Romana Extra Band 24

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WEINGUT DER TRÄUME von WOOD, JOSS
"Ich weiß, wie Sie Ihr Weingut retten können! Sie müssen …" Weiter kommt die junge Marketingpraktikantin Jess nicht. Denn mit einem sinnlichen Kuss bringt ihr attraktiver Boss Luke Savage sie zum Schweigen - um sie gleich danach zu feuern! Aber man küsst sich immer zweimal …

MELODIEN DER SEHNSUCHT AM LAGO MAGGIORE von ROBERTS, PENNY
Am romantischen Lago Maggiore wartet eine schwere Aufgabe auf Suzanna: Sie soll den Pianisten Fabrizio Cantaro dazu bringen, wieder zu komponieren. Seit dem Tod seiner Frau kann er das nicht mehr. Suzanna weiß nur eine Lösung: Die Liebe muss in sein Leben zurückkehren …

KÜSSE - SO HEIß WIE SPANIENS SONNE von HOOD-STEWART, FIONA
Was für eine bezaubernde Schönheit! denkt Juan Felipe unwillkürlich, als er der zarten Georgiana Cavendish in Madrid begegnet. Mit jedem Tag wird sein Verlangen nach ihr unbezähmbarer. Bis er ihm nachgibt - obwohl er mit einer anderen verlobt ist!

LIEBESSTUNDEN MIT DEM MILLIONÄR von HEWITT, KATE
Einen prickelnden Kuss im Plaza Hotel. Sinnliche Liebesstunden in der Suite. Und am nächsten Morgen: Goodbye! Mehr erwartet Zoe nicht, als sie dem umwerfenden Aaron begegnet. Die eine Nacht in den Armen des Millionärs bleibt jedoch nicht ohne Folgen …


  • Erscheinungstag 23.12.2014
  • Bandnummer 0024
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740429
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Joss Wood, Penny Roberts, Fiona Hood-Stewart, Kate Hewitt

ROMANA EXTRA BAND 24

JOSS WOOD

Weingut der Träume

Der heiße Kuss in seinem Büro ist schon einige Jahre her. Aber jetzt trifft Jess ihren attraktiven Boss von damals wieder – und spürt sofort: Die Sache zwischen ihr und Luke ist noch längst nicht vorbei!

PENNY ROBERTS

Melodien der Sehnsucht am Lago Maggiore

Bezaubernde Melodien komponierte Fabrizio früher, bis ihm das Schicksal seine Familie nahm. Ohne die Liebe seiner Frau gibt es für ihn keine Musik mehr. Doch dann tritt die schöne Suzanna in sein Leben …

FIONA HOOD-STEWART

Küsse – so heiß wie Spaniens Sonne

Georgiana kann Juan Felipes zärtlichen Verführungskünsten nicht länger widerstehen! Die Liebesnacht, die sie mit dem feurigen Adligen verbringt, ist jedoch nicht nur wunderschön – sondern auch verboten …

KATE HEWITT

Liebesstunden mit dem Millionär

„Gib es mir zurück!“ Aaron ist wütend, aber Zoe ignoriert ihn. Kurz entschlossen versenkt sie das ewig klingelnde Handy des Millionärs im Ausschnitt ihres Partykleids! Bloß: Irgendwer muss es wieder herausfischen …

PROLOG

„Alles in allem finde ich die Marketingstrategie, die man Ihnen vorgelegt hat, einfallslos und idiotisch. Sie berücksichtigt in keinster Weise die Demografie, die Marktforschung und Ihre Konkurrenten. Außerdem ist sie schlecht recherchiert und einfach nur zusammengeschustert. Wenn Sie sie umsetzen, garantiere ich Ihnen, dass Sie binnen fünf Jahren die meisten Marktanteile verloren haben werden. Wenn nicht sogar Ihren Betrieb.“

Luke Savage blickte über seinen Schreibtisch hinweg die junge Frau mit den blonden Haaren und braunen Augen an, die auf der Kante ihres Stuhls saß. In ihrem Gesicht spiegelten sich jugendlicher Eifer sowie eine gesunde Portion Arroganz. Wie hieß sie noch gleich?

Er sah auf die Akte, die er eben hervorgeholt hatte. Jess Sherwood. Sie war zweiundzwanzig und machte gerade ihren MBA in Marketing. Offenbar war sie sehr begabt und intelligent, denn ihre Leistungen in der Schule und auf der Universität waren – gelinde gesagt – beeindruckend. Dazu war sie auch noch ausgesprochen hübsch. Und dessen war sie sich zweifellos bewusst.

Mit gelassener Miene beobachtete Luke, wie sie die langen Beine übereinanderschlug. Danach verschränkte sie die Hände locker überm Knie, und ihre Zeigefinger begannen, gegeneinanderzuklopfen. Sie hatte ein Rüschenkleid an, das eine Schulter entblößte und den Blick auf einen schmalen lilafarbenen BH-Träger freigab. Ein breiter Gürtel betonte die schlanke Taille. Das Outfit bedeckte ihre Schenkel nur zur Hälfte und war eindeutig zu leger und sexy, um darin zur Arbeit zu erscheinen.

Luke überraschte sonst nichts so schnell. Doch Jess’ Selbstgefälligkeit und Unverfrorenheit taten es. Um Erfahrungen zu sammeln, absolvierte sie in den Semesterferien ein Praktikum in der Marketingabteilung von St Sylve. In seiner Marketingabteilung, denn er hatte das Weingut, das seit Generationen von seiner Familie betrieben wurde, vor Kurzem geerbt.

Jess war einfach in sein Büro hereingeplatzt. Sie hatte ihm erklärt, sie sähe sich moralisch dazu verpflichtet, ihm zu sagen, dass er schlechte Entscheidungen treffe und der Marketingplan unzureichend sei.

Und jetzt besitzt sie sogar noch die Frechheit, den Untergang der Kellerei zu prophezeien, dachte er, als ihr Handy klingelte. Sie holte es aus der Handtasche und schaute aufs Display. Danach lächelte sie ihn charmant an.

„Sorry, ich muss drangehen.“

Natürlich, er war ja bloß ihr Boss und konnte warten. Luke fühlte sich gut zwanzig Jahre älter als sie, obwohl es tatsächlich nur sechs waren. Aber in puncto Erfahrung empfand er es vermutlich zu Recht. Denn seit dem Universitätsabschluss hatte er praktisch tagein, tagaus vierzehn bis sechzehn Stunden gearbeitet.

Wäre er in letzter Zeit nicht ständig so erschöpft, würde er jetzt aufstehen, ihr das Handy wegnehmen und ihr gehörig die Meinung sagen. Letzteres würde er in jedem Fall machen, sobald sie das Gespräch beendet hatte.

Binnen fünf Jahren werden Sie die meisten Marktanteile verloren haben, hallten ihre Worte in seinem Kopf wider, während er sie musterte. Verflixt, er verlor St Sylve … Nicht, dass es seine Schuld war oder sein Versagen, denn er versagte nicht. Es war ihm schließlich nie gestattet worden.

Er war eine Sportskanone gewesen und ein glänzender Schüler dazu. Weshalb er auch Stipendien erhalten hatte und später gute Jobangebote. Vor drei Jahren hatte er sein eigenes Unternehmen gegründet und war zudem einer der jüngsten Risikokapitalgeber in Südafrika. Einzig in Sachen Ehe war er gescheitert. Aber in ein paar Wochen würde er von seiner Frau, dem geldgierigen Biest, geschieden sein.

Und wenn ich diese kleine Hexe aus meinem Büro befördern kann, ohne sie zu erwürgen, bin ich ein Heiliger, dachte Luke, als Jess das Gespräch beendete. Sie steckte das Handy wieder in die Tasche, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und blickte ihn abwartend an.

Ja, sie war arrogant – und sexy. Gemächlich stand er auf. Seinen Zorn würde man ihm nicht ansehen. Dessen war er sich sicher. Das Zusammenleben mit seinem impulsiven Vater – seine Mutter war gestorben, als er drei Jahre alt gewesen war – hatte ihn gelehrt, dass offen gezeigte Gefühle gegen ihn verwandt werden konnten. Also hatte er früh begonnen, sie zu verbergen, und beherrschte es perfekt.

Er stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich vor, um Jess einzuschüchtern. Jetzt ließ er es auch zu, dass sie seinen Ärger bemerkte, und war ein wenig besänftigt, als ihre Augen immer größer wurden.

„Sie hochnäsige Göre“, sagte er ruhig und kühl, denn er wusste, wie wirksam harte Worte auf diese Art und Weise sein konnten. „Was fällt Ihnen ein, in mein Büro zu kommen und mir zu erklären, was ich zu tun und zu lassen habe? Für wen, zum Teufel, halten Sie sich?“, brüllte er plötzlich, und Jess zuckte zusammen. Dann hob sie zwar entschuldigend die Hände, aber er musste sich leider eingestehen, dass sie so gar keinen verängstigten Eindruck machte.

„Sie verstehen nicht …“

„Ich verstehe, dass Sie ein intelligentes junges Ding sind, dem immer erzählt worden ist, es sei fantastisch, klug und begabt. Und hübsch. Wie sollten Sie nach so viel Bewunderung auch annehmen, dass ich Ihre Weisheiten nicht hören will, die so mühelos aus Ihnen hervorsprudeln?“

Jess sprang auf. „Luke, ich …“

„Für Sie immer noch Mr Savage. Ich bin Ihr Boss, nicht Ihr Freund. Wenn Sie es zu etwas bringen wollen, sollten Sie schleunigst lernen, ein wenig bescheidener und respektvoller aufzutreten. Ich habe meinen Abschluss in Betriebswirtschaft schon und leite zudem seit Jahren ein erfolgreiches Unternehmen. Weshalb ich in diesem Business schon eine gewisse Routine und einen weitreichenden Erfahrungsschatz erlangt habe. Ganz im Gegensatz zu Ihnen.“

„Schreien Sie mich nicht an!“

Luke musterte sie eingehend. Der Junge in ihm fand, dass sie in ihrem Zorn umwerfend aussah. Und sie wirkte nicht eingeschüchtert. Weshalb seine innere Stimme ihrem Mut Anerkennung zollte. Aber nur ganz leise.

„Es ist nicht meine Schuld, dass Ihr Marketingplan schlecht ist. Ich weiß einfach, dass er so nicht funktionieren kann.“

„Aha. Sie besitzen also eine Kristallkugel. Können Sie mir sagen, ob ich mich bei meiner Scheidung bis aufs Hemd ausziehen muss oder ob der Ölpreis sinkt?“

„Natürlich werden Sie sich nackig machen müssen. Das geschieht nun einmal, wenn man eine Frau heiratet, die geldgierig ist. Und der Ölpreis wird übrigens immer weiter steigen, da an den Märkten eine zu große Unsicherheit herrscht.“

Hatte sie seinen Sarkasmus etwa nicht verstanden? „Für jemanden, der erst zwei Monate hier ist, scheinen Sie dank des Flurfunks ja schon gut über das Privatleben des Chefs informiert zu sein.“

Kess lächelte sie ihn an. „Vielen Dank.“

„Das war kein Kompliment.“

„Ich weiß.“

Ich bringe sie um, dachte Luke, als er um den Schreibtisch herumging und dann ihre schmalen Schultern umfasste. „Ich bin nicht sicher, ob ich Sie erwürgen oder ohrfeigen soll.“

Jess warf den Kopf in den Nacken. „Sie sind nicht der Typ Mann, der eine Frau schlägt. Sie sind nur verärgert, weil Ihnen klar ist, dass ich recht habe.“

„Verärgert? Ich bin auf dem besten Weg, fuchsteufelswild zu werden.“

„Warum? Ich sage bloß die Wahrheit.“

Ihre Frechheit machte ihn wütend. Aber noch wütender machte ihn, dass sie es schaffte, seinen Blutdruck in die Höhe zu treiben und ihn aufzuregen. „Sie sind dreist, eingebildet, selbstgefällig und eitel“, zischte er, während er sich zu ihr beugte.

Aus ihren braunen Augen funkelte sie ihn herausfordernd an. Aber genauso wenig wie er ein Versagen hinnahm, wich er auch nie vor einer Herausforderung zurück. Er bemerkte, dass sie das Kinn leicht anhob, und im nächsten Moment spürte er auch schon ihren warmen Atem auf seinen Lippen. Ihm war bewusst, dass er mit dem Feuer spielte, konnte sie jedoch nicht loslassen.

„Warum wollen Sie mich dann küssen?“

„Weil ich entweder das tue oder Sie übers Knie lege.“

„Aber Sie mögen mich nicht.“

„Grundgütiger, wie alt sind Sie? Anziehungskraft hat nichts mit Mögen zu tun.“

„Sollte es aber.“

„Sie sind naiv.“

„Mich zu küssen, wäre ein Fehler“, sagte Jess leise, während sie ihren Mund leicht öffnete.

