Romana Extra Band 95

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

IN DEN ARMEN DES FEURIGEN ITALIENERS von NANCY CALLAHAN

Auf Sebastiano Vannuccis Weingut im Herzen der Toskana lernt Caroline alles über den Geschmack von gutem Wein. Doch sein Herz will der feurige Italiener ihr nicht öffnen. Dabei sehnt Caroline sich schon bald nach seinen zärtlichen Küssen …

LIEBESZAUBER IM PARADIES von BRENDA JACKSON

Ein paar Tage nichts als Spaß und Entspannung! Darcy genießt ihren Urlaub auf Jamaika in vollen Zügen - bis York Ellis auftaucht und sich in ihr Leben einmischt. Sie kennt den sexy Sicherheitsexperten von früher, aber plötzlich entdeckt sie ganz neue Seiten an ihm …

DAS MEER, DER STRAND UND DU von ALLY BLAKE

Maggie möchte wieder das Meer sehen! Entschlossen beauftragt sie den attraktiven Tom Campbell, den kleinen Dschungel zwischen ihrem Ferienhaus und dem Strand zu lichten. Der Mann für alle Fälle schenkt ihr mehr als einen bezaubernden Blick auf den Ozean …

STÜRMISCHE BEGEGNUNG IN DER BRETAGNE von DANIELLE STEVENS

Samanthas Zukunft hängt an dem Rennpferd, das ihr Großvater ihr vererbt hat. Doch der Hengst wurde entführt. Sie verdächtigt den Züchter Thierry Longchamps. Als Stallbursche Sam getarnt will sie den sexy Franzosen überführen. Doch in seiner Nähe spielen ihre Gefühle verrückt …


  • Erscheinungstag 09.06.2020
  • Bandnummer 95
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747978
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nancy Callahan, Brenda Jackson, Ally Blake, Danielle Stevens

ROMANA EXTRA BAND 95

NANCY CALLAHAN

In den Armen des feurigen Italieners

Winzer Sebastiano Vannucci interessiert sich nur für seinen Wein. Nach einer bitteren Enttäuschung hat er den Frauen abgeschworen. Doch die schöne Caroline weckt in ihm ein vergessen geglaubtes Verlangen!

BRENDA JACKSON

Liebeszauber im Paradies

Ein gefährlicher Auftrag führt den Sicherheitsexperten York Ellis nach Jamaika. Ist die ahnungslose Darcy in den Fall verwickelt? York muss ihr Leben schützen – und ihren heißen Kurven widerstehen …

ALLY BLAKE

Das Meer, der Strand und du

In ihrem Strandhaus will Maggie nach einer Enttäuschung wieder zu sich finden. Meer, Strand und Sonne warten! Und ein zärtlicher Mann, der ihr zeigt, dass es für das Glück nicht zu spät ist …

DANIELLE STEVENS

Stürmische Begegnung in der Bretagne

Keine Frau auf seinem Gestüt! Das ist eine eiserne Regel für Thierry Longchamps. Mit dem neuen Stallburschen Sam kümmert er sich um ein wertvolles Rennpferd. Doch Sam verbirgt ein pikantes Geheimnis …

1. KAPITEL

Die Sonne stand hoch am sommerblauen Himmel, an dem sich nicht ein einziges Wölkchen zeigte. Caroline hatte Siena längst hinter sich gelassen und lenkte ihren roten Mini konzentriert nach Süden. Sie konnte es noch immer nicht fassen. Sie hatte es getan! Sie war in die Toskana gereist. Abenteuerlust, Glück und auch eine Wolke aus Traurigkeit wirbelten gleichzeitig in ihrem Herzen durcheinander und ließen es so schnell pochen, als wäre sie auf ihrer Joggingrunde unterwegs.

Die warme Luft roch würzig und verheißungsvoll – ganz anders als der schwere Londoner Stadtdunst. Caroline hatte sich all das hier immer und immer wieder erträumt und es sich vorgestellt und doch war es nur eine Ahnung von dem gewesen, was sie nun erlebte.

Sie hatte das Fenster auf der Fahrerseite geöffnet und genoss den lauen Wind auf ihrer Haut. Ein kleines Stück wollte sie noch weiter Richtung Küste fahren und etwas von der Gegend sehen, die so fremd für sie war und sich dennoch so vertraut anfühlte. Irgendwo unterwegs würde sie sich dann ein Zimmer suchen und so schnell wie möglich auch einen Job, ihre Reisekasse war nicht üppig. Vielleicht fand sie ja direkt beides – Job und Unterkunft. Das wäre natürlich das Beste.

Zypressen säumten über weite Strecken die Straße rechts und links und immer wieder entdeckte Caroline die für die Toskana typischen Steinhäuser mit den roten Ziegeldächern. Sie stellte sich vor, dass sich in diesen Häusern charakteristische Familienszenen abspielten, und wünschte sich, dabei sein zu können, dazuzugehören. Allerdings war sie hier fremd und musste erst Anschluss finden.

Vorbei an Weideflächen und Weizenfeldern führte ihr Weg, Caroline mochte alles, was sie entdeckte, vor allem aber bewunderte sie die Weinberge. Weinstöcke über Weinstöcke – so weit ihr Blick reichte, erstreckten sich die Rebstockreihen über die hügelige Landschaft. Es wirkte so akkurat, als hätte jemand die Reihen mit einem Lineal gezogen.

Natürlich hatte Lynn ihr das alles intensiv beschrieben, sie hatte ihr von den Farben und dem Duft der Toskana vorgeschwärmt und vom Gefühl, den warmen Wind auf der Haut zu spüren. Mit verträumtem Blick hatte ihre Schwester sich an die Zeit erinnert, die sie in Italien verbracht hatte, als sie klein und blass in ihrem Bett lag. Caroline hatte im Schneidersitz am Fußende gesessen und Lynns Worten gelauscht. Sie hatte sich alles ausgemalt, war in ihrer Fantasie gemeinsam mit Lynn durch die Toskana gestreift. Später hatte sie aus der Bibliothek Bildbände nach Hause geschleppt und die Fotografien von dieser zauberhaften Landschaft bewundert.

