Magie einer Wüstennacht

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Der Tagesausflug in die Wüste mit Prinz Ibrahim lässt ihr Herz höherschlagen: Die bezaubernde Georgie fühlt sich stark zu dem faszinierenden Scheich hingezogen. Aber Ibrahim verhält sich abweisend. Bis sie bei Einbruch der Nacht in einen Sandsturm geraten …


  • Erscheinungstag 19.03.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513968
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Lass es uns irgendwo anders versuchen.“

Georgie hatte ja gewusst, dass sie keine Chance hatten, in den exklusiven Londoner Nachtklub hineinzukommen. Sie hatte gar nicht erst hingehen wollen.

Ehrlich gesagt … sie würde jetzt viel lieber zu Hause im Bett liegen, aber schließlich war es Abbys Geburtstag. Der Rest der Clique hatte sich bereits verabschiedet, nur wollte Abby ihren besonderen Tag noch nicht so einfach ausklingen lassen. Sie schien ganz zufrieden damit, hier in der ellenlangen Schlange zu stehen, während der Türsteher die dicke rote Kordel ausschließlich für die Reichen und Schönen zur Seite zog.

„Nein, bleiben wir noch. Wo sonst bekommt man so viele tolle Leute auf einmal zu sehen?“ Eine große Limousine fuhr vor, und eine prominente Dame der High Society stieg aus. „Oh!“ Abby war hingerissen. „Was für ein Kleid! Ich muss unbedingt ein Foto machen!“

Auch das Blitzlichtgewitter der Paparazzi ging auf die junge Frau nieder, die sich von einem deutlich älteren Schauspieler zum Eingang eskortieren ließ. Beide posierten für die Kameras.

Georgie zitterte vor Kälte in ihrem knappen Cocktailkleid, aber sie war entschlossen, kein Spielverderber zu sein. Ihre Freundin hatte sich so sehr auf diesen Abend gefreut. Der Türsteher kam jetzt auf die Schlange der wartenden Partygäste zu, und insgeheim flehte Georgie darum, er möge laut verkünden, dass es keinen Sinn hatte und alle nach Hause gehen sollten. Doch er schien ein Ziel zu haben. Um genau zu sein, er steuerte auf sie zu … Georgie strich sich nervös über das blonde Haar. Hätte Abby besser kein Foto schießen sollen?

„Kommen Sie durch, Ladys.“ Er hängte die rote Kordel für sie aus. „Tut mir leid, ich hatte Sie nicht gleich gesehen.“

Georgie öffnete schon den Mund, um zu fragen, für wen der Mann sie hielt, doch Abby stieß ihr leicht den Finger in die Rippen.

„Geh einfach“, flüsterte sie aufgeregt.

Alle Köpfe drehten sich, und man fragte sich, wer diese Frauen sein mochten. Eine Kamera blitzte auf, dann noch eine und schließlich alle. Die Fotografen gingen auf Nummer sicher. Irgendwer mussten die beiden wohl sein, wenn sich die schweren Glastüren des Klubs für sie öffneten!

„Das ist der beste Geburtstag überhaupt!“ Abby konnte vor Begeisterung kaum an sich halten.

Georgie dagegen hasste es, derart im Rampenlicht zu stehen. Allerdings war das nicht der einzige Grund, weshalb ihr Herz wie verrückt hämmerte, als sie durch den dämmrigen Raum auf einen Tisch zugeführt wurden. Ein mulmiges Gefühl rührte sich in ihrem Magen, und die Kehle wurde ihr eng. Das war bestimmt kein simpler Irrtum des Türstehers. Solche Irrtümer passierten einfach nicht.

Georgie kannte nur eine Person, die die Macht hatte, Türen so mühelos zu öffnen. Seit Monaten bemühte sie sich, nicht an diesen Menschen zu denken. Und sie würde alles tun, um dem Mann nicht zu begegnen.

