Nur Liebe rettet dein Herz

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Ihr größter Traum ist zum Greifen nah! Nur noch einen Sanitäter muss Samantha schulen, dann wartet auf sie ein neues Leben als Pilotin. Doch ausgerechnet dieser letzte sexy Rettungssanitäter lässt sie mit seiner heißen Liebe an ihrem Weg zweifeln …


  • Erscheinungstag 12.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729776
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Nur noch eine einzige Schulung.

Zwei weitere Monate, dann war Schluss.

Samantha Doxtator holte tief Luft und schaute auf den Dienstplan. Noch einen angehenden Notfallsanitäter musste sie durch den praktischen Teil seiner Ausbildung begleiten, dann konnte sie ihren Mentorenjob hier in der Stadt an den Nagel hängen und sich der Luftrettung in Thunder Bay anschließen.

Thunder Bay war schon lange ihr Traum. Sie hatte sich dort ein Haus gekauft. Endlich würde sie ihrem Sohn das Leben bieten können, das er verdiente. Und am allerbesten war, dass sie dort mit dem Flugzeug zu Notfällen eilen konnte!

Gut gelaunt ging Samantha zu Lizzie Bathurst hinüber, der Einsatzkoordinatorin, die gerade dabei war, die Personalunterlagen der künftigen Notfallsanitäter an die Mentoren zu verteilen.

„Morgen, Lizzie.“

Lizzie antwortete nicht, aber das war bei ihr nicht ungewöhnlich.

„Also, wer ist mein allerletzter Schüler?“ Samantha rieb sich erwartungsvoll die Hände.

Es zog sie so sehr nach Thunder Bay, hoch oben im Norden. Die meisten aus ihrer Familie waren nach dem Tod ihres Vaters dort hingezogen. Ihr Sohn Adam würde zusammen mit seinen Cousins und Cousinen aufwachsen. Und er könnte in einem großen Garten spielen, anstatt auf der Terrasse ihrer Erdgeschosswohnung.

Sie war als Kind auf dem Land aufgewachsen, immer an der frischen Luft gewesen, und genau das konnte Adam nun auch bald genießen.

Adam hatte zwar seinen Dad nicht mehr, aber er würde eine schöne, liebevolle Kindheit haben. Thunder Bay war ihr Traum und der ihres verstorbenen Mannes gewesen, seit sie vor vierzehn Jahren ihre Ausbildung zu Notfallsanitätern begonnen hatten.

Samanthas Ausbildung hatte viel länger gedauert als geplant. Zuerst hatte Adams Geburt für eine Unterbrechung gesorgt – und dann war Cameron gestorben …

Denk jetzt nicht daran.

Auch wenn ihr Cameron immer noch fehlte, so lag sein Tod doch schon viele Jahre zurück. Sie dachte gern an ihn, aber heute musste sie einen klaren Kopf bewahren.

Heute hatte sie einen Job zu erledigen, und sie wollte ihn perfekt erledigen, damit sie in bester Erinnerung blieb.

Ihre Arbeit, bei der sie alles gab, hatte Samantha geholfen, die schweren Jahre nach Camerons Tod durchzustehen. Sie hatte keinen anderen Weg gewusst, oder zumindest hatte sie sich keinen anderen vorstellen können.

Sie versuchte, ihre Gedanken wieder in positive Bahnen zu lenken, und zwang sich zu einem Lächeln. In wenigen Monaten würde sie ein Flugzeug fliegen dürfen.

„Wie heißt denn nun mein glorreicher letzter Schüler?“, fragte sie.

Lizzie blickte über den Rand ihrer halbmondförmigen Lesebrille. „Glorreicher Schüler?“

Samantha runzelte die Stirn. „Bekomme ich diesmal einen besonders schwierigen Fall?“

Lizzie grinste. „Du bist die Beste. Du knackst jede Nuss.“ Sie reichte Samantha die Akte, und Samantha ergriff sie mit einem unguten Gefühl. Sie öffnete sie und las.

