Paradies am blauen Meer

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Ganz hingerissen ist Lorenzo von Marisa, die ihm zur Braut bestimmt wurde. Nur zu gern will er sie in den Flitterwochen am blauen Meer von Amalfi verführen. Doch erwidert sie seine Gefühle? Sobald sie ihm einen Erben geschenkt hat, muss er sie wieder freigeben, sagt sie!


  • Erscheinungstag 05.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747268
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die gläsernen Eingangstüren zur San Francesco Klinik öffneten sich lautlos. Dennoch wandte jeder der Wartenden den Kopf, um den Mann zu betrachten, der aus der dunklen Nacht eintrat. Zielstrebig steuerte er auf den Empfang zu, scheinbar ohne sich der prüfenden Blicke bewusst zu sein. Eine der beiden Krankenschwestern, die gerade im Gang standen, ließ ihre Aufzeichnungen sinken und musterte den großen, schlanken Besucher mit dem zerzausten Haar. Unauffällig beugte sie sich zu ihrer Kollegin. „Er sieht aus, als käme er direkt aus dem Bett“, flüsterte sie. Sie ahnte nicht, wie recht sie damit hatte. Ihre Kollegin nickte zustimmend und seufzte sehnsüchtig.

Lorenzo Santangeli war nicht im klassischen Sinne schön. Aber sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen, den goldbraunen Augen und dem geschwungenen, sinnlichen Mund war durchaus reizvoll. Keine Frau, die ihn ansah, konnte sich der Kraft seiner Ausstrahlung entziehen.

„Mein Vater wurde gerade eingeliefert“, wandte er sich an die junge Frau am Empfang. Trotz seiner Anspannung klang seine Stimme ruhig. „Ein Notfall.“

Wenige Augenblicke später kam Signor Martelli, der Chefarzt des Krankenhauses, aus seinem Büro, um Lorenzo zu begrüßen. Erst jetzt schienen sich die Krankenschwestern aus der Erstarrung zu lösen und gingen eilig wieder an die Arbeit.

Lorenzo vergeudete keine Zeit mit Höflichkeiten. „Wie geht es ihm?“, fragte er voller Sorge.

„Den Umständen entsprechend gut“, entgegnete der Arzt. „Zum Glück war sehr schnell ein Krankenwagen zur Stelle, sodass Ihr Vater sofort ärztlich versorgt werden konnte.“ Er lächelte beruhigend. „Es war kein schlimmer Anfall. Wir gehen davon aus, dass der Marchese wieder vollkommen gesund wird.“

Lorenzo atmete auf. „Darf ich zu ihm?“

„Selbstverständlich. Ich werde Sie begleiten.“

Sie nahmen den Fahrstuhl in eines der oberen Stockwerke. Signor Martelli warf einen kurzen Seitenblick auf seinen Begleiter. „Es ist wichtig, dass Ihr Vater Anstrengungen vermeidet. Das Personal sagte mir, er sei sehr aufgeregt gewesen, als er auf Sie gewartet hat. Ich bin froh, dass Sie hier sind.“

„Das bin ich auch, Signore.“ Lorenzos Ton war zuvorkommend, machte dem Arzt jedoch auch unmissverständlich deutlich, nicht noch weiter nachzufragen.

Dem Chefarzt war bereits zu Ohren gekommen, dass Lorenzo Santangeli ein gefürchteter und Respekt einflößender Mann war, und er sah diesen Ruf bestätigt. Schweigend ging er weiter.

Lorenzo hatte erwartet, dass sein Vater von Ärzten und Pflegern umringt und an zahllose Überwachungsmonitore angeschlossen wäre. Tatsächlich aber war Guillermo Santangeli allein in dem komfortablen Privatzimmer. An einige Kissen gelehnt blätterte er seelenruhig in einem Fachmagazin der Wirtschaftspresse. Statt technischer Geräte stand neben ihm ein mächtiges Blumengesteck.

Einen Moment lang blieb Lorenzo im Türrahmen stehen. Er war erstaunt darüber, seinen Vater so entspannt zu sehen.

Guillermo seinerseits musterte seinen Sohn über den Rand seiner Brille hinweg. „Ah“, sagte er. „Finalmente.