„Zu spät.“

Schon zog er sie an sich und fasste ihr ins Haar, um ihren Kopf sanft in seine Richtung zu drehen, damit er sie besser küssen konnte. Und während er mit seiner anderen Hand ihren Rücken entlangwanderte, drängte Jess sich gegen ihn und schob ihre Hand unter sein Hemd.

Noch nie war seine Leidenschaft so schnell für jemanden entbrannt. Luke schloss die Augen. Er ließ die Hand tiefer gleiten und streichelte ihre halb nackten Beine. Hör auf, das geht zu weit, mahnte ihn eine innere Stimme. Hör jetzt sofort auf!

Aber stattdessen schob er ihr den Rock hoch und umschloss ihren festen Po. Er streichelte ihre warme, samtige Haut, während sie sich immer stürmischer küssten.

Als sein Daumen an das kleine Stoffdreieck ihres Stringtangas stieß, riss er sich energisch von ihr los. Er hoffte, sie würde nicht bemerken, dass er sich am Schreibtisch festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Verflixt, sie sah unglaublich hinreißend aus mit ihren funkelnden Augen und den zerzausten Haaren. Nur zu gern würde er sie hier und jetzt ganz für sich haben wollen.

Tief atmete er ein und spürte, wie er mehr und mehr die Kontrolle über sich zurückgewann. Er drückte sein Kreuz durch und richtete sich vollständig auf. Stumm deutete er zur Tür. Jess verstand sofort, nickte und zupfte noch kurz ihr Kleid zurecht.

„Ja, es wird Zeit, dass ich gehe.“ Sie ergriff ihre Laptoptasche, holte einen großen Umschlag heraus und legte ihn auf den Schreibtisch. „Eine Alternative zu Ihrer Marketingstrategie. Vielleicht können wir ein anderes Mal darüber reden.“

Wie bitte? Hatte sie nicht gehört, was er gesagt hatte, bevor er sie wie verrückt geküsst hatte? „Nein, das glaube ich nicht.“

„Warum nicht?“

Luke ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in seinen Ledersessel fallen. „Weil Sie gefeuert sind. Packen Sie Ihre Sachen, und verlassen Sie danach sofort mein Anwesen.“

1. KAPITEL

Acht Jahre später

Jessica,

mir scheint eines meiner besten Messer zu fehlen. Ich habe es auf unserer Amerikareise gekauft. Solltest du es mir nicht zurückgeben, muss ich dich bitten, es mir zu ersetzen. Der Einzelhandelspreis beträgt rund zweihundert Dollar.

Grant

Wenn der Typ glaubt, ich würde ihm auch nur einen einzigen Cent zahlen, irrt er sich aber gewaltig, dachte Jess, während sie die E-Mail in den elektronischen Papierkorb verschob. Wer hatte ihn und seinen extravaganten Lebensstil denn finanziert, als er den Job verloren und sich als Caterer selbstständig gemacht hatte? Sie! Und zum Dank dafür, dass sie ihn mit Geld und Mitgefühl überschüttet hatte, hatte er sich immer dann mit der Blondine von nebenan vergnügt, wenn sie bei der Arbeit war.

„Was ist los?“

Jess schreckte aus ihren Gedanken. Sie blickte zur Tür und sah Ally, ihre toughe Büroleiterin und beste Freundin mit ihrem Tablet-PC unterm Arm in ihr Büro kommen. „Grant hat gerade versucht, mich mit einer E-Mail zu nerven. Er vermisst irgendein teures Messer. Er will es zurück oder zweihundert Dollar von mir. Sollte es tatsächlich in meiner Küche sein, kannst du es gern haben. Ich als Kochmuffel fange bestimmt nichts damit an.“

„Er hat es tatsächlich geschafft, dich wieder aufzuregen.“ Ally setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl.

„Dieser Mistkerl kann mich mal …“

„Ja, ja. Das habe ich alles schon x-mal gehört. Das Ganze ist jetzt sechs Monate her. Warum bist du immer noch so sauer?“

Jess stellte die Ellbogen auf dem Schreibtisch auf und stützte das Kinn in die Hände. Vor einem Jahr hatte Grant den Job als Produktmanager bei einer angesehenen Modekette verloren. Sechs Monate später hatte sie ihn dann mit der Nachbarin in ihrem Bett erwischt.

Nun wusste sie nicht nur aus Erzählungen von Freundinnen, wie weh Untreue tat, sondern hatte es am eigenen Leib erfahren müssen. Inzwischen war sie völlig davon überzeugt, dass eine Frau, die sich im Namen der Liebe von jemand anderem gefühlsmäßig beherrschen ließ, entweder sehr mutig oder total verrückt sein musste. Und sie war weder das eine noch das andere.

„Jess, rede mit mir.“ Ally schreckte die Freundin aus den Gedanken.

„Ja, ich bin sauer. Auf ihn und auf mich. Weil er mich getäuscht hat, und ich nicht gemerkt habe, was Sache ist.“

Ally stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Sie schenkte ihnen jeweils einen Becher ein und setzte sich schließlich auf die Fensterbank.

„Ich habe auf dem Weg ins Büro mit Nick telefoniert“, erzählte Jess. „Er ist so glücklich mit Clem. Zwischen den beiden ist etwas ganz Besonderes. Jetzt hat auch der letzte meiner vier Brüder, die sich alle gründlich ausgetobt haben, seinen Ankerplatz gefunden.“

„Und du treibst noch auf dem Meer? Macht es dir zu schaffen, weil deine Brüder es anders hinbekommen haben? Die Liebe ist kein Wettstreit, Jess. Weißt du, was dein Problem ist?“

„Nein. Doch du wirst es mir sicher erzählen.“ Aber wollte sie es überhaupt hören? Ally nahm meistens kein Blatt vor den Mund.

„Möchtest du, dass ich die Wahrheit sage?“

„Das ist eine rhetorische Frage, oder?“ Jess atmete tief ein. „Okay, ich bin gewappnet.“

„Du hast so viel Angst davor, verletzbar zu sein, dass du versuchst, alles und jeden in einer Beziehung zu kontrollieren. Es passt dir, Single zu sein, und es passt dir noch mehr, nicht verliebt zu sein. Sich zu verlieben ist für dich gleichbedeutend damit, die Kontrolle zu verlieren. Was für einen Kontrollfreak das Schrecklichste ist.“

„Ich bin kein Kontrollfreak!“

„Du machst dir etwas vor, Jess. Bei dir dreht sich alles um Kontrolle. Deshalb suchst du dir auch Männer aus, die du kontrollieren kannst.“

Das ist das Problem mit besten Freundinnen, sie kennen einen zuweilen noch besser, als man sich selbst kennt, dachte Jess. Da Ally jedoch im Moment viel zu selbstgefällig aussah, beschloss sie, das Thema zu wechseln. Sie würde sich später mit den Äußerungen der Freundin befassen. Vielleicht. Wenn sie sich danach fühlte, tief in ihre Psyche einzudringen.

„Erzähl mir lieber darüber etwas.“ Sie deutete auf Allys Tablet und hörte der Freundin zu, als diese begann, sie über den Stand von Marketingkampagnen einiger Kunden zu unterrichten, an denen sie nicht persönlich mitwirkte. Während sie Analysedaten diskutierten, stellte die Sekretärin ihr einen Anruf von Joel Anderson durch, dem Chef einer großen Werbeagentur. Er war zwar ihr größter Konkurrent, aber gleichzeitig einer der wenigen in der Branche, den sie mochte und dem sie vertraute.

Ally wollte das Büro verlassen, aber Jess schüttelte den Kopf. Sie würde die Freundin dann ohnehin mit allen Infos versorgen und konnte sich die Mühe sparen, wenn sie gleich die Lautsprechertaste drückte. Und wie üblich kam Joel sofort zum Punkt, nachdem sie sich begrüßt hatten.

„Was hältst du von Luke Savages E-Mail? Du wirst vermutlich auch an dem Agenturbriefing für die neue Marketingstrategie teilnehmen, die er für sein Weingut entwickeln lassen will, oder? Ich habe gedacht, falls wir mit derselben Maschine nach Kapstadt fliegen, könnten wir zusammen in einem Leihwagen nach St Sylve fahren.“

Jess warf einen Blick auf den Monitor. Nein, bei ihr war keine E-Mail von Luke Savage eingegangen, obwohl sie mit ihrer Agentur schon einige Preise in der Werbewirtschaft gewonnen hatte. Viele Agenturen würden sich nach so einem Großauftrag die Finger lecken und deshalb im angekündigten Briefing für den Werbeetat des Weingutes zur Höchstform auflaufen. Am besten versuchte sie also, so viele Informationen wie möglich aus Joel herauszuholen.

„Wie ist denn deine Meinung?“

„Er kann die neue Strategie gut gebrauchen. Ich habe gehört, dass er Lew Jones mit einer Marktanalyse beauftragt hat und offen ist für etwas Neues. Aber angesichts der zweihundertjährigen Tradition der Familie Savage im Weingeschäft kann eine coole zeitgemäße Strategie auch leicht ins Auge gehen.“

Nein, das glaubte Jess nicht. Und das hatte sie auch schon vor acht Jahren nicht geglaubt. Sie hatte St Sylve nie ganz aus dem Blick verloren. Dass der Erfolg des Weinguts stetig zurückging, bedauerte sie zwar, war ihrer Meinung nach aber nicht weiter verwunderlich. Die Werbung war trocken und die Etiketten langweilig gestaltet.

„Meine Sekretärin ist gerade dabei, mein Tablet upzudaten. Für welche Uhrzeit ist denn das Briefing angesetzt?“

„Für zehn Uhr dreißig am nächsten Freitag. Soll ich meine Sekretärin bitten, passende Flüge herauszusuchen?“

„Lass mich dich deshalb noch mal zurückrufen. Ich war gerade ein paar Tage weg und bin noch nicht wieder ganz auf dem Laufenden. Außerdem muss ich vorher noch einige Kunden in Kapstadt treffen und fliege deshalb wahrscheinlich schon früher hin“, log Jess, und Ally runzelte noch mehr die Stirn.

„Okay, bis dann.“

Jess verzog das Gesicht. Luke Savage und sein verflixter verletzter Stolz! Sie würde es nicht zulassen, dass die Werbekampagne erneut vermasselt wurde. „Was weißt du über die Kellerei St Sylve, Ally?“

„Dort hat man mehrere preisgekrönte Weine hergestellt. Aber es hat sich leider nicht in den Absatzzahlen niedergeschlagen.“

Ihre Prophezeiung hatte sich mit etwas Verzögerung also bewahrheitet. Jess wünschte, sie hätte sich geirrt. St Sylve war eine Institution in Franschhoek. Es war eines der wenigen Weingüter, das von französischen Siedlern im frühen neunzehnten Jahrhundert gegründet worden war und sich immer noch im Besitz derselben Familie befand.

Sie hatte ihre Zeit dort geliebt. Es war ein wunderschönes Anwesen, auf dem es sogar noch die uralten Gewölbekeller gab. Und natürlich Luke Savage, der sie zuerst leidenschaftlich geküsst und danach gefeuert hatte.

„Er hat dich rausgeworfen?“, fragte die Freundin amüsiert und entsetzt, nachdem sie ihr kurz die Geschichte mit Luke erzählt hatte.

„Ich hatte es verdient. Mit zweiundzwanzig meinte ich, für jeden ein Geschenk des Himmels zu sein. Obwohl ich es nur ungern eingestehe, schulde ich Luke Dank für eine wichtige Lektion. Es war dringend nötig, mir den Kopf zurechtzurücken. Ich war viel zu sehr von mir überzeugt. Wir haben uns erst angeschrien, und dann hat er mich geküsst. Es war der beste Kuss meines Lebens.“

„Wow.“

„Was zwischen uns passiert ist, war eigentlich zu ungeheuerlich, um es einfach nur als Kuss zu bezeichnen.“

Aber Luke ist ja auch nicht einfach bloß ein Mann, dachte sie und seufzte. Er war ein Ausbund an Attraktivität mit seinen grünen Augen, den braunen Haaren, den breiten Schultern, den schmalen Hüften, den langen Beinen …

„Jess? Hallo?“

„Entschuldige. Ich war in Gedanken.“

„Er scheint ein beeindruckender Typ zu sein. Die Frage ist jedoch, was du in Sachen St Sylve machen willst. Wirst du zu dem Briefing gehen?“

„Ohne Einladung?“ Jess blickte zur Decke. „Ich bin echt versucht, mich einfach wegen des Entwurfs einer Marketingstrategie an ihn zu wenden.“

Ja, sie würde sich wirklich gern eine neue Kampagne für St Sylve überlegen. Aber Luke war der erste und einzige Mann, der ihr je mit einem Kuss den Verstand geraubt hatte. Dies war ein triftiger Grund, um nicht für ihn zu arbeiten. Sie würde wohl nicht sonderlich kreativ sein, wenn sie ständig träumend vor dem Monitor saß.

