Julia WeihnachtsBand Band 22

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DREI WORTE NUR ZUM FEST DER LIEBE von GRAHAM, LYNNE
Will Rocco Volpe sie nur heiraten, weil er der Vater ihres Kindes ist?, fragt Amber sich verzweifelt, als ihr der charismatische Bankier kurz vor Weihnachten einen spontanen Antrag macht. Denn noch immer wartet sie vergeblich auf Worte der Liebe …

HOCHZEIT UNTER DEM MISTELZWEIG von HART, JESSICA
"Komm unter den Mistelzweig!" So überraschend leidenschaftlich küsst Sophies bester Freund Bram sie plötzlich, dass er die köstlichsten Gefühle in ihr erweckt. Wird etwa doch noch ihre heimliche Sehnsucht wahr: eine Traumhochzeit am Fest der Liebe?

EIN BABY ZU WEIHNACHTEN von HARDY, KATE
Jodie verbringt heiß verliebte, romantische Weihnachtstage mit Sam. Der attraktive Arzt ist ihr absoluter Traummann - mit ihm will sie eine Familie gründen! Ihr Glück scheint perfekt, bis Sam ihr gesteht: Ihren Wunsch nach einem Baby kann er nicht erfüllen …


  • Erscheinungstag 23.09.2009
  • Bandnummer 22
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952151
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

JESSICA HART

Hochzeit unter dem Mistelzweig

Ein heiß verliebter Kuss nur zum Schein soll es sein. Doch dann wird Sophie jäh von ungeahnt sinnlichem Verlangen überrascht, als ihr bester Freund Bram sie unter dem Mistelzweig in seine Arme zieht. Und beim Blick in seine endlos blauen Augen wünscht sie sich plötzlich nur noch eins: dass er sie niemals wieder loslässt …

KATE HARDY

Ein Baby zu Weihnachten

Sam weiß, wie sehr die bezaubernde Jodie Kinder liebt und wie sehnsüchtig sie sich eine eigene Familie wünscht. Etwas, das er ihr niemals geben kann. Verzweifelt versucht er, seine Gefühle für sie zu unterdrücken. Denn dass Jodies Liebe zu ihm tatsächlich größer ist als ihr Wunsch nach einem Kind, wagt er nicht zu hoffen …

LYNNE GRAHAM

Drei Worte nur zum Fest der Liebe

Soll sie Rocco Volpes Heiratsantrag annehmen? Amber ist hin- und hergerissen. So sehr sie sich zu dem faszinierenden Geschäftsmann hingezogen fühlt, muss sie doch fürchten: Er will sie nicht aus Liebe an Weihnachten zum Altar führen, sondern, um seinen Ruf zu retten. Denn Rocco ist der Vater ihres geliebten kleinen Sohnes …

1. KAPITEL

Ein eisiger Wind strich über die Hügel und wirbelte winzig kleine Schneeflocken durch die Luft. Schützend legte Sophie die Hand vor die Augen, während sie sich durch den Sturm zur Scheune vorkämpfte. In vier Wochen war Weihnachten, doch Sophie empfand keine Vorfreude, ihr graute vor dem Fest.

Suchend sah sie sich auf dem Hof um. Endlich entdeckte sie Bram, der gerade Strohballen auslud.

Es war eine knifflige Aufgabe, jeden Ballen einzeln aus dem Anhänger zu hieven, ohne dass die anderen herabfielen. Eine Weile schaute sie Bram zu und bewunderte, wie ruhig und methodisch er diese Aufgabe anging.

Als Bram sich das nächste Mal umdrehte, winkte sie, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Er hielt in der Bewegung inne, als er sie sah. Ihm schien das unwirtliche Wetter nichts auszumachen, während sie sich noch tiefer in ihrer Jacke verkroch, um sich gegen den kalten Wind zu schützen, der ihr die widerspenstigen Locken ins Gesicht blies.

„Hallo.“ Er sprang vom Traktor, gefolgt von der treuen Bess, die sofort auf Sophie zurannte. Sophie bückte sich und streichelte den Hund, der vor Freude ausgelassen an ihr hochsprang, obwohl sich dieses Verhalten für einen ausgebildeten Hütehund nicht geziemte. „Ich wusste gar nicht, dass du kommen wolltest“, meinte Bram.

Sophie richtete sich wieder auf. „Ich habe mich spontan dazu entschlossen.“

Nachdem ihre Mutter erzählt hatte, dass Melissa und Nick im Urlaub waren, hatte sie entschieden, nach Hause zu fahren. Inzwischen aber bereute sie ihren Entschluss.

„Ich bin nur übers Wochenende hier.“

„Jedenfalls ist es schön, dich zu sehen.“ Bram umarmte sie. „Es ist lange her.“

Brams Berührungen hatten immer etwas sehr Tröstliches. Wenn sie seine starken Arme spürte, fühlte Sophie sich sicher und geborgen und wähnte sich in dem Glauben, dass alles in Ordnung sei.

„Freut mich auch, dich zu sehen.“ Sie erwiderte die Umarmung ihres Freundes aus Kindertagen mit ehrlicher Zuneigung.

Gemeinsam gingen sie zum Gatter, hinter dem sich in weitem Bogen das Heideland erstreckte. Früher hatten sie oft hier gestanden und sich unterhalten.

„Und, wie geht’s so?“, fragte Bram.

Statt einer Antwort verzog Sophie das Gesicht.

„Hast du Probleme?“

„Ja … eine Menge“, seufzte sie.

Sophie verschränkte ihre Arme und legte sie auf das Gatter, blickte auf das Tal hinunter und sog tief die frische Luft ein. Sie dachte an die kleine Wohnung in London, die sie sich mit einer Freundin teilte. Ihre Fenster dort gingen auf den Hinterhof und zur Straße mit ihrem Verkehrslärm, der selbst nachts nicht abebbte.

Tief atmete sie den Duft nach Glockenheide und Schafen ein, vermischt mit dem schwachen Geruch von verbranntem Holz, der vom Dorf heraufstieg. Sie spürte, dass ihre Anspannung allmählich nachließ.

So war es ihr auf der Haw Gill Farm immer gegangen. Mochte sie auch noch so aufgewühlt ankommen, ihre Sorgen schienen nicht mehr so schlimm, sobald sie die die vertrauten Düfte ihrer Kindheit wahrnahm.

Eine Menge Probleme bedeutet vermutlich, es geht dir so wie immer?“, beschied Bram, und Sophie runzelte die Stirn angesichts seines trockenen Tons.

Typisch Bram. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Es war erstaunlich, dass sie schon so lange befreundet waren, obwohl sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Sie war chaotisch und ungestüm, während seine Zurückhaltung sich im Laufe der Jahre noch verstärkt hatte. Wo er nachdenklich und bedacht war, neigte sie zu Überschwang. Manchmal brachte er sie schier zur Verzweiflung mit seiner Gelassenheit, doch gleichzeitig kannte Sophie keinen Menschen, der aufrichtiger war als Bram. Er war ihr Fels in der Brandung, ihr ältester Freund, der es immer schaffte, dass sie sich besser fühlte.

„Bring mich nicht zum Lachen“, beschwerte sie sich. „Ich will mich erst besser fühlen, wenn ich dir vorgejammert habe, was alles passiert ist.“

Alles klingt ziemlich umfassend“, meinte Bram.

„Spotte nur, aber im Moment läuft wirklich viel schief“, brummte Sophie. Der Wind blies ihr die Locken ins Gesicht, und Bram beobachtete, wie Sophie sie mit der Hand zusammenzuhalten versuchte. Ihm waren ihre Haare immer wie ein Abbild ihrer Persönlichkeit erschienen – wild und unbezähmbar. Oder, wie ihre Mutter häufig anmerkte, ein völliges Durcheinander.

Die meisten Menschen nahmen nur das Ungebändigte ihres Haares wahr, nicht aber die Weichheit oder die ungewöhnliche Farbe. Auf den ersten Blick schienen ihre Haare von einem matten Braun, doch wenn das Licht darauf fiel, entdeckte man noch andere Farben darin: Gold, Kupfer und einen Hauch Bronze.

Sophies Charakter spiegelte sich auch auf ihrem Gesicht wider. Beherrscht von leuchtenden Augen mit einem ungewöhnlichen Farbton zwischen Grau und Grün, wirkte es sehr ausdrucksvoll, ohne im engen Sinn schön zu sein. Ihre Augen erinnerten Bram an einen Fluss, dessen Farbe sich durch die Bewegung und das Licht ständig änderte. Sie hatte einen breiten Mund, der immer in Bewegung schien. Ihr energisches Kinn verriet ihre Sturheit, die früher immer wieder zu Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter geführt hatte.

„Ich habe in jeder Hinsicht versagt“, meinte Sophie gerade, ohne sich bewusst zu sein, dass er sie beobachtet hatte. „Ich bin jetzt einunddreißig“, fuhr sie fort und hob für jedes ihrer Probleme einen Finger. „Ich lebe in einer grässlichen Mietwohnung, in einer Stadt, in der ich nicht leben will. Ich bin dabei, meinen Job zu verlieren – also stehen die Chancen gut, dass ich vielleicht bald nicht mal mehr diese Wohnung bezahlen kann. Ich habe die Liebe meines Lebens verloren, und mit meiner Karriere als Töpferin hat es auch nicht geklappt. Die einzige Galerie, die ich dazu überreden konnte, meine Arbeiten auszustellen, hat zugemacht.“ Sie seufzte. „Ach ja, und jetzt werde ich obendrein noch von meiner Mutter erpresst.“

Mitfühlend hob Bram eine Augenbraue. „Das klingt nicht gut.“

„Nicht gut?“ Sophie sah ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und Zuneigung an. In seiner schmutzigen Hose, den lehmverkrusteten Stiefeln und der abgetragenen Jacke entsprach er genau der Vorstellung, die ein Städter von einem Farmer hatte. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“

„Was möchtest du denn hören?“ Ein wenig amüsiert sah er sie mit seinen blauen Augen an.

„Du könntest zumindest sagen Wie schrecklich oder Du Arme. Nicht einfach nur Das klingt nicht gut.“

„Tut mir leid“, entgegnete Bram in gespielter Demut. „Ich dachte nur eben, dass deine Mutter vielleicht wieder ihre übliche Taktik fährt.“

Er hatte recht. „Wie hast du das denn erraten?“, fragte sie mit einem Anflug von Ironie.

