Julia Platin Band 10

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CINDERELLA IN CADIZ von DIANA HAMILTON

Gefühle, stärker als alles auf der Welt! Rosie schwebt auf rosa Wolken. Dabei arbeitet sie nur als Hausmädchen bei dem wundervollen Sebastian Garcia. Bis eine traumhafte Nacht mit ihm alles verändert - und der erfolgreiche Unternehme sie mit sich ins romantische Cadiz nimmt …

ROMANZE IM SPANISCHEN SCHLOSS von REBECCA WINTERS

"Lass dich von mir auf meinem Schloss pflegen, lass mich dir Liebe schenken!" Der reiche Remi de Vargas ist wie verzaubert von der süßen Jillian, die er nach einem Autounfall rettet. Im Rauschen der Olivenhaine möchte er sie nur zu gerne verführen. Doch Jillian zögert …

SPANISCHE HOCHZEIT von CHANTELLE SHAW

Fast alles würde Grace tun, um ihrem Vater zu helfen! Aber einen wildfremden Mann heiraten? Unmöglich! Der millionenschwere adlige Banker Javier Herrera bietet ihr aber genau das an. Und die dunklen Augen des stolzen Spaniers verraten, dass er meistens bekommt, was er will …


  • Erscheinungstag 07.08.2020
  • Bandnummer 10
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715298
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Diana Hamilton, Rebecca Winters, Chantelle Shaw

JULIA PLATIN BAND 10

1. KAPITEL

Finster betrachtete Sebastian Garcia die Fassade des über vierhundert Jahre alten Herrenhauses Troone Manor, und seine grauen Augen blitzten zugleich wütend und entschlossen. Eher würde er sich das Herz aus der Brust reißen, als dass er Irina Dysart das ausgedehnte Anwesen in die Hände fallen ließ, schwor er sich leidenschaftlich.

Zum ersten Mal sah er ohne Freude dem Besuch in dem schönen alten Haus entgegen, das ihm von seiner Kindheit an wie ein zweites Zuhause war.

Kalter Märzwind zauste ihm das schwarze Haar und erinnerte ihn daran, dass hier in England der Frühling noch nicht so weit gediehen war wie in Südspanien, wo er und seine Mutter lebten.

Sebastian nahm den Koffer vom Rücksitz seiner silbergrauen Limousine, dann ging er über die kreisförmige Auffahrt zur Eingangstür, wo die Haushälterin Madge Partridge ihn bereits lächelnd erwartete.

„Alles unter Kontrolle?“, erkundigte Sebastian sich kurz angebunden.

Madge verging das Lächeln, und sie wich bestürzt einen Schritt zurück.

Sebastian tadelte sich, weil er die Beherrschung verloren hatte, und rang sich ein Lächeln ab. Madge war keine seiner Angestellten – die er mit dem Hochziehen einer Braue zum Parieren veranlassen konnte –, sondern seine Freundin seit Kindertagen. Außerdem führte sie nur gewissenhaft aus, was sein Onkel Marcus Troone ihr aufgetragen hatte: das Haus für dessen zukünftige Frau herzurichten.

Marcus hatte ihn gebeten, in Troone Manor nach dem Rechten zu sehen, und er hatte widerstrebend zugestimmt. Wie sollte er seinem Onkel rechtzeitig klarmachen, wie Irina wirklich war? Dieses Problem machte ihn gereizt, aber er durfte seine schlechte Laune nicht an Madge auslassen.

„Tut mir leid, Madge, dass ich so schroff war“, entschuldigte Sebastian sich und zuckte die breiten Schultern. „Ich war die ganze Nacht mit dem Auto unterwegs und bin wahrscheinlich deshalb nicht in besonders guter Stimmung. Sei mir bitte nicht böse!“

„Natürlich bin ich das nicht.“ Madge legte ihm kurz die raue Hand auf die Wange und tadelte ihn liebevoll: „Und nimm ja kein Flugzeug nach London, und lass dich auch nicht von einem der Firmenchauffeure hierher bringen. Tu es bloß nicht, Sebastian.“

Amüsiert und zugleich liebevoll sah sie ihn an, als er an ihr vorbei in die große Halle mit den schweren Deckenbalken ging, wo im Kamin ein Feuer flackerte.

„Ich erinnere mich, wie du mit sechs Jahren zum ersten Mal ohne deine Eltern hier warst … Lieber Himmel, ist das tatsächlich schon dreiundzwanzig Jahre her? Jedenfalls bist du damals an einem Morgen aus dem Fenster und übers Spalier nach unten geklettert, statt die Treppe zu benutzen, um zum Frühstück zu kommen. Den Weg hast du offensichtlich spannender gefunden.“

Sebastian erinnerte sich auch noch genau an den Zwischenfall – und an die Standpauke, die seine Tante Lucia ihm daraufhin gehalten hatte. Beim Gedanken an seine Tante wurde ihm schwer ums Herz. Sie war die jüngere Schwester seines Vaters gewesen und hatte dessen damaligen Geschäftspartner Marcus Troone geheiratet. Er, Sebastian, hatte jeden Sommer mehrere Wochen bei ihnen in Troone Manor verbracht und diese Zeit stets genossen.

Zu ihrem Kummer hatten Lucia und Marcus keine Kinder bekommen, und als Sebastian ungefähr acht Jahre alt war, erkrankte seine lebensfrohe, liebevolle Tante Lucia an multipler Sklerose. Als er sie im folgenden Sommer besuchte, saß sie bereits im Rollstuhl, beinah so hilflos wie ein Baby. Zwei Jahre später war sie dann endlich von ihrem Leiden erlöst worden.

Jetzt wollte Marcus nochmals heiraten – ausgerechnet dieses geldgierige Luder Irina Dysart!

„Ich wusste nicht genau, wann du ankommst, Sebastian. Mittagessen gibt es jedenfalls erst in einer Stunde“, riss ihn Madge aus den trüben Gedanken. „Möchtest du eine Tasse Kaffee, bevor du dich frisch machst?“

Schnell verdrängte er den Zorn auf Irina und bejahte die Frage. Er stellte seinen Koffer auf den abgetretenen Steinplatten der Eingangshalle ab und folgte Madge in die behagliche Küche.

Im ganzen Haus roch es durchdringend nach frischer Farbe, und Sebastian schauderte. Wenn Irina hier das Sagen haben würde, wäre es mit der Behaglichkeit vorbei, die seiner Meinung nach das Wesen eines englischen Landsitzes ausmachte. Stattdessen würde sich überall teurer, schicker und aufwendiger Schnickschnack breitmachen.

Natürlich missgönnte er seinem Onkel nicht das Glück einer zweiten Ehe. Marcus war immerhin in den vergangenen zwanzig Jahren weniger Ehemann als Krankenpfleger gewesen, aber dass er sich an eine habsüchtige Hexe band, die alles tun würde, nur um ein riesiges Vermögen in die Finger zu bekommen … Nein, das lasse ich nicht zu, schwor Sebastian sich nochmals.

„Geht es Sir Marcus mittlerweile besser?“, erkundigte Madge sich, während sie den Kaffee einschenkte. „Es hat mich schockiert, aber nicht überrascht, als er kurz vor Weihnachten zusammengebrochen ist. Seit Lady Troones Tod hat er bis zur totalen Erschöpfung gearbeitet.“

„Ja, es geht ihm viel besser.“ Sebastian setzte sich in den Sessel neben dem großen alten Herd und ließ sich eine Tasse mit starkem schwarzen Kaffee reichen. „Dank des milden Klimas bei uns in Jerez und der Fürsorge meiner Mutter ist er wieder fit.“

„Das muss er ja sein, wenn er sich verlobt hat“, bemerkte Madge ungewohnt anzüglich.

Es klang außerdem fragend und zugleich besorgt, was Sebastian jedoch ignorierte. Er wollte der treuen Seele nicht noch mehr Sorgen bereiten, indem er ihr von seinen Bedenken bezüglich Irina berichtete. Mit der fertig zu werden war sein Problem, und er wusste, wie er damit umzugehen hatte – auch wenn es ihm nicht behagte.

„Sind die Handwerker fertig?“ Bewusst wechselte er das Thema.

„Ja, seit gestern.“ Madge setzte sich an den Tisch und gab einige Löffel Zucker in ihre Tasse. „Sir Marcus wollte lediglich, dass alles frisch gestrichen wird. Seine zukünftige Frau hat bestimmt ganz eigene Vorstellungen, wie das Haus eingerichtet werden soll.“

Sebastian ahnte auch schon wie: elegant, auffallend und völlig seelenlos. Rasch verdrängte er die Vorstellung und fragte: „Was ist mit den Hausmädchen?“

„Da sich nur zwei junge Frauen auf die Annonce hin gemeldet haben, hatte ich keine große Wahl. Die eine ist Sharon Hodges aus dem Dorf. Vielleicht hast du sie schon mal gesehen. Sie ist ein korpulentes, vorlautes Ding. Da ich ihre Familie kenne – lauter Nichtsnutze und Tagediebe –, habe ich darauf bestanden, dass sie die nächsten sechs Wochen hier im Haus wohnt. So kann ich sie morgens aus dem Bett und an die Arbeit scheuchen.“ Madge verzog missbilligend das Gesicht. „Das andere Mädchen kommt aus Wolverhampton. Ein zierliches Geschöpf, das aussieht, als könnte ein Windstoß es umpusten! Ich habe darauf hingewiesen, dass es sich um ziemlich schwere körperliche Arbeit handelt, aber falls das die junge Frau beunruhigt hat, so hat sie es nicht zu erkennen gegeben. Sie hat überhaupt nicht viel gesagt, nur dass ihre Mutter vor einigen Monaten gestorben sei und sie vorübergehend einen Job suche, bis sie wisse, was sie mit sich anfangen wolle. Sie heißt Rosie Lambert, wird übermorgen zwanzig Jahre alt und errötet, sobald man sie anredet.“ Madge seufzte. „Na ja, Bettler dürfen nicht wählerisch sein, wie es so schön heißt. Die beiden jungen Frauen sind gestern hier eingezogen und haben angefangen, die Schlafzimmer zu reinigen. Dass sie zufriedenstellend arbeiten werden, wage ich zu bezweifeln.“

„Überlass das Problem nur mir.“ Sebastian lächelte sie beruhigend an. „Ich weiß, wie man Angestellte zu Bestleistungen anspornt. Du hast genug anderes zu tun.“

Er hatte auch noch anderes zu tun, als die Anweisungen seines Onkels auszuführen: Er musste ihm möglichst schonend Irina Dysarts wahren Charakter vor Augen führen.

