen um Jasmines Hand angehalten hatte, fand sie sich schweren Herzens damit ab. Sie würde dabei zusehen müssen, wie er seiner Pflicht nachkam. Hatte sie ihn nicht dazu gedrängt, sich seines Ranges als Prinz würdig zu erweisen? Doch dann floh Jasmine aus dem Palast, die Hochzeit fand nie statt, und Akim verlor den Boden unter seinen Füßen. Danach war Inès zur traurigen Beobachterin der Exzesse eines Mannes geworden, den sie zwar liebte, aber nicht wiedererkannte.

War sie schuld daran, wie sehr sich Akim verändert hatte? Wahrscheinlich war allein schon dieser Gedanken anmaßend. Doch die arrogante Person, vor der sie vor sechs Monaten geflohen war, hatte nichts mehr mit dem fröhlichen Kind, dem schelmischen Teenager und dem großzügigen Erwachsenen von einst gemein.

Würde sie den Prinzen, in den sie sich damals auf den ersten Blick verliebt hatte, jemals wiedersehen?

„Hallo, meine Hübsche.“

Als hätte man sie bei etwas ertappt, schreckte Inès auf. Ihre Gedanken drehten sich nur um Aljazar, und sie hatte die Glocke in ihrem Atelier nicht läuten hören.

„Guten Morgen, Said“, sagte sie und drehte sich zur Eingangstür.

Der Mann schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Es war ein perfektes, strahlendes Lächeln, das jedoch überhaupt keine Wirkung auf sie ausübte. Said machte keinen Hehl daraus, dass er von ihr angezogen war, und auch wenn Inès sich wohl in seiner Gesellschaft fühlte, wollte sie ihm keine falschen Hoffnungen machen.

„Hör bitte auf, mich so zu nennen“, erinnerte sie ihn. „Du weißt doch, dass mir dieser Spitzname nicht gefällt.“

„Und doch ist es das Wort, das mir jedes Mal einfällt, wenn ich dich sehe, Inès. Wie geht’s dir?“

„Sehr gut. Ich stehe kurz davor, das Kleid fertigzustellen, das Olfa an ihrem Hochzeitstag tragen wird.“

Plötzlich leuchteten Saids Augen auf.

„Genau deswegen bin ich gekommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mit mir auf die Hochzeit gehen würdest.“

Sie wollte gerade etwas erwidern, da schnitt er ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.

„Bitte nimm dir Zeit, um darüber nachzudenken, bevor du mir das Herz brichst.“

Angesichts seiner niedergeschlagenen Miene stiegen Schuldgefühle in Inès auf. Warum musste sie sich ausgerechnet in jemanden verlieben, den sie nicht haben konnte, statt in so einen netten jungen Mann wie Said?

Hätte ihr neuer, unbestreitbar attraktiver Freund mehr Erfolg bei ihr gehabt, wenn ihre Gedanken nicht ständig um Akim gekreist wären? Said war groß, hatte schöne braune Haut und war muskulös – alles, was eine Frau sich wünschen konnte. Außerdem buhlten die alleinstehenden Frauen des Dorfes um ihn. Inès hoffte, dass er sie schnell vergessen und sich unter seinen vielen Verehrerinnen eine aussuchen würde. Schließlich hatte er es verdient, glücklich zu sein.

„Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken, versprochen.“

Mit diesen Worten schien sich Said zufriedenzugeben.

„Dann darf ich weiter hoffen und darauf warten, dass mein Charme doch noch auf dich wirkt“, sagte er lachend.

Inès stieg in sein Lachen ein – erleichtert, dass die Anspannung zwischen ihnen endlich verflogen war. Sie mochte Saids Spontaneität und bedauerte es, dass sie nicht mehr für ihn empfinden konnte. Er war ein guter Mensch und hatte ihr sehr geholfen, als sie mit gebrochenem Herzen in Nekhla angekommen war. Zwar hatte sie ihm nie etwas von ihrem Kummer anvertraut, dennoch musste er gespürt haben, dass sie in Not war. Anstatt ihr unangenehme Fragen über ihre Vergangenheit zu stellen, sorgte er dafür, dass es ihr an nichts fehlte. Er war so freundlich, ihr das Zimmer, in dem sie wohnte, und das darunter liegende Atelier kostenlos zur Verfügung zu stellen, solange sie die niedrige Miete dafür noch nicht aufbringen konnte. Doch das würde sich bald ändern.

Da Said ihren Wunsch nach Diskretion erkannt hatte, fragte er sie nie, wovor sie davongelaufen war. Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, führte er sie in das Dorf ein und gab sie als seine entfernte Cousine aus. Seine Lüge ersparte ihr jede Menge Ärger. Saids Familie hatte zum Wohlstand des Dorfes beigetragen, weshalb Inès viel Respekt und Wohlwollen entgegengebracht wurde.

Als sie ein Kleid für Saids kleine Schwester anfertigte, staunten die Dorfbewohner nicht schlecht über das schlichte Kleidungsstück. Es sprach sich schnell herum, dass sie eine talentierte Schneiderin war, und schon bald erhielt sie ihre ersten Aufträge. Da das Dorf mitten in der Wüste lag, gab es im Umkreis von mehreren Kilometern keine Konkurrenz, und die Bewohner freuten sich, eine Schneiderin in der Oase begrüßen zu dürfen.

Dann geschah etwas, was Inès nie für möglich gehalten hätte: Zum ersten Mal nähte sie nicht zum Vergnügen, sondern um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und diesen glücklichen Umstand verdankte sie Said.

„Was bringt es, sich den Kopf zu zerbrechen? Ich werde dich zur Hochzeit begleiten“, erklärte sie spontan.

Said weitete seine dunklen Augen.

„Wirklich? Das wirst du nicht bereuen, ich bin ein sehr guter Tänzer.“

Seine unverkennbare Freude brachte Inès zum Lächeln.

„Gut, denn ich brauche etwas Führung. Es ist eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal auf einen Ball gegangen bin …“

Allerdings würde sie sich immer an die magische Nacht erinnern, in der sie mit Akim Walzer getanzt hatte. Das war zu Jasmines sechzehntem Geburtstag gewesen. Die Prinzessin hatte sich – genauso wie Akim – nie um das Protokoll geschert und Inès zur Feier eingeladen. Beinahe wäre sie nicht zum Ball gegangen, weil ihre Mutter es ihr verbieten wollte. Doch Akim sprach persönlich mit Zohra und bat um die Erlaubnis, Inès bis Mitternacht ausführen zu dürfen. Sie fühlte sich wie Aschenputtel, als Jasmine ihr Kleider und Schmuck gab.

„Du bist wunderschön, Inès“, sagte die Prinzessin, während Inès ein grünes Kleid anzog, das ihre smaragdgrünen Augen betonte. „Akim wird sicher dasselbe denken“, fügte sie zwinkernd hinzu.

Sofort lief Inès rot an – überrascht, dass ihre Liebe zu Akim anscheinend so offensichtlich war. An diesem Tag hatte sie verstanden, dass Jasmine nicht mit ihr um das Herz des jungen Prinzen konkurrierte, wie Inès es seit der Ankunft der Prinzessin im Palast vermutet hatte. An diesem Tag wurden die beiden Freundinnen.

Zu Beginn des Balls trat Inès in Jasmines Eskorte in den Saal.

Plötzlich sah sie Akim, der in zeremonieller Kleidung attraktiver war denn je. Unfähig, den Blick von dem Mann abzuwenden, den sie liebte, beobachtete sie, wie er sich ihr näherte, als wären sie allein auf der Welt.

„Du bist die schönste Frau der Welt, Inès“, flüsterte er. „Habe ich dir das schon einmal gesagt?“

Diese Worte waren so etwas wie ein Insiderwitz zwischen den beiden. Seit ihrer Kindheit hatte Akim sie mit Komplimenten überschüttet. Doch an diesem Abend verloren die Worte ihre Unschuld und nahmen eine vollkommen andere Bedeutung an. Inès war damals sechzehn, Akim achtzehn.

Die Veränderung hatte sich schleichend ereignet, ohne dass sie es bemerkt hätten, war aber deswegen nicht weniger real. Akims lachende Stimme wurde heiser, sein schelmischer Blick verdunkelte sich vor Verlangen.

Sie waren keine Kinder mehr.

„Ich hole dich am Samstag ab, meine Schöne“, sagte Said und riss sie aus ihren Erinnerungen.

Als er sich zu ihr neigte, wich Inès überrascht zurück. Wollte er mich gerade küssen? fragte sie sich, während Said sie mit seinen vollen Lippen anlächelte. In diesem Fall musste sie ihm gegenüber noch deutlicher werden.

Die Freundschaft mit ihm war ihr wichtig, doch sie würde nicht zulassen, dass Said die Grenze überschritt, die sie zwischen ihnen gezogen hatte. Es war zwar für sie beide ein Unglück, doch Inès liebte einen anderen.

So war es immer gewesen und so würde es immer sein.

Die Heirat eines Mädchens aus dem Dorf war ein wichtiges Ereignis, und an diesem Samstag herrschte in Nekhla eine fröhliche Feststimmung.

Durch das offene Fenster hörte Inès die Männer, die sich um den Bräutigam drängten. Es war Tradition, ihn ein wenig umher zu schubsen, bevor er auf die Schultern seiner Freunde gehoben und auf einem Triumphzug durch das Dorf getragen wurde. In regelmäßigen Abständen waren ausgelassene Freudenschreie zu hören.