Das war nicht schwer gewesen. Harriet Beckwith war eine Meisterin, wenn es darum ging, ihren Willen durchzusetzen. „Was hat sie denn diesmal ausgebrütet?“

„Sie will, dass ich Heiligabend nach Hause komme.“ Sophie schlang fröstelnd die Arme um ihren Oberkörper. „Sie hat schon alles geplant. Wir werden ein vergnügliches Weihnachtsfest haben, mit der ganzen Familie.“

„Aha.“ Bram hatte sofort verstanden, wo das Problem lag. „Und Melissa …?“

„Wird auch da sein“, ergänzte Sophie. Sie zupfte an der widerspenstigen Locke, die der Wind ihr in den Mund geweht hatte. „Zusammen mit Nick.“

Sie hatte versucht, gelassen zu klingen, doch Bram spürte, wie schwer es ihr fiel, den Namen ihres Schwagers auszusprechen.

„Kannst du nicht sagen, dass du bei Freunden bist, so wie letztes Jahr? Oder dass du in den Skiurlaub fährst?“

„Das würde ich ja, wenn ich es mir leisten könnte, aber ich bin völlig abgebrannt“, meinte Sophie mürrisch. „Sicher, ich könnte so tun als ob, aber das hieße, mich Weihnachten in meiner Wohnung zu verstecken. Ich müsste mich mit einer Dose Ölsardinen durchschlagen und mir nervtötende Weihnachtssendungen ansehen, bis ich schließlich versuche, mich mit Lametta zu erdrosseln.“

„Das hört sich nicht besonders lustig an“, bestätigte Bram.

„Nein.“ Sie seufzte. „Mum hat sich sowieso schon in jeder Richtung abgesichert. Sie hat mich daran erinnert, dass Dad am 23. Dezember siebzig wird, und da soll natürlich mit der ganzen Familie gefeiert werden.“

„Und deshalb fühlst du dich emotional erpresst?“

„Genau.“ Sophie verfiel in die Stimme ihrer Mutter. „‚Wir sind schon so lange nicht mehr alle zusammen gewesen. Und dich sehen wir überhaupt nicht mehr. Es würde deinem Vater sehr viel bedeuten.‘“ Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. „Mum hat gesagt, dass Dad sich in letzter Zeit nicht ganz wohlfühlt, obwohl er mir das Gegenteil erzählt hat. Aber du kennst ja Dad. Er würde das auch sagen, wenn man ihn gevierteilt hätte. Mum hat angedeutet, dass es unser letztes Weihnachten auf der Farm sein könnte. Meinen Eltern wird die Arbeit zu viel und sie denken daran zu verkaufen.“

Sophie zog die Schultern hoch. „Das hat sie allerdings nicht in Anwesenheit von Dad erzählt. Ich schätze, er weiß nichts von diesen Plänen. Denn er würde die Farm nie freiwillig verlassen, das hat er immer gesagt.“

Das klang sehr nach Joe Beckwith. Bram wurde bewusst, in welchem Zwiespalt Sophie steckte, denn ihrem Vater hatte sie von jeher sehr nahegestanden.

„Ich fühle mich schon schrecklich, nur weil ich gezögert habe, Weihnachten zu kommen“, gestand Sophie unglücklich. „Ich muss einfach dabei sein.“

Grübelnd stützte Bram sich auf das Gatter. „Könntest du nicht am 23. kommen und dir dann für Weihnachten etwas anderes vornehmen? So müsstest du nur eine Nacht bleiben.“

„Den Vorschlag habe ich auch schon gemacht, aber da hat Mum erst richtig aufgedreht. Sie erklärte, dass sie die Geburtstagsfeier absagen würde, wenn ich so schnell wieder verschwinde. Und ob es denn zu viel verlangt sei, Dad die Freude zu machen, an seinem Geburtstag da zu sein und an seinem vielleicht letzten Weihnachten mit der ganzen Familie. Wie soll ich denn das Weihnachtsfest genießen, wenn ich so selbstsüchtig bin und meinen Eltern alles verderbe?“

Sie seufzte. „Du kannst dir ja vorstellen, wie es war.“

Bram nickte. Er kannte Harriet Beckwith schon eine Ewigkeit. Wenn sie entschied, dass die ganze Familie zusammen Weihnachten feierte, blieb Sophie nicht anderes übrig, als sich zu fügen.

„Wäre es denn wirklich so schlimm?“, fragte er sanft.

„Nein … vermutlich nicht. Wahrscheinlich mache ich nur mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist nur so …“

„Dass du Nick wiedersiehst“, beendete Bram, weil ihre Stimme brach.

Ihre Lippen zitterten, sodass sie nur stumm nicken konnte. Finster blickte sie auf die Heidelandschaft. „Eigentlich sollte ich schon darüber hinweg sein“, platzte sie schließlich heraus.

„Das braucht seine Zeit, Sophie“, entgegnete Bram. „Dein Verlobter hat dich wegen deiner Schwester sitzen lassen. So etwas vergisst man nicht so schnell.“

Er dachte daran, wie sie ihm zum ersten Mal von Nick erzählt hatte. Sie hatte gestrahlt vor Glück und war so aufgeregt, dass sie nicht still stehen konnte. Bram war verblüfft gewesen, wie sehr seine Freundin mit den wirren Haaren und dem Dickkopf sich verändert hatte.

Für ihn war sie einfach nur Sophie gewesen, die zu seinem Leben dazugehörte. Als sie dann aufs College gegangen war, hatte er sie zwar vermisst, sich aber keine weiteren Gedanken darum gemacht. Wenn sie nach Hause kam, trafen sie sich, und sie war wie immer. Lustig, herzlich und chaotisch – ein Mädchen eben, mit dem man reden und lachen konnte. Aber sie war kein Mädchen, mit dem er schlafen wollte oder bei dem er überhaupt nur daran dachte.

Deshalb war es seltsam für ihn gewesen, sie plötzlich in einem anderen Licht zu sehen. Sie war wie früher und doch irgendwie anders.

Sophie hatte weiter von ihrer großen Liebe erzählt und war viel zu aufgeregt, um Brams nachdenkliche Miene zu bemerken.

„Endlich weiß ich, was es heißt, auf einer Wolke zu schweben“, schwärmte sie. „Ach Bram, du musst Nick unbedingt kennenlernen. Ein unglaublicher Mann! Er ist klug, witzig und bezaubernd und … einfach wunderbar. Ich kann es kaum glauben, dass er wirklich mich liebt, wo er doch jede haben kann.“ Sie seufzte. „Ich muss mich immer wieder zwicken, damit ich merke, dass es nicht nur ein wunderschöner Traum ist. Denn das könnte ich nicht ertragen. Ich glaube, ich würde sterben.“

Das war typisch für Sophie, dachte Bram voller Zuneigung. Keine halben Sachen. Wenn sie sich verliebte, dann ohne Wenn und Aber. Sie war nicht zurückhaltend, sondern mit ganzem Herzen dabei.

„Nick hat mich sogar schon gefragt, ob ich ihn heiraten will“, sagte Sophie. Wieder lag dieses ungewohnte, verwirrende Strahlen in ihren Augen. „Mum und Dad habe ich bis jetzt noch nichts erzählt. Sie würden sicher sagen, dass es ein bisschen zu schnell geht, weil ich ihn noch nicht so lange kenne. Aber Melissa kommt in ein paar Wochen nach London und bleibt einige Tage bei mir. Dann lernt wenigstens sie ihn schon mal kennen. Wenn sie wieder zu Hause ist, wird sie bestimmt erzählen, wie fantastisch er ist, und ich muss nicht mit der Tür ins Haus fallen, wenn ich ihn dann irgendwann zu Hause vorstelle.“

Aber es war nicht so gelaufen, wie sie sich ausgemalt hatte.

An einem ungewöhnlich heißer Spätnachmittag im Juni war Bram gerade auf dem Weg nach Hause, als er eine einsame Gestalt entdeckte, die mit gesenktem Kopf durch die Felder trottete. Es war Sophie. Bram stoppte den Traktor und wartete, bis sie ihn erreicht hatte. Ihre gereizte Stimmung bestätigte ihm, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Wortlos war sie zu ihm getreten. Sie streichelte seine Hündin Bess, die sie wie üblich begeistert begrüßte. Doch dann blickte Sophie hoch, und sein Herz zog sich zusammen, als er den verzweifelten Ausdruck in ihren Augen sah.

Wortlos rückte er zur Seite, um ihr auf dem Traktor Platz zu machen. Eine ganze Weile saßen sie schweigend da, während die Abendsonne die sanften Hügel in ein goldenes Licht tauchte. Es war gespenstisch still, nur Bess, die im Schatten neben dem Traktor lag, japste leise.

„Ich habe immer gedacht, es ist zu schön, um wahr zu sein“, sagte Sophie schließlich. Das Schlimmste für Bram war, sie so zu hören. Ihre Stimme hatte immer gesprudelt vor Leben, doch jetzt klang sie völlig ausdruckslos.

„Möchtest du darüber reden?“, fragte er vorsichtig.

„Eigentlich habe ich versprochen, dass ich es niemandem erzähle.“

„Nicht mal deinem ältesten Freund?“

Unendliche Qual lag in ihren Augen. „Ich glaube, du bist der Einzige, der es verstehen kann.“

„Dann erzähl es mir“, bat Bram. „Geht es um Nick?“

Betrübt nickte Sophie. „Er liebt mich nicht mehr.“

„Was ist passiert?“

„Er hat Melissa gesehen. Ein Blick genügte, um mich zu vergessen und sich in sie zu verlieben.“ Sie schluckte schwer. „Ich musste ihn nur ansehen und wusste, dass es aus ist mit uns.“

„Ach, Sophie …“ Bram wusste nicht, was er sagen sollte.

„Ich hätte damit rechnen müssen“, fuhr sie fort. „Du kennst doch Melissa.“

Bram wusste, was sie meinte. Sophies Schwester war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Ihre ätherische, helle Schönheit schien nicht in die derbe Landschaft Yorkshires zu passen, im Gegensatz zu Sophies lebendiger und sprühender Robustheit.

Es war kaum zu glauben, dass diese beiden Mädchen Schwestern waren. Melissa war ganz anders als Sophie. Eine liebliche, zerbrechliche Erscheinung, der nur wenige Männer widerstehen konnten. Auch Bram war ihr einst verfallen, doch ihre kurze Verlobungszeit vor zehn Jahren schien ihm im Rückblick manchmal nicht mehr als ein schöner Traum. Wie konnte ein praktisch veranlagter, durchschnittlicher Mann wie er auch jemals hoffen, einen solchen Schatz sein Eigen nennen zu dürfen?

Deshalb verübelte er es Nick auch nicht, dass er sich in Melissa verliebt hatte. Aber er hasste ihn dafür, dass er Sophie verletzt hatte.