Einen Augenblick hielt er inne. „Es war nicht einfach, dich aufzuspüren, mein Sohn.“

Die leichte Schärfe in seinen Worten war Lorenzo nicht entgangen. Mit einem entschuldigenden und gleichzeitig charmanten Lächeln trat er ans Bett seines Vaters. „Nun, Papa, jetzt bin ich ja hier. Und ich bin sehr froh, dass es dir besser geht. Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich erfuhr, dass du einen Herzanfall hattest.“

„Die Ärzte nennen so etwas einen ‚Zwischenfall‘.“ Guillermo zuckte die Achseln. „Im ersten Moment besorgniserregend, aber nicht lebensbedrohlich. Ich muss noch ein paar Tage zur Beobachtung hierbleiben, aber dann kann ich wieder nach Hause.“ Er seufzte. „Allerdings werde ich Medikamente nehmen müssen, und die Ärzte haben mir das Rauchen und den Brandy verboten – zumindest vorübergehend.“

„Dass du deine Zigarren nicht mehr rauchen darfst, ist ein Segen für alle“, erwiderte Lorenzo lächelnd, während er die Hand seines Vaters ergriff und küsste.

Der Marchese verzog missmutig das Gesicht. „Ottavia ist derselben Meinung. Sie war bis eben da, hat mir meinen Pyjama und die Blumen gebracht. Ohne ihre schnelle Hilfe wäre ich jetzt nicht mehr hier. Wir hatten gerade gemeinsam zu Abend gegessen, als ich mich plötzlich unwohl fühlte.“

Lorenzo hob die Augenbrauen. „Dafür bin ich ihr sehr dankbar.“ Er nahm sich einen Stuhl und fuhr nach kurzer Pause fort: „Ich hoffe, Ottavia ist nicht meinetwegen gegangen.“

„Sie ist eine sehr taktvolle Dame“, entgegnete sein Vater. „Sie wollte uns einfach nicht stören – das ist alles. Ich konnte sie inzwischen davon überzeugen, dass du unsere Beziehung nicht länger als Betrug an deiner verstorbenen Mutter ansiehst.“

Fast unmerklich wurde Lorenzos Lächeln schmaler. „Grazie. Es ist gut, dass du ihr das gesagt hast.“ Er zögerte. „Also kann ich davon ausgehen, bald eine Stiefmutter zu haben? Wenn du … euer Verhältnis offiziell anerkennen lassen möchtest, werde ich dem nicht im Wege stehen.“

Guillermo hob abwehrend die Hand. „Das ist nicht das Thema. Wir haben häufig darüber gesprochen und sind uns einig, dass uns beiden unsere Unabhängigkeit sehr wichtig ist. Es wird sich nichts ändern.“ Er nahm die Brille ab und legte sie behutsam auf das Tischchen neben seinem Bett. „Da wir gerade davon sprechen: Wo ist eigentlich deine Frau?“

Anscheinend bin ich geradewegs in die Falle getappt, dachte Lorenzo und fluchte unterdrückt. „Sie ist in England, Papa – ich denke, das weißt du auch.“

„Ah ja.“ Nachdenklich nickte sein Vater. „Ist sie nicht kurz nach euren Flitterwochen dorthin gereist und seither nicht zurückgekehrt?“

Lorenzo hielt seinem Blick stand. „Ich dachte … eine Trennung auf Zeit wäre hilfreich.“

„Eine seltsame Entscheidung“, gab sein Vater zurück. „Besonders, wenn man die Gründe für diese Heirat bedenkt … Du stehst in der Erbfolge an letzter Stelle, mein lieber Lorenzo. Und weil du bis zu deinem dreißigsten Geburtstag keine Anstalten gemacht hast, dein Junggesellendasein aufgeben zu wollen, hielt ich es für angezeigt, dich an deine Verpflichtungen der Familie gegenüber zu erinnern: Du musst für einen Erben sorgen, der den Namen der Santangelis weiterführt.“ Das Gespräch schien den Marchese anzustrengen. Dennoch fuhr er nach einer kurzen Pause fort. „Du hast deine Pflicht akzeptiert. Und da es zu dem Zeitpunkt in deinem Leben anscheinend keine feste Beziehung gegeben hat, hast du zugestimmt, das Mädchen zu heiraten, das deine verstorbene Mutter für dich vorgesehen hat – ihre geliebte Patentochter Marisa Brendon. Ich hoffe, dass mein hohes Alter mein Gedächtnis nicht trübt und ich mich noch richtig an die Einzelheiten dieser Vereinbarung erinnere. Also, hab ich recht?“, vergewisserte er sich sanft.