Aber mit dieser wundervollen Realität konnte ihre Vorstellungskraft nicht mithalten. Alles wirkte viel intensiver, als sie es sich ausgemalt hatte.

Carolines Blick streifte einen Abschnitt mit Reben. Sie war beeindruckt, wie exakt im immer gleichen Abstand die Stöcke gesetzt waren. Reihe für Reihe standen die Reben perfekt ausgerichtet. Die Trauben hingen im vollen Saft an den Stöcken – bald würde die Lesezeit beginnen. Genau das war ihre Hoffnung. Auch wenn sie es selbst noch nie miterlebt hatte, wusste Caroline, dass die Weinlese sehr arbeitsintensiv war und dass dabei jede Hand gebraucht wurde. Bestimmt würde sie einen Winzer finden, der sie einstellte. Sie klammerte sich an diese Hoffnung, denn einen Plan B hatte sie nicht. Obwohl sie normalerweise ein großes Sicherheitsbedürfnis hatte, setzte sie bei dieser Reise alles auf eine Karte.

Hatte sie erst einmal Kontakt geknüpft, könnte sie vielleicht sogar ein wenig länger auf einem Weingut bleiben und dort mitarbeiten, wo sie eben gebraucht wurde. Sie lernte schnell und war sich auch für niedere Arbeiten nicht zu schade, trotz ihres Abschlusses als geprüfte und vereidigte Dolmetscherin für Italienisch und Französisch. Sie setzte auf ihr Glück und auf die persönliche Begegnung.

Es wäre ihr tausendmal lieber gewesen, die Reise etwas geplanter und weniger abenteuerlich und ungewiss zu unternehmen, das war ihr jedoch nicht gelungen. Letztlich war der Wunsch, die Toskana kennenzulernen, größer gewesen als ihre Angst vor dem Ungewissen. Sie hatte es vorab von England aus bei zwei Weingütern mit einer schriftlichen Bewerbung versucht, doch leider ohne Erfolg.

An Lynns Kontakte von früher konnte sie nicht anknüpfen. Die Gasteltern, bei denen Lynn ihre Schüleraustauschzeit verbracht hatte, waren inzwischen verstorben, und die Tochter lebte seit einigen Jahren in den USA. Das Haus war verkauft worden. Also hatte sie sich entschlossen, es darauf ankommen zu lassen, auch wenn sie eigentlich so gar nicht der Typ für derartige Abenteuer war.

Schnell schob sie den Gedanken beiseite. Sie wollte sich nicht in Panik hineinsteigern – und das würde unweigerlich geschehen, wenn sie über die Ungewissheit ihrer Reise nachdachte. Sie hatte nun mal beschlossen, das Risiko einzugehen, und nun würde sie es durchziehen. Irgendwo würde sie ganz sicher einen Platz zum Schlafen finden und wenn nicht sofort, dann sicher im Laufe der nächsten Tage auch einen Arbeitsplatz.

Kurz dachte sie an Jonathan. Der würde staunen, wenn er von ihrer spontanen Reise wüsste. Immerhin hatte er ihr vorgeworfen, sie sei langweilig und spießig, nur weil sie ihre Unterwäsche nach Farben sortiert und ordentlich zusammengelegt aufbewahrte.

Nein. Sie schüttelte über sich selbst und über diese Rückblende den Kopf. Die Unterwäsche war nur eines von vielen Dingen, über die sie sich uneinig gewesen waren, und Jonathan war nun wirklich vollkommen unwichtig. Sie fragte sich, was er überhaupt in ihren Gedanken zu suchen hatte. Sollte er sie ruhig für langweilig halten. Das mit ihm war drei Jahre her und hatte keinerlei Bedeutung mehr. Ihr Herz, das Jonathan kaltblütig entzweigerissen hatte, war schon lange verheilt und kein Mann würde je wieder die Chance bekommen, ihr derart wehzutun.

Entschlossen konzentrierte Caroline sich auf die Landschaft, durch die sie fuhr. Auf die Bilder, die sich ihr präsentierten, die Gerüche, die durch das offene Fenster zu ihr in den Wagen wehten, die Sonne auf ihrer Haut, die Klänge der Natur und die Melodie der Sprache, die in ihren Ohren wie Musik klang und ihr das Gefühl von Lebensfreude vermittelte.

Gerade fuhr sie an einer Frau mit ihrem Sohn vorbei und schnappte ein paar Satzfetzen auf. Die Mutter hielt dem Jungen offenbar eine Strafpredigt, weil er mit zerrissener Hose vor ihr stand. Doch sogar im Vorbeifahren sah Caroline das Strahlen, das auf dem Gesicht des Jungen lag. Offensichtlich war sein Abenteuer das Geschimpfe der Mutter wert gewesen. Im Rückspiegel sah sie, wie die Frau ihren Sohn erst am Ohr zog und ihn dann in die Arme nahm und sein Gesicht abküsste. Der Junge verzog das Gesicht, ergab sich aber dem mütterlichen Gefühlsausbruch.

Unwillkürlich musste Caroline lächeln. Diese Szene wirkte so liebevoll und lebendig, so hatte sie sich Italien vorgestellt. Wunderschön, mit lautem, überschäumendem Leben und voller Herzlichkeit. So ganz auf sich allein gestellt in diesem fremden Land spürte sie jedoch gleichzeitig schmerzhaft den Stich der Einsamkeit. Aber sofort schob sie dieses Gefühl energisch beiseite. Sie war nicht allein. Sie hatte Lynn im Herzen bei sich. Immer!

Gerne hätte sie angehalten und den Jungen nach seinem Abenteuer gefragt – doch natürlich tat sie es nicht. Stattdessen dachte sie über die vielen Empfindungen nach, die sie überfluteten. All ihre Sinne waren auf Empfang gestellt. Ein leises Knurren ihres Magens erinnerte sie daran, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Sie würde sich eine Trattoria suchen, sobald sie ein Zimmer hatte.

