Rache ist süß, Liebe ist süßer

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Rache ist süß: Als Mike wegen neunzehn unbezahlter Strafzettel in ihrem Gerichtssaal erscheint, fackelt Lilly nicht lange – Gefängnis! Sie hat ihm nie verziehen, dass er fast ihre juristische Karriere zerstört hätte. Aber sie hat auch nicht vergessen, wie heiß sie ineinander verliebt waren ...


  • Erscheinungstag 08.04.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522267
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Oh nein“, stöhnte Lilly lauter, als sie beabsichtigt hatte. Er antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Oh ja! Und ich verlange die Verlegung des Verhandlungsortes, Euer Ehren.“

„Eine Verlegung, Mr. Collier? Sie fordern allen Ernstes eine Verlegung?“ Sie kämpfte um die letzten Reste ihrer richterlichen Würde. „Dies ist ein Verkehrsgericht, Sir. Wir machen so etwas nicht.“

„Habe ich nicht das Recht, vor einem unparteiischen Gericht zu stehen?“

„Wollen Sie damit andeuten, Sir, dass mein Gericht nicht unparteiisch ist?“

Mike Collier trat von dem Holzgeländer zurück, das die Spuren von fünfzig Jahren aufwies. Aber er trat nicht über die gelbe Linie auf dem Fußboden – ein Klebeband, das die ehrenwerte Richterin Lilly Malloy von den Menschen im Gerichtssaal trennte. Über ihrem Kopf hing ein großes Schild, auf dem stand: Wenn Sie die gelbe Linie übertreten, riskieren Sie Geldstrafe oder Haft.

„Ich will damit andeuten, Euer Ehren, dass ich unter den gegebenen Umständen nicht glaube, dass Sie die richtige Richterin für mich sind.“

„Mr. Collier, in Ihrem Fall handelt es sich schlicht und ergreifend um neunzehn Verwarnungen wegen Falschparkens, die Sie nicht bezahlt haben. Meine unparteiische Entscheidung sieht vor, dass Sie fünfzig Dollar pro Strafzettel zahlen und außerdem noch zweihundert Dollar für die Verfahrenskosten. Ich kann da kein Problem erkennen, zumal Sie Ihre Schuld ja schon eingestanden haben.“ Sie schaute ihn finster an. „Sie haben doch Ihre Schuld zugegeben, oder etwa nicht, Mr. Collier?“

„Sie behaupten, dass es meine Schuld ist, dass der Parkplatz, wo ich seit Jahren legal parke, über Nacht mit einem Verbotschild versehen wurde?“, erwiderte Mike verärgert. „Außerdem glaube ich nicht, dass Sie Ihre persönlichen Gefühle weit genug außer Acht lassen können, um sich wirklich meine Sicht der Dinge anzuhören.“

„Ihre Sicht“, murmelte Lilly kopfschüttelnd. Sie kannte seine Sichtweisen – sie hatte bereits zweimal unter seinen Sichtweisen leiden müssen. „Nun, ich habe auch eine Sichtweise, Mr. Collier. Sie glauben, dass ich keine unvoreingenommene Entscheidung fällen kann. Dass ich mir erlauben würde, meine persönlichen Gefühle über das Gesetz zu stellen.“ Sie lächelte ihn sarkastisch an, über ihren alten, grauen Metallschreibtisch hinweg, der sich tief in den uralten Linoleumboden eingedrückt hatte. Im Gegensatz zu den Richtern oben, die an handgeschnitzten Schreibtischen aus Mahagoni thronten – so wie es sich für Richter gehörte –, saß Lilly auf gleicher Höhe mit den Angeklagten. Ihr Tisch war offenkundig irgendwo anders ausrangiert worden, was gut zu ihrem ausrangierten Gerichtshof in einer feuchten, dunklen Ecke des Rathauskellers passte. „Lassen Sie mich meiner Sichtweise noch etwas hinzufügen. Ihre erste Beleidigung des Gerichts wird nicht geahndet, das ist ein Geschenk an Sie.“ Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber die Nächste wird Sie etwas kosten, ich denke da an einhundert Dollar pro Beleidigung. Das ist übrigens ganz legal. Klingt fair, nicht wahr?“ Sie blickte zu ihrer Protokollantin Tisha Freeman, eine junge Frau Anfang zwanzig, die ihre Zeit im Gerichtssaal mehr mit Flirten verbrachte, als ihre Aufmerksamkeit aufs Verfahren zu richten. Tisha nickte zustimmend, auch wenn sie nicht wusste, worum es ging. Dann lächelte sie den Motorradtypen mit dem ausgefransten T-Shirt im Zuschauerraum an, der seine Muskeln und Tattoos für sie spielen ließ.