„Das Haus ist jahrelang vernachlässigt worden“, hatte Marcus zugegeben, nachdem er Sebastian gebeten hatte, auf Troone Manor nach dem Rechten zu sehen. „Ich weiß, dass ich regelmäßig eine Reinigungsfirma hätte engagieren sollen, aber Lucia war vehement dagegen. Sie ertrug es nicht, wenn Fremde ihre Sachen berührten. Würdest du dich darum kümmern, dass das Haus tipptopp in Ordnung ist, wenn ich Irina nach Troone Manor bringe? Madge habe ich bereits angewiesen, vorübergehend einige Hausmädchen einzustellen.“ Marcus hatte glücklich gelächelt und dann hinzugefügt: „Ais Nächstes wird Irina ein Kindermädchen engagieren wollen.“

Irina hat also sofort die schwache Stelle ihres Opfers erkannt, dachte Sebastian zynisch. Er kannte sich, im Gegensatz zu seinem Onkel, mit intriganten, raffgierigen Frauen bestens aus.

„Kopf hoch, Madge, es wird schon alles klappen“, ermunterte Sebastian nun die Haushälterin und stand auf, um nach oben in das Zimmer zu gehen, in dem er immer wohnte, wenn er zu Besuch war.

Rosie Lambert erhob sich von den Knien und strich sich eine lange blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, wobei ihr etwas Putzwasser auf die Wangen tropfte, die bereits tränenfeucht waren. Ungeschickt trocknete sie sich das Gesicht am Ärmel der riesigen braunen Kittelschürze ab, die Madge Partridge ihr gegeben hatte.

Ich wünschte, ich wäre nicht hierhergekommen, dachte Rosie. Hätte sie doch nie den Brief gefunden, in dem stand, wer ihr Vater war, und hätte sie an jenem schicksalhaften Morgen bloß nicht auf ihre frühere Arbeitgeberin und gute Freundin Jean gehört.

Es war ein Montagmorgen gewesen, und in Jean und Jeff Edwards kleinem Lebensmittelladen war noch nicht viel zu tun. Rosie arbeitete dort schon seit längerem und wohnte seit dem Tod ihrer Mutter im Gästezimmer der Edwards in der Wohnung über dem Geschäft. Es war eine Notlösung, solange sie nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Sie war aus der Hochhaussiedlung förmlich geflüchtet, in der sie neunzehn Jahre lang mit ihrer Mutter gelebt hatte.

„Bestimmt möchtest du bei deiner Intelligenz nicht dein ganzes Leben als Verkäuferin verbringen“, hatte Jean einmal zu ihr gesagt. „Du könnest sogar endlich studieren, was du bisher nicht getan hast, um deine arme, kranke Mom zu pflegen.“

Rosie hatte keine Ahnung, wie sie ihr weiteres Leben gestalten sollte. Sie war zugleich zornig, traurig und verwirrt seit dem Geständnis ihrer Mutter wenige Tage vor deren Tod und seit sie den bewussten Brief gefunden hatte. Und da sie sonst keine Freunde hatte – ihre Mutter hatte sie nie mit den anderen Kindern spielen lassen, konnte sie sich nur Jean anvertrauen, die ihr immer geduldig zuhörte.

An dem bewussten Montag hatte Jean ihr eine Zeitung hingehalten und gesagt: „Das habe ich gestern zufällig bei meiner Schwester entdeckt. Es muss Schicksal sein. Hier, lies das, Rosie!“

Rosies Herz begann wie wild zu pochen, als sie die Annonce las, in der Hausmädchen zu ausgezeichneten Bedingungen ab Anfang März für sechs Wochen gesucht wurden. Bewerbungen waren an die Adresse Troone Manor in Hope Baggot, Shropshire, zu richten.

„Bewirb dich um den Job, Rosie“, riet Jean ihr eindringlich. „Du brauchst ihn nicht anzunehmen, aber wenn du zum Einstellungsgespräch fährst, hast du die Chance, wenigstens mal das Dorf zu sehen, in dem deine Großeltern gelebt haben und deine Mutter aufgewachsen ist. Du könntest sogar Marcus Troone begegnen, der – nach allem, was du mir erzählt hast – offensichtlich der egoistische Schuft ist, der deine Mom geschwängert und im Stich gelassen hat. Dann kannst du immer noch entscheiden, ob du weitergehen willst. Und selbst wenn du ihn auf Anhieb verabscheust, solltest du Forderungen an ihn stellen. Er schuldet dir sehr viel.“

Rosie war davon ausgegangen, dass Sir Marcus persönlich die Einstellungsgespräche führen würde, und hatte überlegt, ob sie ihm dann erklären sollte, wer sie sei, oder ob sie ihn verprügeln sollte, weil er ihre Mutter so schlecht behandelt hatte.

Als sie dann Madge Partridge in der Küche von Troone Manor gegenübersaß, tadelte Rosie sich für ihre Dummheit. Natürlich ließ ein Mann wie Sir Marcus sich nicht dazu herab, eine Putzfrau selbst einzustellen! Wahrscheinlich bemerkte er eine Angestellte nur, wenn diese jung, hübsch und willig war.

Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass sie sich in ihren, Rosies, Vater verliebt hatte, als sie: in den Sommerferien auf dessen Besitz als Aushilfsgärtnerin gearbeitet hatte.

Nachdem Rosie den Brief gefunden hatte, in dessen Briefkopf Troone Manor als Adresse angegeben war, fiel ihr wieder ein, dass ihr Großvater – den sie nie besucht hatte – auf diesem Anwesen als Gärtner gearbeitet hatte. Es lag nahe, dass er sich von seiner Tochter hatte helfen lassen, wenn zusätzliche Arbeitskräfte gebraucht wurden.

Ihre Mutter hatte ihr auch gestanden, dass der Mann, den sie liebte, verheiratet und ihm wie ihr die Verwerflichkeit ihrer Affäre bewusst gewesen sei. Ihrer Leidenschaft füreinander seien sie dennoch hilflos ausgeliefert gewesen.

Diese Geschichte hatte Rosie nur in einem Punkt glaubhaft gefunden: dass ihre Mutter den Mann von ganzem Herzen geliebt hatte. Ihr Liebhaber jedoch musste ein richtiger Schuft gewesen sein! Ein junges Mädchen von erst achtzehn Jahren zu verführen und dann sitzen zu lassen, klang nicht nach leidenschaftlicher Liebe.

Molly Lambert hatte die Ausbildung zur Gärtnerin abgebrochen, um ihr Baby versorgen zu können. Jegliche finanzielle Unterstützung fehlte ihr, und sie nahm Jobs als Reinigungskraft an, die ihr und dem Kind ein Leben nur knapp oberhalb der Armutsgrenze ermöglichten.

Nachdem Mrs. Partridge mir gesagt hatte, dass Sir Marcus in Spanien ist und erst in einigen Wochen zurückkommt, hätte ich das Einstellungsgespräch unter einem Vorwand abbrechen und nach Wolverhampton zurückkehren sollen, sagte Rosie sich nun zerknirscht und beugte sich wieder vor, um die Flecken von den Bodendielen zu entfernen. Aber nein, sie hatte mehr über ihren Vater herausfinden wollen und deshalb den Job angenommen, ein Fehler, denn nun kam sie sich wie eine Betrügerin vor, und das war kein angenehmes Gefühl.

Ihre Mutter war so vernünftig gewesen, das Vergangene ruhen zu lassen und zu akzeptieren, dass der Vater ihres Kindes ihr Leben nicht teilen konnte. Oder es nicht wollte? Ich hätte Moms Entscheidung respektieren und nichts weiter unternehmen sollen, tadelte Rosie sich und hätte am liebsten wieder geweint.

Tief seufzend begann sie, einen besonders hartnäckigen Farbfleck energisch mit der Bürste zu bearbeiten.

Sebastian wollte sein Zimmer betreten und wich sofort wieder einen Schritt zurück. Dann aber musste er lächeln beim Anblick der Gestalt in der viel zu großen braunen Kittelschürze, die den Boden gerade heftig zu schrubben begann, was ihren hübschen, wohlgerundeten Po zur Geltung brachte. Und ihm war sofort klar, dass die junge Frau nicht Sharon sein konnte, sondern nur Rosie Lambert, die Madge als zierlich beschrieben hatte. Ja, klein und zierlich war sie in der Tat – und alles andere als unansehnlich!

Er räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen, und zog überrascht die Brauen hoch, als die junge Frau so hastig, als hätte man sie bei etwas Verbotenem ertappt, aufstand und sich ihm zuwandte, die Bürste wie einen Schutzschild vor sich haltend.

Offensichtlich hatte Rosie Lambert geweint, denn in ihren großen Augen, die so blau wie Saphire waren, glitzerten noch Tränen.

Mitleid durchzuckte Sebastian. Hatte Madge nicht erwähnt, dass Rosie erst kürzlich ihre Mutter verloren habe? Hatte die Kleine vielleicht keine anderen Angehörigen? Keinen Vater, Geschwister? Niemand, der sich um sie kümmerte? Armes Mädchen!

Erstaunt über seine Überlegungen, stellte er den Koffer am Bett ab und runzelte die Stirn. Es war doch sonst nicht seine Art, gleichsam brüderliche Gefühle zu hegen und eine Frau beschützen zu wollen, oder? Nein, seiner Erfahrung nach waren Frauen sehr gut imstande, sich durchzusetzen und ihre Interessen zu wahren.

„Sie müssen Rosie sein“, sagte er nun und hatte den Eindruck, dass er die arme Kleine einschüchterte, und zwar so sehr, dass ihre Lippen bebten. Schön geschwungene rosige Lippen, die zum Küssen einluden …

Hatte er etwa den Verstand verloren? Wieso dachte er daran, ein Hausmädchen zu küssen? Er rang sich ein, wie er hoffte, beruhigendes Lächeln ab und stellte sich dann vor.

„Ich bin Sebastian Garcia und werde die kommenden Wochen hier verbringen und mich darum kümmern, dass bis zu Sir Marcus’ Rückkehr alles in Schuss ist.“

„Ach, Sie kennen meinen …?“ Rosie verstummte. Beinah hätte sie „meinen Vater“ gesagt! Heftig errötend beendete sie schnell den Satz: „… meinen Arbeitgeber?“

Was ist nur in mich gefahren?, fragte sie sich. Als sie einen Mann sich räuspern gehört hatte, hatte sie vermutet, dass ihr Vater unerwartet nach England zurückgekommen sei und das Zimmer betreten habe. Stattdessen stand da der attraktivste Mann, den sie jemals gesehen hatte. Ja, er war so umwerfend, dass sie den Blick nicht abwenden konnte.