„Selbstverständlich.“ Lorenzo biss die Zähne zusammen. „Du hast wie immer recht.“

„Acht Monate sind seit der Hochzeit vergangen, und es gibt noch immer keine guten Neuigkeiten. Das ist in jedem Fall enttäuschend. Aber nach meiner Herzattacke wird die Frage, ob es einen Erben gibt, der den Namen Santangeli weiterführen wird, für mich noch wichtiger. Die Ärzte haben mir geraten, kürzerzutreten. Kurz gesagt: Mir ist bewusst geworden, dass auch ich nicht ewig lebe. Und ich würde gern mein erstes Enkelkind in den Armen halten, ehe ich sterbe.“

Lorenzo erschrak. „Papa, du wirst noch lange leben. Das wissen wir beide.“

„Das kann ich nur hoffen“, entgegnete Guillermo. „Aber darum geht es nicht.“ Er sank in die Kissen zurück. „Deine Frau kann dir keinen Sohn schenken, wenn du nicht unter einem Dach mit ihr lebst – geschweige denn, das Bett mit ihr teilst. Oder besuchst du sie regelmäßig in London, um deinen ehelichen Pflichten nachzukommen?“

Abrupt stand Lorenzo auf und trat ans Fenster. Er öffnete die Vorhänge und starrte in die Dunkelheit hinaus. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild einer schönen jungen Frau mit strahlenden Augen auf, und ein Gefühl der Scham versetzte ihm einen schmerzhaften Stich.

„Nein“, gab er schließlich zu, „das tue ich nicht.“

„Und warum nicht?“, hakte sein Vater nach. „Wo liegt das Problem? Zugegeben, die Heirat war arrangiert, aber das war meine Ehe auch. Und dennoch haben deine Mutter und ich uns sehr geliebt. Die Frau, mit der du verheiratet bist, ist jung, charmant und unbestreitbar unschuldig. Außerdem kennst du sie schon fast dein ganzes Leben lang. Wenn sie also nicht die Richtige für dich ist, hättest du das eher sagen müssen.“

Lorenzo wandte sich zu ihm um. Sein Blick war voller Bitterkeit. „Ist es dir noch nicht in den Sinn gekommen, Papa, dass sich die Sache genau umgekehrt verhält? Dass Marisa nichts von mir wissen will?“

Che sciocchezze!“, rief Guillermo sofort. „Was für ein Unsinn! Schon als sie ein Kind war, konnte jeder sehen, dass sie dich angebetet hat.“

„Tja, aber jetzt ist sie erwachsen, und ihre Gefühle haben sich geändert“, erwiderte Lorenzo trocken. „Vor allem, seit sie die Hintergründe unserer Ehe kennt.“

Guillermo sah ihn verärgert an. „Was erzählst du da? Willst du mir weismachen, dass ein Mann mit deiner Erfahrung seine eigene Ehefrau nicht verführen kann? Du hättest aus der Pflicht ein Vergnügen machen sollen, mein Sohn. Und du hättest die Hochzeitsnacht dazu nutzen sollen, die Liebe deiner Frau für dich zu wecken.“ Er überlegte kurz. „Im Übrigen hat niemand sie dazu gezwungen, dich zu heiraten.“

Lorenzo blickte seinen Vater ruhig an. „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Seit ihre Cousine, diese Hexe, ihr gesagt hat, wie tief sie in der Schuld unserer Familie steht, hatte sie im Grunde genommen keine andere Wahl mehr.“

Guillermos Blick verfinsterte sich. „Du hast es ihr nicht gesagt? Du hast ihr nicht erklärt, dass es der Letzte Wille deiner verstorbenen Mutter, ihrer Patentante, war, dass Marisa ein sorgenfreies Leben führen kann?“

„Ich habe es versucht, aber sie hat mir nicht geglaubt. Sie wusste ja, dass unsere Hochzeit Mamas sehnlichster Wunsch war – deshalb denkt sie nun, das alles sei nur Teil des schmutzigen Geschäfts gewesen.“ Er schluckte schwer. „Ihre Cousine hat ihr erzählt, dass ich eine Geliebte hatte, als ich sie gebeten habe, mich zu heiraten. Nach diesen Enthüllungen konnten die Flitterwochen ja nicht glücklich werden.“