„Ruf ihn an und frag!“

„Nein, das ist wegen damals keine Option.“

Warum begann ihr Magen zu kribbeln, wenn sie nur an ihn dachte? Das Ganze war eine Ewigkeit her. Doch die Vorstellung, ihn wiederzusehen … ließ ihr wohlige Schauer über den Rücken laufen.

Sie wollte sich nicht engagieren. Es gefiel ihr, Single zu sein. Sie wollte keine Beziehung, die tiefer ging. Wieso hatte sie den Eindruck, dass schon der Gedanke an Luke dieses Vorhaben gefährdete?

Luke Savage saß auf der Veranda seines Hauses. Er genoss ein kühles Bier, während er beobachtete, wie die Sonne allmählich hinter den Gipfeln des Simonsberg-Gebirges verschwand.

„Ich schätze, du hast die Monatszahlen von St Sylve gesehen“, sagte Kendall de Villiers schließlich.

„Wir haben die Gewinnzone immer noch nicht erreicht.“ Luke beugte sich vor, legte die Arme auf die Oberschenkel und ließ die Bierflasche hin und her baumeln. „Ich kann nicht ständig Geld in dieses Weingut pumpen. Irgendwann muss es sich selbst tragen“, fügte er hinzu, als seine beiden engsten Freunde schwiegen.

Kendall machte eine ernste Miene. „Dein Vater hat bis zu seinem Tod das gesamte Betriebskapital verbraucht und dir außer einem maßlos überzogenen Konto und hohen Krediten nichts hinterlassen. Die Darlehen hast du ja inzwischen zu einem großen Teil zurückgezahlt …“

„Mit Geld, das ich mit anderen Geschäften verdient habe“, sagte Luke. Es war für Kendall kein Geheimnis. Er war nicht nur sein Buchhalter, sondern ebenfalls Juniorpartner in seiner Risikokapitalfirma.

„Unsere Weine sind gut“, warf Owen Black, seine rechte Hand, ein. Er war als Verwalter des Anwesens für den Wein- und Obstanbau sowie für die Olivenhaine und die Milchwirtschaft zuständig. „Mehrere deiner Weine wurden in den vergangenen Jahren ausgezeichnet, und du bist sogar Winzer des Jahres gewesen.“

„Was nichts hilft, wenn wir die Flaschen nicht verkaufen. Sie liegen wie Blei in den Regalen. Weil unsere Marketingstrategie langweilig und altmodisch ist und nur die Leute anspricht, die demnächst an die Himmelspforte klopfen.“ Luke lehnte sich wieder zurück. „Warum habe ich das nicht längst erkannt?“

Weil ein großspuriges junges Ding es dir vor Jahren erzählt und dein verletzter Stolz es nicht zugelassen hat, auf sie zu hören. Und weil du so viel anderes am Hals hattest und dachtest, du könntest es noch etwas schleifen lassen.

Nun galt es, schnellstens eine effektive Werbekampagne entwickeln zu lassen, um den Absatz anzukurbeln. Wenn ihm dies nicht gelang, würde er das Weingut entweder verkaufen oder sich daran gewöhnen müssen, es mit Gewinnen aus anderen Geschäften quer zu finanzieren. Aber irgendwann wollte er auch mal ein wenig leben und nicht wegen zwei Jobs praktisch rund um die Uhr arbeiten müssen.

„Wer wird zu dem Briefing kommen?“, fragte er Kendall, der ihm sofort die Agenturen aufzählte.

Jess Sherwood Concepts ist also nicht dabei?“

„Du hast mir ausdrücklich gesagt, ich solle dort keine E-Mail hinschicken.“

„Ich habe mich lediglich vergewissert.“

„Wenngleich ich nicht verstehe, warum du sie ausgenommen hast. Natürlich ist es eine junge Firma, doch hat Jess Sherwood bereits einige beeindruckende Kampagnen kreiert.“

„Trotzdem willst du sie nicht?“ Owen blickte verwundert drein. „Warum nicht?“

Luke wusste kaum noch, wie seine geschiedene Frau ausgesehen hatte. Aber an Jess erinnerte er sich sehr genau. Die Begegnung in seinem Büro war die seltsamste – und erregendste – in seinem bisherigen Leben gewesen. Und obwohl Jess noch die Berufserfahrung gefehlt hatte, hatte sie im Gegensatz zu ihm gleich erkannt, was schieflief. Vielleicht war es Sturheit oder falscher Stolz, doch wollte er sich heutzutage wegen der neuen Marketingstrategie trotzdem nicht an sie wenden. Irgendwo müsste er noch den Entwurf von damals haben. Es könnte interessant sein, einen Blick hineinzuwerfen.

Owen stellte die Bierflasche auf den Tisch. „Was hast du für ein Problem mit Jess Sherwood?“

„Sie war hier Praktikantin in dem Sommer, als ich St Sylve geerbt habe. Ich ließ mich gerade von meiner teuflischen Frau scheiden und wollte nicht auf dem Anwesen sein. Ich wollte die Verantwortung für das Gut nicht, habe rund um die Uhr gearbeitet und war …“

„Unglücklich?“, warf Kendall ein, als er zögerte. „Deprimiert? Wütend? Griesgrämig?“

Verflixt, er hatte verdammt noch mal das Recht gehabt, seine Wunden zu lecken. Er hatte sich stets eine Familie gewünscht und geglaubt, mit Mercia diesen Traum verwirklichen zu können. Zumindest hatte sie bei ihm zunächst den Eindruck erweckt, sie hätte ähnliche Pläne wie er. Kurz nach der Hochzeit hatte er dann erkannt, dass er eine nach Freiheit strebende, habgierige, Geld verprassende, streitsüchtige Frau geheiratet hatte. Und in den folgenden zwei Jahren war ihm immer klarer geworden, dass er hereingelegt worden war. Erneut!

Wie hatte er nur so dumm sein können. Aber er hatte seine Lektion gelernt. Deshalb hatte er beschlossen, sich nie wieder in einer Beziehung wirklich zu engagieren oder es einer Frau zu erlauben, ihn gefühlsmäßig und finanziell auszubeuten. Er war dankbar gewesen, dass Mercia schließlich aus seinem Leben verschwunden war. Doch den Traum von einer Familie zu begraben, hatte sehr wehgetan.

„Willst du die Geschichte mit Jess Sherwood nun hören oder nicht?“ Finster blickte er Kendall an. „Sie war wahnsinnig attraktiv und wusste es – und sie war maßlos nervig. Ich war ihr nur ein- oder zweimal begegnet, bevor sie in mein Büro platzte und mir einen Vortrag über meine Werbeabteilung hielt. Sie bezeichnete die Leute als Dinosaurier, hat mir die üblichen Marketingbegriffe um die Ohren gehauen und mir erzählt, was ich falsch mache und wie ich es wieder hinbekomme.“

„Und dann hast du sie an die Luft gesetzt?“ Kendall lächelte, als Luke nickte.

„Sie scheint ein Mordsweib zu sein“, meinte Owen grinsend.

„Jess Sherwood würde sich damit brüsten, dass sie recht gehabt hat, und mir unter die Nase reiben, dass St Sylve – und ich – sie brauchen. Ich möchte einfach nichts mit ihr zu tun haben.“ Vor allem nicht, wenn sie immer noch so faszinierend aussah. „Unsere Zusammenarbeit würde nicht funktionieren.“

Sie würde tatsächlich schwierig werden, sollte Jess noch so sexy sein. Wenn er sich nur an sie erinnerte, wurde ihm bereits heiß. Was untypisch für ihn war. Er hatte eine befriedigende … Übereinkunft mit der Inhaberin eines Weinladens in der Stadt. Wenn einer von ihnen Zweisamkeit in welcher Richtung auch immer suchte oder eine Begleitung zu einer Einladung, wandten sie sich aneinander. Sie beide verband eine Freundschaft, in der es keine besonderen Erwartungen gab.

„Und schließlich geht es nicht um eine Firma, die ich aufgekauft habe und wieder veräußern will. Es geht um St Sylve, das erneut zum besten Weingut des Landes werden soll. Es ist schon hart genug, mit der Situation fertigzuwerden, die mir mein Vater hinterlassen hat. Ich brauche keine weitere Komplikation.“

Er hatte zwar versucht, den Familienbetrieb rein kaufmännisch als ein normales Unternehmen zu betrachten. Aber es war ihm nicht gelungen. Das Anwesen war schließlich sein Erbe. Es stellte für ihn eine emotionale wie finanzielle Last dar und war ihm gleichzeitig eine Freude. Er liebte es ebenso sehr, wie er es hasste.

Widerwillig gestand er sich ein, dass Jess wahrscheinlich genau die Person war, die St Sylve guttun würde. Ihm jedoch nicht, denn sie würde sein Leben durcheinanderbringen. Aber dieses eine Mal würde er seine Bedürfnisse über die des Betriebes stellen. Wozu er mit sechsunddreißig sicher auch das Recht hatte.

2. KAPITEL

Jess seufzte erleichtert, als sie mit Ally den Verkostungsraum von St Sylve betrat und Luke nirgends entdeckte. Als sie sich Kendall de Villiers vorstellte, wirkte dieser ziemlich überrascht und einen Moment erschrocken, bevor er lächelte.

„Das wird interessant“, meinte er mit einem frechen Funkeln in den Augen.

„Hat er tatsächlich geglaubt, ich würde nichts erfahren, oder ist es ihm egal?“

„Äh …“

Jess winkte ab. „Kann ich mich irgendwo verstecken, sodass er mich nicht sieht? Zumindest bis er das Briefing beendet hat.“

Kendall zog eine Braue hoch. „In dem Outfit? Keine Chance.“

Sie trug ein enges schwarzes Wickelkleid, schwarze Pumps, die ihre langen Beine betonten, und eine feine Perlenkette. Mit den hellblonden Haaren und dem kräftigen Lippenstift war sie so unauffällig wie ein Leuchtfeuer in der Nacht.

„Wo ist er?“ Jess ließ den Blick durch den Raum mit den zwei Stuhlreihen schweifen.

„Irgendwo draußen.“ Kendall schaute auf die Armbanduhr. „Setzen Sie sich. Es dürfte gleich losgehen.“

Jess nahm auf einem Stuhl gleich neben der Wand Platz und versuchte, sich hinter den breiten Schultern des Kreativdirektors von Cooper & Co zu verstecken. Vielleicht war es verrückt, hier aufzutauchen. Aber vor acht Jahren hatte sie die Kampagne als ihre betrachtet und tat es jetzt immer noch. Niemand sollte sie ihr entreißen. Es gab nur ein kleines Problem: Sie musste Luke noch von ihrer Sichtweise überzeugen.

Sie bemerkte ihn sofort, als er den Raum betrat und auf Kendall zuging. Er trug ein langärmeliges grünes T-Shirt, das seinen athletischen Oberkörper betonte, und ausgeblichene Jeans. Zweifellos war er noch genauso attraktiv wie damals.

„Wow!“, stieß Ally hervor.

„Er ist umwerfend, oder?“ Warum hatte er nicht wenigstens inzwischen einen Bierbauch oder schütteres Haar? Dann würde alles viel leichter für sie sein.

„Ja, er auch. Aber ich meine den rothaarigen Typ, der nach ihm hereingekommen ist. Den würde ich nicht von der Bettkante stoßen.“

Seine beiden Mitarbeiter konnten sich eindeutig ebenfalls sehen lassen. Aber Luke strahlt noch einen Tick mehr Macht, Souveränität und Männlichkeit aus, dachte Jess, während er sich ans Rednerpult stellte.

Momente später spürte sie ein Kribbeln, als sich ihre Blicke begegneten. Unverwandt schaute er sie dann weiter mit kaum verhohlener Leidenschaft und gleichzeitig offener Feindseligkeit an. Was das Kribbeln nur noch verstärkte.

„Er hat dich entdeckt“, sagte Ally leise.

„Ja, ich weiß.“

„Und du bist in Schwierigkeiten. Denn er wirkt, als wollte er dich auf einen Schlag mit Haut und Haar verschlingen.“

„Wenn ich ganz viel Glück habe, wird er mich einfach ignorieren.“

„Und vielleicht friert die Hölle zu.“

„Du hättest dir wenigstens saubere Sachen anziehen können, Luke.“ Missbilligend schaute Kendall ihn an.

