Julia Kiss Band 14

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TIERISCH VERLIEBT von LIZ FIELDING
In Sophies Leben geht es drunter und drüber: Als Hundesitterin verdient sie sich ein wenig Geld und merkt bald, dass ihr nicht nur die Vierbeiner, sondern vor allem ihr Herrchen Gabriel ans Herz gewachsen ist. Doch kommt ihre chaotische Art bei dem attraktiven Arzt an?

ZWEI WIE KATZ UND MAUS von CAROL FINCH
Geht das Gebrüll schon wieder los? Wütend fährt der Rancher Devlin zu der Tiernärrin Jessica, die Großkatzen auf ihrer Farm hält. Es kracht mächtig zwischen ihnen, doch als Jessica sich verletzt, ist es Devlin, der sie auf starken Armen nach Hause trägt und mit heißen Küssen tröstet ...

EINFACH TIERISCH! CHERYL von ANNE PORTER
Was für ein Glück: David hat von einer Unbekannten mehrere Millionen Dollar geerbt! Dafür muss er sich um den Hund der Verstorbenen kümmern. Ausgerechnet er, der mit Tieren nichts anfangen kann! Doch dann trifft er Emily, Besitzerin einer Tierpension. Um sie zu erobern, ist er zu allem bereit ...


  • Erscheinungstag 07.02.2020
  • Bandnummer 14
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715458
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding, Carol Finch, Cheryl Anne Porter

JULIA KISS BAND 14

1. KAPITEL

„Was für einen Job suchen Sie denn, Miss Harrington?“

„Nennen Sie mich bitte Sophie. Peter tut das auch.“

Wo war Peter eigentlich, wenn man ihn brauchte? Seit fünf Jahren stellte ich seiner Arbeitsvermittlung nun mein ungenutztes Potenzial zur Verfügung – immer wieder, wenn ich mich langweilte oder wenn ein Arbeitgeber entschied, ich wäre nicht das, wonach er gesucht hätte und solle doch woanders meinen Horizont erweitern. Vorzugsweise so weit weg wie möglich. Oder wenn er glaubte, ich sei genau, was er gesucht hätte, aber die Bedeutung des Wörtchens „Nein“ nicht verstand …

Dieses Mal war mir schnell klar geworden, dass es mit meinem aktuellen Arbeitgeber nicht klappen würde. Also kündigte ich selbst, obwohl ich es mir gerade gar nicht leisten konnte, arbeitslos zu sein. Als ich mich jetzt mit dem Drachen auf der anderen Seite des Schreibtisches konfrontiert sah, fragte ich mich, ob ich vielleicht etwas übereilt gehandelt hatte.

„Irgendeinen“, sagte ich und gab meine sinnlosen Bemühungen auf, sie in ein normales Gespräch zu verwickeln. „Ich bin nicht wählerisch, solange es nichts mit langweiligen Tipparbeiten oder Computern zu tun hat. Von Computern habe ich erst einmal die Nase voll.“

Ich fasste mir zur Unterstützung meiner Aussage an die Nase. Dann lächelte ich. Sie sollte ja nicht glauben, ich wäre eine schwierige Kandidatin – abgesehen von der Sache mit den Computern. Ich konnte es mir wirklich nicht leisten, schwierig zu sein.

Aber das hätte ich mir sparen können. Die Frau verzog keine Miene. „Das ist schade. Ihre Erfahrung bei Mallory’s scheint mir Ihr bestes Kapital zu sein. Was für ein Zeugnis würden sie Ihnen denn ausstellen?“

Gute Frage. Mein Vorstellungsgespräch hatte darin bestanden, auf einer Party mit einem Computermenschen zu flirten, der auf der Suche nach einer Sekretärin war. Ich war zwar keine Sekretärin, und das sagte ich ihm auch, aber ich würde ganz bestimmt mein Bestes geben. Nett wie er war, gab er mir eine Chance. Endlich jemand, der schick lackierte Fingernägel zu würdigen wusste!

Dummerweise waren perfekt lackierte Fingernägel und ein koketter Augenaufschlag nicht wirklich hilfreich, wenn man gerade eben mit zwei Fingern tippen konnte. Da nützte auch mein wunderbarer Kaffee nichts – vor allem nicht, wenn man über den Flirt hinaus keine Ambitionen hatte.

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich den Job sowieso nur so lange, weil sein Chef, Richard Mallory, kurz davor war, meine beste Freundin zu heiraten. Ich hatte die beiden äußerst clever verkuppelt, und Rich hatte es einfach nicht über sich gebracht, mich zu feuern. Deshalb wollte ich meine Kündigung auch geheim halten, bis die beiden in den Flitterwochen waren.

Irgendwie hatte er es aber doch herausgefunden, deshalb ging ich ihm bis eine Woche vor der Hochzeit aus dem Weg. Nun brauchte ich aber einen Job, und zwar ziemlich dringend. Allerdings nicht dringend genug, um den zukünftigen Ehemann meiner Freundin in Verlegenheit zu bringen. Und aus genau diesem Grund würde ich ihn auch nicht nach einem Zeugnis fragen.

„Jobs, in denen meine Kommunikationsfähigkeiten gefragt sind, liegen mir besser“, gab ich zu und umging so die Antwort. „Ich habe schon als Empfangsdame gearbeitet“, bot ich an und deutete auf die dicke Akte, die vor ihr auf dem Tisch lag. Dort stand alles drin. Jeder Job, den ich jemals gemacht hatte.

„In einem Empfangsbereich, wo Sie keinen Computer benutzen mussten“, antwortete sie völlig unbeeindruckt.

„Davon gibt es heute leider nicht mehr viele“, sagte ich und setzte noch ein Lächeln auf. Im Angesicht ihrer völligen Ausdruckslosigkeit war das nicht gerade einfach. Das Ganze wäre so viel leichter gewesen, hätte ich mit einem Mann sprechen können. Männer – einfach gestrickt, wie sie nun mal sind – sahen mich einmal an und vergaßen doofe Computer oder Tippkünste. Aber ich war ja nicht sexistisch. Ich würde mit ihr zusammenarbeiten, wenn sie mir nur eine Chance gäbe. Wirklich! „Ich habe auch einmal in einer Kunstgalerie gearbeitet. Das hat mir wirklich gut gefallen.“

Na ja, bis der Galeriebesitzer in der Küche zudringlich wurde und ich mich entscheiden musste. Entweder ich wäre arbeitslos, oder ich müsste meine „Arbeit“ mit nach Hause nehmen. Das Ganze war ein echter Schock gewesen. Er hatte eine Vorliebe für Samthosen und Westen aus Satin, und ich hatte mich zuerst völlig sicher gefühlt …

„Dort lernt man sicher viele reiche Kunstsammler kennen. Wir betreiben hier keine Partnervermittlung, Miss Harrington.“

Wenn sie nur wüsste, wie unrecht sie hatte.

„Ich brauche auch keine Partnervermittlung“, sagte ich etwas schärfer, als es unter den Umständen angebracht war. Langsam, aber sicher hatte ich wirklich genug von ihr.

Einen Mann zu finden war kein Problem. Ich hatte eher Probleme, ihnen klarzumachen, dass es nicht meine Aufgabe war, all ihre Träume zu erfüllen. Mit denjenigen, die das begriffen, blieb ich befreundet; die anderen sind Geschichte. Verabredungen konnte ich mir selbst suchen. Was ich brauchte, war Arbeit, und zwar jetzt!

„Ich mache das meistens mit Peter aus“, sagte ich und bot ihr damit einen Ausweg an. „Ist er da? Er kennt mich schon und weiß genau, was ich kann.“

So, wie sie mich ansah, wusste sie das auch, und zwar nur allzu gut. „Peter ist im Urlaub. Wenn Sie die Sache mit ihm regeln wollen, müssen Sie nächsten Monat wiederkommen. Ich glaube aber nicht, dass er Ihnen helfen kann. Firmen suchen heutzutage nach fähigen Mitarbeitern, nicht nach schmückendem Beiwerk.“ Die Frau wies auf meine Akte. „Sie haben eine Menge Stellen gehabt, Miss Harrington, aber Sie sind eigentlich für nichts wirklich qualifiziert. Haben Sie sich eigentlich jemals Gedanken über Ihre Karriere gemacht?“

„Gedanken über meine Karriere …?“

Meine Güte, hielt mich diese Frau denn für völlig bescheuert? Natürlich hatte ich mir Gedanken gemacht. Mein Karriereplan beinhaltete große Mengen weißer Spitze, zwei Ringe und ein riesiges Partyzelt im Garten meiner Eltern. Auf diesen Augenblick hatte ich hingearbeitet, seit ich zum ersten Mal Perry Fotheringay in seinen hautengen Reithosen auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung meiner Mutter gesehen hatte.

Ich wollte mich an meinem neunzehnten Geburtstag verloben und am zwanzigsten heiraten. Ich wollte vier Kinder haben, ein Kindermädchen, preisgekrönte Irish Setter züchten und bis ans Ende meines Lebens glücklich auf meinem kleinen Landsitz in Berkshire leben.

Unglücklicherweise hatte Peregrine Charles Fotheringay, der fantastisch aussehende Erbe besagten Landsitzes, andere Pläne. Ohne mich. Oder zumindest, was weiße Spitze, Ringe und Partyzelte betraf.

Obwohl sich dieser Traum in Luft aufgelöst hatte, brachte ich es nicht übers Herz, noch einmal von vorn anzufangen – was vermutlich daran lag, dass ich kein Herz mehr hatte. Es lag irgendwo in Perrys Trophäenschrank und verstaubte langsam.

Als er mir gesagt hatte, dass er mich liebte, machte ich den Fehler, zu glauben, er würde mich heiraten. Ein noch viel größerer Fehler war es gewesen, mich Hals über Kopf und mit allem, was ich hatte, in ihn zu verlieben. Viel zu spät merkte ich, dass Männer wie er nicht aus Liebe heirateten, sondern nur, wenn sie sich einen Vorteil davon erhofften. Nachdem er meine Dummheit – zugegebenermaßen mit meiner Zustimmung – hinreichend ausgenutzt hatte, heiratete er eine reiche Erbin, deren Vermögen groß genug war, seinen Landsitz zu unterhalten. Nebenbei sprang noch ein nettes Leben mit allen Annehmlichkeiten für ihn selbst dabei heraus. Wie der Vater, so der Sohn.

Nachdem ich Perry mit der Heiratsanzeige in der Times konfrontiert hatte, sagte er bloß, so würde es halt funktionieren. Völlig schamlos erklärte er mir, Fotheringay-Männer würden nicht für ihr Geld arbeiten, sondern es heiraten.

Hier saß ich nun also und verbrachte meinen 25. Geburtstag in einer Arbeitsvermittlung, anstatt eine fröhliche, spontane Party mit meinen Freunden zu organisieren. Ich brachte es einfach nicht über mich. Was hatte ich schon zu feiern? Meine Güte, ich war 25 Jahre alt – ein Vierteljahrhundert! Schlimmer noch, mein Vater hatte den monatlichen Auszahlungen aus dem Fonds, den meine Großmutter für mich eingerichtet hatte, ein Ende gesetzt, damit ich mir endlich eine richtige Arbeit suchte. Ich sollte auf eigenen Füßen stehen.

Das war wohl meine Strafe für eine kleine Notlüge.