„Diese Cousine hat sich einiges geleistet“, bemerkte Guillermo düster. „Und was dich betrifft, so ist es mir immer noch schleierhaft, warum du mit Lucia nicht alles geregelt hast, bevor es mit der Heirat ernst wurde. Das war dumm von dir.“

„Wenn es einfach nur dumm gewesen wäre, könnte ich damit leben“, sagte Lorenzo bitter. „Aber es war grausam. Und das kann ich mir nicht verzeihen.“

„Ich verstehe dich“, antwortete sein Vater langsam. „Das ist schlimm. Aber jetzt ist es wichtiger, dich zu fragen, ob du deine Frau überzeugen kannst, dir zu verzeihen.“

„Wer weiß das schon?“, erwiderte Lorenzo und seufzte. „Ich hatte gehofft, dass etwas Abstand und Zeit zum Nachdenken uns helfen könnten. Am Anfang habe ich Marisa regelmäßig geschrieben, habe sie angerufen und ihr ständig Nachrichten hinterlassen. Doch sie hat nicht reagiert. Mittlerweile habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass wir uns versöhnen können.“ Er schwieg kurz. „Ich will nicht betteln“, fügte er tonlos hinzu.

Guillermo legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete ausgiebig seine Hände. „Eine Scheidung kommt natürlich nicht infrage“, erklärte er. „Doch nach allem, was du mir erzählt hast, könnten wir die Ehe annullieren lassen.“

„Niemals“, widersprach Lorenzo rau. „Unsere Ehe ist eine Tatsache, Marisa ist meine Frau. Daran ist nicht zu rütteln.“

„Große Worte“,knurrte sein Vater. „Und wie erklärst du mir dann, dass in der Öffentlichkeit über deine Affäre mit Doria Venucci gesprochen wird? Deine Großmutter hat es mir gestern erzählt.“

Nonna Teresa“, stieß Lorenzo zornig hervor. „Warum nur interessiert sie sich so brennend für mein Leben – insbesondere für die Dinge, von denen sie eigentlich nichts hält? Und wie konnte eine Frau wie sie eine so liebenswerte und freundliche Tochter wie meine Mutter haben?“

„Das habe ich mich auch immer gefragt“, gab Guillermo zu. „Doch dieses Mal ist ihre Klatschsucht gerechtfertigt. Sie macht sich Sorgen, dass Antonio Venucci erfährt, wie und mit wem sich seine Frau amüsiert, während er geschäftlich in Wien ist.“ Der alte Santangeli beobachtete, wie sein Sohn die Stirn runzelte, und nickte nachdrücklich. „Ein solcher Skandal, mein lieber Lorenzo, würde jede Chance zunichtemachen, dich mit deiner Frau zu versöhnen. Falls es wirklich das ist, was du möchtest.“

„Es ist das, was notwendig und sinnvoll ist“, gab Lorenzo ruhig zurück. „Ich kann nicht zulassen, dass der gegenwärtige Zustand noch länger anhält. Einerseits gehen mir allmählich die Ausreden aus, um Marisas Abwesenheit zu erklären. Andererseits sehe ich ein, dass der Zweck dieser Ehe endlich erfüllt werden muss.“

Dio mio“, seufzte Guillermo. „Hoffentlich findest du deiner Frau gegenüber etwas romantischere Worte. Ansonsten wirst du mit Sicherheit scheitern.“

„Dieses Mal nicht. Das verspreche ich dir“, sagte Lorenzo entschlossen.

Gedankenverloren fuhr Lorenzo wenig später zu seiner Wohnung zurück. Er hatte das Obergeschoss eines historischen Palazzo gekauft, dessen Vorbesitzer sich durch seinen luxuriösen Lebensstil ruiniert hatte. Doch sosehr Lorenzo die Eleganz des edlen Domizils inmitten von Rom liebte, war es für ihn doch nicht mehr als eine Zweitwohnung. Sein Herz hing an dem altehrwürdigen Landsitz seiner Familie in der Toskana. Dort war er geboren. Und ursprünglich hatte er vorgehabt, mit seiner Frau im Westflügel des Hauses zu leben. Dieser Teil des Familiensitzes hätte genau die Ungestörtheit geboten, die ein frischgebackenes Ehepaar sich wünschte.