Gib mir Kraft, dachte Lilly und schaute Mike wieder an. „Und wie ist nun Ihre Sichtweise, Mr. Collier? Abgesehen von der Tatsache, dass Sie zugegeben haben, neunzehn Mal in den vergangenen beiden Monaten im Parkverbot gestanden zu haben. Was gibt es anderes zu sagen, als ‚Ich bekenne mich schuldig, Euer Ehren, und zahle.‘“.

„Habe ich hier überhaupt das Recht, mich frei zu äußern?“ Mike Collier sah sich um und schüttelte empört den Kopf.

„Äußern Sie sich unter allen Umständen, Mr. Collier. Ich möchte auf keinen Fall, dass Sie meinen Gerichtssaal verlassen, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, ihre Sicht der Dinge darzulegen, bevor ich mein Urteil fälle und Ihnen hundert Dollar für diese kleine Beleidigung auferlege.“ Lilly senkte den Blick und tat so, als betrachte sie die Akte mit den neunzehn Strafzetteln. Sie kannte die Unterlagen, aber sie wollte ihre Wut nicht zeigen und ihn nicht anschauen. Sie wusste, wie er aussah – kannte jedes Detail seines Körpers, bis hin zu den auf seinen Hintern tätowierten Lippen. Rechte Seite, Mitte! Eine Eskapade unter Alkoholeinfluss am College. Er war auf einer Party ohnmächtig geworden, und seine Kumpel hatten ihn zum nächsten Tattoo-Geschäft getragen. Und dann: Voilà! Große rote Lippen, halb so groß wie ihre Faust. Natürlich konnte sie diesen Eyecatcher minutiös vor ihrem inneren Auge auferstehen lassen – wie jedes weitere Detail an Collier. Und wenn sie eine Vertretung hätte finden können, hätte sie heute liebend gern den Richterstab weitergereicht.

Sie stand dem Verkehrsgericht vorübergehend vor. Dieses vorübergehend war in Wirklichkeit jedoch permanent. Sie hatte nur noch nicht lange genug in Whittier gelebt, um den Job auf Dauer zugesprochen zu bekommen. Aber in einem Jahr würde sie die reguläre Königin des Verkehrsgerichts werden, was sie auch wollte. Niemand mochte diesen Job, niemand hat Lust, ihn zu machen, nur selten verirrten sich Menschen in diese Unterwelt der Jurisprudenz, auch wenn sie der Stadt viel Geld einbrachte.

Geschwindigkeitsüberschreitungen, ordnungswidriges Parken … alle hatten eine Ausrede, warum sie so gehandelt hatten.

„Ich habe das Schild nicht gesehen, Euer Ehren.“

„Ich musste auf die Toilette, Euer Ehren.“

„Dreißig? Ich dachte, es war achtzig, Euer Ehren.“

„Ich habe mein Auto nur zwei Minuten stehen gelassen, Euer Ehren.“

„Ich habe nicht so weit auf dem Bürgersteig geparkt, Euer Ehren.“

Deshalb hatte Lilly den Job bekommen. Niemand wollte sich diese immer gleichen Ausreden anhören. Niedriger Status, wenig Ansehen. Und wahrhaftig der niedrigste Raum im ganzen Gebäude. Aber es war immerhin ihr Status und ihr Ansehen.