„Wir müssen uns bei Ihnen entschuldigen, Miss Anderson.“ Der Kellner, der die Flasche Champagner auf den Tisch stellte, bestätigte Georgies Verdacht. „Ibrahim hat darum gebeten, dass wir uns um Sie kümmern.“

Somit war ein Treffen also nicht mehr zu umgehen. Georgie wappnete sich, zwang sich, ruhig durchzuatmen, und hoffte insgeheim, dass ihr eine gelassene Begrüßung gelingen würde.

„Georgie. Lange nicht gesehen.“

Selbst nach all der Zeit begann es beim Klang seiner Stimme mit dem kaum wahrnehmbaren Akzent prompt in ihrem Magen zu flattern. Georgie stand auf … und für einen Moment war sie wieder in Zaraq zurück, zurück in seinen Armen. „Stimmt, es ist lange her.“ Sie war stolz auf sich, weil ihr sogar ein Lächeln gelang.

Offensichtlich wollte er gerade gehen. Die blonde Frau an seinem Arm warf Georgie einen unmissverständlich warnenden Blick zu, den Georgie ignorierte.

„Wie geht es dir?“

„Gut“, lautete seine knappe Antwort, und er sah auch so aus.

Trotz seines exzessiven Lebensstils, über den Georgie alle Zeitungsberichte gelesen hatte. Er schien ihr größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Oder hatte er vielleicht abgenommen? Seine Züge wirkten irgendwie kantiger. Sein rabenschwarzes Haar war länger als damals, doch selbst um zwei Uhr nachts saß es noch immer perfekt. Seine dunklen Augen musterten sie von Kopf bis Fuß, genau wie an jenem Tag, und genau wie an jenem Tag wartete er gelassen ab, bis ihr Blick schließlich den seinen traf.

Sein Mund hatte sich nicht verändert. Müsste Georgie ihn identifizieren, würde ihr das allein anhand eines Fotos dieser Lippen ohne den geringsten Zweifel gelingen. Denn im Gegensatz zu seinen fast harschen Zügen war sein Mund weich und voll. Vor langer Zeit hatte dieser Mund sich zu einem hinreißend trägen Lächeln verzogen, hatten diese vollen Lippen eine Reihe perfekter weißer Zähne freigegeben.

Heute Abend jedoch würde es kein Lächeln geben. Trotzdem blieb es ein Mund, der eine seltsame Reaktion in ihr auslöste. Während Georgie hier stand und gezwungenermaßen Konversation machte, war es dieser Mund, der ihre Gedanken beherrschte. Es waren diese Lippen, die sie, trotz des vollen Klubs und trotz der Frau, die sich an seinen Arm klammerte, küssen wollte.

„Und wie geht es dir?“, erkundigte er sich höflich. „Wie macht sich deine Praxis? Kommen die Leute?“

Seine Fragen machten klar, dass er sich nicht nur an jene Nacht erinnerte, sondern auch an die Details, die sie so willig preisgegeben hatte. Sie hörte wieder die Begeisterung in ihrer Stimme, als sie ihm von Reiki und Heilölen vorgeschwärmt hatte, und sie erinnerte sich an sein Interesse. Nur gut, dass es so schummrig in diesem Klub war. Denn es war denkbar, durchaus denkbar, dass Tränen in ihren Augen glitzerten.

„Es läuft bestens, danke“, antwortete sie.

„Hast du deine Nichte in letzter Zeit gesehen?“

Wie förmlich er klang. Und wie sehr sie sich den echten Ibrahim zurückwünschte. Ibrahim, der sie bei der Hand nehmen und aus dem Klub ziehen würde, um sie zu seinem Wagen, in eine Seitengasse oder in sein Bett zu bringen, irgendwohin, wo sie allein sein konnten.