„Das wollte ich, hatte dann aber keine Zeit mehr dazu. Hättest du dich nicht geweigert, das Briefing zu übernehmen, müsstest du dich jetzt nicht über meine Kleidung ärgern.“

„Du kannst mich mal“, erwiderte Kendall. „Die Leute wollen dich sehen, nicht mich. Und jetzt sieh zu.“ Er nickte in Richtung Rednerpult.

Luke seufzte und fügte sich ins Unvermeidliche. Momente später ließ er den Blick über die Marketingexperten schweifen und blieb erneut bei Jess hängen.

Nein, er irrte sich nicht wie schon mehrmals in den letzten Jahren. Es war wirklich Jess. Sein Puls begann zu rasen. Sie war mindestens genauso hübsch wie damals und wirkte mit ihren zerzausten schulterlangen Haaren noch sexyer.

Hoffentlich verrät mein Gesichtsausdruck nicht, was mit mir los ist, dachte er, während er sie weiter anschaute. Er wollte sie genauso sehr wie einst in seinem Büro. Und wenn er sich nicht gewaltig täuschte, konnte er von Weitem spüren, dass es ihr genauso ging.

Um sich zu beruhigen, atmete er tief ein und aus. Sie hatte offenbar von dem Briefing erfahren und war vermutlich sauer darüber, dass man sie nicht eingeladen hatte. Also war sie unaufgefordert hier aufgetaucht. Was wiederum typisch für sie war.

Sollte er ihre Frechheit bewundern oder sich über ihre Aufdringlichkeit ärgern? „Ladies und Gentlemen“, begann er endlich, nachdem er sich geräuspert hatte. „Dies wird wahrscheinlich das kürzeste Briefing in der Geschichte der Werbung. Ich möchte etwas Neues, Frisches, das den Weinabsatz in die Höhe schnellen lässt. Ich will eine umfassende Marketingstrategie für aufeinander abgestimmte Kampagnen im Netz, in den Printmedien und im Fernsehen. Das war’s auch schon. Nach der Besichtigung unserer Kellerei wird Kendall de Villiers Ihnen den aktuellen Marktforschungsbericht aushändigen, und anschließend gibt es Snacks und eine Weinprobe.“

Das Wesentliche war gesagt. Kurz und knapp. Und nun interessierte es ihn viel mehr, eine ernste Unterhaltung mit einer braunäugigen Blondine zu führen.

Sobald Jess mit Joel geklärt hatte, dass Ally mit ihm zum Flughafen zurückfahren konnte, verließ sie den Verkostungsraum. Sie beabsichtigte, schnellstens zu verschwinden, bevor sie Luke über den Weg lief und er ihr erzählte, dass er nichts mit ihr zu tun haben wollte.

Draußen wehte ein frischer Wind, weshalb sie den Mantel eilig zuknöpfte. Als sie um die Ecke des Herrenhauses biegen wollte, um auf die Einfahrt zuzugehen, wo sie den Leihwagen geparkt hatte, sah sie Luke auf dem Zaun der Koppel sitzen.

Sie blieb stehen und beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Er übte immer noch eine starke Anziehungskraft auf sie aus und brachte ihre Nerven zum Flattern. Aber sie spürte, dass ihre Faszination nicht nur hormonell bedingt war.

Er ist eben ein richtiges Alphatier und dir im Grunde genommen haushoch überlegen, schoss es ihr durch den Kopf.

So ein Unsinn. Sie konnte es sehr wohl mit ihm aufnehmen. Sie war eine unabhängige, erfolgreiche und starke Frau.

Tatsächlich? Momentan fühlte sie sich alles andere als stark. Sie sollte nicht hier sein und sich um den Auftrag bemühen. Sie brauchte ihn nicht, und vor allem brauchte sie den Zustand nicht, in den Luke sie versetzte. Ihr Körper kribbelte, und sie war leicht verunsichert und ihr Selbstvertrauen ziemlich angekratzt.

Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Sie hatte sich gegenüber vier älteren Brüdern behauptet und würde auch diese Situation meistern. Du wirst dich gegen ihn abschotten, befahl sie sich, atmete tief ein und ging weiter.

Luke sprang vom Zaun, als er sie kommen sah. „Warum bin ich nicht überrascht, dass du hier bist?“, fragte er gleichmütig mit finsterer Miene. „Schön zu wissen, dass du nichts von deiner Dreistigkeit eingebüßt hast.“

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen öffnete Jess die Autotür, legte die Laptoptasche auf den Sitz, schlug die Tür zu und setzte sich auf die Motorhaube. Dann schaute sie ihn unvermittelt an. Nein, sie würde sich nicht gleich in ein Wortgefecht mit ihm stürzen, sosehr sie es auch wollte. Hauptsächlich deshalb nicht, weil sie nicht sicher war, es zu gewinnen.

„Ich hatte ganz vergessen, wie herrlich es hier ist.“

Luke verschränkte die Arme vor der Brust. „Was willst du hier?“

Sie lächelte ihn an. „Ich werde eine Werbekampagne entwerfen, die dich vom Hocker haut.“

„Warum? Um mir unter die Nase zu reiben, dass ich versagt habe? Um mir klarzumachen, dass du trotz deiner Jugend und Unerfahrenheit damals recht hattest?“

„Nein!“ Sie stemmte die Arme in die Hüften und funkelte ihn böse an. „Warum hast du mich nicht angerufen? Verflixt, Luke, ich kenne St Sylve. Ich weiß …“

Er fasste sich nervös in den Nacken. Das Ganze war ihm peinlich. Außerdem kam er sich dumm vor und wünschte, sie würde verschwinden und ihn den selbst verschuldeten Schlamassel einfach allein bereinigen lassen. Leider meldete sich jedoch auch die Stimme des Geschäftsmanns in ihm zu Wort. Jess war schließlich nicht grundlos eine der Besten in der Branche und er wäre ein Idiot, wenn er sie wegschickte, ohne sie anzuhören.

Aber warum musste sie noch sexyer aussehen als damals? Die Tatsache, dass sie ihn immer noch so um den Verstand brachte, machte ihm wirklich zu schaffen. „Du weißt nichts und hast auch vor acht Jahren kaum etwas gewusst.“

„Ich möchte dir helfen.“

„Nein, du willst durch mich Geld verdienen. Du willst den Zuschlag für den begehrtesten Auftrag weit und breit. Du willst beweisen, dass du recht hattest, und mir zeigen, wie klug du bist.“

„Nein, ich … Gib mir eine Chance, Luke. Ich bin nicht mehr die großspurige Praktikantin von damals. Ich bin gut in meinem Job, und Kampagnen wie diese mache ich am laufenden Band.“

„Ich habe keine Lust auf deine Schadenfreude. Im Moment besichtigen Leute von mindestens fünf anderen Agenturen St Sylve. Sie können mir helfen.“

„Ja. Aber niemand von ihnen hat hier gelebt und gearbeitet. Ich habe mich mit St Sylve immer verbunden gefühlt. All das kann ich nutzen, um für dich etwas ganz Besonderes zu kreieren.“

Sie klingt ehrlich, dachte Luke. Doch was wusste man schon? Er hatte viel Erfahrung mit Menschen gesammelt, die es mit der Aufrichtigkeit hielten, wie es ihnen gerade passte. Außerdem war er müde und gestresst und fühlte sich, als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen. „Verschwinde einfach, Jess.“

„Sorry, aber ich werde eine tolle Kampagne für St Sylve entwerfen. Und es ist mir egal, wenn du mich herrisch oder penetrant findest.“

„Du bist offenbar immer noch übertrieben selbstbewusst, anmaßend …“

Sie sprang von der Motorhaube, geriet wegen der höheren Absätze der Pumps ins Wanken und drückte Luke eine Hand auf die Brust. Sofort schoss ein wohliges Kribbeln durch seinen Körper. Dann sah er an ihrem Hals, dass ihr Puls schneller klopfte, und beobachtete, wie ihre Augen sich dunkler färbten. War ihr nicht wohl in ihrer Haut?

„Kannst du mir einen Moment zuhören?“

Ihr schien nicht bewusst zu sein, wo ihre Hand lag. Luke hob den Arm, um sie von seiner Brust wegzunehmen, konnte sich dann aber nicht dazu durchringen. Es gefiel ihm nämlich, dass sie dort war.

Tief atmete Jess ein. „Ich bin schlecht darin, mich zu entschuldigen. Weshalb es vielleicht etwas falsch rüberkommt. Es tut mir ehrlich leid, dass ich mich damals so anmaßend verhalten habe. Ich hatte kein Recht dazu, das zu sagen, was ich gesagt habe. Es war richtig, mich zu feuern. Damit hast du mir einen großen Dienst erwiesen. Ich war unverschämt und würde es echt zu schätzen wissen, wenn du meine Entschuldigung akzeptiertest.“

Überrascht runzelte er die Stirn. „Du bittest mich ehrlich um Verzeihung?“

„Ich möchte das Ganze nicht wiederholen müssen. Es einmal auszusprechen, ist schon peinlich genug.“

„Was soll ich darauf antworten?“, fragte er mürrisch.

„Dass du mir verzeihst? Dass ich für dich eine Kampagne gestalten darf, die die Absatzzahlen in die Höhe schnellen lässt? Es war übrigens ein interessantes Briefing. Kurz und …“

„Knapp?“

Jess lächelte. „Einfach kurz und informativ. Und was ist jetzt?“

Das kleine Grübchen auf ihrer Wange hatte ihn einen Moment abgelenkt. Energisch rief er sich zur Vernunft. Er konnte ihr nicht einfach den Auftrag erteilen, weil sie ihn so faszinierte. Auch wenn St Sylve ihm gehörte.

„Du kannst dich wie alle anderen um den Job bewerben.“ Luke hob die Hände, als Jess ihn anstrahlte. Und der Nachsatz war als Warnung an ihn selbst und an sie gedacht. „Ich verspreche nichts.“

Sie nickte. „Verstanden. Ich danke dir. Du wirst es nicht bereuen.“

Luke hatte das ungute Gefühl, dass er es irgendwann doch tun würde.

„Dann mache ich mich am besten sofort wieder mit dem Weingut vertraut. Ich werde durch den Garten und an den Ställen vorbei zu den anderen zurückkehren.“

„Warum der Umweg?“

„Ich habe schon eine Idee für die Kampagne. Aber ich muss dafür einen Eindruck von St Sylve bekommen, wie es jetzt ist. Nicht, wie ich es in Erinnerung habe.“

„Du willst in den Schuhen da entlanglaufen?“

„Was stimmt mit den Schuhen nicht? Sie sind wunderschön.“

„Und völlig ungeeignet für die Wege. Geh lieber direkt zurück.“

„Danke, doch ich werde den Umweg nehmen“, antwortete sie und fluchte später insgeheim, als sie schließlich wieder bei den anderen war. Luke hatte recht behalten. Die Füße taten ihr weh, und die Farbe der schwarzen Pumps war jetzt eher braun und das Wildleder an den Absätzen beschädigt. Das Paar war ruiniert.

3. KAPITEL

„Es wird Zeit, Jess.“ Ally streckte den Kopf zur Damentoilette des Hotels herein, in dem Luke den Konferenzraum für die Präsentation der Marketingkonzepte gemietet hatte.

Jess war als Letzte an der Reihe und hatte sich in den vergangenen zwanzig Minuten schon dreimal hier an dem Automaten die feuchten Hände getrocknet. Niemand außer ihrer Freundin wusste, wie nervös sie immer vor solchen Auftritten war.

Prüfend blickte sie noch einmal in den Spiegel. Sie trug ein schwarzes Poloshirt unter dem roten Blazer, der nur etwas über dem Saum des kurzen Bleistiftrocks endete, hauchdünne schwarze Strümpfe und schwarze Stiefel.

So auffällig gekleidet, bewarb sie sich normalerweise nicht um einen Auftrag. Aber sollte dies ihre letzte Begegnung mit Luke sein, wollte sie wenigstens einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

„Dann hauen wir sie mal vom Hocker”, sagte sie, als sie nach draußen kam und ihre Sachen nahm.

„Okay, vielleicht solltest du vorher noch mal tief durchatmen.“

„Warum?“

„Weil dir die Knie schlottern.“ Ally holte ein Fläschchen aus der Handtasche. „Mund auf.“

„Ally“, erwiderte Jess genervt, streckte dann aber doch die Zunge heraus.

Als die Freundin ihr gerade die übel schmeckenden Notfalltropfen verabreichte, wurde die Tür des Konferenzraums aufgestoßen, und mit einem Mal stand Luke auf der Schwelle.