„Anscheinend amüsieren sie sich prächtig“, sagte Olfa munter. Inès lächelte die junge Frau an, deren weißes Kleid sie gerade anpasste.

„Es ist ein besonderer Tag“, antwortete Inès. „Du siehst wunderschön in diesem Kleid aus. Deinem Verlobten werden die Augen ausfallen.“

Bei diesem Kompliment errötete Olfa.

„Das hoffe ich! Dieses Kleid ist so schön, und ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du es für mich angefertigt hast.“

Gerührt umarmte Inès sie.

Sie hatte das Gefühl, in diesem Dorf mitten in der Wüste nicht nur eine Arbeit, sondern auch eine Familie gefunden zu haben.

Plötzlich stürmten die beiden Brautjungfern in das Atelier, um die hellblauen Kleider anzuziehen, die Inès einige Tage zuvor fertiggestellt hatte. Auch sie würde eines tragen, da Olfa sie freundlicherweise gebeten hatte, ebenfalls eine ihrer Brautjungfern zu werden.

Kurz darauf war der Raum von fröhlichem Geplauder und Lachen erfüllt.

Während Olfas Freundinnen sich schminkten, ging Inès auf ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Vor dem Spiegel steckte sie ihr langes schwarzes Haar zu einem Knoten fest und nahm aus einer kleinen Schachtel die kostbaren Ohrringe, die Jasmine ihr zu ihrem achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Die Smaragde, die von der gleichen Farbe wie ihre Augen waren, erinnerten sie an die vielen glücklichen Momente, die sie in Aljazar erlebt hatte. Es kam nicht selten vor, dass Inès, so weit vom Palast entfernt, abends von Nostalgie befallen wurde und dann diese Juwelen anlegte. Sie waren wie ein Talisman, der ihr verlorenes Glück symbolisierte, und schenkten ihr den bitter benötigten Trost.

Mit einem Lächeln auf den Lippen ging Inès nach unten zu ihren neuen Freundinnen, die sich kurze Zeit später verabschiedeten. Olfa verließ strahlend das Atelier, bereit, vor den Altar zu treten. Für einen Moment beneidete Inès ihre Sorglosigkeit. Bald würde sich die junge Frau an den Mann binden, für den ihr Herz schlug und dessen Kind sie bereits erwartete.

Wie sollte Inès jemals diese Freude erleben? Schließlich konnte sie sich nicht vorstellen, jemals in den Armen eines anderen Mannes zu liegen als in Akims.

Sie hatte immer davon geträumt, eine Familie zu gründen. Das war der Hauptgrund, warum sie aus Aljazar geflohen war. Vielleicht könnte sie sich durch die Entfernung eines Tages ein Leben ohne Akim vorstellen. Vielleicht würde sie sich mit der Zeit in einen netten Mann verlieben, der ihr nicht verboten wäre.

„Hallo, Inès“, sagte Said, als er die Tür des Ateliers öffnete.

Wie angewurzelt blieb er auf der Schwelle stehen und warf ihr einen anerkennenden Blick zu.

„Du siehst … umwerfend aus.“

„Und du bist ein unverbesserlicher Charmeur“, antwortete sie lachend.

Doch Said blieb ernst und betrachtete sie von Kopf bis Fuß.

„In diesem Kleid siehst du aus wie eine Prinzessin aus Tausendundeine Nacht.“

Nachdem sein Blick etwas zu lang an ihrem Dekolleté hängengeblieben war, starrte er auf ihre Ohrringe, so als würde er sie wiedererkennen, was natürlich unmöglich war.

„Dann habe ich gute Arbeit geleistet! Beim Entwerfen des Brautkleides und der Brautjungfernkleider habe ich mich vom Stil der großen Paläste inspirieren lassen“, erklärte sie.

Ihr Freund sah besorgt aus und nickte, bevor er endlich lächelte.

„Ich kann mich sehr glücklich schätzen. Bist du bereit?“

Anstatt zu antworten, hakte Inès sich bei ihm ein, und zusammen traten sie hinaus in das warme Licht des Frühlingstages.

Die Trauung war bewegend. Olfa und Marwan gaben sich im Kreis ihrer Lieben mit zitternden Stimmen das Jawort. Tränen schimmerten in den Augen der Frischvermählten, als sie ihre Verbindung mit einem zärtlichen, aufrichtigen Kuss besiegelten.

Schon immer hatte Inès Hochzeiten geliebt. Wahrscheinlich, weil ihre Eltern glücklich verheiratet gewesen waren, bevor ihr Vater viel zu früh gestorben war. Inès hatte ihn nicht gut gekannt, doch ihre Mutter hatte nie aufgehört, über ihn zu sprechen. So war er immer in ihrem Leben gewesen. Seine Porträts hingen überall im Haus, um die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Sätze wie „Dein Vater hat immer gesagt …“, „Wenn dein Vater noch unter uns wäre, würde er das nicht gutheißen …“ oder „Dein Vater wäre so stolz auf dich, mein Schatz.“ hatten sie stets begleitet. Ihr ganzes Leben lang hatte Inès gespürt, dass Selim el-Menzah aus dem Jenseits über sie wachte.

Nach der Trauung begaben sich die Gäste auf den Dorfplatz, wo das Fest stattfinden sollte. Die Dattelpalmen waren mit Laternen geschmückt worden. Die Aromen von Rosen und Jasmin erfüllten die Luft. Das Wetter war mild und der Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche wider, der Lebensquelle der Oase.

Es war ein schöner Tag gewesen, und der Abend versprach sehr elegant zu werden. Die Musik erhob sich über das freudige Lachen der Kinder und der Gemeinde.

„Würdest du mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen, meine Hübsche?“, fragte Said und streckte eine Hand nach ihr aus.

Inès ergriff sie, und kurz darauf wirbelten sie zusammen mit anderen Paaren zu rhythmischer Musik über die Tanzfläche.

Es fühlte sich wunderbar an, sich so zu bewegen, inmitten all dieser Menschen, die sie alle herzlich aufgenommen hatten. Als Said sie unter einem Tunnel erhobener Arme durchführte, fühlte sich Inès auf einmal unglaublich leicht.

Danach nahm ein Jugendlicher ihre Hand, um sie mit rührender Unbeholfenheit in eine Umdrehung zu führen, während sich ein kleines Mädchen auf Saids Füße stellte.

Inès würde sich lange an diese einfache und fröhliche Hochzeit erinnern.

Die Stunden vergingen wie im Flug, und nachdem sie mit Said zu Rockmusik getanzt hatte, erklangen die Noten eines langsamen Liedes.

„Ich werde mich eine Weile hinsetzen“, sagte Inès, doch Said zog sie an sich.

„Einen letzten Tanz. Bitte.“ Im Halbdunkeln ließ sie sich führen, während ein sehnsuchtsvoller Gesang ertönte.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du aus Aljazar kommst?“, fragte Said vollkommen unvermittelt. „Vertraust du mir nicht?“

Inès’ Herz setzte einen Schlag aus. Sie suchte Saids Blick.

„Wo… Woher weißt du das?“, stotterte sie.

„Ich habe heute Morgen dein Bild in der Zeitung gesehen: Designer-Dienerin Inès el-Menzah versteckt in einer Oase.“

Inès fühlte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Man hatte sie gefunden. Ihre Tarnung war aufgeflogen. Bald wäre er hier.

„Ich muss los“, sagte sie voller Panik.

Doch Saids Blick war nicht mehr auf sie, sondern auf einen Punkt hinter ihr gerichtet.

„Diese Frau gehört zu mir“, rief eine Stimme hinter ihrem Rücken.

Eine männliche Stimme, die sie sofort erschaudern ließ.

Es war Akim.

3. KAPITEL

Zwanzig Jahre früher

Die Hände auf dem Rücken verschränkt, ging der Junge auf Inès zu. Sein schwarzes Haar war durcheinander, doch er sah sehr gut aus.

„Willst du mit mir spielen?“, fragte er.

„Ja.“

Sie war glücklich, dass er sie einlud, denn sie hatte keine Freunde hier. Erst drei Tage zuvor war sie mit ihrer Mutter im Palast eingetroffen. Seitdem hatte Inès die ganze Zeit draußen verbracht und alles beobachtet.

Im Palast gab es Bedienstete. Es machte ihr Spaß, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Inès fragte sich, wohin sie gingen und warum sie immer in Eile waren.

Außerdem kamen viele Männer und Frauen an die Tore von Aljazar, „um eine Audienz beim Sultan zu erbitten“, wie ihre Mutter ihr erklärt hatte. Sie erzählten ihm ihre Probleme, und er fand offenbar Lösungen für sie. Inès’ Mutter war sehr glücklich darüber, für diesen Mann zu arbeiten. Er hatte ihnen ein nettes kleines Haus am Ende des Parks zugewiesen. Zum ersten Mal hatte Inès ein eigenes Zimmer. Ein gelb gestrichenes Zimmer mit einem Holzbett und einem großen Schreibtisch zum Malen.

Außerdem hatte Inès eine Gruppe von Kindern entdeckt, die oft im Park spielte. Ihre Mutter hatte sie aufgefordert, sich ihnen anzuschließen, aber Inès hatte Angst, auf sie zuzugehen, und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war zu schüchtern.

Diesen Jungen, der gerade seine Hand nach ihr ausstreckte, sah sie zum ersten Mal. Seine Hand war warm und weich. Inès folgte ihm, und zu ihrer großen Überraschung führte er sie durch die riesige Palasttür.

