Mit den zärtlichen Waffen einer Frau

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Mit so viel Anmut und Grazie hat Roberto de Sousa nicht gerechnet! Was will eine derart atemberaubende Schönheit mit einem Ex-Rennfahrer wie ihm, der längst nicht mehr im Rampenlicht steht? Das macht ihm Katherine bei einem Spaziergang im Mondschein schnell klar …


  • Erscheinungstag 05.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736446
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Katherine bahnte sich mit ihrem Gepäckwagen einen Weg durch die überfüllte Flughafenhalle von Porto. Schließlich entdeckte sie einen Mann, der ein Schild mit ihrem Namen hochhielt.

Höflich lächelnd ging sie auf ihn zu. „Guten Tag. Ich bin Dr. Lister von der Massey Galerie in England.“

Sichtlich verdutzt starrte der Mann sie an, ehe er dienstfertig ihren Gepäckwagen ergriff. „Bem-vindo, Doutora. Senhor Sousa hat mich gebeten, Sie in Empfang zu nehmen. Mein Name ist Jorge Machado. Der Wagen steht draußen.“

Katherine folgte dem Mann zu einer schnittigen Limousine und ließ sich in das butterweiche Lederpolster sinken. Sie fuhren nach Norden in Richtung des Minho, eine Gegend, die, wie Katherine gelesen hatte, noch tief in ihren alten Traditionen verwurzelt war. Nach einiger Zeit bogen sie von der Autobahn ab und setzten ihren Weg über eine schmale gewundene Landstraße entlang des Flusses Lima fort. Als sie einen Ochsenkarren überholten, neben dem zwei schwarz gekleidete Frauen einhergingen, lächelte Katherine vor Freude. Das echte, unverfälschte Portugal!

Ursprünglich hatte Katherine geplant, einen Mietwagen zu nehmen, um nach Beendigung ihres Auftrags ein paar Tage Ferien in der Region zu machen, doch ihr Chef hatte ihr geraten, den angebotenen Transportservice zu nutzen. Also würde sie nach getaner Arbeit einfach mit einem Taxi nach Viana do Castelo fahren und sich dort in einem Hotel einquartieren. Im Moment war sie froh, dass sie sich entspannt zurücklehnen und am Anblick der pittoresken Landschaft erfreuen konnte, die sie hoffentlich bald selbst erkunden würde.

Doch zunächst wartete Arbeit auf sie. Der ihr unbekannte Mr de Sousa wollte sich von einem Kunstexperten die Echtheit eines kürzlich erworbenen Gemäldes bescheinigen lassen und hatte dafür Katherines Chef, James Massey, nach Portugal eingeladen. James Massey galt in der Kunstwelt als Experte für das Auffinden von bislang nicht identifizierten Werken bedeutender Künstler. Als Kunsthistorikerin war für Katherine die Arbeit in James Masseys Galerie ein Traumjob. Sie profitierte ungemein von James Masseys profundem Fachwissen und hatte von ihm auch gelernt, wie man ein echtes Werk von einer Fälschung unterschied. Kurz vor der Reise nach Portugal war James jedoch an Grippe erkrankt und hatte Katherine gebeten, für ihn einzuspringen. Katherine war hoch erfreut gewesen, dass er ihr zutraute, ihn zu vertreten, und hatte sofort zugesagt.

Andrew Hastings, der neue Mann in ihrem Leben, hatte lauthals protestiert, als er erfuhr, dass sie ihre gerade erst aufkeimende Beziehung auf Eis legen wollte, um nach Portugal zu reisen. Sein Angebot, sie zu begleiten, hatte Katherine strikt abgelehnt, was für Andrew ein zusätzlicher Affront gewesen war. Doch Katherine war hart geblieben. Ein Kunde, der so großzügig für ihre Dienste bezahlte, verdiente ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Das Gemälde musste wahrscheinlich erst gereinigt werden, bevor sie sich eine Meinung bilden könnte, und dies würde je nach Alter und Zustand des Gemäldes einige Zeit in Anspruch nehmen. Andrew hatte sie per SMS aufgefordert, ihn gleich nach der Ankunft anzurufen, doch Katherine wollte sich im Moment lieber mit Mr de Sousa befassen. James Massey wusste über den Kunden nur, dass er ein Bild besaß, das nach Meinung des Kunden von einiger Bedeutung war, und dass er ein großzügiges Honorar zahlte, um herauszufinden, ob er recht hatte. Katherine hoffte das schon um ihrer selbst willen. Denn falls sich das Fundstück als Niete oder, schlimmer noch, als Fälschung herausstellen sollte, müsste sie dem Kunden die schlechte Nachricht überbringen – und darauf war sie nicht gerade wild. Diesen unangenehmen Teil des Geschäfts erledigte normalerweise James Massey.