Als sie herausgefunden hatte, dass der Mike Collier auf der Verfahrenliste wirklich ihr Mike Collier war – der einzige Mann auf der ganzen Welt, den sie niemals hatte wiedersehen wollen –, hatte sie sich dafür entschieden, es durchzustehen, anstatt sich um einen anderen Richter zu bemühen, den es sowieso nicht gab. Das bedeutete, dass es an ihr lag, Mike zu überführen, wenn er schuldig war – und sie hoffte, dass er es war, oh, wie sie das hoffte –, und ihn dann zu bestrafen. Das war der angenehme Part! Und diesmal stand das Gesetz auf ihrer Seite.

„Wie schon gesagt, die Stadt hat ein Parkverbotsschild direkt vor der Tür meines Büros aufgestellt, Euer Ehren. Und der nächste Parkplatz ist beinahe einen Block weit entfernt – ein öffentlicher Parkplatz, für den man zahlen muss. Als Journalist muss ich oft schnell ins Büro, um meine Storys zu schreiben. So weit weg zu parken ist verdammt unbequem für mich. Ich verschwende viel Zeit. Besonders bei schlechtem Wetter, Regen, Schnee … Ich werde auf keinen Fall zu Fuß gehen. Und dann noch sechzig Dollar für eine Parkerlaubnis, das ist lächerlich, insbesondere da ich bis vor zwei Monaten vor meinem Haus umsonst parken konnte. Dann eröffnete die Cousine des Bürgermeisters einen Blumenladen nebenan. Sie beklagte sich offenbar bei den richtigen Menschen darüber, dass mein Parkplatz die Sicht auf ihr Geschäft versperrt. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine Verschwörung, da ich erst vor zwei Wochen einen Kommentar gegen den Bürgermeister geschrieben habe. Ich bin mir sicher, dass das Parkverbot eine Rache dafür ist, dass meine Zeitung seine Kandidatur bei der nächsten Wahl nicht unterstützt.“ Mike atmete tief durch und grinste Lilly an. „Hiermit schließe ich meine Beweisführung, Euer Ehren.“ Er blinzelte.

Blinzelte er wirklich? Lilly war sich nicht sicher. Sie schaute zur Decke auf die gelben Flecken und betete. Lass es nicht wieder losgehen. Aber es war schon passiert. Kleine Stimmen, kleine Gesten, noch mehr kleine Stimmen – alles Dinge, die passierten, wenn Mike in ihrer Nähe war.

Er war so cool, so berechnend, so relaxt. Er bearbeitete sie. Und er machte das brillant! Wie er die Hände in die Hosentaschen steckte, als wenn das hier ein lässiges Treffen von Freunden wäre und kein Gerichtssaal. Ihr Gerichtssaal! Er lächelte, grinste, blinzelte … oder auch nicht. Es irritierte sie. Er irritierte sie, und das einzige Mittel, das ihr dagegen einfiel, war ein Bild von Mike, wie er mit einer Spitzhacke im Steinbruch arbeitete. Das Bild gefiel ihr. Plötzlich trug er kein Hemd mehr und glänzte vor Schweiß – verdammt, als wenn sie diese Ablenkung gebrauchen konnte.

