Nichts als Lust und Leidenschaft

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Sofort knistert es vor Erotik, als Laine nach fünf Jahren ihren Exfreund Grayson wiedersieht. Aber Achtung: Er scheint diesmal ernste Absichten zu haben. Sie jedoch hat sich fest vorgenommen, einen Sommer lang das Leben zu genießen und heiße Nächte ohne Verpflichtungen zu erleben ...


  • Erscheinungstag 24.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777814
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Von: Laine Blackwell

Gesendet: Freitag

An: Angie Keller; Kathy Baker

Betreff: Endlich Spaß!

Hi! Der letzte Arbeitstag – endlich! Ich sitze nur rum und warte darauf, dass die Abschiedsparty losgeht. Dabei dient die allen ohnehin nur als Vorwand, um nicht arbeiten zu müssen, sich umsonst den Bauch voll zu schlagen, sich zuzudröhnen und so zu tun, als würde man mich vermissen. Ich krieg die Krise, wenn ich daran denke!

Auf jeden Fall ist damit für mich, wie versprochen, die Jagdsaison eröffnet! Vor mir liegt ein ganzer Sommer süßen Nichtstuns, ehe im September das Semester beginnt. Diese Zeit werde ich nutzen, um einen (oder mehrere?) Männer sehr glücklich zu machen – und umgekehrt sie mich, wie ich hoffe. Das Spiel kann beginnen! Laine

„Mach’s gut, Laine! Du wirst uns fehlen! Lass von dir hören!“

„Mach ich.“ Im Leben nicht. Laine erwiderte die halbherzige Umarmung der künftigen Exkollegin und erstickte fast am allzu vertrauten Mief ihres Parfüms. Das würde ihr ganz bestimmt nicht fehlen.

Der Job in der Rechercheabteilung der Zeitschrift I am Woman war der vierte seit ihrem Abschluss in Princeton vor acht Jahren, und es war vorbei! Schluss! Aus! Es war der erste Juni, und sie hatte einen ganzen Sommer zum Relaxen und Sichamüsieren vor sich, ehe sie im Herbst mit dem Journalismus-Studium begann.

Ihre Chefin, Petunia Finkseed – ihr echter Name war längst nicht so lustig –, schüttelte ihr mit ernster Miene die Hand. „Danke für deinen Einsatz, Laine, und alles Gute. Wenn du willst, kannst du nach dem Examen zu uns zurückkommen. Wir haben immer eine Stelle für dich frei.“

Laine murmelte ein Dankeschön. Da müsste schon ein Wunder geschehen, bevor sie zurückkäme. Nicht, dass es ein schlechter Job gewesen wäre. Aber jetzt war sie frei! Frei von dem ständigen Druck, frei von den giftigen Bürointrigen und den kaum verhohlenen lüsternen Blicken des Abteilungsleiters.

Sie würde Manhattan im Sturm erobern und alles tun, wozu sie bisher nie gekommen war: lange schlafen, Zeitung lesen, sich in der Wanne aalen, ein bisschen Sightseeing machen, wochentags bis spätnachts abtanzen, an den Strand fahren und sich unter keinen Umständen vor acht Uhr abends in eine Feinstrumpfhose zwängen. Sie hatte vor, töpfern zu lernen und Französisch, Yoga zu machen, Fallschirm zu springen, mit Stepptanz anzufangen, einen Kochkurs zu belegen … und bei alledem immer wieder den einen oder anderen Mann mitzunehmen“.

Laine hatte sich nämlich einer kleinen E-Mail-Gemeinschaft von Frauen angeschlossen, deren Motto lautete: „Männer mitnehmen, ehe wir einen zum Mann nehmen“. Ihre Mission? Ungebundene, attraktive und völlig unpassende Männer aufzureißen. Für eine kurze „Auszeit mit dreißig“, wie Laine sie plante, konnte man sich doch kaum etwas Schöneres vorstellen, oder?