Auf den Geschmack der Toskana freute sie sich ganz besonders – Caroline liebte italienisches Essen, genau wie Lynn es getan hatte. Hier vor Ort würde es bestimmt um ein Vielfaches besser schmecken als alles, was sie in England gekostet hatte. Spaghetti Frutti de Mare – der Gedanke daran genügte, um ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Oliven, Antipasti, Käse …

Das Knurren ihres Magens wurde lauter, die Vorfreude auf kulinarische Genüsse nahm zu. Aber auch alles andere, was auf sie einströmte, begeisterte Caroline. Diese Reise schenkte ihr jetzt schon, ganz am Anfang, eine Flut von Eindrücken. Sie wollte alles bewusst aufnehmen – für sich selbst genauso wie für Lynn.

Ihr Blick schweifte über die Hänge rechts und links der Straße. Immer wieder wurde die strenge Geometrie der Weinberge von Olivenhainen und Weideflächen für Ziegen, Schafe, Pferde und Esel unterbrochen. Auch Waldstücke mit großen Eichen, üppigen Kastanienbäumen und Pinien entdeckte sie.

Am Waldrand, oberhalb der Rebstöcke, sah Caroline einen Mann, der mit seinem Hund zwischen den Bäumen umherstreifte. Ihr Blick blieb an den beiden hängen. Sie fühlte sich magisch von der Szene angezogen und ihr Herz machte einen kleinen Satz. Der Mann war groß und breitschultrig. Er hatte dunkles Haar und ein markantes Gesicht. Soweit sie das auf die Entfernung erkannte, war er überaus attraktiv. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig. Ein feuriger Italiener, der wie aus einem Film entsprungen wirkte. Er hatte etwas an sich, das sie auf Anhieb faszinierte, obwohl sie gar nicht sagen konnte, was genau es war.

Der Hund des Mannes war mittelgroß. Ein Lagotto Romagnolo, wenn sie sich nicht irrte. Sie hatte im Zusammenhang mit Trüffeln in der Toskana von dieser Rasse gelesen. Das Tier hatte hellbraunes, lockiges Fell mit ein paar hellen Stellen. Caroline musste unwillkürlich lächeln, als sie ein braunes und ein weißes Ohr entdeckte. Und auch das rechte Vorderbein leuchtete weiß, wohingegen die anderen Beine braun waren. Allein wegen der Fellzeichnung wirkte der Hund fröhlich und sein Verhalten unterstützte diesen Eindruck.

Das Tier war offenbar noch jung, denn es sprang immer wieder übermütig herum. Jetzt lief der Hund vor dem Mann her und um die Bäume herum. Er hatte die Schnauze dicht am Boden und wedelte vergnügt mit dem Schwanz. Er schien etwas zu suchen – Trüffel, vermutete Caroline, war sich jedoch nicht sicher. An einer Stelle schnüffelte er intensiver, suchend lief er ein Stück weiter, kam dann aber wieder zu der Stelle zurück, die offensichtlich besonders gut duftete. Hier blieb er stehen und sah seinen Herrn auffordernd an. Der Mann bückte sich. Er schien etwas auszugraben, Caroline konnte es nicht genau erkennen, da eine Eiche ihr kurz den Blick versperrte. Doch gleich darauf tätschelte der Mann seinen Hund und lobte ihn ausgiebig.

Der liebevolle Umgang, den der Mann mit seinem Tier pflegte, berührte sie. Das Lob schien den Vierbeiner anzuspornen. Kaum hatte der Racker seine Belohnung bekommen, senkte er sogleich wieder die Nase auf den Boden und das Spiel begann von Neuem.

Die kleine Szene nahm Caroline so gefangen, dass sie abgelenkt war und Probleme hatte, die Fahrspur zu halten. Sie konnte auch nicht einfach weiterfahren, diese Szene vergessen und sich auf die Landschaft konzentrieren. Kurz entschlossen lenkte sie ihren Wagen in eine Haltebucht, um dem Treiben des Mannes mit seinem Hund weiter zusehen zu können.

Ob die beiden wohl tatsächlich auf der Jagd nach den heiß begehrten Trüffeln waren? Lynn hatte ihr von den Trifulau erzählt, von den Trüffeljägern, und vom Konkurrenzkampf um die besten Trüffelreviere. Ihr Wissen gaben die Trüffelsucher niemals Fremden gegenüber preis, es wurde nur innerhalb der Familien weitergereicht. Um gute Fundplätze wurde immer ein großes Geheimnis gemacht.

Lynn hatte ihr erzählt, dass die Trüffelsucher oft weite Umwege in Kauf nahmen, nur um etwaige Spione abzuhängen. Sehr geheimnisvoll benahm sich der Mann dort oben mit seinem Suchhund jedoch nicht. Vielleicht sammelte er ja auch nur Kastanien. Allerdings müsste er Maroni wohl kaum von seinem Hund suchen lassen, die lagen ja offen herum. Caroline war sich nicht sicher, ob sie einen Spaten, wie er zum Trüffelausgraben verwendet wurde, in seiner Hand gesehen hatte.

Dieses kurze Zwischenspiel berührte sie und trieb ihr Tränen in die Augen. Es war, als könne sie Lynns Stimme hören, die mit ihren Erzählungen die Bilder der Toskana für sie hatte lebendig werden lassen. Plötzlich war ihr klar, dass sie an ihrem Ziel angelangt war – auch wenn sie noch keine Ahnung hatte, wo sie bleiben würde. Hier in dieser Gegend konnte sie Lynn so stark spüren, als wäre sie bei ihr. Caroline wusste instinktiv, dass sie angekommen war. Sie war außerdem nicht weit von dem Dorf entfernt, in dem Lynn während ihrer Austauschzeit gewohnt hatte.