Er hatte graue, von dichten schwarzen Wimpern gesäumte Augen, pechschwarzes Haar, eine aristokratisch wirkende schmale Nase und einen energischen Mund, bei dessen Anblick ihre Haut unerklärlicherweise zu prickeln begann. Außerdem war er groß, breitschultrig und muskulös, und er hatte einen leichten spanischen Akzent, was sie als unglaublich sexy empfand. Kein Wunder, dass sie sich … überwältigt fühlte!

„Ja, Sir Marcus ist mein Geschäftspartner und außerdem mein Onkel“, erklärte Sebastian Garcia freundlich.

Sie war enttäuscht, denn sie hatte gehofft, er sei auch ein Angestellter und stehe mit ihr auf einer gesellschaftlichen Stufe. Stattdessen gehörte er der reichen, angesehenen Familie an, die von ihrer Mutter und ihr nichts hatte wissen wollen. Weshalb ihr das nicht ganz gleichgültig war, konnte sie sich nicht erklären. Außer …

Wieder errötete Rosie heftig und senkte den Kopf, dabei glitt ihr Haar aus dem Band, mit dem sie es im Nacken zusammengefasst hatte, und verbarg ihre glühenden Wangen. Wie konnte sie sich nur für einen Mann interessieren, der so weit außerhalb ihrer Reichweite war, als würde er auf einem anderen Planeten leben? Na gut, er sah fantastisch aus – genau so, wie man sich den Helden eines Liebesromans vorstellte.

Sebastian lächelte amüsiert. Die Frauen, die sich in denselben Kreisen wie er bewegten, wurden nicht rot, wenn man sie ansprach. Nein, sie verzogen verführerisch die Lippen, senkten die Stimme und sandten unmissverständliche Signale aus, während sie einen Mann berechnend musterten. Rosie Lamberts Reaktion war eine ganz neue Erfahrung für ihn.

Ja, die Kleine war ungewöhnlich, und sie hatte ungewöhnlich schönes Haar: goldblond, dicht und glänzend. Ein schäbiges Band hatte sich in einer ihrer seidenweichen Haarsträhnen verfangen, und am liebsten hätte er es ihr aus dem Haar gezogen, aber dann wäre sie womöglich in Ohnmacht gefallen wie eine viktorianische Jungfer.

„Ich mache Ihnen sofort Platz“, sagte sie leise und wirkte befangen und angespannt.

Sebastian hätte sie am liebsten gefragt, warum sie so verkrampft sei und ob er ihr irgendwie helfen könne, unterließ es aber. Sie würde wahrscheinlich in Panik weglaufen, wenn er schon jetzt derartig persönliche Fragen stellte.

„Machen Sie ruhig weiter“, sagte er stattdessen sachlich. „Die Arbeit muss getan werden, und Sie stören mich überhaupt nicht.“

Rosie wandte sich ihm wieder zu. Er zog gerade die Lederjacke aus, und nun sah man erst richtig, wie athletisch er war: breite Schultern, schmale Hüften, lange Beine – ja, Sebastian Garcia sah unglaublich gut aus. Hitze durchflutete sie, als sie ihn beobachtete, wie er zum Schrank ging und seine Jacke aufhängte. Obwohl er sehr groß war – bestimmt einen Meter achtzig –, bewegte er sich sehr geschmeidig.

Plötzlich wurde Rosie der Mund trocken, und der Atem stockte ihr. Noch nie war ihr beim Anblick eines Manns so seltsam zumute gewesen … so als hätte sie keine Kontrolle mehr über ihren Körper und ihre Gedanken! Zum Glück merkte Sebastian Garcia nicht, wie starr sie ihn ansah, und er ahnte bestimmt nicht, welche Wirkung er auf sie ausübte.

Rasch kniete sie sich neben den Eimer und begann, energisch zu schrubben. Mr. Garcia hatte gesagt, sie würde ihn nicht stören. Warum auch? Sie war ja nur die Putzfrau, die man übersah, wenn man ihr nicht gerade Anweisungen gab. Es wäre äußerst dumm, sich für ihn zu interessieren, sagte Rosie sich streng. Mindestens so dumm, wie hierher nach Troone Manor zu kommen auf der Suche nach ihrem Vater, der von ihr nichts hatte wissen wollen!

2. KAPITEL

Rosie saß auf dem Bett in dem kleinen Mansardenzimmer, in dem sie die kommenden Wochen wohnen würde, und ließ betrübt die Schultern hängen. Sie hatte Geburtstag, und noch nie im Leben hatte sie sich so einsam gefühlt.

Dass sie den ganzen Tag damit verbracht hatte, Fußböden zu schrubben, machte ihr nichts aus, denn sie wurde schließlich dafür bezahlt. Sie wollte auch gar kein aufwendiges Fest, keine schön eingepackten Geschenke – ihr graute nur vor dem langen, leeren Abend.

Früher hatten sie und ihre Mutter die Geburtstage gefeiert, indem sie etwas besonders Leckeres gekocht und eine Kerze auf den Tisch gestellt hatten. Für teure Geschenke hatte das Geld nicht gereicht. Seit ihrem sechzehnten Geburtstag hatte es zum Essen allerdings immer eine Flasche preiswerten Weins gegeben.

Und nun vermisste sie ihre Mutter ganz schrecklich! Sie hatte im Kerzenlicht meist wieder ganz jung und sorglos ausgesehen, gelacht und fröhlich geplaudert.

Heißer Zorn erfüllte Rosie unvermittelt. Ihre Mutter hatte jeden miesen Job angenommen, um sie beide über Wasser zu halten, hatte geknausert und gespart, ohne über ihr schweres Los zu klagen, während der Mann, der ihr das alles angetan hatte, in Luxus schwelgte und keinen Gedanken an sie verschwendete!

Aufgebracht stand sie auf und ging in dem kleinen Zimmer hin und her, weil sie meinte, vor Wut in die Luft zu gehen.

Sie hatte sich im Lauf der Zeit abgewöhnt, nach ihrem Vater zu fragen, weil ihre Mutter immer nur behauptet hatte, sie habe ihn sehr geliebt – und er sie –, nur durch die Umstände sei ein Zusammenleben nicht möglich gewesen. Da sie dann immer sehr traurig gewirkt hatte, hatte Rosie nicht weiter nachgehakt.

Erst wenige Tage vor ihrem Tod hatte Molly Lambert alles gestanden. „Dein Vater weiß nicht, dass es dich gibt, Rosie. Damals lebte ich noch bei meinen Eltern, und als ich merkte, dass ich schwanger war, bin ich zu Hause sofort ausgezogen. Er war verheiratet, und wenn ich ihm gesagt hätte, dass ich ein Kind von ihm erwartete, wäre er in einen schrecklichen Gewissenskonflikt geraten. Ich habe ihn ohne ein Wort verlassen, weil ich es für alle Beteiligten am besten hielt.“ In ihre Augen traten Tränen. „Du darfst nicht schlecht von ihm denken, Rosie, denn das würde ich nicht ertragen. Er war ein wirklich feiner Mensch.“

Rosie hatte es damals nicht geglaubt und tat es noch immer nicht. Ihre Mutter hatte ihren Vater offensichtlich bis zum Schluss geliebt und ihn in Schutz genommen, damit seine Tochter ihm nicht ein Leben lang grollte.

Unwillkürlich legte sie die Hand auf das Medaillon, das sie unter dem verschlissenen T-Shirt trug und als Nachweis ihrer Abstammung benutzen konnte, wenn ihr jemals daran gelegen sein sollte. Sie wurde traurig, als sie sich erinnerte, wie ihre Mutter sie gebeten hatte, ihr die kleine Blechdose aus der Kommodenschublade zu geben. Darin hatte das kostbare Medaillon gelegen, mit glitzernden Saphiren und Brillanten besetzt.

„Dein Vater hat es mir damals geschenkt – als Zeichen seiner Liebe, deshalb bedeutet es mir unendlich viel, Rosie. Ich möchte, dass du es bekommst.“

„Sind das echte Edelsteine?“, hatte Rosie gefragt, weil sie vermutete, dass das Schmuckstück nur Talmi sei, so falsch wie die Liebe, die ihr Vater angeblich für ihre Mutter empfunden hatte.

Deren strahlendes Lächeln ließ sie diesen Verdacht jedoch sofort vergessen. „Ja, es ist sehr kostbar, Rosie, deshalb musst du gut darauf aufpassen. Er sagte mir damals, es sei ein Familienerbstück.“

Warum hast du es nicht verkauft und dir das Leben ein bisschen leichter gemacht?, fragte Rosie im Stillen, aber es wäre niederträchtig gewesen, es laut zu sagen, denn das „Liebespfand“ – oder war es als Abfindung gedacht? – bedeutete ihrer Mutter sichtlich sehr viel.

Nun blieb Rosie vor dem Spiegel stehen und bemerkte, dass ihre Augen vor Zorn blitzten. Wenn ich meinem Vater jemals begegne, gebe ich ihm das Medaillon kommentarlos zurück, schwor sie sich. Dann konnte er es seiner neuen Frau schenken. Sie wollte das hassenswerte Ding jedenfalls nicht behalten!

Sie schloss die Augen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Ihre gegenwärtige Lage brachte sie anscheinend völlig aus dem inneren Gleichgewicht, denn sie war sonst keine rachsüchtige Person, sondern, wie Jean immer behauptete, viel zu vertrauensvoll und nachgiebig. Deshalb höre ich jetzt auf, böse Gedanken über meinen Vater zu hegen, den ich nicht wirklich beurteilen kann, nahm sie sich vor. Sie sollte lieber ihren Plan ausführen, mehr über sich herauszufinden.

Wie sie es bewerkstelligen sollte, wusste sie allerdings nicht genau. Sie hatte erst einmal nur so weit gedacht, dass sie ihren Vater sehen und dann alles Weitere entscheiden wollte. Da er nicht hier war, konnte sie nur das Haus erkunden, das seit vielen Generationen seiner Familie gehörte, und hoffen, einige Hinweise auf seinen Charakter zu finden.

Ja, das war eine Möglichkeit, die sich sofort in die Tat umsetzen ließ!

Troone Manor war uralt, groß und verwinkelt. Im Dachgeschoss befanden sich vier Zimmer und ein Bad. Sharon hatte gemurrt, weil man sie hier oben untergebracht hatte, wo sie sich doch schon so darauf gefreut hatte, für einige Wochen in einem der viel luxuriöseren Gästezimmer im ersten Stock zu wohnen. Sie habe, wie sie sagte, den Job nur angenommen, um etwas Geld zu verdienen und dann zu ihrem Freund in die Stadt zu ziehen, denn das Leben in dem öden Nest Hope Baggot hänge ihr zum Hals heraus.