„Nur als Felicity und Karim mit ihr in London waren, aber seit …“ Sie brach ab. Seit sich die Zeitrechnung für sie in „Davor“ und „Danach“ geteilt hatte. Seit dem Kuss, der sie für immer verändert hatte. Seit den feindseligen Worten, die gewechselt worden waren. „Seit der Hochzeit war ich nicht mehr dort.“

„Ich war letzten Monat noch einmal in Zaraq. Azizah macht sich prächtig.“

Sie wusste, dass er wieder dort gewesen war, obwohl sie sich geschworen hatte, sich nicht darum zu kümmern. Wenn sie mit ihrer Schwester sprach, druckste sie immer herum, um seinen Namen nicht erwähnen zu müssen und trotzdem so viel wie möglich über ihn zu erfahren. Sie war nicht stolz darauf.

Die Blondine an seinem Arm gähnte übertrieben verstohlen und drückte leicht seinen Arm. Georgie nutzte die Gelegenheit, um sich für seine Hilfe, in den Klub eingelassen zu werden, und für den Champagner zu bedanken, und Ibrahim wünschte ihr eine gute Nacht.

Normal und höflich wäre es, wenn sie sich jetzt mit einem Kuss auf die Wange verabschieden würden. Beide bewegten die Köpfe ein winziges Stückchen vor, beide zögerten sie und verharrten, als hätten sie sich abgesprochen. Trotz der typischen Klubgerüche hatte sich die Luft in ihrer unmittelbaren Nähe mit einer fatalen Mischung aus ihren persönlichen Düften angefüllt – schwül, berauschend und ungemein gefährlich.

Georgie zwang sich, diesen verführerischen Duft zu ignorieren.

„Gute Nacht“, sagte sie also nur und sah zu, wie die Menge sich teilte, um den Weg für Ibrahim frei zu machen.

Köpfe drehten sich von dem aufsehenerregenden Mann zurück zu ihr. In dieser oberflächlichen Gesellschaft hatte der kurze Kontakt mit ihm sie zu jemand Wichtigem gemacht. Vor allem, als er es sich plötzlich anders überlegte, seine Begleiterin stehen ließ, sich umdrehte und zu Georgie zurückkam. Es war wie damals – die Anziehungskraft, der unwiderstehliche Sog … Georgie wollte auf ihn zueilen, doch sie blieb stehen, wo sie war. Mit feucht schimmernden Augen vernahm sie Worte, die sie von ihm nie zu hören erwartet hätte.

„Ich entschuldige mich.“

Und sie konnte nichts erwidern, denn sie befürchtete, dann in Schluchzen auszubrechen. Oder sich an ihn zu klammern und den Mund zu suchen, nach dem sie sich schon so lange sehnte.

„Nicht für alles, aber für einige Dinge, die ich gesagt habe. Du bist keine …“ Er brauchte das Wort nicht zu wiederholen. Seit Monaten hallte es in ihren Ohren nach. „Es tut mir leid.“

Irgendwie schaffte sie es, dass ihr die Stimme gehorchte. „Ja, mir auch.“

Als er sich wieder umwandte, setzte sie sich zurück an den Tisch. Sie würde es kein zweites Mal ertragen, ihn gehen zu sehen.

„Wer war das denn?!“, fragte Abby ehrfürchtig.

Georgie antwortete nicht gleich. Sie nippte an dem Champagner, nippte noch einmal in der Hoffnung, er würde ihre raue Kehle besänftigen, dann wandte sie den Kopf zur Tür, zu dem Mann, der niemals zurückblickte. Doch in diesem Moment tat er es. Und die Wirkung seines Blicks war so überwältigend, dass sie, hätte er nur das kleinste Zeichen gegeben, zu ihm gerannt wäre.

Es war eine Erleichterung, als die Tür sich endlich hinter ihm schloss. Dennoch dauerte es eine Weile, bis Georgie in die Normalität zurückkehren konnte. In die Welt ohne ihn.

„Georgie?“ Abby wurde ungeduldig.