„George Atavik. Der Mann hat es aber weit nach Hause.“ Samantha war beeindruckt. Bislang hatten sie noch nie jemand von so weit her aus dem Norden Kanadas gehabt. „Hör mal, hier steht, dass er ein erfahrener Pilot ist. Wieso will er unbedingt in einem Rettungswagen arbeiten?“

„Ich habe doch gesagt, er ist eine harte Nuss. Sein Lebenslauf ist echt beeindruckend, und ich will, dass er wieder fliegt. Du musst ihn davon überzeugen, dass er die Ausbildung zum Notfallsanitäter nutzen soll, um bei der Luftrettung zu fliegen. Ich hasse es, wenn jemand sein Talent vergeudet!“

Samantha biss sich auf die Unterlippe. Verdammt. Warum konnte ihr letzter Schüler nicht ein ganz normaler sein? Andererseits hatte sie nie die 08/15-Absolventen bekommen. Manchmal vermutete sie Absicht dahinter …

„He, ich bekomme den Mann doch nicht etwa, weil wir beide von kanadischen Ureinwohnern abstammen?“, neckte Samantha sie.

Lizzie sah sie scharf an. „Komm mir nicht damit. Du willst einfach nur einen anderen, gib es doch zu.“

Samantha lachte auf. „Okay, du hast mich ertappt.“

„Du bist die Beste, Samantha. Die mit der allergrößten Erfahrung, was Rettungswagen betrifft.“

„Ach, du schmierst mir nur Honig um den Mund. So nett bist du sonst nie.“

Lizzie grinste, doch dann wurde sie wieder ernst. „Ich weiß nicht, warum er nicht fliegen will.“

Samantha warf einen Blick auf die Unterlagen. „Vielleicht sieht er das Ganze nur als eine Art Zusatzausbildung. Dort oben in Nunavut gibt es nicht viele Rettungswagen.“

Health Air and Land würde diesen Mann am liebsten als Piloten einstellen, aber wenn du ihn nicht überzeugen kannst, übernehmen wir ihn auf jeden Fall auch für Notfalleinsätze per Krankenwagen. Es gibt zu wenig Notfallsanitäter in Thunder Bay. Wenn er am Ende seiner Ausbildung dorthin kommt, wird man sich ihn sofort schnappen! Übrigens arbeitest du allein mit ihm.“

„Allein? Normalerweise arbeiten wir doch immer zu dritt.“

„Normalerweise ja, aber George Atavik hat Erfahrung, da ist eine dritte Person nicht nötig. Außerdem, wie ich schon sagte, bist du die Beste.“

Samantha nickte. „Okay. Ich versuche es.“

„Du sollst es nicht versuchen, du sollst es tun! Und nun raus mit dir. Die anderen neuen Schüler lernen auch gerade ihre Übungsleiter kennen.“

Samantha klemmte sich die Akte unter den Arm und ging in den Nebenraum, wo sich gerade die Teilnehmer und ihre Mentoren versammelten.

Sie entdeckte ihren neuen Schützling gleich auf den ersten Blick, obwohl sie nur seine Rückseite sah. Er stand etwas abseits von den anderen und war der Einzige, der völlig entspannt wirkte und nicht im Geringsten nervös.

„George Atavik“, rief Samantha laut.

Er drehte sich um, und sie hielt unwillkürlich den Atem an. Auch er stand einen Moment wie vom Donner gerührt da, während sie sich beide anstarrten. Doch dann lächelte er und zeigte zwei Grübchen, die seine strahlend weißen Zähne noch brillanter erscheinen ließen. Groß und schlank war er, breitschultrig, durchtrainiert. Dazu die blitzenden dunklen Augen, die glatte kupferfarbene Haut und das leicht zerzauste schwarze Haar – ein Bild von einem Mann in weißem Hemd und marineblauer Hose, dem Outfit der Notfallsanitäter.

Samantha hoffte, dass sie ihn nicht mit offenem Mund angestarrt hatte. Es war schon länger her, dass ihr ein gut aussehender Mann überhaupt aufgefallen war. Wirklich lange. Als alleinerziehende Mutter hatte man nicht oft Gelegenheit zu einem Date.

Er kam zu ihr herüber und hielt ihr die Hand hin. „Ich bin George Atavik.“

Samantha leckte sich unwillkürlich die Lippen, klemmte die Akte fester unter den Arm und ergriff ungeschickt seine ausgestreckte Hand. „Doxtator … Samantha. Ich bin Samantha Doxtator.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, entgegnete er höflich, fast reserviert.

Gut. Vielleicht war er doch nicht so schwierig wie erwartet.

Sag irgendetwas. Du starrst ihn ja nur an.

„Legen wir los?“, fragte er und sah sie an, als wäre sie nicht ganz bei Trost.