Rosie hingegen fand ihr Zimmer bezaubernd. Es war richtig romantisch mit den schrägen Wänden, dem unebenen Fußboden und den rau verputzten Wänden, und an dem kleinen Fenster in der Dachgaube hingen hübsche Gardinen mit Zweigmuster. Das Dorf war malerisch, soviel sie bisher davon gesehen hatte, und sie freute sich schon auf ihren freien Sonntag, an dem sie das Haus suchen wollte, in dem ihre Großeltern gelebt hatten und ihre Mutter geboren worden war.

All das hatte sie Sharon allerdings nicht anvertraut, denn trotz ihrer nur kurzen Bekanntschaft war ihr klar, dass man mit Sharon nicht diskutieren konnte, wenn diese mürrisch war.

Langsam ging Rosie vom Dachgeschoss in den ersten Stock und lauschte. Im Haus war es völlig still. Offensichtlich war niemand außer ihr da. Sharon war nach dem Abendessen von ihrem Freund abgeholt worden. Sie hatte sich mit einem engen violetten Minirock und einem schwarzen Lurexpullover herausgeputzt, ein Outfit, das ihrer üppigen Figur nicht unbedingt schmeichelte.

„Denk dran, Sharon, dass das Haus um elf Uhr abgeschlossen wird. Und nein, du brauchst gar nicht erst zu fragen, ob du einen Schlüssel haben kannst“, hatte Mrs. Partridge gesagt. „Wenn du nicht rechtzeitig wieder hier bist, wirst du ausgesperrt.“

Sharon verließ, trotzig die leuchtend rot gefärbte Lockenpracht schüttelnd, die Küche, und die Haushälterin wandte sich Rosie zu.

„Sie dürfen gern fernsehen, Kindchen, oder sich eine Tasse Tee machen. Ich ziehe mich jetzt in mein Zimmer zurück und lege die Füße hoch.“

Sebastian Garcia war nach London gefahren, um in der Firma, die ihm und Sir Marcus gehörte, etwas Dringendes zu regeln, deshalb hatte Rosie ihn seit der ersten Begegnung in seinem Zimmer am Tag zuvor nicht mehr gesehen.

Und das ist gut so, sagte sie sich und lächelte gequält. Sie würde sich nicht zum Narren machen, indem sie jemand anhimmelte, der unerreichbar war – und indem sie rot wurde und zu stottern anfing, wenn er sie ansprach.

Im Moment hatte sie also das weitläufige, verwinkelte Herrenhaus ihres Vaters für sich. So noble Häuser hatte sie bisher nur in Zeitschriften beim Zahnarzt zu sehen bekommen, und sie kam sich fast wie eine Einbrecherin vor, als sie, anstatt die hintere Treppe zur Küche zu benutzen, die Haupttreppe hinunterging.

Ich tue nichts Unrechtes, beschwichtigte Rosie sich. Nein, als Sir Marcus’ Tochter hatte sie jedes Recht, sich hier aufzuhalten, oder? Und sie wollte ja nur die Atmosphäre aufnehmen und versuchen, sich ein Bild von der Persönlichkeit ihres Vaters zu machen, anhand seiner Bücher und vielleicht von Familienfotos.

Die Halle wurde nur von einer Tischlampe und dem verglühenden Feuer im Kamin erhellt. Als Rosie unten anlangte, schlug die große Standuhr laut acht Mal und erschreckte sie dermaßen, dass ihr Herz wie wild pochte. Sie presste die Hand aufs Herz, und als sie dabei das Medaillon berührte, fasste sie wieder Mut und beschloss, mit ihrer Erkundungstour weiterzumachen, anstatt sich auf ihr Zimmer zu flüchten.

Sie straffte sich und schlenderte dann von einem Zimmer zum anderen. Überall waren die Möbel mit Schutzbezügen verhüllt, da die Maler erst vor Kurzem ihre Arbeit beendet hatten. Schließlich ging sie zwei ausgetretene Stufen hinunter und stand vor einer alten Tür aus massiven Eichenbohlen. Dahinter befand sich ein Raum, der Marcus Troone offensichtlich als Arbeitszimmer diente. Bücherregale reichten vom Fußboden bis zur Decke mit den vom Alter geschwärzten dicken Balken, an der einen Wand stand ein moderner Schreibtisch mit Computer, einem Faxgerät und zwei Telefonen.

Rosie fühlte sich von den Regalen wie magisch angezogen. Hier standen schön gebundene Ausgaben klassischer und moderner Literatur neben Biografien, Gedichtsammlungen, Kriminalromanen in Taschenbuchausgabe und einer ganzen Abteilung Gartenbücher. Auf einem der unteren Regalbretter fand sie schließlich, wie sie gehofft hatte – ein dickes Fotoalbum.

Mit bebenden Fingern zog sie es aus dem Regal und legte es auf den Schreibtisch. Als Erstes waren Hochzeitsfotos eingeklebt. Ob der blonde junge Mann mit dem markanten schmalen Gesicht ihr Vater war? Er stand vor einer kleinen alten Kirche und hatte eine wunderschöne dunkelhaarige junge Frau untergehakt, die ein traumhaftes Hochzeitskleid trug. Rosie blätterte weiter und stieß auf das Foto einer dunkelhaarigen Frau, die ein Pony festhielt, auf dem ein kleiner Junge saß und strahlend lächelte. Auf einem anderen Bild sah man sie im Rollstuhl sitzen, neben ihr stand ein Mann mittleren Alters, dem sie, wie es schien, gerade Anweisungen gab, wo er etwas einpflanzen sollte. Ob das mein Großvater ist?, fragte Rosie sich. Es war schwer zu sagen.

Am Ende des Albums fand sie eine Ablichtung, auf der eine Gruppe von drei Leuten vor einem großen Glashaus zu sehen war. Der eine Mann war unverkennbar ihr Großvater und wirkte entspannt und zufrieden. Neben ihm ihre Mutter: ein schlankes junges Mädchen, das eine alte Cordhose und ein kariertes Hemd trug und vor Lebensfreude förmlich strahlte. Der andere Mann war derselbe wie auf dem Hochzeitsfoto, nur älter. Er blickte lächelnd zu Molly.

Rosie wurde ganz elend zumute. Damals hatte ihre Mutter so glücklich ausgesehen! Sie hatte an jenem Sommertag bestimmt noch nicht geahnt, was für einen Kummer die Zukunft ihr bringen würde.

Rasch schloss Rosie das Album und trug es zurück, konnte es jedoch nicht an seinen angestammten Platz stellen, denn irgendetwas war im Weg. Sie kniete sich hin und zerrte ein Buch heraus, um mehr Platz zu schaffen. Das Album schien ihr mit einem Mal die Hände zu versengen, und sie wollte es so schnell wie möglich loswerden.

Plötzlich fielen einige Fotos heraus, und sie stöhnte laut. Warum nur hatte sie das verflixte Album überhaupt angefasst?

Auf dem Weg durch die Halle blieb Sebastian am Kamin stehen und legte einige Scheite auf die Glut. Er war müde und hungrig. Das Haus schien verlassen zu sein. Madge war um diese Zeit bestimmt in ihrem Zimmer, und er wollte sie nicht mehr stören. Ein Omelett konnte er sich zur Not auch selbst zubereiten und es am Kamin essen. Ein, zwei Gläser Wein dazu wären nicht schlecht.

Allmählich entspannte er sich. Die Rückfahrt von London war ein wahrer Albtraum gewesen, da überall Bauarbeiten und Staus den Verkehr behindert hatten. Warum bin ich eigentlich nicht in der Stadt geblieben?, fragte Sebastian sich und runzelte die Stirn. Wenigstens hatte er das Problem in der Firma gelöst, dessentwegen man ihn so dringend nach London beordert hatte. Wenn ihn keine weiteren Hilferufe des Managers erreichten, würde er sich ab jetzt den Problemen in Troone Manor widmen können.

Nun musste er nur noch in Marcus’ Arbeitszimmer nachsehen, ob vielleicht ein Fax eingetroffen war, dann konnte er sich etwas zu essen machen. Auf dem Weg dorthin fragte er sich flüchtig, ob sich die beiden Mädchen wohl schon eingewöhnt hätten.

Sharon Hodges hatte keinen guten Ruf im Dorf. Sie galt als faul, und ihre Moral ließ, wenn man den Klatschbasen glauben durfte, sehr zu wünschen übrig. Wahrscheinlich lag sie momentan auf ihrem Bett und stopfte sich mit Pralinen voll oder färbte sich die Haare in einer neuen, Aufsehen erregenden Schattierung.

Und Rosie Lambert? Hatte Madge nicht erwähnt, dass das Mädchen heute Geburtstag hatte? War Rosie ausgegangen, um mit Freunden zu feiern? Oder mit einem ganz speziellen Freund vielleicht? Sie war ja wirklich sehr attraktiv und wirkte zugleich äußerst verletzlich. Beinah zerbrechlich. Dass ein ungehobelter junger Mann hinter ihr her sein könnte, ließ Sebastian die Stirn runzeln, während er die Tür zum Arbeitszimmer öffnete. Plötzlich hielt er kurz den Atem an, dann lächelte er breit.

„Das wird wohl allmählich zur Gewohnheit“, sagte er dann.

Rosie war vor Schreck wie gelähmt, als sie die tiefe, ihr bekannte Stimme hörte. Seltsame Empfindungen durchfluteten sie, und ihre Haut begann zu prickeln. Was würde Sebastian Garcia nun von ihr denken? Sie hatte vermutlich kein Recht, sich hier im Arbeitszimmer aufzuhalten.

„Es tut mir leid“, begann sie und stand schnell auf, eins der Fotos noch in der Hand. Wieder einmal errötete sie heftig und kam sich wie eine Närrin vor, vor allem, als sie sein amüsiertes Lächeln bemerkte, das unglaublich sexy wirkte.

„Keine Ursache“, erwiderte Sebastian und sagte sich, dass er sich tatsächlich daran gewöhnen könnte, nach dem Öffnen einer Tür als Erstes diese entzückende junge Frau zu sehen. „Sie arbeiten doch nicht etwa noch immer?“, erkundigte er sich schroff.

Was dachte Madge sich eigentlich? Sicher, es gab viel zu tun, aber das war doch kein Grund, dieses zarte Geschöpf Überstunden machen zu lassen. Nein, das würde nicht mehr vorkommen, dafür würde er sorgen!