Vor drei Monaten hatte ich bei meinem erfolgreichen Versuch, meine schüchterne Freundin mit einem äußerst wohlhabenden Playboy zu verkuppeln, eine kleine Geschichte erzählt. Ich müsste unbedingt meinen Job behalten, weil mein Dad damit drohte, meinen Unterhalt zu streichen. Das tat er zwar mit schöner Regelmäßigkeit, aber es war immer nur ein Bluff. Hätte ich bloß meine Klappe gehalten!

Nun war es tatsächlich so weit gekommen.

Er wolle nur mein Bestes, versicherte er mir.

Ja, klar.

Ich war zwar nicht so clever wie meine Schwester Kate, aber dumm war ich auch nicht. Ich wusste genau, was er dachte. Wenn mir erst einmal das Geld ausginge, würde ich reumütig nach Hause zurückgekrochen kommen und ihm den Haushalt führen. Eine höchst unattraktive Aussicht mit allen Nachteilen einer Ehe ohne einen der Vorteile – was vermutlich einer der Gründe war, warum meine Mutter mit dem erstbesten Mann abgehauen war, der ihr seit ihrer Hochzeit schöne Augen gemacht hatte.

„Nun?“

Miss Frostig wurde ungeduldig.

„Na ja, einen richtigen Karriereplan habe ich eigentlich nicht“, sagte ich. „Ich war nicht gerade eine herausragende Schülerin. Meine Mutter würde sagen, meine Stärken lägen eher im häuslichen Bereich …“

„Im häuslichen Bereich?“ Sie lächelte zwar nicht, blickte aber doch beträchtlich freundlicher drein. „Und was sind das für Stärken?“

„Also … Sie wissen schon, Blumen arrangieren – etwas in der Richtung. Aus einem Arm voller Weidenröschen und Wiesenkerbel kann ich wahre Wunderwerke zaubern.“

„Ich verstehe.“ Schweigen. „Und haben Sie zufällig irgendein Zertifikat?“, fragte sie. „Etwas, mit dem wir bei einem möglichen Arbeitgeber Ihre Fähigkeiten belegen könnten?“

Natürlich nicht. „Aber die Damen der Lady’s Home Union waren sehr beeindruckt, als ich beim Blumenfestival der Kirche kurzfristig für meine Mutter einsprang.“ Gut, sie waren höflich gewesen. Keine von ihnen ließ in meiner Gegenwart das Wort „Unkraut“ fallen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie nur die schönsten Blüten aus dem Garten meiner Mutter erwartet hatten, war das ziemlich nett gewesen.

Kurz vor dem Ereignis hatte meine Mutter beschlossen, sie hätte genug von Tweed, Hunden und Wohltätigkeitsveranstaltungen und hatte sich mit einem muskulösen Golflehrer nach Südafrika abgesetzt. Mein Vater fuhr daraufhin mit einem Traktor durch ihre preisgekrönten Rosen. Nachdem also dort nichts mehr übrig war, nahm er sich als Nächstes ihren Kräutergarten vor.

Weidenröschen und Wiesenkerbel waren demzufolge das Einzige, was ich danach kurzfristig in größeren Mengen finden konnte.

„Noch etwas?“

„Was? Oh …“ Es reichte mir. Nur weil ich keine zehntausend Wörter in der Minute tippen oder etwas anderes außer E-Mails von meinem Laptop aus versenden konnte, hieß das nicht, dass ich nutzlos war.

Oder doch?

Nein. Natürlich nicht. Ich konnte alles Mögliche tun. Und plötzlich hatte ich eine Eingebung. „Ich kann sehr gut organisieren.“

Ich konnte zum Beispiel tolle Partys organisieren. Das war nicht einfach. Ein Blick auf das Gesicht von Miss Frostig warnte mich jedoch, dass mich Partyorganisationsfähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht weiterbringen würden.

Nun, es gab ja noch andere Möglichkeiten.

„Ich kann Wohltätigkeitsveranstaltungen organisieren, zum Beispiel für die Pfadfinderinnen oder den Kricketklub.“ Also, theoretisch zumindest. Ich hatte so etwas zwar noch nie allein gemacht, aber im Gegensatz zu meiner lieben Schwester, die ja zu sehr mit ihrem Studium beschäftigt war, hatte ich unserer Mutter gern dabei geholfen. Das war auf alle Fälle lustiger, als für langweilige Prüfungen zu lernen. Außerdem hatte ich sowieso keine Ambitionen, zur Universität zu gehen. Ich wollte in die Fußstapfen meiner Mutter treten – Landadel heiraten und mich den Rest meines Lebens den gesellschaftlichen Verpflichtungen widmen.

Kate hatte natürlich nie Schwierigkeiten, einen Job zu finden oder ihn zu behalten. Und nun war sie auch noch mit einem umwerfenden Rechtsanwalt verheiratet, der sie vergötterte.

„Ich kann ganz kurzfristig jede Menge Törtchen und Sandwiches machen.“ Das hatte ich allerdings nicht mehr gemacht, seit ich mit achtzehn von zu Hause geflohen war. Ich hatte damals keinerlei Bedürfnis gehabt, Perry mit seinem neuen Ferrari, einem Hochzeitsgeschenk seiner Braut, zu begegnen.

„Und ich kann Klavier spielen. Außerdem weiß ich, wie man jede Persönlichkeit korrekt anredet, vom Erzbischof bis zum Duke.“

„Dann scheint es mir, als hätten Sie Ihre Berufung verfehlt“, sagte sie und schnitt mir das Wort ab, bevor ich mich endgültig blamieren konnte. Vielleicht auch nicht. So, wie sie mich ansah, war es dafür längst zu spät. „Sie hätten einen kleinen Landadeligen heiraten sollen.“

Ich musste lachen. Zu spät ging mir auf, dass das nicht als Witz gemeint war.

Mir wurde klar, dass diese Frau keinerlei Sinn für Humor hatte. Sie glaubte, ich sei eine völlige Verschwendung von Atemluft, ein verwöhntes Prinzesschen, das es wagte, ihre kostbare Zeit in Anspruch zu nehmen, und dabei auch noch ernst genommen werden wollte.

Darüber hinaus wurde mir klar, dass sie vielleicht recht hatte. Vielleicht war es an der Zeit, einmal einen gründlichen Blick auf mein Leben zu werfen. Sobald ich einen Job hatte.

„Schauen Sie, ich brauche keinen Job, bei dem ich ein Vermögen verdiene“, sagte ich. „Es muss nur ausreichen, um meine Rechnungen zu bezahlen.“ Und um hin und wieder einen neuen Lippenstift zu kaufen. Für Kleingeld wollte ich aber auch nicht arbeiten. Dank Tante Cora, die es vorzog, in ihrer Villa im warmen Südfrankreich anstatt in ihrem Apartment in London zu leben, hatte ich keine Mietkosten.

„Ich verstehe. Da Ihre Fähigkeiten offensichtlich eher im Haushaltsbereich liegen, können wir daraus vielleicht Kapital schlagen. Wir haben gerade keine Nachfragen nach freiberuflichen Blumenbinderinnen, aber wie sieht es mit Putzen aus?“

„Putzen? Was putzen?“

„Alles, was andere Leute gegen Geld geputzt haben wollen, anstatt es selbst zu machen. Herde fallen mir da ein, aber Küchenböden und Badezimmer sind auch sehr beliebt.“

„In dieser Richtung habe ich wenig Erfahrung“, gab ich zu.

Tante Coras Apartment beinhaltete eine Putzfrau, die dreimal pro Woche kam und alle Arbeiten verrichtete, bei denen man Gummihandschuhe benötigte. Sie wurde pro Stunde bezahlt, aber ich plante, das alte Zimmer meiner Schwester zu vermieten, um sie zu finanzieren – und um andere Unterhaltskosten zu bezahlen. Sobald es frei wurde. Nachdem Kate ausgezogen war, hatte Tante Cora das Zimmer nämlich einigen sehr guten Freunden zur Verfügung gestellt, die „ein Zimmer in London brauchten, bis sie ihre eigene Bleibe gefunden hatten“.

„Nun, das ist schade. Wir haben immer Arbeit für jemanden, der mit einer Scheuerbürste umgehen kann.“ Miss Frostig stand auf, um mir zu signalisieren, dass das Gespräch beendet war. Nur um es mir noch einmal richtig zu zeigen, fügte sie hinzu: „Sollten wir eine Anfrage nach Ihren speziellen Talenten bekommen, werden wir uns bei Ihnen melden.“

Sie sagte das so, als würde eher die Hölle zufrieren. Okay, damit konnte ich leben. Was mich wirklich ärgerte, war ihr kaum verhohlenes Grinsen.

„Ich sagte, ich hätte keine Erfahrung. Ich sagte nicht, dass ich nicht bereit wäre, es zu versuchen.“

In dem Augenblick, wo ich mich selbst die Worte aussprechen hörte, wusste ich, dass ich es noch bereuen würde. Wenigstens hatte ich die Befriedigung, ihr damit das überlegene Grinsen aus dem Gesicht zu fegen. Hoffentlich würde ich mich daran auch noch erinnern, wenn ich kopfüber in irgendeinem fettigen Backofen steckte.

„Das ist eine sehr löbliche Einstellung“, sagte Miss Frostig und lächelte. Es war ein süffisantes kleines Lächeln. Ich hatte das Gefühl, als könne sie es gar nicht abwarten, den niedrigsten, dreckigsten Putzjob für mich herauszusuchen. „Ich habe ja Ihre Telefonnummer. Sie können schon sehr bald mit meinem Anruf rechnen.“

„Toll“, sagte ich und sah ihr direkt in die Augen.

Alles würde gut werden, redete ich mir ein, als ich ganz automatisch ein Taxi heranwinkte. Dann überlegte ich es mir anders und überließ es einem anderen.

In einer oder zwei Wochen wäre Peter wieder da und würde einen ordentlichen Job für mich finden. Dann würde mein Leben wieder normal werden, mehr oder weniger. Bis dahin hätten sich aber meine Ausgaben verdoppelt, und meine Einnahmen hatten sich gerade in Wohlgefallen aufgelöst.

Es würde also nicht schaden, lieber den Bus zu nehmen.

Es würde auch nicht schaden, eine Zeitung zu kaufen und selbst auf Stellensuche zu gehen. Die einzige Ausrede, die ich hätte, um den widerwärtigen Job abzulehnen, den Miss Frostig mir zweifellos anbieten würde, wäre eine andere Stelle.

Die Vorstellung, ihr dies mitzuteilen, munterte mich wieder auf. Es war ja nicht so, als wäre ich unvermittelbar oder faul. Ich hatte schon jede Menge Jobs gemacht. Allein die Aussicht, unbezahlte Haushälterin bei meinem Vater werden zu müssen, war Anreiz genug.

Schön, die letzten paar Jahre hatte ich nicht viel gemacht – außer Spaß zu haben. Nun hatte ich aber einen Schuss vor den Bug bekommen, einen diskreten Hinweis, dass es so nicht unbegrenzt weitergehen konnte.

Jetzt, wo ich 25 war, sollte ich also erwachsen werden und mir einen Karriereplan zurechtlegen.