„Und was hast du gemacht?“

„Was konnte ich schon machen? Es wäre doch unmöglich gewesen, so zu tun, als sei nichts geschehen. Als wir abends nach Hause kamen, habe ich ihm gesagt, dass es sinnlos sei, uns alle drei unglücklich zu machen.“ Ein Anflug von Verbitterung lag in ihrem Lächeln. „Ich habe ihn gehen lassen. Ella meinte, dass ich um ihn kämpfen soll, aber was könnte ich schon gegen Melissa ausrichten?“

„Vielleicht hätte er sie vergessen, sobald sie gegangen wäre“, gab Bram zu bedenken. Er selbst hatte diese Erfahrung mit Melissa gemacht. Solange sie da war, konnte man den Blick nicht von ihr lassen. War sie fort, erinnerte er sich manchmal kaum noch daran, wie sie war, was sie gesagt hatte oder was er selbst fühlte – außer, dass ihre zarte Schönheit ihn geblendet hatte.

Bei Sophie war es anders. Sie hatte nicht Melissas makelloses Aussehen, und trotzdem hatte er sie immer lebhaft vor Augen, ihre Miene, ihr Lachen und ihre ausholenden Gesten, mit denen sie ihre Worte unterstrich. Sophie konnte er sich immer ganz genau vorstellen.

„Vielleicht hätte ich gekämpft, wäre es nicht um Melissa gegangen“, erklärte Sophie. „Aber ich habe ihr Gesicht gesehen. Sie ist es gewohnt, dass die Männer sie anbeten, aber ich glaube, sie selbst hat vorher noch nie wirklich etwas für einen Mann empfunden.“

Abrupt hielt sie inne. Zu spät war ihr bewusst geworden, dass Bram ziemlich lange in ihre Schwester verliebt gewesen war. Und Bram zu verletzen war das Letzte, was sie wollte. „Tut mir leid“, sagte sie zerknirscht.

„Ist schon in Ordnung. Ich weiß, was du meinst.“ Sophie hatte recht. Melissa war es eher gewohnt, geliebt zu werden als selbst zu lieben.

„Ich glaube, bei Melissa war es Liebe auf den ersten Blick“, fuhr Sophie fort. „Es hat sie völlig umgeworfen. Sie konnte ihre Augen nicht von Nick lassen. Und obwohl sie meinetwegen versucht hat, es nicht zu zeigen, konnte ich erkennen, was in ihr vorging.“ Sie rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Für mich war es da schon zu spät. Ich wusste, dass Nick mich nie wieder so sehen konnte wie früher, nachdem er Melissa kennengelernt hatte. Jetzt haben Melissa und Nick wenigstens die Chance, glücklich zu werden.“

„Weiß Melissa eigentlich, was du für sie getan hast?“, fragte Bram. Nur wenige Schwestern würden ein solches Opfer bringen wie Sophie.

Sie nickte. „Sie hat sich schrecklich gefühlt und sehr geweint, als ich ihr sagte, dass ich Nick nun doch nicht heiraten würde. Sie meinte, mir das nicht antun zu können, aber ich habe ihr klargemacht, dass es nicht ihre Schuld sei. Die beiden konnten ja nichts dafür, dass sie sich ineinander verliebt haben.“

„Also sind Nick und Melissa jetzt zusammen?“

„Ja.“ Sophie schaute auf ihre Hände und kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals an. Sie würde nicht mehr weinen. „Nick ist hierher zu Melissa gezogen. Sie wollen zusammen ein Geschäft für Freizeitkleidung aufmachen. Im September werden sie heiraten.“ Endlich – das Schlimmste war heraus. „Deshalb bin ich auch gekommen. Mum will, dass ich mein Brautjungfernkleid anprobiere.“

„Du wirst Melissas Brautjungfer?“, fragte Bram entgeistert. „Das musst du dir doch nicht antun, Sophie. Du verlangst dir damit viel zu viel ab.“

„Es würde doch seltsam aussehen, wenn ich nicht Melissas Brautjungfer wäre“, erklärte sie. „Meine Eltern wissen ja nichts von Nick und mir. Ich glaube, es wäre schrecklich für sie, wenn sie davon erfahren würden. Außerdem wüssten sie dann gar nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollen. Deshalb habe ich Melissa vorgeschlagen, dass wir es ihnen nicht sagen.“ Sie seufzte.„Die Version für meine Eltern lautet, dass Melissa ihn getroffen hat, als sie mich in London besuchte. Mein Verlobter hat mich etwa zur gleichen Zeit sitzen lassen und hieß zufällig auch Nick. Zumindest erklärt das, warum es mir im Moment nicht sonderlich gut geht.“ Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande. „Meine Mutter glaubt, dass ich eifersüchtig bin, weil Melissa bald heiratet und ich nicht.“

Bram zog die Brauen zusammen. „Das ist nicht fair dir gegenüber.“

Sophie zuckte die Schultern. „Um ehrlich zu sein, fühle ich überhaupt nichts mehr, sodass es mir ziemlich egal ist. Melissa und Nick wollen sich hier gemeinsam etwas aufbauen. Und es ist doch sinnlos, ihnen Schwierigkeiten zu machen oder Mum und Dad damit zu belasten, die sie jeden Tag sehen. Ich glaube, es ist für alle am besten, wenn nur ich, Melissa und Nick wissen, wie es wirklich war.“ Sie schwieg einen Moment.

„Dir wollte ich es eigentlich auch nicht sagen“, fuhr sie hilflos fort. „Aber manchmal … fühle ich mich so allein. So deprimiert, unglücklich und einsam. Ich hasse mich dafür, weil ich es nicht abstellen kann. Meine Mutter sagt ständig, dass ich Melissa die Hochzeit noch verderbe, aber ich kann mit niemandem darüber reden.“ Ihre Stimme zitterte verdächtig. „Mit Melissa kann ich auch nicht sprechen, weil sie sich nur noch schuldiger fühlt, wenn sie weiß, wie schlecht es mir geht. Und sonst kennt niemand die Wahrheit.“

Tröstend legte Bram den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. „Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast. Du kannst immer mit mir reden, wenn du willst.“

Plötzlich hatte sie ein so überwältigendes Bedürfnis, sich an seiner starken Schulter auszuweinen, dass sie eine Weile brauchte, um sich wieder zu fassen.

„Danke, Bram. Jetzt, wo ich dir alles erzählt habe, geht es mir schon besser.“

Er löste den Arm von ihrer Schulter. „Kann ich sonst noch was für dich tun?“, fragte er schlicht.

Sophie zögerte. „Würdest du … zur Hochzeit kommen? Ich weiß, es ist nicht einfach für dich, dabei zu sein, wenn Melissa heiratet. Und ich habe fast ein schlechtes Gewissen, dich darum zu bitten. Aber es würde mir sehr viel bedeuten, wenn ich wüsste, dass dann jemand an meiner Seite ist.“

Natürlich hatte Bram Sophies Wunsch erfüllt und war zur Hochzeit gegangen. Er hatte in der kleinen Dorfkirche gestanden und Melissa angeschaut. Sie war schöner als je zuvor, während ihr Blick voller Bewunderung auf Nick ruhte. Seltsamerweise hatte es Bram nicht so wehgetan, wie er angenommen hatte.

Vielleicht, weil er zu besorgt um Sophie war, um über seine eigenen Gefühle nachzudenken. Er wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, die Hochzeit zu überstehen. Sie hatte gelächelt und sich unterhalten, und Bram fragte sich, ob er der Einzige war, der den Schmerz in ihren Augen sah, der Einzige, der ahnte, wie viel Überwindung es sie kostete, ihre Rolle zu spielen. Niemand außer ihm wusste es zu schätzen, wie tapfer sie war.

Sophie hatte ihrer Schwester zum Abschied gewinkt, als sie in die Flitterwochen aufbrach – mit dem Mann, den sie selbst liebte. Dann war sie nach London zurückgekehrt. Seither hatte sie die beiden nicht mehr gesehen und kam nur noch nach Hause, wenn sie nicht da waren. Ihren Eltern gegenüber flüchtete sie sich in Ausreden, aber Bram wusste, dass es wegen Nick war.

Als Sophie sich nun bei ihm einhakte, holte sie ihn in die Wirklichkeit des rauen Novembertages zurück. Freundschaftlich lehnte sie sich an seine Schulter, und Bram wurde sich ihrer Gegenwart auf eine ganz neue Weise bewusst. Früher hatte er nie bemerkt, wie weich sie sich anfühlte oder wie perfekt ihre Körper zusammenpassten, wenn sie sich an ihn schmiegte.

Und sie hatte genau die richtige Größe für ihn. Auch das war ihm vorher noch nie aufgefallen. Ihre zerzausten Locken, die ihn am Kinn kitzelten, rochen sauber und frisch wie Stechginster mit einem Hauch von Kokosnuss-Shampoo.

Er selbst zog den reinen Duft des Stechginsters vor. Bram hatte noch nie an einem tropischen Strand unter Kokospalmen gelegen und vermisste es auch nicht. Ihm reichten vollauf die Hügel seiner Heimat mit dem blühenden Stechginster. Die leuchtenden, ansehnlichen gelben Blüten des Ginsters mit ihrem herben Duft und den Stacheln erinnerten ihn an Sophie.

Bram versuchte, sich davon abzulenken, dass Sophie ihren Körper an seinen presste. Er spürte eine Erregung, die neu für ihn war. Sophie war für ihn stets wie eine Schwester gewesen.

„Es ist schon mehr als ein Jahr her“, sagte sie, ohne sich seiner beunruhigenden Zerstreutheit bewusst zu sein. „Ich dachte, ich würde Nick allmählich vergessen, aber ich glaube, ich liebe ihn noch immer. So habe ich noch nie für einen Mann gefühlt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals einen anderen so lieben könnte. Ich weiß einfach nicht, wie ich über ihn hinwegkommen soll.“

„War er so perfekt?“ Bram hatte Nick kurz bei der Hochzeit kennengelernt und war keineswegs besonders beeindruckt gewesen. Melissas Ehemann war ihm gönnerhaft und ein bisschen zu selbstgefällig erschienen. Auf der anderen Seite hätte er, Bram, sich vielleicht auch selbstherrlich gegeben, wenn er Melissa für sich hätte gewinnen können.

„Nein, Nick ist nicht perfekt“, entgegnete Sophie. „Manchmal ist er richtig arrogant und ein bisschen zu sehr auf seinen Vorteil bedacht, aber er hatte so etwas Aufregendes an sich … ach, ich kann nicht richtig erklären, welche Gefühle er bei mir ausgelöst hat. Aber seit ich mit ihm zusammen war, ertrage ich den Gedanken nicht, dass mich ein anderer Mann berührt.“

Bram wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Gerade jetzt schmiegte sich ihr weicher warmer Körper an seinen, und ihm drängte sich die Vorstellung auf, wie es sich anfühlen mochte, ihre samtene Haut zu berühren.