„Wir sind da, Doutora“, sagte ihr Chauffeur, während er vor einer hohen Mauer mit einem von einem Steinkreuz gekrönten Torbogen anhielt. Er richtete die Fernbedienung auf das schmiedeeiserne Tor, worauf die Torflügel aufschwangen und eine wunderschöne Parklandschaft mit üppig blühenden Gärten und Blick auf die angrenzenden Berge enthüllten. Nach einer Weile kam das Landhaus in Sicht, das seiner Umgebung in Schönheit an nichts nachstand. Von einem zentralen, von wildem Wein umrankten Turm gingen zwei Flügel ab; die Mauern waren blendend weiß gekalkt, die Dächer leuchteten schieferrot. Noch bevor der Wagen in der kreisförmigen Auffahrt zum Stehen kam, wurde die massive Turmtür aufgerissen und eine kleine untersetzte Frau eilte heraus. Als sie den Gast erspähte, blieb sie verdutzt stehen.

„Das ist Doutora Lister, Lidia“, sagte Jorge Machado mit Betonung auf dem Titel, während er Katherine aus dem Wagen half.

Bem-vindo – willkommen auf der Quinta das Montanhas, Doutora“, sagte die Frau, die sich schnell wieder gefangen hatte.

Lidia sprach mit starkem Akzent, doch Katherine wusste ihr Bemühen zu schätzen. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Was für ein bezauberndes Haus!“

„Senhor Roberto bedauert, dass er Sie nicht persönlich begrüßen kann“, sagte Lidia lächelnd, „aber er wird bald eintreffen. Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer, Doutora.

Lidia führte Katherine durch eine große kühle Eingangshalle mit hohem Deckengewölbe und dann weiter über eine geschwungene Steintreppe mit schmiedeeisernem Geländer, das so filigran wie schwarze Spitze wirkte. Jorge folgte mit dem Gepäck nach. Beim Anblick des Gästezimmers verschlug es Katherine vor Begeisterung den Atem. Es war ein großer Raum mit hohen Wänden und Fensterläden vor den schmalen, hohen Fenstern, einem antiken Schrank und einem mit Schnitzereien verziertem Holzbett mit weißer Bettwäsche. Auf einem Tisch zwischen den Fenstern stand ein Tablett mit einem Eiswürfelbehälter und einer Flasche Mineralwasser.

Jorge stellte Katherines Gepäck am Fuß des Bettes ab und ging hinaus.

Lidia zeigte Katherine das angrenzende Badezimmer. „Sie wollen sich bestimmt frisch machen.“

„O ja. Wunderbar, ganz wunderbar! Obrigada“, erwiderte Katherine überschwänglich.

„Soll ich Ihnen etwas zu essen bringen?“, erkundigte sich Lidia freundlich.