Am Laden an der Ecke stoppte ich und deckte mich mit Katzenfutter ein. Dort holte ich mir auch gleich die Abendausgabe der Zeitung. Ich sah die Anzeigen durch, während ich darauf wartete, dass das Mädchen hinter dem Tresen aufhörte, mit dem Mann vor mir zu flirten. Dabei entdeckte ich zu meinem Entzücken, dass ich mich auch im Internet um Stellen bewerben konnte.

Ich kaufte mir ein Notizbuch mit einem Kätzchen auf dem Einband und einen passenden Stift. Im Bus begann ich, alle infrage kommenden Anzeigen einzukreisen. An meiner Haltestelle angekommen, sprang ich frohen Mutes aus dem Bus.

„Big Issue, Miss?“

Geld sparen hin oder her, wenigstens war ich nicht obdachlos wie der Mann, der an der zugigen Straßenecke stand und Zeitschriften verkaufte.

„Hallo, Paul. Wie geht’s? Hast du schon eine Unterkunft gefunden?“

„Nach Weihnachten sieht es ganz gut aus.“

„Super.“ Ich reichte ihm Geld für die Zeitschrift und beugte mich herunter, um den schwarz-weißen Mischling zu streicheln, der ihm zu Füßen saß.

„Hallo, Kleiner.“ Ich gab seinem Herrchen ein Pfund für ihn. „Spendier ihm einen Knochen.“ So viel zum gesparten Taxigeld.

Ich ging durch den Hintereingang, um die kleine gestreifte Katze zu füttern, die sich im Hof eingenistet hatte. Sobald sie das Katzenfutter in der Schale klappern hörte, kam sie angelaufen. Während ich anschließend zu den Fahrstühlen ging, freute ich mich darüber, dass meine „Gäste“ das ganze Wochenende über weg waren. So konnte ich mich in aller Ruhe der Stellensuche widmen.

Auch wenn ich versuchte, die Sache mit dem Geburtstag zu ignorieren, andere taten mir diesen Gefallen nicht. Der Portier hatte einen ganzen Stapel Karten sowie ein Päckchen von meiner Schwester für mich. Außerdem wartet ein riesiger Strauß Sonnenblumen, meine Lieblingsblumen, auf mich. Sie kamen von Ginny und Rich. Ich hatte einen Kloß im Hals. War man auf der Hochzeitsreise nicht verpflichtet, sich total egoistisch zu benehmen und an niemand anderes zu denken?

Alles wäre okay gewesen, hätte da nicht das Bouquet aus rosafarbenen Rosen gestanden. Sie waren von meiner Mutter. Ich schniefte, aber weigerte mich zu weinen. Alle Tränen, die ich jemals vergießen würde, hatte ich an Perry Fotheringay verschwendet. Jeder Mensch, den ich liebte, war verheiratet, trieb sich in exotischen Ländern herum oder stellte gerade ein eigenes Leben auf die Beine. Nicht, dass ich ihnen ihr Glück missgönnte. Ich war es nur ein bisschen leid, ständig die fröhliche Brautjungfer zu spielen.

Ich öffnete das Päckchen meiner Schwester. Darin war eine Familienpackung Antifaltencreme, Stützstrümpfe und ein paar Omaunterhosen. In der beiliegenden Karte fand ich einen Gutschein für einen Tag mit allem Drum und Dran in einem Luxus-Spa. Genau das, was ich brauchte: ein ordentlicher Lacher und ein bisschen Luxus.

Ich grinste immer noch, als das Telefon klingelte. In der Erwartung, am anderen Ende einen meiner Freunde „Happy Birthday“ grölen zu hören, nahm ich ab.

„Sophie Harrington, Single, sexy und …“

„Miss Harrington?“ Miss Frostigs Stimme ließ das Lächeln in meinem Gesicht gefrieren. „Können Sie mit Hunden umgehen?“

„Hunde?“

„Einer unserer Klienten braucht jemanden, der mit seinen Hunden Gassi geht, und ich dachte, das könnte etwas für Sie sein.“

Ich hatte gesagt, ich würde jede Stelle nehmen. Falls das ein Test war, würde ich nicht durchfallen, nur weil ich zu stolz war, gegen Geld mit anderer Leute Hunden spazieren zu gehen. Hätte man mich nett gefragt, würde ich es sogar umsonst machen. Ich liebte Hunde. Sie waren immer ehrlich und direkt. Spielten keine dummen Spielchen, hatten keine perfiden Pläne und keine Geheimnisse. Hunde ließen einen niemals im Stich.

„Wie viel wird pro Stunde bezahlt?“, fragte ich. Da man mich ja nicht nett gefragt hatte, konnte ich mich auch geschäftsmäßig geben.

Sie sagte es mir.

Ein Gassi-Geher bekam pro Stunde zwar nicht so viel wie eine Sekretärin, aber wenn ich ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich viel besser laufen als tippen konnte. Außerdem hatte ich ohnehin keine große Wahl.

„Zwei Stunden pro Tag. Einmal früh morgens, einmal am Abend“, fuhr sie fort. „So haben Sie noch genug Zeit, tagsüber einem anderen Job nachzugehen.“

„Toll“, sagte ich. Vor meinem geistigen Auge sah ich große, schmierige Herde. Aber eigentlich war das Angebot nicht so schlecht. „Wann fange ich an?“

„Heute Nachmittag. Die Situation ist momentan ein bisschen schwierig.“

Na logisch. Dieser Typ hatte wohl keine Lust, mit seinem Hund Gassi zu gehen, und schon wurde es „schwierig“.

„Das ist doch kein Problem, oder?“

„Na ja, ich habe heute Geburtstag, aber ich kann bestimmt eine Stunde erübrigen, um mit einem Hund spazieren zu gehen.“

„Zwei Hunde.“

„Werde ich pro Hund bezahlt?“, fragte ich. „Oder gilt der Tarif für beide?“ So langsam hatte ich den Bogen raus.

„Sie werden für eine Stunde Ihrer Zeit bezahlt, Miss Harrington, nicht pro Hund.“

„Also würde ich das Gleiche verdienen, wenn es nur ein Hund wäre?“

Ich fand meine Frage gerechtfertigt, aber sie sah sich nicht genötigt, zu antworten. Sie sagte nur: „Der Klient heißt York. Gabriel York. Wenn Sie etwas zu schreiben haben, gebe ich Ihnen seine Adresse.“

Ich nahm mein neues Notizbuch und schrieb die Angaben auf. Anschließend registrierte ich mich noch bei einigen Online-Arbeitsvermittlungen, da Miss Frostig ja offensichtlich glaubte, mein einziges Talent bestünde darin, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

2. KAPITEL

Ich war zu spät. Aber es war nicht meine Schuld. Ununterbrochen rief jemand an und erkundigte sich nach meinen Geburtstagsplänen. Niemand wollte mir glauben, dass ich keine hatte. Sie lachten nur und sagten: „Na klar – und was machst du nun wirklich?“ Am Ende ließ ich mich dazu überreden, Tony um neun im Pub zu treffen.

Dann rief meine Mutter aus Südafrika an. Sie wollte mir alles erzählen, was sie bisher so gemacht hatte – na ja, nicht alles – und ich konnte wohl schlecht sagen, ich hätte etwas Besseres vor.

Außerdem ging es ja nicht um Leben oder Tod. Hunde können doch sowieso keine Uhr lesen und haben auch keine dringenden Termine. Sie würden ihre volle Stunde schon bekommen. Wenn ich 20 Minuten später anfange, dann gehe ich eben zwanzig Minuten länger mit ihnen.

Gabriel Yorks Haus stellte sich als hohes, elegantes Haus mit Terrasse am Ende einer Sackgasse heraus. Seine glänzend schwarz lackierte Eingangstür wurde von zwei perfekt gestutzten Lorbeerbäumen flankiert. An den Messingbeschlägen der Tür sah man deutlich die Arbeit von Generationen eifriger Haushaltskräfte – ein Schicksal, das mich auch erwartete, wenn ich mir nicht bald ernsthafte Gedanken über meine Zukunft machte.

Das Ganze sah geradezu deprimierend perfekt aus. Die Straße war wie gemacht für Designermode und Stilettoabsätze. Ich fühlte mich ungefähr so fehl am Platz wie eine Lilie auf einem Misthaufen.

Was natürlich meine eigene Schuld war.

Dummerweise hatte ich zu fragen vergessen, was Mr. York eigentlich für Hunde hatte. Da ich ganz sicher nicht noch einmal bei Miss Frostig anrufen würde, war ich vom schlimmstmöglichen Fall ausgegangen. Ich hatte mich auf zwei große, muskulöse Hunde eingerichtet und mich entsprechend angezogen. Zu Hause wären das eine der alten Öljacken und ein paar gut eingelaufene Stiefel gewesen, die Art von Kleidung, in der meine Mutter praktisch lebte.

Gelebt hatte.

Wie sie mir am Telefon lang und breit erzählte, verbrachte sie ihre Tage nun am Pool, in Shorts und einem ärmellosen T-Shirt, von Kopf bis Fuß mit Lichtschutzfaktor 60 eingeschmiert. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Nach einem Leben als Dienstmagd meines Vaters hatte sie sich ein bisschen Spaß wahrlich verdient.

Hier in London herrschte der übliche eisige, saisonbedingte Nieselregen. Mein Haar hatte ich zwar unter einer Mütze verstecken können, aber leider waren meine Handschuhe verschwunden. Langsam wurden meine Finger eiskalt.

Ohne die bewährten alten Klamotten hatte ich mich für meine älteste Jeans, eine Kunstpelzjacke, die ich schon längst der Altkleidersammlung hatte übergeben wollen, und ein paar alte Schuhe meiner Schwester entschieden. Die waren zwar ein bisschen zu groß, aber mit einem Paar dicker Socken würde es schon gehen.

Nun wurde mir klar, dass das alles gar nicht nötig gewesen wäre. Ich hätte nicht einmal die Schuhe wechseln müssen. Ein Blick auf die manikürten Lorbeerbäume sagte mir, dass Mr. York garantiert zwei verwöhnte Minipudel hätte. Ein flotter Spaziergang zum Sloane Square war für die Biester wahrscheinlich schon eine größere Wanderung.

Was für ein Mann wohnt wohl in einem derartigen Haus, fragte ich mich, während ich die Treppe hinaufging. Meine übereifrige Fantasie zeigte mir einen schlanken, perfekt frisierten Mr. York mit kleinen, zarten, weißen Händen. Er würde ein winziges Bärtchen haben, eine Fliege tragen und irgendeine wichtige Stellung im Kunstgewerbe einnehmen. Meine Vorurteile gingen mit mir durch.

Ich klingelte und wartete gespannt, wie sehr Fantasie und Realität miteinander übereinstimmen würden.

Die Hunde reagierten sofort auf das Klingeln. Einer bellte aufgeregt, der andere heulte wie ein Wolf. Einer von beiden warf sich mit so viel Schwung gegen die Tür, dass man aus dem Inneren des Hauses ein Poltern als Echo hörte. Vielleicht war mein Urteil doch etwas voreilig gewesen.

Falls es Pudel waren, dann aber mächtig große.

Leider reagierten nur die Hunde auf das Klingeln. Die Tür blieb fest verschlossen, und ich hörte auch keine Stimme, die den Hunden Kommandos gab. Keine Schritte, die einem Hoffnung machten, die Tür würde sich gleich öffnen.

Unter normalen Umständen hätte ich noch einmal geklingelt, doch bei dem Lärm, den die Hunde veranstalteten, konnte meine Anwesenheit nicht unbemerkt geblieben sein. Also wartete ich.