Er erinnerte sich daran, wie er Marisa ihr neues Heim vor der Hochzeit gezeigt und ihr angeboten hatte, eigene Ideen in die Gestaltung einzubringen. Doch sie hatte nur zögernd gesagt, es sei sehr schön, und ihn dann gebeten, nicht noch weiter in sie zu dringen. Die prachtvollen, geräumigen Schlafzimmer mit der Verbindungstür, die sie nach ihrer Hochzeit bezogen hätten, hatte sie keines Blickes gewürdigt.

Falls sie Bedenken gehegt hatte, mit ihrem künftigen Schwiegervater unter einem Dach zu leben, so hatte sie sie für sich behalten und geschwiegen. Eigentlich hatte es immer so gewirkt, als hätte sie Guillermo sehr gemocht.

Um ehrlich zu sein, dachte Lorenzo stirnrunzelnd, hat sie sowieso wenig gesagt, nachdem sie mit leiser Stimme ihr Jawort gegeben hat. Er hätte es bemerken müssen. Doch vermutlich hatte er ihr Unbehagen einfach ignoriert, weil ihm andere Dinge wichtiger waren.

Schon als Kind war Marisa eher still gewesen. Und als sie älter wurde, hatte sie sich zu einem in sich gekehrten Teenager entwickelt.

Wehmütig erinnerte er sich, dass sie ihre Schwärmerei für ihn immer zu verbergen versucht hatte – wenn auch nicht besonders geschickt. Er war ihr Held gewesen.

Seine Mutter hatte Lisa Cornell, Marisas Mutter, als junges Mädchen in der Klosterschule in Rom kennengelernt. Ihre Freundschaft hatte all die Jahre überdauert und trotz der großen Entfernung gehalten.

Während Maria direkt nach dem Schulabschluss geheiratet hatte und binnen eines Jahres Mutter geworden war, hatte Lisa Karriere als Journalistin gemacht, ehe sie sich in den berühmten Dokumentarfilmer Alec Brendon verliebt hatte.

Als schließlich ihre Tochter zur Welt gekommen war, hatte festgestanden, dass nur Maria die Patentante werden konnte. Und Maria hatte sich über diesen Vertrauensbeweis gefreut. Marisa trug den Namen ihrer Mutter und ihrer Patentante – Maria Lisa.

Lorenzo wusste, dass seine Eltern sich verzweifelt noch mehr Kinder gewünscht hatten, doch er war der einzige Sohn geblieben. Und so hatte Marisa im Herzen seiner Mutter den Platz der sehnlichst erwarteten Tochter eingenommen.

Wann die Mütter den Plan gefasst hatten, ihre Kinder sollten später einmal heiraten, wusste Lorenzo nicht. Er selbst jedoch hatte dieses Versprechen schon als Heranwachsender als Belastung empfunden.

Und das war einer der Gründe dafür gewesen, dass er begonnen hatte, Marisa zu necken. La cicogna – Storch – hatte er sie genannt und damit auf ihre langen Beine und ihre spitze Nase angespielt, bis seine Mutter ihn mit ungewohnter Schärfe zurechtgewiesen hatte.

Im Laufe der Jahre hatte er die Vereinbarung zwischen seiner Mutter und Lisa Brendon so gut es ging verdrängt. Doch als Marisas Eltern vor sechs Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte das Heiratsversprechen plötzlich wieder im Raum gestanden.

Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sich herausgestellt, dass Marisa vollkommen mittellos war. Jahrelang hatten die Brendons weit über ihre Verhältnisse gelebt, und Alec hatte darüber hinaus versäumt, seine Lebensversicherung zu verlängern.

Maria hatte das damals vierzehnjährige Mädchen sofort in der Familie aufnehmen wollen, doch zum ersten Mal hatte sich Guillermo einem ihrer Wünsche widersetzt. Falls Lorenzo und Marisa tatsächlich heiraten sollten, so sein Argument, sei es besser, sie bleibe auf Kosten der Santangelis weiterhin in London. Denn ansonsten, hatte Guillermo erklärt, könne es passieren, dass Lorenzo in Marisa die kleine Schwester sähe – und nicht die zukünftige Braut.

Maria hatte seine Entscheidung widerstrebend akzeptiert. Und nachdem Marisa nach England zurückgekehrt war, hatte Lorenzo sein unbeschwertes Junggesellenleben fortgeführt, ohne auch nur einen Gedanken an seine künftige Braut zu verschwenden.