Mit dem Semesterbeginn im September würde dann der Rest ihres Lebens beginnen. Sie würde die beste Reporterin Amerikas werden. Okay, als sie sich vor ein paar Jahren an der Boston University für das Fach Literatur eingeschrieben hatte, hatte sie sich auch schon als Autorin des großen amerikanischen Romans gesehen. Und ja, ganz abgesehen davon hatte sie sich ursprünglich für einen Studienplatz in Medizin beworben. Aber jetzt war sie auf dem richtigen Weg. Wirklich! Davon war sie überzeugt. Ziemlich.

Rasch packte Laine die Schachtel mit ihren persönlichen Habseligkeiten – Fotos ihrer Eltern und ihrer Nichte Carolyn, einen kümmerlichen Farn, von dem sie, ehrlich gesagt, nicht wusste, ob er überhaupt noch am Leben war, und das vergoldete Armkettchen, das ihr die Kollegen zum Abschied verehrt hatten – und dann raus hier! Raus aus diesem Gebäude voller elegant gekleideter, schöner Menschen, hinaus in die Schwüle, den Staub und das Chaos am Times Square. Sie war frei!

Am liebsten hätte Laine die genervte Mutter mit den drei quengeligen Kindern umarmt oder den knackigen Blondschopf auf der anderen Straßenseite geküsst. Sie hüpfte, nein, tanzte, nein, schwebte förmlich zur U-Bahn, rannte die Treppe zu den Gleisen hinunter, passierte die Schranke und schloss sich der Masse von Pendlern an wie an jedem anderen Tag. Aber anstatt wie sonst stumpfsinnig und folgsam mit der Herde zu trotten, tänzelte sie heute buchstäblich auf den Bahnsteig.

Man musste ihr die Freude doch ansehen. Die Menschen mussten sich doch fragen: Wer ist diese Frau? Was ist ihr Geheimnis? Aber natürlich guckt in Manhattan kein Schwein! Und anstatt neugierige Blicke auf sich zu ziehen und aufgeregtes Getuschel zu verursachen, trat Laine in frisch gekautes Kaugummi und brachte geschlagene drei Minuten damit zu, das widerliche Zeug von den schwarzen Blockabsätzen zu kratzen. Nie wieder Schwarz – den ganzen Sommer nicht. Außer vielleicht ein superscharfes schwarzes Minikleid für ein heißes Date …?

Den Karton fest an sich gedrückt, quetschte Laine sich in die Bahn der Linie C. Jedes Mal, wenn der Zug schwankte, stieß sie gegen einen ihrer Mitreisenden. Auf einmal jedoch drückte sich ein Becken fester an ihr Hinterteil, als es selbst in diesem Gedränge nötig gewesen wäre. Laine schnitt eine gequälte Grimasse, und ihr Ellenbogen nahm aus Versehen ziemlich heftigen Kontakt mit dem Speckbauch hinter ihr auf. Ein Grunzen, und der Wanst verzog sich. Ja, das Leben in der Großstadt! Aber den Tag heute würde sie sich auch von einem Lustmolch nicht vermiesen lassen.

Wie soll ich das feiern, überlegte sie. Mit Champagner? Einem ausgedehnten Bad oder mit einem schön schmalzigen Video? Eventuell hat Monica ja Lust, einen draufzumachen. Obwohl – seit die mit Joe dem Tyrannen ging, unternahm sie ja nichts mehr. Egal. Laine selbst sollte eigentlich auch nicht so auf den Putz hauen. Wenn man die Studiengebühren und die anderen Ausgaben abzog, reichte ihr Erspartes gerade mal so für den Sommer. Ab September würde sie dann auf Teilzeitbasis in der Werbeabteilung eines Architekturbüros jobben, aber den Sommer hatte sie sich unbedingt komplett freihalten wollen.

Der Zug hielt, und sie stieg aus, nicht ohne dem Wüstling einen bösen Blick zugeworfen zu haben. Er grinste frech zurück. Sie hatte solche Spinner schon immer angezogen – vielleicht lag das an ihrer Größe, vielleicht aber einfach an den Genen. Sie sprintete die Treppe hinauf und steuerte über die Eighth Avenue und den Jackson Square zur Horatio Street, wo sie wohnte. Die Sonne schien, die Tauben gurrten, die Schaufenster blitzten, unter ihr rumpelte die U-Bahn hindurch, und Taxis machten Jagd auf Fußgänger. Es stimmte einfach alles!