Und wartete.

Nach einiger Zeit hörte der Hund an der Tür auf zu bellen, und das Geheul reduzierte sich zu einem leisen Winseln. Außer Kratzgeräuschen auf der anderen Seite der Tür tat sich jedoch absolut nichts.

Etwas irritiert – so spät war ich nun wirklich nicht dran, und die Hunde mussten ja trotzdem noch raus – hob ich die Hand, um noch einmal zu klingeln. Statt zu klingeln, zog ich die Hand allerdings zurück. Langsam kam mir das Ganze komisch vor.

„Hallo?“, fragte ich. Ich kam mir ziemlich dämlich dabei vor, mit einer geschlossenen Tür zu reden. Das Kratzen wurde heftiger, und ich beugte mich hinab, öffnete den Briefschlitz und fand mich einem Paar wunderschöner brauner Augen gegenüber, die unter den ausdrucksvollen Brauen eines cremefarbenen Hundes saßen.

„Hallo“, sagte ich noch einmal, etwas enthusiastischer. „Wie heißt du denn?“

Er zuckte mit den Augenbrauen und winselte kummervoll.

Okay, es war zugegebenermaßen eine blöde Frage.

„Ist außer euch Jungs noch jemand zu Hause?“, fragte ich und versuchte, am Hund vorbei ins Innere zu spähen.

Die intelligente Kreatur trat zurück und gewährte mir einen besseren Blick auf sein glattes, kurzes Fell, die fedrigen Ohren und seinen schlanken Körper. Dann bellte er kurz und sah hinter sich, so als wolle er sagen: „Sieh nicht mich an, du dumme Kuh, sieh dorthin …“ Und dann sah ich Gabriel York und erkannte, dass ich mich geirrt hatte.

Seine Hunde waren keine Pudel, und er war kein geschniegelter, klein gewachsener Galeriebesitzer mit Fliege.

Gabriel York war ein 1,85 m großer, muskulöser Bursche. Er hatte sich nicht gemeldet, weil er im Hausflur lag. Still. Ohne sich zu bewegen.

Ich dachte an das Echo. Hatte ich vielleicht gehört, wie er die Treppe heruntergefallen war?

Der zweite Hund, der an seiner Seite lag, hob den Kopf. Dann stupste er das Gesicht seines Herrchens mit der Nase an, als wolle er ihn wecken. Als das keine Reaktion erbrachte, sah er mich wieder an, und seine Botschaft war unmissverständlich.

Tu etwas!

Oh verdammt! Natürlich! Sofort!

Ich kramte in meiner Tasche, klappte mein Handy auf und wählte mit zitternden Fingern die Nummer der Feuerwehr. Unglaublich, wie viele Informationen die wollten, wo ich ihnen doch so gut wie nichts sagen konnte außer der Adresse und der Tatsache, dass auf der anderen Seite der Tür ein bewusstloser Mann lag.

Woher ich wüsste, dass er sich den Kopf gestoßen hatte? Was würde es schon für einen Unterschied machen? Sie konnte ja ohnehin nichts tun, bis sie vor Ort waren.

Vielleicht hörte ich mich ein klein bisschen panisch an, denn die Frau am anderen Ende der Leitung teilte mir in einem Tonfall mit, den man sonst nur für ungebärdige Pferde, überdrehte Hunde und komplette Vollidioten verwendete, ich solle doch bitte bleiben, wo ich war. Es würde gleich jemand kommen.

In dem Moment, in dem ich auflegte, fiel mir ein, dass ich ihr vielleicht hätte sagen sollen, was ich mit Bestimmtheit wusste: Sie würden nicht hineinkommen. Ich sah mich um, in der Hoffung, dass mir ein zufällig vorbeikommender edler Ritter zu Hilfe eilen würde, um das Schloss zu knacken, eine Scheibe einzuwerfen oder etwas ausgesprochen Cleveres zu tun, auf das ich nie kommen würde.

Die Straße war wie leergefegt.

Ich sah noch einmal durch den Briefschlitz, in der Hoffnung, Gabriel York hätte sich auf wundersame Weise erholt, während ich in Panik auf seiner Eingangstreppe saß. Ich konnte keine Veränderung entdecken. Atmete er überhaupt?

„Mr. York?“ Kaum mehr als ein Flüstern. „Mr. York!“, wiederholte ich etwas lauter.

Die einzige Antwort kam von den Hunden, die ihren Bell-Heul-Chor wieder aufnahmen.

Ach Mist! Ich musste etwas tun. Aber was? Ich hatte keine Haarnadeln dabei, und selbst wenn, ich könnte nicht einmal ein Schloss knacken, wenn es um mein eigenes Leben ginge. Oder um sein Leben.

Über das Treppengeländer sah ich ins Souterrain. Das einzige Fenster dort unten war fest verschlossen und zudem noch vergittert.

Ich trat einen Schritt zurück und sah am Haus hinauf. Alle Fenster im Erdgeschoss waren geschlossen. Den Regen aus den Augen wegblinzelnd entdeckte ich, dass ein Fenster im ersten Stock einen Spalt hochgeschoben war. Es war nicht sehr hoch, und in der Nähe verlief ein Fallrohr. Na ja, fast in der Nähe.

Kurzentschlossen verstaute ich mein Handy und kletterte auf das schmiedeeiserne Treppengeländer. Von dort aus griff ich nach dem Fallrohr und zog mich hoch, bis ich mich wie ein Äffchen mit Händen und Füßen daran festklammerte. Ich hielt nicht einmal an, um Luft zu holen. Würde ich das tun, hätte mich wahrscheinlich der Mut verlassen. Stattdessen klammerte ich mich mit den Knien fest und schob mich mit den Füßen nach oben. Das Fallrohr war kalt, feucht und glitschig. Ich war noch nicht sehr weit gekommen, als mir ein Brennen in meinen Oberarmen signalisierte, dass ich das Fitnessstudio schon lange nicht mehr von innen gesehen hatte. Ich sollte es wirklich öfter nutzen, bevor meine Mitgliedschaft auslief, dachte ich, rutschte ab, schlug mir das Kinn an und biss mir auf die Lippe.

Konzentrier dich, du dusselige Kuh!

Ich biss die Zähne zusammen und zog mich hoch. Leider wurde die Sache nicht besser, als ich mich endlich in Höhe des Fensters befand – das ein ganzes Stück weiter weg war, als es von unten aussah. Vom Sicherheitsaspekt her war das toll, von meinem Standpunkt aus weniger.

Wahrscheinlich war es ganz gut, dass sich in genau diesem Augenblick die größte Spinne, die ich jemals gesehen hatte, anschickte, nachzusehen, was diese komische Kreatur an der Fallrinne im Schilde führte. Lieber würde ich ein Stockwerk tief fallen und mir alle Gräten brechen, als Auge in Auge mit diesem schauderhaften, zweifellos harmlosen Monster zu bleiben. Als Gegenmittel gegen Unentschlossenheit war eine Spinnenphobie einfach unschlagbar.

Haben Sie sich jemals gewünscht, etwas gar nicht erst begonnen zu haben? Dass Sie an dem Morgen einfach im Bett geblieben wären?

Ich hatte Geburtstag. Ich war 25 Jahre alt, und alle Welt teilte mir mit, ich müsse erwachsen werden. Als ob das an jenem Tag, an dem mir klar wurde, dass Liebe keine Konkurrenz zu Geld ist, nicht schon längst passiert wäre.

Während ich also mit den Fingerspitzen an Gabriel Yorks Fensterbrett hing, hatte ich eine Erkenntnis: Bitte, lass mich das hier überleben. Wenn ich überlebe – so bat ich die unglückselige Gottheit, die heute die Aufgabe hatte, über die Idioten der Welt zu wachen –, dann werde ich erwachsen. Ich werde sogar meine Abneigung gegen neue Technologien überwinden und einen Computerkurs machen.

In der Zwischenzeit krallte ich mich fest und kämpfte mich hoch. Ich versuchte, nicht an meine sündhaft teure Maniküre zu denken, während meine Nägel über den Stein kratzten. Mit einem Knie auf dem Fensterbrett ergriff ich das Fenster und schob es ganz auf.

Irgendjemand musste mein Flehen erhört haben, denn das Schiebefenster ließ sich problemlos öffnen. Als Reaktion auf mein Körpergewicht schoss es geradezu hoch, und ich purzelte schmerzhaft auf den polierten Dielenboden, gefolgt von einem Tisch und etwas, das mit lautem Knall zerbarst.

Neben einem angeschlagenen Kinn, einer zerbissenen Lippe und ruinierten Fingernägeln hatte ich nun auch noch eine geprellte Schulter. Und außerdem taten mir die Knie weh. Dieser Job fiel definitiv in die Kategorie „lebensverändernd“ – ob ich es allerdings überleben würde, stand noch aus.

Ich öffnete die Augen und sah vor mir die Scherben einer Porzellanfigur. Irgendetwas sagte mir, dass es keine Replik, sondern ein teures Original gewesen war.

Ihre Zerstörung war eindeutig eine Folge der neuesten Mode, Teppiche herauszureißen und die darunter liegenden Dielen auf Hochglanz zu polieren. Hätte auf dem Boden ein dicker, flauschiger Teppich gelegen, wäre die Figur noch intakt, und ich hätte mir nicht die Knie geprellt. Von beidem störten mich meine Knie mehr. Die Figur war garantiert versichert. Meine Knie waren Unikate.

Dummerweise hatte ich keine Zeit, herumzuliegen und mich selbst zu bedauern. In weiter Ferne konnte ich eine Sirene hören. Hoffentlich war das die Feuerwehr, die ich gerufen hatte. Ich musste zur Eingangstür gehen und den Notarzt hineinlassen.

Ich stand auf und schloss das Fenster, wobei ich schmutzige Fingerabdrücke hinterließ. Vorsichtig wischte ich mir die Hände an meiner Jeans ab und ging zur Tür. Dabei fiel mir auf, dass das gesamte Zimmer, wie schon die Keramikfigur, gar nicht zu meinem ersten Eindruck von Gabriel York passte. Es war ein durch und durch weibliches Zimmer. Wahrscheinlich das Territorium von Mrs. York.

Wo war sie überhaupt, wenn ihr Ehemann sie brauchte?

Der erste, noch sehr junge Hund sprang mich begeistert an, als ich die Treppe hinablief, und holte mich beinahe von den Füßen.

„Hau ab“, sagte ich und schob ihn weg. Ich versuchte, mir meinen Arbeitgeber nicht zu genau anzusehen, während ich über ihn hinwegstieg, um die Tür zu öffnen. Falls er sich das Genick gebrochen hatte, wollte ich das gar nicht wissen.

Ich sah hinaus. Keine Feuerwehr. Also blieb es an mir hängen. Ich ließ die Tür angelehnt und wandte mich dem Mann zu, der still und unbeweglich auf dem Boden lag.

Der Hund, der beschützend an seiner Seite lag, schenkte mir noch einmal seinen „Tu etwas“-Blick.

Tief durchatmen, Sophie. Du schaffst das.

