Julia Saison Band 59

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ROSAROT WIE DIE LIEBE von LYNNE GRAHAM
Heimlich ist Poppy bis über beide Ohren in ihren Boss Santino verliebt. Aber der ist ständig von heißen Blondinen umringt und hat keine Augen für die zierliche Rothaarige. Bis sie ihm eine romantische Valentinskarte mit einem glühenden Liebesschwur schickt ...

HEISSE KÜSSE INKLUSIVE von KRISTA THOREN
Ihr heißer Kuss während einer Party am Valentinstag bleibt nicht unbeobachtet: Der schönen Deborah wird sofort eine Affäre mit dem begehrten Junggesellen Cameron Lyle angedichtet! Dabei ist alles Teil ihres gemeinsamen Plans - doch warum fühlt es sich plötzlich so echt an?

BLIND DATE AM VALENTINSTAG von RAYE MORGAN
Als die hübsche Cari entdeckt, dass Max gar nicht ihr Blind Date für den Valentinstag ist, ist es bereits zu spät: Sie hat sich auf den ersten Blick in den gut aussehenden Geschäftsmann verliebt. Doch auch er hält sie für jemand anderen - seine zukünftige Frau!


  • Erscheinungstag 02.01.2021
  • Bandnummer 59
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501675
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Krista Thoren, Raye Morgan

JULIA SAISON BAND 59

1. KAPITEL

Ein furchtbarer Arbeitstag lag hinter ihr.

Auf dem Heimweg ging Poppy an dem kleinen Papierladen in ihrer Strasse vorbei und bemerkte sofort, dass die Valentinskarte, die sie schon vor einem Monat bewundert hatte, noch da war. Weshalb hatte niemand diese Karte gekauft? Poppy verstand das nicht. Ihr gefielen die prächtigen rosa Rosen und der schlichte, gefühlvolle Spruch sehr. Wieso hatten ihre Freundinnen lauter Scherzkarten mit komischen, spitzen oder sogar boshaften Bemerkungen erstanden?

Spontan beschloss Poppy, die Karte zu kaufen. Weshalb sollte sie keine Valentinskarte verschicken? Zwar hatte Poppy selbst keine einzige bekommen. Aber genau aus diesem Grund wollte sie wenigstens den Tag eines anderen Menschen etwas aufhellen. Sie brauchte keine Sekunde zu überlegen, wer der Empfänger ihres Valentinsgrußes sein sollte …

Poppy hatte sich gleich in der ersten Woche bei Aragone Systems Hals über Kopf in Santino Aragone verliebt. Natürlich war ihr bewusst, dass sich der Mann außerhalb ihrer Sphäre bewegte. Er war ein äußerst erfolgreicher Unternehmer und sah fantastisch aus. Gepflegt, dunkelhaarig, südländischer Charme – und stets von einem Schwarm schöner Frauen umgeben. Wenn es drauf ankam, konnte Santino sogar richtig nett sein. Als Poppy sich an ihrem ersten Arbeitstag den Finger in einer Tür klemmte, hatte er sie persönlich in die Ambulanz des Krankenhauses gefahren. Und als ihr sonst so beherrschter Chef beim Anblick der Spritze ohnmächtig wurde, hatte Poppy gewusst, dass er der Richtige war. Ihr gefiel einfach alles an ihm.

Voller Vorfreude malte sie sich aus, wie die anonyme Valentinskarte ein Lächeln auf Santiago Aragones nachdenkliches Gesicht zaubern würde.

Als Poppy die Tür zu ihrem Zimmer aufschloss, kehrten ihre Gedanken zu den unschönen Erlebnissen des heutigen Tages zurück. Desmond Lines, der neue Chef der Marketingabteilung, hatte gefragt, ob sie mit zwei linken Händen auf die Welt gekommen wäre. Vorsichtig hatte Poppy den Kaffee von der Computertastatur getupft, auf der sie ihn versehentlich verschüttet hatte. Beim Abwischen war sie offenbar auf die Löschtaste gekommen – denn plötzlich war Mr. Lines’ Dokument verschwunden. Obwohl Poppy sich hundertmal entschuldigt hatte, beschwerte sich Desmond beim Personalchef über sie, sodass sie eine offizielle Verwarnung erhielt.

Ihre Kollegen hatten sich gewundert, dass Poppy sich mehr über sich selber ärgerte als über Desmond. Aber hätte sie sich nicht so lebhaft unterhalten, wäre der Kaffee niemals übergeschwappt. Immer wieder passierten ihr solche Missgeschicke aus Mangel an Konzentration. Manchmal fragte Poppy sich, ob diese Unglückssträhne nicht schon in der Schule begonnen hatte. Denn ihre Eltern hatte ihr – wenn auch unabsichtlich – selbst die kleinsten Triumphe zunichte gemacht.

„Ich bin sicher, dass du dein Bestes versucht hast“, pflegte ihre Mutter zu sagen, wenn sie Poppys Schulzeugnisse begutachtete. „Schließlich können wir von dir nicht dieselben Noten erwarten wie von Peter, nicht wahr?“

Ihr älterer Bruder Peter war äußerst begabt. Mit seinen überdurchschnittlichen schulischen Leistungen hatte Poppy niemals mithalten können. Überglücklich über die Erfolge ihres Sohnes, hatten die Eltern sich ganz auf Peter konzentriert. Poppy hätte ebenfalls gern studiert. Doch als sie fünfzehn war, hatten ihr ihre Eltern erklärt, dass sie Poppy kein Studium finanzieren konnten, zumal Peter auch noch einen Doktortitel anstrebte. Statt eines sinnlosen Studiums sollte Poppy die Schule verlassen und lieber einen praktischen Beruf erlernen. Damals hatte Poppy geglaubt, dass alle Anstrengungen, bessere Noten zu bekommen, fortan sinnlos wären – eine Überzeugung, die sie inzwischen bitter bereute.

Längst war ihr schmerzlich bewusst, dass sie fast keine theoretischen Kenntnisse vorzuweisen hatte. Sie konnte froh sein, überhaupt eine Stelle als Marketingassistentin gefunden zu haben.

Poppy war engagiert, begeisterungsfähig und sehr beliebt bei ihren Kollegen. Doch Angestellte, denen ständig dumme Fehler unterliefen, standen unter scharfer Beobachtung. Außerdem war Poppy nun schon zum zweiten Mal verwarnt worden, obwohl sie erst seit sechs Monaten bei Aragone Systems war. Noch eine dritte Verwarnung, und sie saß auf der Straße. Seltsamerweise war es weniger die Angst vor der Kündigung, die Poppy einen eiskalter Schauer über den Rücken laufen ließ. Dafür sorgte vielmehr die furchtbare Erkenntnis, dass sie Santino Aragone dann nie wieder sehen würde.

„Soll das ein Scherz sein?“, fragte Santino Aragone ungläubig, als er den riesigen Umschlag öffnete und eine Valentinskarten mit unzähligen Rosen in grellem Pink hervorzog.

„Ich bin genauso überrascht wie Sie, Sir.“ Santinos persönlicher Assistent Craig Belston verkniff sich ein Grinsen. Belustigt überlegte er, dass eine Frau keinen unpassenderen Weg hätte wählen können, um Santino Aragone zu beeindrucken. Auch keinen unpassenderen Tag, ja nicht einmal ein unpassenderes Jahr, um ihm ihre Gefühle zu offenbaren.

Die alljährliche Weihnachtsfeier von Aragone Systems war nach dem plötzlichen Tod von Santinos Vater Maximo verschoben worden und sollte heute Abend nachgeholt werden. Wie es das Unglück wollte, musste Santino ausgerechnet heute Nachmittag zur Beerdigung eines alten Schulfreunds. Außerdem war es eine bekannte Tatsache, dass Santino Valentinstage nicht ausstehen konnte.

Ohne eine Miene zu verziehen, öffnete Santino die Karte, und ein merkwürdig vertrauter Duft stieg ihm in die Nase. Blumig … Jasmin? Ein altmodischer Geruch. Nichts, was eine modische Frau tragen würde. Doch darüber dachte Santino nicht länger nach. Denn die offene Liebeserklärung, die handschriftlich hinzugefügt war, verblüffte ihn derart, dass er das Parfüm gleich wieder vergaß.

„Ich denke immer an dich und liebe dich von ganzem Herzen“, lautete die Zeile.

War er das ahnungslose Opfer eines verliebten Schulmädchens geworden? Schon bei dem Gedanken zuckte Santino innerlich zusammen und ging die wenigen Teenager durch, die zu seinem Bekanntenkreis gehörten. Er erhob keinen Einwand, als Craig die Karte in die Hand nahm, umdrehte und las.

„Der kleine Tollpatsch …“, verkündete Craig ungläubig.

„Wie bitte?“, fragte Santino verständnislos.

„Die Rothaarige aus der Marketingabteilung. Wir nennen sie ‚kleiner Tollpatsch‘, weil sie ständig herumwirbelt und dabei alles Mögliche zu Bruch geht. Die Karte stammt garantiert von Poppy“, erklärte der junge Mann und lächelte abschätzig. „Ich erkenne ihr Parfüm. Sie benutzt es immer. Und sie liebt Pink und Blumen.“

Poppy Bishop, die junge Marketingassistentin, die sein verstorbener Vater während Santinos Urlaub vor sechs Monaten eingestellt hatte, ohne sich mit der Personalabteilung abzusprechen. Und weshalb? Weil ihm das junge Mädchen leidgetan hatte. Nach über fünfzig vergeblichen Bewerbungen wollte Santinos Vater ihr einen Gefallen tun. Sie hatte ihm gestanden, dass es das erste Mal war, dass sie es überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch geschafft hatte.

Poppy mit ihrem schüchternen, aber sonnigen Lächeln, den tizianroten Locken und ihrer komischen Vorliebe für Blumenmuster und ungesunde Diäten. Selbst innerhalb des großen Mitarbeiterstabs war sie kaum zu übersehen. Das Unglück schien ihr auf dem Fuß zu folgen.

„Manche Frauen schaffen es immer wieder, ins Fettnäpfchen zu treten“, erklärte Craig. „Soll ich einmal mit ihr reden? Ein kleiner Niemand wie sie sollte sich darüber klar sein, dass die Chefetage tabu ist.“

Santino überlegte, wie Poppy sich in seiner Gegenwart verhielt, und kam zu dem Schluss, dass sie wohl tatsächlich die Absenderin war. Er wusste, dass er sie nervös machte. Sobald er in ihre Nähe kam, wurde die junge Angestellte seltsam ungeschickt, bekam kaum einen Ton heraus und errötete heftig. Außerdem sah sie ihn in einer Weise an, die vermuten ließ, dass er ihr Herz ohne große Anstrengung gewinnen könnte. Andere Frauen bedachten ihn mit demselben Blick. Doch während jene Frauen strikt darauf achteten, dass es wie ein harmloser Flirt wirkte, standen Poppy ihre Gefühle förmlich auf die Stirn geschrieben.