Samantha räusperte sich. „Tut mir leid, war ein hektischer Tag.“

George nickte. „Ich vermute, Sie sind einer der Mentoren, denen ich zugeordnet bin.“

„Ja, ich bin Ihre Mentorin. Ihr einziger Mentor.“

Er schaute sich um. „Wieso haben die anderen zwei?“

„Weil Sie mehr Erfahrung haben.“ Wieder räusperte sie sich und öffnete seine Personalakte. „Wir beide werden also die nächsten acht Wochen bei Ihrer Ausbildung zum Notfallsanitäter im Rettungswagen zusammenarbeiten. Da Sie eine Pilotenlizenz haben, wären Sie allerdings schneller fertig, wenn Sie …“

„Daran bin ich nicht interessiert“, unterbrach er sie, und das Funkeln in seinen Augen war verschwunden.

„Warum denn nicht? Sie sind Pilot, und …“

„Das tut nichts zur Sache. Ich bin hier, weil ich im Rettungswagen arbeiten will.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, und Samantha verstand. Er wollte nicht weiter darüber sprechen.

„Okay.“ Sie nahm ein paar Papiere zur Hand. „Lesen Sie sich bitte diese Erklärungen durch, füllen Sie sie aus, und dann machen wir unsere erste Fahrt.“

George nickte, sie gab ihm die Formulare, und er setzte sich damit an den nächsten Tisch. Samantha trat ein paar Schritte zurück. Diskretionsabstand.

Sie beschloss, sich einen Kaffee zu holen, und warf kurz einen Blick auf George. Wieso hörte ein Pilot mit so vielen Flugstunden einfach mit dem Fliegen auf? Er hatte mehr Stunden als sie, und sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, aufzuhören.

Was hielt ihn bloß davon ab?

Als würde er spüren, dass sie ihn beobachtete, sah er auf, und ihre Blicke begegneten sich. Einen Moment lang blieb sie wie angewurzelt stehen, wandte sich dann aber rasch ab und tat so, als ignoriere sie ihn. Deutlich fühlte sie seinen prüfenden Blick im Rücken. Ihr stieg die Röte in die Wangen, und sie wünschte, sie hätte ihre Haare nicht zum Pferdeschwanz zurückgebunden, denn sie spürte, wie auch ihr Nacken warm wurde.

Ihr verstorbener Mann hatte ihr Erröten immer reizend gefunden. Sie konnte es einfach nicht kontrollieren, und das ärgerte sie manchmal maßlos. Selbstbeherrschung war ihr ungemein wichtig.

Als sie wieder zu George Atavik hinschaute, hatte er sich über die Unterlagen gebeugt. Er war ernst und konzentriert. Das gefiel ihr.

Sie musste sich zusammenreißen. Sie war seine Ausbilderin. Es war ihre Aufgabe, aus diesem Notfallhelfer, der bisher vor allem als Pilot gearbeitet hatte, einen erstklassigen Notfallsanitäter zu machen, der perfekt mit einem Rettungswagen umgehen konnte.

Vielleicht würden ein paar rasante Fahrten ihn dazu bringen, seine Meinung, was das Fliegen anging, zu ändern?

Wo er herkam, gab es nicht viele Straßen. Nur Flugzeuge und Schneemobile oder Quads, wenn man von einem Ort zum anderen kommen wollte. Anders als hier.

Sie lächelte in sich hinein und setzte ihren Kaffeebecher ab.

Wichtig war nun, herauszufinden, wie gut er fahren konnte. Ob er mit einem Krankenwagen zurechtkam oder nicht, würde darüber entscheiden, ob er ein solches Gefährt fahren durfte. Und wenn es ihm nicht gefiel, würde er vielleicht auch wieder fliegen.

Natürlich wollte sie nicht heimlich darauf hinarbeiten, aber sie war sich ziemlich sicher, dass jemand, der nicht an viel Verkehr gewöhnt war, wenig Spaß am Krankenwagenfahren hatte. Es war sicher nur eine Sache der Zeit, bis er wieder im Flugzeug saß.

„Beeilung, Atavik!“

„Wie bitte?“ George blickte auf und sah Samantha an.

Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Er hatte einfach nicht mit einer verführerischen Ausbilderin gerechnet.

Verführerisch, George? Wirklich? Nur mühsam unterdrückte er ein frustriertes Aufstöhnen.