„Nein, danke. Dafür ist es mir im Moment zu heiß. Ich brauche nur einen Schluck Wasser.“

Sofort schenkte Lidia ein Glas Wasser ein und reichte es ihr. „Ich hole Sie nachher ab. Bis dann.“

Durstig kippte Katherine das Wasser hinunter und ging ins Bad. Eigentlich hätte sie gern geduscht, doch da sie nicht wusste, was Lidia unter „nachher“ verstand, begnügte sie sich mit einer kurzen Wäsche. Anschließend bürstete sie ihr Haar, flocht es im Nacken zu einem strengen Zopf, zog T-Shirt und Jeans aus und schlüpfte in eine maßgeschneiderte schwarze Leinenhose und eine schlichte weiße Bluse. Nach kurzem Zögern setzte sie die Brille mit dunklem Rahmen auf, die sie für die Arbeit am Computer trug. Schließlich war sie in der Funktion als Kunstexpertin hier und musste überzeugend auf einen Mann wirken, der wahrscheinlich schon ein gewisses Alter hatte, wenn er sich so ein Anwesen und wertvolle Gemälde leisten konnte. Rasch schickte sie jeweils eine SMS an James und an ihre Freundin Rachel und danach mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, weil sie an ihn zuletzt gedacht hatte, auch eine an Andrew. Während sie ihren Koffer auspackte, wurde die friedliche nachmittägliche Stille vom Dröhnen eines Automotors durchbrochen. Momente später tauchte Lidia auf und schüttelte missbilligend den Kopf.

„Sie müssen Ihren Koffer doch nicht selbst auspacken, Doutora. Das ist meine Aufgabe. Kommen Sie. Er ist da.“

Katherine folgte der Frau nach unten auf eine lang gezogene Veranda mit grün umrankten Steinsäulen. An einer von ihnen lehnte ein Mann in legerem Leinensakko und Jeans und blickte auf den Park hinaus. Er war groß und schlank, hatte volles, schwarz gelocktes Haar und ein Profil, um das ihn jeder Filmstar beneiden würde. Als Lidia ihn ansprach, drehte er sich mit einem Lächeln um, das beim Anblick von Katherine jedoch schlagartig gefror.

Doutora Lister!“, rief Lidia mit dramatischem Unterton, worauf absolute Stille einkehrte.

Sie sind Dr. Lister?“, sagte der Mann schließlich.

Endlich! jubelten ihre Hormone. Du hast ihn endlich gefunden! „Ja, ich bin Katherine Lister“, erwiderte sie und zwang sich trotz ihres inneren Aufruhrs zu einem höflichen Lächeln.

Er machte eine formvollendete Verbeugung. „Encantando. Ich bin Roberto de Sousa. Tut mir leid, dass ich Sie nicht vom Flughafen abholen konnte.“

„Ach, das macht doch nichts. Man hat mich sehr freundlich willkommen geheißen.“

Ihr Kunde war alles andere als der ältere Geschäftsmann, den Katherine sich vorgestellt hatte. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig, er war also nur ein paar Jahre älter als sie selbst mit ihren achtundzwanzig Jahren. Außerdem hätte sie schwören können, dass sie ihn schon einmal irgendwo gesehen hatte. Die vollen, längeren Haare, die dunklen Augen und die hohen Wangenknochen wirkten seltsam vertraut; nicht vertraut war ihr jedoch die lange Narbe an seiner Wange, die zu auffällig war, als dass man sie jemals vergessen könnte. Als das Schweigen anhielt, ging Katherine in die Offensive.

„Gibt es ein Problem, Mr de Sousa?“

„Ich hatte einen Mann erwartet“, gestand er unumwunden.

Katherine war überrascht. „Mr Massey hat Sie doch darüber informiert, dass er mich als Vertretung schickt.“

„Das ist richtig“, erwiderte er kühl. „Allerdings hat er mich nicht darüber aufgeklärt, dass Dr. Lister eine Frau ist.“

„Wo ist das Problem?“, entgegnete Katherine mit wachsender Empörung. „Ich bin für eine Expertise ausreichend qualifiziert, Senhor de Sousa. Gut, ich bin vielleicht nicht so lange im Geschäft wie Mr Massey, aber erfahren genug, um eine fachlich fundierte Meinung über Ihr Gemälde abgeben zu können.“ Sie hielt inne, doch es erfolgte keine Antwort. Die Anziehung, die sie verspürte, beruhte ganz offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit. „Wenn Sie auf einen männlichen Experten bestehen, werde ich natürlich sofort wieder abreisen. Allerdings hätte ich vorher gerne noch eine Tasse Tee.“