„Mama will nicht, dass ich dorthin gehe“, flüsterte sie. „Ich werde Ärger bekommen.“

Er lächelte sie an.

„Aber nein, du bist doch mit mir zusammen. Komm.“

Inès schaute auf. Die Decke war hoch – sehr hoch – und golden. Ihre Schritte hallten im großen Saal wider. Sie fühlte sich wie eine kleine Maus, die das Haus eines Riesen betrat – wie in der Geschichte, die ihr Vater ihr zu seinen Lebzeiten immer erzählt hatte.

Sie kam an weißen Statuen und hübschen Bildern vorbei, die an den Wänden hingen. Es gab Säulen mit Zeichnungen darauf und auch einen Wasserbrunnen. Der Palast war wunderschön, wie ein richtiges Prinzessinnenschloss. Noch nie hatte Inès etwas Vergleichbares gesehen.

„Bist du sicher, dass wir das dürfen?“, fragte sie besorgt. „Was sollen wir sagen, wenn der Sultan uns erwischt?“

Der Junge lachte. „Dann sage ich: ‚Hallo, Papa, das ist Inès.‘“

„Akim! Ich hab mich versteckt!“

Inès kauerte sich in einer Ecke im Gebüsch des Orangenhains zusammen und unterdrückte ein Lachen. Ihr Freund war gerade an ihr vorbeigegangen, ohne sie bemerkt zu haben.

Seit fast einem Jahr traf sie sich täglich im Privatpark des Sultans mit dem kleinen Prinzen. Mittlerweile kannte sie jede Ecke hier.

Sie verabredeten sich immer nach der Schule. Inès war in einer Klasse bei Frau Radia, die die Kinder der Bediensteten von Aljazar betreute, wohingegen Akim und sein großer Bruder von einem Privatlehrer unterrichtet wurden.

Manchmal wurde ihr Freund bestraft und konnte ihre geheimen Treffen nicht einhalten. Doch wenn alles gut ging, sah Inès ihn kommen, wenn sie auf der Baumschaukel an der großen Kiefer auf ihn wartete.

„Wo bist du, Inès?“

Wieder hatte er sie knapp verpasst.

Sie lächelte. Die Luft roch nach Obst, die Sonne schien sanft auf ihre Haut, sie fühlte sich wohl hier.

In Akims Nähe.

Den ganzen Tag hatte Inès auf diesen Moment gewartet. Wenn Akim bei ihr war, war sie glücklich. Wenn er nicht da war, dachte sie die ganze Zeit an ihn.

„Ah, da bist du ja!“, sagte er und schob einen Ast über ihrem Kopf beiseite.

Inès musste lachen, als er mit den Fingern ein Blatt aus ihrem Haar strich. Der Zopf, den ihre Mutter geflochten hatte, hatte sich gelöst, und ihre Locken fielen in alle Richtungen, auch in ihr Gesicht.

„Alle diese Blätter auf deinem Kopf …“, sagte Akim. „Sie sehen aus wie eine Krone.“

Inès musste noch mehr lachen.

„Ich bitte dich. Kronen sind für Prinzessinnen!“

Er setzte sich neben sie und küsste sie unter dem Orangenbaum auf die Wange.

Der Kuss fühlte sich ein wenig feucht und sehr weich an. Wie vom Blitz getroffen hörte Inès auf zu lachen. Am liebsten wäre sie so mit ihrem Freund geblieben. Für immer.

„Dann wirst du meine Prinzessin“, flüsterte er ihr ins Ohr.

„Nachdem der Händler die Prinzessin befreite, heirateten die beiden, und sie bekamen viele Kinder und waren glücklich bis an ihr Lebensende.“

Akim klappte das Märchenbuch zu und drehte sich zu Inès. Seit er lesen gelernt hatte, las er ihr oft Geschichten vor. Die beiden suchten zusammen ein Buch aus der großen Bibliothek des Palastes aus und setzten sich auf den weichen Teppich im Lesesaal. Mittlerweile konnte auch Inès lesen, doch sie meinte, dass sie ihm lieber zuhören würde.

„Diese Geschichte ist Unsinn“, sagte sie und zog eine Grimasse. „Solche Hochzeiten gibt es im wirklichen Leben nicht. Prinzessinnen heiraten Prinzen und Prinzen heiraten Prinzessinnen.“

„Du vergisst, dass der Händler die Königstochter vor dem Drachen gerettet hat“, erwiderte Akim lachend, doch seine Freundin verzog keine Miene.

„Warum bist du so traurig, Inès?“, fragte er besorgt.

Inès’ grüne Augen hatten sich verdunkelt. Sie zuckte mit den Achseln.

„Eines Tages wirst auch du eine Prinzessin kennenlernen. Du wirst sie heiraten und nicht mehr mein Freund sein.“

Akim schüttelte den Kopf. Der Gedanke, Inès nicht mehr zu sehen, schmerzte ihn in seinem Inneren. Dort, wo sein Herz schlug.

„Niemals!“, rief er verärgert darüber, dass sie sich so etwas auch nur vorstellen konnte. „Wir werden immer zusammenbleiben.“

Sein Lehrer erinnerte ihn oft an die Pflichten, die er als Erwachsener zu erfüllen hätte. Doch Akim kümmerte sich weder um die regionalen Konflikte, die den Frieden in den Blauen Dünen bedrohten, noch um die „Allianzen, die geschlossen werden müssten“ oder die Töchter der Sultane. In seinem Leben würde es nur eine Prinzessin geben und er hatte sie bereits gefunden.

„Ich werde dich heiraten, Inès, weil ich dich liebe.“

Ihre großen grünen Augen blitzten wieder auf. Sie war so hübsch und süß. Es brach ihm das Herz, sie so traurig zu sehen.

„Ich werde dich glücklich machen, das verspreche ich dir“, sagte er und wischte eine Träne von ihrer Wange. „Wirst du mich heiraten, wenn wir erwachsen sind, mein Engel?“

„Ja“, antwortete Inès mit einem breiten Lächeln.

Er griff in seine Tasche und holte den Siegelring heraus, den ihm sein Vater vor wenigen Wochen zu seinem zehnten Geburtstag geschenkt hatte. Da er zu groß war, hatte Akim ihn noch nicht angesteckt. Seine Initialen waren eingraviert worden. Sie waren miteinander verflochten, sodass sie wie eine Zeichnung aussahen.

Er legte den Ring in Inès’ kleine Hand.

„Behalte ihn, bis wir verheiratet sind. Dann werde ich dir einen Ring schenken, der wie deine Augen strahlt.“

„Ich bin verliebt, Mama.“

Bei dem Geständnis schoss Inès die Hitze in die Wangen. Die Reaktion der Mutter verstärkte ihr Unbehagen. Vor Entsetzen legte sich Zohra die Hand vor den Mund.

„Sag das nicht, Inès. Du weißt genau, dass das unmöglich ist.“

Sie hatte mit leiser Stimme gesprochen, während sie zu zweit am kleinen Küchentisch saßen.

„Er liebt mich auch. Das hat er mir gesagt.“

Ihre Mutter näherte sich ihr und nahm sie zu ihrer Überraschung in die Arme. Zohra legte normalerweise keinen großen Wert auf Körperkontakt und bei dieser Bekundung von Zuneigung spürte Inès, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. Die Situation musste wirklich schlimm sein, wenn ihre Mutter zu solchen Maßnahmen griff.

Zohra liebte sie aufrichtig, daran zweifelte sie keinen Augenblick. Doch nach dem Tod von Inès’ Vater hatte sich ihre Mutter verändert und ließ sich ihre Gefühle kaum noch anmerken. Es war, als ob sie ihr Herz vor allzu starken Gefühlen schützen wollte, nachdem sie zu sehr geliebt hatte.

Inès hatte sich an diese spürbare Barriere zwischen ihnen gewöhnt. Sie bedauerte das zwar, hatte aber gelernt, damit zu leben.

„Das ist meine Schuld“, sagte ihre Mutter sichtlich aufgebracht. „Ich hätte dir den Umgang mit ihm nie erlauben dürfen. Er ist nicht der richtige Mann für dich, mein Mädchen. Er ist ein Prinz!“

Das wusste Inès nur zu gut. Als Sohn des Sultans von Aljazar war Akim ein außergewöhnliches Schicksal beschieden. Auch wenn er ihr oft gesagt hatte, dass er sein Leben mit ihr verbringen wollte, wäre es ihm nicht möglich. In wenigen Jahren würde er eine Frau königlicher Herkunft heiraten, und seine Freundschaft mit der Tochter der Haushälterin des Palastes müsste ein Ende nehmen.

„Du sagst doch immer, dass die Liebe stärker ist als alles andere“, entgegnete Inès ohne große Überzeugung.

Ihre Mutter stieß einen langen Seufzer aus.

„Du bist fünfzehn Jahre alt, mein Schatz, und alt genug, um zu verstehen, dass das Leben kein Märchen ist. Liebe ist das schönste aller Gefühle, aber sie kann auch zerstörerisch sein.“

Eine Träne rollte über Zohras Wange. Sprach sie von ihrem eigenen verlorenen Glück?

„Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen, Mama. Bitte mach dir keine Sorgen um mich.“

Inès küsste sie auf die Stirn, bevor sie niedergeschlagen aus dem kleinen Haus ging. Sie brauchte frische Luft und lief zur Schaukel im Park.