Er war nicht sicher gewesen, was ihn im Health Air and Land – Trainingscamp in London, Ontario erwarten würde. Nur dass er seine Mentoren kennenlernen und loslegen würde. Die anderen Ausbilder waren Männer. Große, bullige Männer, und genau so einen hatte George auch für sich erwartet.

Aber nicht eine attraktive Frau wie Samantha Doxtator.

Er war hier, weil er Frauen vergessen und sich auf seine Karriere konzentrieren wollte. Um ein guter Notfallsanitäter zu werden, ein sehr guter. Er hatte beschlossen, sich weiterzubilden und gleichzeitig eine neue Richtung einzuschlagen, um endlich wieder eine Arbeit zu haben, die ihn voll und ganz ausfüllte. Und dabei konnte er keinerlei Ablenkung gebrauchen.

Ablenkungen wie zum Beispiel diese heiße Lady.

Sie war groß und schlank, aber mit sinnlichen Rundungen an den richtigen Stellen. Es kostete George seinen ganzen Willen, Samantha in ihrer eng anliegenden Sanitäteruniform nicht unentwegt anzustarren.

Schwarzes, rötlich schimmerndes Haar, ein makelloser dunkler Teint und mandelförmige Augen, strahlend blau, wie er es noch nie bei einer Frau gesehen hatte. Sie bewegte sich anmutig und selbstsicher, und die straffe Körperhaltung verriet, dass sie es mit ihrem Fitnesstraining sehr genau nahm.

Wieso beeindruckten ihn eigentlich immer die Alphafrauen?

Es war sein Fluch.

Vielleicht, weil er mit dynamischen Frauen aufgewachsen war. Seine Schwestern waren Workaholics. Entspannen, Ausruhen, ein Nickerchen machen? Reine Zeitverschwendung!

Seine Freundin auf dem College war auch ein Alphatyp gewesen, doch unter der spröden Oberfläche hatte sich heiße, explosive Leidenschaft verborgen.

Zu schade, dass ihr die Karriere und ein Leben in Toronto wichtiger gewesen waren als er.

Andererseits … er war nicht wirklich am Boden zerstört gewesen, als es zu Ende war.

Bei seiner letzten Freundin aber schon. Er hatte sie heiraten wollen. Sie zu verlieren hatte ihm das Herz gebrochen.

Er wollte nicht an Cheryl denken. Nicht an die einzige Frau, mit der er sich eine gemeinsame Zukunft hatte vorstellen können. Die Frau, die ihn bei seinen Lufteinsätzen hätte begleiten sollen – als Ersatz für seinen Partner Ambrose, der vorgehabt hatte, wegzuziehen …

Die Gedanken an Cheryl erinnerten ihn nur wieder daran, warum er nicht mehr fliegen wollte und warum er den Frauen abgeschworen hatte. Und eine Beziehung mit einer Notfallsanitäterin kam schon gar nicht infrage! Das letzte Mal hatte es kein gutes Ende genommen.

Mayday. Mayday. Mayday. Iqaluit Centre. Hier spricht Medic Air 1254. Wir haben einen Motorschaden. Ich wiederhole, Motorschaden. Wir versuchen eine Notlandung zwanzig Kilometer nördlich. Höhe 4000 Fuß, sinkend …

Er spürte, wie ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach.

„Atavik, ist Ihnen nicht gut?“ Samantha musterte ihn besorgt.

George lächelte schwach. „Entschuldigung.“ Er nahm seine Papiere, stand auf und drückte sie Samantha in die ausgestreckte Hand.

„Alles in Ordnung?“

„Ja, klar.“

„Sicher?“

„Mir geht’s gut, wirklich!“, fuhr er auf. Er wollte und brauchte ihre Besorgnis nicht. Er war hier, um seinen Job zu machen.

Samantha warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Okay“, sagte sie dann. „Also los. Bereit?“

Er war es nicht. Verstohlen warf er einen Blick auf die anderen Lehrgangsteilnehmer, die jeder zwei Mentoren hatten. Männliche Mentoren, die keinerlei Verlockung darstellten. George wünschte sich eine dritte Person im Rettungswagen.

Er wollte nicht in Versuchung geraten. Er musste sich zusammenreißen.

„Also, sind Sie bereit?“, fragte Samantha ein zweites Mal.

„Absolut.“

„Großartig.“

In ihren Augen tanzten kleine Teufelchen. Was hatte sie mit ihm vor?