Lorenzo hatte sich auf seine Karriere konzentriert. Er hatte sein Können unter Beweis stellen wollen, ehe er die Leitung der international angesehenen Santangeli Bank von seinem Vater übernahm. Niemand, so hatte er sich fest vorgenommen, sollte sagen können, er habe diesen Job nur, weil er der Sohn des Chefs sei.

Sein Leben war großartig. Er hatte einen anspruchsvollen Job, der ihm Spaß machte, ihn wirklich interessierte und der es ihm erlaubte, viel zu reisen. Nicht nur beruflich, auch privat hatte es der Erfolg gut mit ihm gemeint. Er hatte seine Affären mit den attraktivsten Frauen stets sehr genossen – und den Damen war bewusst gewesen, dass er kein Mann zum Heiraten war. Das Wort Liebe war in Nächten voller Leidenschaft nie gefallen.

Vor drei Jahren aber war er jäh aus diesem sorglosen Lebensstil gerissen worden. Damals hatte er erfahren, dass seine Mutter schwer krank war. Die Ärzte hatten einen unheilbaren Krebs bei Maria festgestellt, und nur sechs Wochen später war sie gestorben. Zuvor aber hatte sie ihm ein Versprechen abgenommen.

„Lorenzo, carissimo mio.“ Sie hatte ihre schmale Hand auf die seine gelegt. „Versprich mir, dass du meine kleine Marisa heiraten wirst.“

Betäubt von Sorge und Trauer hatte er ihr sein Wort gegeben – und damit sein Schicksal besiegelt.

Als er nun seine Wohnung betrat, wurde er vom Läuten des Telefons aus seinen Gedanken gerissen. Er nahm das Gespräch nicht an, denn er wusste, wer anrief. Das Krankenhaus würde sich unter seiner privaten Handynummer melden – die Doria Venucci nicht hatte.

Ihm wurde klar, dass er sich von Doria trennen musste, wenn seine Ehe noch eine Chance haben sollte. Doch der Anstand forderte, dass er ihr persönlich gegenübertrat, um ihr zu sagen, dass ihre Beziehung beendet war.

Mit großem Widerstand von ihrer Seite hatte er nicht zu rechnen. Eine heimliche Liebesaffäre war eine Sache – ein öffentlicher Skandal, der ihre eigene Ehe gefährdete, war jedoch etwas ganz anderes. Lorenzo lächelte traurig.

Er schlüpfte aus seinen Kleidern und ging durch sein riesiges Schlafzimmer ins angrenzende Bad. Einen Moment lang verspürte er Bedauern, als er an diesen üppigen, bronzefarbenen, unersättlichen Körper dachte, den er erst vor wenigen Stunden zum letzten Mal neben sich im Bett gehabt hatte und wohl nie wieder genießen würde.

Doch inzwischen hatte sich alles geändert. Ihm wurde bewusst, dass es falsch gewesen war, eine Affäre mit Doria zu beginnen. Es gab keine Entschuldigung für sein Verhalten – außer vielleicht Marisas unerbittlichen Anrufbeantworter, der ihm bei jedem Versuch, sie in London zu sprechen, mit unpersönlicher Stimme mitgeteilt hatte, Marisa sei nicht erreichbar. Sie schien fest entschlossen zu sein, ihm nicht die geringste Chance zu geben, seine Fehler wiedergutzumachen.

Dann ist es eben nicht zu ändern, hatte er sich verärgert gesagt. Er war es leid gewesen, wie im Zölibat zu leben, nur weil sie ihn verlassen hatte. Sie hatte ihn nicht gewollt – also hatte er sich eine andere Frau gesucht.

Und die Gelegenheit hatte nicht lange auf sich warten lassen.

Auf einer Party hatte er Doria wiedergetroffen und sie zum Lunch am nächsten Tag eingeladen. Dem gemeinsamen Essen waren sehr schnell einige äußerst hemmungslose Treffen in der Suite eines diskreten und ausgesprochen teuren Hotels gefolgt. Und selbst wenn er sich nur aus Trotz auf ein erneutes Aufflackern der Affäre mit Contessa Venucci eingelassen hatte, so hatte ihr offensichtliches Verlangen nach ihm seinem verletzten männlichen Stolz mehr als gutgetan.

Lorenzo trat in die geräumige Duschkabine, drehte den Wasserstrahl voll auf und ließ das erfrischende Nass über seinen erschöpften Körper rinnen. Fast hoffte er, dass das Wasser seine verwirrenden und widerstreitenden Gefühle einfach abwaschen könnte.