„Du weißt doch, dass meine Schwester Felicity in Zaraq lebt, oder? Und das war der Bruder ihres Mannes.“

Abbys Mund stand offen. „Er ist ein Prinz?“

Georgie versuchte es mit Nonchalance. „Nun, da Karim ein Prinz ist, nehme ich an, dass Ibrahim auch einer sein muss.“

„Du hast nie erwähnt, dass er so …“, Abby beendete den Satz nicht, aber Georgie wusste, was die Freundin meinte.

Felicity war als Krankenschwester nach Zaraq gegangen und hatte in die Königsfamilie eingeheiratet, aber Georgie hatte es vor ihren Freunden immer heruntergespielt, hatte getan, als wäre Zaraq ein winziger Punkt auf der Landkarte, in dem es Aristokraten wie Sand am Meer gäbe. Sie hatte nie viel von dem wunderschönen Land erzählt, von der weiten Wüste, von den bunten Basaren und der tief verwurzelten Tradition in den ländlichen Gegenden, die in krassem Kontrast zu den schillernden Städten mit den Luxushotels und namhaften Designerboutiquen standen.

Und ganz sicher hatte sie nichts von ihm erwähnt.

„Was ist da drüben eigentlich vorgefallen?“

„Was meinst du?“

„Du warst anders, als du zurückkamst. Obwohl du nie darüber gesprochen hast.“

„Es war nur eine Hochzeitsfeier.“

„Oh, komm schon, Georgie. Hast du ihn dir mal angesehen? Der Mann ist regelrecht schön! Du hast mir auch nie Fotos von der Hochzeit gezeigt.“

„Nichts ist vorgefallen.“ Und es stimmte, denn was zwischen ihr und Ibrahim passiert war, war eine einseitige Angelegenheit gewesen, auch wenn sie jeden Tag daran dachte …

Noch heute konnte Georgie ihre Mutter hören.

„Kennen Sie das alte Sprichwort nicht? Bei uns sagt man, wer dreimal Brautjungfer war, wird niemals …“

An dem Punkt hatte ihre Mutter aufgehört mit den Erklärungsversuchen, denn die Zeremonie begann. Die Zaraquianer waren nicht an nervösem Geplapper interessiert, wenn eine königliche Trauung stattfand. Dabei war es bei all dem Pomp und Prunk nicht einmal die richtige Hochzeit, die hatte bereits vor Wochen vor einem Richter stattgefunden. Doch da der König sich inzwischen von seiner schweren Operation erholt hatte und Felicity eine würdige Braut für Karim zu sein schien, wurden die offiziellen Festlichkeiten so schnell wie möglich nachgeholt – bevor man Felicity die Schwangerschaft ansehen konnte.

Auch wenn niemand mehr zuhörte … für einen Moment schloss Georgie beschämt die Augen. Wenn ihre Mutter wüsste … Es gibt keinen Grund, weshalb sie es wissen sollte, beruhigte sie sich in Gedanken und atmete tief durch.

Als sie die Lider wieder hob, schoss neuerliche Unruhe in ihr auf – weil der bewundernde Blick eines imposanten Mannes auf ihr lag. Er trug die gleiche Galauniform wie sein Vater und sein Bruder, doch an ihm sah sie wesentlich besser aus. Georgie schwankte zwischen Erleichterung und Enttäuschung. Wären sie in England, würde sie als Brautjungfer mit dem Trauzeugen tanzen müssen.

Sie erwartete eigentlich, dass er den Blick abwenden würde, nachdem sie ihn ertappt hatte, doch er dachte gar nicht daran. Es war schließlich Georgie, die verlegen nach vorn schaute. Und so stand sie hier, in dem apricotfarbenen Brautjungfernkleid, bei dem sie keinerlei Mitspracherecht gehabt hatte, das dichte blonde Haar zu einem festen Zopf geflochten über die Schulter gelegt und mit dem für ihren hellen Teint viel zu schweren Make-up. Das war nicht unbedingt der erste Eindruck, den sie bei einem so fantastisch aussehenden Mann hinterlassen wollte. Dennoch spürte sie seinen Blick während der gesamten Zeremonie auf sich liegen.