Das also war die Landschaft, die das Herz ihrer Schwester im Sturm erobert hatte. Hier hatte sie die glücklichste Zeit ihres viel zu kurzen Lebens verbracht. Hier hatte sie mit den Menschen gelebt und gelacht. Sie hatte Trauben gelesen, Trüffel gesucht und ihre Liebe zum Gärtnern entwickelt – besonders zum Anbau von Tomaten und Kräutern. Lynn hatte nach ihrer Rückkehr nach England sogar angefangen, auf ihrem kleinen Balkon in Cambridge Tomaten anzubauen – allerdings mit mäßigem Erfolg. Das Aroma reichte nicht an die sonnengereiften Tomaten der Toskana heran. Trotzdem war Lynn stolz auf ihre Schüssel Tomaten aus eigener Ernte gewesen.

Beim Gedanken an ihre tote Schwester hatte Caroline einen Kloß im Hals. Ach, Lynn, dachte sie, wie gern hätte ich diese Reise mit dir gemeinsam unternommen. Das Schicksal war jedoch unerbittlich gewesen. All die Hoffnung, all die Kämpfe und Lynns Lebenswillen hatten am Ende nicht geholfen. Entschlossen schluckte Caroline die aufsteigenden Tränen hinunter. Lynn hätte gewollt, dass sie die Reise genoss und nicht inmitten all dieser Schönheit traurigen Gedanken nachhing.

Erschöpft wischte Caroline sich über die Augen. Das Fahren auf der rechten Fahrbahnseite strengte sie sehr an, wobei die Straßen hier in der Toskana oft so schmal waren, dass es ohnehin nur eine Spur gab – was die Sache allerdings nicht einfacher machte. Sobald sie intuitiv reagierte, steuerte sie aus Gewohnheit nach links und lief Gefahr, dadurch einen Unfall zu verursachen. Die Italiener mit ihrem rasanten Fahrstil strapazierten ihre Nerven zusätzlich. Sie war froh, dass sie nun in der Haltebucht stand und sich einen Moment entspannen konnte, bevor sie sich wieder auf das Fahren konzentrieren musste.

Ihr Blick glitt erneut den Hügel hinauf zum Waldrand. Der Mann strahlte etwas aus, das sie berührte. Er weckte eine Sehnsucht in ihr, die sie sich nicht erklären konnte. Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihn einfach angesprochen. Sie wollte hören, wie seine Stimme klang, wenn er mit ihr sprach.

Gerade suchte er an einer von seinem Hund angezeigten Stelle, da klingelte sein Telefon. Es folgte ein kurzer energischer Wortschwall, von dem Caroline nur die Tonlage wahrnahm. Sie war zu weit weg, um die Worte zu verstehen. Er klang auf alle Fälle nicht erfreut. Als der Mann das Telefon wieder einsteckte, fluchte er lautstark, das verstand sie, auch ohne den Inhalt erfassen zu können. Vermutlich hatte er etwas wie mannaggia gesagt. Was ihn wohl derart verärgert hatte? Im nächsten Moment pfiff er nach seinem Hund und stapfte mit großen Schritten zwischen den Rebstöcken hindurch direkt auf sie zu.

Erschrocken holte Caroline Luft. Hatte er sie entdeckt und wollte sie zur Rede stellen? Vielleicht dachte er, dass sie ihm hinterherschnüffelte, um seine guten Trüffelplätze auszuspionieren. Lynn hatte ihr erzählt, dass es manchmal zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Konkurrenten kam.

Vor Aufregung purzelten die italienischen Worte in Carolines Kopf durcheinander, sie konnte keinen vernünftigen Satz formulieren – und das, obwohl sie eigentlich fließend Italienisch sprach. Sie kniff die Augen zusammen und wartete darauf, dass ihre Autotür aufgerissen wurde – doch nichts geschah. Die Sekunden vergingen und alles blieb ruhig.

Erstaunt blinzelte sie und sah, wie der Mann auf einen Pick-up zuging, der ein Stück weiter vorn hinter einer Zypresse geparkt war. Der Wagen war ihr vorher gar nicht aufgefallen. Erleichtert atmete sie durch, als ihr klar wurde, dass er gar nichts von ihr wollte. Im gleichen Moment musste sie über sich selbst und über ihre ausufernde Fantasie lachen.

Jetzt konnte sie den Mann etwas genauer betrachten. Ihr erster Eindruck hatte sie nicht getäuscht. Er sah wirklich enorm gut aus. Maskulin, markant, jedoch nicht derb. Seine Gesichtszüge zeugten von Stolz und Stärke, gleichzeitig aber auch von hoher Verletzlichkeit. Er wirkte wie ein Mann, von dem sich eine Frau gern in den Arm nehmen und halten ließ.

Caroline fühlte sich unwillkürlich zu ihm hingezogen und stellte sich vor, wie es wäre, seine starken Arme um ihren Körper gelegt zu fühlen. Sie würde sich an seine Brust lehnen und die Geborgenheit genießen, die er auf sie übertragen würde. Und sie würde seinen männlichen Duft einatmen. Wie er wohl küsste?

Jetzt musste sie doch lachen. Wo kamen nur solch alberne Gedanken her? Färbte der lockere italienische Lebensstil etwa schon auf sie ab? Dabei war sie gerade erst angekommen – und das noch nicht einmal richtig. Und sie war nicht auf der Suche nach Amore! Dennoch – der Mann wirkte so sympathisch, dass Caroline überlegte, ob sie ihn einfach ansprechen sollte. Vielleicht hatte er eine Empfehlung für ein günstiges Zimmer für sie oder wusste sogar jemanden, der eine Hilfskraft suchte. Gerade half er seinem Hund auf die Ladefläche und tätschelte ihm die Seite. Jemand der mit seinem Tier so liebevoll umging, konnte kein schlechter Mensch sein. Bestimmt würde er ihr helfen.

Sie hatte die Hand am Türgriff und legte sich in Gedanken die Worte zurecht, damit sie sich vor Unsicherheit nicht zu sehr verhaspelte – da stieg ihr vermeintlicher Retter auch schon in seinen Wagen und warf lautstark die Tür zu. Jetzt durfte sie nicht trödeln, sonst war ihre Chance vertan. Schnell sprang Caroline aus ihrem Mini und winkte, damit der Mann, von dem sie immer stärker das Gefühl hatte, er könnte ihre Rettung sein, nicht davonbrauste.