Mike räusperte sich. „Ich habe meine Beweisführung abgeschlossen. Euer Ehren.“

Seine Stimme holte sie aus ihren Träumen zurück in den Gerichtssaal. „Eine Verschwörung, Mr. Collier? Eine Parkkonspiration? Sind Sie sicher, dass Sie diesen speziellen Punkt ins Protokoll übernommen haben wollen? Ich weiß, dass Sie Ihre Karriere damit verbringen, so genannte Konspirationen zu enthüllen, aber das ist selbst für Sie ein wenig melodramatisch, finden Sie nicht?“

„Wegen des Protokolls, Euer Ehren, sollte ich keine Unfairness oder ungerechte Konsequenzen zu erleiden haben. Es liegt doch alles nur daran, dass die Cousine des Bürgermeisters nicht fähig ist, Kunden zu gewinnen. Ich sollte auch nicht gezwungen sein, eine Strafe zu zahlen, weil ich einen Parkplatz benutze, der rechtmäßiger Weise mir gehört.“

„Dann schlage ich Ihnen vor, dies der Stadt vorzutragen, Mr. Collier. Mein Job ist es, über den Fall von neunzehn unbezahlten Strafzetteln zu urteilen. Und da Sie selbst zugegeben haben, dass Sie diese Vergehen begangen haben und somit schuldig sind …“

„Vergehen?“ Mike vergaß die gelbe Linie und ging auf ihren Tisch zu. Ein Schritt, zwei Schritte. „Lilly, hör auf. Das stimmt einfach nicht.“ Drei Schritte, vier. Das war quälend. „Lass diese paar Strafzettel …“ Fünf Schritte, sechs Schritte. Quälend oder verführerisch?

Lilly schlug mit dem Hammer so hart auf den Holzblock, dass es den alten Mann aufweckte, der in einer Ecke des Saals schlief. Er sprang auf und stotterte: „Ich habe es nicht getan!“ Dann, als er sah, dass er gar nicht an der Reihe war, sank er zurück in seinen Stuhl, schloss die Augen und versuchte wieder zu schlafen.

„Zurück, Mr. Collier“, befahl Lilly und deutete auf die Linie. Sie bemerkte, dass er einen Sekundenbruchteil zögerte, was in ihr den Wunsch erweckte, ihn mit den Absätzen oder mit einer Gefängnisstrafe zu traktieren. „Und weitere zweihundert Dollar für die Missachtung des Gerichts, wo wir schon dabei sind“, verkündete sie.

Mike rührte sich nicht. Er präsentierte hier nichts als Vorwände, wie sie es schon oft erlebt hatte. „Fair ist fair, Euer Ehren. Und was die Stadt mit mir macht, ist nicht fair. Ich möchte keine Vergünstigungen, ich will nur, was mir gehört – meinen Parkplatz.“ Dann drehte er sich um und sprach zur Menge: „Wie würde es euch gefallen, wenn ihr zur Arbeit oder nach Hause kommt und dort über Nacht ein Parkverbotsschild aufgestellt wurde? So ist es mir ergangen, Euer Ehren. Ich arbeite und lebe seit Jahren dort. Ich darf plötzlich nur nicht mehr dort parken.“

Wie auf Stichwort murmelte die Menge ihre Zustimmung. Er bat die Öffentlichkeit um Unterstützung. Das konnte er immer gut, erinnerte sich Lilly. Dann wandte er sich wieder an sie: „Durch die halbe Stadt zu laufen, um zu meinem Wagen zu kommen, ist absurd.“ Er grinste cool und berechnend. Viele Zuschauer nickten zustimmend. „Es geht hier ums Prinzip.“

Will er mich ködern, fragte sie sich. Wenn jemand wusste, wie man sie ködern konnte, dann Mike Collier. Vielleicht glaubte er ja auch, dass sie den Fall niederlegen würde, weil sie ein paar Mal miteinander geschlafen hatten. Wenn er das annahm, dann hatte er sich gewaltig geirrt. „Zurück, Mr. Collier“, wiederholte sie und bemühte sich, professionell zu klingen.