„Ich habe versucht, mich mit anderen Männern zu treffen“, fuhr Sophie unbeirrt fort, „aber ich musste jedes Mal daran denken, wie es mit Nick war. Ich habe mir eingeredet, dass es anders sein würde, wenn ich ihm wirklich gegenüberstehe, aber ich habe Angst davor. Was ist, wenn sich nichts verändert hat? Melissa würde sofort erkennen, dass ich ihn immer noch liebe, und sie hätte ein schlechtes Gewissen.“

„Und deshalb bist du in London geblieben.“

Sie nickte. „Ich bin nicht gerne dort, und ich habe furchtbares Heimweh. Aber zu Hause würde ich Nick die ganze Zeit sehen, und ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll. Melissa fühlt sich schrecklich wegen der ganzen Geschichte. Manchmal ruft sie mich an und bittet mich, sie zu besuchen, aber ich schaffe es nicht. Und dann fühle ich mich schuldbewusst, weil sie verstimmt ist.“

Sie schluckte. „Wenn ich einen Freund hätte, wäre es vielleicht anders. Dann könnten Melissa – und wohl auch Nick – den Eindruck haben, dass ich darüber hinweg bin, aber ich kann mir ja keinen Mann aus dem Ärmel schütteln. Meine Mutter glaubt, dass es mein Fehler ist. Sie will mich unbedingt verheiratet sehen.“

„Warum das denn?“, fragte Bram verblüfft.

„Weil ihr Melissas Hochzeit so gut gefallen hat, und jetzt brennt sie darauf, wieder ein solches Fest zu organisieren. Sie war außer sich, als Susan Jackson letzten Sommer geheiratet hat. Du weißt ja, dass sie und Maggie Jackson seit je versuchen, sich gegenseitig auszustechen. Mum war richtig böse, dass Maggie es geschafft hatte, schon drei Töchter zu verheiraten. Und alle mit, wie Mum es ausdrückt, ‚anständigen Hochzeiten‘. Also mit Kirche, langem, weißem Brautkleid und einem Zelt im Garten.“

Traurig schüttelte Sophie den Kopf. „Mum hat sich in den Kopf gesetzt, dass ich nur ein bisschen abnehmen und mich herrichten müsste, dann könnte ich mir in null Komma nichts einen Ehemann angeln. Sie fragt mich ständig, ob ich nicht jemand Nettes getroffen hätte.“

„Und was sagst du dann?“

„Ich mache ihr Spiel mit, damit ich meine Ruhe habe“, gestand sie kleinlaut. „Wenn ich jemanden treffe, lasse ich Mum in dem Glauben, dass es etwas Ernstes ist. Eine Zeitlang bin ich mit einem Typen namens Rob ausgegangen. Er ist Lehrer, und sie fand, dass er gut zu mir passt, aber heute musste ich ihr gestehen, dass ich mich nicht mehr mit ihm treffe. Sie hat mir regelrecht Vorwürfe gemacht.“

Sie strich die Haare aus der Stirn und zwang sich zu lächeln. „Mum glaubt, dass ich es nicht richtig versuche.“ Sie seufzte. „Rob ist ein netter Junge, aber …“

„Aber er ist eben nicht Nick.“

„Nein“, gestand sie traurig ein. „Das ist er nicht. Und das Problem ist, dass niemand jemals an Nick heranreicht, aber das kann ich Mum nicht sagen. Sie war sehr verärgert, weil sie gehofft hat, dass ich Rob Weihnachten mitbringen würde. Und sie wollte natürlich wissen, warum die Geschichte aus ist.“

„Und was hast du ihr erzählt?“

Sophie verzog das Gesicht, als sie sich an ihre Ausflüchte erinnerte. „Nun ja, ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also habe ich erzählt, dass ich mich in einen anderen verliebt hätte. Aber es sei alles noch so neu, und deshalb wolle ich nicht darüber sprechen. Etwas Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen“, fügte sie abwehrend hinzu, ehe Bram sie wegen ihres Einfalls verspotten konnte.

„Mum hat mich natürlich ins Kreuzverhör genommen. Und jetzt hält sie mir ständig vor, dass ich verschlossen und schwierig sei. Und sie fragt sich, warum ich nicht so nett und liebenswert wie Melissa sein könne. Das Ganze endete mit einem fürchterlichen Krach, und ich bin davongestürmt, genau wie damals, als ich noch ein Teenager war.“

Und ebenso wie früher hatte sie Zuflucht auf der Haw Gill Farm gesucht. Sophie löste sich aus der tröstlichen Umarmung, sah Bram an. Ob er überhaupt wusste, wie viel er ihr bedeutete? Er war ihr ein treuer Freund, so vernünftig und erdverbunden, so beruhigend handfest. Allein sein Anblick genügte, um ihr wieder Sicherheit und Stärke zu verleihen.

„Ich hatte nur noch einen Gedanken – zu dir zu gehen und dich zu sehen“, sagte sie ehrlich.

2. KAPITEL

Bram bedauerte, dass Sophie sich aus der Umarmung gelöst und stattdessen die Hände in den Taschen vergraben hatte. Auf der anderen Seite war er froh darüber, weil ihre Nähe an diesem Tag ein seltsames Gefühl in ihm weckte.

Er war so in Gedanken, dass er vor Schreck zusammenfuhr, als Bess einen Fasan in seinem Versteck aufspürte, der empört aufbegehrte.

Auch Sophie hatte sich erschrocken. Schuldbewusst sah sie nun zu den Heuballen, die immer noch darauf warteten, ausgeladen zu werden.

„Tut mir leid. Ich habe dich aufgehalten.“ Das Licht des Winternachmittags verblasste, und bald würde es dunkel sein. „Du hast etwas Besseres zu tun, als dir mein Gejammer anzuhören.“

„Du weißt doch, dass ich dir immer gerne beim Jammern zuhöre“, meinte er leichthin. „Aber ich sollte trotzdem diese Ballen noch ausladen.“ Er warf Sophie einen kurzen Blick zu. „Es dauert nicht lange. Willst du nicht schon mal vorausgehen und Wasser aufsetzen? Du weißt ja, was Mum immer gesagt hat …“

„Nach einer schönen Tasse Tee fühlt man sich gleich besser“, gab sie gehorsam wieder.

Molly Thoresby war immer überzeugt gewesen, dass Tee eine ausgesprochen beruhigende Wirkung hatte. Als Sophie nun lächelnd zum Farmhaus ging, konnte sie Molly förmlich vor sich sehen, wie sie an dem alten Küchenherd stand und Wasser aufsetzte, während sie selbst am Tisch saß und ihr das Herz ausschüttete.

Sicher, Sophie liebte ihre eigene Mutter, aber Brams Mutter hatte sie fast genauso gern gehabt. Harriet Beckwith war eine gepflegte, elegante Frau, Molly dagegen war warmherzig, tröstlich und klug gewesen. Sie hatte Sophie nie gedrängt, kritisiert oder sich über sie beklagt, wie Harriet es tat. Sie hatte einfach ihren berühmten Tee aufgesetzt und zugehört. Und danach schien alles wieder fast in Ordnung zu sein. Als Molly vor ein paar Monaten plötzlich gestorben war, war Sophie beinahe so untröstlich gewesen wie Bram.

Auch wenn die große Küche mit dem massiven Holztisch, der Anrichte voller Geschirr und den zwei abgewetzten Sesseln vor dem Holzofen genauso aussah wie immer, schien sie ohne Molly seltsam leer.

Sophie füllte den Kessel und stellte ihn zum Kochen auf den alten Ofen, so wie Molly es auch immer getan hatte. Sie liebte diese alte, gemütliche Küche. Die ihrer Mutter war makellos sauber und mit den modernsten Geräten und großzügigen Arbeitsflächen ausgestattet. Aber es war kein Ort, an dem man sich länger aufhalten wollte.

Inzwischen hatte sich der Himmel über dem Heideland rosa gefärbt, und es wurde schnell dunkler. Sophie machte Licht in der Küche. So konnte Bram den einladend gelben Schein sehen, wenn er nach Hause kam. Wie schrecklich musste es für ihn sein, jeden Abend ein dunkles Haus zu betreten, seit Molly nicht mehr lebte.

Nachdenklich stand sie an dem großen Erkerfenster und sah zu, wie das Tageslicht über der Heide mehr und mehr verblasste. Wie immer, wenn es still um sie herum war, flogen ihre Gedanken zu Nick. Sie dachte an sein umwerfendes Lächeln und wie erregend seine Nähe war. Er musste sie nur leicht berühren, um sie vor Verlangen erschauern zu lassen.

Bei Nick hatte sie sich nie geborgen gefühlt – so wie bei Bram. Jetzt wurde ihr bewusst, dass in ihrer Beziehung immer ein gewisses Risiko gelegen hatte. Bei Nick hatte sie sich nie richtig entspannen können, weil sie ständig Angst gehabt hatte, ihn zu verlieren – selbst in ihrer glücklichsten Zeit mit ihm. Ein gefährliches Gefühl, das aber auch wundervoll gewesen war. Die Liebe zu Nick hatte sie förmlich elektrisiert. Und sie hatte sich sehr lebendig gefühlt.

Sophie konnte sich nicht vorstellen, dass sie je wieder so fühlen würde. Es gab nur einen Nick, und der gehörte jetzt ihrer Schwester.

Als die Hintertür geöffnet wurde, schrak Sophie aus ihren Gedanken auf.

„Ab in deine Hütte, Bess“, hörte sie Bram sagen. „Und bleib.“

Sophie war sicher, dass die gute alte Bess sich heimlich danach sehnte, wie ein verhätscheltes Haustier drinnen am warmen Kamin liegen zu dürfen. Jeden Tag saß sie mit hoffnungsvollem Blick an der Tür, wenn Bram seine Stiefel auszog und ihr dann befahl, sich in ihre Hütte draußen zu trollen.

„Du bist ein Arbeitshund“, würde Bram mit strenger Miene sagen. „Ins Haus darfst du erst, wenn du in Rente bist.“

„Dieser Hund ist ein hoffnungsloser Fall“, meinte er, als er in dicken grauen Socken die Küche betrat. Seine braunen Haare waren zerzaust vom Wind, und seine Augen leuchteten in dem kantigen, wettergegerbten Gesicht so blau, dass Sophie für einen verwirrenden Moment glaubte, sich einem Fremden gegenüberzusehen.

„So schlimm ist sie doch gar nicht“, wehrte sie ab, während sie die Teekanne mit heißem Wasser ausspülte, um sie anzuwärmen.

„Doch, ist sie. Und nutzlos“, meinte Bram in gespielt anklagendem Ton. „Manchmal glaube ich, es wäre besser, wenn ich hinter den Schafen herliefe und Bess die Pfeife überließe.“

Sophie lachte. „Zumindest versucht sie, ihre Pflicht zu tun. Und sie liebt dich heiß und innig.“

„Sie sollte besser das lieben, was ich ihr auftrage“, seufzte Bram.