„Mr. York …“ Ich kniete neben ihm nieder. Selbst auf den Beinen würde er nicht sehr gesund aussehen. Seine Haut hatte einen kränklichen gelben Ton, und sein Gesicht war ausgezehrt und eingefallen. Er sah aus wie jemand, der in kurzer Zeit viel Gewicht verloren hatte. Gabriel York trug einen schwarzen Hausmantel über einem Baumwollpyjama. Angesichts der Tatsache, dass es bereits später Nachmittag war, sprach das dafür, dass er wohl tatsächlich nicht in der Lage war, selbst mit seinen Hunden Gassi zu gehen.

Vielleicht war er auf der Treppe ausgerutscht – er war barfuß –, als er die Tür öffnen wollte. Vielleicht hatte ihn auch einer der Hunde aus Versehen zu Fall gebracht.

So, wie er aussah, hätte ich jedoch wetten können, dass er einfach das Bewusstsein verloren hatte. Vorsichtig tastete ich an seinem Hals nach einem Puls.

Ich konnte keinen finden.

Der Hund, der ihn bewachte, leckte ermutigend meine Hand. Ich streichelte ihn abwesend und versuchte, den gewaltigen Kloß herunterzuschlucken, der sich plötzlich in meiner Kehle gebildet hatte.

Wie lange lag er schon hier? War es zu spät für Mund-zu-Mund-Beatmung?

Wie lange war es her, seit ich geklingelt hatte? Ich war inzwischen sicher, dass das Poltern, das ich gehört hatte, Gabriel Yorks Sturz gewesen war. Er fühlte sich immer noch warm an, allerdings waren meine eigenen Hände eiskalt. Ich rieb sie aneinander, um sie aufzuwärmen.

Noch nie hatte ich bei jemandem Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht. Ich hatte aber vor einigen Jahren bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung meiner Mutter bei einer Erste-Hilfe-Vorführung zugesehen. Man bedeckte den Mund des Opfers mit dem eigenen und pustete. Nein, das war doch nicht alles. Denk nach … Ich drückte vorsichtig seinen Kopf in den Nacken, um die Atemwege zu öffnen. Daran erinnerte ich mich noch.

Während ich in sein Gesicht schaute und versuchte, meinen eigenen Herzschlag zu beruhigen, fiel mir auf, dass Gabriel York sogar in diesem Zustand auf seine ganz eigene, strenge Art schön war. Er hatte einen großzügigen, sinnlichen Mund, den viele Mädchen unter anderen Umständen gerne küssen würden – das heißt, wenn man auf die Küsserei und den ganzen Kram, der darauf unausweichlich folgt, stand.

Gebrochene Herzen, Schmerz …

Ich zwang mich dazu, mich zu konzentrieren, umfasste sein Kinn und bedeckte seine Lippen mit meinen.

Sein unrasiertes Kinn war stoppelig, sein Mund war kühl, aber nicht kalt.

Ich konzentrierte mich und blies regelmäßig Luft in seinen Mund.

An diesem Punkt wurde mir selbst aus Sauerstoffmangel schwarz vor Augen. Ich hatte mich so sehr darauf konzentriert, was ich tat, dass ich vergessen hatte, zu atmen. Okay, jetzt weiß ich es wieder: einatmen, Mund auf Mund legen, pusten. Und wieder von vorn.

Wie lange machte man das eigentlich? Plötzlich hörte ich die Stimme des gestrengen Ersthelfers, der uns ermahnte, sobald man einmal angefangen habe, müsse man die Maßnahmen fortsetzen, bis man abgelöst wird.

Wie lange brauchte denn die verdammte Feuerwehr? Ich holte erneut Luft. Als ich ihn dieses Mal ansah, schien er ein bisschen Farbe bekommen zu haben. Ermutigt machte ich weiter.

Plötzlich bemerkte ich eine Veränderung. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gesagt, dass ich – nun ja, dass ich zurückgeküsst wurde.

Ich öffnete die Augen – diese Art von Konzentration verlangte fest zugekniffene Augen – und stellte fest, dass ich es mir nicht eingebildet hatte. Offensichtlich war ich eine echte Mund-zu-Mund-Beatmungsexpertin, denn Gabriel Yorks Augen waren offen. Große, dunkle Augen mit gefährlich langen Wimpern. Plötzlich war ich diejenige, die eine Mund-zu-Mund-Beatmung brauchte.

Ich erholte mich schnell von meinem Schock, denn was lange, dunkle Wimpern anging, hatte ich längst einen Selbstschutzmechanismus entwickelt und rückte ein Stück ab. Davon wollte er jedoch nichts wissen. Noch bevor die Botschaft aus meinem Gehirn in meinen Gliedmaßen angekommen war, lag sein Arm bereits um meine Taille. Er hielt mich mit einer Kraft fest, die ich einem gerade aus der Ohnmacht Erwachten gar nicht zugetraut hatte.

„Wer zum Teufel sind Sie?“, wollte er wissen.

Was war nur aus „Vielen Dank, dass Sie mein Leben gerettet haben“ geworden?

Gutmütig schob ich sein Verhalten auf momentane Verwirrung. Da er außerdem meine nächste Stromrechnung bezahlen würde, verbiss ich mir den Kommentar, der mir auf der Zunge lag. Stattdessen sagte ich leicht atemlos: „Mein Name ist Sophie Harrington.“ Normalerweise hätte ich ihm nun die Hand gereicht, aber eine meiner Hände umfasste noch immer sein Kinn, die andere lag auf seiner Stirn. Ich zog meine Hände ruckartig zurück. „Ich habe die Feuerwehr angerufen. Sie müsste in ein paar Minuten hier sein.“

„Warum haben Sie das getan?“, fragte er empört. So langsam ging mir seine Undankbarkeit gehörig auf die Nerven.

„Weil Sie bewusstlos …“

„Unsinn!“

„Ihre Augen waren geschlossen, Sie haben nicht auf mein Klingeln reagiert … und ich konnte keinen Puls finden.“

„Wo haben Sie den denn gesucht?“ Ich legte meine Finger an seinen Kehlkopf. Er schob meine Hand nach rechts und drückte sie unter sein Kinn. „Versuchen Sie es hier.“

„Oh …“ Er hatte unzweifelhaft einen Puls. Sein Herz schlug fast so schnell wie meines.

Er versuchte, sich aufzusetzen, aber mit einem verzweifelten Versuch, mich zu rehabilitieren, hielt ich ihn zurück. „Hören Sie, Sie waren bewusstlos. Ich denke, wir sollten Sie in die stabile Seitenlage legen und auf die Sanitäter warten.“ Er machte keinerlei Anstalten, meinen Anweisungen zu folgen.

Ich lächelte in der Hoffnung, Sicherheit auszustrahlen.

Alles, was ich für meine Bemühungen bekam, war ein finsterer Blick, aber wenigstens war er am Leben und redete. Ich hatte alles getan, was ich tun konnte. Sobald er sich ausreichend erholt und erkannt hatte, dass ich mein Leben riskiert hatte, um ihn zu retten, würde er mich mit Dankbarkeit überschütten. Hoffte ich jedenfalls.

Stattdessen schaute er mich nur böse an und sagte: „Warum haben Sie mich geküsst?“ So, wie es sich anhörte, hatte er keine Lust, diese Erfahrung in absehbarer Zeit zu wiederholen.

„Ich habe Sie nicht geküsst“, antwortete ich und hörte auf zu lächeln. Was glaubte er eigentlich, wer ich war? Eine Verrückte, die bewusstlose Männer überfiel? Ich wollte, dass er wusste, dass ich nicht einfach so fremde Männer küsste. Und wenn doch, musste ich sicher nicht warten, bis sie ohnmächtig waren. „Ich habe Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht.“

Er gab ein Geräusch von sich, das man mit viel Fantasie als Lachen interpretieren konnte. Ein geringschätziges Lachen ohne jede Wärme oder Humor. „Das hatte ungefähr so viel mit Herz-Lungen-Wiederbelebung zu tun wie …“

Weitere abschätzige Kommentare blieben mir erspart, da in diesem Moment zwei Polizisten durch die aufgebrochene Eingangstür in den Flur gestürmt kamen. Einer von ihnen packte mich grob am Arm und riss mich mit einem „Also, junge Dame …“ auf die Füße.

Daraufhin brach das völlige Chaos aus, denn der ältere der beiden Hunde sprang wild kläffend auf und warf sich zwischen den Polizisten und mich. Tief in seiner Kehle ließ er ein grollendes, drohendes Knurren hören, das er wahrscheinlich von seinem Herrchen gelernt hatte.

Der andere Hund stoppte sofort seinen Freudentanz wegen der Neuankömmlinge und machte mit. Meine Helden!

„Percy! Joe! Platz!“

Percy, der immer noch die Zähne fletschte, gehorchte der Stimme seines Herrn und ließ sich ganz langsam auf den Boden sinken, bis er sprungbereit lag. Joe folgte seinem Beispiel. Die Warnung der Hunde, dass jede falsche Bewegung sofort geahndet werden würde, nahm der Polizist ernst, ließ meinen Arm los und trat einen Schritt zurück.

„Würde mir vielleicht jemand verraten, was hier vor sich geht?“

Gabriel York hatte die Ablenkung genutzt, um sich aufzusetzen. Nun hielt er sich am Treppengeländer fest und zog sich hoch.

„Nein …“, begann ich. Er starrte mich böse an, weil ich es offensichtlich wagte, ihm zu widersprechen. „Sie sollten sich wirklich besser hinsetzen, Mr. York“, sagte ich etwas sanfter.

Er warf mir einen Blick zu, der aussagte, er würde sich später mit mir befassen, und wandte sich dem Polizisten zu. „Sie!“, sagte er. „Was tun Sie hier?“

„Eine Ihrer Nachbarinnen rief uns an, Sir. Sie sah, wie diese junge Frau …“ Unklugerweise deutete er in meine Richtung und erntete sofort ein Knurren von Percy, woraufhin er rasch seinen Arm sinken ließ. „… äh, durch ein Fenster im ersten Stock in Ihr Haus einbrach, und rief die Polizei.“

Gabriel York drehte sich um und sah mich an. Seine Oberlippe war mit Schweißperlen bedeckt. Er sah aus, als würde er jeden Moment umfallen. Aber nicht, bevor er seine Antworten hatte. „Stimmt das? Sie sind durch das Fenster oben geklettert?“

„Ich musste doch etwas tun!“ Vor Wut war ich außer mir. Ich hing da draußen mit den Fingerspitzen am Fensterbrett, und anstatt mir zu helfen, hatte seine neugierige Nachbarin die Polizei gerufen!

„Ich konnte Sie doch nicht einfach hier liegen lassen.“

„Woher wussten Sie“, er zeigte auf den Boden, „dass ich hier lag?“

„Hören Sie zu. Mein Name ist Sophie Harrington“, sagte ich und wandte mich an den Polizisten. „Ich komme von der Garland Agency. Dort wird man für mich bürgen. Als niemand auf mein Klingeln reagierte, guckte ich durch den Briefschlitz und sah Mr. York hier auf dem Boden liegen, bewusstlos.“ Er schnaubte verächtlich: „Bewusstlos“. Ich wiederholte: „Bewusstlos am Fuß der Treppe, also kletterte ich das Fallrohr hinauf und stieg durch das Fenster.“

Der Polizist wandte sich Gabriel York zu, der diesmal nicht schnaubte. Nach einem Augenblick nickte er, zuckte leicht zusammen und sagte: „Meine Nachbarin hat sicher richtig gehandelt, aber Miss Harrington hat recht.“ Halleluja! „Sie ist hier, um mit meinen Hunden Gassi zu gehen.“

„Lebensrettung ist Teil unseres Services“, sagte ich fröhlich, was mir einen weiteren finsteren Blick einbrachte.