Georgie wusste nicht, was sie von dieser Hochzeit erwartet hatte. Auf jeden Fall nicht, dass sie Spaß haben würde. Doch nachdem alle Fotos geschossen und alle Reden gehalten waren, erhielt sie einen Blick auf die Menschen, deren Gesichter sie bisher nur von Fotografien kannte, und auf das Land, das ihre Schwester so sehr liebte. Angeführt von Bauchtänzerinnen und begleitet von rhythmischer Musik, führte die Parade von Hochzeitsgästen das Brautpaar in den großen Ballsaal, der nur von Kerzen erleuchtet war. Georgie sah zu, wie Felicity, sonst immer so nüchtern und sachlich, auf ihren Mann zutanzte. Sie erkannte die sinnlich lächelnde Frau kaum wieder. Die Gäste scharten sich lachend und klatschend um das Brautpaar. Die lebenslustige Atmosphäre war ansteckend, doch Georgie traute sich nicht so recht mitzumachen.

Bis eine warme Hand an ihrem Rücken sie auf die tanzende Menge zuschob und eine Stimme an ihrem Ohr raunte: „Du musst bei der zeffa mitmachen.“

Sie wusste nicht wie, doch mit Ibrahim an ihrer Seite versuchte sie es, und es war eine außergewöhnliche Erfahrung.

„Die zeffa findet eigentlich vor der Hochzeit statt“, erklärte er. „Doch wir passen die Tradition eben unseren Bedürfnissen an …“

Er wich nicht von ihrer Seite, auch nicht, als die Musik ruhiger wurde, und schließlich tanzten sie einen Tanz zusammen. Selbst wenn es nur der Form halber war … es fühlte sich anders an. Von einem so starken und selbstsicheren Mann gehalten zu werden, sich den ganzen Abend über seiner Aufmerksamkeit bewusst zu sein, war schwindelerregend.

„Alles in Ordnung?“

Er musste sie gesucht haben, nachdem sie das Brautpaar verabschiedet hatten und Georgie noch in der Halle stand.

„Es war so …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ja, sicher, ich bin nur etwas müde. Die letzten Tage waren anstrengend. Mir war nicht klar, wie viele Dinge noch vor einer Hochzeit zu erledigen sind.“ Sie lächelte schwach. „Ich hatte gedacht, ich könnte ein wenig Zeit mit meiner Schwester verbringen und vielleicht die Wüste sehen …“

„Komm, ich zeige dir die Wüste, gleich jetzt.“ Ibrahim deutete mit dem Kopf zu den Treppen.

Sie stiegen die Stufen hinauf, gingen den Korridor entlang, vorbei an Georgies Zimmer, bis zu einer Balkontür, die Ibrahim aufstieß.

„Da“, meinte er. „Das ist sie. Jetzt hast du sie gesehen.“

Georgie lachte. Natürlich hatte sie bereits von dem störrischen Prinzen gehört, der die Wüste verabscheute und lieber, wie Karim immer sagte, in einer überfüllten Bar saß, als den Frieden zu finden, den nur die Abgeschiedenheit brachte.

„Du ziehst also die Stadt vor?“ Als er nicht antwortete, schaute sie wieder auf die endlose Weite hinaus. „Es sieht wie ein Ozean aus.“

„Das war einmal ein Ozean. Und wenn man den alten Sagen glauben will, wird es auch wieder ein Ozean.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich verlasse mich lieber auf die Wissenschaft. Die Wüste ist nichts für mich.“

„Sie ist faszinierend.“ Schweigend standen sie nebeneinander. „Und einschüchternd“, sagte Georgie in die Stille hinein. Und obwohl sie nichts mehr hatte sagen wollen, gestand sie nach einer Weile die Wahrheit. „Ich mache mir Sorgen um Felicity.“