Signore, entschuldigen Sie bitte! Warten Sie, ich habe eine Frage“, rief sie und lief zu ihm hinüber. Erst dachte sie, er würde sie nicht hören und wegfahren, doch dann drehte er sich um und sah ihr mit dunkel funkelnden Augen entgegen. Die Augenbrauen hatte er zusammengezogen. Er sah tatsächlich unfassbar gut aus, auch aus der Nähe, aber gleichzeitig irgendwie zornig und gefährlich. Eine Mischung, die ihr die Knie weich werden ließ.

„Was ist?“, zischte er.

Seine Worte klangen nicht nach einer Einladung zu einem höflichen Gespräch, ganz im Gegenteil. Er machte mit seinem Blick und dem harten Tonfall unmissverständlich klar, dass sie ihn störte. Trotz der wärmenden Sonne auf ihrer Haut lief ein kalter Schauer über Carolines Rücken. So hatte sie sich die italienische Herzlichkeit nicht vorgestellt. Von der Warmherzigkeit, die sie bei ihm erwartet hatte, war nichts zu spüren.

Unwillkürlich duckte sie sich und trat einen Schritt zurück, um mehr Abstand zwischen sich und den Wagen zu bekommen. Der Blick des Mannes machte sie so nervös, dass sie den Mut verlor. Er würde ihr sicher nicht helfen, das war eine dumme Idee gewesen. Plötzlich kam sie sich naiv und albern vor.

„Nichts. Scusi Signore. Es ist nichts.“ Sie hob entschuldigend die Schultern und schüttelte den Kopf. Er musste sie für zurückgeblieben oder verwirrt halten, aber das konnte sie jetzt nicht ändern. Italien, das Land der Gastfreundschaft und der offenen Herzlichkeit, hatte sich entschlossen, ihr sein kaltes und abweisendes Gesicht zu zeigen. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen einfach loszufahren, ohne vorherige Buchung, ohne Kontakte und ohne ausreichend Geld in der Tasche. Jetzt war es allerdings zu spät.

Der Mann, in den sie gerade noch ihre ganze Hoffnung gesetzt hatte, musterte sie kurz, schüttelte missbilligend den Kopf und trat dann ohne ein weiteres Wort das Gaspedal durch. Caroline stand mit hängenden Armen da und sah dem Pick-up nach, der auf die Straße einbog und in die Richtung davonbrauste, in der sie selbst unterwegs war. Der Hund lag auf der offenen Ladefläche, seine Ohren wehten im Fahrtwind.

Wieso hatte sie nichts gesagt? Wieso hatte sie nicht den Mut gehabt, den Mann nach einem Zimmer zu fragen? Oder nach einem Weingut, das Mitarbeiter einstellte? All ihr Gegrübel half ihr jedoch nicht weiter, sie hatte ihre Chance vertan. Vielleicht hatte sie sich überschätzt und war dieser Reise doch nicht gewachsen, so ganz auf sich allein gestellt und ohne jede Absicherung. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden gesetzt und geweint, aber das würde an der Situation auch nichts ändern. Ihr bleib nichts übrig, als stark zu sein.

Caroline beschloss, sich noch ein wenig auszuruhen. Sie musste ihren Nerven eine Pause gönnen, bevor sie sich erneut in den Rechtsverkehr stürzte. Erschöpft ging sie zu ihrem Mini zurück, stieg ein, legte den Kopf an die Nackenstütze und schloss die Augen. Sie fühlte sich ausgelaugt und hoffnungslos. Bleierne Müdigkeit erfasste sie.

Als sie die Augen wieder öffnete, stellte sie fest, dass sie tatsächlich eine halbe Stunde geschlafen hatte. Sie gähnte und streckte sich. Das Nickerchen hatte ihr gutgetan. Nach einem großen Schluck Wasser und ein paar Spritzer davon ins Gesicht, um ihre Lebensgeister zu wecken, fühlte sie sich bereit zur Weiterfahrt.

2. KAPITEL

„Maledetto“, schimpfte Sebastiano leise vor sich hin und schaltete etwas grober, als er es normalerweise tat. Das Getriebe krachte, als er den dritten Gang unsanft hineindrückte. Der Nachmittag hätte so angenehm werden können – aber die Götter schienen sich gegen ihn verschworen zu haben. Erst der verflixte Anruf von Emilia und dann auch noch eine verrückte Touristin. Eine sehr bezaubernde verrückte Touristin zwar, doch sie hatte absolut den falschen Moment erwischt. Er war gerade viel zu wütend, um freundlich sein zu können.

Wieso hielt sie ihn überhaupt erst auf und tat dann so, als wäre es ein Versehen? Mehr noch! Sie hatte ihn angesehen, als wäre er ein Monster, das sich im nächsten Augenblick auf sie stürzen könnte. Dabei hatte sie doch ihm hinterhergerufen und war zu ihm gekommen und nicht umgekehrt.

Frauen! Wann immer es in seinem Leben holperte, konnte er sicher sein, dass eine Frau ihre Hand im Spiel hatte. Er wusste genau, weshalb er nach dem Desaster mit Alessia beschlossen hatte, Single zu bleiben – das war eindeutig besser für seine Nerven und machte das Leben sehr viel einfacher. Trotzdem hatte dieses zarte blonde Wesen eben ihn durchaus gerührt, wie es so verloren und mit hängenden Schultern in der Haltebucht gestanden und ihm hinterhergesehen hatte.

War er vielleicht doch zu grob gewesen? Ob sie Hilfe brauchte? Aber dann hätte sie es ja sagen können. Und überhaupt, was machte er sich denn Gedanken um eine fremde Frau? Er hatte wahrlich genug eigene Probleme. Schließlich war er kein Ritter, der durch die Gegend ritt und hilflose Frauen aus der Not rettete. Auch nicht, wenn sie aussahen, als wären sie ein vom Himmel gefallener Engel.