Tränen nahmen ihr die Sicht, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie war nicht so naiv, ernsthaft zu glauben, dass sie Akim eines Tages heiraten könnte. Aber warum träumte sie dann nachts immer wieder davon? Und tagsüber …

Es war seine Schuld! Mit flüsternder Stimme hatte er ihr seine ewige Liebe geschworen, und sie hatte sich dem Zauber seiner Worte hingegeben. Sie hätte ihm so gern geglaubt.

Wütend wischte sie sich über die Augen, bevor sie wie angewurzelt stehenblieb. Vom Orangenhain schallte ein Lachen zu ihr herüber. Sie hatte keine Schwierigkeiten, Akims Lachen und Jasmines leisere Stimme zu erkennen.

Ein vertrautes Gefühl bohrte sich in ihr Herz wie ein vergifteter Pfeil. Eifersucht.

Egal, wie oft Akim ihr beteuerte, dass Jasmine wie eine Schwester für ihn sei, konnte Inès nicht umhin, die Prinzessin zu beneiden. Die beiden Mädchen waren beide gleich alt, zwei Jahre jünger als Akim. Doch sie würden nicht dasselbe Leben führen.

Jasmine war ein Jahr zuvor in Aljazar angekommen und verbrachte seitdem viel Zeit mit Akim. Zu viel Zeit. Inès hätte sich gern von diesen Gedanken befreit, denn Jasmine war immer sehr freundlich zu ihr.

Es wäre so viel einfacher, Jasmine und alles, wofür sie stand, zu hassen. Die Prinzessin war jedoch nicht nur die Erbin eines mächtigen Sultanats der Blauen Dünen, sondern auch von seltener Schönheit und Sanftmut. Sie hatte Inès nie als minderwertig behandelt und lud sie immer ein, wenn sie sich mit Akim traf.

Vielleicht war Jasmine die Tatsache entgangen, dass Inès vor der Ankunft der Prinzessin keine Einladung gebraucht hatte, um Zeit mit dem Prinzen von Aljazar zu verbringen.

Früher hatte es nur sie beide gegeben: Inès und Akim. Zwei Kinder, die sich weder um ihre Titel noch um das Schicksal kümmerten, das sie eines Tages unweigerlich trennen würde …

Als sie sich verärgert umdrehte, rief Akim ihr hinterher.

„Inès?“ Er kam auf sie zu. „Ich habe dich nicht kommen sehen. Bist du schon lange hier?“

Er wirkte beschämt. Hatte sie Jasmine und ihn gerade bei etwas ertappt? Waren sie sich nahegekommen? Verwirrt über diese Vorstellung, warf Inès einen flüchtigen Blick auf die Prinzessin, die ihr aus der Ferne zuwinkte.

„Ich bin nur gekommen, um ein paar Orangen für meine Mutter zu pflücken“, sagte Inès in distanziertem Ton. „Ich komme später wieder.“

Für einige Sekunden starrte Akim sie eindringlich an.

„Hast du geweint, mein Engel?“, fragte er und strich ihr über die Wange.

Sie trat einen Schritt zurück, erschrocken über den Sturm an Gefühlen, der in ihr losbrach. Am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt und ihm von dem Gespräch mit ihrer Mutter erzählt. Sie hätte sich gern von ihm beruhigen lassen, wie er es schon oft getan hatte.

Doch ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte davon.

Irgendwann müsste sie Akim aufgeben. Und wenn es ohnehin passieren müsste, konnte sie es auch gleich tun – je früher, desto besser.

4. KAPITEL

„Diese Frau gehört zu mir.“

Akim hatte mit ruhiger Stimme gesprochen. Eine Stimme, die er kaum wiedererkannte. Tatsächlich fühlte er sich alles andere als ruhig.

Eine unaussprechliche Wut drohte seine Maske der Gelassenheit zu zerstören. Denn er war ebenso wütend wie erleichtert darüber, dass es Inès gut ging.

Er hatte erwartet, sie so vorzufinden, wie er sie verlassen hatte: verzweifelt. Und jetzt schien sie wunderschön, aufgeblüht und glücklich – in den Armen eines anderen.

Der besagte Mann legte einen Arm um Inès’ Schultern. Als ob sie vor Akim geschützt werden müsste. Als er die Finger des Mannes auf der gebräunten Haut der jungen Frau sah, musste Akim seine ganze Willenskraft aufbringen, um sich nicht auf den anderen zu stürzen.

„Lassen Sie sie sofort los“, sagte er in barschem Ton.

„Wir sind uns, glaube ich, noch nicht vorgestellt worden“, antwortete der Mann, während er seinen Griff um Inès verstärkte.

Er forderte Akim mit seinem Blick heraus und wusste anscheinend nicht, mit wem er es zu tun hatte.

„Ich heiße Akim …“

Er unterbrach sich. Noch nie hatte er seinen Prinzentitel benutzt, um andere einzuschüchtern. Nicht einmal einen Rivalen, der so selbstsicher und gut aussehend war wie dieser.

„Said“, antwortete der Mann und streckte eine Hand aus.

Nach kurzem Zögern schüttelte Akim sie. Der Griff war fest, der Blick musternd. Natürlich wollte dieser Said mehr über ihn erfahren, aber Akim hatte weder den Wunsch noch einen Grund, die Neugier des Fremden zu befriedigen.

„Komm mit, Inès, wir müssen reden.“

Seit seiner Ankunft hatte sie ihn mit ihren grünen Augen unentwegt angesehen, doch kein Wort über ihre Lippen gebracht. Diese Lippen, die er so gern geküsst hätte. Er verspürte ein beinahe schmerzliches Verlangen, ihr nahe zu sein, nachdem sie ihn monatelang in den Wahnsinn getrieben hatte. Er musste sich vergewissern, dass wirklich sie es war, die vor ihm stand, und keine Fata Morgana.

Als Inès reglos an Ort und Stelle verharrte, fasste er sie am Ellbogen und zog sie mit sich. Ihn kümmerten weder Saids Proteste noch die wütenden Blicke der Dorfbewohner.

Seit einer Ewigkeit wünschte er sich dieses Wiedersehen. Er musste wissen, warum Inès aus dem Palast geflohen war und ihn verlassen hatte.

Jetzt würde er keine Minute länger warten.

Mit klopfendem Herzen ließ sich Inès von Akim wegführen, bis sie fernab der Menge und geschützt vor neugierigen Blicken waren. Mit einem Handzeichen hatte sie Said zu verstehen gegeben, ihr nicht zu folgen, und glücklicherweise war er ihrer Bitte nachgekommen. Doch sein Blick hatte mehr gesagt als tausend Worte: Wenn sie ihn darum gebeten hätte, hätte er sie – ohne zu zögern – beschützt. Er war ein starker Mann, der rückhaltlos für seine Liebsten kämpfte.

Was Said nicht wusste, war, dass Inès nicht das geringste Bedürfnis verspürte, von ihm beschützt zu werden. Nein, sie musste sich vor sich selbst hüten – und vor ihren Gefühlen für Akim, die sie dazu verleiten könnten, etwas Dummes zu tun. Auf keinen Fall durfte sie sich von ihrem Herzen leiten lassen. Sie hatte vor sechs Monaten eine Entscheidung getroffen und würde daran festhalten.

„Was machst du hier?“, fragte sie, als sie schließlich allein waren.

Sie waren schnell gelaufen und hatten die Feiernden längst hinter sich gelassen. In wenigen Metern Entfernung begann hinter einer Palmenreihe die Wüste.

„Was ich hier tue?“, antwortete Akim schreiend. „Wie kannst du mich so etwas fragen, Inès?“

Seine Augen blitzten auf. Er war wütend, wie außer sich. In diesem Moment erinnerte er sie an seinen Bruder Tarek.

„Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht. Ich dachte …“

Er beendete seinen Satz nicht, doch seine Stimme hatte einen verzweifelten Klang angenommen. In demselben Ton hatte er ihr mit acht Jahren erzählt, dass seine Mutter gestorben sei. Damals hatte sie gedacht, dass Worte manchmal nicht ausreichten, um einen geliebten Menschen zu trösten, und hatte ihn in die Arme genommen.

Das tat sie auch jetzt.

Inès merkte sofort, dass das ein Fehler war. Als Akim sie an sich drückte, spürte sie seine Wärme, die sich direkt auf sie übertrug. Er hatte ihr so sehr gefehlt … Es war so lange her, dass sie ihren Prinzen gesehen hatte. Jahre, um genau zu sein. Denn der Mann, vor dem sie vor wenigen Monaten davongelaufen war, war nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen. Ein schwacher Abklatsch des Mannes, der ihr Herz bei ihren heimlichen Treffen zum Rasen gebracht hatte.

Tränen traten in ihre Augen. Es fühlte sich gut an, vom Prinzen Aal Shelad umarmt zu werden. Akim war zurück. Und er war für sie gekommen.

Leider ändert das nichts an meiner Situation, dachte Inès, bevor sie sich abrupt von ihm löste. Gestern wie heute war der Prinz von Aljazar nicht der Richtige für sie.

Sie konnte es sich nicht leisten, diese Tatsache zu vergessen – vor allem nicht jetzt, da sie in diesem Dorf ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden hatte und glücklich war.

So gut wie glücklich.

„Ich habe gehört, dass du mich suchst“, gestand sie.

Sie war überrascht gewesen und hatte sich dummerweise geschmeichelt gefühlt. In ihrem letzten Gespräch war Akim sehr grausam zu ihr gewesen … Warum machte er sich die Mühe, sie zu suchen, nachdem er so hart zu ihr gewesen war?