Rosie hatte plötzlich das Gefühl, in ihrem Bauch würden sich Schmetterlinge tummeln. Sie versuchte, Sebastian nicht starr anzusehen, aber sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Er sah wirklich umwerfend aus. Bestimmt war sein grauer Anzug maßgeschneidert, denn er passte ihm wie angegossen und betonte seine breiten Schultern und die schmalen Hüften und langen Beine. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es wäre, von einem so gut aussehenden Mann geküsst zu werden. Nein, nicht von irgendeinem, sondern von Sebastian Garcia!

Wahrscheinlich würde ich in Ohnmacht fallen, wenn er es versuchte, dachte sie erregt. Schließlich gelang es ihr, sich zusammenzureißen und seine Frage zu beantworten.

„Nein, ich arbeite schon seit Stunden nicht mehr. Ich habe nur etwas zum Lesen gesucht“, erklärte sie befangen und war sich überdeutlich bewusst, dass sie wieder einmal errötete. Sie fand es schrecklich, ihn zu belügen, aber was blieb ihr anderes übrig? Die Wahrheit konnte sie ihm auf gar keinen Fall gestehen.

Doch sie musste ihm wohl erklären, warum sie das Foto in der Hand hielt.

„Ich war ungeschickt und habe das Album vom Regal gestoßen. Dabei sind die Fotos herausgefallen.“ Rosie wies auf die herumliegenden Bilder.

„Macht nichts, es ist ja nichts weiter passiert“, beruhigte Sebastian sie und runzelte die Stirn. Warum war Rosie so nervös? Sie sah aus wie ein kleiner Hund, der erwartete, für ein geringfügiges Vergehen bestraft zu werden. Wer hatte sie so eingeschüchtert? Wenn er den in die Finger bekam, konnte der sich auf etwas gefasst machen!

Nun bebten auch noch ihre Lippen. Wahrscheinlich sah er sie unbewusst so finster an, dass sie noch panischer wurde. Er lächelte beschwichtigend und ging langsam zu ihr.

„Darf ich?“, fragte er und nahm ihr das Foto ab.

Seine Stimme klang so sanft, dass Rosie unwillkürlich erschauerte. Warum nur übte Sebastian eine solche Wirkung auf sie aus? Noch nie hatte sie Ähnliches empfunden – und sie konnte gut auf derartige Gefühle verzichten! Rasch verschränkte sie die Arme vor der Brust, als sie spürte, wie sich die Spitzen unwillkürlich aufrichteten.

Er blickte lächelnd auf das Foto in seiner Hand. „Ach ja, ich erinnere mich! Tante Lucia hat mir damals meine erste Reitstunde gegeben.“

„Ihre Tante war Sir Marcus’ Frau?“, fragte Rosie, nachdem sie ebenfalls einen Blick auf das Bild geworfen hatte.

„Ja.“ Plötzlich wirkte Sebastian wehmütig, während er das Foto ins Album zurücklegte. „Sie war eine wunderbare Frau, nicht nur schön, sondern auch ein großartiger Mensch. Leider hat das Schicksal es nicht gut mit ihr gemeint. In dem Sommer, als das Foto gemacht wurde, erkrankte sie an multipler Sklerose, die sich rasch verschlimmerte. Es hat mich so zornig gemacht, dass es ausgerechnet meine Tante traf. Das fand ich unfair. Wenn ich denke, wie elend ihr Leben danach war, bin ich noch immer erschüttert.“ Er stellte das Album ins Regal zurück.

Rosie wurde elend zumute. Sebastian würde außer sich vor Zorn sein, falls er erfuhr, dass sein Onkel Marcus seine Frau Lucia betrogen hatte und sie, Rosie, der lebende Beweis für die lang zurückliegende Affäre war.

Beschämt senkte sie den Blick. Ihr war klar, dass sie den Plan sofort aufgeben sollte, sich ihrem Vater zu offenbaren. Trotzdem wollte sie unbedingt herausfinden, ob er ihre Mutter geliebt hatte, wollte wissen, ob sie, Rosie, ihm vertrauen konnte oder ihn verachten musste. Und außerdem sehnte sie sich danach, akzeptiert zu werden und wenigstens einen Menschen zu haben, der ihr nahestand.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen ja ganz blass aus.“ Sebastian betrachtete Rosie durchdringend und reichte ihr das Buch, das sie aus dem Regal gezogen und davor hingelegt hatte – einen Bildband über Schwerter. Eine seltsame Wahl für ein so zierliches, scheues Geschöpf!

„Ja, mir geht es gut“, antwortete Rosie. Hoffentlich fragte er sie jetzt nicht, warum sie sich ausgerechnet dieses Buch ausgesucht habe und wie lange sie sich schon für das Thema interessiere.

Das arme Kind sieht nicht gerade glücklich aus, dachte Sebastian. Nein, ein Kind war sie nicht! Sie war heute, wie ihm plötzlich einfiel, zwanzig Jahre alt geworden.

„Übrigens: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, gratulierte er freundlich.

Ihre Reaktion überraschte ihn. Rosie sah ihn an, und ihre tiefblauen Augen leuchteten auf, dann lächelte sie strahlend.

„Woher wissen Sie, dass ich Geburtstag habe? Es weiß doch außer Mrs. Partridge sonst keiner hier.“ Bisher hatte ihr niemand gratuliert, und dass ausgerechnet Sebastian es als Einziger tat, war für sie etwas ganz Besonderes. Es entschädigte sie dafür, dass sie nicht einmal eine Glückwunschkarte von Jean bekommen hatte, die bisher noch nie ihren Geburtstag vergessen hatte. Als Kind hatte sie sich beim Einkaufen in Jeans Laden dann immer etwas von den Süßigkeiten aussuchen dürfen.

„Madge hat es beiläufig erwähnt“, erklärte Sebastian kurz angebunden und betrachtete sie weiterhin. Ihre Wangen waren rosig, und das brachte das strahlende Blau ihrer großen Augen noch besser zur Geltung. Freude so unverhohlen zeigen zu können war seiner Erfahrung nach selten bei Frauen. Zumindest bei den Frauen, die er kannte. Die würden sich auch nicht mit einem einfachen Glückwunsch zufriedengeben, sondern mindestens ein Brillantcollier oder ein neues Auto als Geschenk erwarten.

„Trinken Sie zur Feier des Tages eine Flasche Wein mit mir, Rosie“, bat er sie spontan.

Überrascht sah sie ihn an, und er fragte sich, wieso er auf die Idee gekommen war. Eigentlich wollte er doch seine Ruhe haben und sich nach den vergangenen anstrengenden Tagen entspannen.

Rosie war zunächst sprachlos, dann schluckte sie trocken. „Danke, aber das ist wirklich nicht nötig“, wehrte sie bescheiden ab. Er lud sie ja nur aus Mitleid zu einem Glas Wein ein.

Wahrscheinlich war er ein mitfühlender Mensch, der Bettlern großzügig Geld gab und ausgesetzte Katzen und Hunde rettete – aber mit ihm Wein zu trinken wäre das Letzte, was für sie infrage kam. Bestimmt würde sie sich verraten und ihm offenbaren, dass sie sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlte, was er nicht einmal ahnen durfte.

Sebastian hätte sich jetzt zurückziehen können, aber das wollte er nicht. Plötzlich war er überhaupt nicht mehr müde. Anscheinend hat niemand an ihren Geburtstag gedacht, überlegte er leicht verärgert. Das würde er ändern!

„Sie würden mir einen Gefallen tun, Rosie. Ich habe einen hektischen Tag hinter mir und möchte mich jetzt bei einem Glas Wein entspannen, aber ich trinke nicht gern allein.“

Das hat sie überzeugt, dachte er zufrieden, als er den verständnisvollen Ausdruck in ihren Augen entdeckte. Den Schwachpunkt eines Menschen zu finden und sich zu Nutze zu machen, hatte er gelernt, und sein Gespür sagte ihm sofort, dass Rosie ein mitfühlender Mensch war.

„Bitte, seien Sie so nett, und leisten Sie mir Gesellschaft“, fügte er einschmeichelnd hinzu.

Sein Blick ließ Rosie erschauern, und ihr wurde der Mund trocken. Er lud sie also nicht ein, weil sie ihm leidtat, sondern weil er nicht allein sein wollte. Dass er sie jedoch um einen Gefallen bat, änderte alles.

„Ja, gut, wenn Sie das wünschen“, stimmte sie heiser zu.

„Gracias“, bedankte er sich in seiner Muttersprache und lächelte.

Rosie wurde ganz seltsam zumute, und als er ihr den Arm um die Schultern legte und sie aus dem Arbeitszimmer führte, wurden ihr sogar die Knie weich.

Reiß dich zusammen, ermahnte Rosie sich und widerstand dem Wunsch, sich an Sebastian zu schmiegen und ihm den Arm um die Taille zu legen.

Er war wirklich umwerfend attraktiv und weckte ungeahnte Empfindungen in ihr, aber ihr war auch klar, dass er sich für Mädchen wie sie nicht interessierte.

Sebastian führte sie zu einem der Sofas am Kamin in der Halle und ging zur Küche, um den Wein zu holen.

Rosie setzte sich in die eine Ecke des Sofas. Sie würde ein Glas Wein mit ihm trinken, höflich plaudern und ihn auf keinen Fall ansehen, denn wenn er merkte, wie hinreißend sie ihn fand, würde sie vor Scham im Boden versinken.

Doch wo blieb er nur? Rosie wurde immer nervöser. Hatte er sie etwa vergessen? Mich kann man im Gegensatz zu ihm ja leicht übersehen, dachte sie bedrückt und beschloss, ins Bett zu gehen, doch da kam er zurück.

Ihr Herz schien einen Schlag lang auszusetzen, und unwillkürlich hielt sie den Atem an, während Sebastian zwei Gläser und die bereits geöffnete Flasche auf einen kleinen Tisch stellte und sich Rosie zuwandte. Der Blick seiner grauen Augen schien sie zu hypnotisieren, und sie vergaß völlig, dass sie sich geschworen hatte, ihn nicht anzusehen.

Ihr Verstand setzte offenbar aus, sobald Sebastian in der Nähe war!

Er nahm etwas vom Tablett und kam zu ihr. „Das ist für Sie, Rosie“, sagte er und neigte sich zu ihr. Dann nahm er ihre Hand und legte ihr eine wunderschöne weiße Kamelienblüte auf die Handfläche. „Die habe ich aus Marcus’ Glashaus stibitzt. Er hätte allerdings bestimmt nichts dagegen. Es ist kein großartiges Geschenk, aber vielleicht bringt es Sie doch zum Lächeln?“

Schnell richtete Sebastian sich wieder auf. Rosie musste glauben, er wolle Süßholz raspeln. Wieso hatte er überhaupt die Blume geholt? Das kam ihm jetzt lächerlich vor.