„Hallo …“ Er verstummte unvermittelt, und Jess schloss peinlich berührt den Mund. „Was in aller Welt machst du da?“

„Nichts.“

„Notfalltropfen“, antwortete Ally eilig. „Vor Präsentationen wird Jess immer etwas nervös.“

„Alison!“ Jess wurde flau im Magen, als Luke sie anlächelte.

„Ich hätte nie vermutet, dass sie das Nervenflattern bekommt“, sagte er zu Ally und streckte ihr die Hand entgegen. „Luke Savage.“

„Ally Davies.“ Sie schüttelte ihm die Hand.

„Wie nervös?“, erkundigte er sich dann, und Jess flehte zum Himmel, dass die Freundin nicht so ehrlich wie üblich war.

„Sodass ihr die Knie schlottern und …“

„Mensch, hör auf. Er ist ein Klient.“

„Entspann dich, Jess. Es gibt keinen Grund, deine hübschen Knie zu strapazieren.“ Luke lächelte sie sexy an. Es war genau das Lächeln, das sie für die Werbekampagne verwenden wollte, weil es jedes Frauenherz höher schlagen ließ. Doch würde es eine Herkulesaufgabe sein, ihn zum Mitwirken zu überreden. „Mir gefällt der kurze Rock, den du trägst.“

„Halt einfach den Mund“, erwiderte sie, bevor sie hocherhobenen Hauptes das Rednerpult betrat.

Ob es ihnen wohl gefallen hat? fragte sich Jess, als sie die Präsentation beendet hatte und alle schwiegen. Lukes Miene verriet nichts. Es fühlte sich für sie wie eine Ewigkeit an, bis er sich aufsetzte, die Arme auf den Tisch legte und etwas sagte.

„Damit ich das richtig verstehe“, sagte er, während er sie mit seinem Blick durchbohrte. „Du willst, dass ich das Gesicht von St Sylve werde?“

„Ja, aber nicht nur das. Ich möchte, dass der Konsument dich und St Sylve mit Spaß verbindet. Dass ihr als hipp und cool rüberkommt und zugleich als kultiviert. Der Plan ist, nicht den Wein zu verkaufen, sondern ein Lebensgefühl.“

Verwirrung spiegelte sich in seinem Gesicht. „Ich habe kein außergewöhnliches Lebensgefühl. Ich arbeite, und das ist praktisch alles.“

„Was der Konsument aber nicht weiß, Luke. Für ihn bist du der junge, ledige, gut aussehende reiche Typ, dem die Welt zu Füßen liegt und der tolle Dinge tut. Wie zum Beispiel Parasailing und Bergsteigen. Der mit Freunden Touch Rugby spielt, sie zu sich zum Essen einlädt, Bälle besucht … Und dabei oder danach trinkt er ein hervorragendes Glas Wein von St Sylve.“

„Ich finde die Idee glänzend“, rief Kendall.

„Mir gefällt sie grundsätzlich auch. Aber nicht, dass ich der Darsteller bin. Warum kann nicht ein anderer meine Rolle übernehmen?“

„Die Kampagne kommt besser an, wenn der Besitzer selbst mitwirkt.“ Tief atmete Jess ein. „Und wieso willst du viel Geld für ein Model ausgeben, wenn du selbst attraktiv genug bist, um es zu machen?“ Sie gratulierte sich insgeheim, weil sie es ausgesprochen hatte, ohne zu erröten oder fasziniert zu klingen.

„Ich bin jedenfalls begeistert“, sagte Owen, aber Jess bemerkte, dass er nicht sie anblickte, sondern Ally. Wenn das nicht mindestens so interessant war.

Unvermittelt stand Luke auf. „Vielen Dank, Leute. Es war ein langer Tag. Überschlafen wir das Ganze, und treffen uns am Montag wieder, um eine Entscheidung zu fällen. Jess, ich möchte noch einen Moment mit dir reden.“

Nachdem alle den Raum verlassen hatten, kam Luke auf Jess zu, die immer noch mit einem Laserpointer in der Hand vor der Projektionswand stand. Ihre Präsentation hatte ihn genauso beeindruckt wie ihre Professionalität. Niemand würde meinen, dass sie nervös gewesen war. Er setzte sich auf die Kante des langen Konferenztischs und sah sie einfach nur an. In den letzten drei Wochen schien sie noch hübscher geworden zu sein.

„Was hältst du wirklich von meiner Idee?“

Das leise Zittern in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen. „Sie gefällt mir. Nur nicht, dass ich in der Kampagne mitwirken soll.“

„Du solltest meiner Ansicht nach auch anfangen, in der Öffentlichkeit für St Sylve und seine Weine die Werbetrommel zu rühren. Ich empfehle dir dringend, dich unter die Leute zu mischen und dich bei gesellschaftlichen Ereignissen blicken zu lassen. Außerdem solltest du Weinproben veranstalten und mit dem Netzwerken beginnen.“

Luke fasste sich in den Nacken. „Kannst du mir zusätzliche vierundzwanzig Stunden am Tag beschaffen?“

„Es ist wichtig, Luke.“

„Von morgens bis abends bin ich irgendwie immer mit dem Weingut beschäftigt. Danach kümmere ich mich um meine anderen Geschäfte … Ich habe keine Zeit für Werbeaufnahmen, geschweige denn für ein gesellschaftliches Leben.“

„Dann solltest du dich darauf einstellen, dass St Sylve weiter ein Zuschussbetrieb bleibt oder du es ganz verlierst. Du musst mehr Wein verkaufen, damit die Kellerei sich selbst trägt. Und um Umsatz zu machen, brauchst du die Werbung.“

„Aber warum muss ich ein gesellschaftliches Leben pflegen?“

„Weil man sehen muss, dass du die Kampagne auch wirklich lebst, sonst wird sie auf die Konsumenten nicht wirken.“ Jess setzte sich auf die andere Tischkante. „Komm aus deiner Komfortzone heraus, Luke.“

„Wenn ich dich engagiere und allem zustimme, was du vorschlägst, habe ich selbst auch einige Bedingungen.“

„Okay, und welche?“

„Du kümmerst dich selbst um die Kampagne und drückst sie nicht einem deiner Lakaien aufs Auge.“

„In Ordnung. Ich hatte es ohnehin nicht vor.“

„Ich will, dass St Sylve deine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt. Deshalb wirst du vor Ort sein, bis alles unter Dach und Fach ist. Du musst also ebenfalls deine Komfortzone verlassen“, sagte er und bemerkte, dass sich einen Moment lang Entsetzen in ihrem Gesicht spiegelte.

„Das geht nicht. Ich muss meine Firma leiten.“

„Via Skype, E-Mail und Telefon. Wir sind im einundzwanzigsten Jahrhundert, Jess. Außerdem wirkt Ally sehr kompetent.“

„Was sie ist. Aber …“

„Und du kümmerst dich um das Netzwerken. Ich habe weder Zeit noch Lust dazu. Auch wirst du mich zu den Veranstaltungen begleiten, während du hier bist. Wenn ich sie besuchen muss, musst du es ebenfalls.“

„Soll das heißen, dass ich den Auftrag habe?“

„Ja.“

Was für eine blöde Frage. „Prima … Doch ich weiß nicht, ob ich in Franschhoek wohnen kann. Ich habe neben meiner Firma nämlich auch noch ein Privatleben. Und zwar in Johannesburg.“

Nein, sie war genau wie er ein Workaholic. „Hör auf, auszuweichen. Und du wirst auf St Sylve wohnen.“

Jess hob das Kinn. „Unter einem Dach mit dir werde ich mich nicht wohlfühlen.“

„Warum nicht?“

Jess verdrehte die Augen. „Willst du echt auf schüchtern machen und ignorieren, dass es da so etwas wie …“

Luke hob eine Braue, als sie verstummte. „Verlangen, Leidenschaft, Wollust gibt?“

„Bleib bei Verlangen“, meinte sie und mied seinen Blick.

Er lächelte insgeheim. Es erstaunte ihn, dass sie in Geschäftsdingen so sachlich sein konnte, aber nervös wurde, wenn sie über die Anziehungskraft sprach, die sie aufeinander ausübten.

„Wer ist jetzt schüchtern?“, fragte er kaum hörbar, während er aufstand. „Okay, du kannst eines der sieben Schlafzimmer im Herrenhaus haben, denn ich lebe nach wie vor in dem anderen Haus.“

Luke trat so nah zu ihr, dass er ihre Brüste fast an seiner Brust fühlte. Er bemerkte, dass ihre langen Wimpern flatterten, und spürte, wie sie beide sich gegenseitig elektrisierten. Jess öffnete die Lippen, und er hätte beinahe die Beherrschung verloren.

Vergiss die Marketingstrategie und St Sylve. Vergiss alles. Jess ist hier, und du willst sie. Ihren Körper, nicht ihren Verstand. Luke warf den Kopf in den Nacken und fluchte insgeheim.

Reiß dich zusammen, forderte er sich dann auf. Er war kein unreifer Bubi mehr, der sich von seinen Hormonen steuern ließ. Schon vor langer Zeit hatte er erkannt, dass es zu nichts Gutem führte und ihn nur in Schwierigkeiten brachte.

Er machte einen Schritt zurück, konnte aber nicht umhin, Jess eine widerspenstige Strähne hinters Ohr zu streichen. „Enttäusch mich nicht.“

„Das habe ich nicht vor“, flüsterte sie.

Sie blickte ihn an, und er konnte nicht anders, als den Daumen über ihre Unterlippe gleiten zu lassen. „Du hast den bezauberndsten Kussmund, den ich je gesehen habe“, raunte er. Doch augenblicklich spiegelte sich wieder Vernunft in ihren Augen, und sie schaute ihn reserviert und beherrscht an.

„Zu viel Nähe ist keine gute Idee, Luke. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Wir sollten klug genug sein, Geschäftliches und Privates zu trennen.“

„Zwischen uns gibt es noch etwas Unvollendetes, wie wir beide wissen. Etwas, das wir vor acht Jahren begonnen haben und beide zum Abschluss bringen möchten.“ Er streichelte ihr über die Wange und bemerkte den Ausdruck der Leidenschaft in ihren Augen, selbst als sie seine Hand wegschob.

„Lass mich eines ganz klarstellen: Ich bin nicht auf sexuelle Abenteuer aus. Und erst recht nicht mit Kollegen, Konkurrenten oder Klienten.“

Welch ein Widerspruch zwischen ihrer energisch klingenden Stimme und dem glühenden Blick, dachte Luke. Wenn das keine interessante Zusammenarbeit geben würde …

Luke hätte sich nicht die Mühe machen müssen, am Tag vor Jess’ Ankunft im Herrenhaus vorbeizuschauen. Auf seinen guten Geist Angela war wie immer Verlass. Er hatte sie gebeten, die größte Suite im ersten Stock herzurichten. Und sie hatte sogar im Wohnbereich einen Blumenstrauß auf den Tisch gestellt.

Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer und trat an das breite Erkerfenster. Es lag dem Doppelbett gegenüber und ermöglichte jedem Gast beim Aufwachen einen herrlichen Blick auf das Bergpanorama. Warum nicht dieser Raum als Elternschlafzimmer genutzt worden war, sondern stets der kleinere, der nach vorn zur Auffahrt hinausging, hatte er nie verstanden.

Vermutlich war es deshalb, weil man von dort aus sehen konnte, wer zu Besuch kam. Ob Freund, Feind … oder Geliebte, wie im Fall seines Vaters Jed. Es waren viele gewesen, die Luke mal mehr oder weniger Aufmerksamkeit geschenkt hatten.

Aber keine war geblieben. Weshalb er schon früh gelernt hatte, sich gefühlsmäßig auf keine Freundin seines Vaters einzulassen. So hatte es ihn nicht berührt, wenn sie wieder aus seinem Leben verschwanden.

Und genauso wenig engagierte er sich bei Frauen allgemein, wenn man seine kurze Ehe ausnahm. Er war überhaupt immer besser darin geworden, sich zu schützen, indem er niemanden zu nah an sich herankommen ließ. Der Tod seiner Mutter sowie sein tyrannischer Vater und dessen zahllose Freundinnen hatten ihn gelehrt, dass es leichter war, sich nicht darum zu kümmern, ob ein Mensch da war oder nicht.

Inzwischen war ihm auch klar, dass seine eigenen Probleme zum Scheitern seiner Ehe beigetragen hatten. Er hatte seine Frau nie wirklich geliebt. Ihn hatte die Vorstellung fasziniert, eine Frau und eine Familie zu haben und ein normales Leben zu führen.