Sebastiano ärgerte sich, dass er nicht nachgefragt hatte. Und er ärgerte sich darüber, dass er sich darüber ärgerte. Diese Fremde ging ihn schließlich nichts an, er hatte genug mit seinem eigenen Leben zu tun. Doch seine Gedanken blieben von all seinem Ärger vollkommen unberührt und gingen ihre eigenen Wege. Wie unglaublich hübsch sie gewesen war. Diese langen blonden Haare, die helle Haut und dieser weiche Mund. In ihren blauen Augen hatte sich der Himmel gespiegelt.

Alles an ihr hatte zart, ja beinahe zerbrechlich gewirkt. Doch trotz aller Schüchternheit hatte er in ihrem Blick einen starken Willen entdeckt. Er war ziemlich sicher, dass sie oft unterschätzt wurde, weil sie so zierlich wirkte. Wie sie wohl aussah, wenn sie lachte?

Ungläubig schüttelte Sebastiano den Kopf über sich. Was machte er sich Gedanken über eine wildfremde Frau, die er nie im Leben wiedersehen würde? Sie war nicht verletzt gewesen und hatte auch sonst nicht hilflos gewirkt. Sie würde schon zurechtkommen, beruhigte er sein schlechtes Gewissen, das ihm wiederholt vorwarf, er sei reichlich unhöflich gewesen.

Sebastiano bremste ab und bog auf die Privatstraße ein, die zum Haupthaus des Weingutes führte. Der Kies knirschte unter den Rädern, als er den Pick-up schnell aber sicher die kurvige Straße bergauf steuerte und weiter vor sich hin fluchte. Er ärgerte sich mächtig über die unliebsame Trainingsunterbrechung – ausgerechnet jetzt.

Pino war von Anfang an sehr vielversprechend gewesen und mit Feuereifer bei den Übungen dabei. Wenn sie noch eine Weile trainierten, würde aus dem etwas übereifrigen Junghund einmal ein Trüffelspürhund der Spitzenklasse werden. Was natürlich nicht verwunderlich war, denn er hatte den Welpen beim besten Züchter der Toskana gekauft und der Lagotto Romagnolo brachte von Natur aus eine besondere Begabung für den Einsatz bei der Trüffelsuche mit. Dementsprechend ließen die Züchter sich die Tiere auch bezahlen.

Pino jedenfalls war jeden Cent wert, nicht nur, weil er heute sein Talent beeindruckend unter Beweis gestellt hatte, sondern auch, weil er ein Traumtier mit einem sehr freundlichen und fröhlichen Gemüt war und sich insgesamt extrem lernfreudig zeigte. Sebastiano konnte sich nicht erinnern, je einen Hund gehabt zu haben, der mit nur vier Monaten in seiner Ausbildung schon so weit gekommen war, und das nicht nur in Bezug auf die Trüffelsuche.

Pino forderte es geradezu ein, neue Tricks lernen zu dürfen. Die Grundkommandos wie Sitz, Platz oder Bleib hatte er bereits nach zwei Tagen zuverlässig beherrscht. Inzwischen dachte Sebastiano sich Spiele aus, die den Hund forderten. Er warf drei Spielzeuge gleichzeitig und nannte dann dasjenige, das Pino bringen sollte – kein Problem, für diesen schlauen Kerl.

Natürlich standen Suchspiele ganz oben auf dem Trainingsprogramm. Und nun die Überraschung heute. Pino hatte einen deutlichen Entwicklungssprung gemacht und nicht nur die von Sebastiano versteckten Übungstrüffel gefunden, sondern tatsächlich auch die ersten echten wild gewachsenen Trüffel. Ohne die Unterbrechung wäre er vermutlich im Anschluss an die Übung mit Pino in sein geheimes Trüffelrevier gefahren und hätte ihn dort das Abendessen suchen lassen. Nach allem was Pino bisher gezeigt hatte, wäre das ein üppiges Mahl geworden.

Doch all das war nur ein Teil der Wahrheit. Abgesehen von Pinos Ausbildung war Sebastiano sehr bewusst ausgerechnet heute in den Wald gegangen. Er wollte der englischen Reisegruppe aus dem Weg gehen, die sich für den Nachmittag zur Weinverkostung angemeldet hatte. Das hatte nun allerdings nicht mal ansatzweise geklappt. Er würde den Leuten nicht nur begegnen, er musste sogar die Weinprobe selbst übernehmen.

„Maledetto“, entfuhr es ihm erneut, als er an diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen war.

Normalerweise war seine Assistentin Roberta für derartige Events zuständig – wenn auch nicht mehr lange, denn sie hatte zum Ende des Monats gekündigt. Bis dahin waren es aber noch zwei Wochen und er hatte fest vorgehabt, rechtzeitig für Ersatz zu sorgen.

Damit, dass Roberta sich krank melden könnte, hatte er nicht gerechnet, genauso wenig wie er mit ihrer Kündigung gerechnet hatte. Natürlich hatte er sofort nachgehakt, als sie ihm das Schreiben überreichte. Er hatte herausfinden wollen, was für ein Problem es gab, und ihr versichert, dass sie gemeinsam für alles eine Lösung finden würden. Er mochte seine Assistentin und wollte sie nur ungern verlieren, denn sie machte einen guten Job und war auch als Mensch sehr angenehm, immer gut gelaunt und hilfsbereit.

Sie hatte nie einen Ton gesagt, dass ihr irgendetwas nicht behagte, gerade deshalb versuchte er, die Gründe für ihren Stimmungswechsel herauszufinden. Doch Roberta hatte all seine Versuche abgeblockt. Sie wollte nicht mit ihm sprechen. Sie hatte gekündigt und basta. Und jetzt war sie sogar noch früher weg, als er es erwartet hatte. Nach ihrer Mittagspause war sie nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt und hatte stattdessen bei seiner Haushälterin angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie krank sei – darüber hatte Emilia ihn gerade am Telefon informiert. Nun hatte er die lästigen Touristen am Hals.