Doch als Rosie tatsächlich strahlend lächelte, wusste er, dass es keineswegs ein dummer Gedanke gewesen war, ihr eine Freude machen zu wollen.

Sie betrachtete die zarte Blüte in ihrer Hand, dann sah sie auf, und ihre blauen Augen leuchteten. „Die ist perfekt“, sagte sie leise.

Und nun konnte Sebastian sich nicht länger beherrschen. Wieder neigte er sich zu ihr, und diesmal küsste er sie.

3. KAPITEL

Rosies weiche Lippen waren noch verführerischer, als Sebastian es sich ausgemalt hatte. Sie hielt einen Moment lang ganz still, dann erwiderte sie den Kuss hingebungsvoll.

Heißes Begehren durchflutete Sebastian, und als er spürte, wie sie erschauerte, legte er ihr die Hände auf die Schultern. Ob er sich oder sie festhalten wollte, konnte er nicht sagen. Immer leidenschaftlicher wurde der Kuss und Sebastians Verlangen immer stärker. Er ließ, ohne zu überlegen, die Hände zu Rosies Brüsten gleiten: kleinen, perfekt gerundeten Brüsten, deren Spitzen sich aufrichteten.

Als sie tief seufzte und ihm die Finger ins Haar schob, kam Sebastian jedoch wieder zur Besinnung und löste sich unvermittelt von ihr. Was war nur in ihn gefahren? Als er den verwirrten, ja, verstörten Ausdruck in ihren Augen sah, pochte sein Herz wie rasend.

„Jetzt trinken wir den Wein“, verkündete Sebastian rau und wandte sich ab. Verdammt, was war nur mit ihm los? Noch einige Momente länger, und er hätte mit Rosie geschlafen, gleich hier auf dem Sofa.

Mit zittrigen Fingern füllte er zwei Gläser. Zum ersten Mal im Leben verachtete er sich für sein Verhalten, und das behagte ihm gar nicht. Offensichtlich hatte er so lange auf Sex verzichtet, dass sein Trieb mit ihm durchging!

Es war vermutlich keine besonders gute Idee, jetzt Alkohol zu trinken, wenn er so erregt war. Wenn er jedoch Rosie nun allein ließe, was am vernünftigsten wäre, würde sie wissen, dass der Kuss eine katastrophale Wirkung auf ihn ausgeübt hatte.

Nein, ich muss so tun, als ob es mir überhaupt nichts bedeutet hätte, sagte Sebastian sich. Er würde sich nicht einmal entschuldigen und auch nicht vorschlagen, den Zwischenfall einfach zu vergessen, sondern so tun, als wäre das alles ganz beiläufig passiert und so nebensächlich, dass es keiner Erwähnung wert wäre.

Rosie war schockiert. Ungeahnte Empfindungen bestürmten sie so heftig, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand. Weshalb hatte Sebastian sie geküsst und sich dann so unvermittelt von ihr abgewandt? Hatte er denn nicht gespürt, dass sie nicht hatte aufhören wollen?

Der Kuss war himmlisch und zugleich erschreckend gewesen, und sie hatte sich danach gesehnt, so geküsst zu werden, seit sie Sebastian zum ersten Mal gesehen hatte. Spürte er das nicht?

Natürlich weiß er es nicht, meldete sich ihre innere Stimme zu Wort. Er hatte ihr nur einen brüderlichen Kuss zum Geburtstag geben wollen, weil sie ihm leidtat.

Und was habe ich getan?, fragte Rosie sich. Sie hatte sich ihm an den Hals geworfen und dann völlig die Beherrschung verloren. Ja, sie wäre bereit gewesen, alles zu tun, was Sebastian von ihr verlangt hätte – doch in genau dem Moment hatte er sich so schnell zurückgezogen, als hätte er einen Schock erlitten. Noch nie hatte sie sich so unwohl gefühlt – und so sehr geschämt.

Eine Träne rollte ihr über die Wange und tropfte auf die Kamelienblüte, die zerdrückt in ihrer Hand lag. Rosie fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht und versuchte dann, die Blütenblätter zu glätten. Sie würde die Blüte pressen und für alle Zeiten aufbewahren.

Sebastian wandte sich ihr zu, die beiden Weingläser in den Händen, und zu ihrer Erleichterung wirkte er völlig ungerührt. Sie hätte es nicht ertragen, wenn er einen Scherz über ihr schamloses Benehmen gemacht hätte.

Er reichte ihr höflich lächelnd ein Glas und setzte sich dann so weit wie möglich von ihr entfernt aufs Sofa.

„Sie hätten Angehörige oder Freunde einladen können, um mit ihnen Geburtstag zu feiern, Rosie“, sagte Sebastian betont locker, um sich nicht anmerken zu lassen, wie gern er sie wieder geküsst und gestreichelt hätte. „Sie dürfen in Ihrer Freizeit durchaus Besuch empfangen. Weder Madge noch ich möchten, dass Sie sich hier wie eine Gefangene fühlen.“

Dem Himmel sei Dank, dass er mein schreckliches Benehmen nicht erwähnt, dachte Rosie erleichtert. Er verhielt sich jetzt wieder distanziert wie ein Arbeitgeber und ermöglichte ihr so, das Gesicht zu wahren.

Sie räusperte sich und versuchte, so gelassen zu antworten, wie es von ihr erwartet wurde. „Danke für das Angebot, aber es gibt niemanden, den ich hätte einladen können.“ Am liebsten hätte sie sich gleich darauf auf die Zunge gebissen, als sie seinen mitfühlenden Blick bemerkte. Hoffentlich glaubte er jetzt nicht, sie hätte es nur gesagt, um sein Mitleid zu erwecken.

Um etwas zu tun, trank sie einen großen Schluck Wein, der wesentlich besser schmeckte als das billige Zeug, das sie und ihre Mutter sich hatten leisten können.

„Wirklich niemanden?“, hakte Sebastian nach. „Entschuldigen Sie die persönliche Frage. Madge hat erwähnt, dass Sie vor Kurzem Ihre Mutter verloren haben, aber was ist mit Ihrem Vater? Und haben Sie keine Brüder oder Schwestern?“

„Nein, ich habe keine Geschwister“, erwiderte Rosie und überging das heikle Thema „Vater“. „Ich war immer mit meiner Mutter allein.“ Wieder trank sie einen großen Schluck, um zu überspielen, dass ihre Lippen bebten.

Sebastian beugte sich vor, das Weinglas in den Händen, aus dem er noch nicht getrunken hatte. „Und was ist mit Ihrem Freund?“, fragte er kurz angebunden und wunderte sich über seinen schroffen Ton. Warum hatte er die Frage überhaupt gestellt?

Es ging ihn schließlich nichts an! Allerdings hätte er gewettet, dass Rosie eine ganze Schar Verehrer hatte. Obwohl ihre großen blauen Augen so unschuldig blickten und sie so verletzlich wirkte, war sie offensichtlich nicht unerfahren. Ja, vorhin war sie erregt gewesen – und durchaus bereit, sich mit ihm einzulassen. Er hätte sie haben können, einfach so.

„Ich habe keinen Freund.“ Rosie senkte den Blick, als sie sah, wie Sebastian sie anfunkelte. Hatte sie etwas falsch gemacht? Bestimmt nicht. Er versuchte ja nur, freundlich mit ihr zu plaudern und als echter Gentleman nicht zu erwähnen, dass sie sich vorhin wie ein schamloses Flittchen verhalten hatte. Warum war sie dann so nervös?

Will sie damit sagen, dass sie zurzeit keinen Freund hat?, überlegte Sebastian finster. Das würde er sie aber nicht fragen. Es spielte schließlich überhaupt keine Rolle! Rosie errötete nun wieder und befeuchtete sich die vollen Lippen, die er gern nochmals geküsst hätte.

„Sie meinen, es gibt momentan keinen Mann in Ihrem Leben, Rosie?“, hörte er sich fragen und war über sich entsetzt. Warum ließ er das Thema nicht ruhen? Er wusste wirklich nicht, warum.

Rosie leerte verzweifelt das Glas in einem Zug. Warum fragte Sebastian sie aus? Er sah jetzt sehr herrisch aus und wirkte irgendwie angespannt. Wieso ließ er sie nicht einfach in Ruhe und gab ihr die Gelegenheit, Gute Nacht zu sagen, sich für den Wein zu bedanken und sich in ihr Zimmer zurückzuziehen?

Ihr Liebesleben konnte ihn doch nun wirklich nicht interessieren, oder? Nein, natürlich nicht! Das wahre Leben verlief nicht wie im Liebesroman, wo der Held in Erfahrung zu bringen versuchte, ob er sich Hoffnungen machen durfte. Und so naiv war sie nun auch wieder nicht, das nicht zu wissen. Reiche, attraktive, genau kalkulierende Geschäftsleute fingen keine Affären mit Mädchen wie ihr an.

Sebastian fragte sie sicherlich nur deswegen so aus, weil er ihren eigentlichen Arbeitgeber Sir Marcus vertrat. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke, und ihr wurde ganz flau zumute. Da sie sich vorhin so zügellos benommen hatte, dachte Sebastian wahrscheinlich, dass sie mit jedem ins Bett ginge und demnächst die Männer vor dem Haus Schlange stehen würden!

Bei der Vorstellung hätte sie beinah hysterisch aufgelacht. Rasch atmete sie tief durch, um sich zu beruhigen, und beschloss, ihm diese Sorge zu nehmen.

„Ich habe noch nie einen Freund gehabt“, erklärte sie tapfer und errötete tief.

Die Mädchen in der Schule hatten sie gnadenlos geneckt, weil sie nicht an jungen Männern und Sex interessiert gewesen war. Mit den Halbstarken in der Siedlung hatte sie nichts zu tun haben wollen, und sie war auch deshalb nicht an einer Beziehung interessiert, weil das Schicksal ihrer Mutter ihr immer als Warnung vor Augen stand.

Daran jetzt und hier im Haus Marcus Troones zu denken, machte Rosie plötzlich zugleich zornig und traurig.

„Ich habe mich gleich nach der Schule ausschließlich um meine Mutter kümmern müssen, die unheilbar an Krebs erkrankt war“, erklärte sie. „Als es mit ihr zu Ende ging, hätte sie in ein Hospiz gehen können, aber das wollte sie nicht – und ich auch nicht. Ich habe sie bis zuletzt gepflegt, und deshalb ist mir keine Zeit für Freundschaften und Beziehungen geblieben.“ Sie atmete wütend aus und stand auf.

Nachdem sie das leere Glas abgestellt hatte, wünschte sie Sebastian kühl eine gute Nacht und ging, den Kopf erhoben, energischen Schritts die Treppe hinauf. Noch nie hatte sie sich so selbstsicher gefühlt, und in dem Moment hasste sie Sebastian beinah.