„Sie wissen, dass das nicht fair ist, Euer Ehren“, fuhr Mike unbeeindruckt fort. „Ich wette, Sie wären ziemlich ärgerlich, wenn man Ihnen Ihren Parkplatz wegnähme und Sie zur Arbeit laufen müssten.“

Tatsächlich musste sie einen Block weit laufen, da es auf dem Rathausgelände keinen Parkplatz mehr für sie gab. Die Pförtner hatten Parkplätze, die Angestellten der Cafeteria auch, nur die Richterin des Verkehrsgerichtes nicht. Sie war gezwungen, die sechzig Dollar im Monat zu zahlen, die Mike nicht zahlen wollte, und eben auf dem öffentlichen Parkplatz zu parken, über den Mike sich beklagte. „Zurück!“, rief sie aus und ließ ihren Hammer niedersausen. „Das ist meine letzte Warnung, Sir. Treten Sie zurück, oder Sie werden die Konsequenzen tragen müssen.“

Mike hörte auf zu sprechen, blieb jedoch stehen. Er verschränkte resolut die Arme vor der Brust und lächelte sie an. Sie kannte dieses Lächeln! Oh, wie sie dieses Lächeln kannte! Es war eine Mischung aus Dickköpfigkeit und Herausforderung. Sie hatte dieses Lächeln mehr als einmal gesehen – und war ihm immer erlegen. Aber das war lange her, und heute war heute. Und heute fühlte sich plötzlich alles so gut an. Es könnte sogar der schönste Tag ihres Lebens werden, in Sachen Mike Collier. Außerhalb des Schlafzimmers oder der Garage oder …

Plötzlich lächelte Lilly. „Ihre Rechnung beläuft sich auf 1350 Dollar, Mr. Collier. Zahlbar in bar oder per Scheck an den Gerichtsdiener auf Ihrem Weg hinaus aus diesem Saal.“

Mike brachte seine blitzenden blauen Augen auf die gleiche Höhe mit Lillys jadegrünen Augen und schüttelte den Kopf. „Wie ich schon zuvor gesagt habe, geht es hier ums Prinzip, Euer Ehren. Mir wurde unrecht getan. Außerdem bin ich pleite und könnte nicht zahlen, selbst wenn ich wollte, was ich natürlich nicht will.“ Er drehte das Innenfutter seiner Hosentaschen nach außen. „Sehen Sie?“

Du glaubst, dass das hier ein Spiel ist. Nun, Mike, Lilly ist nicht mehr so, wie du sie kanntest. „Ich bin nur die Richterin dieses Gerichts, Mr. Collier. Und ich habe geschworen, dafür zu sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden. Ich befinde, dass Sie schuldig sind. Sie haben gegen die Verkehrsordnung verstoßen und neunzehn Mal falsch geparkt. Auch die Tatsache, dass Sie pleite sind, ändert nichts an dieser Tatsache. Sie haben falsch geparkt, also müssen Sie zahlen. So steht es im Gesetz, und so lautet mein Urteil. Jetzt treten Sie bitte zurück, oder der Gerichtsdiener wird Ihnen dabei behilflich sein. Bevor Sie gehen, regeln Sie bitte die Zahlungsmodalitäten. Wir akzeptieren übrigens wöchentliche Ratenzahlungen, weil …“, sie warf ihm ein triumphierendes Lächeln zu, „… wir uns bemühen, es allen recht zu machen.“

Einen Moment lang wirkte Mike niedergeschlagen – beinahe jedenfalls. Das war ihr größter Sieg. Alles in allem konnte Lilly zufrieden darüber sein, dass sie so viel Geduld mit ihm gehabt hatte. Gott wusste, dass er es nicht verdiente, aber sie nahm sich vor, sich nicht anmerken zu lassen, wie gern sie ihn angebrüllt hätte. Genau diese Reaktion wollte er ja provozieren. Aber jetzt hatte sie ihn, wenn auch nur einen Sekundenbruchteil, zusammenzucken sehen. Es stand 1:0 für Lilly.