Santino war erleichtert, dass sie die Karte nicht unterzeichnet hatte. Poppy ahnte offenbar nicht, dass ihr bevorzugtes Parfüm und die Vorliebe für pinkfarbene Blumen sie verraten hatten. Schon bei dem Gedanken, dass sie entdeckt worden war, wäre Poppy sicherlich am liebsten im Boden versinken. Plötzlich bedauerte Santino, dass er Craig die Karte hatte lesen lassen.

„Ich bezweifle, dass die Karte von Poppy Bishop ist“, murmelte Santino und warf den Umschlag in den Papierkorb. „Das passt einfach nicht zu ihr. Ich vermute eher, dass sie von einem Schulmädchen stammt, wahrscheinlich der Tochter einer meiner Freunde. So, und nachdem wir für heute unseren Spaß gehabt haben: Würden Sie mich jetzt bitte mit dem Chef von Delsen Industries verbinden?“

Später an diesem Morgen fiel Santinos Blick auf den Papierkorb, in dem die Karte lag. Santino seufzte verärgert. Was in aller Welt hatte sich die Frau dabei gedacht? Sein persönlicher Assistent konnte Poppy nicht leiden und würde die Situation bestimmt ausnutzen, sobald er Gelegenheit dazu bekam. Warum? Craig war dafür bekannt, dass er ständig neuen weiblichen Angestellten nachstellte, sie zu einem One-Night-Stand verführte und anschließend fallen ließ.

Doch als er es bei Poppy versuchte, hatte er einen Korb bekommen. Unverblümt hatte sie erklärt, man hätte sie schon am ersten Arbeitstag vor dem „Romeo des Büros“ gewarnt. Ihre Ablehnung hatte Craigs Ego schwer getroffen. Und er wäre noch gekränkter gewesen, hätte er gewusst, dass die Warnung von seinem Vorgesetzten stammte.

Santino konnte bis heute nicht sagen, weshalb er Poppy gewarnt hatte. Vielleicht, weil sein Vater die junge Frau ins Herz geschlossen hatte. Oder weil er die Verletzlichkeit erkannt hatte, die aus ihren blauen Augen sprach.

Gegen zehn Uhr musste Poppy die Papiervorräte im Schrank auffüllen. Sie war froh, dass sie ins untere Stockwerk hinabsteigen musste, um das neue Material zu holen. Alles war ihr recht, was sie von der Valentinskarte ablenken konnte.

Zu behaupten, dass sie wegen dieser Karte kalte Füße bekommen hätte, wäre eine gewaltige Untertreibung. Poppy hatte einem unsinnigen Impuls nachgegeben und bedauerte ihre Unbesonnenheit inzwischen heftig. Sie vermutete, dass Santino sich kaum auf die Betriebsfeier freute, die ihn nur an den plötzlichen Tod seines Vaters kurz vor Weihnachten erinnerte. Poppy war voller Mitgefühl gewesen, weil Santino, soweit sie wusste, keine weiteren Verwandten besaß. Ihre eigene Familie lebte noch. Aber inzwischen waren alle nach Australien ausgewandert, und sie hörte selten von ihnen.

Ihr Gemütszustand vor zwei Tagen war keine Entschuldigung für den Text, den sie auf die Karte geschrieben hatte. Außerdem war sich Poppy inzwischen fast sicher, dass es Santino nicht gefiel, einen riesigen rosa Umschlag auf dem Schreibtisch mitten in seinem Büro vorzufinden. Schließlich galt er als der Prototyp eines kühlen, effizienten Chefs. Sicher hatte einer seiner Angestellten eine spöttische Bemerkung über die Farbe der Karte gemacht und darüber gelacht. Auch das dürfte Santino nicht gefallen haben.

Der größte Fehler war jedoch diese idiotische Liebeserklärung. Wie hatte sie sich nur dazu hinreißen lassen können? Weshalb hatte sie nicht einfach ein schlichtes X auf die Innenseite gemalt? Dann hätte die Karte auf unzählige unterschiedliche Weisen ausgelegt werden können. Selbst als harmloser Scherz. Doch die Versicherung ihrer ewigen Liebe hatte der verdammten Karte eine Ernsthaftigkeit verliehen, die gefährlich werden konnte.

Seufzend presste Poppy ein Packet Papier sowie mehrere Schachteln Stifte an sich und kehrte zum Lift zurück. Plötzlich verlangsamte sie den Schritt, denn sie bemerkte Santino, der sich mit einigen Männern in der Empfangshalle unterhielt. Poppys Puls beschleunigte sich. Ihre Brust zog sich schmerzlich zusammen, und ihr wurde der Mund trocken – wie immer, wenn Santino Aragone in Sicht- oder auch nur in Hörweite war. Ein warmer Schauer durchrieselte Poppy, als sie das dunkle Timbre seiner wohltönenden Stimme erkannte. Santino konnte die trockensten statistischen Daten aufzählen, und es klang wie Musik.

Poppy tat, als interessiere sie sich ausschließlich für das Büromaterial, das sie auf den Armen trug, und warf Santino einen verstohlenen Blick zu. Peng! Seine Wirkung auf sie hätte nicht stärker sein können. Hingerissen betrachtete Poppy seinen markanten Kopf, sein schwarzes Haar, das im Lampenlicht glänzte, und seine hohe, breitschultrige Gestalt in dem korrekten Geschäftsanzug, der bestimmt von einem exklusiven Designerlabel stammte. Sogar Santinos Bewegungen waren so elegant und fließend wie die einer großen Raubkatze. Als er den Kopf drehte, um jemanden direkt anzusprechen, beobachtete Poppy ihn im Profil: hohe, wie gemeißelte Wangenknochen, eine gerade Nase und ein energisches Kinn, das Stolz und Entschlossenheit ausdrückte. Seine Haut schimmerte goldbraun.

Heftiges Verlangen erfasste Poppy. Sie brauchte Santino nur anzusehen, schon schmolz sie regelrecht dahin. Eine Schachtel entglitt ihren Fingern und fiel zu Boden. Santino fuhr herum, und Poppy blickte in seine unglaublichen Augen, die schwarz wie Ebenholz im harten Licht der Empfangshalle wirkten, bei Tageslicht aber goldbraun glänzten. Er kniff die Augen leicht zusammen. Doch anstatt sich wieder abzuwenden, wie sie erwartet hatte, sah Santino sie an, als wären sie sich noch nie zuvor begegnet.

Es kam ihr vor, als bliebe die Zeit stehen. Poppys Herz pochte so heftig, dass sie wie nach einem Sprint außer Atem war. Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Ihr ganzer Körper fühlte sich seltsam leicht an und sprühte vor Energie. Aus großen Augen sah sie ihn vielleicht zum allerersten Mal fest an und gab sich ganz der glühenden Intensität seines Blicks hin.

Jemand beugte sich, hob die Schachtel auf, die Poppy hatte fallen lassen, und nahm ihr die Sicht. Der Zauber war gebrochen.

Verwirrt bemerkte Poppy Craig Belstons spöttische, selbstgefällige Miene und wäre beinah errötend zurückgewichen.

„Sie haben sich absolut zum Narren gemacht“, murmelte Craig. „Die alte Masche hat diesmal nicht funktioniert.“

Poppy sah den Mann verdutzt an. „Wie bitte?“

Santino ging zum Lift. Eine leichte Röte überzog seine markanten Wangenknochen. Er drückte auf den Knopf, trat ein und ließ seine Begleiter zurück, ohne einen weiteren Gedanken an die Männer zu verschwenden.

Poppy Bishops Haar war leuchtend rot und sehr ungewöhnlich. Einen kurzen Moment hatte es verführerisch im Lampenlicht geglänzt. Außerdem hatte sie schöne Augen. Seltsamerweise erinnerte Santino sich nicht an ihre Kleidung. Allerdings war er ziemlich sicher, dass ihm ihre Sachen nicht gefallen hätten. Sie war einfach nicht sein Typ Frau. Natürlich nicht.

Poppy ist eine Angestellte, ermahnte Santino sich streng. Selbst wenn Kleopatra in seiner Firma arbeiten würde, hätte er sich nicht zu einer Affäre hinreißen lassen. Die Worte auf der dummen Valentinskarte gingen Santino nicht aus dem Kopf. Das war alles. Kühl begann er, Poppys Schwachpunkte aufzuzählen: Sie war höchstens einssechzig groß, und er bevorzugte hochgewachsene Blondinen. Außerdem mochte er Frauen, die ungefähr seinem Alter entsprachen. Poppy war erst einundzwanzig. Und sie besaß einen so furchtbaren Geschmack, was ihre Garderobe betraf. Bei jeder Besprechung stach sie wie ein Kanarienvogel aus einer Schar von Krähen hervor. Zudem redete Poppy zu viel, stieß ständig etwas um und löschte mit beeindruckender Regelmäßigkeit Daten auf dem Computer.

Sich selbst sah Santino als Technikfreak, als Perfektionist. Poppy dagegen war eine Art Naturkatastrophe, die von Zeit zu Zeit über ihn hereinbrach. Und nicht zuletzt war Poppy Bishop eine Frau zum Heiraten, während Santino vermutlich als Single sterben würde. Der Gedanke an die Beerdigung, zu der er heute Nachmittag musste, machte ihm schwer zu schaffen. Er brauchte unbedingt einen Drink.

Poppy eilte in die Marketingabteilung zurück und holte anschließend Kaffee für ihren Chef. Sie war völlig durcheinander. Weshalb hatte Santino sie derart gemustert? Oder hatte sie es sich nur eingebildet? Wahrscheinlich war sie so verrückt nach ihm, dass die Fantasie ihr einen Streich gespielt hatte. Weshalb fürchtete sie, dass er wusste, von wem die Valentinskarte stammte? Wie könnte er das ahnen? Schließlich konnte er nicht Gedanken lesen.

Andererseits: Weshalb hatte Craig sie auf diese Weise angegriffen, sonst behandelte er sie doch wie Luft. Was in aller Welt war in ihn gefahren? Craig Belston ließ sich nie dazu herab, mit Poppy zu sprechen. Wenigstens nicht mehr seit jener ersten Woche, als er sie ausgeführt und sich so aufdringlich verhalten hatte, dass Poppy nichts übrig geblieben war, als ihm von der Warnung zu erzählen. Die alte Masche … Ahnte Craig, was sie für Santino empfand? Aber wie sollte er?