Als sie erfahren hatte, dass er aus Aljazar weggegangen war, um nach ihr zu suchen, hatte sie ihre Bemühungen verdoppelt, um ihre Identität in Nekhla geheim zu halten. Sie hatte gehofft, dass er aufgeben würde, obwohl sie wusste, dass es keinen ausdauernderen Menschen auf der Welt gab als Akim.

Und jetzt stand er hier, nur Zentimeter von ihr entfernt.

„Warum, Inès? Warum?“

„Ich konnte nicht bleiben, das weißt du genau. Im Palast gibt es für mich keine Zukunft.“

Mit seinen schwarzen Augen funkelte er sie wütend an.

„Aber du gehörst nach Aljazar. Pack deine Sachen. Du kommst mit mir zurück.“

Es war eine Aufforderung, wie sie typisch für mächtige Männer war. Früher hatte Akim jeden Befehl verabscheut, den er von seinem Vater und dann von seinem Bruder erhalten hatte. Nach dem Tod von Sultan Abdelkader war Tarek ihrem Vater als ältester Sohn auf den Thron gefolgt. Doch während Akim damals jegliche Form von Autorität abgelehnt hatte, war sie ihm mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Das Blut der Aal Shelads floss durch seine Adern.

„Ich gehe nirgendwohin“, antwortete Inès und hielt seinem Blick stand. „Mein Leben ist jetzt hier.“

„Wegen ihm?“, fragte Akim in gefährlich kaltem Ton.

Ihm? Inès brauchte einige Sekunden, um zu verstehen, was er meinte. Akim glaubte, dass sie sich in einen anderen verliebt hatte. Diese verrückte Idee hatte sie selbst ihm bei ihrem letzten Gespräch in den Kopf gesetzt. War es falsch gewesen, ihn in diesem Glauben zu lassen, obwohl ihr Herz nie aufgehört hatte, für ihn zu schlagen?

Jedenfalls verkörperte Said heute diesen Rivalen, den es in Wirklichkeit nie gegeben hatte.

„Warum glaubst du, dass dich das etwas angeht, Akim?“ Ihr wurde bewusst, wie hart diese Frage klingen musste. Natürlich lag ihr Schicksal Akim am Herzen. Doch in den letzten Jahren hatte er das Recht verloren, sich in ihr Privatleben einzumischen. Natürlich hatte sie ihn weggestoßen, aber nur weil sie keine Last für ihn darstellen wollte. Als Prinz musste Akim Pflichten erfüllen. Dazu gehörte auch, eine Prinzessin zu heiraten.

Ein Prinz Aal Shelad hatte kein Recht, ein Mädchen wie sie zu lieben. Mit dieser schmerzhaften Einsicht hatte sich Inès schließlich abgefunden und Akim mit gebrochenem Herzen an seine Verantwortung erinnert.

Er hatte kurz davorgestanden, Jasmine zu heiraten, doch die Hochzeit hatte nie stattgefunden. Anstatt sein Schicksal anzunehmen, hatte Akim sich mit Frauen herumgetrieben, denen nichts Königliches anhaftete. Weit davon entfernt, sich eine Gemahlin zu suchen, die Aljazar würdig wäre, hatte er einen Harem gegründet.

Inès ärgerte sich immer noch über sein eigensüchtiges Verhalten. Vor allem nahm sie ihm übel, dass er nicht mehr so ein herzensguter Mensch war wie früher.

Aber war nicht auch sie dafür verantwortlich, dass er so tief gefallen war?

„Hast du unsere Freundschaft vergessen, Inès? Was ist mit mir?“, fragte er, so als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Sie wusste nicht mehr so genau, mit wem sie es eigentlich zu tun hatte. Sicher war nur die Freude, die sie bei ihrem Wiedersehen empfand.

„Komm mit“, flüsterte sie. „Ich will dir etwas zeigen.“

Inès führte ihn aus dem Dorf heraus – dorthin, wo sich die Wüste erstreckte, so weit das Auge reichte. Schweigend setzten sie sich beide auf den Sand. Es war jetzt stockdunkel und angenehm kühl.

Ein Zittern erfasste Inès’ Körper – nicht unbedingt wegen der Kälte, sondern wegen Akims beunruhigender Nähe. Er legte einen Arm um ihre Schultern, als wäre es die natürlichste Sache der Welt.

Und so war es auch.

Wie oft hatten sich die beiden allein getroffen und in die Sterne geschaut?

Sie sahen gleichzeitig in den Himmel. Worte waren sinnlos. Die Sterne entfachten ihren Zauber.

Früher hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, die Namen ihrer nächtlichen Begleiter zu finden, was zu Diskussionen und viel Gelächter geführt hatte. Sie hatten erst aufgehört, wenn alle Zweifel ausgeräumt gewesen waren.

Das Schweigen war zum Symbol ihres Glücks geworden.

„Wenn wir eines Tages durch ein Unglück getrennt werden, schau zu den Sternen. Ich werde sie ebenfalls ansehen und an dich denken. So können wir immer zusammen sein.“ Diese melancholischen Worte hatten Inès sehr gerührt. Als Akim sie gesagt hatte, hätte er sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, wie prophetisch sie sein würden.

„Ich komme oft hierher“, flüsterte sie.

Um bei dir zu sein.

Er sah sie von der Seite an. Ein weicher Glanz trat wieder in seine Augen. Akim legte seine Hand um ihren Nacken und zog ihr Gesicht sanft zu sich heran.

„Ich werde dich küssen, mein Engel.“

Seine Lippen berührten ihre mit unendlicher Sanftheit, so samtig weich wie ein Rosenblatt.

Das Gefühl war altbekannt, so vertraut und himmlisch. Es war nicht das erste Mal, dass Akim sie küsste.

Jedes Mal hatte sie es zugelassen. Wie sollte sie ihm widerstehen, wenn sie nur für diese zärtlichen Momente lebte? Als Akim sie küsste, hatte sie das Gefühl, die Erde würde sich wieder drehen, nachdem sie – seit dem Tag ihrer Trennung – stillgestanden hatte. Jetzt funkelten wieder die Sterne am Himmel, und der Wüstensand wirbelte durch die Luft.

Jedes Mal schwor sie sich, dass es das letzte Mal sein würde.

Von Akim geküsst zu werden, war ihr mittlerweile zur Qual geworden. Eine köstliche Folter, die sie dazu gebracht hatte, sich selbst, ihren Körper und ihre Seele zu verlieren. Ihre Verbindung, die sie einst so glücklich gemacht hatte, bereitete ihr nichts als Schmerzen. Denn dieser Mann, der ihr die Welt bedeutete, war ihr verboten.

Warum weigerte sich Akim, sie gehen zu lassen? Sie wollte nicht mehr träumend durchs Leben gehen, sondern selbst über ihr Schicksal bestimmen. Aus ihrer Beziehung könnte nie mehr als Freundschaft werden – unabhängig davon, wie zweideutig sie auch war.

„Akim …“, sagte sie.

Eigentlich sollte sie sich aus seiner Umarmung lösen, doch im nächsten Moment küsste er sie wieder. Nur diesmal nicht mehr zärtlich, sondern voller Dringlichkeit.

Überrascht spürte Inès, wie Akim ungestüm seine Zunge zwischen ihre Lippen schob. Und sie gab sich ihm hin.

Er verschränkte seine Finger mit ihren, legte sie rücklings auf den Boden und war im nächsten Moment auf ihr.

„Akim …“, seufzte sie wieder, während er mit seinem Mund über ihren Hals strich.

Als er sie sanft biss, stöhnte sie vor Schmerz und Lust auf.

Mit beiden Händen umfasste er ihren Kopf und drückte sie in den Sand. Von unbekannten Empfindungen überwältigt, hörte sie aus der Ferne den Schrei eines Vogels, der die Nacht zerriss. Als der Wind über ihre Haut strich, brauchte sie einen Moment, um zu verstehen, dass Akim ihre Bluse geöffnet hatte und ihre Brüste im Mondlicht zu sehen waren.

Sie erzitterte, als sie seinen glühenden Blick sah, der auf ihre nackte Haut gerichtet war.

War dieser Moment echt? Wie oft hatte sie davon geträumt? Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Akim war immer noch da, von Sternen umgeben, und schmiegte seinen kräftigen Körper eng an sie.

Sie träumte nicht. Das schockierende Gefühl seiner Erektion an ihrem Bauch war Beweis genug.

„Du machst mich wahnsinnig“, sagte er mit rauer Stimme.

Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, senkte er den Kopf zu ihren Brüsten und nahm eine der aufgestellten Knospen zwischen seine Lippen, um sie mit der Zunge zu liebkosen und mit den Zähnen zu umspielen.

Sie wollte ihn, daran bestand kein Zweifel. Mit Haut und Haaren. Ihr Körper bestand nur noch aus zitterndem Verlangen. Ihre Hüften hoben sich wie von selbst, und jede Faser ihres Körpers schrie danach, ihm noch näher zu sein.

Was geschah mit ihr? Sie hatte sich versprochen, den Prinzen von Aljazar aus ihrem Leben zu streichen. Und nun lag sie in seinen Armen.

Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust. Ihr Atem ging flach und ruckartig.

Sie wollte mehr, so viel mehr.

Ja, hätte sie am liebsten geschrien.

„Nein“, kam ihr schließlich über die Lippen.

Atemlos sah Akim auf. Er wirkte verstört und sah sie eindringlich an. Ein harter Ausdruck trat in seine Augen.