Mike hat sich nicht verändert, dachte sie und wartete darauf, dass er zurücktrat, was er dann auch gemächlich tat. Er hatte sich weder äußerlich noch innerlich verändert. Er war groß, kräftig, hatte kragenlanges, sandbraunes Haar … Ihr fiel das Tattoo auf, und sie schüttelte den Kopf, um das Bild zu verscheuchen. Wie lange war das her? Vor einem Jahr hatten sie sich zuletzt gesehen. Vor fünf Jahren das erste Mal. Schau ihn dir an. Steht da, als wenn das Gericht ihm gehörte. Sie unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer und stählte ihren Blick. Sie brauchte keine weitere Runde mit Mike Collier. Das erste Mal hätte reichen sollen, um ihr klarzumachen, dass sie sich am besten von ihm fernhielt. Das zweite Mal heute hatte ihr absolut gereicht. Und je schneller Mike ging, desto besser.

Lilly betrachtete ihn stirnrunzelnd über den Rand ihrer Brille hinweg. „Hinaus mit Ihnen, Mr. Collier. Das ist die letzte Warnung. Sie vergeuden die Zeit des Gerichts.“

„Wie ich bereits gesagt habe, ich werde nicht zahlen“, erwiderte er gleichgültig. „Ich erhebe Einspruch gegen Ihr Urteil.“

„Einspruch? Nachdem Sie Ihre Schuld zugegeben haben“, entgegnete sie und neigte den Kopf, um ihn noch strenger anschauen zu können. Sie brauchte die Brille nicht, nicht einmal zum Lesen. Aber sie mochte die Wirkung. Schwarze Robe, schwarze Brille, schwarzer Hammer – und rotes Haar. Das war ihr Problem. Rotes, wildes Haar, unbezähmbar, selbst wenn sie es streng zusammengenommen im Nacken trug – und dann diese Sommersprossen auf der Nase. Sie passten definitiv nicht zu einer Richterin, deshalb tat sie, was sie konnte, um strenger auszusehen.

„Lassen Sie uns das klären, Euer Ehren. Sie verweigern mir meine Rechte?“ Mike hob den Kopf. „Wollen Sie das tun? Mir meine unveräußerlichen Rechte absprechen?“

„Unveräußerliche Rechte, Mr. Collier, haben nichts mit Strafzetteln zu tun.“ Lilly nickte dem Gerichtsdiener Pete Walker zu, einem kleinen älteren Mann, der kurz vor der Pensionierung stand. Pete legte die Hand sofort ans Pistolenhalfter und öffnete es. Lilly warf Mike einen scharfen Blick zu. „Es warten auch noch andere Menschen darauf, gehört zu werden. Außerdem gehen Sie mir auf die Nerven. Ich gebe Ihnen also dreißig Sekunden Zeit, um zu verschwinden.“ Sie schaute auf die Armbanduhr. „Was, wie ich glaube, unter diesen Umständen sehr großzügig ist.“ Mehr als du verdienst.

„Dreißig Sekunden, was passiert dann, Euer Ehren?“

Sie lächelte ihn an – mit einem geübten, geduldigen Lächeln, das nichts preisgab. Dann sah sie wieder auf die Uhr. „Zwanzig Sekunden.“

Mike starrte nur zurück.

„Zehn Sekunden, Mr. Collier.“

Er starrte sie weiter an.

„Fünf.“

Er rührte sich nicht.

„Pete …“, sagte Lilly und winkte ihn herbei.

Pete Walker zog die Handschellen aus dem Gürtel. In den neun Monaten, die er jetzt hier arbeitete, war es das erste Mal, dass er sie aus dem Gürtel zog. Dann ging er direkt zu Mike.