Es ist Unsinn, sich wegen der dummen Valentinskarte verrückt zu machen, schalt Poppy sich verärgert. Solange niemand die Karte nach Fingerabdrücken untersuchte und diese mit ihren verglich, war der Absender nicht festzustellen. Und was Craig betraf: Er hatte nur wenige Freunde bei Aragone Systems und behandelte niemanden freundlich. Vielleicht war er klug, aber er machte oft spitze Bemerkungen und lachte regelmäßig über die Missgeschicke anderer. Es wäre also dumm, seiner schnippischen Äußerung Bedeutung beizumessen.

Oder doch nicht?

2. KAPITEL

„O nein … Bitte nicht!“, wehrte Desmond laut ab. „Lassen Sie den Kaffee einfach dort stehen. Ich strecke lieber den Arm aus.“

Obwohl Poppy sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, als Desmonds entsetzter Ausruf allgemeines Gelächter unter den Kollegen auslöste, war sie am Ende ihrer Kraft. Hatte sie nicht schon genug gelitten wegen des Zwischenfalls mit dem verschütteten Kaffee? Der Vortrag des Personalchefs über die Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit Flüssigkeiten hatte sie tief beschämt. Außerdem hatte der Mann sie an ihre erste offizielle Verwarnung erinnert. Zu Beginn ihrer Tätigkeit bei Aragone Systems war Poppy einmal zu spät im Büro erschienen. „Noch eine Verfehlung, und Sie fliegen raus“, hatte er sie gewarnt. Und dazu wollte Poppy es auf keinen Fall kommen lassen.

„Was ziehst du heute Abend an?“

Dankbar für die Ablenkung, blickte Poppy von einem langweiligen Diagramm auf ihrem Monitor auf. Die Frage war von Lesley gekommen, einer großen, schlanken Brünetten aus dem Team der Marktanalyse. „Nichts Besonderes. Einfach ein Kleid. Und du?“

Aufmerksam hörte Poppy zu, wie Lesley ihr eigenes Outfit beschrieb. Zweifellos würde es jede Kurve der beneidenswerten Figur der Kollegin betonen. Plötzlich verkündete Desmond, dass er die Diagramme für eine Besprechung brauche. Poppy wandte sich wieder dem Bildschirm zu und druckte die Darstellungen rasch aus.

„Ich habe gehört, dass Santino eine Valentinskarte bekommen hat“, erzählte Lesley, und Poppy straffte sich innerlich. „Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass er einen ganzen Sack voll erhält. Ich glaube, die Karte stammt von seiner Ex, die wieder etwas mit ihm anfangen möchte.“

„Seine Ex?“, fragte Poppy und entspannte sich wieder.

„Liest du nicht die Klatschspalten? Er hat sich vor einem Monat von Caro Hartley getrennt“, verkündete Lesley triumphierend. „Ich war von Anfang an sicher, dass die Beziehung nicht lange halten kann. Sie ist ein richtiges Partyluder. Wahrscheinlich hat sich Santino schnell mit ihr gelangweilt. Er ist ein sehr intelligenter Mann.“

„Ich wette, dass er nicht lange allein bleiben wird“, antwortete Poppy und ließ Desmond nicht aus den Augen, der ihre ausgedruckten Diagramme flüchtig durchblätterte. Hatte sie die Farbe des ersten Diagramms eigentlich verändert, das sie aus Spaß in Pink angelegt hatte? Ja, Poppy war ziemlich sicher. Trotzdem legte ihre Anspannung sich erst, als ihr Chef die Blätter in eine Mappe legte.

Nie im Leben werde ich noch einmal mit den Farben der Diagramme spielen, schwor Poppy sich, während sie sich mittags auf der Damentoilette frisch machte. Und wenn es mich umbringt: Ich werde jede einzelne schlechte Angewohnheit ablegen.

Poppy begutachtete sich nur flüchtig im Spiegel. Zum Glück hatte sie keine Hautunreinheiten mehr. Ihr Teint war makellos rein. Stattdessen bereiteten Poppy die unzähligen tizianroten Korkenzieherlocken ständig Ärger. Wegen der winzigen Strähnen, die ihr Gesicht umrahmten, sah ihre Frisur nie so ordentlich aus wie die anderer Frauen. Kurz geschnitten wären die widerspenstigen Locken noch schwieriger zu bändigen. Deshalb ließ Poppy ihr Haar lang und band es im Nacken zusammen.

Meine Kurven stellen die größere Herausforderung dar, gestand sich Poppy kläglich ein. Sie brauchte dringend eine neue Diät. Nach der Bananendiät hatte sie für den Rest ihres Lebens genug von dieser Frucht. Nach der Kohlsuppendiät wurde Poppy schon schlecht, wenn sie nur an einem Gemüsestand vorbeiging. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich erneut an die langweilige Salat- und Joghurtdiät zu halten, die zwar wirkte – aber dafür sorgte, dass Poppy pausenlos an Essen dachte und so hungrig war, dass sie einen Berg Chips hätte verschlingen können.

Als Poppy an ihren Schreibtisch zurückkehrte, blinkte die E-Mail-Anzeige. Erfreut klickte Poppy auf das Icon und hoffte auf einen fröhlichen Chat mit einer Freundin.

„Diagramme in Pink sind unpassend für geschäftliche Angelegenheiten“, lautete die Nachricht.

Poppy blickte entsetzt auf die Zeile und blickte verstohlen in die Runde. Niemand beachtete sie. Wer hatte sie beim Spielen mit dem Diagramm vor dem Lunch beobachtet und wollte ihr eins auswischen? Die Nachricht enthielt keine Unterschrift, und der Absender bestand aus einer sechsstelligen Ziffer, war also anonym.

„Wer sagt das?“, tippte Poppy in den Computer und schickte die Mail ab.

„Ich bevorzuge Diagramme in dunklen Farben.“

„Die sind langweilig“, erwiderte Poppy.

„Nein, sachlich. Pink lenkt unnötig ab.“

„Pink ist warm und hebt die Stimmung“, protestierte sie.

„Pink ist verwirrend, niedlich, weiblich … Eben unangemessen.“

Mein Chatpartner ist ein Mann, stellte Poppy fest. Desmond war es bestimmt nicht, denn er hielt E-Mails für Zeitverschwendung – und wäre garantiert an die Decke gegangen, hätte er ein pinkfarbenes Diagramm entdeckt.

„Wieso haben Sie mein Diagramm gesehen?“, schrieb sie.

„Bleiben Sie beim Thema!“

Poppy lächelte über diese Antwort. Eindeutig ein Mann.

„Noch eine Verwarnung, und Sie könnten auf der Straße sitzen. Seien Sie vernünftig!“ Der Rat folgte so schnell, dass Poppy keine Gelegenheit hatte, auf die vorige Mail zu antworten.

Ihr Lächeln erstarb. „Woher wissen Sie davon?“, tippte sie.

Diesmal kam bedauerlicherweise keine Antwort. Während Poppy überlegte, wer der mysteriöse Absender der E-Mails sein könnte, erkannte sie, dass viele Kollegen von den Verwarnungen in ihrer Personalakte wissen konnten. Nach der ersten war Poppy so bestürzt gewesen, dass sie selbst mehreren davon erzählt hatte. Der Zwischenfall mit dem Kaffee versetzte Desmond so in Rage, dass er seine Absicht sehr laut verkündete. Beinahe die ganze Abteilung hatte mithören können.

Besorgt beobachtete Poppy ihre geschäftigen Kollegen und schickte während des Nachmittags mehrere E-Mails an die geheimnisvolle Adresse. Doch es kam keine Antwort. Enttäuscht dachte Poppy an die Betriebsfeier, die an diesem Abend stattfinden sollte. Der Unbekannte würde sich dort sicher auch nicht zu erkennen geben … und falls doch, was sollte sie tragen? Pink kam wohl nicht mehr infrage.

„Mich wundert, dass du deinen Angestellten immer noch Alkohol anbietest.“ Jenna Delsen verzog missbilligend ihr hübsches Gesicht und blickte in den dämmrig erleuchteten Raum, in dem die Gäste feierten. „Mein Dad sorgte früher ebenfalls dafür, dass das Personal sich auf unsere Kosten betrinken konnte. Seit ich in die Firma eingetreten bin, sind diese Zeiten vorbei. Jetzt veranstalten wir ein nettes Abendessen, und zwar ohne Alkohol. Keine laute Musik, keine Drinks, kein Tanz – und alle benehmen sich anständig.“

„Ich möchte, dass mein Personal sich amüsiert. Es ist doch nur einmal im Jahr.“ Santino ging durch den Sinn, dass die Blondine eine echte Nervensäge sein konnte, verdrängte den Gedanken jedoch sofort. Am Nachmittag war sie ihm auf der Trauerfeier eine willkommene Begleiterin gewesen, und Santino hatte das anschließende Dinner mit Jenna und ihrem Vater in deren Haus sehr genossen.

„Ich nehme an, es liegt an dem extrovertierten Italiener in dir. Du hast während unserer Oxford-Zeit ziemlich wilde Partys gefeiert.“ Jenna warf ihm einen koketten Blick zu und erinnerte Santino daran, dass sie sich schon seit dem Studium kannten.

Diese Bemerkung ließ alle Alarmglocken bei Santino schrillen. „Ich hole dir einen Drink“, erklärte er ohne Übergang und ging in Gedanken die Reihe seiner ungebundenen leitenden Angestellten durch. Mit etwas Glück richtete Jenna ihr Augenmerk vielleicht auf einen von denen und ließ ihn in Ruhe. Seit sie sich kannten, waren Jenna und er immer Freude gewesen, niemals mehr.

Jenna legte ihre schlanke Hand auf seinen Arm, als er ihr wenige Minuten später das Getränk reichte. „Ich muss dir etwas gestehen … Die ganze Zeit damals war ich wahnsinnig in dich verliebt.“

Dieser Tag, der ungewöhnlich begonnen hatte und außerordentlich lang zu werden versprach, nahm geradezu albtraumhafte Formen an. „Das kann doch nur ein Scherz sein“, antwortete Santino.

„Durchaus nicht.“ Jenna sah ihn aus ihren schönen grünen Augen vorwurfsvoll an. „Und du hast es nie gemerkt. In den vier Jahren hast du kein einziges Mal wahrgenommen, dass ich erheblich mehr für dich empfand als jede andere Kommilitonin.“

Santino legte den Kopf zurück und nahm einen großen Schluck Brandy, der eigentlich in Ruhe genossen werden sollte. Santino war wie gelähmt und steckte eindeutig in der Klemme. Jenna freundlich beizubringen, dass er nicht das Geringste für sie empfand, so schön und intellektuell herausfordernd sie auch sein mochte, das war unmöglich. Mit ihrem außerordentlich scharfen Verstand hätte sie jeden Versuch Santinos durchschaut.

„Mir blieb nichts übrig, als dazusitzen und zuzusehen, wie du hinter Mädchen her warst, die mir nicht das Wasser reichen konnten“, fuhr Jenna gekränkt fort.