„Tut mir leid, dass wir Sie belästigt haben, meine Herren“, fügte er hinzu, offensichtlich in der Hoffnung, sie mögen so schnell wie möglich verschwinden, damit er in Ruhe zusammenbrechen konnte. Ehrlich gesagt sah er so schlecht aus, dass ich mich beherrschen musste, nicht zu ihm zu gehen und ihn zu zwingen, sich hinzusetzen.

Glücklicherweise hatte ich ja noch ein Ass im Ärmel. Ich wandte mich den Polizisten zu. „Sie wurden nicht als Einzige belästigt, fürchte ich. Bevor ich durch das Fenster geklettert bin und Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht habe …“

„Die vollkommen überflüssig war!“

Stimmt. So, wie es aussah, war es unnötig gewesen. Selbst in der augenblicklichen Situation schaffte er es, ziemlich lebendig auszusehen.

„… rief ich die Feuerwehr an“, beendete ich meinen Satz, so, als wäre gar nichts geschehen.

„Dann können Sie gleich wieder anrufen und sie abbestellen.“

Das Sprechen strengte ihn offensichtlich an, aber seine Augen strahlten eine enorme innere Stärke aus. Sie waren voller Wut auf seine eigene Schwäche und hassten mich dafür, ihn so schwach gesehen zu haben. Diesen Job würde ich garantiert nicht behalten. Deshalb zuckte ich mit den Schultern. „Wenn Sie es bis zum Telefon schaffen, Mr. York, können Sie die Feuerwehr gern selbst abbestellen. Ansonsten haben Sie Pech gehabt.“ Ich lächelte den jüngeren der beiden Polizisten an. Prompt lief er rot an. „Sie bleiben doch sicher, bis die Sanitäter eintreffen, meine Herren? Die armen Hundchen müssen jetzt ganz dringend dem Ruf der Natur folgen.“

Kein Widerspruch.

Die Hundeleinen hingen über einem Stuhl, zusammen mit einer Schaufel für die Hinterlassenschaften und Häufchentüten. Toll. Ich machte die Leinen an den Halsbändern fest und überließ meinen Arbeitgeber den fähigen Händen der beiden Polizisten. „Los Jungs, auf geht’s!“

Joe brauchte ich kein zweites Mal zu bitten. Er sprang auf und wedelte freudig mit dem Schwanz. Sein schlanker, cremefarbener Leib zitterte vor Aufregung. Percy hingegen schaute auf sein Herrchen.

Gabriel York sah mich unverwandt an, und ich musste wieder an den Augenblick denken, an dem aus der Wiederbelebung etwas sehr viel Persönlicheres geworden war. Wie sich seine Lippen angefühlt hatten, wie ich ihm das dunkle Haar aus der Stirn gestrichen hatte …

Mit einer kaum merklichen Handbewegung erteilte er seinen Hunden die Erlaubnis, und mit einem gewaltigen Ruck an meiner schmerzenden Schulter fand ich mich auf der Straße wieder. Als wir in Richtung Battersea Park liefen, bog ein Krankenwagen um die Ecke, und ich musste grinsen.

Anscheinend hatte er es nicht mehr rechtzeitig zum Telefon geschafft.

3. KAPITEL

Der Wecker hörte sich an wie eine Motorsäge. Das Blöde an Überraschungspartys war, dass man keine Gelegenheit hatte, sich vorher noch einmal die Goldenen Regeln einzuhämmern: Trinke niemals und unter keinen Umständen zu viele Margaritas auf nüchternen Magen.

Da ich nur auf einen kleinen Drink mit einem alten Freund eingerichtet war, hatte ich nicht besonders viel Wert auf mein Aussehen gelegt. Ich hatte heiß geduscht, um die Überreste des Battersea Parks abzuspülen, und meine ruinierten Nägel kurz geschnitten. Auf das zweifelhafte Vergnügen, stundenlang mit Fön und Bürste vor dem Spiegel zu stehen, um meine Haare perfekt zu frisieren, hatte ich verzichtet und mich stattdessen für den Out-of-Bed-Look entschieden.

Etwas Abdeckstift auf den blauen Fleck am Kinn, meine Lieblingshose, die nicht mehr ganz modern war, eine weite Bluse und ein paar Stiefel – und schon konnte es losgehen.

Dann betrat ich die Bar.

Alle anderen waren natürlich perfekt gestylt. Gut gemacht, Sophie. Tony, ein Bursche, der normalerweise nicht für seine sprühenden Ideen bekannt war, hatte mein „Ich will nicht an diesen Geburtstag denken und ihn erst recht nicht feiern“ komplett ignoriert. Er hatte angenommen, es sollte ein Scherz sein, und sich richtig ins Zeug gelegt. Aber – und das ist wohl einer der überstrapaziertesten Sätze überhaupt – er hatte es ja nur gut gemeint. Nach dem zweiten Margarita war es mir ziemlich egal, was ich anhatte, und am Ende amüsierte ich mich doch prächtig. Etwas zu prächtig vielleicht.

Ich grapschte nach dem Wecker, stellte ihn aus und stolperte aus dem Bett. Ein sehr langer Spaziergang mit zwei sehr lebendigen Hunden würde mir guttun. Falls ich den Job noch hatte.

Bei meiner Rückkehr gestern war ich vom eisigen Gesichtsausdruck Mrs. Yorks begrüßt worden. Sie hatte mir wortlos ein Handtuch überreicht und aus der Entfernung zugeschaut, wie ich die Hunde abtrocknete. Dann erklärte sie mir mit knappen Worten, ich solle die Hunde hinunter in den Hauswirtschaftsraum bringen und ihnen Wasser geben. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte, selbstverständlich.

Im Grunde konnte ich sie verstehen. Sie trug ein anthrazitfarbenes Kostüm, das garantiert nicht billig gewesen war. An ihrer Stelle hätte ich mit zwei aufgeregten, dreckigen Hunden auch nichts zu tun haben wollen. Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, die beiden wieder an die Leine zu nehmen, bevor wir an den See kamen. Aber hinterher ist man immer schlauer. Natürlich sahen die beiden sofort die Enten in der Mitte des Sees, und bevor ich etwas sagen konnte, waren sie auch schon ins Wasser gesprungen. Meinem Kommando „Bei Fuß“ gegenüber stellten sie sich vollkommen taub.

„Gassi“ hatten sie hingegen ganz prima verstanden.

Unter Mrs. Yorks eisigem Blick wischte ich das Wasser und den Matsch auf. Anschließend erkundigte ich mich nach dem Gesundheitszustand ihres Gatten. Zum einen interessierte es mich wirklich, zum anderen hatte ich ja auch etwas zu verlieren. Während ich mit den Hunden unterwegs war, hatte ich mich die ganze Zeit gefragt, ob sie ihn wohl mitgenommen hatten. Was hätte ich in dem Fall tun sollen?

Bei meiner Rückkehr stellte sich schnell heraus, dass ich mir ganz umsonst Sorgen gemacht hatte. Das Haus war hell erleuchtet. Toll. Und dann öffnete Mrs. York mir die Tür. Nicht ganz so toll.

Auf meine Frage hin antwortete sie mir, es ginge ihm den Umständen entsprechend gut. Kein Hinweis darauf, was ihm fehlte. Und sie sah nicht aus, als wäre sie mir dankbar gewesen.

Stattdessen erweckte sie in mir den unguten Eindruck, die „Umstände“ hätten etwas mit mir zu tun.

Ich musste mich arg beherrschen, sie nicht darauf hinzuweisen, dass ich sein Leben gerettet hatte. Im Zuge meiner Rubbelei hatten sich einige von Joes cremefarbenen Haaren selbstständig gemacht und klebten nun an ihrem Rock. Ich wollte lieber nicht dabei sein, wenn es ihr auffiel.

Die zerschmetterte Figur in ihrem Zimmer hatte sie mit keinem Wort erwähnt, allerdings könnte sie durchaus der Grund für den eisigen Empfang gewesen sein. Ganz ehrlich? Ich wäre nicht im Geringsten überrascht gewesen, hätte sich eine enge Verwandtschaft zwischen Miss Frostig und ihr herausgestellt. Kein Wunder, dass Gabriel York so ein Griesgram war.

Als ich nach Hause kam, hatte ich schon fast eine Nachricht meiner „geliebten“ Arbeitsvermittlerin auf meinem Anrufbeantworter erwartet, ich hätte kläglich versagt und wäre selbst für so einfache Stellen ungeeignet.

Keine Nachricht. Vielleicht gab es ja nicht so viele Gassi-Services. Ob ich mein Gehalt neu verhandeln sollte? Wahrscheinlich war ihr aber eher klar geworden, dass sie so kurzfristig niemanden mehr finden würde, um mich morgen früh zu ersetzen.

Sobald ich von meiner Runde mit Gabriel Yorks Hunden zurück war, würde ich gleich meine E-Mails abfragen. Möglicherweise hatte mir die Internet-Arbeitsvermittlung ja schon Hunderte von perfekten Stellenangeboten zugesandt. Da das nicht sehr wahrscheinlich war, wollte ich mich auch noch um die Anzeigen kümmern, die ich gestern in der Zeitung angestrichen hatte. Bei einer Stelle, die „Arbeiten Sie von zu Hause aus“ versprach, stand nichts von Computern …

Ich verwendete Unmengen meines Wachmacher-Duschgels und zwang mich, daran zu denken, dass ich mit dem Gassi-Service erst einmal die dringendsten Rechnungen bezahlen konnte. Heute würde ich aber pünktlich sein, koste es, was es wolle.

Die kleine gestreifte Katze rieb sich an meinen Hosenbeinen, während ich Trockenfutter in ihren Napf füllte. Ich hätte sie liebend gern zu mir genommen, aber Haustiere, die man nicht dauerhaft in einen Käfig sperren konnte, waren in Chandler’s Reach nicht erlaubt.

Man sollte meinen, ich hätte aus meiner letzten kleinen Notlüge etwas gelernt. Ich kam zwar pünktlich auf Gabriel Yorks Schwelle an, aber fragen Sie nicht, wie. Als ich an meiner U-Bahnhaltestelle ankam, funktionierte die Rolltreppe nicht. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich konnte warten, bis sie repariert würde, oder nach oben laufen. Es waren ungefähr eine Million Stufen. Normalerweise hätte mir das nichts ausgemacht, aber mein Margarita-Kater war nicht gerade hilfreich. Als ich oben ankam, war mein Mund trocken wie Sandpapier, ich keuchte und hatte Durst wie selten zuvor. Bis ich die Schlange am Kiosk überwunden und genug Wasser getrunken hatte, um mein Überleben sicherzustellen, war ich – Sie ahnen es schon – wieder zu spät.

Es kam mir vor, als wollte irgendeine dunkle Macht um jeden Preis verhindern, dass ich diese Stelle behielt. Ich hatte schon gar keine Lust mehr zu klingeln. Bisher hatte mir das nur Ärger eingebracht. Es weiter hinauszuzögern, würde die Situation allerdings auch nicht verbessern. Eines schwor ich mir jedoch: Ganz egal, was in den nächsten paar Minuten passieren würde – durch das Fenster einsteigen würde ich nicht noch einmal!