Nachdem er die Basis dafür geschaffen hatte, hatte er nicht gewusst, wie er sie ausbauen sollte. Es war sehr schmerzlich gewesen, sich von seinem Traum zu verabschieden, nicht immer nur allein, sondern Teil eines größeren Ganzen zu sein. Und als wäre dies nicht schwierig genug gewesen, hatte das Schicksal ihn weiter bestraft. Sein Vater war gestorben, und er hatte nach St Sylve zurückkehren müssen.

Er hatte mit seinem Erbe noch keinen Frieden geschlossen. An manchen Tagen liebte er das Anwesen. An anderen war es ein Ärgernis und wieder an anderen, wenn die Erinnerung an Jed zu sehr in ihm erwachte, hasste er es.

Wenn bloß seine Mutter … Energisch schüttelte er den Kopf. Es war zwecklos, über seine Mutter, seinen Vater und seine Kindheit nachzudenken. Er konnte an der Vergangenheit nichts ändern.

Luke seufzte und dachte an Jess. Sie hatte grundsätzlich recht, dass es klug wäre, die Anziehungskraft zwischen ihnen zu ignorieren. So konnte es überhaupt nicht erst zu irgendwelchen Verwicklungen kommen.

Aber sie war eine moderne, unabhängige Frau, die für ein erfülltes Leben keinen Mann an ihrer Seite zu brauchen schien. Sie vermittelte den Eindruck, vernünftig und abgeklärt zu sein und Liebe und Sex voneinander trennen zu können. Weshalb sie eigentlich die perfekte Kandidatin für eine Affäre war.

Sie würde verstehen, dass es gewisse Regeln geben musste. Keine Übernachtungen, keine Vermischung von Arbeit und Vergnügen und keine Erwartungen hinsichtlich einer echten Beziehung. Solange sie sich daran hielten, würde niemand verletzt werden oder sich beschweren können.

Das Ganze wäre eine Vereinbarung zwischen zwei nüchtern denkenden Erwachsenen. Und wenn Jess von ihrem Prinzip nicht abrückte, nichts mit Klienten anzufangen, würde er das tun, was ein nüchtern denkender, entschlossener Mann tun würde: Er würde sie verführen.

Total geschafft lenkte Jess nach dreizehn Stunden hinterm Steuer gegen zehn Uhr abends das Auto die Zufahrt von St Sylve entlang. Auf halber Strecke hatte sie entschieden, keinen Zwischenstopp zu machen. Erleichtert sah sie, dass bei Luke noch Licht brannte. Da er erst morgen mit ihr rechnete, hätte er ja auch weg sein können.

Auch wenn du todmüde bist, vergiss nicht, was du dir vorgenommen hast, ermahnte sie sich. Der enge Kontakt mit ihm in den nächsten Wochen stellte eine große Herausforderung dar. Aber sie durfte der starken Faszination, die er auf sie ausübte, nicht nachgeben. Gleich morgen würde sie sich mit ihm zusammensetzen und ein paar Regeln festlegen.

Sie war hier, um ihren Job zu erledigen. Küsse oder Zärtlichkeiten auszutauschen oder gar noch mehr würde auf gar keinen Fall dazugehören. Mit Werbekunden zu schlafen war unprofessionell. Wenn erst einmal Gefühle im Spiel waren, wurde so gut wie immer auch die Geschäftsbeziehung ruiniert. Außerdem entwickelte sich aus einer anfänglichen Anziehungskraft fast immer ein emotionales Gefühlswirrwarr. Was bei ihr leicht dazu führte, dass sie sich am Ende fühlte, als hätte sie ihr Herz einem hungrigen Wolf zum Fraß vorgeworfen.

Luke würde einfach verstehen müssen, dass er vielleicht über ihre Zeit verfügen konnte, jedoch nicht über ihren Körper. Auch wenn Letzterer, dieser verflixte Verräter, von ihrer Entscheidung nicht beeindruckt war.

Sie sah Luke die Haustür öffnen und parkte ihr Auto. Noch während sie den Sicherheitsgurt löste, sprintete er schon zum Wagen und öffnete ihr die Autotür. Sie lächelte ihn matt an und blinzelte wegen des hellen Lichts der Innenbeleuchtung. „Hallo.“

„Wann bist du denn von zu Hause aufgebrochen?“, fragte er grimmig und mit finsterem Blick, nachdem er sie einen Moment stumm betrachtet hatte.

Wenn das mal keine freundliche Begrüßung war. „Heute Morgen. Ist es ein Problem?“

„Verdammt richtig, das ist es. Du bist so lange unterwegs, ohne Bescheid zu geben? Hättest du einen Unfall gehabt … Wie hätte ich es erfahren? Du könntest in einem Straßengraben liegen, und ich würde weiterhin denken, dass du morgen eintriffst. Weiß irgendjemand von deiner Fahrt?“

„Nein, ich …“

„Das ist dumm und verantwortungslos. Ist dir klar, was einer Frau in Südafrika passieren kann, die allein unterwegs ist?“

„Dass sie sicher ankommt?“ Langsam reichte es ihr.

„Du hättest eine Reifenpanne haben können, einen Motorschaden …“

„Ich bin erwachsen und muss mich nicht wie ein Kind an- und abmelden“, erklärte Jess kühl, während sie ausstieg. „Weder hatte ich eine Reifenpanne noch einen Motorschaden. Ich bin da und hätte jetzt gern eine Tasse Tee, eine Dusche und ein Bett. Ist das machbar, oder musst du mich erst weiter anbrüllen?“

„Du würdest selbst die Geduld eines Engels auf eine harte Probe stellen.“

„Der du nicht bist.“ Jess holte die Reisetasche vom Rücksitz, und Luke nahm sie ihr ab. Unverzüglich streckte sie die Hand danach aus. „Ich kann sie selbst tragen.“

„Prima.“ Er ließ das Ding auf den Boden fallen. Diese Frau trieb ihn noch in den Wahnsinn.

Jess ergriff die Tasche, hängte sie sich über die Schulter und blickte zum Herrenhaus. „Keine Beleuchtung?“

„Ich habe dich erst morgen erwartet.“

Weshalb er den Strom noch nicht angedreht und auch nicht für warmes Wasser gesorgt hatte. Also würde er sie heute Nacht in seinem kleinen Gästezimmer unterbringen müssen, das zugleich als Lagerraum diente.

„Können wir vielleicht reingehen?“, fragte Jess mit einer Stimme, die so kühl war wie der Wind, der von den Bergen herüberwehte.

Luke deutete zum Haus und folgte ihr den Weg entlang. Als er bemerkte, dass ihre Schulter unter dem Gewicht der Tasche nachgab, widerstand er trotzdem dem Drang, sie ihr erneut abzunehmen. Warum war er eigentlich so wütend? Hatte es mit seinem Beschützerinstinkt zu tun?

Es war ihm nie wohl bei dem Gedanken gewesen, dass sie die ganze Strecke allein zurücklegen würde. Da sie aber vorgehabt hatte, einen Zwischenstopp zu machen, und somit nicht bei Dunkelheit unterwegs gewesen wäre, hatte er sich eingeredet, es wäre okay. Als er sie eben so erschöpft im Wagen erblickt hatte, war er im ersten Moment erleichtert gewesen. Danach war Ärger in ihm aufgestiegen. Es war schiere Dummheit, über die Bergpässe zu fahren, wenn man müde war.

War er denn verrückt? Erst wollte man jemanden beschützen. Als Nächstes empfand man demjenigen gegenüber Fürsorglichkeit, und dann war man nicht mehr weit von einem gefühlsmäßigen Engagement entfernt. Und daraus erwuchs Schmerz, wenn dieser Jemand einem den Rücken kehrte. Nein, einer solchen Situation wollte er sich nicht erneut aussetzen.

Also sieh zu, dass du Abstand zu dieser faszinierenden Frau hältst, forderte er sich auf. Vorhin hatte er noch beschlossen, Jess wenn nötig zu verführen, und er würde immer noch brennend gern mit ihr schlafen. Aber wenn sie für ihn jemand war, den er beschützen wollte, konnten sich daraus große Komplikationen entwickeln. War es das wert? Er hatte keine Ahnung.

Finster betrachtete er die attraktive Frau in den eng geschnittenen Jeans, die auf langen Beinen langsam vor ihm herging. Sie bewirkte, dass sein Blut viel schneller in den Adern pulsierte. Außerdem weckte sie seinen Beschützerinstinkt, obwohl sie sehr gut selbst auf sich aufpassen konnte. Aber das Schlimmste war sein Empfinden, dass sein Leben durch ihre Anwesenheit auf St Sylve wesentlich mehr Sinn ergab.

Du drehst allmählich durch, dachte er bei sich. Offenbar forderten all die Jahre nun ihren Tribut, in denen er kaum etwas anderes als harte Arbeit gekannt hatte. Er hörte Jess leise seufzen und beobachtete, wie sie sich die Tasche über die andere Schulter hängte. Ärgerlich über ihre Uneinsichtigkeit schloss er zu ihr auf und nahm ihr das Ding endlich ab.

Sie wollte protestieren, doch irgendetwas in seinem Gesichtsausdruck ließ sie schweigen. Prima. Er machte Fortschritte. Allerdings nur für zehn Sekunden. Denn als er die Tür geöffnet hatte und Jess bedeutete, einzutreten, erklärte sie ihm:

„Ich bin eine moderne, selbstständige Frau, die keinen Mann braucht, um ihr Gepäck zu tragen oder ihr einen Vortrag über Sicherheit zu halten.“

„Ja, ja. Geh einfach rein, und hör auf, mich zu nerven.“

4. KAPITEL

Früh am nächsten Morgen stand Luke mit Owen auf der Veranda seines Hauses und genoss mit dem Freund einen frisch gebrühten Kaffee.

„Es ist echt ein imposantes Gebäude.“ Owen nickte in Richtung des Herrenhauses.

„Ja. Meine Vorfahren waren wohl wild entschlossen, jedem zu zeigen, dass die Savages wichtig waren. Außer dass Jed ein Haus mit sieben Schlafzimmern nicht reichte. Weshalb er zusätzlich mein jetziges Haus als kleineres Gästehaus bauen ließ.“

Sein Vater hatte auch die Remise in Büros umfunktioniert. Er hatte sich einen Fitnessraum zugelegt, eine Sauna und einen Whirlpool. Ferner hatte er den Tennisplatz überholen lassen …

„Mit einem Kredit“, fügte Owen hinzu.

„Ja, mit Geld, das er nicht hatte und St Sylve nicht erwirtschaften konnte.“

Nach Jeds Tod hatte Luke sofort alles verkauft, was nicht niet- und nagelfest gewesen war. Bis auf das Familiensilber und die alten Möbel. Der Erlös hatte die Schulden nicht wesentlich verringert. Vermutlich hatte er mit dem Geld, das er inzwischen in das Weingut gepumpt hatte, das Anwesen schon zwei- oder dreimal selbst gekauft.

„Mein Vater war immer nur um sein Image besorgt. Solange nach außen alles perfekt schien, war er zufrieden. Manchmal würde ich gern zu ihm ins Jenseits reisen und ihn dafür noch nachträglich ohrfeigen.“

„Kann ich mitkommen?“

„Wohin?“, fragte Jess von der Türschwelle aus, und die beiden fuhren herum.

Luke spürte sofort, dass sein Puls bei ihrem Anblick direkt wieder schneller schlug. Sie trug ein Sweatshirt, Jeans und Stiefeletten und hatte kaum Make-up aufgelegt. Die Haare hatte sie lose zu einem Knoten gesteckt.

„Guten Morgen.“

Auch Owen begrüßte sie und verabschiedete sich nach kurzem Small Talk, um wieder an die Arbeit zurückzukehren. Was Luke eigentlich ebenfalls müsste. Doch er wollte sich noch nicht von Jess trennen. Es wäre schlechtes Benehmen, sie jetzt allein zu lassen, belog er sich.

„Wir sollten dein Zeug ins Herrenhaus bringen. Ich habe den Strom angedreht. Bis du heißes Wasser hast, wird es jedoch noch ein paar Stunden dauern.“

„Danke. Ums Gepäck kümmere ich mich später. Jetzt würde ich gern St Sylve erkunden, wenn es okay ist.“

„Klar. Ich führe dich herum. Was möchtest du sehen?“

„Alles.“

„Alles?“

„Die Kellerei und die Gebäude kenne ich. Ich möchte mir vor allem einen Überblick über die Ländereien verschaffen.“

„Gut.“

Luke ergriff Owens Kaffeebecher und stellte ihn zusammen mit seinem auf den Tisch in der Diele. Er nahm zwei dicke Jacken vom Türhaken, reichte Jess eine davon und streifte sich die andere über. Bevor er ihr schließlich nach draußen folgte, steckte er noch eine Mütze ein. Im Schatten der Berge konnte es schnell empfindlich kalt werden.