Sie betrat das Gebäude, in dem sie lebte, und begrüßte den Pförtner: „Hi, Roger, was liegt an?“

„Noch mehr Blumen.“ Der große Mann mit der wilden Mähne verschwand hinter dem Empfangstisch und tauchte mit einem großen Strauß aus Tulpen und Iris wieder auf.

Schmunzelnd las Laine die beigelegte Karte, obwohl das nicht nötig war. Sie war von Ben, einem Freund ihres Cousins, mit dem sie ein paar Mal ausgegangen war. Ein richtig lieber Kerl, bei dem es, wenigstens von ihrer Seite aus, kein bisschen gefunkt hatte. Bei ihm vermutlich auch nicht; er behandelte sie wie ein fürsorglicher großer Bruder und nicht wie ein Verehrer.

„Da ist einer aber verrückt nach dir!“

„Im Vertrauen, Roger, er ist nur verrückt.“

„Dafür legt er sich aber ganz schön ins Zeug.“

„Ich nehme an, dass er einfach gerne Blumen kauft. Willst du Betty den Strauß mitbringen?“

Über Rogers zerfurchtes, gerötetes Gesicht breitete sich ein Strahlen, das ahnen ließ, was für ein attraktiver Kerl er gewesen sein musste, ehe er vor dreißig Jahren oder so seine Liebe zur Flasche entdeckt hatte. „Die wird mich zwar auch für verrückt erklären, aber sie freut sich bestimmt riesig darüber.“

„Dann gehören sie dir. Zurückschicken kann ich sie nicht, und der Strauß, den ich oben habe, ist noch ganz frisch.“ Sie winkte ab, als er sich bedanken wollte, holte ihre Post und fuhr mit dem Aufzug in den achten Stock hinauf.

Es war Freitagabend, sie war frisch der Tretmühle entronnen, die Stadt wartete, der Sommer stand ganz zu ihrer Verfügung. Beschwingt öffnete sie die Tür zu Apartment 8-C – und stockte. Monica, ihre Mitbewohnerin, hockte in einem wüsten Durcheinander aus Klamotten auf der Wohnzimmercouch und schluchzte. Neben ihr lag ein aufgeklappter Koffer.

Mit einem Aufschrei stürzte Laine in die Wohnung. Hinter ihr fiel mit Unheil verkündendem Schlag die Tür ins Schloss. „Monica, was ist los?“

„Er … er …“

„Joe? Oh nein!“ Laine nahm Monica in die Arme. Was immer er … er … getan haben mochte, es hörte sich nicht gut an. Aber so, wie sie Joe erlebt hatte – als arrogantes, aufdringliches, tyrannisches Ekel –, wunderte sie sich nur, dass es so lange gedauert hatte. „Hat er Schluss gemacht?“

„Ja!“

„Und weshalb packst du?“

„Ich gehe nach Hause.“

Mitfühlend drückte Laine die zitternde Freundin an sich. Vor vier Monaten war sie in derselben Situation gewesen – wegen Brad, einem hinreißend charmanten, verlogenen, egoistischen Mistkerl. „Versteh ich vollkommen. Lass dich von deinen Eltern ein bisschen verhätscheln, das ist genau das, was du brauchst.“

„Nichts verstehst du.“ Monica wischte sich die Tränen aus den Augen. Dabei verschmierte ihre Wimperntusche, so dass sie Ähnlichkeit bekam mit einem Waschbären. „Ich fahr nicht zu Besuch. Ich bleibe.“

Für einen kurzen Moment setzte Laines Mitgefühl aus. Alleine und ohne Verdienst konnte sie sich die Wohnung unmöglich leisten! Doch darum geht es im Augenblick nicht, ermahnte sie sich. Trotzdem, selbst wenn sie die eigenen Interessen in den Hintergrund rückte, war sie überzeugt, dass Monica im Begriff war, eine riesige Dummheit zu begehen. Kein Mann war es wert, dass man sich seinetwegen in Iowa vergrub. „Nur, weil dich ein Idiot von Mann verletzt hat, willst du deine Unabhängigkeit, deine Karriere, deine Träume einfach wegwerfen? Ich dachte, du bist aus viel härterem Holz geschnitzt.“