„Merkwürdig. Ich erinnere mich nicht daran, dass du viele Abende allein zu Hause verbracht hättest“, erwiderte Santino spöttisch.

„Nachdem ich einsah, dass ich mich in einen Mann mit Bindungsängsten verliebt hatte, zwang ich mich, dich nur als Freund zu betrachten.“

„Als wir uns kennenlernten, war ich gerade achtzehn! Die meisten Männer in diesem Alter haben Bindungsängste“, stellte Santino klar. Jenna war wirklich schwierig. Nach all den Jahren schien sie ihm den unabsichtlichen Schlag, den er ihrem Ego versetzt hatte, immer noch übel zu nehmen. „Ich war nicht besser und nicht schlechter als die anderen …“

„Oh, sei nicht so bescheiden“, unterbrach Jenna ihn scharf. „Alle Mädchen waren verrückt nach dir! Du hattest eine riesige Auswahl. Aber du wähltest absichtlich Frauen, von denen du wusstest, dass du mit ihnen nur eine kurze Affäre führen würdest. Du hast dich damals vor einer festen Beziehung geschützt. Und diese Bedrohung meidest du heute noch genauso!“

Um einen weiteren Drink zu bekommen, ging Santino wieder zur Bar. Jenna war inzwischen so aufgebracht, dass sie unaufhörlich auf ihn einredete und an den Tresen begleitete. Fast am Ende seiner Geduld, stürzte Santino den zweiten Brandy hinunter. Er verwünschte seine angeborenen guten Manieren, die ihn überzeugt hatten, dass er die Blondine zur Betriebsfeier einladen müsste. Viel lieber hätte er sich jetzt unter seine Mitarbeiter gemischt. Verdrießlich blickte er durch den Raum und entdeckte eine Gestalt an der Türschwelle. Im nächsten Moment hörte er Jennas bissige Worte nicht mehr.

Jenna merkte, dass sie Santinos Aufmerksamkeit verloren hatte. Als sie seinem Blick folgte, sah sie einen jugendlichen Rotschopf mit wilder Lockenmähne. Klein, sehr hübsch, aber absolut nicht Santinos Typ. Trotzdem beobachtete er das Mädchen so fasziniert, dass er Jennas Gegenwart völlig vergaß.

Suchend schaute Poppy in dem vollen Raum um sich und entdeckte Lesley in einem auffälligen silberweißen Kleid. Mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen ging Poppy zu ihr. Sie hatte sich verspätet. Zum Glück war sie nicht die Einzige, die erst jetzt auf dem Fest erschien. Einige Kollegen hatten beschlossen, vor der Feier einen Drink in einer Bar in der Innenstadt zu sich zu nehmen. Poppy selbst war nach der Arbeit zuerst nach Hause gefahren. Weil Poppy nicht so viel Alkohol vertrug, hatte sie einen längeren Aufenthalt in einer Bar vor der Party nicht wagen wollen.

„Dein Kleid gefällt mir sehr“, sagte Lesley aufrichtig und zog einen Stuhl für Poppy hervor. „Wo hast du es gekauft?“

„Es ist nicht neu. Ich hatte es mir zur Hochzeit meines Bruders besorgt“, gestand Poppy und fügte geheimnisvoll flüsternd hinzu: „Ehrlich gesagt, es ist mein Brautjungfernkleid.“

„Ich wünschte, meine beste Freundin hätte mich auch so ein Kleid an ihrem großen Tag tragen lassen. Dann hätte ich es später wenigstens wieder verwenden können.“ Wortreich bewunderte Lesley das grüne Trägerkleid, das Poppys tolle Figur und ihre langen schlanken Beine hervorragend zur Geltung brachte. „Das muss eine ungewöhnliche Hochzeit gewesen sein.“

Poppys Blick fiel auf die ordentlich aufgereihten Drinks, die die Kollegen offenbar für sie bereitgestellt hatten. „Meine Schwägerin Karrie, wünschte sich eine zwanglose Feier. Sie trug ebenfalls ein kurzes Kleid.“

Instinktiv hatte Poppy den Raum nach einer gewissen männlichen Gestalt abgesucht und entdeckte Santino. Er stand an der Bar, eine auffällige Blondine untergehakt. Poppy zog sich der Hals schmerzlich zusammen. Sie führte den Drink, den Lesley ihr in die Hand drückte, an den Mund und trank einen Schluck. Trotzdem widerstand sie dem Bedürfnis, die fröhlich plaudernde Kollegin zu fragen, ob sie Santinos Begleiterin kenne. Wozu sollte das gut sein? Spielte es eine Rolle, wer die Frau war? Außerdem ging es Poppy nichts an.

Ich sollte nicht einmal zu Santino Aragone hinsehen, ermahnte Poppy sich schuldbewusst. Schon sein Anblick weckte ihr Verlangen. Nach Craigs anzüglicher Bemerkung vom späten Vormittag musste Poppy davon ausgehen, dass der persönliche Assistent sie verdächtigte, entschieden zu viel für den gemeinsamen Arbeitgeber zu empfinden. Diese Erkenntnis machte ihr schwer zu schaffen. Es war allgemein bekannt, dass Craig den Kollegen mit seinem seltsamen Sinn für Humor oft erheblich zusetzte. Poppy musste unbedingt vorsichtiger sein. Santino wie ein schmachtender Teenager anzuhimmeln konnte sie leicht zum Gespött der Belegschaft machen. Stattdessen wollte Poppy lieber den Absender jener geheimnisvollen E-Mails finden, der sie zumindest mögen musste. Sonst hätte er sich gewiss nicht die Mühe gemacht, sie zu warnen.

„Wer ist sie?“, fragte Jenna spitz.

„Wen meinst du?“, erwiderte Santino, der nicht einmal merkte, in welche Richtung er ständig blickte.

„Den kleinen Rotschopf mit der wilden Haarmähne … Die Frau, die du seit mindestens drei Minuten beobachtest“, zischte Jenna.

„Ich beobachte sie überhaupt nicht“, murmelte Santino geringschätzig.

„Und trotzdem weißt du auf Anhieb, wen ich meine, obwohl du unzählige junge Frauen beschäftigst“, stellte Jenna mit messerscharfer Logik fest.

„Bist du heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, fragte Santino und lächelte plötzlich breit. „Warum in aller Welt willst du mich unbedingt auf die Palme bringen?“

„Bevor ich es dir verrate …“, begann Jenna und lächelte zufrieden, weil sie nach der Zurückweisung, die Jahre zurücklag, endlich quitt mit ihm war, „… erzählst du mir, wer diese Rothaarige ist. Und anschließend nenne ich dir zehn sehr gute Gründe, weshalb man niemals – wirklich niemals – etwas mit einem Angestellten anfangen sollte.“

Santino trank seinen Drink aus und warf ihr einen belustigten Blick zu. „Das ist nicht nötig, Jenna. Ich habe alle zehn fest im Kopf.“

Poppy hatte sich mit einigen Freunden unterhalten und kehrte an ihren Tisch zurück. Lesley und zwei weitere weibliche Angestellte sprachen gerade über Santinos Begleiterin, die offensichtlich die Tochter des Inhabers von Delsen Industries war.

„Was halten Sie von Jenna?“, fragte eine Stimme, die unangenehm klang.

Erschrocken drehte Poppy sich um und merkte erst jetzt, dass Craig Belston in ihrer Abwesenheit am Tisch Platz genommen hatte. Er hatte seine Frage speziell an sie gerichtet, und Poppy fühlte sich sehr unbehaglich. „Weshalb sollte ich eine Meinung über die Frau haben?“, erwiderte sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Alle Freundinnen des Chefs sind ausgesprochene Schönheiten.“

„Ich hatte den Eindruck, dass Sie das noch gar nicht bemerkt hätten.“ Craig sah sie aus seinen blauen Augen forschend an, und Poppy wurde der Mund trocken.

„Santinos langbeinige Frauen sind kaum zu übersehen.“ Lesley warf dem persönlichen Assistenten ihres Chefs einen missbilligenden Blick zu. „Also, verraten Sie es uns endlich. Sie spannen uns schon seit Dienstschluss auf die Folter. Wer hat Santino die unmögliche Karte geschickt?“

Poppy verharrte einen Augenblick wie unbeweglich. Dann stürzte sie ihren Drink hinunter und errötete heftig.

„Hatte ich erwähnt, dass die Karte aus dem Haus gekommen ist?“, antwortete Craig quälend langsam, und Poppys Herz setzte einen Schlag aus. Jeder Muskel ihres Körpers zog sich schmerzlich zusammen.

„Nein, das haben Sie nicht“, warf eine der anderen Frauen verärgert ein. „Welche Kollegin sollte so dämlich sein, Santino eine Valentinskarte zu schicken und ihm ewige Liebe zu schwören? Ja, es stimmt. Er ist ein Traum von einem Mann. Aber er wäre der Letzte, der auf solch eine unverblümte Einladung von jemandem aus dem Personal reagieren würde.“

„Sie sagten, dass die Karte nicht unterschrieben war“, erinnerte Lesley den Assistenten. „Woher wollen Sie wissen, dass sie von einer Mitarbeiterin unserer Firma stammt? Sie kam doch nicht mit der Hauspost, oder?“

„Wir sprechen in diesem speziellen Fall von einer Kollegin, die nicht besonders intelligent ist“, räumte Craig ein, und Poppys Magen begann sich zu drehen. „Einer Kollegin, die annahm, nur ihr Name könnte sie verraten.“

„Sie haben die Handschrift erkannt!“, rief eine Frau.

„Mir gefällt dieses Gespräch nicht“, wandte Lesley plötzlich ein. „Valentinskarten verschickt man zum Spaß. Wir sollten die Angelegenheit nicht so ernst nehmen.“

„Es war nicht die Handschrift, sondern eine Kombination aus mehreren Dingen“, erklärte Craig der Tischrunde, Lesleys Worte ignorierend. „Ein bestimmtes Parfüm, die Vorliebe für eine besondere Farbe und vor allem für Blumen.“

Poppy war kreidebleich geworden und fühlte sich hundeelend angesichts dieser Demütigung. Sie wagte nicht, eine Kollegin am Tisch anzusehen. Craigs letzten Worten folgte eine peinliche Stille. Poppy wäre am liebsten im Boden versunken. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn.

„Also, welche Frau, die wir alle kennen, benutzt Jasminparfüm?“, fragte Craig ungerührt.

„Ich kenne keine, die so einen Duft trägt“, warf Lesley rasch ein, und zwei weitere Frauen folgten ihrem Beispiel. Poppy merkte genau, dass die Kolleginnen Craig verunsichern und von seinem Opfer ablenken wollten. Inzwischen musste sie sich beherrschen, um dem Kerl nicht ihr Glas an den Kopf zu schleudern.