Jetzt bin ich abgeblitzt und unmissverständlich in die Schranken gewiesen worden, dachte Sebastian und lächelte gequält. Es war eine ganz neue Erfahrung für ihn – und eine Herausforderung. Nachdenklich blickte er Rosie nach, wie sie die Stufen hinaufging.

Sollte er ihr glauben, dass sie noch keinen Freund gehabt hatte? Anfangs hatte sie völlig unschuldig gewirkt und seinen Beschützerinstinkt geweckt, doch dann hatte sie so leidenschaftlich auf den Kuss reagiert, dass die Vermutung nahelag, dass sie schon oft einen Mann geküsst hatte. Außerdem hätte sie sich ihm, wenn er es nur gewollt hätte, ganz hingegeben, dessen war er sich sicher.

War sie trotzdem eine kleine Unschuld? Anerkennend betrachtete er ihre schlanken Hüften, während sie die Treppe hinaufging. Nein, naiv und unschuldig war Rosie bestimmt nicht! Ein so attraktives Mädchen hatte mit Sicherheit Schwärme von Verehrern.

Er trank einen Schluck Wein und versuchte, sich zu entspannen. Was ging es ihn an, ob sie log oder nicht? In zwei, drei Wochen würde er nach Spanien zurückkehren und mit Rosie nichts mehr zu tun haben. Außerdem gehörte sie nur vorübergehend zum Personal seines Onkels. Dass sie anders war als die Frauen, mit denen er sich sonst abgab, machte Rosie allerdings reizvoll – vor allem, da sie auch noch sehr sexy war.

Schnell stand er auf und füllte sein Glas auf, dann zog er das Jackett aus und öffnete, nachdem er die Krawatte abgenommen hatte, die obersten Hemdenknöpfe. Ihm war seltsam heiß.

Und nun durfte er nicht länger an Rosie denken, sondern musste sich auf Wichtigeres konzentrieren: wie er zum Beispiel seinem Onkel Marcus klarmachen konnte, was für eine Frau Irina war, bevor dieser dieses geldgierige Biest als seine zukünftige Frau nach England brachte. Denn wenn sie sich erst einmal hier eingenistet hätte, würde man sie nicht mehr so schnell loswerden. Deshalb musste er dafür sorgen, dass es gar nicht erst dazu kam.

Als er zurück zum Sofa ging, bemerkte er das Buch, das Rosie liegen gelassen hatte, und fluchte leise. Da hatte er es gerade geschafft, nicht mehr an sie zu denken, und nun drängte sie sich wieder ungebeten in seine Gedanken.

Sie hatte es so eilig gehabt, ihn in die Schranken zu weisen, dass sie ihre Bettlektüre vergessen hatte. Stirnrunzelnd nahm er den dicken Bildband in die Hand und wunderte sich erneut, was Rosie sich zum Lesen ausgesucht hatte. Unvermittelt beschloss er, nach oben zu gehen und ihr das Buch zu bringen. Sie hatte ihn erst wenige Minuten zuvor verlassen und würde bestimmt noch nicht im Bett liegen. Ja, er würde es ihr mit einer unverbindlich freundlichen Bemerkung überreichen, um zu zeigen, dass er ihr nicht böse war wegen dem, was vorhin passiert war, sondern ihn der Zwischenfall völlig gleichgültig ließ. Damit würde er einen Schlussstrich ziehen, ein für alle Mal.

Rosie duschte kurz und ging dann in ihr Schlafzimmer, wobei sie den Gürtel ihres alten Morgenmantels eng um die Taille schlang.

Ihre Sachen lagen noch auf dem Boden verstreut. Man hatte ihr und Sharon eingeschärft, dass sie ihre Wäsche jeden Abend in die Waschküche bringen sollten, damit Mrs. Partridge sich am nächsten Tag gleich darum kümmern konnte und so vermieden wurde, dass sich Wäscheberge anhäuften.

Rosie stieß die Sachen mit einem Fuß unters Bett. Sie würde jetzt nicht mehr durchs Haus laufen, weil dann die Gefahr bestand, Sebastian nochmals zu begegnen, und das wollte sie vermeiden. Heute Abend – und an den kommenden Tagen ebenfalls, wenn es ging.

Mit bebenden Fingern nahm sie das Medaillon vom altmodischen Waschtisch, der zum Frisiertisch umfunktioniert worden war, und betrachtete es. Sie hatte es getragen, seit ihre Mutter es ihr gegeben hatte, aber plötzlich fand sie den Gedanken irgendwie abstoßend, es auf der Haut zu spüren.

Es rief ihr ins Gedächtnis, wie nahe sie vorhin daran gewesen war, den Fehler ihrer Mutter zu wiederholen: mit einem Mann zu schlafen, der für sie unerreichbar war, und damit einen Weg einzuschlagen, der ins Elend führte.

Rasch nahm sie einige Papiertücher, in die sie das Medaillon wickelte, dann schob sie das Päckchen ganz nach hinten in eine Schublade und lehnte sich gegen die Kommode.

Ihr Herz pochte wild beim Gedanken, wie nahe sie vorhin daran gewesen war, nachzugeben, wenn Sebastian mit ihr hätte schlafen wollen. Ja, sie hatte es gewollt, und obwohl ihr bewusst war, wie unvernünftig es war, sehnte sie sich noch immer brennend nach ihm. Sie dachte an seine Hände, die sie so zärtlich und erregend berührt hatten, und ihr wurden die Knie weich.

Ich muss aufhören, daran zu denken, ermahnte sie sich streng. Es war nur ein Kuss gewesen, der Sebastian nichts bedeutet hatte. Denn als er ihre leidenschaftliche Reaktion bemerkt hatte, hatte er sich äußerst schnell zurückgezogen.

Und wieso hatte ein einfacher Kuss ihr offensichtlich den Verstand getrübt? Etwa weil sie noch keinen Freund gehabt hatte? Oder spielten ihre Hormone verrückt?

Nein, das passte alles nicht zu ihren Erfahrungen mit ihrem ersten „richtigen“ Kuss, damals mit Dwayne Edwards. Er war der Frauenheld der Schule gewesen, für den alle Mädchen schwärmten, weil er blond und athletisch war. Dwayne hatte sie an einem Dezembernachmittag, als es schon dunkel war, auf dem Heimweg von der Schule eingeholt und sie ein Stück begleitet. Sie hatte nichts dagegen, mit ihm zu reden, aber als er sie unvermittelt packte und stürmisch küsste, war sie empört, dabei wäre jedes andere Mädchen an ihrer Stelle begeistert gewesen.

Obwohl Dwayne viel größer und natürlich stärker war als sie, boxte sie ihn in den Magen, was ihn ins Stolpern brachte. Dann wischte sie sich angewidert die Lippen ab, um den Geschmack des Kusses loszuwerden. Dwayne hatte sofort genug von ihr gehabt und später seinen Freunden erzählt, dass Rosie Lambert ein Flittchen sei, was ihr einige anzügliche Bemerkungen eintrug.

Und was ist nun der Unterschied zu dem Kuss heute Abend?, fragte Rosie sich jetzt. Damals hatten ihre Hormone nicht verrückt gespielt, oder? Nein, die Gefühle, die Sebastian in ihr auslöste, blieben ihr ein Rätsel.

Sie war nach Troone Manor gekommen, um einiges über ihren Vater herauszufinden, jetzt aber hatte sie vor allem etwas über sich erfahren: Sie war wie ihre Mutter und wäre beinah genau wie sie ein Opfer ungezügelter Lust geworden.

Wütend auf sich, wandte Rosie sich dem Spiegel zu und begann ihre Haare so heftig zu bürsten, dass ihr Tränen in die Augen traten.

Plötzlich klopfte es kurz an die Tür. Bestimmt ist Sharon draußen, dachte Rosie, und will sich mit mir unterhalten. Das würde sie von dem schrecklichen Abend ablenken, den sie verbracht hatte.

Sie rang sich ein Lächeln ab, obwohl ihr mehr nach Weinen zumute war, und öffnete. Im Flur stand Sebastian, und das Lächeln verging ihr. Starr sah sie ihn an. Offensichtlich war er sich mit den Fingern durchs Haar gefahren, denn es war zerzaust. Da er kein Jackett trug, kamen seine breiten Schultern und die muskulöse Brust unter dem dünnen weißen Hemd besonders gut zur Geltung. Ja, er war wirklich attraktiv. Beunruhigend attraktiv. Und er hielt ein Buch in der Hand!

Noch immer schweigend, blickte er auf ihre Lippen, dann ihr wieder tief in die Augen. Ihr Herz pochte wie rasend, und sie konnte sich nicht rühren.

„Sie haben das Buch liegen gelassen“, sagte Sebastian schließlich heiser und kam näher. Ob sie ahnte, welche Wirkung es auf ihn ausübte, dass sie nur einen dünnen Morgenmantel trug und darunter offensichtlich nackt war? Feine Schweißperlen glitzerten zwischen ihren Brüsten, und er stellte sich unwillkürlich vor, ihr sie von der zarten Haut zu küssen. Nein, an so etwas darf ich nicht denken, ermahnte er sich. Vergeblich. Rosie erregte ihn wie noch keine Frau zuvor, und zwar einfach dadurch, dass sie da war! Sie wandte keine typisch weiblichen Tricks an, gegen die er inzwischen immun war, und war trotzdem verführerisch.

Ich hätte nicht herkommen sollen, tadelte Sebastian sich und wollte es nun so schnell wie möglich hinter sich bringen und hielt Rosie wortlos das Buch hin.

Als sie danach greifen wollte, berührten sich zufällig ihre Hände. Ihm war, als hätte er einen Stromschlag erhalten, und ließ das Buch fallen, nach dem sie sich gleichzeitig bückten.

Dabei fiel ihr das goldblonde Haar wie ein Schleier vors Gesicht, und ihr Bademantel öffnete sich so, dass man einen ihrer Schenkel sehen konnte.

Wie hypnotisiert blickte Sebastian darauf, während heißes Begehren ihn durchflutete. Statt nach dem Buch zu greifen, umfasste er Rosies Handgelenk und zog sie hoch, dann presste er sie an sich. Sie duftete dezent nach Seife, und ihre Haut fühlte sich durch den dünnen Stoff glühend heiß an. Er konnte sich nicht länger beherrschen und presste die Lippen auf ihre.