„Deine Schwester ist glücklich.“

Georgie erwiderte nichts. Ja, Felicity schien wirklich glücklich zu sein. Sie hatte sich in diesen umwerfend aussehenden Chirurgen verliebt, der sich dann als Prinz entpuppte. Sie beiden waren schrecklich verliebt ineinander und freuten sich auf das Baby, dennoch vermisste Felicity ihr Zuhause. An manche Sitten und Gebräuche hier hatte sie sich noch immer nicht gewöhnt.

„Sie möchte, dass ich herkomme und hier lebe. Damit ich mit dem Baby helfe.“

„Sie kann sich doch ein Kindermädchen leisten!“

Das hatte Georgie auch gedacht. Aber wenn sie fair zu Felicity war, dann war das nicht der einzige Grund. So leicht die Unterhaltung mit Ibrahim fiel, es gab Dinge, die sie nicht unbedingt zugeben wollte – eines davon war, dass Felicity die Schwester bei sich haben wollte, um sich um sie kümmern zu können.

„Sie will ein Auge auf dich haben.“ Ibrahim hatte die Geschichten von der schwierigen Schwester gehört. Von dem Teenager, der ständig weggelaufen war, der immer wieder wegen Essstörungen in der Klinik behandelt werden musste. Georgie mache Probleme, hatte Karim gewarnt.

Ibrahim zog es vor, sich seine eigene Meinung zu bilden. Und überhaupt … Probleme reizten ihn. „Felicity sorgt sich um dich.“

„Dazu besteht kein Grund.“ Mit brennenden Wangen fragte sie sich, wie viel er wusste.

„Für eine Weile bestand wohl Grund. Du warst sehr krank. Felicitys Sorgen sind verständlich.“ So direkt er auch war, er verurteilte sie nicht.

So etwas war selten. „Jetzt geht es mir besser. Nur kann ich ihr das nicht verständlich machen. Wenn man einmal Probleme gehabt hat, wartet jeder nur darauf, dass sie wieder hochkommen. So wie diese Suppe … Sie war kalt.“

Er musste lachen, weil er ihre Grimasse gesehen hatte, als sie den ersten Löffel genommen hatte. „Jalik – Gurkensuppe. Sie muss kalt serviert werden.“

„Ich bin sicher, sie schmeckt sehr gut – wenn man daran gewöhnt ist. Ich hab’s versucht, aber ich konnte nicht alles aufessen. Und selbst an ihrem Hochzeitstag hat Felicity jeden Bissen mitgezählt, den ich gegessen habe. Mum auch. Dabei hatte das gar nichts mit Essstörungen zu tun – ich mag einfach keine kalte Suppe. Und sosehr ich mich darauf freue, Tante zu werden – ich will nicht das Kindermädchen spielen! Das würden sie nämlich von mir erwarten, wenn ich bliebe.“ Georgie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie hier so frei sprach, gleichzeitig aber war es auch eine Erleichterung.

„Das ist anzunehmen. Es wäre in Ordnung, wenn dein Berufswunsch Kindermädchen ist. Aber ist er das?“

„Nein.“

„Sondern?“

„Ich habe mich auf Physio- und Aromatherapie festgelegt. Die Ausbildung werde ich bald abschließen, dann möchte ich meine eigene Praxis eröffnen. Und mich weiter spezialisieren.“

Es fiel so leicht, ihm alles zu erzählen. Wie sie anderen Frauen helfen wollte mit den Massagen und Ölen, die ihr geholfen hatten, als nichts mehr Wirkung zeigte. Und anders als die meisten machte er sich nicht über sie lustig, wahrscheinlich, weil er, auch wenn er sie nicht mochte, aus der Wüste stammte und die Menschen hier mehr von alternativen Heilmitteln verstanden.