„Lilly, machst du Witze!“, rief Mike. Er war sichtlich überrascht. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“

„Es ist Freitag, Mr. Collier. Betrachten Sie sich bis Montagmorgen um neun Uhr als Gast des städtischen Gefängnisses. Dann werden wir unser Gespräch wieder aufnehmen. Vielleicht werden Sie die Angelegenheit bis dahin in einem anderen Licht sehen. Nicht, dass Sie eine Wahl haben. In diesem Gerichtssaal bestimme nämlich ich. Und was die Strafe anbetrifft … wir runden sie auf zweitausend Dollar auf.“

„Grundgütiger, ich glaube, du meinst es wirklich ernst?“, meinte Mike. „Du willst mich wirklich ins Gefängnis stecken? Wegen ein paar Strafzetteln?“

„Bitte drehen Sie sich um und legen Sie die Hände auf den Rücken, Mr. Collier“, instruierte ihn Pete. Seine Stimme überschlug sich beinahe. Schließlich war dies das erste Mal, dass er jemanden verhaftete. „Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, und wenn Sie sich keinen leisten können …“ Mike überragte den kleinen Pete mit seinen ein Meter neunzig um anderthalb Köpfe. Petes Hände zitterten, als er die Handschellen anlegen wollte. Sie fielen herunter. Eine Frau hob sie auf und gab sie zurück.

„Sie wissen, dass mir die Zeitung gehört, nicht wahr?“, fragte Mike. Er sah Lilly zornig an, während Pete ihm die Handschellen anlegte.

„Und ob ich das weiß“, erwiderte sie. „Und ich hoffe sehr, dass das keine Drohung sein soll. Wenn es nämlich eine wäre … Wenn Sie beabsichtigen, die Medien zu nutzen, um …“

„Eine Nachricht, Euer Ehren“, unterbrach sie Mike, in dessen Stimme endlich Ärger zu hören war. „Keine Drohung.“

Für ihn ist so etwas niemals eine Drohung, erinnerte sie sich. In ihrem letzten Jahr an der Law School war sie Klassenbeste gewesen, mit großartigen Aussichten für die Zukunft. Mike hatte zu dieser Zeit seinen Doktor machen wollen, an der Uni unterrichtet und die Campus-Zeitung herausgegeben. Und sie hatte den verhängnisvollen Fehler gemacht, eine Beziehung mit ihm einzugehen. Sie hatte ihn damals wirklich gemocht! Nach einer Woche großartigstem Sex hatte er einen Artikel über die Herausgabe von gekauften wissenschaftlichen Arbeiten unter falschem Namen geschrieben, eine Epidemie, die sich auf dem Campus breit machen würde. Und er hatte Namen genannt! Ihrer hatte ganz oben auf Mikes Liste gestanden!

Sie hatte Arbeiten gekauft, das stimmte. Aber sie hatte gerade an einer wissenschaftlichen Arbeit zu diesem Thema gesessen, und diese Arbeiten waren ihr Recherchematerial gewesen. Danach hatte der Superjournalist Mike Colliers sie aber nicht gefragt. Er hatte einfach in ihren Unterlagen herumgeschnüffelt. An dem Tag, an dem sie den unglaublichsten Sex miteinander gehabt hatten! Die Geschichte hatte Mike auf die Titelseiten vieler Zeitungen gebracht, und sie war rausgeschmissen worden.

Aber sie war ein Semester später wieder an der Law School aufgenommen worden – nach einer Reihe von Gesuchen und mitleiderregenden Bitten. Mike hatte immerhin eine Aussage zu ihren Gunsten gemacht und Gott sei Dank die näheren Umstände seiner Schnüffelei ausgespart. Er war nach dem Sex auf der Suche nach Keksen in die Küche gegangen, während sie noch glückselig im Bett gelegen hatte. Aber ihr Ruf war ruiniert gewesen, weshalb sie dann am unteren Ende der Beliebtheitsliste in ihrer Klasse gestanden hatte, anstatt ganz oben – wie vor ihrer Begegnung mit Mike. Es hatte Jahre gebraucht, um sich einen Ruf zu erwerben – und Minuten, um ihn zu zerstören. Lilly hatte bis zu ihrer Graduierung unter strengster Beobachtung gestanden. Das war kein gutes Ende ihrer Universitätszeit gewesen – trotz des Freispruchs. Und sie hatte es schwer gehabt, Arbeit zu finden. Alle Jobangebote, die man ihr vor Mikes Artikel gemacht hatte, waren zurückgezogen worden. Keine freie Wahl mehr. Stattdessen war sie gezwungen gewesen zu nehmen, was sie kriegen konnte. All das wegen Mike Colliers kleiner Après-Sex-Schnüffelei!