„Das ist noch nicht alles.“ Monica schniefte und suchte in der Hosentasche vergeblich nach einem Tempotaschentuch. Laine reichte ihr eine Packung. „Ich habe gekündigt. Mr. Antworth hat heute schon wieder versucht, mich anzubaggern.“ Sie schnäuzte sich, dann begann sie, ihre Sachen in den Koffer zu stopfen.

„Okay, du hattest einen scheußlichen Tag. Man sollte diesen Antworth kastrieren. Du kannst ihn anzeigen. Dann kriegst du deinen Job zurück, oder du suchst dir was Neues, du musst doch nicht gleich …“

„Und Mom ist wieder im Krankenhaus.“

Laine machte den Mund auf und klappte ihn wieder zu. „Das tut mir Leid“, stammelte sie schließlich und ließ sich auf die Couch fallen.

Monica klappte den Koffer zu. „Dad braucht mich, und ich muss hier raus. Ich fahre nach Hause. Tut mir Leid, dass ich dich im Stich lasse.“ Schon wieder flossen die Tränen.

„Kein Ding! Es ist Juni, da laufen Scharen von Leuten herum, die eine Wohnung suchen. Mach dir um mich mal keine Sorgen.“

„Danke.“ Monica hievte den Koffer vom Sofa. „Dann mach ich mich mal auf die Socken.“

„Wie? Jetzt?“

„Der Flieger geht um neun. Meine Sachen hole ich später, oder ich lasse sie mir nachschicken oder … Für so was hab ich im Moment einfach keinen Kopf.“

Laine nickte wie betäubt. Ihr Verstand konnte das alles nicht so rasch verarbeiten. Ihr Gefühl jedoch sagte ihr, dass Monica einen bombastischen Fehler beging. Tief greifende Veränderungen sollten in einer ruhigeren Gemütsverfassung beschlossen werden. Plötzlich aber hatte sie die Lösung. „Du kannst den Kram dalassen. Ich suche mir jemanden, der nur vorübergehend eine Wohnung braucht. Falls du nämlich nach ein paar Wochen doch deine Meinung änderst, hast du immer noch eine Bleibe.“

Monicas Züge hellten sich auf. „So machen wir’s. Tausend Dank! Jetzt muss ich aber los.“

Laine umarmte sie noch einmal. „Dein Zimmer wartet auf dich. Lass dir Zeit, um mit dir ins Reine zu kommen. Und melde dich mal. Die Nummer kennst du ja.“

„Mach ich.“ Monica wischte sich mit dem inzwischen klitschnassen und leicht angegrauten Taschentuch übers Gesicht, schniefte noch einmal und ging.

„Sie kommt doch zurück, oder?“ fragte Laine die Tür. Die Tür antwortete nicht. Auf einmal wirkte die Wohnung gespenstisch still. Tief in Gedanken ging Laine ins Bad, um sich abzuschminken. Monica, die Bekannte einer Bekannten einer Bekannten, war die beste Mitbewohnerin, die sie je gehabt hatte. Sie passten perfekt zusammen – gleiche Angewohnheiten, gleicher Geschmack, gleiches Temperament. Es war höchst unwahrscheinlich, dass sie noch einmal so jemanden fand. Und noch viel unwahrscheinlicher, dass sie diesen jemand, der noch dazu bereit sein musste, die Koffer zu packen, sollte Monica doch beschließen zurückzukommen, auf der Stelle entdeckte.

Sie zwirbelte das Gummi aus den Haaren und ließ sich diese lose auf die Schultern fallen. Seit einem halben Jahr freute sie sich auf diesen Sommer ohne Arbeit, ohne Beziehung, ohne Verpflichtungen. Und plötzlich schien es, als würde dieser Sommer nicht stattfinden – sofern sich nicht wie durch ein Wunder unverzüglich ein Mitbewohner herbeizaubern ließ.