Ich klingelte. Irgendwo im Haus hörte ich Percy und Joe in freudiger Erwartung bellen. Wahrscheinlich mochte ich Hunde einfach lieber als Menschen.

In diesem Moment öffnete Gabriel York, Goldmedaillengewinner im Finster-Dreinblicken, die Tür. Ja, es stimmte, ich mochte Hunde lieber.

Selbst auf meiner Party gestern hatte ich ihn nicht vergessen können. Immer wieder musste ich an den Augenblick denken, als ich die Augen öffnete und sah, wie er mich anschaute. Und an den Moment, in dem aus der Wiederbelebung etwas anderes geworden war.

Mr. York sah heute ein wenig besser aus. Er hatte sich rasiert und trug einen bequemen grauen Jogginganzug, die Art Kleidung, die man anhatte, wenn man keinen raueren Stoff auf der Haut vertragen konnte. In diesem Outfit passte er aber ganz und gar nicht zu den Lorbeerbäumen, ganz im Gegensatz zu seiner perfekt angezogenen Ehefrau.

„Miss Harrington“, sagte er müde, „kommen Sie immer eine halbe Stunde zu spät zur Arbeit, oder versuchen Sie einfach, mich umzubringen?“

„Ich versuche, Sie umzubringen“, antwortete ich. Sarkastisch konnte ich selbst sein. Wahrscheinlich haben Sie inzwischen schon bemerkt, dass ich auf dem besten Weg war, selbst mein schlimmster Feind zu werden. Als ich sah, wie sehr er sich an der Tür abstützte, konnte ich mir ein „Sollten Sie nicht lieber im Bett sein?“, nicht verkneifen.

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, antwortete er. Offensichtlich hatte ihn mein Gegenangriff aus der Bahn geworfen. Er sah nicht aus wie ein Mann, der jemals zugab, im Unrecht zu sein. Bei gar nichts. Er trat zur Seite, um mich hineinzulassen, ohne sich um meine Schuhe zu kümmern. „Aber da ich Sie ja beinahe schon abgeschrieben hatte, blieb mir ohnehin keine Wahl.“

„Und?“ Ich putzte mir sehr sorgfältig die Schuhe ab.

„Entschuldigung?“ Ich hatte das eindeutige Gefühl, als würde er dieses Wort nicht häufig verwenden, zumindest nicht als echte „Entschuldigung“. Genauso wenig, wie das andere magische Wort – danke. Zum Beispiel, weil man die eigene Gesundheit riskiert hatte, um ihm das Leben zu retten.

„Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie sich extra von Ihrem Krankenlager hochgerafft haben, um selbst mit Percy und Joe spazieren zu gehen?“, erkundigte ich mich zuckersüß. Es sah ja nicht so aus, als würde ihm Mrs. York diese Arbeit abnehmen. Wo steckte sie eigentlich schon wieder? Er sollte im Bett liegen und liebevoll umsorgt werden.

Meine spitze Zunge brachte mir einen weiteren finsteren Blick ein. Okay, den hatte ich wohl verdient. Selbst wenn es nicht meine Schuld war, ich war viel zu spät dran.

„Leider nicht. Wenn ich in der Lage wäre, weiter als bis zum Badezimmer zu laufen, bräuchte ich Sie nicht.“

Direkt war er auch.

„Ich wollte sie gerade in den makellosen Garten meiner Schwägerin hinauslassen und mir wieder ein paar Minuspunkte einhandeln. Auch wenn sie es verdient hätte.“

Sie war seine Schwägerin? Nicht seine Frau? Mein Herz schlug Purzelbäume. Dieser Kerl war Spitzenkandidat für den Miesepeter des Monats, vielleicht gar des Jahres. Wieso sollte sich mein Herz für ihn interessieren?

„Minuspunkte?“

„Einen dafür, dass ich aufgestanden bin und somit meinen Genesungsprozess behindert habe, was wiederum dazu führt, dass ich sie weiter belästigen muss. Einen dafür, die Hunde …“

„Alles klar.“ Ich wusste, was er sagen wollte.

Sie war nicht nur nicht seine Frau, sie mochte zudem weder seine Hunde noch ihn selbst!

Und? Was ging mich das an?

Er zuckte mit den Schultern. „Ich hätte die Schuld natürlich auf Sie geschoben.“ Dieser Gedanke schien ihn etwas aufzuheitern. „Kommen Sie eigentlich immer zu spät?“, wiederholte er.

„Selbstverständlich nicht. Ich bin rechtzeitig losgegangen.“ Was ja auch stimmte, die Umstände waren einfach gegen mich. „Dummerweise gab es ein Problem mit der …“

Er hob die Hand, um meinen Redefluss zu unterbrechen. Es war eine große, kräftige Hand, mit langen, schlanken Fingern und einem starken Handgelenk, das an einem muskulösen Arm saß …

Vielleicht starrte ich seine Hand etwas zu offensichtlich an – die Hände eines Mannes sind mir enorm wichtig –, denn plötzlich ballte er die Hand zur Faust und ließ sie an die Seite fallen. „Ersparen Sie mir die Einzelheiten“, sagte er. Offensichtlich war er am Ende seines allzu kurzen Geduldsfadens angekommen. „Ich hatte nur gedacht, wenn es Ihre Gewohnheit wäre, würde ich Sie eine halbe Stunde früher buchen, in der Hoffnung, dass Sie dann pünktlich kommen würden. Bevor Percy und Joe aus purer Verzweiflung die Tür zum Hauswirtschaftsraum zerlegen.“

In seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen – wollte er womöglich lächeln? –, bevor ihm wieder einfiel, dass er schlechte Laune hatte. Mir war es egal. Immerhin würde er nicht bei Miss Frostig anrufen und um Ersatz für mich bitten.

Plötzlich wollte ich ihn umarmen. Na ja, so ganz plötzlich kam mir der Gedanke nun auch wieder nicht. Eigentlich wollte ich das schon die ganze Zeit, ich hatte bloß keine passende Ausrede gefunden. Ich wollte wissen, ob seine überraschende Reaktion gestern Zufall war.

Ich meine, gütiger Himmel, er hatte ausgesehen, als stände er bereits mit einem Bein im Jenseits. Nicht gerade ein Liebestraum, aber den hatte ich ja schon mit Perry hinter mich gebracht.

Der Gedanke an diesen Kerl ließ mich rasch wieder abkühlen.

„Das ist wirklich nicht nötig“, sagte ich, schwer bemüht, nicht zu grinsen. Anscheinend war meine Stelle erst einmal sicher, selbst wenn ich nur zwei Stunden am Tag zwei Hunde Gassi führte. „Obwohl ich gerade meinen Lebensunterhalt mit dem Gassigehen verdiene, kann ich sehr wohl eine Uhr lesen.“ Das war wohl etwas schärfer als nötig. Ich war den zweiten Tag zu spät. Und ich machte den Job erst seit zwei Tagen. „Vielleicht sollte ich loslegen“, sagte ich. „Percy und Joe hören sich schon leicht hysterisch an.“

„Seit gestern sind sie in den Wirtschaftsraum verbannt“, sagte er, dieses Mal ohne den Anflug eines Lächelns. „Er ist unten. Gehen Sie hinten mit ihnen hinaus, im Garten gibt es ein Tor.“ Er ergriff meine Hand, legte einen Schlüssel, der noch ganz warm war, hinein und schloss meine Hand. Dabei hielt er sie einen Moment länger als nötig. „Es ist abgeschlossen.“ Und dieses Mal sah ich ein Aufblitzen von Wärme in seinen dunklen Augen. „Um Einbrecher fernzuhalten.“

Eine Stunde mit Percy und Joe vertreibt jede schlechte Laune. Sie waren so glücklich, endlich frei zu sein, dass man sich ihrer Aufregung nicht entziehen konnte. Sie stürmten durch die Bäume und durchstöberten die wilderen Teile des Parks, bevor sie ihre kleine Entenjagd wiederholten.

Sie waren blitzschnell, und Percy kehrte mit den Schwanzfedern einer Stockente im Maul zurück. Die zwei waren eindeutig Jagdhunde, die im schicken Belgravia nichts verloren hatten. Sie brauchten Platz und sollten auf dem Land leben.

Als meine Mutter anrief, erkundigte sie sich nicht nach dem Mann, mit dem sie fast 30 Jahre verheiratet gewesen war. Sie wollte wissen, wie es ihrem alten Spaniel ging. Die Süße kam langsam in die Jahre und würde sie schrecklich vermissen.

Unwillig blinzelte ich eine Träne weg.

Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren, aber schließlich standen wir wieder schlammbespritzt und glücklich vor Gabriel Yorks Haustür.

Das Glücksgefühl währte nicht lange.

Gabriel York öffnete die Tür, mit einem Gesichtsausdruck, der Milch hätte gerinnen lassen. „Wo zum Teufel waren Sie?“, wollte er wissen. „Ich dachte, Sie …“

„Was? Dass ich die beiden verloren hätte?“

Er holte tief Luft, offensichtlich genervt. Ob er von mir oder sich selbst genervt war, konnte ich nicht sagen. Er fuhr sich mit den Fingern durch das dichte dunkle Haar. „Zum Glück sind Sie ja wieder alle gesund und munter hier. Wenn die beiden Ihnen zu viel sind …“

„Nein. Tut mir leid, dass Sie sich Sorgen gemacht haben. Wir hatten so viel Spaß und haben einfach die Zeit vergessen. Obwohl, ehrlich gesagt …“ Ich kramte in meiner Tasche nach den Entenfedern „… weiß ich nicht, wie legal die Entenjagd in London ist. Die hier hat noch einmal Glück gehabt, aber es war ganz schön knapp. Ich verlasse mich darauf, dass Sie gegebenenfalls meine Kaution bezahlen. Was sind die beiden eigentlich für eine Rasse?“

„Es sind Salukis, persische Windhunde. Sie jagen auf Sicht. Tut mir leid, ich hätte Sie warnen sollen.“

„Sie waren nicht gerade in der Lage, mir irgendwelche nützlichen Informationen zu geben“, erinnerte ich ihn. „Sie sehen immer noch nicht wirklich gut aus – wenn ich das so sagen darf.“

Ich ignorierte seinen zusammengekniffenen Mund, während er das Bedürfnis herunterschluckte, mir zu sagen, dass ich das keineswegs dürfe. „Ich bringe Ihnen eine Tasse Tee, wenn ich die zwei Rabauken abgetrocknet habe.“

„Wirklich?“ Er sah mich an, als wolle er die nächste Frage lieber nicht stellen. „Und wo werde ich sein?“

„Sie legen sich hin.“ Er sah aus, als könne er jeden Moment wieder umfallen. Sein Gesicht wirkte grau und eingefallen, und obwohl ich gegen eine zweite Runde Mund-zu-Mund-Beatmung nichts einzuwenden gehabt hätte, wollte ich nicht zu eifrig aussehen. Nicht, dass er es falsch verstehen würde. Oder vielleicht verstände er es ja auch ganz richtig, was noch viel schlimmer wäre. „Ab ins Bett, bevor Sie umkippen“, sagte ich in meiner strengsten Nanny-Stimme. „Ich warne Sie, Mr. York. Wenn ich noch einmal die Feuerwehr rufen muss, sorge ich dafür, dass sie dieses Mal mitgenommen werden.“

„Tun Sie das nur“, konterte er. „Dann gehen die Hunde in eine Pension, und Sie haben keinen Job mehr.“

„Nein!“

„Cristabel duldet sie nur, weil sie der Ansicht ist, dass die beiden mir guttun. Und sie duldet mich nur, weil ich unter der Voraussetzung aus dem Krankenhaus entlassen wurde, dass ich nicht allein bleibe.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie Sie zweifelsohne bemerkt haben, leide ich an Schwächeanfällen.“

„So nennen Sie das? Wenn Sie mich fragen, waren Sie vollkommen bewusstlos.“ Das war nicht gerade nett von mir, wo er doch mein Entsetzen zum Glück nicht als puren Egoismus, sondern als Besorgnis um seine Hunde ausgelegt hatte.