Auf der anderen Seite des Raums war Jenna immer noch mit ihren Geständnissen beschäftigt. Doch Santino hatte Mühe, seinen forschenden Blick von der selbstgefälligen Miene seines Assistenten und Poppys blassem Gesicht zu lösen.

„Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich dir heute Abend so zugesetzt habe“, fuhr Jenna mit sanfter Stimme fort. „Aber ich hatte mir geschworen, dass ich dir eines Tages die Wahrheit sagen und dich einige Minuten zum Schwitzen bringen würde. Kommst du trotzdem zu meiner Verlobungsfeier?“

Santino runzelte verblüfft die Stirn. „Verlobungsfeier?“

„Zum Glück bin ich nicht mehr in dich verliebt“, seufzte Jenna. „Hast du nicht gehört, was ich erzählt habe? David Marsh und ich werden unsere Verlobung bekannt geben. Er holt mich in wenigen Minuten ab.“

Es war lange her, dass Santino so viele gute Nachrichten in so kurzer Zeit erfahren hatte. Er mochte Jenna wirklich und freute sich aufrichtig für sie. Erleichtert atmete er auf, seine Anspannung legte sich wieder. Jenna hatte sich gekonnt für seine damalige Gleichgültigkeit ihr gegenüber gerächt. Er warf den dunklen Kopf zurück und lachte anerkennend.

Der Anblick des fröhlich lachenden Santino und der Blondine, die ebenfalls sehr vergnügt wirkte und sich immer noch auf seinen Arm stützte, gab Poppy den Rest. Sie war sicher, dass Santino der Frau soeben von der Valentinskarte erzählt hatte und beide sich gerade köstlich darüber amüsierten. Bestimmt hatte Craig seinem Boss erzählt, wen er für den Absender hielt. Mit einem Gefühl, als hätte man ihr soeben das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen, stand Poppy so würdevoll wie möglich auf. Keine Sekunde würde sie es länger aushalten, Craigs armes kleines Opfer zu spielen.

„Sie sind wirklich ein zweiter Sherlock Holmes, Craig. Ich bin sehr beeindruckt“, erklärte sie tonlos und eilte davon.

Tränen brannten ihr in den Augen und verschleierten ihren Blick. Doch sie hielt den Kopf stolz erhoben – und das war ein Fehler. Denn Poppy übersah einen kleinen Tisch, auf dem zahlreiche Getränke abgestellt waren. Mit Wucht stieß Poppy gegen die Kante, sodass ein riesiger Krach im Saal ertönte, der Tisch umkippte und alle Blicke sich in ihre Richtung wandten.

Poppy hielt inne und blickte einen Moment entsetzt auf die zerbrochenen Gläser und die großen Pfützen, die sich auf dem Boden bildeten. Die tanzenden Paare waren bei dem Durcheinander, das Poppy verursacht hatte, erschrocken zurückgesprungen. Als sie das Ausmaß des Unglücks erkannte, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Bestürzt floh sie aus dem Raum.

Craig lachte leise über den geräuschvollen Abgang.

„Anstatt sich zu fragen, weshalb Poppys Freunde ihr nicht nacheilen, um sie zu trösten, sollten Sie lieber Santino im Auge behalten“, riet Lesley mit eisiger Stimme. „Dann würden Sie merken …“

„Wovon reden Sie?“

„Poppy zu verärgern ist keine karrierefördernde Maßnahme. Wären Sie eine Frau und würden Sie den neuesten Klatsch bei Aragone Systems kennen, wüssten Sie längst, dass sich Santino in Poppy verknallt hat.“

„Unsinn!“, stieß Craig hervor. „Er hat die Karte sofort in den Papierkorb geworfen.“

„Haben Sie den Papierkorb nach Dienstschluss kontrolliert?“, fragte jemand trocken.

„Santino hat noch gar nicht gemerkt, was mit ihm los ist“, sagte eine andere Frau abgeklärt. „Er kennt sich besser mit seiner Tastatur aus als mit seinen Gefühlen.“

„Ja, wenn ein Mann wie Santino, bei dem alles nach Vorschrift erledigt werden muss, dem armen Desmond erklärt, dass pinkfarbene Diagramme frisch und kreativ sind, dann hat es ihn schwer erwischt“, ergänzte Lesley.

Mit gespannter Miene beobachteten die drei Frauen Santino, der instinktiv einen Schritt vorgetreten war, als Poppy den Tisch umwarf. Jetzt drehte er sich zu Jenna und verließ anschließend den Raum, offenbar um Poppy zu folgen. Auch Craig wurde Zeuge dieser Demonstration. Sein Gesicht wurde aschfahl, und er stöhnte laut auf.

3. KAPITEL

Gerade hatte Poppy den Saal verlassen, da sah sie, wie einige Frauen auf die Damentoilette auf der anderen Seite des Foyers zugingen. Rasch drehte Poppy sich um und eilte in die entgegengesetzte Richtung.

Kurz darauf fand sie sich vor den Lifts wieder, drückte mit zitternden Fingern auf den Rufknopf und schluchzte lautlos. Sie musste unbedingt ein ruhiges Plätzchen finden, um die Fassung wiederzugewinnen. Poppy wählte das Stockwerk der Marketingabteilung, sank gegen die kühle Stahlwand des Lifts und schlang die Arme fest um den Oberkörper. Doch das war keine Hilfe, kein Trost. Ständig musste sie daran denken, wie sie sich zum Narren gemacht hatte.

Der dunkle Empfangsbereich der Marketingabteilung wirkte unheimlich. Kurz entschlossen drückte Poppy eine Taste, damit die Aufzugstüren wieder schlossen, und versuchte es mit einem anderen Stockwerk. Tränen brannten ihr in den Augen. Santino Aragone hatte bestimmt laut gelacht, als er erfuhr, wer ihm die Karte geschickt hatte. Alle würden darüber lachen. Schließlich war Poppy Bishop nur der blutige Neuling in der Firma, ein ungeschickter kleiner Rotschopf, den Craig spöttisch Tollpatsch nannte. Und sie betrachtete sich kaum als Konkurrenz für die tollen Frauen, mit denen Santino sich stets umgab.

Weshalb in aller Welt hatte ihr gesunder Menschenverstand sich nicht gemeldet, bevor sie die peinliche Karte an Santinos Büroanschrift schickte? Besaß sie nicht dasselbe Urteilsvermögen wie andere Leute? Ihr Hals zog sich schmerzlich zusammen. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten und schluchzte laut auf. Wie hatte sie sich derart bloßstellen können?

Unten im Foyer beobachtete Santino die Lampen, die anzeigten, in welchem Stockwerk sich der Lift befand. Die Lichterkette lief wieder hinab, hielt mehrmals kurz an, stoppte auf der ersten Etage und stieg anschließend wieder hinauf. Endlich erreichte der Lift die Chefetage, und Santino wartete gespannt, ob er sich erneut in Bewegung setzen würde.

Poppy blinzelte verwirrt, als die Türen sich im oberen Stockwerk öffneten. Sie hatte längst die Orientierung verloren. Benommen erinnerte sie sich, dass Santinos Sekretärin eine eigene Toilette hatte, und stieg aus. Sie musste sich unbedingt frisch machen und ihr Make-up erneuern, bevor sie nach Hause ging.

Doch noch saß der Schock zu tief. Viel zu spät erkannte sie ihren Fehler. Sie hätte Craigs boshafte Andeutungen stoisch über sich ergehen lassen müssen. Stattdessen war sie direkt in seine Falle getappt und hatte seinen Verdacht bestätigt. Craig konnte seine Vermutung davor nicht beweisen. Durch ihre Worte und ihr Verhalten hatte Poppy praktisch ein Geständnis abgelegt.

Eine peinliche Situation nach der anderen schoss ihr durch den Kopf. Wie ein Elefant im Porzellanladen hatte sie die Party verlassen. Vor ihrem geistigen Auge sah Poppy Craigs selbstgefällige Miene, Santinos lachendes Gesicht und die missbilligenden Blicke der Kolleginnen. Mit zitternden Händen klammerte sie sich an den Rand des Waschbeckens und senkte den Kopf, denn sie konnte den Anblick ihres Spiegelbildes nicht mehr ertragen. Wie hatte sie nur so dumm sein können! Verzweifelt begann sie zu schluchzen.

Noch nie war Santino so schnell zum Büro seiner Sekretärin geeilt, nachdem er die Aufzugkabine verlassen hatte. Poppys herzzerreißende Schluchzer wirkten wie ein Hilferuf auf ihn. Normalerweise ging Santino eher auf Abstand, wenn eine Frau weinte. Doch als hätte ein seltsamer Autopilot die Kontrolle übernommen, überwand er seine übliche Vorsicht und lief geradewegs durch die offene Tür in den Waschraum. Ohne zu überlegen, zog er Poppy tröstend in seine Arme.

Poppy stieß einen spitzen Schrei aus, als zwei männliche Arme sich um sie schlossen. Sie hatte geglaubt, dass sie allein auf dem Stockwerk wäre. Noch größer wurde ihr Schreck, und sie blieb reglos stehen, als sie aufblickte und Santino erkannte. Sein Blick aus goldbraunen, von dichten schwarzen Wimpern beschatteten Augen hielt er eindringlich auf sie gerichtet. Sein schönes Gesicht wirkte finster vor Sorge.

„Es ist alles in Ordnung“, beruhigte er sie mit seiner tiefen, wohltönenden Stimme.

„Wirklich?“, schluchzte Poppy atemlos. Die Situation hätte ihr unwirklich vorkommen müssen. Doch seltsamerweise erschien es Poppy richtig und natürlich, von Santino gehalten zu werden. Außerdem träumte sie schon so lange von diesem Augenblick, dass keine Macht der Welt sie zum Rückzug hätte bewegen können.

„Natürlich“, versicherte Santino ihr, ohne recht zu wissen, wovon er redete. Er hielt es für besser, sich dem Unvermeidlichen zu fügen, als einen neuen Tränenausbruch Poppys zu riskieren. Deshalb hob er eine schlanke Hand, legte sie hinter Poppys Kopf und drückte ihr Gesicht an seine Schulter zurück.

Poppys Nervosität verflog, und sie sank kraftlos an Santinos Brust. Die Knie wurden ihr weich, und Poppy kam sich wie eine Marionette vor. Der zarte Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase und war ihr sofort vertraut: Ziemlich exotisch und sehr, sehr männlich. Sie atmete tief ein, und ihre Finger ruhten entspannt auf seiner breiten Schulter. Obwohl sie ihn nur sanft berührte, spürte Poppy die kräftigen Muskeln unter dem teuren Stoff seine Jacketts, während er sie hielt. Santino konnte unglaublich nett sein. Wie hatte sie vergessen können, wie fürsorglich er sich verhalten konnte? Als sie sich den Finger am ersten Arbeitstag verletzte, hatte Santino sie persönlich in die Klinik gefahren.