„Warum nicht?“, fragte er nach einem langen Schweigen. „Haben wir nicht lange genug gewartet?“

Viel zu lange. Seit einer Ewigkeit hatte Inès darauf gewartet, Akim nahe zu sein. Doch sie hatte davon geträumt, dieses Glück in ihrer Hochzeitsnacht zu erleben, nachdem sie sich vor Gott und ihren Liebsten vermählt hätten.

Mit der Zeit waren diese unschuldigen Träumereien einer unbändigen inneren Unruhe gewichen. Schleichend hatte sich das Feuer der Leidenschaft in ihr ausgebreitet. Die Veränderung hatte vor wenigen Monaten – oder vielleicht auch Jahren – stattgefunden.

Wie oft war sie allein in ihrem Bett aufgewacht, von einer sengenden Sehnsucht erfüllt, nachdem sie von zärtlichen Momenten mit dem Prinzen von Aljazar geträumt hatte? Unfähig, ihren eigenen Körper zu kontrollieren, hatte sie sich mit der Zeit immer mehr geschämt, weil sie wusste, dass sie im wahren Leben niemals Akims Frau sein würde.

Wenn sie sich vorstellte, in seinen Armen zu liegen, musste sie immer an all die Konkubinen denken, mit denen er das Bett geteilt hatte.

Auch wenn sie diejenige gewesen war, die ihn weggestoßen hatte, konnte sie ihm nicht verzeihen, dass er mit all diesen Frauen geschlafen hatte – und noch dazu in seinem majestätischen Gemach. Im schönsten Palast der Welt!

Durch dieses kompromittierende Verhalten hatte er nicht nur seinem Ruf geschadet, sondern war in ihren Augen auch nicht mehr so perfekt wie einst.

„Ich werde niemals eine deiner unzähligen Geliebten sein“, verkündete sie und funkelte ihn wütend an.

Geschockt erhob sich Akim. Was hatte er getan? Was hatte er vorgehabt?

In erhabener Haltung richtete sich Inès auf dem Sand auf. In diesem Moment sah sie wie ein wilder Engel aus. Während sie sich leidenschaftlich umschlungen hatten, hatte er ihren Haarknoten gelöst, sodass ihre seidigen Locken jetzt unbändig auf den Sand fielen. Ihr wütender Blick betonte ihre zarten Züge. Er hatte ihr seidenes Oberteil geöffnet, sodass ihre herrlichen Brüste seinem Blick jetzt ungeschützt ausgesetzt waren.

Überwältigt von einem Verlangen, das er allzu lange zurückgehalten hatte, war ihm die Kontrolle entglitten. Ausgerechnet mit Inès, die es verdiente, wie eine Königin behandelt zu werden, hatte er gerade auf dem Sand schlafen wollen – nur wenige Stunden, nachdem er sie wiedergefunden hatte.

Sie teilte sein Verlangen, daran bestand kein Zweifel. Das Zittern ihres Körpers, ihr verzweifelter Blick, ihre kleinen, stöhnenden Geräusche … Sie musste nicht viel tun, um ihn um den Verstand zu bringen. Doch er hatte nicht das Recht, ihr die Unschuld zu nehmen.

Denn sie war immer noch unschuldig, davon war er überzeugt.

Selbst wenn Inès in diesen Said verliebt sein sollte – woran Akim jedoch zu zweifeln begann, nachdem sie so auf seinen Kuss reagiert hatte –, hatte sie ihm nicht ihre Unschuld geschenkt. Noch nicht. Und so weit würde Akim es nicht kommen lassen.

Inès gehörte bis in alle Ewigkeit an seine Seite. Es war seine Schuld, dass sie das vergessen hatte, und er würde alles dafür tun, um sie daran zu erinnern.

„Ich bringe dich nach Hause“, sagte er und half ihr auf.

Eilig brachte sie ihr Kleid und ihre Haare in Ordnung. Den Kopf gesenkt, wich sie seinem Blick aus.

Wie gern hätte er sie noch einmal auf ihre sinnlichen Lippen geküsst, die noch geschwollen waren von ihren Küssen. Doch er begnügte sich damit, ihre Hand zu nehmen. Zu seiner großen Erleichterung entriss Inès sie ihm nicht.

Als sie sich auf den Weg begaben, schaute sie schließlich zu ihm auf. Ihre Augen sahen aus wie zwei Smaragde, die in der Nacht funkelten.

„Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben, Akim. Vergiss mich nicht, wenn du wieder in Aljazar bist.“

Diese Worte klangen nach Abschied.

Nachdem sie vor sechs Monaten ohne ein Wort der Erklärung davongelaufen war, wollte sie sich jetzt von ihm verabschieden.

Verblüfft blieb er stehen. Hatte sie es also immer noch nicht begriffen?

„Ohne dich gehe ich nirgendwo hin, Inès. Wenn du nicht mit mir in den Palast zurückkommst, bleibe ich hier.“

Er musste mit der Frau, die ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte, Zeit verbringen. Er musste endlich die Sehnsucht stillen, die ihn langsam, aber sicher in den Wahnsinn trieb.

Nur so könnte er Inès aus seinen Gedanken und seinem Leben verbannen.

Und endlich seiner Pflicht nachkommen.

5. KAPITEL

Seine weichen Hände strichen über ihre Brüste. Sein Mund fühlte sich wunderbar sanft an. Akim strömte den Duft purer Versuchung aus und sie musste zugeben, dass sie versucht war, sehr sogar.

Inès sah ihm in die Augen, fühlte sich ermutigt und fuhr mit den Händen über Akims nackte Schultern. Seine gebräunte Haut war warm und glatt. Unter ihren Fingern spürte sie das Spiel seiner Muskeln.

Als sie sich weiter nach unten wagte, um seinen Po zu umfassen, stoppte er sie und atmete tief ein.

„Noch nicht, mein Engel. Wir haben noch die ganze Nacht vor uns – und das ganze Leben.“

Mit einer Hand umfasste er ihre Handgelenke und hielt sie über ihren Kopf.

Sie versuchte, sich zu bewegen, doch er drückte sie tiefer in die Seidenlaken. Also blieb sie still, bereit für ihn. Da sie seit so langer Zeit an seiner Seite war, fühlte es sich sinnlich und natürlich an, ihm ihren Körper zu schenken.

Seine freie Hand legte er auf ihre intimste Stelle. Als er begann sie zu streicheln, wusste sie vor Erregung nicht, wohin mit sich. Keuchend flüsterte sie seinen Vornamen, während sie von einer Woge der Lust erfasst wurde, die immer höher anstieg, bis sie den Gipfel erreichte.

„Du bist so schön, meine Prinzessin.“

Die Worte klangen seltsam in ihren Ohren. Akims Stimme schien auf einmal von sehr weit weg zu kommen.

Inès konzentrierte sich auf das Zentrum ihrer Leidenschaft. Nachdem sie ihre Handgelenke befreit hatte, tastete sie nach Akims Hand und bedeckte sie mit ihrer.

Mit seinen Fingern drang er in sie ein und bereitete ihr unerhörte Freuden.

Der Sturm an Empfindungen war unglaublich.

Plötzlich spürte sie, wie sie Zutritt zu einer unbekannten, himmlischen Welt erhielt.

Sie stieß einen Schrei aus, doch als sie die Augen öffnete, um ihren Liebsten anzusehen, sah sie nichts als Dunkelheit vor sich.

Blinzelnd wachte Inès aus der Starre ihres Traums auf. Sie war allein.

Beunruhigt zog sie ihre verräterische Hand von jener Stelle weg, die vor verbotener Begierde pulsierte.

Es war nicht das erste Mal, dass sich Akim in ihre Träume geschlichen hatte. Zwar waren die Zärtlichkeiten mit ihm nur geträumt, die Gefühle, die Inès empfand, waren jedoch sehr real. Wobei ihre Fantasie noch nie derart mit ihr durchgegangen war.

Sie fühlte sich von Scham überwältigt, weil sie die Kontrolle verloren und sich von ihrem sinnlichen Vergnügen hatte leiten lassen. Natürlich war ihr Zustand auf Akims brennende Küsse unter dem Sternenhimmel zurückzuführen, doch sie ärgerte sich darüber, dass sie in der Nähe des Prinzen von Aljazar immer jegliche Selbstbeherrschung verlor.

Wie würde es sich anfühlen, wenn aus dem erträumten Akim Wirklichkeit wurde? Leider würde sie das nie erfahren.

Gern hätte Inès geduscht, um die Spuren dieser aufwühlenden Nacht von ihrem verschwitzten Körper zu waschen, doch wegen ihres berühmten Gastes wagte sie nicht, sich zu rühren.

Denn Akim schlief im Atelier, das im Erdgeschoss unter ihrem Zimmer lag.

Der Prinz von Aljazar hatte sich selbst eingeladen, und sie hatte ihn nicht davon abbringen können. Er, der an den Luxus eines Palastes wie aus Tausendundeiner Nacht gewöhnt war, schlief jetzt auf dem Boden zwischen den Stoffen einer einfachen Schneiderin.

Inès hatte ihm ihr Zimmer angeboten, doch Akim – ganz der Gentleman – hatte sich geweigert, sie unten schlafen zu lassen. Wahrscheinlich war es besser so. Vielleicht hätte sie in ihrem Bett nie wieder ein Auge zugetan, wenn Akim dort ihre Laken zerknittert hätte – wenn auch nur für eine Nacht.

Beim ersten Tageslicht müsste sie ein ernsthaftes Gespräch mit ihm führen. Entgegen seiner Pläne könnte er nicht in Nekhla bleiben – und schon gar nicht in ihrer Wohnung.