Sechs Uhr morgens. Der Wecker rappelte. Nur ungern schlug Grayson Alexander die Augen auf. Sehr ungern. Denn bis das Radio mit einer Meldung über Milchbauern in Wisconsin angesprungen war, hatte er zwischen den herrlichsten Schenkeln gelegen, die ihm in den zweiunddreißig Jahren seines Lebens untergekommen waren. Es war zwar eine Ewigkeit her, seit ihn diese Schenkel zum letzten Mal umschlungen hatten, aber er würde sie nie vergessen. Und wenn man seinem Unterbewusstsein glauben durfte, würde er auch nie aufhören, sich nach ihnen zu sehnen.

Er stellte den Weckton ab und vergrub den Kopf wieder im Kissen, um den Traum noch einmal in all seiner Deutlichkeit heraufzubeschwören. Fast glaubte er, Laines Duft wahrzunehmen und ihre samtige Haut zu fühlen. Die Träume von Laine unterschieden sich komplett von anderen Träumen: Sie waren so realistisch, dass Grayson immer in einem Zustand höchster Erregung erwachte. Aber stets hatte er auch das Gefühl, er müsste etwas unternehmen. Es war, als enthielte der Traum eine Botschaft, die er nicht ignorieren durfte.

Meistens konnte er das auch nicht. Gewöhnlich rief er dann Laines Freundin Judy an. Eine Weile plauderte er ziemlich gezwungen mit ihr und heuchelte Interesse an ihrem Leben – was sie ihm selbstverständlich nie abkaufte –, bis er sich schließlich nach Laine erkundigte: Geht es ihr gut? Ist sie glücklich, und – diese tückische Frage wollte ihm nie so ganz beiläufig über die Lippen kommen – hat sie einen Freund? Hatte sie natürlich immer, allerdings selten denselben wie beim letzten Anruf.

Eigenartigerweise meldete sich der Traum immer dann, wenn sich in Laines Leben etwas veränderte – wenn sie wieder einen Job sausen ließ oder einem Kerl den Laufpass gab –, und das war Grayson echt nicht geheuer. Natürlich glaubte er weder an diesen Esoterik-Kram noch an eine spezielle spirituelle Verbindung, obwohl er das, was er für Laine empfunden hatte, für keine andere Frau auch nur annähernd verspürt hatte. Trotzdem war und blieb es ihm ein Rätsel.

Und anstatt beruhigt aufzulegen, wenn er herausgefunden hatte, was Laine so trieb, fühlte er sich nach jedem dieser Anrufe frustriert und unbefriedigt, ohne genau zu wissen, warum. Monate oder auch ein Jahr später ging das Ganze dann wieder von vorne los, und zweifellos würde er auch heute nach dem Joggen – aber noch vor der Arbeit – Judy an die Strippe holen.

Stöhnend wühlte er den Kopf ins Kissen, aber dann richtete er sich entschlossen auf. Ja, er dachte zuweilen noch an Laine. Er begehrte sie. Aber das hieß ja nicht, dass sich alles in seinem Leben nur um sie drehen musste. Er würde joggen, duschen und dann Judy anrufen und die Sache hinter sich bringen. Für diesmal.

Er schlüpfte in die Sportsachen, ging in die große, sonnige Küche hinunter und schenkte sich ein Glas Orangensaft ein. Dann verließ er das Haus und begrüßte den Morgen mit einem tiefen Atemzug, Dehnübungen in der Einfahrt und einem Zwei-Meilen-Lauf durch das friedliche Wohnviertel von Princeton, das im Frühjahr, wenn die Magnolien blühten und sich die Hausbesitzer gegenseitig mit der Blütenpracht in ihren Vorgärten zu übertrumpfen versuchten, besonders schön war.

Wieder daheim verdonnerte er sich zu ein paar Extrarunden an den Gewichten. Sie hatten immer gemeinsam trainiert, er und Laine. Manchmal hatte er ihre Aerobic-Übungen mitgemacht, weibisches Zeug, das ihn aber total auspowerte – was er natürlich niemals zugeben würde –, und manchmal war sie mit ihm gejoggt. Ihre Beine schienen nie müde zu werden.