„Ich bringe kurz die Unterlagen weg, dann können wir starten.“ Sie verschwand im Büro und kehrte eine Minute später zurück. „Wir nehmen Wagen 7.“

„Ein guter Wagen?“, fragte er, als er ihr zur Garage hinausfolgte. Ihrer Miene nach zu urteilen, durfte er das bezweifeln.

Sie lächelte wissend. „Sie werden es sehen.“

„Sie haben vor, mich zu quälen, oder?“, murmelte er unterdrückt, aber sie hatte es wohl doch gehört, denn sie öffnete den Mund, um zu antworten. Doch in dem Moment heulte bei dem Wagen, der neben ihrem stand, die Sirene los. Blaulicht blitzte auf.

„Kommt in die Hufe, Samantha. Auf dem Highway 401 hat es einen schweren Unfall gegeben“, brüllte jemand über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg.

„Los, Tempo!“ Samantha rannte zu ihrem Wagen. „Mal sehen, was Sie draufhaben.“

George schluckte den Angstkloß im Hals herunter und schlüpfte neben Samantha auf den Beifahrersitz. Kaum hatte er die Tür geschlossen, ließ sie den Motor an und gab Vollgas.

„Drücken Sie den roten Schalter“, rief sie dabei und deutete aufs Armaturenbrett.

Kaum hatte George es getan, heulte die Sirene auf, das Blaulicht begann zu blitzen.

Es war schon beeindruckend. An seinem Flugzeug hatte es weder Blaulicht noch Sirenen gegeben.

„Alles klar, Atavik?“, schrie sie über den Lärm hinweg.

„Bestens.“

Was gelogen war.

Er war ziemlich durch den Wind. Ob es an dem heftigen Schaukeln des Wagens lag, mit dem sie in halsbrecherischem Tempo zur Unfallstelle rasten, konnte er nicht sagen. Oder war er nervös, weil er nicht wusste, was ihn dort erwartete?

In Nunavut gab es keine Massenkarambolagen.

Als er zuerst in den Süden Kanadas kam, hatten ihn die vielen vierspurigen Highways richtig eingeschüchtert. London insgesamt wirkte einschüchternd auf ihn, auch wenn Charlottes Ehemann Quinn sich rührend um ihn kümmerte, seit er hier war.

Fahren konnte George, aber er bevorzugte eben Nebenstraßen. Und obwohl Quinn darauf bestanden hatte, dass er den Stadtverkehr kennenlernte, hatte George mit den Highways noch seine Probleme.

Ihm schmerzten die Ohren von der heulenden Sirene. Er war so etwas nicht gewohnt. Er wusste nicht einmal, ob er sich jemals an den normalen Straßenlärm gewöhnen könnte.

Sein Flugzeug war dagegen leise gewesen.

Bis …

Denk nicht daran.

George lächelte Samantha mühsam an und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

„Ist wirklich alles okay mit Ihnen?“, fragte sie teilnahmsvoll. „Ich möchte nicht, dass Ihnen gleich am ersten Tag schlecht wird.“

„Kein Problem.“

„Hoffentlich liegt es nicht an meiner Fahrweise.“

Nein, es liegt an Ihnen! hätte er am liebsten gesagt.

„Es geht mir gut!“, fuhr er sie stattdessen an und bedauerte es im nächsten Moment.

„Voraussichtliche Ankunft am Unfallort in fünf Minuten.“

George atmete einmal tief durch.

Du hast so etwas schon öfters erlebt. So viele Male. Auch wenn es kein Massenzusammenstoß war.

Dennoch, die Vorstellung, als Notfallsanitäter in einer großen Stadt zu arbeiten, machte ihn unruhig. Aber er konnte nicht zurück nach Cape Recluse. Nach dem Unglück hatte die Armee dort eine Luftbasis errichtet.

Womit sein Job weggefallen war.

War es dumm gewesen, in den Süden Ontarios zu ziehen und zu versuchen, im dichten Verkehr einer fremden Stadt in einem Rettungswagen zu arbeiten? Würde er hier seinen Traum verwirklichen können, wieder Leben zu retten?

Er war älter als die anderen Lehrgangsteilnehmer.

Dreiunddreißig.

Was mache ich hier eigentlich?

George hoffte, durch diese Ausbildung das besondere Gefühl wiederzufinden, das ihn bis zu dem Absturz erfüllt hatte: mit Leidenschaft Leben zu retten, voller Elan nichts unversucht zu lassen, um Menschen neue Hoffnung zu geben.