Unter den Bewohnern des Dorfes, das mitten in der Wüste lag, würde es nur Gerede geben, wenn ein unverheirateter Mann und eine unverheiratete Frau unter demselben Dach wohnten.

Ihr beider Ruf stand auf dem Spiel.

Natürlich wusste Inès, dass der Prinz von Aljazar niemandem Rechenschaft schuldig war. Dennoch war ihr die Vorstellung unerträglich, dass ihr Name in irgendeiner Weise mit einem Skandal um den Prinzen in Verbindung gebracht werden würde.

Obwohl noch niemand in der Oase Akims wahre Identität kannte, würde es nicht lange dauern, bis sich die Nachricht verbreitet hätte. Dann würden sich die Gerüchte noch verstärken und bis zu den Toren des Palastes dringen.

Beim Gedanken an ihre Mutter lief es Inès kalt den Rücken herunter. Zohra würde tausend Tode sterben, wenn sie glaubte, dass die Unschuld ihrer ältesten Tochter in Gefahr war.

Im Lauf der Zeit waren die Befürchtungen ihrer Mutter immer stärker geworden. Hatte sich Zohra zunächst darüber gesorgt, dass sich ihre Tochter mit einem Prinzen angefreundet hatte, war sie am Ende zunehmend wegen des Rufs ihres Kindes beunruhigt gewesen.

Da Akim ein ausschweifendes Leben führte, brachte sich jede Frau in Verruf, die mit ihm verkehrte – und meistens zu Recht.

Wie viele Frauen hatten sich, ohne zu zögern, dem Harem des berüchtigten Akim Aal Shelad angeschlossen? Bereitwillig hatten sie sich dem Prinzen mit Leib und Seele hingegeben, ohne an ihre Zukunft zu denken. Inès empfand für sie nichts als Mitgefühl. Denn keiner von ihnen war es gelungen, das Interesse des Prinzen langfristig auf sich zu ziehen. Um wenige Stunden im königlichen Bett zu verbringen, waren sie das Risiko eingegangen, ein gesellschaftlich geächtetes Leben zu führen.

Alle Welt wusste über Akims Verhalten Bescheid. Als sich die Boulevardpresse auf sein Privatleben stürzte, bekam Zohra es mit der Angst zu tun. Für einen Moment vergaß sie ihre Zurückhaltung und den Respekt, den sie der Königsfamilie normalerweise entgegenbrachte, und warnte Inès eindringlich: „Entehre nicht den Namen deines Vaters, meine Liebe. Flieh vor diesem Mann, der dir nichts als Schande und Leid bringen wird.“

Zohra wusste damals nicht, dass sich Inès bereits von Akim distanziert hatte, seit er Umgang mit diesen Frauen pflegte. An seiner Seite zu bleiben hätte bedeutet, seinen Niedergang mitanzusehen. Auch wenn Inès dieses traurige Schauspiel aus der Ferne beobachtete, weigerte sie sich, eine Rolle darin zu spielen. Akim aus ihrem Leben zu streichen war auch der Versuch gewesen, ihn aus ihren Gedanken zu vertreiben. Doch vergeblich. Daher war sie aus dem Palast geflohen. Sie hatte Akim verlassen, und damit alle Hoffnung, jemals glücklich zu werden.

Als sie gerade geglaubt hatte, wieder etwas Kontrolle über ihr Schicksal erlangt zu haben, war der Prinz von Aljazar in ihrem Leben aufgetaucht und hatte sie nun vollends durcheinandergebracht.

Eigentlich hätte Inès nach einem fröhlichen Fest tief und fest schlafen sollen. Stattdessen erwachte sie jetzt aus einem Traum, der viel zu gefährlich für sie war. Akim befeuerte nicht nur ihre Fantasie, sondern bedrohte auch das zerbrechliche Gleichgewicht, zu dem sie in Nekhla zurückgefunden hatte. Er hatte sie aus dem Paradies dieser schönen Oase vertrieben und sie in eine verwirrende Hölle gestürzt.

Ihre Mutter hatte recht: Wenn Inès nicht vorsichtig war und verhinderte, dass Akim mit ihren Gefühlen spielte, würde sie leiden – wahrscheinlich ein Leben lang. Denn wenn der Prinz erst in den goldenen Palast von Aljazar zurückgekehrt wäre, würde sie allein und verzweifelt zurückbleiben.

Akim streckte sich gähnend. Er hatte tief und fest geschlafen und keine Albträume gehabt. Zum ersten Mal seit Monaten hatte er morgens keine Lust, etwas zu trinken außer einer Tasse Kaffee mit seiner langjährigen Freundin.

Er lächelte, denn er war froh darüber, Inès wiedergefunden zu haben. Seine intensive Suche hatte sich gelohnt. Es ging ihm schon viel besser. Wenn er sich der Person, die ihm so viel Kummer bereitet hatte, erst gestellt hätte, könnte er zu seinem früheren Leben zurückkehren – zumindest zu dem Teil, für den er sich nicht schämte.

Akim spannte den Kiefer an, als er an den verfluchten Journalisten dachte, der scheinbar eine diebische Freude daran hatte, ihm zu schaden. Douglas Winston verbrachte seine Zeit damit, ihnen nachzustellen – ihm und allen, die in den Blauen Dünen einen Prinzen- oder Prinzessinnentitel trugen. Schlimmer noch, durch seine Lügengeschichten war dieser vulgäre Paparazzo berühmt geworden.

Lange hatte Winston es auf Salma Ibn Kassar, die Schönheit des Sandes, abgesehen, die gegen ihren Willen mit Tarek verheiratet worden war und nur wenige Stunden nach der Hochzeit aus Aljazar geflohen war. Niemand wusste, wo sie steckte, auch Winston nicht, worüber sich Akim sehr freute. Da sein Bruder nun Jasmine geheiratet hatte, wäre die Rückkehr seiner ersten Frau eine Katastrophe. Außerdem konnte Akim nicht umhin, die Kühnheit der jungen Prinzessin zu bewundern, der ihre Freiheit wichtiger gewesen war als ein Leben im goldenen Käfig.

Akim seufzte. Sein Leben glich einem Gefängnis. Eines Tages würde er eine Möglichkeit finden, sich an Winston zu rächen, der ihm all diese lächerlichen Spitznamen gegeben hatte. Der „lüsterne Prinz“ und der „Partyprinz von Aljazar“ waren wenig schmeichelhafte Bezeichnungen, auf die er gut und gerne verzichten konnte.

Dabei war Akim als Jugendlicher zusammen mit Jasmine ein glühender Verfechter der Pressefreiheit gewesen. Damals hatte er nicht geahnt, dass auch er regelmäßig auf der Titelseite der Boulevardblätter erscheinen würde.

Tarek belehrte ihn oft und erinnerte ihn an seine Pflicht, sich beispielhaft zu verhalten. Akim erwiderte darauf immer, dass es nur einen Mustersohn in einer Familie geben könne, was seinen älteren Bruder nur noch mehr verärgerte.

Tatsächlich war es offensichtlich, dass Tarek sich Sorgen um ihn machte. Doch Akim fühlte sich von ihm und seiner Frau Jasmine bedrängt. Beide forderten Akim ständig dazu auf, sich Jasmine anzuvertrauen, wonach ihm überhaupt nicht der Sinn stand. Wenn er irgendwem Einblick in die Dunkelheit seiner Seele gewährte, würde sein Schmerz dadurch nur realer werden.

Akim konnte damit leben, sich die Vorwürfe von Tarek und Jasmine anzuhören, doch es wäre ihm unerträglich, von ihnen bemitleidet zu werden.

Aber wie sollten sie auch sonst auf jemanden reagieren, der schon so lange neben sich stand? In den letzten Jahren war er in einen immer tieferen, dunkleren Abgrund gerutscht und wusste nicht mehr, wie er aus diesem wieder rauskommen sollte.

Vielleicht war das Bild, das in der Presse von ihm gezeichnet wurde, besser als die Realität.

Obwohl Akim davon träumte, diesem Winston seine verdiente Abreibung zu verpassen, musste er sich eingestehen, dass der Paparazzo ihm einen guten Dienst erwiesen hatte. Denn nur dank seiner Indiskretion und Besessenheit von Aljazar hatte Akim zu Inès gefunden. Sie gehörte zwar nicht zur königlichen Familie, aber zum Dunstkreis der Aal Shelads, was ausgereicht hatte, um das Interesse des Klatschjournalisten zu wecken.

Akim zog den Artikel, der ihn hierhergeführt hatte, aus der Tasche und warf ihn verärgert auf den Tisch. Es war das erste Mal, dass Inès’ Name in der Presse stand, und er hoffte, dass es das letzte Mal sein würde. Auch wenn der Journalist seiner Freundin gut gesonnen war, befürchtete Akim, dass sich der Ton ändern würde, wenn Winston erst von der Beziehung zwischen der Designer-Dienerin und dem lüsternen Prinzen Wind bekam.

Als Akim Schritte im oberen Stockwerk hörte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Inès war aufgestanden.

Sie beide hatten sich immer nahegestanden und unzählige Stunden miteinander verbracht. Doch zu wissen, dass sie ihm jetzt so nah und gerade ebenfalls aufgewacht war, beunruhigte ihn zutiefst.

Kurz darauf hörte er fließendes Wasser. Anscheinend duschte sie. Vor seinem geistigen Auge sah er das Bild ihres nackten Körpers. Zumindest das Bild des Körpers, den er sich in langen schlaflosen Nächten vorgestellt hatte.