Lilly war sich wirklich nur zu sehr bewusst, was eine von Mikes kleinen Nachrichten anrichten konnte. Und sie wusste auch, wie er zu solchen Nachrichten kam. „Montagmorgen, Mr. Collier. Ein schönes Wochenende.“

Lilly ließ den Hammer niedersausen, Pete führte Mike aus dem Saal. An der Tür drehte sich Mike jedoch noch einmal um und sah sie kurz an. Lilly fuhr zusammen. Hatte er ihr wirklich noch einmal zugeblinzelt?

2. KAPITEL

Mike ließ Autoschlüssel und Armbanduhr in die Plastikbox mit der offiziellen Gefangenennummer fallen. „Mein Handy darf ich vermutlich auch nicht behalten?“

Juanita Lane, eine winzig kleine, humorlose Gefängnismatrone in den Sechzigern, blickte nicht einmal auf. „Keine persönlichen Sachen. Bitte geben Sie mir Ihre Schnürsenkel.“ Sie mochte ungefähr neunzig Pfund wiegen. Mit ihrem champagnerfarbenen Haar und der rosa Brille sah sie nicht gerade wie ein typischer Cop aus. Aber als sie nachdrücklich auf die Pistole an ihrer Hüfte klopfte und bellte: „Tun Sie es jetzt, bitte!“, wusste er, dass es ihr ernst war, und gehorchte. Dann ließ er sich widerstandslos die Handschellen anlegen und in den zwanzig Meter weiter gelegenen Raum führen, in dem er sich duschen sollte.

„Wann kann ich telefonieren?“, fragte er Cal Gekas, einen stämmigen Mann, der abgesehen vom Kopf überall kräftigen Haarwuchs zu haben schien.

„Sie sind der vom Verkehrsgericht, nicht wahr?“, meinte Cal. „Das ist etwas Neues. Strafzettel?“ Er grinste. „Und ich habe geglaubt, dass ich wirklich schon alles kenne.“

Mike nickte nur. „Cal, Dicker. Könntest du mir einen Gefallen tun und dich umdrehen, während ich mich ausziehe?“

Cal schüttelte den Kopf. „Ich muss zusehen. Anordnung von oben.“

„Ich hoffe, du bist verheiratet, Cal.“

„Zwanzig Jahre, drei Kinder.“ Er grinste. „Wenn es dir unangenehm ist, kannst du dich umdrehen, damit du nicht siehst, dass ich dich ansehe.“

„Gute Idee.“ Mike schüttelte den Kopf und zog die Hose aus. „Kann ich die Shorts anbehalten?“

„Nach dem Duschen kannst du sie wieder anziehen.“

„Da gibt es wirklich keine Ausnahme? Ich habe kein Geschäft ausgeraubt oder eine alte Dame überfallen.“

Autor

Dianne Drake
Diane, eine relative neue Erscheinung im Liebesromanbetrieb, ist am meisten für ihre Sachliteratur unter dem Namen JJ Despain bekannt. Sie hat mehr als sieben Sachbücher geschrieben, und ihre Magazin Artikel erschienen in zahlreichen Zeitschriften. Zusätzlich zu ihrer Schreibtätigkeit, unterrichtet Dianne jedes Jahr in dutzenden von Schreibkursen.
Dianne`s offizieller Bildungshintergrund besteht...
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