„Sie ist sehr großzügig“, fuhr er fort, „Aber ich befürchte, die zerbrochene Figur in ihrem Ankleidezimmer hat ihr beinahe den Rest gegeben.“

Oh, verdammt.

„Das waren nicht die Hunde, aber ich schätze, das wissen Sie bereits …“

Unerwarteterweise lächelte er. „Ich weiß es. Die Hunde wissen es. Aber sie hat es schon schwer genug mit mir, ohne dass sie auch noch ihrer Versicherung erklären muss, wie leicht es für Sie war, durch das Fenster …“

„Es war nicht leicht! Meine Fingernägel können Ihnen das beweisen.“ Ich hielt ihm meine Hände hin, und plötzlich nahm er sie in seine. Eingehend studierte er die Überreste meiner gestern noch perfekt manikürten Nägel. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ihn plötzlich ein Schauer durchlief und er meine Hände fallen ließ.

„Ganz egal. Ein Einbrecher würde sich nicht um seine Nägel sorgen. Ich denke, der Versicherung würden die Sicherheitsmängel ganz und gar nicht gefallen. Und das könnte teuer werden.“

„Zum Glück war das Fenster offen. So ein Keramikpüppchen kann man ersetzen.“

„Wahrscheinlich“, sagte er scharf und schnitt mir das Wort ab. Er steckte die Hände in die Taschen und hörte auf zu lächeln. „Sie würde trotzdem den Hunden die Schuld geben. Wenn die zwei nicht hier wären, hätten Sie nicht durch das Fenster klettern müssen.“

„Es hätte jemand hier sein müssen, um mich hereinzulassen.“

„Wären Sie pünktlich gewesen, wäre mein Bruder da gewesen. Er sollte selbst mit den Hunden gehen, nur gab es dann irgendein Problem. Er hat so lange wie möglich gewartet. Ich hatte schon nicht mehr mit Ihnen gerechnet und war gerade auf dem Weg nach unten, um die Hunde in den Garten zu lassen.“

Mist. Das hatte er also gemeint, als er fragte, ob ich ihn umbringen wolle. Er hätte gestern Abend im Bett sein sollen. Heute Morgen war ich wieder zu spät, und nun waren wir auch noch viel länger im Park gewesen als geplant.

Eigentlich sollte er gerade im Bett liegen. Ich fühlte mich schuldig. Eines stand jedoch fest: Er wohnte nicht freiwillig in diesem schrecklichen Haus. Dieser Gedanke verbesserte meine Laune schlagartig. Es war albern, aber so war es. Von seiner schwerbeschäftigten Familie schien er nicht gerade viel Hilfe zu bekommen, vor allem, wo er doch nicht allein bleiben sollte.

Ich schluckte die Frage hinunter. „Wenn das so ist, dann sollten Sie schleunigst wieder ins Bett gehen, Mr. York, bevor Sie umfallen und wir beide ein Problem bekommen.“

„Gabriel“, sagte er. „Oder Gabe, wenn Ihnen das lieber ist.“

„Gabriel ist in Ordnung“, sagte ich, ohne darüber nachzudenken. „Ich bin Sophie. Wenn Sie mich jemals Soph nennen, können Sie Ihre Hunde selbst Gassi führen.“

„Sophie.“ Er sah mich einen Moment lang ernst an. „Das werde ich mir merken.“

„Prima. Und ich werde mir Mühe geben, in Zukunft pünktlich zu sein.“ Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte, aber ich würde mir etwas einfallen lassen. „Und nun gehen Sie ins Bett, Gabriel.“

Es war ein komisches Gefühl, sich mit Vornamen anzusprechen und ihn ins Bett zu schicken, als würden wir uns schon ewig kennen. Um mich abzulenken, zog ich die furchtbare Kunstpelzjacke aus und setzte die enge Mütze ab.

„Sie sind ja blond“, sagte er in diesem Ich-hätte-es-wissen-müssen-Tonfall.

„Das ist mir bewusst“, versicherte ich ihm und begann, die Hunde mit Handtüchern abzurubbeln. Ich kannte meine Grenzen durchaus, und auf dämliche Blondinenwitze konnte ich verzichten. „Ist das ein Problem für Sie?“

Eine halbe Ewigkeit lang – jedenfalls kam es mir so vor – stand er stocksteif da und sagte nichts. „Zweiter Stock, erste Tür rechts.“

„Gabriel?“ Er blieb in der Tür stehen und drehte sich um.

„Möchten Sie einen Toast oder so etwas?“

„Würden Sie ein Nein als Antwort hinnehmen?“

„Wahrscheinlich nicht.“

„Wenn es Sie nicht stört, Ihre Zeit zu verschwenden, dann will ich auch nicht hier stehen und meine Atemluft verschwenden.“ Klugerweise ließ er sich auf keine weitere Diskussion ein.

„So sind wir Frauen“, sagte ich zu Percy, während ich sorgfältig seine Pfoten abwischte. „Lästige Wesen, die immer glauben zu wissen, was für die Männer am besten ist.“ Ganz im Gegensatz zu Männern, die das nicht wussten. „Obwohl, wenn ich genau darüber nachdenke, hat sich das doch wie ein Ja angehört, was meinst du?“ Als Mann konnte er natürlich nicht einfach und direkt „Ja“ sagen.

Percy leckte zustimmend meinen Hals ab. Ich drückte Joe und ihn und versprach, später noch einmal nach ihnen zu sehen. Dann ging ich in eine Küche, wie ich sie bisher nur aus Wohnmagazinen kannte. Die Art Küche, in der man sich gar nicht traut, etwas anzufassen.

Der Kühlschrank war mit besten Biolebensmitteln bestückt, wie sie eine ernährungsbewusste Gastgeberin ihren Gästen anbieten würde. Wahrscheinlich hatte ich zu viele Vorurteile. Gabriel Yorks Schwägerin war bestimmt sehr nett, wenn man sie nicht gerade mit unerwünschten Gästen belästigte. Besonders, wenn zwei davon höchst lebhafte Hunde waren.

Aus eigener Erfahrung wusste ich, wie viel Dreck zwei Hunde machen konnten.

Ich füllte den Kessel mit gefiltertem Wasser, schnitt Biobrot in Scheiben und steckte sie in den Toaster. Zum Glück fand ich ein Tablett und stellte ein Glas frisch gepressten Orangensaft, französische Butter und Marmelade darauf. Ich spielte mit dem Gedanken, eines der Bioeier, die in ihrem Kasten auf echtem Stroh lagen, zu kochen, aber ich wollte es nicht gleich übertreiben.

Ich trug das Tablett zwei Etagen nach oben. Zum Glück hatte Gabriel York die Tür aufgelassen, sodass ich nicht mit dem Fuß anklopfen musste. Trotzdem hielt ich es für angebracht, mich anzukündigen, bevor ich eintrat.

„Gabriel?“

Keine Antwort. Ich schaute vorsichtig um die Ecke und sah, warum. Er hatte sich auf das Bett fallen lassen und war sofort eingeschlafen. Ich stellte das Tablett am Fenster ab und räumte leise seinen Nachttisch ab, damit ich ihm sein Frühstück in der Nähe abstellen konnte.

„Was tun Sie da?“

Ich machte einen Satz zurück und ließ ein Buch fallen. „Ich versuche, Sie nicht aufzuwecken“, sagte ich, während ich das Buch aufhob. Nicht gerade leichte Kost. Es war ein Lehrbuch. Tropenmedizin. Du lieber Himmel, was hatte er sich nur eingefangen?

„Dann haben Sie versagt.“

Ich legte das Buch zurück. „Wissen Sie, Sie haben Glück, dass Sie krank sind. Sonst käme womöglich jemand auf die Idee, Ihnen mitzuteilen, dass Ihre soziale Kompetenz wirklich zu wünschen übrig lässt.“

Er sah mich finster an. „Ist das wahr?“

„Man könnte Sie sogar für einen schlecht gelaunten Miesepeter halten.“

„Aber nur, wenn ich nicht krank wäre?“

„Sehr krank“, antwortete ich, denn seine Gereiztheit ging mir wirklich auf die Nerven. „Bei einer tödlichen Krankheit würden Sie damit durchkommen“, fügte ich leise hinzu.

„Dieses Mal nicht“, sagte er. Sein Gehör war offensichtlich nicht geschädigt. „Obwohl Malaria durchaus tückisch ist. Sie kann einen gesunden Mann innerhalb weniger Tage töten, wenn …“

„Malaria?“ Du meine Güte, ich hatte das doch nicht ernst gemeint. Er sah schlecht aus, aber nicht so schlecht. „Ich dachte, dagegen kann man Medikamente nehmen.“

„Kann man auch, aber die sind nicht unfehlbar. Besonders, wenn man sie nicht nimmt. Sie wissen ja, Ärzte sind selbst die schlimmsten Patienten.“ Endlich setzte er ein kleines Lächeln auf – und das Warten darauf hatte sich wirklich gelohnt. Sein Gesicht verwandelte sich von „ausgezehrt“ zu „männlich“, und seine dunklen Augen begannen zu leuchten.

Ich stellte das Tablett neben ihm ab. „Sie sind Arzt?“, fragte ich. „Ich bin sicher, die Agentur hat Mister und nicht Doktor gesagt.“

„Das stimmt auch. Ich bin Chirurg.“

Das erklärte die Bettlektüre.

„Warum?“

„Warum bin ich Chirurg?“

„Nein, warum heißt es bei Chirurgen nicht Doktor? In den USA ist das nicht so, oder?“

„Haben Sie mal dort gelebt?“

„Nein, aber ich habe Emergency Room im Fernsehen …“ Gott, musste das dämlich klingen!

„Sie wissen doch, wir Briten sind gern etwas Besonderes.“ Er setzte sich auf. „Beim Fernsehen ist Ihnen sicher auch aufgefallen, dass wir auf der falschen Straßenseite fahren.“ Wenigstens hatte ihn meine Bemerkung noch einmal zum Lächeln gebracht, wenn auch auf meine Kosten. „Bekomme ich die Tasse Tee, oder ist die nur zur Dekoration da?“

„Oh, tut mir leid.“ Ich reichte ihm die Tasse. Er nahm sie mir ab, und ich löffelte Zucker hinein, bis er Stopp sagte. Instinktiv wollte ich ihn darauf hinweisen, dass so viel Zucker nicht gut für ihn war. Glücklicherweise konnte ich mich im letzten Moment zurückhalten. Er war Arzt, man konnte davon ausgehen, dass er das selbst wusste.

Autor

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