Roberto de Sousa wirkte schockiert. Er klatschte in die Hände, worauf Jorge mit einem Tablett in den Händen auftauchte. „Warum wurde Dr. Lister kein Tee angeboten?“

„Desculpe me, Doutora“, sagte Jorge zu Katherine. „Ich habe auf den Patrao gewartet.“

„Ein Gast sollte auch in meiner Abwesenheit bewirtet werden“, meinte Roberto de Sousa schroff. „Bitte, nehmen Sie Platz, Dr. Lister.“

Jorge schenkte in eine der beiden Tassen Tee, in die andere Kaffee ein und bot Katherine eine Platte mit Gebäck an, das sie jedoch mit freundlichem Lächeln ablehnte.

Roberto de Sousa nahm Katherine gegenüber Platz und verfiel wieder in sein düsteres Schweigen. Soll er doch bis in alle Ewigkeit verstockt vor sich hin brüten, dachte Katherine gereizt. Sicher, er sieht sagenhaft gut aus, aber sobald ich den Tee getrunken habe, werde ich ihn bitten, mir ein Taxi nach Viana do Castelo zu organisieren.

„Wie lange kennen Sie Mr James Massey schon?“, fragte er plötzlich.

„Mein ganzes Leben lang“, erwiderte sie knapp.

„Ist er ein Verwandter?“

„Nein, aber ein enger Freund meines Vaters. Woher kennen Sie ihn denn, Mr de Sousa?“

„Er hat einen hervorragenden Ruf, und darüber hinaus habe ich im Internet Informationen über ihn eingeholt. Meine Recherchen haben ergeben, dass er für die Begutachtung meines Gemäldes der beste Mann ist. Ich habe es für sehr wenig Geld erstanden – für einen Apfel und ein Ei, wie es so schön heißt.“

„Aber Sie halten es für wertvoll?“

Roberto de Sousa winkte ab. „Der Wert ist unwichtig. Es ist nicht für den Wiederverkauf gedacht. Mich interessiert die Identität des Künstlers und, wenn möglich, die des Modells.“ Erneut schwieg er. „Wenn Sie es begutachten würden“, sagte er dann, „wäre ich Ihnen sehr dankbar … Dr. Lister.“

Katherines erster Impuls war ein klares Nein. Doch da sie die Massey Galerie vertrat und außerdem neugierig auf das Bild war, überlegte sie es sich anders. Um den Stolz zu wahren, tat sie, als müsste sie darüber nachdenken. Schließlich nickte sie. „Da Sie so großzügig für meine Zeit bezahlen, bleibt mir keine andere Wahl.“

Obrigado, Dr. Lister. Sie werden das Gemälde morgen früh, bei hellem Tageslicht sehen. Mr Massey hat mich gewarnt, dass man das Bild wahrscheinlich erst säubern muss, bevor man irgendetwas dazu sagen kann.“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Sie sind nach der langen Reise sicher müde. Ruhen Sie sich eine Weile aus. Wir sehen uns dann zum Dinner.“

Aha, sie würde also die Ehre haben, mit ihm zu speisen, dachte sie, während sie aufstand. „Vielen Dank, Mr de Sousa.“

„De nada.“ Er hielt einen Moment inne. „Eine Kleinigkeit noch. Die korrekte Anrede ist Mr Sousa.“

„Gut. Ich werde es mir merken.“

Er begleitete sie durch die Halle. „Ate logo – bis später, Dr. Lister.“

Sie nickte und erklomm hoch erhobenen Hauptes die gewundenen Treppen.