Im Moment funktionierte er nur. Zwar gut, aber die vertraute Passion fehlte.

Der Wagen fuhr langsamer, und George reckte den Hals, als sie die Zufahrt zum Highway hinunterrollten.

Deutlich konnte er den Rauch sehen, der von den Unfallfahrzeugen aufstieg. Streifenwagen mit rotierenden Lichtern standen da, auch die Feuerwehr war schon vor Ort. Als er nach hinten blickte, sah er weitere Krankenwagen heranrasen.

„Bereit, Atavik?“ Samantha berührte sein Knie und drückte es kurz. Ein Kribbeln, wie von einem elektrischen Schlag, durchfuhr ihn. Er mochte es, wenn sie ihn berührte, und wusste gleichzeitig, dass es falsch war.

„Bereit.“

Samantha lenkte den Wagen an den Straßenrand. „Also dann, auf geht’s!“

Als sie ausstieg, lächelte sie ihn aufmunternd an.

George sprang vom Wagen und verschaffte sich einen Überblick. Adrenalin schoss ihm durch die Adern bei dem Bild, das sich ihm bot. Der Highway gehörte zu den Hauptverbindungsstraßen der Provinz Ontario. Kilometerweit staute sich der Verkehr zu beiden Seiten. Mehr als fünf Fahrzeuge waren in den Unfall verwickelt, einschließlich eines Tanklastzugs, der auf der Seite lag, quer über alle vier Fahrspuren.

Eine herausfordernde Aufgabe lag vor ihm. Er würde seinen Job machen, aber außer der nervlichen Anspannung spürte er nichts. George fühlte sich, als ob etwas in ihm gestorben wäre.

2. KAPITEL

„Wir müssen räumen – dieser Tanklaster ist instabil.“ Der Einsatzleiter der Feuerwehr deutete auf das Fahrzeug.

Samantha nickte. „Wir haben fast alle Verwundeten aus der Gefahrenzone geschafft.“

„Der Verkehr auf beiden Seiten des Staus wurde inzwischen umgeleitet“, meldete der Polizeieinsatzleiter.

Samantha schaute sich beunruhigt um. Solche Unfälle gingen ihr immer an die Nieren. Zwar hatte sie George geneckt, weil ihm sichtlich schlecht war, aber auf dem Weg zu solchen Massenkarambolagen war auch ihr jedes Mal mulmig zumute.

Cameron hatte seinen Rettungswagen zu Schrott gefahren, indem er ohne ersichtlichen Anlass rückwärts und mit Vollgas in ein leeres Gebäude gerast war. Die anschließende medizinische Untersuchung ergab, dass er einen Gehirntumor hatte. Seitdem erinnerte jeder Autounfall Samantha wieder an jenen schrecklichen Tag, der ihr Leben für immer verändert hatte.

Während die anderen noch diskutierten, was zu tun sei, fiel Samanthas Blick auf George. Er wirkte ruhig, konzentriert, kümmerte sich um Verletzte, so als würde er den Lärm, den Rauch und die Rufe gar nicht richtig wahrnehmen. Fast wie eine Maschine.

Anfangs hatten sie zusammengearbeitet, aber anders als die Schulungsteilnehmer, die sie sonst anleiten musste, wusste George genau, was zu tun war.

So ließ sie ihn selbstständig arbeiten. Sie hatte in den vielen Jahren gelernt zu unterscheiden, wo sie gebraucht wurde und wo nicht.

Im Moment hockte er neben einer älteren Dame und verband ihre Kopfwunde. Er unterhielt sich mit ihr, und sie lächelte trotz ihrer blutenden Verletzung.

Selbst aus der Entfernung war ersichtlich, dass er sie beruhigen konnte.

Atavik hatte das richtige Gespür. Samantha gegenüber mochte er distanziert und kühl sein, aber mit den Patienten ging er gut um.

Er war der geborene Notfallsanitäter.

Trotzdem wäre es zu schade, wenn er nie wieder fliegen würde. Vielleicht schaffte sie es ja, ihn bis zum Ende der Ausbildung vom Gegenteil zu überzeugen.

Wenn man so lange geflogen ist wie Atavik, geht es einem in Fleisch und Blut über, dachte sie.

George bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass er fertig war. Sie schob die Rollliege zu ihm hinüber, und er stand auf.