Rosie hatte das Gefühl, vor Verlangen zu verbrennen. Ihr wurden die Knie weich, und als sie sich an Sebastian schmiegte, spürte sie, wie sehr auch er nach ihr verlangte. Nun war es mit ihrer Beherrschung vorbei, und sie erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Vielleicht war es ihre einzige Chance, wirkliche Ekstase zu erfahren, und die wollte sie wahrnehmen, selbst wenn sie es am folgenden Morgen bedauern würde.

4. KAPITEL

Es war noch dunkel, als Rosie aufwachte. Sie hatte unruhig geschlafen und rutschte nun vorsichtig, mit angehaltenem Atem, von Sebastian ab, der nackt und verführerisch warm neben ihr lag.

Ihr schmerzte der Körper an allen möglichen Stellen, die ihr vorher nie bewusst gewesen waren, und ihr brannte die Haut noch von Sebastians heißen Küssen, aber all das war nichts im Vergleich zu ihren seelischen Qualen.

Bilder von der vergangenen Nacht stürmten auf sie ein: Sebastian, der ihren bereitwilligen Körper verführerisch erkundete, ihre ungehemmte Reaktion auf seine Liebkosungen, die sie so unglaublich erregten, dass sie ihn anflehte, sie zu lieben.

Er legte sich auf sie und flüsterte heiser: „Ich begehre dich, oh, wie ich dich begehre!“ Dann drang er in sie ein, und ein so scharfer Schmerz durchfuhr sie, dass sie unwillkürlich leise aufschrie. Sebastian hielt kurz inne, aber sie presste sich aufreizend an ihn, denn er sollte nicht aufhören. Es war zu spät, um aufzuhören, weil eine nie gekannte Ekstase sie förmlich mitriss.

Auch er konnte nicht aufhören, sondern umfasste sie fester und vereinte sich ganz mit ihr, behutsam und zugleich unglaublich erotisch, bis sie schließlich von ihren Gefühlen überwältigt zusammen mit Sebastian einen ungeahnten Höhepunkt erreichte.

Danach hatte er sie schweigend in den Armen gehalten und ihr Haar gestreichelt, bis sie eingeschlafen war.

Ihr wurde die Kehle eng beim Gedanken an seine Zärtlichkeiten, und sie rang mit sich, ob sie ihn aufwecken und daran erinnern sollte, dass er in sein Zimmer gehen müsse, bevor die anderen aufstanden.

Was mochte Sebastian jetzt von ihr halten? Daran zu denken war schrecklich. Sie kannte ihn erst seit ganz Kurzem und hatte ihn in ihr Bett eingeladen, als wäre sie ein Flittchen. Und sie hatte ihn angefleht, sie zu lieben, aber Liebe spielte für ihn natürlich keine Rolle. Er hatte Sex mit ihr gehabt, weil sie ihm wohl unwissentlich signalisiert hatte, dass sie bereit und mehr als willig sei.

Und das hat ja auch gestimmt, oder?, fragte eine innere Stimme sie.

Es ist leider nur zu wahr, gestand Rosie sich beschämt ein. Sie konnte Sebastian keine Vorwürfe machen. Er war nur, wie jeder halbwegs leidenschaftliche Mann es auch getan hätte, auf ihr Angebot eingegangen.

Ich bin meiner Mutter ähnlicher, als mir bisher bewusst war, musste Rosie sich eingestehen. Auch Molly Lambert hatte sich auf die Beziehung mit einem Mann eingelassen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, und immer nur für die nächste Begegnung mit ihrem Liebhaber gelebt.

Vielleicht konnte man selbst Marcus Troone keine Vorwürfe machen. Vielleicht war auch er nur nicht stark genug gewesen, etwas auszuschlagen, was ihm so offenkundig angeboten worden war.

Bei dem Gedanken schauderte Rosie und fuhr dann hoch, als Sebastian unerwartet fragte: „Ist dir kalt, cara? Rück zu mir, ich wärme dich.“

„Nein, besser nicht“, erwiderte sie schnell, obwohl sie sich nur zu gern an ihn geschmiegt hätte. Ja, sie hätte gern noch einmal dasselbe getan wie in der vergangenen Nacht! Was ist nur in mich gefahren?, fragte sie sich entsetzt und unterdrückte ein Schluchzen, das ihm ihre widerstreitenden Gefühle verraten hätte. Er interessierte sich bestimmt nicht für sie – außer im Bett.

„Wir müssen reden, Rosie! Mehr passiert nicht, das verspreche ich dir“, versicherte er ihr. Er drückte sie sanft aufs Kissen zurück.

Jetzt wird er mir bestimmt das Versprechen abnehmen, nie auch nur ein Wort darüber fallen zu lassen, was zwischen uns vorgefallen ist, dachte Rosie bestürzt. Es war nur zu verständlich, dass er nicht bekannt werden lassen wollte, dass er – reich, respektiert und aus bester Familie – mit dem Hausmädchen geschlafen hatte!

Und sie konnte sich ihm gegenüber nicht durchsetzen, indem sie verriet, dass sie Sir Marcus’ Tochter war. Nein, das durfte sie niemandem gegenüber erwähnen, bevor sie mit ihrem Vater gesprochen hatte. Dieser würde vermutlich nicht gern an seinen Fehltritt erinnert werden, sondern sie auffordern, aus seinem Leben sofort wieder zu verschwinden.

Außerdem würde Sebastian sie verabscheuen, wenn sie es ihm sagte, weil sie der lebende Beweis war, dass Sir Marcus seine Frau betrogen hatte, die Sebastian so sehr geliebt, ja geradezu verehrt hatte. Und Sebastians Hass könnte ich nicht ertragen, überlegte Rosie verzweifelt, während sie angespannt darauf wartete, dass er etwas wirklich Vernichtendes äußern würde.

Schwaches Tageslicht fiel nun in den kleinen Raum unter dem Dach, und sie konnte Sebastians Gesicht sehen. Er wirkte unerbittlich, und das verstärkte ihre Befürchtungen.

„Ich muss bald in mein Zimmer gehen, denn Madge steht früh auf“, begann Sebastian schließlich ruhig. „Ich möchte dich auf keinen Fall kompromittieren, Rosie.“

Tränen traten ihr in die Augen. Er war wirklich ein richtiger Gentleman und dachte nur an sie.

Sanft strich er ihr das Haar aus der Stirn. „Du warst noch unberührt, Rosie. Ich sollte vielleicht bedauern, was geschehen ist, und mich entschuldigen, aber das kann ich nicht. Ehrlich! Du warst so …“, er schien nach dem richtigen Wort zu suchen, „… sensationell“, beendete er schließlich den Satz.

Sensationell? wiederholte Rosie im Stillen verwirrt. Meinte er das aufrichtig? Aber weshalb sollte er lügen? Am liebsten hätte sie ihn umarmt und ihm gestanden, wie ihr zumute war: dass ihr das Herz vor Liebe beinah überging und sie sich unglaublich nach ihm sehnte. Seine nächsten Worte ließen sie jedoch schaudern.

„Da es für dich das erste Mal war, nehme ich an, dass du nicht geschützt warst.“

Starr sah sie ihn an. Er hatte natürlich recht, sie hatte überhaupt nicht an Verhütung gedacht! Dabei hatte sie sich für äußerst vernünftig gehalten – auch wenn ihre Freundin Jean behauptete, sie sei noch das reinste Küken.

„Vor einer Schwangerschaft geschützt“, erklärte Sebastian geduldig.

Wahrscheinlich hielt er ihren starren Blick für ein Zeichen von Verständnislosigkeit, dabei war sie schockiert und beschämt über ihr Verhalten. Schweigend schüttelte sie den Kopf.

„Ich habe auch nichts unternommen, und das ist unentschuldbar“, gestand Sebastian zerknirscht und stand auf. „Du könntest bereits schwanger sein, Rosie, und darüber müssen wir beide genauer nachdenken.“ Rasch zog er seine Sachen an, die er wenige Stunden vorher so schnell ausgezogen hatte. „Wir müssen darüber noch einmal genauer sprechen – später. Mach dir inzwischen keine Sorgen, versprich mir das.“

Dann ging Sebastian leise hinaus, und Rosie fühlte sich so einsam wie noch nie in ihrem Leben. Sie sollte sich keine Sorgen machen? Wenn sie womöglich, genau wie ihre Mutter, ihr Leben ruiniert hatte?

„Manche haben wirklich alles“, bemerkte Sharon beim Frühstück mit vollem Mund und blickte bewundernd durchs Küchenfenster.

Rosie, die ohnehin keinen Appetit hatte, legte die Toastscheibe auf den Teller zurück und sah ebenfalls hinaus. Sebastian näherte sich gerade dem Haus. Er trug Jeans und einen dicken Pullover und sah umwerfend aus. Sie konnte es Sharon nicht verdenken, dass sie ihn anstarrte.

Ihr hingegen wurde seltsam zumute. Seit sie zum Frühstück heruntergekommen war, vollführte ihr Magen die eigenartigsten Kapriolen: In einem Moment war ihr so flau, als würde sie bereits an Morgenübelkeit leiden. Wenn sie aber an die vergangene Nacht dachte, hatte sie das Gefühl, Schmetterlinge im Bauch zu haben.

„Ja, er ist wirklich toll“, bemerkte Sharon und nahm sich Toast mit reichlich Marmelade.

„Mr. Garcia ist bestimmt hungrig“, meinte Madge sachlich und stand auf.

Und ich bin vielleicht schwanger, dachte Rosie und fragte sich, warum der Gedanke sie nicht mehr so erschreckte wie vorhin noch. Plötzlich kam ihr jedoch ein neuer schrecklicher Gedanke: Vielleicht wiederholte sich das Schicksal ihrer Mutter bei ihr in allen Einzelheiten?

„Ist Mr. Garcia eigentlich verheiratet?“, fragte Rosie laut, obwohl sie es nicht beabsichtigt hatte.

Madge lachte nachsichtig, während sie Tomaten und Schinkenspeck in eine Pfanne tat. „Nein, der nicht! Als ich ihm einmal nahegelegt habe, sich endlich eine Frau zu suchen, hat er gefragt, warum er sich mit einer Blume begnügen solle, wenn er einen ganzen Strauß haben könne. Trotzdem, irgendwann wird er schon die Richtige finden.“

„Schade, dass wir keine Chancen bei ihm haben, sonst würde ich mein Glück bei ihm versuchen“, meinte Sharon vorlaut. „Wenn er mal heiratet, dann keine von uns gewöhnlichen Frauen, sondern eine mit einem ellenlangen Stammbaum, Geld wie Heu und dem Aussehen eines Filmstars. Mit weniger gibt er sich bestimmt nicht zufrieden.“

Als wüsste ich das nicht genau, dachte Rosie und stand auf, um an die Arbeit zu gehen.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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