Roberto de Sousa sah ihr nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Tief in Gedanken versunken kehrte er dann auf die Veranda zurück. Er setzte sich hin und rieb abwesend sein Bein, das ihm höllisch wehtat, wenn er zu lange stand. Seine überraschte Reaktion über die Tatsache, dass Dr. Lister kein Mann war, hatte seinen Gast offensichtlich – und zu seinem Bedauern – gekränkt. Rein theoretisch hatte er kein Problem mit einer weiblichen Expertin. Praktisch sah es freilich anders aus. Seit er diese entstellende Narbe hatte, hatte er keine Lust auf den Umgang mit Frauen – selbst wenn es sich um eine intellektuelle Brillenschlange mit straffem Zopf und maskuliner Kleidung wie Dr. Lister handelte. Auf der Quinta waren die einzigen Frauen seine Angestellten, obwohl er früher von schönen, willigen Frauen umringt gewesen war. Grimmig strich er mit dem Finger über die Narbe. Nicht nur sein Gesicht, alles hatte sich an jenem Tag verändert, als ihn das Glück verlassen hatte.

Katherine legte sich mit einem Buch auf das Bett. Inzwischen hatte sie sich wieder gefangen. Roberto de Sousas Reaktion auf sie hatte sie tiefer gekränkt, als sie sich eingestehen wollte. Mit ihrer dichten braunen Mähne, den schillernden grünen Augen und der schlanken, wohlgerundeten Figur kam sie beim anderen Geschlecht normalerweise sehr gut an. Offenbar hatte sie beim Treffen mit ihrem Kunden etwas zu sehr die seriöse Kunstexpertin herausgekehrt und ihre weiblichen Vorzüge nicht gut genug herausgestellt. Die Tatsache, dass der Kunde einen Mann als Experten bevorzugt hätte, war ein weiterer Schlag. Sollte sich das Bild als Fälschung oder als unbedeutendes Werk herausstellen, würde Roberto de Sousa ihr Urteil womöglich anzweifeln. Wenn schon! Sie würde sich von James Rückendeckung geben lassen und ihm per E-Mail Fotos des Gemäldes senden, um seine Einschätzung zu erfahren. Judith Massey würde es ihr danken, wenn sie ihren zur Untätigkeit verdammten, rekonvaleszenten Gatten ein wenig ablenkte.

Schon vor der Reise hatte sich Katherine gefragt, ob man sie auffordern würde, das Essen mit ihrem Gastgeber und dessen Familie einzunehmen. Bisher war von einer Familie jedoch noch nicht die Rede gewesen. Während des Flugs hatte Katherine überlegt, was Roberto de Sousa wohl für ein Mensch sein würde, aber auf seine Reaktion auf sie war sie nicht vorbereitet gewesen. So eine Abfuhr hatte sie noch bei keinem Mann erlebt. Auch auf sein feindseliges Verhalten war sie nicht vorbereitet gewesen. Es hatte sie genauso überrascht wie sein jugendliches Alter und sein dunkles, markantes von einer Narbe gezeichnetes Gesicht. Doch sie würde ihm schon noch beweisen, dass sie auch als Frau für die Expertise seines Bildes ausreichend qualifiziert war. Dennoch war ihr bei der Aussicht auf ein gemeinsames Dinner etwas mulmig zumute.

Katherine hatte vorgehabt, ihr ärmelloses grünes Etuikleid anzuziehen, das ein paar raffinierte Falten hatte, die ihren Kurven schmeichelten. Doch nach kurzem Überlegen wählte sie stattdessen ein schlichtes schwarzes Leinenkleid und verzichtete bewusst auf Schmuck und Make-up. Heute Abend würde sie in der Rolle der Intellektuellen brillieren und sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen von diesem Mann mit seiner faszinierenden Ausstrahlung aus kalter Überheblichkeit und tiefer Melancholie. Bei einem Mann seines Alters, der noch dazu aus südlichen Gefilden stammte, hätte sie ein offeneres Naturell erwartet, aber vielleicht war er vor seiner Gesichtsverletzung ja anders gewesen.

Kurz vor acht klopfte Lidia an, um Katherine mitzuteilen, dass Senhor Roberto sie erwarte. Katherine setzte die Brille auf und überprüfte mit einem letzten Blick in den Spiegel, dass sich keine Strähne aus dem straffen Zopf gelöst hatte. Sie fühlte sich wie ein Gladiator vor der Schlacht, als sie Lidia nach unten in die Halle folgte, wo Jorge sie bereits erwartete. Er geleitete sie auf die Veranda, an deren efeuumrankten Säulen kleine Lämpchen brannten, die ein warmes Licht verströmten und die Veranda noch einladender machten.