Akim ärgerte sich über sich selbst, weil er solchen Fantasien über seine Kindheitsfreundin nachhing, doch er konnte die Richtung seiner Gedanken nicht kontrollieren.

Wann genau hatte sich seine Sicht auf Inès geändert? Das musste Jahre her sein.

Starke Gefühle hatte er seit jeher – schon als Kind – für sie gehabt, doch aus der anfänglich unschuldigen Zuneigung war nach und nach glühende Leidenschaft geworden.

Eine Leidenschaft, die er unbedingt unterdrücken musste, bevor er noch vollkommen verrückt wurde.

Als Akim hörte, wie das Wasser abgestellt wurde, war er plötzlich versucht, die Treppe hinaufzugehen und Inès zu überraschen. Er würde sie an sich ziehen und über ihre Schönheit staunen. Wäre sie wütend darüber, dass er in ihre Privatsphäre eingedrungen war, oder würde sie ihn in die Arme ziehen und vielleicht noch mehr mit ihm anstellen?

Bevor er noch die Beherrschung verlor, stürmte er aus dem Atelier. Er war in diese Oase gekommen, um Inès aus seinen Gedanken zu vertreiben und endlich sein königliches Schicksal anzunehmen. Auf keinen Fall wollte er neue Erinnerungen schaffen, die ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen würden.

„Akim, ich komme hinunter“, warnte Inès ihren Gast vom oberen Ende der Treppe.

Die Dusche hatte ihr gutgetan.

Nach ihrer stürmischen Nacht konnte sie nun endlich klar denken und fühlte sich gewappnet, um dem Prinzen von Aljazar gegenüberzutreten.

Als er nicht antwortete, ging sie langsam die Treppe hinunter und befürchtete – oder hoffte –, ihn schlafend und nackt vorzufinden. Aus irgendeinem Grund war Inès davon überzeugt, dass Akim so schlief, wie Gott ihn geschaffen hatte.

Entsetzt über ihre Gedanken, sah sie sich im Atelier um. Es fehlte jede Spur von Akim.

Die Decken, die sie als Matratzenersatz auf den Boden gelegt hatte, waren sorgfältig gefaltet, ebenso wie die Laken, die sie ihm gegeben hatte.

Ist er etwa schon gegangen, ohne sich zu verabschieden? fragte sie sich beklommen.

Nein, das war unmöglich. Zu lange hatte er nach ihr gesucht und würde sie jetzt nicht so schnell wieder verlassen. Oder?

Plötzlich entdeckte Inès ein zerknittertes Blatt auf dem Tisch. Als sie es auseinanderfaltete, wurde ihr sofort klar, dass es der Artikel war, von dem Said ihr erzählt hatte und der es Akim ermöglicht hatte, sie zu finden. Zu diesem war ein Foto von ihr in jüngeren Jahren abgedruckt.

Designer-Dienerin Inès el-Menzah versteckt in einer Oase

Seit der Hochzeit der Prinzessin von Razaghan mit dem Sultan von Aljazar fragt sich alle Welt, wer Jasmines Kleid entworfen hat. Obwohl es von allen Seiten hochgelobt wurde, hat sich die Designerin immer noch nicht zu erkennen gegeben.

Unsere Recherchen haben uns bis in eine verschlafene Oase in der Wüste geführt. Mitten in der Wildnis versteckt sich dort die Schöpferin dieses Meisterwerks.

Entgegen aller Erwartungen sind wir nicht auf einen großen Namen der Haute Couture gestoßen, sondern auf eine einfache Hausangestellte.

Ihr Name lautet Inès el-Menzah, und sie ist eine Dienerin des goldenen Palastes. Sie wuchs im Palast von Aljazar auf, wo ihre Mutter Zohra als Haushälterin arbeitet.

Zum Zeitpunkt der Recherche wussten wir noch nicht, wie der jungen Frau das Privileg zuteilwurde, das Kleid für den schönsten Tag im Leben unserer wunderschönen Prinzessin zu entwerfen, aber eines ist sicher: Ihr Talent steht außer Frage.

Es bleibt abzuwarten, in welcher Verbindung Inès el-Menzah mit den Aal Shelads steht …

Erfahren Sie mehr in der nächsten Ausgabe.

Ein Artikel von Douglas Winston

Inès spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Ihre Befürchtungen waren wahr geworden, und nun musste sie mit dem Schlimmsten rechnen.

Schon bald würde Douglas Winston ihre lebenslange Freundschaft mit Akim aufdecken. Schließlich hatte der Prinz von Aljazar Inès nie wie ein schändliches Geheimnis behandelt. Ganz im Gegenteil.

Würde alle Welt von ihrer Zuneigung, ihren schönen Erinnerungen, ihrem Kummer und all den Momente erfahren, die sie miteinander geteilt hatten?

Wer wusste schon, welche Hypothesen dieser Journalist aufstellen würde? Wenn Paparazzi wie er nichts herausfinden konnten, erfanden sie Geschichten, die sich verkaufen ließen. Das war allgemein bekannt.

Inès begann zu zittern. Könnte sie ihre kostbare Anonymität bewahren oder würde sie in einen Skandal verwickelt werden wie alle Frauen, die Akim Aal Shelad zu nahe gekommen waren?

Ihr Herz raste, während sie aus dem Fenster sah und Akims Rückkehr erhoffte. Obwohl sie so viel Distanz wie möglich zwischen sich und den Prinzen von Aljazar gebracht hatte, waren ihre Schicksale nun anscheinend enger miteinander verwoben als je zuvor.

Auch wenn es der reine Wahnsinn war, konnte sie nicht anders, als sich darüber zu freuen.

6. KAPITEL

Akim lief nun schon fast eine Stunde durch das Dorf, doch bisher hatte ihn noch niemand angesprochen. Auf seinem Weg hatte er mehrere neugierige Blicke geerntet, aber nichts deutete darauf hin, dass er erkannt worden wäre.

In dieser Oase mit dem hübschen Namen Nekhla war Prinz Aal Shelad ein Mann wie jeder andere.

Ein Fremder auf der Durchreise.

Es hatte etwas Berauschendes, so in der Menge unterzugehen. Hier gab es niemanden, der ihm vorschreiben wollte, wie er sich zu benehmen hatte, oder sein Verhalten kommentierte – weder einen autoritären Bruder noch einen Protokollchef und noch nicht einmal die Horde von Journalisten, die ihn ständig verfolgte.

Es war ihm gelungen, sich aus Aljazar davonzustehlen, worüber er sich sehr freute. Akim legte viel Wert auf Ruhe und war zu einem Experten geworden, wenn es darum ging, aufdringlichen Menschen aus dem Weg zu gehen.

Er lief an einer Reihe von Häusern entlang, die ihm – so bescheiden sie auch sein mochten – plötzlich wie eine kleine Oase des Glücks erschienen. Die Rundungen der Fensterbögen der grauen Steinhäuser waren alles andere als perfekt. Vor den Eingangstüren lagen rudimentäre, in Stein gehauene Stufen.

Die Häuser warfen einen angenehmen Schatten auf den gewundenen Weg, dem Akim folgte, ohne zu wissen, wohin er führte. Zweifellos würde er bald wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehren. Das Dorf schien in einem Kreis um die Quelle gebaut worden zu sein. Diese hatte er am Vortag gesehen, als er Inès aus den Armen von diesem Said gerissen hatte.

Die Eifersucht bohrte sich wie ein Stachel in sein Herz, doch Akim konzentrierte sich auf den Weg, der vor ihm lag, und entdeckte einen kleinen Pfad, der von der Hauptstraße abzweigte.

Neugierig beschloss er, diesem unbefestigten Weg zu folgen, und kam kurz darauf zu einer kleinen Wasserstelle. Fernab der Häuser fühlte sich dieser Ort wie ein Paradies an. Akim lief eine weiße Steintreppe hinunter und setzte sich in den Schatten einer Palme am Ufer der Quelle. Um ihn herum bildeten hohe Felsen einen Schutzwall, der ihn vom Rest der Welt abschirmte.

War er vor wenigen Minuten noch von Dorfbewohnern umgeben gewesen, konnte er hier nun vollkommen allein sein.

Akim atmete die Morgenluft tief ein, während die ersten sanften Sonnenstrahlen auf seine Haut fielen.

Er war am Vortag lange geritten und hatte plötzlich große Lust, in dem klaren Wasser zu baden.

Nachdem er sichergestellt hatte, dass weit und breit keine Menschenseele zu sehen war, zog er sich aus und behielt nur seine Unterwäsche an. Dann ging er ins Wasser. Es war kühl, und er tauchte bis zur Taille ein, um seinem Körper Zeit zu geben, sich an die Temperatur zu gewöhnen.

Inès hielt den Atem an, als ihr der schönste Anblick der Welt geboten wurde.

Akim badete in der Quelle der Sonne.

Nachdem sie ihn im ganzen Dorf gesucht hatte, war sie hierhergekommen – an diesen abgelegenen Ort, den sie so sehr liebte. Im Gegensatz zu Inès kamen die Bewohner von Nekhla nie hierher. Sie bevorzugten die große Quelle, weil dort immer etwas los war. An dem beliebten Treffpunkt trafen sich die Männer und Frauen zum Plaudern und die Kinder konnten im Wasser toben.

An der Quelle der Sonne gab es nichts dergleichen, nur wilde, stille Natur.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

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