Poppy wurde etwas ruhiger und konnte klarer denken als noch vor einem Moment, in dem der Kummer sie überwältigt hatte. Jetzt erkannte sie, wie unwahrscheinlich es war, dass Santino sich mit seiner Freundin über sie lustig gemacht hatte. Das passte absolut nicht zu ihm.

„Gehen wir lieber hinaus“, sagte Santino mit tiefer Stimme und versuchte ein aufmunterndes Lächeln. „Wir befinden uns im Allerheiligsten meiner Sekretärin. Ich komme mir wie ein Eindringling vor.“

Poppy riss sich mit hochrotem Gesicht von ihm los und senkte den Blick. Sie musste furchtbar aussehen, nachdem sie ihren Tränen freien Lauf gelassen hatte. Bestimmt war ihre Nase gerötet und die Augen geschwollen, die Wimperntusche war wahrscheinlich verflossen. Nicht dass es Santino etwas ausmachte. Aber Poppy wollte nicht, dass er sie in diesem erbärmlichen Zustand sah. Santino legte ihr die Hand auf den Rücken und schob Poppy mit leichtem Druck aus dem Waschraum in das Büro seiner Sekretärin und weiter in seinen eigenen Raum.

In der Mitte des dunklen Zimmers ließ er sie los, ging zu seinem Schreibtisch, machte Licht und deutete auf eine Tür zu ihrer Linken. „Sie können sich dort frisch machen, wenn Sie möchten.“

Poppy hatte beim Anblick des großen luxuriösen Büros erstaunt die Augen aufgerissen und konzentrierte sich sofort darauf wieder auf Santino, der immer noch an seinem Schreibtisch stand. Die intime Beleuchtung durch die einzelne Lampe machte den großen Raum kleiner und wärmer. Gleichzeitig verstärkte die schwache Beleuchtung Santinos Präsenz. Er war so groß, so anziehend geheimnisvoll und kraftvoll. Wie war es möglich, dass er jedes Mal noch großartiger auszusehen schien, wenn sie ihn betrachtete?

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den Blick seiner goldbraunen Augen bemerkte. Sie errötete heftig und spürte, wie sie plötzlich von den Gefühlen beherrscht wurde, die sie in dieses Chaos gestürzt hatten. Mit gesenktem Kopf ging Poppy zu der Tür, auf die er gedeutet hatte, und schloss sie hinter sich.

Langsam atmete Santino aus. Er würde sich eine Weile mit Poppy unterhalten, bis sie sich beruhigte. Anschließend wollte er sie in einem Taxi nach Hause schicken. Ganz der fürsorgliche Arbeitgeber? Selbstironisch verzog Santino das Gesicht. Im Geiste sah er wieder, wie Poppy in ihrem grünen Kleid dastand, das ihre üppigen Kurven, die herrliche wilde Mähne, die das Gesicht umrahmte, und ihre blauen Augen fantastisch zur Geltung brachte. Er wünschte, ihr sonniges Lächeln würde zurückkehren. Er mochte die Frau. Daran war schließlich nichts auszusetzen.

Poppy zuckte innerlich zusammen, als sie ihr Spiegelbild in Santinos elegantem Waschraum entdeckte. Sie atmete tief ein, denn ihr war inzwischen leicht schwindelig. Rasch frischte sie ihr Make-up wieder auf, verzichtete aber auf den Lippenstift. Santino sollte auf keinen Fall glauben, dass sie sich seinetwegen schminkte. Denk bloß nicht an die Valentinskarte, ermahnte Poppy sich energisch. Das Geschehene konnte sie nicht rückgängig machen. Ganz gleich, ob er wusste, dass die Karte von ihr stammte, oder nicht: Er würde das Thema kaum ansprechen. Nachdem Poppy sich die Hände getrocknet hatte, verließ sie den Raum.

„Setzen Sie sich“, forderte Santino sie auf.

„Müssen Sie nicht zu der Betriebsfeier zurück?“

„Nein. Ich bleibe nie bis zum bitteren Ende. Meine Anwesenheit scheint die Mitarbeiter ein wenig einzuschüchtern.“ Santino kam mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen näher, das seinen natürlichen Charme unterstrich. Poppy war so fasziniert, dass sie nicht den Blick von ihm nehmen konnte. „Möchten Sie einen Drink?“, fragte er.

„Was haben Sie denn da?“

„Alles Mögliche“, erklärte Santino ohne Umschweife. „Kommen Sie, und sehen Sie selbst.“

Furchtbar verlegen und gleichzeitig seltsam neugierig und aufgeregt, mit Santino allein zu sein, trat Poppy näher. Sie spähte in den randvoll gefüllten Barschrank und entschied sich für das neuste Trendgetränk. Anschließend wich sie mit dem Glas in der Hand zurück, bis sie mit den Beinen gegen die niedrige Lehne eines bequemen Ledersofas stieß, das in der Ecke stand. Zu nervös, um elegant Platz zu nehmen, setzte sich Poppy auf die Lehne.

Aufmerksam beobachtete sie, wie Santino sich einen Brandy aus einer handgeschliffenen Kristallkaraffe einschenkte. Ein Lichtstrahl fiel auf sein schwarzes Haar und betonte seine ausgeprägten Wangenknochen und die feinen Bartstoppeln, die sein Kinn beschatteten. Der Tagesbart ließ ihn sehr sexy aussehen. Santino richtete sich wieder auf und bemerkte ihren Blick.

„Erzählen Sie mal“, begann er wie beiläufig, um ihr die Befangenheit zu nehmen. „Wo haben Sie gearbeitet, bevor Sie zu uns kamen?“

„Ich war Kindermädchen. Das ist der Beruf, den ich gelernt habe“, antwortete Poppy nervös und versuchte, sich ebenso entspannt zu geben wie er.

„Kindermädchen.“ Im ersten Moment war Santino überrascht. Dann sah er Poppy vor seinem geistigen Auge von einer Kinderschar umgeben, und es kam ihm vor, als hätte er plötzlich das letzte Teil eines Puzzles gefunden. Kinder würden Poppy bestimmt lieben, dachte er. Sie würde Freude daran haben, mit ihnen zu spielen, nicht schimpfen, wenn die Kleinen sich schmutzig machten, sie umsorgen und in die Arme nehmen, wenn sie sich verletzt hatten. Wenn Santino an den kühlen, korrekten Griesgram von einer Nanny dachte, die er als kleiner Junge hatte ertragen müssen, kam er sich regelrecht benachteiligt vor.

„Und wieso sind Sie bei Aragone Systems gelandet?“, forschte Santino nach.

Poppy seufzte leise. „Meine erste Stelle war bei einer Diplomatenfamilie. Ich verbrachte volle zwei Jahre bei ihnen.“

„Hat man Sie dort Tag und Nacht für einen Hungerlohn arbeiten lassen?“, wollte er wissen.

Ein glückliches Lächeln umspielte Poppys Lippen bei dieser Vorstellung. „Nein, die Familie war wirklich nett. Alle behandelten mich sehr gut. Das Problem lag bei mir. Ich hing viel zu stark an den Kindern. Als die Familie England verließ und mich nicht mehr brauchte, war ich schlicht verzweifelt“, gab sie wehmütig zu. „Mir wurde klar, dass es nicht der richtige Beruf für mich war. Deshalb besuchte ich einen Kurs in Büroarbeit.“

Santino hätte beinahe geantwortet, dass Poppy damit keine gute Entscheidung getroffen habe. Rechtzeitig besann er sich. Denn ihm wurde plötzlich bewusst, dass er sich die Marketingabteilung gar nicht mehr ohne Poppy vorstellen konnte.

„Leider ist mir der Berufswechsel nicht sehr gut gelungen“, fügte Poppy hart hinzu.

Santino zog die dunklen Brauen zusammen. „Jeder macht gelegentlich einen Fehler.“

„Ich habe es auf zwei offizielle Verwarnungen in sechs Monaten gebracht.“ Poppy hielt erschrocken inne und verwünschte ihre Impulsivität. Vielen Menschen war Poppy einfach zu offen und ehrlich. Jetzt machte sie Santino auch noch auf ihre eigenen Verfehlungen aufmerksam.

Santino widerstand dem starken, aber unprofessionellen Bedürfnis, ihr zu gestehen, dass Desmond überreagiert hatte, indem der Abteilungsleiter eine Beschwerde wegen verschütteten Kaffees vorbrachte. Poppy hatte wirklich Pech. Ihr Vorgesetzter war erst eine Woche auf seinem Posten und sehr darauf bedacht, Zeichen zu setzen und seine Autorität zu festigen. Doch Desmond hatte das falsche Ereignis und die falsche Person dafür gewählt. Poppy konnte das nicht wissen. Aber die Verwarnung war sogar im Vorstand diskutiert worden, wenig ernsthaft und mit entsprechender Ungläubigkeit. Einer der leitenden Angestellten hatte in gespieltem Entsetzen auf die Mineralwasserlache geblickt, die er auf dem Tisch hinterlassen hatte, und laut gefragt, ob die Personalabteilung ihm jetzt ebenfalls das Fell über die Ohren ziehen würde.

Poppy schob ihr Kinn vor. „Als Nanny habe ich keine Fehler gemacht.“

„Aber Sie würden den Leuten fehlen, wenn Sie nicht mehr hier wären.“

Poppy blickte in seine dunklen glänzenden Augen, ihr wurde beinah schwindelig. Sollte das heißen, dass sie ihm fehlen würde? O je, wie kam sie denn auf diesen Gedanken? Santino würde es gewiss nichts ausmachen, wenn sie sich eine andere Stelle suchte und kündigte. Schließlich war Poppy nur ein winziges Rädchen in einem großen Getriebe. Bestimmt hatte er nur nett sein wollen.

Santino beschloss, das Thema vorsichtshalber zu wechseln, und fragte: „Lebt Ihre Familie auch in London?“

Poppy befeuchtete sich die trockenen Lippen und seufzte leise. „Nein, nicht mehr. Meine Eltern sind vor ungefähr eineinhalb Jahren nach Australien ausgewandert. Mein Bruder Peter und seine Frau Karrie leben schon länger in Sydney.“

„Was hat sie auf die andere Seite der Welt verschlagen?“ Mit unnachahmlicher Eleganz lehnte sich Santino gegen die Schreibtischkante.