In letzter Zeit ließ sich nicht von der Hand weisen, wie angespannt das Verhältnis zu seinem Vater war. Er hatte es immer darauf geschoben, Guillermo nicht verzeihen zu können, dass dieser so kurz nach dem Tod der Mutter eine Beziehung mit Ottavia Alesconi eingegangen war.

Doch hatte er tatsächlich das Recht, seinem Vater den Wunsch nach ein bisschen Glück zu verwehren? Ottavia Alesconi war eine charmante und kultivierte Dame, eine kinderlose Witwe. Sie leitete eine Werbeagentur, die sie mit ihrem verstorbenen Mann gegründet hatte und nun erfolgreich allein weiterführte. Sie liebte Guillermo, aber sie hatte nicht vor, ihn zu heiraten.

Lorenzo seufzte. Sein Vater war immer ein lebenslustiger, kraftvoller Mann gewesen, der vor Gesundheit nur so gestrotzt hatte. Der Herzanfall in der vergangenen Nacht war sicherlich auch für Ottavia ein Schock, dachte Lorenzo düster. Er musste sie unbedingt anrufen und sich für ihre geistesgegenwärtige Hilfe bedanken. Vermutlich hatte sie seinem Vater das Leben gerettet. Wenn er mit ihr sprach, wollte er ihr auch sagen, dass seine Abneigung gegen sie und die Beziehung zu seinem Vater längst verflogen war.

Schließlich konnte gerade er es sich wohl kaum leisten, sich kritisch über das Privatleben anderer zu äußern.

Vielleicht herrschten diese Unstimmigkeiten zwischen seinem Vater und ihm aber auch, weil er noch immer das Gefühl hatte, von Guillermo in eine zum Scheitern verurteilte Ehe gedrängt worden zu sein.

Aber ich kann nicht für den Rest meines Lebens nachtragend sein, sagte er sich entschlossen, als er aus der Dusche trat und sich abtrocknete. Die Vergangenheit musste endlich ruhen. Die Herzattacke seines Vaters war ein Warnschuss gewesen – in vielerlei Hinsicht. Es war höchste Zeit, von seinem Junggesellendasein Abschied zu nehmen und endlich seinen Pflichten als Ehemann und irgendwann auch als Vater nachzukommen.

Falls ich meine Frau überzeugen kann, mit mir zusammen einen neuen Anfang zu machen, fügte er in Gedanken hinzu und fuhr sich mit den Fingern durchs feuchte Haar. Bisher habe ich damit noch keinen Erfolg gehabt, musste er zerknirscht zugeben.

Ihm wurde bewusst, dass die Schwierigkeiten begonnen hatten, als er zum ersten Mal nach London geflogen war, um Marisa im Haus ihrer Cousine zu besuchen.

Die Erinnerung war so frisch, als wäre es erst gestern gewesen.

Sein Vater hatte zu Marisas neunzehntem Geburtstag ein Fest in der Toskana geplant, und Lorenzo hatte die Einzelheiten mit ihr besprechen wollen …

Julia Gratton empfing ihn zunächst allein. Mit ihren eiskalten Augen musterte sie ihn von oben bis unten.

„Also lassen Sie sich endlich dazu herab, um Marisa zu werben, Signore.“ Sie lachte freudlos auf. „Ich hatte es kaum mehr für möglich gehalten. – Marisa zieht sich gerade um, ich habe sie hinaufgeschickt. Sie wird gleich zurück sein. Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit einen Kaffee anbieten?“

Er war froh, dass sie ihm verraten hatte, was in den großen, hauchdünnen Porzellantassen serviert wurde, denn die fast durchsichtige Brühe, die zu trinken er sich zwingen musste, schmeckte nach nichts.

Als sich endlich die Tür öffnete, war er froh, die Tasse abstellen zu können. Mit einem höflichen Lächeln erhob er sich – und hielt abrupt inne, als er Marisa erblickte.

Er bemerkte die Missbilligung, die wie ein Schatten über Julia Grattons schmales Gesicht huschte. Offenbar hatte Marisa sich nicht umgezogen. Ihm aber gefiel sie so, wie sie vor ihm stand.