Roberto de Sousa erhob sich langsam aus seinem Rattanstuhl und starrte Katherine eine Weile schweigend an. Dann schien er sich auf seine Manieren zu besinnen und wünschte ihr einen guten Abend.

Muss er immer erst eine halbe Ewigkeit nachdenken, bevor er etwas sagt? fragte Katherine sich.

„Lidia schmollt ein wenig, weil ich hier draußen essen möchte“, erwiderte er, während er sie zu einem Tisch führte. „Der Speisesaal ist für zwei Leute zu groß. Ich dachte, dass es Ihnen auf der Veranda besser gefällt.“ In Wahrheit war er es, der draußen essen wollte, weil er hoffte, seine Narbe werde in dem weichen Licht weniger auffallen.

„Ja, es ist wunderschön hier.“ Sie bemerkte, dass auf dem Tisch nur zwei Gedecke lagen. Also keine Ehefrau; zumindest nicht hier.

Er zog ihr einen Stuhl hervor. „Was wollen Sie trinken? Gin Tonic?“

„Ein Glas Wein wäre mir, ehrlich gesagt, lieber.“

„Gut. Ich schließe mich Ihnen an. Das ist vinho verde aus der Minho-Region.“ Er entkorkte die Flasche und schenkte zwei Gläser Wein ein. „Worauf wollen wir trinken?“

„Ein erfolgreiches Ergebnis für Ihr Gemälde?“

Er nickte. „Auf den Erfolg!“

Der kühle Wein rann wie Nektar hinunter und passte perfekt zu der scharfen Vorspeise, die Jorge servierte.

„Das Nationalgericht“, teilte Roberto ihr mit. „Bolinhas de bacalhau. Haben Sie das schon einmal gegessen?“

„Nein, aber es riecht köstlich.“ Sie probierte eines der Kabeljaubällchen. „Und es schmeckt sogar noch besser. Ich werde mein erstes Essen in Portugal in bester Erinnerung behalten.“

Roberto saß Katherine gegenüber; die Narbe in seinem dunklen Gesicht war deutlich zu sehen. „Haben Sie seit Ihrer Ankunft noch gar nichts gegessen?“, fragte er stirnrunzelnd.

Sie schüttelte den Kopf. „Lidia wollte mir etwas reichen, aber ich habe abgelehnt, weil es zu heiß war.“

„Dann nehmen Sie mehr davon.“ Er deutete auf die Vorspeisenplatte.

„Nein, danke. Sonst brauche ich kein Dinner mehr.“

„Der Küchenchef wird es als Beleidigung auffassen, wenn Sie nicht gut essen.“

Der Küchenchef! Katherine verdaute dieses pompöse Wort zusammen mit der bolinha. „Leben Sie schon lange hier, Senhor Sousa?“, fragte sie, um etwas Konversation zu betreiben.

„Ich lebe nicht hier, Dr. Lister. Die Quinta das Montanhas ist mein Rückzugsort, wenn ich ein paar Tage ungestört Urlaub machen möchte.“

Nettes Ferienhäuschen, dachte Katherine. „Das ist ein herrlicher Flecken Erde, aber für mich absolutes Neuland. Anders als die meisten meiner britischen Landsleute war ich noch nie in Portugal.“

„Umso wichtiger, dass Sie Ihren ersten Besuch genießen.“

Als Hauptgang gab es gegrilltes Hühnchen, das nach würzigen Kräutern duftete. Obwohl Roberto de Sousa ein aufmerksamer Gastgeber war, fiel es Katherine schwer, sich zu entspannen.

„Ist das Essen nach Ihrem Geschmack?“, erkundigte sich Roberto, während er ihr Wein nachschenkte.