„Hauptsächlich lag es an meinem Bruder. Er ist mit einer Australierin verheiratet, und ihm wurde dort eine hoch angesehene Lehrtätigkeit an einer Universität angeboten. Peter ist ein brillanter Mathematiker. Er beschäftigte sich schon als Kleinkind mit Algebra.“ Ein selbstironisches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich hatte noch mit zwölf Schwierigkeiten in dem großen Einmaleins.“

„Es gibt wichtigere Dinge im Leben“, warf Santino freundlich ein und überging seine eigenen herausragenden Erfolge auf diesem Gebiet. „Weshalb sind Sie nicht gemeinsam mit Ihrer Familie ausgewandert?“

„Nun … Ich wurde nicht einmal gefragt“, gab Poppy bedauernd zu. „Mum und Dad beten den Boden geradezu an, auf dem Peter wandelt. Sie haben sich ein Haus in seiner Nähe gekauft. Mum hält Peters und Karries Haushalt in Ordnung, und Dad kümmert sich um den Garten.“

„Kostenlose Arbeit … Nicht schlecht, wenn man so jemanden findet. Ihre Schwägerin hatte nichts dagegen?“

„Nein, im Gegenteil. Karrie ist Ärztin und muss sehr lange arbeiten. Sie erwartet gerade ihr erstes Kind. Deshalb ist diese Regelung allen sehr recht.“

„Haben Sie wenigstens noch andere Verwandte in England?“, forschte Santino stirnrunzelnd nach.

„Eine ältere Großtante in Wales, die ich gelegentlich am Wochenende besuche. Und was ist mit Ihnen?“, fragte Poppy plötzlich, durch den Gesprächsverlauf ermutigt.

„Mit mir?“

„Ich nehme an, Ihre Verwandten leben in Italien – falls Sie welche haben“, erklärte Poppy. „Wann ist Ihre Mutter gestorben?“

Sein Gesichtsausdruck verhärtet sich, als Santino sich aufrichtete. „Sie ist nicht tot. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen.“

Verwirrt nickte Poppy und erkannte, dass diese Informationen offensichtlich kaum bekannt waren. Die meisten Mitarbeiter von Aragone Systems hatten angenommen, dass Maximo Aragone Witwer gewesen war.

Santino trank sein Glas aus und setzte es ab. „Ich habe meine Mutter seit meinem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr gesehen.“

„Wie schrecklich!“, rief Poppy. Ihr weiches Herz war von Mitgefühl erfüllt bei dem Gedanken, dass er von einer hartherzigen Frau im Stich gelassen worden war.

Santino warf ihr einen erstaunten Blick zu und fügte ungerührt hinzu: „Es war mein Entschluss, sie aus meinem Leben zu verbannen.“

Schockiert sah Poppy ihn an. Ohne weitere Erklärungen abzugeben, erkundigte Santino sich kühl, ob sie einen weiteren Drink wolle. Doch sie lehnte ab.

Obwohl sie vermutete, dass Santino ihr etwas sehr Privates anvertraut hatte, konnte sie die Frage nicht zurückhalten. „Ist Ihre Mutter sehr grausam zu Ihnen gewesen?“

„Nein, im Gegenteil. Sie liebte mich sehr. Aber sie war keine gute Ehefrau für meinen Vater“, fügte er in einem Ton hinzu, der sie hätte warnen müssen, das Thema nicht weiter zu verfolgen.

„Aha … Verstehe. Sie haben sich auf die Seite Ihres Vaters geschlagen, als es zur Scheidung kam“, sprach Poppy ihren Gedanken laut aus.

Innerlich stöhnte Santino auf. Als wenn es so einfach gewesen wäre!

Die Stille schien sich endlos hinzuziehen.

Als Poppy merkte, dass sie zu persönlich geworden war, errötete sie verlegen. „Bitte, entschuldigen Sie meine Bemerkung. Es ist nur … Sie hatten gesagt, dass Ihre Mutter Sie sehr liebte, und trotzdem waren Sie so grausam zu ihr.“ Im nächsten Moment wurde ihr klar, dass sie ihre Worte schon wieder sehr unbedacht gewählt hatte. Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. „Ich glaube, ich sollte für den restlichen Abend lieber schweigen“, murmelte sie durch die gespreizten Finger.

„Nein … Zuerst werde ich mich gegen Ihre Anschuldigung verteidigen“, erwiderte Santino nachdrücklich. „Lassen Sie mich erklären, weshalb ich den Valentinstag derart hasse.“

„Tun Sie das wirklich?“ Poppy ließ die Hand auf ihren Schoß fallen und sah Santino in einer Mischung aus Verblüffung und Verwirrung an.

„Ja. Ich verehrte meine Mutter“, begann er mit rauer Stimme. „Und mein Vater vergötterte sie ebenfalls. Er flog mit ihr nach Paris, um den Valentinstag gemeinsam in ihrem Lieblingshotel zu feiern. Und wissen Sie, was sie tat?“

Poppy wünschte, sie hätte das Thema nicht angeschnitten, und schüttelte den Kopf.

„An diesem Abend gestand sie meinem Vater eine Affäre und kündigte an, dass sie ihn wegen ihres Liebhabers verlassen würde!“, stieß Santino hervor. Tiefe Missbilligung verhärtete seine markanten Züge.

Poppy dachte über seine Worte nach. „Wahrscheinlich hatte Ihre Mutter so ein schlechtes Gewissen, dass sie es unbedingt Ihrem Vater gestehen musste … Bestimmt hatte sie diesen Abend nicht absichtlich dafür gewählt.“

„Wie dem auch sei – mein Vater war am Boden zerstört“, schloss Santino in einem Ton, der keinen Zweifel an seinem Zorn ließ.

„War er …“ Poppy presste die Lippen aufeinander. So eine private Frage durfte sie nicht stellen. Doch Poppy konnte die Worte unmöglich zurückhalten. „War er ihr immer treu gewesen?“

Darüber hatte Santino noch nie nachgedacht. Poppy betrachtete die Trennung seiner Eltern aus einer Perspektive, die ihm bisher nicht einmal in den Sinn gekommen war. Sein Unbehagen unterdrückend, sah Santino Poppy eindringlich an. Weshalb verspürte er plötzlich das Bedürfnis, sich für einen Entschluss zu rechtfertigen, der so lange zurücklag? Seit fünfzehn Jahren hatte Santino nicht den geringsten Zweifel daran gehegt, dass er sich richtig entschieden hatte.

Es liegt an dem kleinen Wort „grausam“, wurde ihm bewusst. Dieser Ausdruck hatte ihn in einer Weise erschüttert, wie Santino es nie für möglich gehalten hätte. Dunkle Flecken bildeten sich auf seinen Wangenknochen.

„Sie sind sich nicht sicher, nicht wahr?“, flüsterte Poppy, die einen seltenen Anflug von Unsicherheit in seinem Blick bemerkt hatte. „Trotzdem verurteilen Sie weiterhin Ihre Mutter und nicht Ihren Vater. Allerdings habe ich gehört, dass es Jungen häufig schwerer fällt, ihrer Mutter einen … äh … Fehltritt zu verzeihen.“

„Der kleine Tollpatsch – eine Psychologin?“, spottete Santino mit der schneidenden Kraft seiner aufgewühlten Emotionen. „Das wäre ja etwas völlig Neues!“

Poppy zuckte zurück, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen, und wurde kreideblass. In diesem Ton hatte Santino noch nie mit ihr gesprochen und sie erst recht nicht derart missbilligend angesehen. Sein Blick ging ihr durch Mark und Bein, und sie fühlte sich ganz unbedeutend. Natürlich hatte er recht. Was verstand sie schon von solchen Dingen? Einige ihrer Freundinnen hatte die Scheidung ihrer Eltern miterlebt. Poppy verfügte zum Glück nicht über diese Erfahrung. Was fiel ihr ein, Santino vorzuhalten, er hätte sich ungerecht und grausam verhalten?

„Sie haben recht …“, begann sie mit tränenerstickter Stimme und stand rasch von der Sofalehne auf. „Ich kann nicht einmal meine eigenen Probleme lösen, schon gar nicht die anderer. U… und – wie Sie bereits sagten …“, stotterte sie mit wachsender Verzweiflung und ging blindlings im Kreis. „Nicht Sie haben hier ein Problem.“

„Tut mir leid“, stieß Santino rau hervor.

„Nicht nötig. Ich bin wahrhaftig kein besonders diplomatischer Mensch – vor allem nicht nach ein paar Drinks“, murmelte Poppy und hätte auf ihrer Flucht zur Tür beinahe eine Skulptur vom Sockel gestoßen. „Vielleicht war ich sogar ein bisschen eifersüchtig.“

„Eifersüchtig?“, wiederholte Santino verständnislos und folgte ihr quer durch sein Büro.

„Ja.“ Poppy drehte sich verlegen zu ihm zurück. „Sie sagten, Ihre Mutter hätte Sie sehr geliebt. Würde meine Mutter mich genauso lieben, hätte sie meine Briefe vielleicht etwas öfter beantwortet.“

Santino stieß etwas auf Italienisch hervor und griff nach ihren Händen, damit Poppy der Tür nicht näher kam. „Komm her“, drängte er mit belegter Stimme.

4. KAPITEL

Plötzlich bekam Poppy kaum noch Luft. Sie hob den Kopf, blickte in Santinos wunderschöne goldbraune Augen und fühlte sich, als versinke sie in deren geheimnisvoller Tiefe.

Santino zog sie langsam näher zu sich, bis sie nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt standen. „Ich möchte dich küssen.“

„Wirklich?“ Wie gebannt sah sie ihn an.

„Ich möchte dich mit nach Hause nehmen und mit dir schlafen“, gestand er heiser. „Ich kann an nichts anderes mehr denken.“

Poppy blinzelte. Als wäre ein unaufhörliches leises Summen in ihrem Kopf endlich verstummt, konnte sie wieder klar denken. Dennoch verblüfften Santinos Worte sie so sehr, dass sie ihn immer noch nur aus großen Augen ansehen konnte. Ihre Pupillen waren geweitet, die feuchten Lippen leicht geöffnet. Ihr Atem ging stoßweise. Santino wollte sie küssen? Das war eine fantastische Vorstellung. Doch die Situation überforderte Poppy. Bisher hatte kein Mann versucht, sie mit zu sich nach Hause zu nehmen oder sie in ihre Wohnung zu begleiten.

„Aber ich werde mich mit einem Kuss begnügen und anschließend irgendwo mit dir zu Abend essen, cara mia.“ Santino hatte ihre plötzliche ängstliche Miene und die feine Röte auf ihren Wangen bemerkt. Er spürte einen äußerst seltsamen Beschützerinstinkt, wie er es noch nie erlebt hatte. Was mit ihm los war, wusste Santino nicht. Und zum ersten Mal in seinem perfekt organisierten Leben war es ihm egal.

Poppys Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust. Santino empfand etwas für sie? Sie konnte es nicht glauben. Sehnsuchtsvoll wurde sie sich seiner Hände bewusst, die sie hielten, und eine Welle des Glücks durchrieselte Poppy, die ihr buchstäblich zu Kopf stieg. Ihr schnürte sich der Hals zusammen. „Ein Kuss …“, wiederholte sie jenen Wunsch, auf dessen Erfüllung sie am wenigsten warten konnte.