So wie er ihr Dinge erzählte, von denen er gedacht hatte, dass er sie anderen gegenüber niemals zugeben würde. Zum Beispiel der Grund, warum er die Wüste nicht mochte.

„Sie hat mir den Bruder genommen.“ Seinen Bruder Ahmed hatte die Vorstellung, König zu werden, derart überfordert, dass er eine Antwort auf seine Ängste in der Wüste gesucht hatte. Aber er war nie wieder zurückgekehrt.

„Felicity hat mir davon erzählt.“ Georgie schluckte. „Es tut mir leid um den schmerzhaften Verlust.“

Ja, es war ein enormer Verlust. Ibrahim schloss die Augen, doch die Wüste war noch immer da, und der Wind fegte noch immer den Sand über die Dünen. „Sie hat auch meine Mutter genommen.“

„Ich dachte, deine Mutter sei nach London gegangen.“

Ibrahim schüttelte den Kopf. „Aber sie befolgte die Wüstenregeln.“ Er schaute auf das karge Land hinaus, das er so verabscheute, und konnte kaum fassen, was er hier preisgab. Diese Gedanken hätten niemals ausgesprochen werden sollen.

Er nahm sich zusammen, wollte sich förmlich verabschieden, doch ihre blauen Augen schauten ihn erwartungsvoll an, und Ibrahim stellte fest, dass er weiterreden wollte.

„An dem einen Tag war sie noch hier, und wir waren eine Familie, am nächsten war sie weg und durfte nie mehr zurückkommen. Ihr Sohn heiratet heute, aber sie sitzt in London.“

„Es muss schrecklich für sie sein.“

„Noch schlimmer war es für sie, nicht an Ahmeds Beerdigung teilnehmen zu können. Zumindest sagte sie mir das, als ich sie am Nachmittag anrief.“ Es war ein anstrengendes Telefonat gewesen, aber Ibrahim hatte durchgehalten und zugehört. Hatte sich alles angehört.

„Das tut mir ehrlich leid.“

Georgie hätte sagen sollen, dass sie verstand und wusste, wie er sich fühlte. Dann hätte er sie ironisch abkanzeln können. Womit er nicht gerechnet hatte, war die sanfte Hand, die sich flüchtig an seine Wange legte. So verblüfft er war, er hätte diese Hand am liebsten dort festgehalten und seine Wange für eine Weile hineingeschmiegt.

Nur ihr Psychiater konnte wissen, welch immense Bedeutung diese Geste für Georgie hatte. Zum ersten Mal hatte sie bei einem Mann impulsiv gehandelt. Die leichte Brise trug die Wärme der Wüste heran, hüllte sie ein, und sie wollte ewig hier stehen bleiben.

„Du solltest jetzt gehen“, sagte Ibrahim, denn Karim hatte ihn vor dieser Frau gewarnt. Hatte ihn ermahnt, sich an Zaraqs Gebräuche zu halten, solange er hier war.

Und Georgie tat, was er verlangte. Sie drehte sich um und ging, während er weiter auf die Wüste hinausstarrte. Ihre Fingerspitzen brannten noch immer, ihre Gedanken wirbelten von der flüchtigen Berührung, die sie gewagt hatte …

„Sagtest du nicht, sie wären alle so steif?“ Abbys Stimme holte Georgie aus den Erinnerungen zurück, die sie so unbedingt vergessen wollte. „Danach sah er mir aber nicht aus.“

„Hier gelten andere Regeln“, antwortete Georgie. Sie hatte keine Lust auf Champagner und hatte auch keine Lust, mit dem Mann zu tanzen, der sie jetzt aufforderte. Aber es war Abbys Abend, und Georgie würde die Freundin nicht merken lassen, dass sie mit den Gedanken meilenweit weg war.

Nur schien es, dass Abby mehr an Ibrahim interessiert war als an dem Treiben im Nachtklub, denn wenig später brachte sie das Thema schon wieder auf.

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
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