Gelegentlich hatte er sich beim Lauf zurückfallen lassen, nur um den Anblick zu bewundern: das Wippen ihres Pferdeschwanzes, das Stampfen ihrer Füße, die rhythmische Bewegung ihrer Arme. Sie beide hatten es geliebt, den Körper bis ans Limit zu puschen – im Bett und außerhalb.

Klirrend landete die Hantel in ihrem Gestell. Mürrisch trocknete sich Grayson den Schweiß von der Stirn und stapfte nach oben. Eine Dummheit, die er vor zwölf Jahren am College begangen hatte, hatte den Bruch bedeutet. Unreif wie er war, hatte er sich eingebildet, er könnte Laine haben, sein Glück aber auch bei Joanne versuchen. Darunter litt er immer noch, selbst wenn es ihm und Laine gelungen war, Freunde zu bleiben. Sie hatten sich in den folgenden sieben Jahren immer wieder getroffen. Erst mit seinem Umzug nach Chicago war der Kontakt abgerissen oder besser: Er hatte versucht, sie zu vergessen. Von wegen!

Er stürmte ins Bad, riss sich die Klamotten vom Leib und stellte sich unter die Dusche. Energisch schrubbte er sich von oben bis unten ab, dann ließ er sich von dem heißen Strahl berieseln und überließ sich den Erinnerungen. Sie hatten sich gerne unter der Dusche geliebt. Überhaupt hatten sie immer viel Spaß gehabt!

Klar hatte er sich auch mit anderen Frauen gut amüsiert, aber das war nichts im Vergleich zu der wilden, ungehemmten Leidenschaft mit Laine. Selbst nach der Trennung, nachdem sich der erste Zorn und die anfängliche Verbitterung gelegt hatten und sie Freunde geworden waren, schliefen sie fast unweigerlich miteinander, wenn sie sich trafen, und immer war das ein unvergleichliches Erlebnis.

Grayson stellte das Wasser ab, griff zum Handtuch und rubbelte sich kräftig ab. Wozu Zeit mit sinnlosem Gejammer verschwenden! Er würde Judy weder heute noch an irgendeinem anderen Tag anrufen. Er würde wahnsinnig werden, wenn er der Verlockung nachgab, noch einmal von vorne anzufangen, jetzt, wo er wieder an der Ostküste lebte. Was vorbei war, war vorbei.

Er schlüpfte in Shorts und T-Shirt und machte sich auf den Weg ins Büro, das sich im Obergeschoss seines Hauses befand. Er hatte zusammen mit seinem Freund Chuck eine Firma gegründet, deren Räumlichkeiten am Broadway allerdings begrenzt waren und nur wenig Privatsphäre boten. Daher hatte Grayson sich spontan erboten, von zu Hause aus zu arbeiten.

Er setzte sich an den PC und rief den Terminkalender auf. Fast jeden Tag ein Meeting in der City, das bedeutete zwar, dass er sich oft in der Zentrale blicken lassen konnte, aber auch viel zu viel Zeit im Zug absitzen musste. Bei den Preisen in New York konnte er sich leider kein Apartment in der City leisten. Schon ein Einzimmerapartment dort würde ihn genauso viel kosten wie das Haus in Princeton – übrigens auch kein billiges Pflaster.

Er überflog die E-Mails. Perfekt! Carson Industries wollte ein Angebot für einen Internetauftritt, eine andere Firma war auf seinen Vorschlag angesprungen, ihre Webseite umzumodeln, und erbat einen Kostenvoranschlag. Das würde er an Chuck weiterleiten und sich dann ans Telefon hängen, um Jameson Productions in der Welt des Web-Designs bekannt zu machen. Es lief nicht schlecht für sie. Grayson hatte so viele Aufträge an Land gezogen, dass sie einen zweiten Programmierer engagieren mussten und Chuck sich seinen größten Wunsch erfüllen konnte – eine Sekretärin, die ihm den Schreibkram abnahm.