„Ich glaube, sie ist die Letzte.“ Er wandte sich an die Frau. „Können wir Sie jetzt von hier wegbringen? Sind Sie bereit, Mrs. Walker?“

„Mehr als das, Georgieboy.“

Samantha zog die Brauen hoch. Georgieboy?

George lächelte Mrs. Walker nur an, als er ihr auf die Rollliege half. „Gut, dann fahren wir Sie ins Krankenhaus.“

Da ihr eigener Wagen durch einen Streifenwagen blockiert war, brachten sie Mrs. Walker zu einem freien Wagen. Nachdem sie die Patientin hineingeschoben hatten, schlug George gegen die geschlossene Tür, ein Zeichen an den Fahrer, dass es losgehen konnte. Der Wagen fuhr davon.

Die Feuerwehrleute waren inzwischen dabei, die Menschen vom Tanklastzug wegzuscheuchen, da Rauch von ihm aufstieg.

„Wir sollten auch sehen, dass wir hier wegkommen“, meinte Samantha zu George. „Der Tanklaster kann jeden Moment explodieren.“

„Ich denke, das ist …“

Der gellende Schrei einer Frau unterbrach sie. „Mein Baby!“

Samantha fuhr herum und sah ein kleines Mädchen, zwei, höchstens drei Jahre alt, den Highway entlang auf den rauchenden Tanklaster zulaufen, ohne dass die Feuerwehrleute es bemerkten.

Die Mutter schrie herzzerreißend den Namen ihrer Tochter, konnte sich aber nicht rühren, da sie bereits für den Transport auf einer Liege angeschnallt war.

Ein Blick auf die Kleine, und George sprintete los.

Samantha wollte ihn zurückhalten, aber es gelang ihr nicht. George rannte zwischen aufregt rufenden Feuerwehrleuten und Polizisten hindurch, hinter dem Mädchen her.

„Atavik, hiergeblieben!“, schrie Samantha und lief ebenfalls los, wurde aber von einem der Feuerwehrmänner am Arm gepackt.

„Sie können da nicht hin!“

„Ich muss. Er ist mein Partner. Mein verrückter Partner.“ Samantha deutete auf George.

Der Mann wirbelte herum. „Oh nein!“

Samantha schlug das Herz im Hals, das Blut rauschte ihr in den Ohren, als sie von kräftigen Händen fortgezerrt wurde.

Warum schien in solchen Situationen alles in Zeitlupe abzulaufen?

Als George noch auf das Mädchen zuraste, ging der Tanklaster plötzlich in Flammen auf. Das Kind wurde zurückgeschleudert. Im nächsten Moment war George bei ihm, hob es hoch und hastete aus der Gefahrenzone. Feuerwehrleute mit Wasserschläuchen rannten an ihm vorbei auf den Tankwagen zu, der in loderndes Feuer eingehüllt war.

George hielt die Kleine an die Brust gepresst, eine Hand schützend um ihren Kopf gelegt, und brachte sie in Sicherheit.

Samanthas Puls beruhigte sich wieder ein wenig, und sie schob den Feuerwehrmann von sich, als George nun direkt auf sie zukam. Er keuchte schwer, das Gesicht war rußgeschwärzt, sein Arm von Brandwunden bedeckt.

„Sie haben sich am Arm verbrannt.“

„Ich weiß.“ George lief an ihr vorbei zur Mutter, die ihr schluchzendes Kind in die Arme schloss.

„Danke“, sagte sie weinend immer wieder. „Vielen, vielen Dank …“

George lächelte nur und tätschelte dem Mädchen den Kopf.

Als zwei Sanitäter Mutter und Tochter davonrollten, warf George einen Blick auf seinen Arm und fluchte unterdrückt.

Samantha stand nur da, die Arme vor der Brust verschränkt, und starrte ihn an.

„Sieht so aus, als hätten wir noch einen Patienten, der ins Krankenhaus muss. Steigen Sie in den Krankenwagen, Atavik.“

George zuckte zusammen, als die Ärztin in der Notaufnahme seinen Arm mit Brandsalbe bestrich und anschließend einen Verband anlegte.

„Sie sind ein echter Held, habe ich gehört“, meinte sie. „Sie können froh sein, dass Sie sich nicht schwerer verbrannt haben.“

„Sie an meiner Stelle hätten sicher genauso gehandelt.“

Sein Blick fiel auf Samantha, die sichtlich verärgert im Flur auf und ab marschierte. Das kannte er nur zu gut – von seiner Schwester Charlotte!

Autor

Amy Ruttan
Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...
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