„Ich fürchte, so läuft das mit der Liebe nicht“, sagte Sophie traurig, während er ihr einen mitleidsvollen Blick zuwarf.

„Nein, ich weiß.“

„Kann man jemals darüber hinwegkommen?“, fragte sie.

„Ja, das kann man“, erklärte er. „Irgendwann schon.“

„Aber bei dir scheint es auch nicht aufzuhören“, vermutete sie. „Wie lange ist es her, dass du mit Melissa verlobt warst?“

„Mehr als zehn Jahre“, gestand er.

„Und du hast sie immer noch nicht ganz vergessen?“

Bram antwortete nicht gleich, sondern wärmte seine Hände am Holzofen. Er dachte an Melissa mit ihren goldblonden Haaren, den tiefblauen Augen und diesem Lachen, das leuchtend war wie die Sonne.

„Doch, das habe ich“, sagte er schließlich, obwohl er selbst merkte, dass er nicht ganz überzeugend klang. „Es tut nicht mehr so weh wie früher, obwohl ich zugeben muss, dass ich ab und zu noch an sie denke. Dann überlege ich mir, was wäre, wenn sie die Verlobung nicht gelöst hätte. Wäre Melissa eine gute Farmersfrau geworden?“

Wahrscheinlich nicht, dachte Sophie. Obwohl sie auf einem Bauernhof aufgewachsen war, hatte Melissa sich noch nie gerne die Hände schmutzig gemacht. Und das musste sie auch nicht, weil sie immer so hilflos und zerbrechlich wirkte, dass stets jemand da war, der ihr die schweren Arbeiten abnahm.

Schon vor langer Zeit hatte Sophie akzeptiert, dass sie die Dinge erledigen musste, an die Melissa nicht mal einen Gedanken verschwendete. Sie bedauerte es nicht, denn sie liebte ihre Schwester und war stolz auf deren Schönheit.

„Ich mag Melissa tatsächlich noch“, sagte Bram. „Ein Teil von mir wird sie immer lieben. Aber ich bin nicht mehr verletzt, so wie du im Moment noch, Sophie. Ich weiß, es ist ein schreckliches Klischee, aber die Zeit heilt wirklich alle Wunden.“

Die Teekanne war inzwischen warm genug, und Sophie schüttete das heiße Wasser aus. Dann gab sie etwas losen Tee in die Kanne und goss ihn mit gekochtem Wasser aus dem Kessel auf.

„Ist Melissa der Grund, warum du nie geheiratet hast?“ Sie stellte zwei Tassen auf den Tisch.

Bram zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.

„Zum Teil“, räumte er ein. „Aber es ist nicht so, dass ich immer noch auf sie warte. Ich bin durchaus bereit, mich auf jemand anders einzulassen.“

„Ich dachte, dass Rachel gut zu dir passen würde“, bemerkte Sophie. „Jedenfalls mochte ich sie.“

Wenn jemand ihm über Melissa hätte hinweghelfen können, dann Rachel – das jedenfalls war Sophies Meinung gewesen. Sie war Anwältin in Helmsley, eine warmherzige, lustige, intelligente Frau. Außerdem praktisch veranlagt, so wie Bram es brauchte.

„Ich mochte sie auch“, sagte Bram. „Sie war toll, und ich dachte, es wird was aus uns. Aber dann stellte sich heraus, dass wir unterschiedliche Vorstellungen hatten. Rachel war nicht darauf erpicht, die Frau eines Farmers zu werden. Sie wollte nach York ziehen. Dort könnte sie abends ausgehen, Freunde auf einen Drink treffen oder ins Kino gehen … aber ich hätte das Stadtleben nicht ertragen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Deshalb haben wir uns entschieden, einen Schlussstrich zu ziehen.“

„Tut mir leid“, sagte Sophie. Aus reiner Gewohnheit ging sie zur Anrichte, wo Molly immer eine angeschlagene Dose mit köstlichen selbstgemachten Plätzchen aufbewahrt hatte. Doch als Sophie die Dose herausnahm, war sie leer.

Wie dumm von mir, schalt sie sich im Stillen. Natürlich war sie leer. Nichts hätte deutlicher zeigen können, dass Molly nicht mehr da war. Traurig stellte sie die Dose wieder zurück.

„Ich vermisse deine Mum“, sagte sie.

„Ich weiß. Das tue ich auch.“ Bram stand auf und fand eine Packung Kekse in der Speisekammer. „Wir legen sie am besten auf ihre Lieblingsplatte.“ Er nahm sie oben vom Küchenschrank.

Sophie hatte die Kuchenplatte als Weihnachtsgeschenk für Molly getöpfert, in dem Jahr, als sie entdeckt hatte, wie gut der Ton sich in ihren Händen anfühlte. Sie hatte ihn gebrannt und dann ein ziemlich aus der Form geratenes Schaf darauf gemalt. Verglichen mit ihren späteren Arbeiten sah die Platte recht plump aus. Doch Molly hatte sich sehr darübergefreut und darauf bestanden, dass sie immer zum Tee benutzt wurde.

Bram legte die Kekse auf die Platte und stellte sie auf den Tisch. Dann setzte er sich Sophie gegenüber und sah zu, wie sie Tee in die Becher goss.

„Es war schon sonderbar, als ich eben zum Haus ging“, meinte Bram. „Die Lichter waren an, ich habe den Teekessel pfeifen hören … fast so, als ob Mum noch da wäre. Abends, wenn ich in das leere Haus komme, vermisse ich sie am meisten. Sie war immer da, hat gekocht, Radio gehört, Tee getrunken. Ich denke manchmal, dass sie gerade nur hinausgegangen ist und jeden Augenblick zurückkommen könnte.“

Sophies Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, Bram. Ich erzähle dir ständig von meinen Problemen, dabei ist es viel schlimmer, dass du Molly verloren hast. Wir kommst du denn damit zurecht?“

„Ach, ich komme schon klar“, sagte Bram leichthin. „Allerdings ist mir in den vergangenen Wochen erst bewusst geworden, wie viel Mum für mich getan hat. Als sie noch da war, habe ich mir keine großen Gedanken über die Hausarbeit gemacht. Wahrscheinlich war ich ganz schön verwöhnt.“

„Isst du denn was Anständiges?“ Molly hätte sicher gewollt, dass sie danach fragte.

Er nickte. „Ich kann nicht gut kochen, und ich vergesse oft einzukaufen, aber verhungern werde ich schon nicht. Es ist nicht so, dass ich nicht allein zurechtkomme, aber ich wusste gar nicht, wie viel Arbeit so ein Haushalt macht. Ich wünschte, ich hätte nicht alles als selbstverständlich angesehen. Ich habe ihr nie gesagt, wie sehr ich all das schätze, was sie für mich getan hat.“

Sophie tat es in der Seele weh, ihn so bedrückt zu sehen. „Molly hat dich geliebt. Und sie wusste, dass du sie liebst. Du musstest ihr nichts sagen.“

Bram gab Zucker in seine Tasse und rührte versonnen den Tee um. „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, wenn Lammzeit ist“, gestand er. „Da brauche ich mindestens noch zwei Hände.“

Sophie, selbst auf einer Farm aufgewachsen, wusste, dass dies eine harte Zeit war. Tag und Nacht schauten die Farmer nach ihren Schafen, um sicherzugehen, dass so viele Lämmer wie möglich überlebten.

„Es ist schwer, eine Farm ganz allein zu führen.“ Sie seufzte.

„Jetzt ist mir auch klar, warum Mum so versessen darauf war, dass ich heirate. Seit sie tot ist, habe ich über sehr vieles nachgedacht“, gestand er. „Solange Mum noch lebte, musste ich mich nicht damit auseinandersetzen, dass ich Melissa verloren habe.“ Stirnrunzelnd hielt er inne, um über seine Worte nachzudenken. „Ergibt das überhaupt einen Sinn?“

„Willst du damit sagen, dass du Melissa als Entschuldigung genommen hast, dass es nie richtig mit einer anderen funktionierte?“

Reumütig sah er sie an. „So wie du es sagst, klingt es nicht besonders gut, oder? Aber ich glaube, so war es. Keine meiner anderen Freundinnen hat ein ähnliches Gefühl in mir ausgelöst wie Melissa. Wahrscheinlich habe ich es auch gar nicht erst versucht, weil Mum ja da war und alles so weiterlief wie immer.

„Und jetzt ist sie tot …“ Nachdenklich sah er vor sich hin. „Manchmal fühle ich mich ziemlich einsam“, gab er schließlich zu. „Besonders wenn ich abends allein hier sitze und überlege, wie mein Leben sein wird, wenn ich nicht heirate. Der Gedanke gefällt mir überhaupt nicht. Ich glaube, ich sollte Melissa ein für alle Mal vergessen und nicht jede Frau, die ich treffe, mit ihr vergleichen. Ich muss endlich in die Zukunft sehen.“

„Das ist einfacher gesagt als getan“, erklärte Sophie, die an Nick dachte, während Bram bedauernd nickte.

„Besonders wenn man den lieben langen Tag nur Schafe sieht und mit Bess redet. Da ist es nicht so leicht, eine Frau zu finden. Und je älter man wird, desto schwerer scheint es zu sein.“

Auch Sophie wurde jetzt zum ersten Mal richtig bewusst, dass es in dieser Gegend kaum Gelegenheit gab, Leute kennenzulernen. Sicher, es gab einen Pub in dem kleinen Ort, aber nur selten zog jemand Neues in die Gemeinde.

Also war es wohl tatsächlich nicht so einfach für Bram. Obwohl man annehmen sollte, dass ein gut gebauter, vermögender Single Anfang dreißig leicht eine Freundin finden müsste, dachte Sophie. Sie erinnerte sich an ihre Freundinnen aus London, die sich immer darüber beschwerten, dass jeder passable Mann bereits verheiratet sei. Bram mochte nicht im klassischen Sinne attraktiv sein, aber er war liebenswert, anständig und absolut verlässlich. Er würde einen sehr guten Ehemann abgeben.

„Du solltest mit nach London kommen“, schlug sie vor. „Da würde man sich um dich reißen.“

„Das ist sinnlos, wenn die Frauen sich dann nicht mit einem Leben auf einer einsam gelegenen Farm anfreunden können“, entgegnete Bram. „Ein zimperliches Mädchen, das die kalten Morgen und den Matsch nicht erträgt, ist nichts für mich. Offensichtlich habe ich mir da in den letzten Jahren etwas vorgemacht, denn nach Melissa kamen all meine Freundinnen aus der Stadt. Also habe ich am falschen Platz gesucht. Ich brauche ein Mädchen vom Land.“

Liebevoll sah Sophie ihn an. Ja, ein nettes Mädchen vom Land war genau das, was Bram brauchte. Und es würde doch sicher hier draußen irgendwo eine Frau geben, die glücklich wäre, mit Bram zu leben. Sie könnte in dieser wundervollen Küche kochen und würde im Winter mit Bram gemütlich vor dem knisternden Kamin sitzen.