Wie es schien, würde Grayson heute den ganzen Tag am Telefon sitzen – aber Judy würde er nicht anrufen, das nahm er sich fest vor! Er wählte die Nummer des Marketing-Menschen von Office Mart, der weder eine Laine kannte noch sich für eine Webseite oder Info-Material interessierte. Tja, auch Absagen gehören zum Handwerk, dachte Grayson gleichmütig.

Im Anschluss daran tätigte er drei Anrufe, von denen auch keiner an eine Frau namens Judy ging oder an irgendjemanden, der ihm etwas über seine attraktive Exfreundin Laine Blackwell hätte erzählen können. Und es sah ganz danach aus, als würde es auch den Rest des Tages so bleiben.

2. KAPITEL

„Du rätst nie, wer angerufen hat!“

Laine blickte von der Speisekarte des „Clark’s Diner“, wo sie sich jeden Samstag mit ihrer ältesten Freundin Judy zum Lunch traf, auf. Sie hatte so eine Ahnung. Wenn Judy so anfing, konnte es sich nur um einen handeln. „Wer denn?“

Judys braune Augen funkelten hinter den schmalen, blau gerahmten Brillengläsern. „Grayson Alexander.“

„Ach nee!“ Mit Genugtuung registrierte Laine, dass sie nichts fühlte von dem elektrisierenden Kribbeln, das dieser Name früher unweigerlich in ihr hervorgerufen hatte. Trotzdem vergrub sie sich vor Judys scharfem Blick lieber hinter der Speisekarte, auch wenn sie die im Grunde auswendig kannte. Sie hatte null Bock auf eine Psychoanalyse.

Seit einer Woche suchte sie einen neuen Untermieter. Heute Morgen hatte sie Kandidatin Nummer sechs interviewt, eine Frau namens Shadow, die wissen wollte, ob Laine was gegen Räucherstäbchen hatte. Ach ja, und ihre zahme Ratte war doch sicherlich auch willkommen? Und dabei war das noch die aussichtsreichste Kandidatin gewesen. „Was treibt er so?“

„Das Übliche. Er ist mit Chuck Gartner – der war ein Jahr über uns, erinnerst du dich? – ins Web-Design-Business eingestiegen. Sie haben ein Büro am Broadway, und Grayson hat ein Haus in Princeton gekauft.“

„Nicht schlecht.“

„Ja.“ Seufzend presste Judy die Hand auf den üppigen Busen. „Bei ihm kriege ich immer noch Herzklopfen: gut aussehend und genug Charme, um die Titanic zu versenken. Nicht, dass er für ein einsames, übergewichtiges Mauerblümchen wie mich einen zweiten Blick übrig gehabt hätte …“

„Jetzt mach aber einen Punkt. Erstens bist du nicht übergewichtig …“

„Ich wiege so viel wie du, bin aber dreißig Zentimeter kleiner“, unterbrach sie Judy.

„Zwanzig, und ich bin eine Bohnenstange. Zweitens bist du nur deshalb einsam, weil du nie ausgehst. Und drittens“, hier ließ Laine die flache Hand auf die Tischplatte knallen, „warum gehst du nicht auch mal auf Männerfang?“

Judy verdrehte die Augen. „Machst du Witze? Wenn ich eine Bar betrete, ergreifen die Kerle kreischend die Flucht. Deine Männerjagd, das ist nix für mich. Ich kann nicht nur zum Spaß mit einem schlafen. Wenn ich’s tu, dann will ich auch bis ans Ende seiner Tage seine Socken waschen. So bin ich nun mal.“

„Blödsinn! Ich war auch mal so, aber ich habe mich weiterentwickelt. Das kannst du auch.“

Judy schnaubte entrüstet. „Du meinst, du hast Bammel davor, es noch mal zu versuchen, nach dem, was Grayson dir angetan hat.“

„Nein!“ Laines beiläufig gedachter Widerspruch kam leider gar nicht so beiläufig rüber, und sie spürte eine seltsame Wut im Bauch. „Du machst dir ein völlig verklärtes Bild von unserer Beziehung. Ich war zwanzig. Er war meine erste Liebe. In dem Alter glaubt man einfach, dass das ewig hält.“