„Wenn du mitkommen möchtest … Ich muss nachschauen, wie weit die Leute mit dem Beschneiden der Weinstöcke sind, und die Reparaturarbeiten an einem Zaun muss ich auch noch kontrollieren.“ Er ging zu einem Geländemotorrad und stieg auf. „Wir müssen damit fahren, denn mein Wagen ist in der Inspektion. Willst du einen Helm?“

Jess schwang sich hinter ihn. „Nein. Aber eine eigene Maschine gerne.“

„Du kannst Motorrad fahren?“

„Ich habe vier ältere Brüder und kann unter anderem fischen, ein Lagerfeuer machen und einen Reifen wechseln.“

Er spürte ihre warmen Oberschenkel an seinen, ihre Brüste an seinem Rücken und ihre Hände an seinen Hüften. Verflixt, sie klang wie die perfekte Frau und fühlte sich auch so an. Das ist nicht gut, dachte er, während er den Motor startete.

„Übrigens, je schneller, desto besser!“

Lächelnd gab er Gas.

Es war schon Nachmittag, als Luke mit Jess zurückfuhr. Sie war inzwischen durchgefroren, da eine Kaltfront heraufgezogen war und der eisige Wind natürlich auch durch ihre Jacke drang. Fest presste sie eine Wange gegen Lukes Rücken und hätte die Hände gern unter seine Jacke geschoben. Aber dabei war ihr nicht wohl.

Als Luke plötzlich bremste und anhielt, blickte sie auf. Er drehte sich ein wenig zu ihr, nahm ihre Hände in seine und rieb sie. „Ich spüre, wie du zitterst. Entschuldige, ich hatte nicht vor, so lange hier draußen zu sein.“

„Wie lange werden wir noch bis zum Haus brauchen?“

„Etwa vierzig Minuten. Diese Kaltfront ist sehr schnell herangekommen.“ Er schaute zu den dunklen Wolken am Himmel. „Vielleicht werden wir auch noch nass.“

Jess zuckte die Schultern. „Dann sollten wir vorher so viel Land wie möglich gewinnen.“

Luke holte die Mütze aus der Tasche und zog sie ihr bis über die Ohren. Sein Gesicht war ihrem so nah, dass sie die Narbe in seiner linken Augenbraue sehen konnte. Und natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, ihn zu küssen. Was sie nur zu gern getan hätte …

Sie spürte seine kalten Finger auf der Haut, als er ihre Haare unter die Mütze schob. Hatte sie es sich bloß eingebildet, oder hatte er die Hand etwas länger als nötig an ihrer Wange gelassen?

„Selbst auf die Gefahr hin, dass du es missverstehst“, sagte er, als er sich wieder umdrehte. „Rück so dicht an mich heran, wie du kannst, und wärm deine Hände unter meiner Jacke. Die Temperatur fällt schnell.“

Kaum hatte sie seine Anweisungen befolgt, gab er wieder Gas. Und seine große Nähe wärmte sie gleich zweifach. Was auch bitter nötig war, denn kurze Zeit später fing es tatsächlich zu tröpfeln an.

Erst heute hatte sie so richtig erkannt, wie riesig das Anwesen war und wie groß die Verantwortung, die Luke trug. Er hatte eine kleine Kuhherde, deren Milch er an eine Molkerei lieferte. Außerdem exportierte er die Pflaumen und Zitrusfrüchte aus den Obstgärten und verkaufte die Oliven aus den Hainen an einen Betrieb in Franschhoek.

„Die Gelder bessern die Kasse von St Sylve auf“, hatte er ihr erzählt und ein „Dem Himmel sei Dank“ hinzugefügt.

„Ist die Kasse denn leer?“, hatte sie ironisch gefragt.

„Und wie.“

Warum St Sylve bei all den Einnahmequellen finanzielle Probleme hatte, war ihr schleierhaft. Selbst wenn der Wein sich nicht so gut verkaufte, müssten die Gewinne aus den übrigen Geschäften den Verlust doch wenigstens ansatzweise ausgleichen können.

Luke und St Sylve waren ihr ein Rätsel. Eigentlich sollte er genug Geld haben. Dem Anschein nach verdiente er sehr viel mit seiner Risikokapitalfirma. Wahrscheinlich pumpte er große Teile davon in das Gut. Aber warum war es nötig? Er hatte angedeutet, dass St Sylve in den roten Zahlen steckte. Wieso trug es sich nicht selbst?

Jess fluchte insgeheim, als es richtig zu regnen begann. Innerhalb von ein paar Minuten klebten die Jeans an ihren Beinen. Und natürlich liefen die eiskalten Tropfen ihren Hals entlang und durchnässten auch ihr Sweatshirt. Leise seufzte sie vor sich hin.

„Alles okay?“

Luke wusste, dass sie fror und nass wie ein begossener Pudel war. Sich zu beklagen würde nichts an der Situation ändern. „Ja. Nachher brauche ich allerdings unbedingt einen heißen Kaffee.“

„Da sind wir schon zwei.“

Luke war bereits beim zweiten Becher Kaffee, als Jess in Jeans und dunkelblauem Pulli in die Küche kam. „Kaffee?“, fragte er, während er ihn bereits einschenkte.

„Oh ja.“ Sie nahm den Becher in beide Hände und trank einen Schluck. „Himmlisch.“ Nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatte, trank sie genüsslich noch einen weiteren und seufzte. Dann lächelte sie, als sich ihre Blicke begegneten. „Das war eine Wahnsinnstour.“

„Es tut mir sehr leid, dass wir in dieses Unwetter geraten sind.“

Normalerweise achtete er immer darauf, ob sich etwas zusammenbraute. Aber er war viel zu sehr mit Jess beschäftigt gewesen. Wie sich ihr Körper an seinem anfühlte.

Um schneller zu Hause zu sein, war er vorhin nach Rücksprache mit ihr querfeldein und durch einen Bach gefahren. Sie war mit seinem Vorschlag sofort einverstanden gewesen. Überhaupt hatte sie ihn ziemlich beeindruckt. Nicht zuletzt weil sie sich kein einziges Mal darüber beschwert hatte, dass sie fror oder nass war.

„Mir sind schon ein paar gute Ideen für die Kampagne gekommen.“

„Möchtest du sie mir erzählen?“ Luke setzte sich zu ihr.

„Dafür ist es noch zu früh.“

„Dann sag mir, warum du für mich arbeiten willst.“ Nach dem, was zwischen ihnen passiert war, hatte er gedacht, sie würde ewig einen Groll gegen ihn hegen. „Warum bist du denn zu dem Briefing erschienen?“

Jess spielte mit dem Becher. „Die Kampagne ist Thema Nummer eins in meinen Kreisen gewesen. Ich bin ehrgeizig genug, um sie an Land ziehen zu wollen. Ein weiterer Grund ist mein Ruf in der Branche. Ich werde immer bekannter dafür, dass ich mich an Werbemaßnahmen für schwer zu rettende Marken versuche. Außerdem habe ich eine Schwäche für St Sylve.“

„Obwohl ich …“

„Obwohl du mich abgekanzelt, geküsst und dann gefeuert hast?“ Sie lächelte. „Was du gesagt hast, stimmte. Es war richtig, mich rauszuwerfen. Und der Ku… Das Ganze ist eine Ewigkeit her.“

Nur zu gern hätte er gehört, was sie zu dem Kuss hatte anmerken wollen. Dass er fantastisch gewesen war und sie ihn gern wiederholen würde? Dass sie sich im Bett super verstehen würden?

Luke stellte fest, dass sie ihren Blick auf seinen Mund gelenkt hatte. Erinnerte sie sich gerade an die Begegnung vor acht Jahren? Unwillkürlich schweiften seine Gedanken zurück zu jenem Nachmittag, und er spürte, wie ihm wohlige Schauer über den Rücken liefen.

Jess übte zweifellos immer noch eine ungebrochene Faszination auf ihn aus. Was bei näherer Betrachtung nicht so gut war. Er hatte nämlich immer mehr den Eindruck, dass sie seine emotionale Selbstgenügsamkeit gefährden konnte, wenn er nicht aufpasste. Dass sie eine Bedrohung für seine Entschlossenheit sein könnte, sich gefühlsmäßig nicht zu engagieren.

Ja, er würde brennend gern mit ihr schlafen. Aber wenn er sich selbst dadurch zu einem Gefangenen machte, war der Preis zu hoch. Deshalb sollte sie auch jetzt nicht bei ihm in der Küche sitzen und so entspannt und bezaubernd aussehen. Und viel zu verführerisch.

Schon stand er auf. „Ich muss in mein Arbeitszimmer.“

Jess hob eine Braue. „Ende der sonntäglichen Ruhepause?“

„Außer St Sylve muss ich noch ein anderes Unternehmen leiten. Jede Minute ist kostbar.“ Er deutete zum Kühlschrank. „Bedien dich, wenn du Hunger hast. Sobald sich das Wetter halbwegs beruhigt hat, helfe ich dir, deine Sachen ins Herrenhaus zu bringen. Im Wohnzimmer gibt es einen Fernseher oder …“

„Ich hole mir meinen Laptop und arbeite ebenfalls.“

Wie gern würde er etwas ganz anderes mit ihr machen. „Ruf mich, wenn du etwas brauchst.“

„Ich komme schon klar. Das tue ich immer.“

Als Jess vom Einkaufen zurückkehrte, staunte sie nicht schlecht, dass das Filmteam um ihren Lieblingsregisseur Sbu bereits da war. Normalerweise traf er mit seinen Leuten nie pünktlich ein.

Nicht dass sie geplant hatte, schon am zweiten Tag nach ihrer Ankunft einen Werbespot zu drehen. Aber da Owen gestern gesagt hatte, dass sie mit dem Beschneiden der Weinreben fast fertig seien, war Eile geboten. Sie wollte Aufnahmen von Luke bei der Arbeit haben, und das Szenario sollte echt sein.

Glücklicherweise hatte Sbu für heute keinen Termin gehabt. Eigentlich hatte er mit seinen Leuten Filmmaterial cutten wollen. Sie hatte ihn am Telefon bekniet, fast schon genötigt, herzukommen.

Jess stellte den Motor ab und lehnte sich noch eine Sekunde im Sitz zurück. Die nächsten Stunden würden nämlich der helle Wahnsinn werden. Sie brauchte einen Moment, um sich darauf vorzubereiten.

Gestern am späten Nachmittag hatte Luke ihr geholfen, das viele Gepäck in ihr Zuhause auf Zeit zu bringen. Sobald ihr Wagen ausgeräumt war, hatte er sich sofort wieder in sein Arbeitszimmer verabschiedet. Und seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Vermutlich werde ich ihn erst von sonst wo herholen müssen, dachte sie, während sie ausstieg. Sie nahm ihre Tüten, und als sie auf die Filmcrew zuging, stand Luke plötzlich bei Sbu und redete mit ihm. Aber was hatte er denn da an? Ein weißes Hemd und eine kakifarbene Hose. Darin konnte er unmöglich authentisch Weinreben beschneiden.

Höflich streckte er die Hand nach ihren Tüten aus, und Jess überließ sie ihm gern. Sie hatte nämlich kaum noch Gefühl in den Fingern, so viel hatte sie eingekauft.

„Hallo, Luke“, begrüßte sie ihn, bevor sie Sbu umarmte. „Schön, dass du da bist. Hast du mein grobes Storyboard bekommen?“

„Ja. Aber wenn nicht, wäre es auch nicht weiter tragisch. Du änderst das Drehbuch ohnehin immer noch mittendrin.“

„Zum Besseren.“

„Dem kann ich nicht widersprechen“, antwortete Sbu. „Können wir dann anfangen?“

„Gleich. Ich muss kurz die Einkäufe verstauen, und Luke muss sich umziehen.“

„Was stimmt denn mit den Klamotten nicht?“, fragte Becca, die Stylistin.

„Darin sieht er aus, als würde er den Winzer spielen, aber nicht wirklich einer sein.“

„Dem Himmel sei Dank“, sagte Luke leise.

„Es ist das legerste Outfit, das ich dabeihabe.“

„Sorry, Becca, ich äußere mich beim nächsten Mal klarer“, erwiderte Jess. „Luke hat bestimmt etwas Geeignetes in seinem Schrank.“

„Das wäre nicht passiert, wenn du ein Model engagiert hättest“, meinte Luke, als er hinter Jess die Treppe hinaufging.