Sie nickte. „Kompliment an Ihren Küchenchef. Er ist ein Genie.“

Belustigt sah er sie an. „Das war nur ein Scherz. Die Köchin ist Lidia, Jorges Frau.“

„Dann ist sie das Genie.“ Sie lächelte Jorge zu, der gerade an den Tisch kam, um die Teller abzuräumen. „Das war fantastisch. Bestellen Sie das bitte Ihrer Frau.“

Erfreut verbeugte er sich. „Obrigado, Senhora. Wie wäre es zum Abschluss mit pudim, das ist Karamellpudding.“

Bedauernd schüttelte Katherine den Kopf. „Danke, aber ich bin pappsatt.“

„Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen, Senhora? Oder Tee?“

„Nein, danke.“

„Ich hätte gern einen Kaffee, Jorge, por favor“, sagte Roberto sarkastisch, da Jorge nur Augen für Katherine hatte. „Und bringen Sie für die Dame agua mineral.

Agora mesmo, Senhor.“

Nachdem Jorge das Gewünschte gebracht hatte, lehnte sich Katherine zurück und blickte in den Park hinaus, der wie verwunschen im Mondlicht lag. „Wie still und friedlich es hier ist! Der ideale Ort, um Kraft zu tanken.“

Sein Blick wurde verschlossen. „Ich bin nie sehr lange hier. Vielleicht bin ich deshalb der Stille noch nicht überdrüssig geworden.“ Fragend sah er sie an. „Hat es Ihnen große Umstände bereitet, für Mr Massey einzuspringen?“

„Ganz und gar nicht, Mr Sousa.“

Muito bem. Ich interessiere mich sehr für Ihren Beruf. Was genau ist Ihre Aufgabe in der Galerie?“

Nun befand sich Katherine auf vertrautem Terrain. „Meine Hauptaufgabe besteht darin, im Internet nach sogenannten Schläfern zu suchen. Das sind unentdeckte Kunstwerke großer Meister, die nicht gekennzeichnet oder falsch katalogisiert sind. Eine sehr spannende Angelegenheit.“

„Ich hoffe, mein Bild erweist sich ebenfalls als großes Werk.“

„Das hoffe ich auch“, erwiderte sie wie aus der Pistole geschossen.

„Wie darf ich das verstehen?“

Leicht verlegen zuckte sie die Achseln. „Wenn ein Bild sich als Fälschung oder Fehlgriff herausstellt, überbringt normalerweise James die schlechte Nachricht.“

„Aha! Sie wollen nicht die Überbringerin einer schlechten Nachricht sein.“

„Richtig.“ Sie sah ihn fest an. „Aber falls nötig, werde ich es tun.“

„Keine Bange, Dr. Lister. Wenn sich mein Bild als Fälschung herausstellt, werde ich nicht Ihnen die Schuld geben. Oder Ihr Urteil anzweifeln“, fügte er hinzu.

„Danke. Offen gestanden, hat mir das ein wenig Sorge bereitet, als …“ Sie geriet ins Stocken.

„Ja? Reden Sie ruhig weiter.“

„Als Sie so ungehalten darauf reagiert haben, dass ich eine Frau bin.“

„Nur deshalb, weil ich einen Mann erwartet habe“, erwiderte er. „Doch wenn Senhor Massey Ihnen eine Expertise zutraut, werde ich das auch tun.“

„Danke!“

De nada. Noch ein Glas Wein?“

„Nein, danke. Nur Wasser. Ich möchte für meine Arbeit morgen früh einen klaren Kopf haben.“

Sein plötzliches Lächeln erhellte seine sonst so düstere Miene. „Ihre Arbeit besteht also darin, das Geheimnis von Bildern zu enthüllen“, meinte er interessiert.

„Könnte man so sagen. Es ist unglaublich befriedigend, wenn man die wahre Identität eines verschollenen Kunstwerks aufdeckt.“

„Vielleicht trifft das ja auf mein Gemälde zu.“

Autor

Catherine George
Die öffentliche Bibliothek in ihrem Heimatort nahe der walisischen Grenze war der Ort, an dem Catherine George als Kind in ihrer Freizeit meistens zu finden war. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Mutter, die Catherines Lesehunger förderte. Zu einem Teil ist es sicher ihrer Motivation zu verdanken, dass Catherine George...
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