„Kann es auch.“

Laine legte die Karte beiseite und rieb sich die Schläfen. „Weiß ich ja! Ich muss es mir daheim oft genug anhören: Bei Mom war es so und bei meiner Schwester, nur ich kann keinen Mann halten. Was ist bloß los mit mir? Meiner Ansicht nach hatten die beiden halt Glück und haben gleich beim ersten Mal den Richtigen kennen gelernt. Wirkliche Sicherheit gibt es nicht, weder im Job noch in der Ehe.“

„Alte Schwarzmalerin!“

„Quatsch! Schau dir mein Leben doch mal an: Ich habe vier Jobs, sechs Männer und zwei abgebrochene Studiengänge hinter mir, beginne demnächst eine dritte Ausbildung und kenne massig Leute. Ich habe richtig gelebt – im Unterschied zu meinen Eltern oder meiner Schwester, die immer nur den gleichen alten Trott kennen. Hätte ich Grayson geheiratet, säße ich in Bademantel und Schlappen im ewig gleichen Haus und würde zig Kinder hüten.“ Sie schüttelte sich. „Das nenn ich schwarz malen.“

„Hm“, meinte Judy und spielte mit der Glasperlenkette um ihren Hals. „Für mich klingt das toll.“

„Stattdessen bin ich frei und steuere auf das nächste große Abenteuer zu.“ Laine hob ihr Glas und prostete Judy zu.

„Genau“, meinte Judy voll Skepsis. „Er hat übrigens keine Freundin.“

„Grayson? Na und?“

„Du bist auch Single.“

„Wie du. Verabrede dich doch mit ihm.“

„Oh nein!“ Judys Wangen nahmen denselben Rosaton an wie ihr Pulli. „Er gehört zu dir.“

Laine hob abwehrend die Hände. „Wie kannst du so was sagen? Du hast doch das Fiasko miterlebt. Es hat nicht sollen sein. Wozu also immer wieder darauf herumreiten?“

„Weil ich mich – so gerne ich es täte – nicht der Illusion hingebe, dass er sich für mein Befinden interessiert, wenn er anruft. Zwar druckst er immer eine Weile herum, aber dann kommt er zu seinem wirklichen Anliegen: Was macht Laine?“

Laine blätterte wieder in der Speisekarte. Sie war hungrig und hatte keine Lust, dieses Thema zu vertiefen. Grayson war Geschichte, und das war gut so. Sie hatte Jahre gebraucht, um über ihn hinwegzukommen, und wollte nicht an alten Wunden rühren. „Er will wissen, wie’s mir geht. Na und?“

„Da steckt mehr dahinter. Seine Stimme klingt ganz komisch dabei.“

„Vielleicht kaut er gerade.“ Sollte sie einen Salat essen? Ein Sandwich? Einen Burger?

Judy stieß einen Laut aus, der unmissverständlich ausdrückte, was sie von dieser Erklärung hielt. „Ich habe ihm erzählt, dass du einen Untermieter suchst.“

„Ach.“ Laines Blick blieb am Üblichen hängen. Sie aß hier nie etwas anderes, aber gerade heute wollte sie sich ein bisschen verwöhnen, und die Nudelsuppe mit dem saftigen Hühnerfleisch war einfach zu köstlich.

„Er ist interessiert.“

Laines Kopf ruckte hoch. „Wie bitte?“

Judy verschränkte die Arme und grinste selbstgefällig. „Dachte ich mir doch, dass ich dich damit wachrüttle. Er will das Zimmer.“

Laine klappte die Karte zu. Ihr Verstand schien auf Stand-by geschaltet zu haben – sie begriff rein gar nichts. „Ich denke, er hat ein Haus in Princeton?“

Autor

Isabel Sharpe
Im Gegensatz zu ihren Autorenkollegen wurde Isabel Sharpe nicht mit einem Stift in der Hand geboren. Lange Zeit vor ihrer Karriere als Schriftstellerin erwarb sie ihren Abschluss in Musik auf der Yale Universität und einen Master in Gesangsdarbietung auf der Universität von Boston. Im Jahre 1994 rettet sie die Mutterschaft...
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