„Ich wünschte, ich könnte dich heiraten“, sagte sie mit wehmütigem Lächeln.

Bram stellte seinen Becher ab. Die Wanduhr seiner Mutter tickte überlaut in der plötzlichen Stille.

„Und warum tust du es nicht?“, fragte er schließlich.

Ein wenig verunsichert lächelte Sophie ihn an. Er machte nur einen Scherz, oder nicht? „Warum ich dich nicht heirate?“, wiederholte sie, um sicherzugehen, dass sie ihn richtig verstanden hatte.

„Du hast doch eben gesagt, dass du dir wünschst, du könntest mich heiraten“, beharrte Bram.

„Ich weiß, aber ich wollte damit sagen …“ Sophie war völlig aus dem Konzept, weil er es anscheinend ernst meinte, und wusste nicht mehr, was sie eigentlich hatte sagen wollen. „Ich wollte damit nicht andeuten, dass wir wirklich heiraten sollen“, versuchte sie zu erklären.

„Warum nicht?“

Ihr Blick wurde noch argwöhnischer. Was ging hier eigentlich vor? „Na ja, das ist doch offensichtlich, oder nicht?“, meinte sie verlegen. „Wir lieben uns nicht.“

„Doch, ich liebe dich“, erklärte Bram und nahm in Ruhe einen Schluck von seinem Tee.

„Und ich liebe dich auch“, versicherte sie ihm hastig. „Aber nicht auf die Weise, wie man jemanden liebt, den man heiratet.“

„Willst du damit sagen, dass du mich nicht so liebst wie Nick?“

Eine leichte Röte überzog Sophies Wangen. „Ja. Oder so, wie du Melissa liebst. Du weißt, dass es etwas anderes ist. Wir beide sind Freunde, kein Liebespaar.“

„Genau deshalb könnte es ja klappen“, warf Bram ein. „Wir haben das Gleiche durchgemacht und können deshalb verstehen, wie der andere sich fühlt.“

Er hielt inne, um sich selbst erst einmal darüber klar zu werden. Bis jetzt war es ihm noch nie in den Sinn gekommen, dass er Sophie heiraten könnte. Doch nun schien es ihm plötzlich offensichtlich, dass es die beste Lösung war. Warum war er nicht früher darauf gekommen?

„Wenn wir schon beide nicht den Menschen haben können, den wir wollen, haben wir zumindest uns“, versuchte er, sie zu überzeugen. „Außerdem gehen wir kein Risiko ein wie bei einem fremden Menschen. Wir kennen uns schon seit einer Ewigkeit. Du weißt, was ich mag, und umgekehrt. Außerdem würde ich auch nicht entsetzt davonlaufen, wie ein Fremder es täte, wenn er deine seltsamen Gewohnheiten entdeckt.“

Sophie, die gerade ein Plätzchen in ihren Tee tunkte, hielt mitten in der Bewegung inne. „Was für seltsame Gewohnheiten?“, wollte sie wissen.

„Wie du dein Gesicht verziehst, wenn du im Pub sitzt und überlegst, was du trinken sollst. Oder dass du behauptest, keine Chips zu wollen, und sie dann trotzdem ständig isst.“

Sophie rümpfte die Nase und nahm sich einen weiteren Keks. „Sonst noch was?“

„Na ja, zum Beispiel dass du eine ganze Packung Plätzchen futterst und dich dann beschwerst, du würdest zu dick werden.“

Schuldbewusst ließ sie den Keks sinken und merkte zu spät, dass er sie nur aufzog. „Deine seltsamen Angewohnheiten willst du wohl nicht wissen, oder?“

„Verrate mir die schlimmste.“

„Du bist unerträglich gelassen und machst nie einen Aufstand.“ Fast trotzig aß Sophie ihr Plätzchen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du je die Kontrolle verlieren könntest.“

„Ach, wirklich nicht?“

Einen Moment war es still, und Sophie sah plötzlich Bram als feurigen Liebhaber in solcher Klarheit vor sich, dass es sie zutiefst verwirrte. Zu Anfang wäre er langsam und bedacht, aber wenn er zum Höhepunkt kam – ja, dann würde er seine Kontrolle verlieren.

Entsetzt spürte Sophie, dass sie knallrot wurde. Es schien nicht richtig, sich Bram so vorzustellen. Sie drehte die Kuchenplatte zwischen ihren Fingern, um sich zu beschäftigen. „Na schön, ich muss zugeben, dass deine Marotten nicht so seltsam sind wie meine.“

„Jedenfalls sind unsere Angewohnheiten nicht unvereinbar.“

Wieder war es still. Sophie warf Bram einen Blick zu, um sicherzugehen, dass er nur scherzte. „Du denkst doch nicht ernsthaft darüber nach, oder?“

Gedankenverloren starrte Bram auf den Becher, den er mit seinen kräftigen Händen umfasste. „Vielleicht doch.“

Er hob seinen Blick und sah sie eindringlich an. „Wir sollten der Realität ins Auge sehen, Sophie. Wir haben beide nicht den Menschen heiraten können, den wir lieben. Wir können allein bleiben und unglücklich sein, oder wir können zusammenleben. Unsere Ehe wird vielleicht nicht die leidenschaftlichste sein, aber dafür verbindet uns eine tiefe Freundschaft. Wir können ein sorgenfreies Leben führen. All das zählt vielleicht viel mehr als große Leidenschaft.“

„Um ehrlich zu sein, brauche ich auch jemanden, der mir auf der Farm hilft“, fuhr er fort. „Ich hätte dich sehr gerne zur Frau, Sophie. Ich wünsche mir jemanden an meiner Seite, der die Heide kennt und sich nicht vor der Einsamkeit fürchtet – und einen Menschen, der mir hilft, den Betrieb zu führen. Also nicht nur eine Frau, sondern auch eine Partnerin. So jemanden wie dich. Du … kannst ja auch nicht den Mann haben, den du wirklich willst, aber du hast gesagt, dass du endlich ein richtiges Zuhause haben möchtest. Du warst doch immer sehr gerne hier. Die Haw Gill Farm wäre genauso dein Zuhause, wie es meines ist. Und du könntest dir in einer der Scheunen eine Töpferwerkstatt einrichten und wieder anfangen, mit Ton zu arbeiten.“

Sein Blick ruhte auf Sophies Gesicht. „Wir hätten zwar nicht alles, was wir wollten, aber wenigstens ein bisschen davon. Das perfekte Happy End ist doch nur etwas für Bücher oder Filme, Sophie. Wir wären nicht die ersten, die ihre Ehe auf einem Kompromiss aufbauen.“

„Kompromisse zu machen bedeutet, seine Träume aufzugeben“, erklärte Sophie.

„Nein, es bedeutet, mehr als nichts zu haben“, entgegnete Bram. „Und zumindest würde es dein Problem mit Weihnachten lösen“, fügte er listig hinzu. „Du hast doch selbst gesagt, dass du eure Familienfeier besser überstehen würdest, wenn ein Freund an deiner Seite wäre. Warum also soll ich nicht dieser Freund sein?“

„Na ja … weil alle dich kennen.“

„Und?“

„Sie wissen, dass wir schon unser ganzes Leben lang befreundet sind. Da ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass wir uns aus heiterem Himmel ineinander verliebt haben sollen. Außerdem habe ich Mum schon erzählt, dass ich mich in einen anderen verliebt habe.“

„Aber du hast ihr nicht gesagt, wer es ist“, erinnerte er sie. „Also könnte auch ich es sein, oder nicht?“

„Nein, weil ich es ihr erzählt hätte, wenn es so wäre.“ Seine Beharrlichkeit verwirrte sie, auch wenn sie immer noch nicht ganz glaubte, dass er es wirklich ernst meinte.

„Dann haben wir eben jetzt erst gemerkt, dass wir ineinander verliebt sind, und mussten uns erst an den Gedanken gewöhnen, bevor wir es weitererzählen.“

Sophie sah ihn skeptisch an. „Und du meinst, dass meine Familie uns das abnimmt?“

Gelassen zuckte Bram die Schultern. „So etwas kommt immer wieder vor, dass man sich plötzlich in einem ganz anderen Licht sieht.“

Er wusste noch genau, dass er seltsam verwirrt gewesen war, als sie sich am Gatter an ihn geschmiegt hatte. „Menschen verändern sich eben“, meinte er. „Und manchmal genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet.“

„Kann sein.“ Sophie hatte ihre Zweifel. „Aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass ich mich auf diese Weise verlieben könnte.“

Bei Nick war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie hatte ihn angesehen und war sofort hilflos verloren … Wie sollte so etwas bei einem Menschen funktionieren, den man schon eine Ewigkeit kannte?

So wie Bram. Das wäre doch verrückt. Forschend sah sie ihn an. Nichts war verkehrt an ihm, aber er hatte auch nichts Besonderes, das einem die Luft nahm.

Trotzdem musste sie zugeben, dass sie Brams Augen immer sehr gemocht hatte. Sie waren von einem tiefen Blau, wie das Meer im Sommer. Und in seinem Blick schimmerte verhaltener Humor.

Plötzlich entdeckte sie, dass er einen faszinierenden Mund hatte. Seltsam, dass ihr das nicht schon früher aufgefallen war. Und er hatte etwas an sich, dass sie … Sie suchte nach dem richtigen Wort. Nicht, dass er sie reizte oder verwirrte. Vielleicht brachte er sie nur ein wenig aus dem Gleichgewicht?

Weil er sie ein ganz kleines bisschen erregte?

Erschreckt verdrängte sie das Gefühl. Es war Bram, der ihr gegenübersaß. Es war falsch, ihn so anzusehen. Sie sollte nicht über seine Augen nachdenken. Und vor allem nicht über seinen Mund. Und auf keinen Fall durfte sie das Gefühl zulassen, das sie dabei erfasst hatte.

„Wenn wir verlobt wären, hättest du eine perfekte Entschuldigung, warum du Weihnachten bei mir feierst und nicht bei deiner Familie“, kam Bram wieder auf das Thema zurück. „Sicher, beim Geburtstag deines Vaters und beim Weihnachtsessen würdest du Nick sehen, aber es wäre ja nicht für lange. Außerdem könnten wir jederzeit vorgeben, dass es hier Probleme gibt. Daran mangelt es ja tatsächlich nicht“, fügte er verschmitzt hinzu.

Sophie musste zugeben, dass sie das Weihnachtsfest mit Bram an ihrer Seite wirklich leichter überstehen würde. Er verstand es immer, ein unangenehmes Schweigen oder eine angespannte Atmosphäre mit Humor aufzulösen – eine Fähigkeit, die zu Weihnachten im Hause Beckwith sehr vonnöten sein könnte.