„Was soll ich tun?“, hatte Emilia, die Haushälterin, gefragt. „Die Reisegruppe steht demnächst vor der Tür. Ich kann den Leuten einen Kuchen servieren oder ihnen eine Suppe kochen, vom Weinverkauf verstehe ich nichts, das weißt du, Sebastiano. Also schwing dich in deinen Wagen und komm nach Hause! Subito!

Selbstverständlich hatte er genau das getan. Was auch sonst? Und das nicht nur, weil Emilia es verlangt hatte, sondern weil sein Pflichtbewusstsein ihm gar keine andere Wahl ließ. Das Wohlergehen des gesamten Betriebes und der Menschen, die für ihn und seine Familie arbeiteten, lagen in seiner Hand.

Seit dem Tod seines Vaters vor zwei Jahren war er der Chef des Weingutes, und er erfüllte diese Aufgabe sehr gewissenhaft, denn er war von jeher mit Leib und Seele Winzer. Das war sein Leben und seine Berufung. Er war von klein an darauf vorbereitet worden, diesen Posten samt der großen Verantwortung zu übernehmen, und für ihn hatte es nie einen Zweifel an diesem Weg gegeben. Wieso auch?

Er war stolz auf das Erbe. Generationen vor ihm hatten den Boden mit ihrem Schweiß getränkt und darum gekämpft, das Weingut zu dem zu machen, was es heute war – sie spielten ganz oben an der Spitze mit. Außerdem liebte er die Toskana. Hier hatte er seine Wurzeln. Hier war er glücklich.

Er mochte die Landschaft, vor allem natürlich die Weinberge. Der Lauf der Jahreszeiten, die Weinlese und der Zauber, wenn der Saft der Früchte sich in einen besonders erlesenen Tropfen verwandelte – all das war sein Leben. Es faszinierte ihn, wenn in alten Fässern, die er sorgfältig ausgewählt hatte, ein Wein zu einem noch vollmundigeren Körper fand. Für ihn war das jedes Mal wieder ein Wunder und ein unglaubliches Geschenk.

Natürlich gehörten auch Weinverkostungen zu seinem Arbeitsbereich. Verkostungen mit Kollegen oder einer Handvoll guter Kunden mit entsprechendem Weinverstand, die einen hervorragenden Wein zu schätzen wussten, waren ihm immer willkommen. Er konnte stundenlang über Aromen fachsimpeln und sich mit Gleichgesinnten austauschen.

Das Gespräch mit Weinkennern war eine Bereicherung für ihn und brachte ihm zusätzliche Inspiration. Doch die Betreuung von Reisegruppen widerstrebte ihm aus tiefstem Herzen. Das waren fast immer Menschen, denen der tief gehende Weinverstand fehlte. Urlauber, die unterhalten werden wollten und für die der Besuch eines Weingutes zum Reiseangebot gehörte – ebenso wie eine Pastamanufaktur besucht wurde, damit man am Ende des Urlaubs sagen konnte, man hatte etwas erlebt.

Man könnte diesen Leuten sogar einen Massenwein aus dem Supermarkt vorsetzen und etwas von lieblicher Orangennote erzählen – sie würden kosten, nicken und so tun, als spürten sie den Tanz der Frucht auf der Zunge tatsächlich. Banausen! Doch sosehr er es auch hasste, Führungen gehörten zum Familienbetrieb und waren ein wichtiges Standbein.

Genau aus diesem Grund hatte er die Aufgabe der touristischen Weinverkostungen an seine Assistentin delegiert. Sie hatte eine besondere Begabung, sogar mit Nichtkennern über Wein zu sprechen und zumindest etwas Verständnis für die Qualität zu wecken, die den Kunden hier zur Verkostung angeboten wurde. Es ging darum, die Wertigkeit eines familiengeführten Weingutes wie es das L’Oro di Vannucchi war zu vermitteln. Bei ihm hörte die Diplomatie auf, wenn jemand die Kunst des Weinmachens missachtete.

Eine Weinverkostung musste zelebriert werden, man musste sich für die Geschichten öffnen, die den Geschmacksnerven erzählt wurden. Sebastiano hatte keine Geduld mit Menschen, die Wein kippten wie ein Glas Wasser und sich keine Zeit nahmen. Es brauchte Geduld, damit sich die Aromen am Gaumen entfalteten.

Er hatte sogar schon erlebt, dass Amerikaner mit Kaugummis im Mund zu einer Verkostung gekommen waren. Solche Situationen brachten seinen Blutdruck in ungesunde Höhen und es konnte im schlimmsten Fall tatsächlich passieren, dass er eine Weinverkostung rigoros abbrach – wie damals, bei besagten Kaugummikauern.

Das war selbstverständlich falsch, das wusste er sehr wohl, aber in solchen Momenten kochte sein italienisches Blut über. Er hatte nun mal seinen Stolz. Roberta war da völlig anders. Sie schaffte es nicht nur im Handumdrehen, allen Gästen gerecht zu werden, sie hatte auch noch Spaß dabei – ganz im Gegensatz zu ihm. Er hatte sich glücklich geschätzt, so eine wertvolle Mitarbeiterin gefunden zu haben. Und jetzt das!

Wieso hatte sie nur gekündigt? Sie beide hatten sich doch immer ausgezeichnet verstanden und gut miteinander gearbeitet. Er hatte den Eindruck gehabt, dass ihr die Arbeit Freude machte, und hatte nie mit Lob gegeizt. Sebastiano wusste, dass Anerkennung wichtig war, das hatte ihm sein Vater beigebracht und er hatte dessen Führungsstil, der die Mitarbeiter durch positive Verstärkung lenkte, übernommen. Er wollte, dass seine Angestellten sich wohlfühlten. Wer für das Weingut arbeitete, gehörte zur Familie, so hatte es sein Vater gehalten und so führte er es fort.

Anfangs war alles perfekt, Roberta arbeitete sich im Handumdrehen ein und integrierte sich problemlos in die Abläufe. Aber dann – er wusste gar nicht mehr genau, wann – fing es an zu haken. In den Wochen vor der Kündigung war Roberta fahrig gewesen, sie hatte Fehler gemacht, die eigentlich nicht zu ihr passten.