Noch immer war sie schüchtern. Statt ihn anzusehen, hielt sie den Blick zu Boden gesenkt. Lange Wimpern lagen auf ihren zarten Wangen. Sie schien wie früher, und doch hatte sich etwas verändert. Sie war … einfach wundervoll. Er, der unzählige Frauen gehabt hatte, genoss ihren Anblick. Ihre Schlaksigkeit hatte sich in schmale Grazie verwandelt, ihre Gesichtszüge waren weicher geworden und die Blässe verlieh ihr einen Hauch von Unberührtheit.

Unter dem dünnen Stoff ihres T-Shirts zeichneten sich kleine, wohlgeformte Brüste ab. Er betrachtete die Rundungen ihrer Hüften und die schmale Taille. Und obwohl ihre endlos langen Beine – Santa Madonna! – in engen Jeans steckten, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie es sich anfühlen würde, wenn sie sie im leidenschaftlichen Liebesspiel um seinen Körper schlang.

Hastig rief er sich zur Ordnung, trat einen Schritt vor und lächelte sie freundlich an. „Buon giorno, Maria Lisa.“ Absichtlich benutzte er die Version ihres Namens, mit der er sie als Kind geneckt hatte. „Come stai?

Ihre Blicke trafen sich, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, in diesen grüngrauen Augen mit den langen Wimpern Zorn aufblitzen zu sehen. Doch im nächsten Moment erwiderte sie seinen Gruß ruhig und höflich und reichte ihm die Hand. Ich muss mich getäuscht haben, beruhigte er sich.

Falsch – ich habe es einfach nicht wahrhaben wollen, sagte er sich rückblickend voller Bitterkeit. Schließlich hatte er geglaubt, dass es für dieses Mädchen eine Ehre sein musste, zu seiner Braut erwählt worden zu sein – wenn er keine Einwände hatte, sie zu heiraten, dann hatte sie erst recht keine haben können.

Regungslos hatte sie die Einladung zur Geburtstagsparty angenommen und zugestimmt, das Fest gemeinsam mit ihm zu planen.

Natürlich hatte sie gewusst, dass dieser Grund seines Besuchs nur vorgeschoben war und er in Wirklichkeit seine künftige Braut in Augenschein nehmen wollte. Doch sie hatte sich nicht anmerken lassen, ob sie sich darüber freute oder nicht.

Das hätte mir zu denken geben müssen, sagte er sich im Nachhinein. Aber er hatte ihren Mangel an Emotionen darauf geschoben, dass sie angesichts der bevorstehenden Verlobung bestimmt nervös und angespannt war. Lorenzo schüttelte den Kopf und hing wieder seinen Erinnerungen nach …

In der Vergangenheit war es ihm bei Frauen nicht wichtig gewesen, ob sie unerfahren waren. Im Gegenteil. Doch für die Frau, die eines Tages den Erben der Santangelis zur Welt bringen sollte, war Unberührtheit ein entscheidendes Merkmal. Deshalb hatte er sich vorgenommen, im Vorfeld mit Marisa darüber zu sprechen, wie er sich die gemeinsamen Tage vorstellte – und auch die Nächte.

Also bot er ihr an, die Flitterwochen zu nutzen, um sich wieder besser kennenzulernen und sich zunächst als Freunde zu begegnen. Er versprach ihr, geduldig zu warten, bis sie bereit für ihn war.

Ohne etwas zu erwidern und halb von ihm abgewandt hörte sie ihm zu. Dennoch bemerkte er, dass eine feine Röte ihr Gesicht überzog, als er sprach.

Jedes seiner Worte war aufrichtig gemeint. Und gerade deshalb hoffte er auf eine Reaktion von Marisa – ein winziges Zeichen, das ihn ermutigt hätte, sie in die Arme zu schließen und sanft zu küssen.

Doch sie zeigte keinerlei Gefühl – weder damals noch zu einem späteren Zeitpunkt.

Nicht ein einziges Mal hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie sich nach einer Berührung, nach einer kleinen Zärtlichkeit sehnte.

Mit dem Angebot, dass sie den Zeitpunkt der ersten gemeinsamen Nacht bestimmen kann, bin ich in eine Falle getappt, die ich selbst aufgestellt habe, dachte Lorenzo verärgert.

Als dann endlich der Tag der Hochzeit gekommen war, hatte er sich angesichts ihrer Unnahbarkeit mittlerweile so unsicher wie ein Schuljunge gefühlt. Er hatte nicht gewusst, wie er sich ihr nähern sollte, und das war etwas gewesen, das er so nicht gekannt hatte.

Autor

Sara Craven

Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis.

In ihren Romanen entführt sie...

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