Seine Anwesenheit würde es für Melissa auch einfacher machen. Sophie wusste nur zu gut, wie entsetzlich ihre Schwester sich wegen der ganzen Geschichte fühlte. Wenn Melissa also glaubte, dass sie, Sophie, ihr Glück mit Bram gefunden hatte, könnte sie vielleicht endlich ihre Ehe mit Nick genießen.

Und Nick? Wie würde er sich fühlen? Wäre er froh, dass Sophie einen anderen gefunden hatte und endlich über ihn hinweggekommen war?

Wie ihre Mutter auf ihre Verlobung reagieren würde, war nicht schwer zu erraten. Sie wäre entzückt. Nicht nur, weil das Weihnachtsfest nach ihren Plänen verlaufen würde, sondern weil sie im neuen Jahr auch eine Hochzeit vorbereiten könnte. Für sie wäre es das schönste Geschenk, das Sophie ihr zu Weihnachten machen könnte.

Ihr Vater wäre auch sehr erfreut, wenn seine beiden Töchter an seinem siebzigsten Geburtstag bei ihm wären.

Ja, es wäre tatsächlich einfacher für alle, wenn sie ihnen sagte, dass sie vorhatte, Bram zu heiraten.

Aber könnte sie das wirklich tun, nur um ihre Familie glücklich zu machen?

Versonnen drehte Sophie die Teetasse zwischen ihren Händen hin und her.

Könnte es funktionieren? Wie würde es sein, Bram zu heiraten? Sie hatte ihn immer nur als guten Freund gesehen. Aber wie wäre er als Ehemann? Als Liebhaber?

Gedankenverloren sah sie ihn an. Wie würde sich sein Mund auf ihrem anfühlen? Wie sein Kuss? Und diese starken, tüchtigen Farmerhände. Sie hatte miterlebt, wie er mit diesen Händen behutsam einem Lämmchen auf die Welt half, prüfend über die Flanke einer Kuh strich oder geschickt einen Motor reparierte. Aber noch nie war er damit zärtlich über ihre Haut gefahren. Was würde sie dabei empfinden?

Allein der Gedanke war ihr schon peinlich.

„Das ist doch verrückt“, sagte sie verlegen. „Wir können doch nicht ernsthaft überlegen zu heiraten, nur um uns ein paar Minuten der Unannehmlichkeit beim Weihnachtsessen zu ersparen.“

„Ich habe auch eher an die Unannehmlichkeit des Lebens im Allgemeinen gedacht“, erklärte Bram gelassen, der spürte, dass der Moment verflogen war.

„Sicher, es hat seine Vorteile, Bram. Ich möchte nicht allein durchs Leben gehen und meine Zeit mit schlechter Laune vergeuden. Aber es wäre nicht fair. Du bedeutest mir viel zu viel, als dass ich dich heiraten könnte, obwohl ich noch so viel für Nick empfinde. Du verdienst etwas Besseres.“

„Inwiefern besser?“ Es überraschte ihn, dass er so enttäuscht war.

Seltsam. Noch vor ein paar Minuten wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Sophie zu heiraten. Und jetzt schien es ihm nahezu das Beste, was ihm je eingefallen war.

„Du verdienst mehr, als nur zweite Wahl zu sein“, sagte Sophie sanft. „Du solltest eine Frau haben, die an dich glaubt und dich um deiner selbst willen liebt. Ich weiß, dass du sie irgendwann finden wirst. Sie wird liebenswert und freundlich sein, und du wirst dich fragen, wie du je eine andere hast lieben können. Du wirst ihr Fels sein, und sie dein leuchtender Stern. Und ihr werdet zusammen so glücklich sein, dass du mir jeden Tag, den du neben ihr aufwachst, dankbar bist, dass ich dich nicht geheiratet habe.“

Sie stand auf, trat hinter ihn, schlang die Arme um seinen Hals und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist mein bester Freund“, flüsterte sie in sein Ohr, während Bram einen Moment die Augen schloss. Es schockierte ihn, wie sehr er sich ihrer Nähe und Wärme bewusst war.

„Ich weiß, dass du nur nach einem Weg suchst, mir die Sache zu erleichtern, aber du musst auch an dich selbst denken. Ich wünschte, es könnte anders zwischen uns sein.“

Bram umschloss ihre Hand, die auf seiner Brust ruhte. Seine Kehle war vor Verlegenheit plötzlich wie zugeschnürt.

„Das wünsche ich mir auch“, sagte er gepresst.

3. KAPITEL

Harriet Beckwith kam sofort aus der Küche, als sie hörte, dass Sophie die Eingangstür aufsperrte. Trotz ihrer Schürze und dem Nudelholz in der Hand hatte sie nichts von einer typischen Farmersfrau, weder eine dralle Figur noch von der Arbeit kräftige Hände. Stattdessen war sie eine attraktive, perfekt gepflegte Frau voller Tatendrang.

„Jetzt schau dir an, wie du aussiehst“, tadelte sie, als Sophie ihre Jacke auszog. „Schmutzig von oben bis unten. Und deine Haare …“ Empört hielt sie inne. „Vermutlich warst du auf Haw Gill.“

Sie schaffte es immer, dass Sophie sich wie ein schäbiges Schulmädchen fühlte, das andere zur Verzweiflung brachte. In solchen Augenblicken fiel es ihr manchmal schwer, sich daran zu erinnern, dass sie einunddreißig und nicht vierzehn war.

„Ich wollte Bram einfach mal besuchen“, sagte sie beschwichtigend.

Harriet schüttelte den Kopf. „Es ist mir wirklich schleierhaft, über was ihr beide euch eigentlich unterhaltet.“

Was würde ihre Mutter wohl sagen, wenn sie wüsste, dass sie über ihre Hochzeit geredet hatten? Sie sah zu, wie Harriet die Jacke nahm, die sie selbst achtlos über den Stuhl gehängt hatte, und hektisch den Schmutz abklopfte.

Wie sie ihre Mutter kannte, würde die vermutlich seufzend anmerken: Aber du willst doch sicher nicht mit dieser Frisur heiraten, Sophie?

„Ach, weißt du, wir reden über dies und das“, antwortete sie unbestimmt.

Harriet fuhr immer noch mit der Hand über die Jacke. „Wo bist du damit nur gewesen. Die Jacke ist voller Hundehaare und Blätter.“

„Sie sind wahrscheinlich aus dem Landrover“, erklärte Sophie. „Bram hat mich nach Hause gebracht.“

Sie hatten wieder unverfängliche Themen gefunden und nett geplaudert, nachdem sie die seltsame Hochzeitsidee fallen gelassen hatten. Bram hatte nicht weiter versucht, sie umzustimmen und Sophie war erleichtert gewesen. Auch wenn sie sicher war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, hatte sie das Gefühl, dass sie um ein Haar zugestimmt hätte.

„Dann sehen wir uns vielleicht an Weihnachten“, war alles, was Bram zum Abschied gesagt hatte. Nichts davon, dass sie sich Zeit lassen sollte, um in Ruhe über sein Angebot nachzudenken.

Das Thema war abgeschlossen.

„Ich bin froh, dass Bram dich nicht im Dunkeln herumwandern lässt“, meinte Harriet naserümpfend. „Zumindest ist er ein bisschen vernünftiger.“

Bram war immer vernünftig. Deshalb war es umso erstaunlicher, dass er die Idee mit der Hochzeit aufgebracht hatte. Er hatte es sogar geschafft, seinen Vorschlag so klingen zu lassen, als ob es die perfekte Lösung sei.

„Es ist doch erst kurz nach halb sechs“, protestierte Sophie, während sie ihrer Mutter in die Küche folgte und versuchte, diesen seltsamen Antrag aus ihren Gedanken zu verbannen.

„Und wie kommt Bram zurecht?“, fragte Harriet und machte sich wieder daran, den Teig auszurollen. „Es muss schwer für ihn sein, jetzt wo Molly nicht mehr da ist.“

Sophie schwang sich auf einen der hohen Stühle am Frühstückstresen. „Er schlägt sich durch.“

„Er sollte sich eine Frau suchen“, fuhr Harriet fort, war jedoch zu sehr mit ihrem Teig beschäftigt, um zu merken, dass Sophie zusammenzuckte. War das eine Verschwörung? „Ich habe gehört, dass Rachel nach York gegangen ist“, fuhr Mrs. Beckwith fort, ehe Sophie antworten konnte. „Ich dachte mir schon, dass das mit ihr nicht lange gut geht.“

„Du kennst sie doch kaum, Mum.“

„Das muss ich auch nicht. Man braucht sie sich doch nur anzusehen.“ Abschätzig schnalzte sie mit der Zunge. „Ich hätte Bram gleich sagen können, dass er mit dieser Frau nur seine Zeit verschwendet. Ein Mädchen aus der Stadt ist nicht gut für ihn. Er braucht eine, die ihm mit der Farm weiterhilft. Er könnte nämlich viel mehr aus seinem Land machen.“

Harriet hatte einen ausgeprägten Geschäftssinn. Vermutlich war ihr die Krise in der Landwirtschaft vor ein paar Jahren gerade recht gekommen. Das hatte Sophie schon damals vermutet. Im Grunde hatte sie sich als Farmersfrau gelangweilt und deshalb ihren eigenen Partyservice aufgemacht.

Und sie war so erfolgreich damit, dass sie Farmer wie Bram immer wieder ermutigte, ihrem Beispiel zu folgen und es mit einem neuen Erwerbszweig zu versuchen. Offenbar frustrierte es sie, dass Bram sich mit Schafen und Rindern zufriedengab, wie schon einige Generationen von Thoresbys vor ihm.

„Ich mag Bram wirklich“, sagte Harriet oft, „aber er hat keinen Ehrgeiz. So wird er es nie zu etwas bringen.“

Sophie hingegen hatte den Eindruck, dass Bram bereits genau da war, wo er hinwollte. Warum also sollte er etwas verändern?

„Deshalb konnte Melissa ihn ja auch nicht heiraten“, erklärte Harriet. „Er hätte ihr nicht das Leben bieten können, das sie gewohnt war. Sieh dir Haw Gill doch nur an. An dem Farmhaus hat sich in den letzten fünfzig Jahren doch kaum etwas verändert.“

Richtig, und deshalb ist es dort viel gemütlicher als hier auf der Glebe Farm, dachte Sophie.

„Aber mit Nick ist sie ohnehin viel besser dran“, meinte ihre Mutter zufrieden. „Sein Betrieb läuft sehr erfolgreich, weißt du. Er kann gut für sie sorgen.“

Sie verwöhnen, verbesserte Sophie ihre Mutter im Stillen.