„Doch, wäre es. Ich bin wahnsinnig detailorientiert und eine total nervige Agenturchefin, denn ich bin eine erbarmungslose Perfektionistin.“

„Und ein Kontrollfreak?“

„Zweifellos.“

„Es würde Spaß machen, zu beobachten, wie du mal die Kontrolle verlierst.“

Jess drehte sich um und ertappte ihn, wie er ihr aufs Hinterteil schaute. Er wirkte nicht im Mindesten zerknirscht. Und, verflixt, ihr gefiel sein anerkennender Blick. „Hast du vor, den ganzen Weg nach oben meinen Po zu betrachten?“

„Ja. Da er direkt vor meiner Nase ist, wäre es ein Verbrechen, es nicht zu tun. Willst du mich heute nur dabei filmen lassen, wie ich die Weinreben beschneide?“, fragte er, als sie weiterging.

„Nein, auch wie du einen Rundgang über das Gut machst und mit dem Motorrad im Gelände unterwegs bist.“

„Na wunderbar.“

Jess hob kurz ihr Kinn. In seinem Gesicht spiegelten sich Frustration, Ungeduld und überraschenderweise eine Spur Unsicherheit. Das konnte bloß damit zusammenhängen, dass er seine Komfortzone verließ und das Zepter ein wenig aus der Hand gab. „Wenn dir bei etwas nicht wohl ist, melde dich. Sbu und ich brauchen dich so natürlich und entspannt wie möglich. Ich werde mein Bestes tun, um dir die Sache zu erleichtern.“

Sie waren endlich oben angekommen, und Luke stieß die Tür zu seinem Schlafzimmer auf. Der helle Raum war in schönen Erdtönen gestaltet. Beigefarbene Vorhänge, ein cremefarben bezogenes Doppelbett …

Ihr Blick fiel auf das Bild darüber. Es zeigte die Weinberge von St Sylve, über denen Nebelschwaden hingen, und im Hintergrund waren mehrere Gebäude zu erahnen. Wie gebannt schaute sie es an. Es war ein echtes Kunstwerk, dessen Magie sie gefangen nahm. Sie war die Tochter eines Malers. Aber sie hatte es noch nie erlebt, dass ein Bild sie so tief berührte.

„Jess?“

„Das Bild ist fantastisch. Von wem stammt es?“

„Von meiner Mutter.“

„Deine Mutter war Malerin? Mein Dad malt ebenfalls. Ob sie sich wohl gekannt haben?“

„Das ist unwahrscheinlich.“

„Ich werde ihn trotzdem fragen“, erwiderte sie. „Sie starb, als du noch ein Kind warst, oder?“

„Ja. Ich war drei Jahre alt.“

„Erinnerst du dich an sie?“, erkundigte sie sich und meinte schon, er würde ihr nicht antworten, denn er schwieg eine Ewigkeit.

„Ich erinnere mich vage an lange dunkle Haare.“

„Hast du ihr Talent geerbt?“

„Nein. Was ist mit dir?“

„Nicht sein Können, aber seine Liebe zur Kunst.“ Jess blickte erneut zu dem Bild. „Hast du noch mehr Werke von ihr? Ich würde auf der Stelle eines kaufen.“

„Ich habe nur zwei. Dieses und das Bild im Wohnzimmer.“ Luke deutete zu einer Tür auf der Stirnseite des Zimmers. „Mein Wandschrank.“

Ende der Unterhaltung, dachte Jess seufzend und wandte sich zu dem begehbaren Schrank, in dem eine schreckliche Unordnung herrschte. Sie nahm eine Jeans heraus und betrachtete dann die Hemden. Entweder waren sie für einen Anzug bestimmt oder zu vornehm leger. Sie schob einen Bügel nach dem anderen beiseite und fand schließlich, wonach sie suchte. Ein langärmeliges grünschwarz kariertes Flanellhemd mit fehlendem Kragenknopf und halb abgerissener Brusttasche.

„Das ist uralt und kaputt. Ich habe es vor zwölf Jahren auf meiner Reise durch Alaska angehabt“, protestierte er, als sie es ihm reichte.

„Es ist genau das, was ich mir vorgestellt habe. Wo ist das grüne T-Shirt von neulich?“

„In irgendeinem Stapel.“ Luke lächelte, als sie die Stirn runzelte. „Ich schätze, in deinem Schrank herrscht penible Ordnung, und alle Teile sind nach Marke sortiert.“

Und nach ihrer Farbe. „Zieh dich um. Krempel die Ärmel auf, und trag deine üblichen Arbeitsboots.“

„Ja, Boss“, sagte er und verschwand Momente später mit seinen Sachen im Bad, das am anderen Ende des Wandschranks war.

Jess kehrte ins Schlafzimmer zurück. Auf einem Regal sah sie mehrere gerahmte Fotos. Eines zeigte Kendall, Owen und Luke total verdreckt nach einem Rugbyspiel. Auf einem anderen war ein älteres Ehepaar, das Arm in Arm auf der Veranda des Herrenhauses stand. Jess vermutete, dass es seine Großeltern waren, denn der Mann lächelte wie Luke. Die Frau auf dem Bild in dem schönsten Rahmen war zweifellos seine Mutter, denn sie schaute liebevoll zu dem kleinen Luke auf ihrem Arm.

Jess ließ den Blick über die anderen Fotos schweifen. Sein Vater scheint auf keinem zu sein, dachte sie, als sie Luke zurückkommen hörte, und drehte sich um. „Ja, das ist perfekt.“

„Gut. Ich ziehe mich nämlich nicht noch mal um.“ Er zupfte das Hemd zurecht. „Ich mag es und hatte es ganz vergessen.“

Vermutlich würde er noch einige „alte Schätze“ in dem Schrank finden. Aber das sollte sie besser nicht sagen und lieber das Thema wechseln. „Warum hast du eigentlich bei den Familienbildern kein Foto von deinem Vater?“

„Weil ich ihn nicht wirklich als zu meiner Familie gehörend betrachte“, erwiderte er schroff. „Können wir dann loslegen. Auf mich wartet nämlich noch wirkliche Arbeit.“

„Okay.“ Luke tat ihr leid. Offenbar hatte er nicht nur ohne Mutter aufwachsen müssen, sondern auch weitestgehend ohne Vater, wenn sie seine Antwort richtig deutete.

5. KAPITEL

Luke beobachtete, wie Jess sich von einer rotblonden Frau verabschiedete und ihr nachblickte, als diese davonfuhr. Schließlich wandte sie sich um und kehrte zum Herrenhaus zurück. Kurz schaute sie zu seinem Haus hin und schüttelte den Kopf. Sie würde nicht in seine Privatsphäre eindringen und sich auf einen Drink oder ein Essen einladen – oder gar zu einem Schäferstündchen.

Der Anflug eines Lächelns huschte über Lukes Gesicht. Fühl dich frei, in meine Privatsphäre einzudringen, vor allem wenn du mehr im Sinn hast. Aber sie verschwand in dem riesigen, düster wirkenden Herrenhaus, in dem er einst selbst viel Zeit allein verbracht hatte. An einem kalten Winterabend konnte dort eine bedrückende Atmosphäre herrschen. Nein, er wollte nicht, dass Jess heute in dem Haus allein war.

Oder wollte er vielleicht nicht allein sein? Es war ein verrückter Tag vor der Kamera gewesen, und jetzt wünschte er sich ein Stück Normalität. Ein warmes Essen, ein Glas Wein und Gesellschaft.

Bevor er es sich anders überlegte, streifte er die Jacke über und verließ das Haus. Draußen empfing ihn ein eisiger Wind. Plötzlich fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, beim offenen Kamin in Jess’ Wohnraum Holz zu stapeln. Wie gut, dass sie im Schlafzimmer einen Radiator hatte. Sein Vater hatte das Geld zwar immer mit vollen Händen ausgegeben, sich jedoch geweigert, eine Zentralheizung installieren zu lassen.

Luke ging die Stufen zur Hintertür hinauf und betrat die Küche. Kurz schaute er sich um. Der Teekessel gab ein lautes Pfeifen von sich, und in dem Becher daneben hing ein Teebeutel. Er schlenderte hinaus auf den Flur und blieb am Fuß der Treppe stehen, die früher fürs Personal gewesen war. Aber auch er hatte sie als Junge zumeist benutzt.

„Hallo.“

Er sah nach oben. Jess hatte sich aufs Geländer im ersten Stock gestützt. „Hallo. Ich wollte fragen, ob du mit mir zu Abend isst?“

„Was gibt’s denn?“

„Da du sicher wie eine Studentin im ersten Semester kochst, kannst du es dir nicht leisten, wählerisch zu sein. Komm runter, und warte es ab.“

„Okay.“ Lächelnd setzte sie sich aufs Geländer.

„Jess, nicht.“

Unwillkürlich stellte er sich ans untere Ende und streckte die Arme aus, als sie auf ihn zuglitt. Er fing sie auf und ging leicht in die Knie, um den Aufprall abzufedern. Und während sie hin und her schwankten und versuchten, das Gleichgewicht zurückzugewinnen, hielt er sie weiter fest.

Als er sie auf dem Boden absetzte, warf Jess den Kopf in den Nacken und strahlte ihn vergnügt an. Er blickte ihr in die Augen und tat das, was jeder leidenschaftliche Mann in diesem Moment getan hätte. Er küsste sie. Begierig und voller Hingabe.

Gleichzeitig drängte er sie gegen die Wand und schob das Knie zwischen ihre Oberschenkel. Sie fühlte sich unglaublich gut an. So weich und geschmeidig. Ob sie wohl immer noch Stringtangas trug? Schon ließ er die Hand hinten in den Bund ihrer Jeans gleiten. Jess’ warme Haut war so samtig, wie er sie in Erinnerung hatte. Ja, sie hatte auch jetzt einen an.

Was hatte sie bloß an sich, das in ihm in Sekundenschnelle ein brennendes Verlangen weckte? Er hatte noch hübschere Frauen als sie in den Armen gehalten, jedoch noch auf keine sofort dermaßen stark reagiert. Er wollte ihren sinnlichen Mund schmecken, ihr bezauberndes Lächeln sehen und das Leuchten in ihren braunen Augen. Und er wollte sie im Bett erleben.

„Ich will dich“, sagte er forsch dicht an ihren Lippen.

„Ich weiß“, erwiderte sie. „Aber es ist zu früh. Ich kann nicht …“

„Warum nicht?“ Er legte den Kopf zurück. „Wir sind zwei Erwachsene, die sich voneinander angezogen fühlen. Nichts wird sich ändern.“ Er merkte, wie sie sich verspannte.

„One-Night-Stands liegen mir nicht, Luke. Und wir müssen morgen wieder zusammenarbeiten. Diese Kampagne ist zu wichtig. Wir dürfen den Erfolg nicht gefährden, nur weil wir Lust aufeinander haben.“

„Ich würde es riskieren.“

Jess legte ihm die Hände auf die Brust. „Geh weg. Weiter“, fügte sie hinzu, als er nur einen Schritt zurückwich. „Ich brauche Raum zum Atmen.“

Zögerlich trat er beiseite und lehnte sich neben sie an die Wand. Diese Frau brachte ihn noch ins Grab. Er würde der erste Mensch sein, der an sexueller Frustration starb.

„Wie würdest du meine Rutschpartie bewerten?“, fragte sie gezwungen fröhlich, nachdem sie ein paar Sekunden geschwiegen hatten. „Auf einer Skala von eins bis zehn. Mit sieben? Oder acht?“

„Fünf. Sie war durchschnittlich.“

„Du kannst es wohl besser?“

„Viel besser.“

„Beweis es.“

Sie forderte ihn heraus? Er sollte wie ein kleiner Junge das Geländer hinunterrutschen? Luke verdrehte die Augen.

„Du bist ein feiges Huhn“, erklärte Jess und gackerte.

Er sollte es nicht einmal in Erwägung ziehen. Es war einfach kindisch. Wütend sah er sie an, als sie erneut gackerte. „Du hast so was wohl von deinen Brüdern gelernt, oder?“

„Von wem sonst? Wir hatten zu Hause eine lange Treppe, an deren Ende wir eine Matratze gelegt haben. Soll ich eine für dich holen?“

„Ich rutsche das verflixte Geländer nicht hinunter.“

Jess johlte. „Du hast schon mehrmals darüber nachgedacht. Mach es einfach. Zeig es mir, oder schleich dich.“

„Du bist ein freches Luder.“

Ein Mann konnte einer Herausforderung nicht endlos widerstehen. Er war sein Leben lang die Treppe hinaufgelaufen und sie auf dem Rückweg hinuntergerutscht. Zuletzt hatte er es ein paar Monate vor dem Tod seines Vaters getan.

„Ich bin ein feiges Huhn?“

Jess gackerte bestätigend.

„Also gut. Wenn ich mich deiner Herausforderung stelle, musst du dich meiner ebenfalls stellen.“

Autor

Fiona Hood Stewart
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