Santino verzog die Lippen zu dem umwerfenden Lächeln, mit dem er das Herz jeder Frau gewinnen konnte, das sein schönes dunkles Gesicht aufhellte und Poppys Puls jedes Mal zum Rasen brachte. „Ja, ein einziger Kuss“, bestätigte er. „Sonst kann ich wahrscheinlich nicht mehr aufhören.“

„Einer ist ein bisschen wenig“, wandte Poppy ein. „Ich warte schon so lange auf diesen Augenblick. O je, du hast deine Begleiterin unten allein gelassen!“, rief sie plötzlich entsetzt und verzog das Gesicht.

„Jenna ist nur eine alte Freundin und längst gegangen“, versicherte Santino lachend.

Nach dieser Erklärung atmete Poppy erleichtert auf, während Santino sie quer durch sein Büro in die Sofaecke führte. Er tat es so selbstverständlich und so natürlich, dass Poppy unwillkürlich beeindruckt war. Sie konnte den Blick nicht von seinem ovalen markanten Gesicht wenden und wagte kaum zu glauben, dass dies alles wirklich geschah. Ihr wurden die Knie weich, sobald sie nur an seinen großen sinnlichen Mund auf ihren Lippen dachte. Sie sehnte sich so sehr nach diesem Moment, dass sie sich beinah dafür schämte.

„Woran denkst du?“, fragte Santino sanft.

„Daran, dich zu küssen“, antwortete Poppy. Tatsächlich schlug die neue intime Seite sie noch stärker in Bann, die sie gerade an Santino entdeckte. Gleichzeitig wurde Poppy bewusst, dass er ganz in seinem Element war und sie hingegen die Rolle der Unwissenden innehatte, die sich völlig seiner kompetenten Führung überließ.

„Daran, dich zu küssen“, wiederholte Santino heiser. Er zog sie auf das Sofa, strich ihr mit den Fingern durchs Haar und weiter zu ihrem Nacken, bevor er ihr Gesicht umfasste.

„Du machst das sehr gut“, flüsterte Poppy und zitterte in lustvoller Erwartung.

„Das will ich hoffen.“ Santino lächelte breit und bestätigte ihr damit, wie erfahren er war.

Poppy konnte den Blick nicht von seinem schmalen, ausdrucksstarken Gesicht nehmen. Ihr Herz schlug schneller.

„Aber ich bin einer Frau noch nie im Büro so nahe gekommen.“

„Nein?“

„Es fühlt sich verboten an … und fantastisch“, seufzte Santino sehnsüchtig in tiefer, kehliger Tonlage.

Poppy bebte am ganzen Körper. Alle ihre Nerven waren gespannt. Doch als Santino die Lippen auf ihren Mund senkte und sie eng an sich zog, schien Poppy „fantastisch“ eine gewaltige Untertreibung zu sein. Sie reagierte so heftig auf den leidenschaftlichen Kuss, als hätte sie ein Leben lang auf diesen Augenblick gewartet.

Verlangend nahm Santino ihre Lippen in Besitz. Quälend langsam küsste er sie, schob vorsichtig seine Zunge in ihren Mund und erforschte jeden Winkel. Es war unwahrscheinlich erregend. So etwas hatte Poppy noch nie erlebt. Weder die aufsteigende innere Hitze noch das plötzliche wilde Verlangen nach mehr, das sie wie eine schamlose Gier befiel. Sie konnte nicht genug von Santinos warmen, festen Lippen bekommen.

Von Zeit zu Zeit lösten sie sich voneinander, um Atem zu schöpfen, klammerten sich aber im nächsten Moment wieder aneinander. „Du bringst mich noch um, cara mia“, flüsterte Santino an ihren vollen Lippen.

Plötzlich richtete er sich auf, streifte die Anzugjacke ab und lockerte seine elegante Seidenkrawatte. Zitternd holte Poppy Luft, sank kraftlos gegen die Sofalehne und sah ihm einfach zu. Die Krawatte landete neben dem Jackett auf dem Boden. Anschließend fasste Santino Poppy an den Füßen und zog sie auf das Sofa, sodass sie jetzt ausgestreckt dalag. Geschickt entledigte er sie der Schuhe und ließ die Pumps ebenfalls auf den Teppich fallen.

Poppy blickte in seine dunklen Augen. Nie im Leben war sie so erregt gewesen wie jetzt.

Santino ließ den Blick trügerisch träge über ihren Körper gleiten. „Dein Haar gefällt mir sehr“, sagte er anerkennend. „Es ist einfach unglaublich. Und dein Mund ist sehr, sehr sexy …“

„Rede weiter“, flüsterte Poppy hilflos.

„Wenn ich rede, kann ich dich nicht küssen“, erklärte Santino mit belegter Stimme und betrachtete ihre weiblichen Kurven so kühn, dass das Blut in ihren Adern zu rauschen begann.

„Ja, das ist ein Problem“, stimmte sie ihm zu und bekam die Worte kaum heraus.

„Aber keines, das sich nicht lösen ließe, cara mia“, versicherte Santino ihr mit dunkler Stimme, seine goldbraunen Augen glühten vor Verlangen und sinnlicher Verheißung. „Ich wüsste zahlreiche, äußerst interessante Möglichkeiten, die ich dir vorschlagen könnte.“

Die Luft schien zu knistern. Santino schenkte ihr erneut sein verführerisches Lächeln, und Poppy hielt es nicht mehr aus. Sie sehnte sich so stark nach seinen Liebkosungen, dass sie sich aufsetzte, ihn an den Schultern fasste und ihrerseits verzehrend die Lippen auf seinen heißen Mund presste. Als er zärtlich zu knabbern begann und sich mit der Zunge vorwagte, um ihren Mund erneut zu erforschen, entrang sich Poppy ein leises Seufzen, tief aus der Kehle,.

„Ich dachte, ich müsste erst reden“, neckte er sie. Behutsam drückte er sie auf das Sofa zurück und öffnete seine restlichen Hemdknöpfe.

„Nicht nötig …“ Wieder wurde Poppy der Mund trocken, als sie Santino aufmerksam betrachtete. Er war so groß und kraftvoll. Winzige, dunkle Locken bedeckten seine breite, muskulöse Brust, seine Haut war wunderbar bronzefarben. Poppys ganzer Körper straffte sich, und ihr wurde erneut glühend heiß.

„Als ich das letzte Mal mit einer Frau auf einem Sofa lag, war ich gerade sechzehn“, gestand Santino, und seine goldbraunen Augen funkelten amüsiert. Mühelos hob er Poppy auf die Arme und schmiegte sie an sich. Kühle Luft strich über ihren Rücken, während Santino den Reißverschluss ihres Kleides herunterzog. Während Santino ihr die zarten Träger von den schmalen Schultern streifte, stieß er beim Anblick der vollen nackten Brüste bewundernd den Atem aus.

„Du bist wunderschön … Jeder Zentimeter von dir ist ein wahres Kunstwerk, cara mia. Die perfekte Belohnung am Ende eines schlechten Tages.“

Dann berührte er sie, und Poppy gab sich ihrer Leidenschaft hin. Sobald er ihre Haut mit geschickten Bewegungen verführerisch streichelte und mit wissenden Lippen ihre beinahe schmerzlich empfindsamen rosigen Spitzen liebkoste, verlor Poppy jegliche Kontrolle über sich. Seufzend überließ sie sich ganz dieser Welt der wilden Sinnlichkeit.

5. KAPITEL

Das Klingeln seines Handys weckte Santino.

Verwirrt wie selten, setzte er sich auf und merkte, dass er noch in seinem Büro war. Einen Moment später holte er das Mobiltelefon aus seiner Jackentasche und drückte auf den Knopf. Ein Wachmann im Erdgeschoss fragte höchst verlegen, ob Santino immer noch oben arbeite.

Ob ich arbeite? Santino warf einen langen Blick auf Poppy, die fest unter der Anzugjacke schlief, in der sein Handy gesteckt hatte. Scham und Unbehagen erfassten ihn.

„Ja. Es wird noch eine Weile dauern, Willis“, erklärte er, schaltete das Telefon aus und blickte auf das beleuchtete Zifferblatt seiner Armbanduhr. Es war vier Uhr morgens und Sonnabend. Zähneknirschend überlegte er, wie er die kleine Rothaarige an den Securityleuten unten in der Halle unbemerkt vorbeischleusen könnte. Wenn es ihm nicht gelang, wäre es um Poppys guten Ruf spätestens bis Montag geschehen.

Santino fluchte stumm. Wie viel Alkohol hatte er gestern getrunken? Zunächst ein paar Drinks vor dem Dinner bei den Delsens, dann Wein zu der Mahlzeit, die er kaum angerührt hatte, und anschließend mehrere Brandys nacheinander. So etwas passte überhaupt nicht zu ihm. Sicher, er war nicht betrunken gewesen, aber auch nicht mehr ganz nüchtern. Auf jeden Fall hatte ihm der Alkohol Hemmungen genommen und seine ethischen Grundsätze erheblich erschüttert, gestand er sich zerknirscht ein.

Erneut blickte er zu Poppy. Ihr wunderschönes Haar breitete sich in einer wilden Mähne über das Leder, hing über eine nackte Schulter und lag auf seinem Jackett. Poppy sah entzückend aus, absolut zufrieden und unschuldig. Nur wusste er allzu gut, dass sie nicht mehr genauso unschuldig war, seit er ihr die Hände auf den Rücken gelegt hatte und …

Mitten in seiner Gewissensprüfung merkte Santino entsetzt, dass er Poppy am liebsten sofort wieder in die Arme gezogen und sie wach geküsst hätte. Dabei schwächte Alkohol angeblich die Libido eines jeden normalen Mannes. Zum Teufel mit der alten Redensart!

Verärgert strich er mit den Fingern durch sein zerzaustes Haar. Er war wütend auf sich selbst. Wie hatte er Poppys Zustand derart ausnutzen können? Verzweifelt suchte Santino nach einer Erklärung. Sie hatten sich beinah gestritten, er warf ihr eine boshafte Bemerkung an den Kopf. Als Poppy hatte gehen wollen, entschuldigte er sich bei ihr. Plötzlich war ihm unglaublich wichtig gewesen, dass sie blieb. Dann hatte sie von ihrer Mutter erzählt, die ihre Briefe nicht beantwortete, und …

Autor

Raye Morgan

Raye Morgan wuchs in so unterschiedlichen Ländern wie Holland, Guam und Kalifornien auf und verbrachte später einige Jahre in Washington, D.C. Jetzt lebt sie mit ihrem Mann, der Geologe und Informatiker ist, und zwei ihrer vier Söhne in Los Angeles. „Die beiden Jungen zu Hause halten mich immer auf dem...

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Krista Thoren
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Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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