„Melissa und Bram waren damals noch viel zu jung für eine Beziehung“, nahm Harriet den Faden wieder auf. „Das hat dein Vater schon gesagt, und er hatte recht. Es hätte nie geklappt. Für Bram war es allerdings ein Jammer. Manchmal frage ich mich, ob er Melissa immer noch nachtrauert, weil er sich anscheinend nie wieder richtig auf eine andere eingelassen hat. Zu schade. Er ist ein netter junger Mann.“

Bram ist mehr als nett, dachte Sophie. Sie war ein wenig bedrückt, auch wenn sie nicht genau wusste, warum.

„Hat er dir von Vicky Manning erzählt?“ Harriet gab den ausgerollten Teig in eine Kuchenform.

„Nein.“ Vicky war in der Klasse unter ihr gewesen. Ein pummeliges, hübsches, recht nettes Mädchen. Sophie hatte sie jedoch zu langweilig gefunden. „Was ist mit ihr?“

„Sie sollte eigentlich in knapp vier Wochen heiraten“, erzählte Harriet. „Alles war vorbereitet, da verliert Keith, ihr Verlobter, plötzlich die Nerven und sagt die ganze Sache ab. Er ist auf und davon nach Manchester und sucht sich dort einen Job. Vicky ist am Boden zerstört.“

„Ach Gott, die Arme.“ Vicky mochte nicht eben der interessanteste Mensch sein, aber niemand verdiente es, so behandelt zu werden. Sophie wusste genau, wie Vicky sich jetzt fühlte. Auch wenn sie selbst damals mit Nick noch keine Einladungen verschickt hatte, war die Ablehnung und Erniedrigung für sie trotzdem nicht leichter zu ertragen gewesen. „Das tut mir sehr leid“, sagte sie aufrichtig.

„Es ist schwer für sie“, stimmte Harriet zu, „aber ich wage zu behaupten, so das Beste ist. Wie Maggie erzählte, hat Keith sich ständig darüber beklagt, wie langweilig es hier ist. Er sehnte sich nach Abwechslung, aber Vicky wäre bestimmt nicht umgezogen. Sie ist ein richtiges Mädchen vom Land.“

Sie schob den Kuchen in den Ofen und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. „Es würde mich nicht wundern, wenn sie noch bei Bram landete.“

„Bram!“ Empört setzte Sophie sich auf. „Vicky ist doch nicht die Richtige für Bram!“

„Nun ja, ich weiß nicht …“ Nachdenklich wischte Harriet die Arbeitsplatte ab. „Sicher, ein paar Pfund weniger würden ihr nicht schaden, aber sie hat ein hübsches Gesicht und kann hart arbeiten. Außerdem ist sie hier aufgewachsen. Sie würde bestimmt eine gute Farmersfrau abgeben.“

„Vielleicht, aber nicht für Bram“, entgegnete Sophie störrisch.

„Arme Leute können nicht wählerisch sein“, bemerkte Harriet philosophisch. „In dieser Gegend gibt es nicht so viele passende Mädchen. Bram muss sich bald entscheiden, wenn er Kinder haben will. Schließlich wird er auch nicht jünger.“

Und du auch nicht. Sophie wartete auf diesen Nachsatz, doch ihre Mutter verkniff sich die Bemerkung.

„Bram ist doch erst zweiunddreißig, Mutter. Altersschwach ist er jedenfalls noch nicht.“

„Aber er muss sich ranhalten“, meinte Harriet entschieden. „Ich weiß nicht, warum die jungen Leute heute so wählerisch sind. Wenn man zu lange auf den Richtigen wartet, kann man seine Chance auch verspielen. Denk doch nur an dich und Rob“, fuhr sie betrübt fort. „Er schien so nett zu sein, und dir fällt nichts Besseres ein, als dass es sich nicht richtig anfühlt.“

Sophie seufzte auf, denn sie wollte nicht wieder darüber streiten. „So ist es aber, Mum. Du kannst doch nicht jemanden nur deshalb heiraten, weil er gerade zur Verfügung steht. Außerdem habe ich dir schon gesagt, dass ich einen anderen kennengelernt habe.“

Ihre Gedanken flogen zu Bram und dem, was er gesagt hatte. Was würde ihre Mutter wohl sagen, wenn sie ihr verkündete: Sieh mal, Mum, es ist Bram. Wir lieben uns und wollen heiraten! Würde sie ihr glauben?

Aber sie hatten ja entschieden, dass es unmöglich war.

Ja, so war es. Einfach unmöglich.

Und deshalb sollte sie nicht mehr darüber nachdenken.

„Und woher weißt du, dass dieser geheimnisvolle Jemand besser ist als Rob?“ Harriet hob die Deckel hoch, um nach dem Essen zu sehen, und knallte sie dann unnötig laut wieder zurück auf die Töpfe.

„Es könnte doch so sein.“

„Wenn er noch nicht mal seinen Namen preisgeben will, empfiehlt er sich wohl nicht für unsere Weihnachtsfeier“, beschied Harriet. In ihrer Stimme hatte etwas mitgeschwungen, das für Sophie nach emotionaler Erpressung roch.

Innerlich seufzte sie auf. „Wir haben noch nicht über Weihnachten gesprochen.“

„Ansonsten würde ich nämlich Bram zum Weihnachtsessen einladen. Dein Freund hat ja sicher eine Familie, zu der er gehen kann. Und Bram gehört ja praktisch zu unserer Familie, und es würde mir nicht gefallen, wenn er Weihnachten allein ist.“

Misstrauisch sah Sophie ihre Mutter an, die plötzlich einen anderen Kurs eingeschlagen hatte. Was würde wohl als Nächstes kommen? „Ich dachte, bis Weihnachten hättest du ihn schon mit Vicky Manning verheiratet?“

„Sei doch nicht albern, Liebes. So schnell geht das in diesem Fall nicht. Nein, es wird Brams erstes Weihnachten ohne Molly sein, und ich denke, wir sollten uns um ihn kümmern. Er freut sich bestimmt, dich zu sehen. Schließlich seid ihr gut befreundet.“

Sie hielt kurz inne. „Wenn du nicht dabei wärst, wäre es natürlich nicht so nett für ihn“, fuhr sie entschieden fort.

So war das also! Sophie wusste genau, was ihre Mutter ihr durch die Blume hatte sagen wollen. Sollte sie Weihnachten nicht nach Hause kommen, würde sie ihrem angeblich hinfälligen Vater nicht nur herzlos die Freude seines vielleicht letzten Weihnachten im Schoß der Familie verderben, nein, sie würde Bram auch dazu verurteilen, einsam und allein die Weihnachtstage verbringen zu müssen und um seine Mutter zu trauern.

Ihr Vater hatte beim Frühstück übrigens unverschämt gesund ausgesehen und den Tag damit verbracht, die Schafe einzutreiben. Sophie hatte sich allerdings sowieso schon entschieden, an seinem Geburtstag zu kommen. Und das hieß, auch über Weihnachten zu bleiben.

Mit Bram als moralischer Unterstützung würde es jedenfalls einfacher werden. Warum gönnte sie ihrer Mutter also nicht die Freude, dass sie ihre Tochter doch noch erfolgreich hatte überreden können?

„Hört sich sehr gut an, Mum“, sagte sie. „Natürlich komme ich.“

Sophie schlug den Kragen ihrer Jacke hoch, um sich gegen den kalten Novemberregen zu wappnen, als sie den Schutz der U-Bahn-Station verließ und zu ihrer kleinen Wohnung ging. Sie fühlte sich deprimiert. Nun war sie tatsächlich ohne Arbeit – und vor allem ohne Einkommen. Die Miete war am Ende des Monats fällig, und sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie das Geld aufbringen sollte.

Es hatte ihr keineswegs das Herz gebrochen, den Job zu verlieren. Versicherungen zu verkaufen war für sie einfach nur langweilig. Vielmehr träumte sie davon, als Töpferin erfolgreich zu sein.

Trotzdem, sie hatte Glück gehabt, überhaupt einen Job zu finden. Sie war voller Hoffnung gewesen, als sie die Kunstakademie abgeschlossen hatte, um dann bald erfahren zu müssen, dass man als Töpferin in London nur schwer ein Auskommen finden konnte. Schließlich hatte sie sich einen Bürojob gesucht, um die Miete bezahlen zu können, und hatte nur abends oder am Wochenende getöpfert. Doch die Galerie, die ihre Arbeiten zu Anfang des Jahres ausgestellt hatte und ihr erster Schritt zur ersehnten Karriere gewesen war, hatte nun zumachen müssen.

Sie seufzte auf. London war eine sehr teure Stadt. Zu Hause wäre es einfacher, aber auch dort war es nicht so leicht, einen neuen Job zu bekommen. Genug Geld für ein eigenes Heim würde sie ohnehin nicht verdienen können, was bedeutete, dass sie bei ihren Eltern wohnen müsste. Dabei schafften sie und ihre Mutter es nicht einmal, ein Wochenende ohne Streit auszukommen.

Bei ihren Eltern zu wohnen kam also nicht infrage – vor allem weil sie Nick dort ständig über den Weg laufen würde. Den Schmerz, ihn zwar sehen, aber nicht berühren zu dürfen, könnte sie kaum ertragen.

Also würde sie in London bleiben, auch wenn es ihr hier überhaupt nicht gefiel. Tagein, tagaus war graues, trübes Wetter, unzählige Autos verstopften die Straßen, während die Luft erfüllt war von Auspuffgasen, Motorenlärm und dem Heulen der Sirenen von Polizei und Krankenwagen.

Sie hatte immer Heimweh verspürt. Doch in dieser Woche war es so stark gewesen, dass ihre Sehnsucht nach Zuhause fast zu einem körperlichen Schmerz wurde.

Und das war Brams Schuld. Er hatte ihr die verlockende Möglichkeit vor Augen geführt, zu ihm nach Hause kommen zu können. Der Gedanke wollte sie nicht mehr loslassen.

Falls sie Bram heiraten würde.

Immer wieder redete Sophie sich ein, dass es richtig gewesen war, Nein zu sagen. Sie würde ihn nur ausnutzen. Sollte sie ihn heiraten, ohne ihn zu lieben? Das könnte sie Bram nicht antun.

Aber was wäre, wenn er doch recht hatte? Wenn er diese ganz besondere Frau, die sie sich für ihn wünschte, nie treffen würde? Was wäre, wenn er sich mit einer Frau wie Vicky Manning zufriedengab, weil er Melissa nicht haben konnte?

Autor

Jessica Hart

Bisher hat die britische Autorin Jessica Hart insgesamt 60 Romances veröffentlicht. Mit ihren romantischen Romanen gewann sie bereits den US-amerikanischen RITA Award sowie in Großbritannien den RoNa Award.

Ihren Abschluss in Französisch machte sie an der University of Edinburgh in Schottland. Seitdem reiste sie durch zahlreiche Länder, da...

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