Die Lage spitzte sich zu. Als Ginerva, die Tochter des benachbarten Weingutes Rossario und Sebastianos Freundin seit Kindertagen, zu Besuch war, entdeckte sie zufällig hinter einem Sideboard einen immens wichtigen Brief. Er musste zwischen Wand und Möbelstück gerutscht sein. Nur Ginervas Aufmerksamkeit war es zu verdanken, dass dieser Brief noch rechtzeitig zur Post kam, sodass er eine Meldefrist nicht verpasste. Das hätte unangenehme wirtschaftliche Folgen haben können und dem Ruf des Weingutes geschadet.

Selbstverständlich hatte er Roberta gleich am nächsten Tag zur Rede gestellt, doch sie war nur blass geworden und hatte ihre Finger ineinander verschlungen. Ihre Augen hatten tränenfeucht geglänzt und ihre Stimme hatte belegt geklungen, als sie ihm versicherte, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Bei allen Heiligen schwor sie, den Brief im Postausgangskorb abgelegt zu haben. Sie konnte sich nicht erklären, wie er hinter den Schrank hatte rutschen können.

Nur eine Woche nach diesem Vorfall kündigte sie ihren Job – das war gestern gewesen. Sebastiano trank gerade einen Espresso mit Ginerva und war im Begriff, sich von ihr zu verabschieden, als Roberta zu ihm ins Büro kam und ihm das Schreiben überreichte.

Er verstand die Welt nicht mehr. Ginerva hatte tatsächlich recht behalten mit ihrem Bauchgefühl. Sie hatte von Anfang an Bedenken gehabt und keine Gelegenheit ausgelassen, ihn darüber in Kenntnis zu setzen. Roberta schien ihr nicht zuverlässig zu sein, aber selbstverständlich wolle sie sich nicht in seine Personalentscheidungen einmischen, das beteuerte sie immer wieder. Es ginge ihr nur darum, einen Freund zu warnen, sagte sie mehrmals, sie habe schließlich mit ihrem eigenen Betrieb, wo sie als rechte Hand ihres Vaters arbeitete, genug zu tun.

Er nahm Ginervas Bedenken zur Kenntnis und vertraute dennoch seinem eigenen Gefühl. Ginerva rümpfte zwar die Nase über seine Blauäugigkeit, hörte aber irgendwann auf, ihn zu warnen – wofür Sebastiano ihr dankbar war.

Als Roberta das Büro betrat, tauschten die beiden Frauen Blicke aus, die nach seinem Eindruck durchaus tödlich wirkten. Sie hatten sich von Anfang an nicht sonderlich gut verstanden und es kam ihm vor, als blitzte in Ginervas Augen eine gewisse Genugtuung auf, als die Kündigung auf dem Tisch lag.

Gleich darauf, nachdem Roberta die Tür hinter sich zugezogen hatte, versicherte sie jedoch, wie sehr sie bedauere, dass er nun ohne Assistentin dastand. Sie verkniff sich ein „Ich hab es dir ja gleich gesagt“ und bot wie schon des Öfteren wieder einmal ihre Hilfe an. Und wie bei früheren Gelegenheiten lehnte er dankend ab. Immerhin hatte er auch seinen Stolz. Ginerva sollte nicht den Eindruck bekommen, dass er nicht Herr der Situation war. Außerdem gab es gewisse Abläufe, die bei aller freundschaftlichen Verbundenheit seinen Nachbarn und größten Konkurrenten nun einmal nichts angingen.

Ginerva nahm seine Ablehnung mit spöttisch geschürzten Lippen zur Kenntnis. Sie schien siegesgewiss, dass er seine Meinung über kurz oder lang ändern würde. Doch Sebastiano war fest entschlossen, dies nicht zu tun. Vorerst blieb ihm Roberta ja ohnehin noch erhalten – dachte er zumindest.

Und nun ihre Krankmeldung.

Heute Vormittag wirkte sie noch sehr gesund und jetzt erzählte sie etwas von einer starken Erkältung. Für ihn war die Sache eindeutig – Roberta ließ ihn hängen. Sie schien es nicht erwarten zu können, von ihm wegzukommen. Er hatte wirklich gedacht, er hätte gute Menschenkenntnis und Roberta sei verlässlich. Das hatte er nun davon.

Ginerva hatte von Anfang an recht gehabt mit ihren Zweifeln. Auch wenn sie sich den Hinweis bislang verkniff, würde sie ihm das sicher bei der einen oder anderen Gelegenheit unter die Nase reiben. Und er würde Abbitte leisten und ihr bestätigen, dass sie mit ihrer Einschätzung richtig gelegen hatte. Und sie würde mit ihrer Genugtuung darüber nicht hinter dem Berg halten. Keine falsche Bescheidenheit – das war ihr Motto.

So gern er Ginerva als Freundin mochte, sie hatte durchaus Seiten an sich, die er erschreckend fand. Wenn es darauf ankam, legte sie eine Kaltschnäuzigkeit an den Tag, die ihn frösteln ließ. Sie war eine knallharte Geschäftsfrau und Chefin. Eine freundschaftliche Verbrüderung mit ihren Angestellten, wie er sie pflegte, käme für sie nicht infrage.

Wann immer Sebastiano Personalprobleme hatte, grinste sie geflissentlich, und er wusste, dass sie überzeugt war, das läge an seinem viel zu weichgespülten Führungsstil, auch ohne dass sie es aussprach. Darüber diskutierten sie oft und kamen nie auf einen Nenner. Jeder beharrte auf seiner Meinung.

Vielleicht sollte er sich doch besser einen männlichen Assistenten suchen. Er würde auf jeden Fall darüber nachdenken. Frauen brachten ihm einfach kein Glück – weder beruflich noch privat. Roberta ließ ihn ebenso im Stich, wie Alessia es getan hatte.

Bis er Ersatz fand, blieb ihm jedenfalls nichts anderes übrig, als die leidige Aufgabe des Touristenführers selbst zu übernehmen. Wenigstens hatte er heute eine Dolmetscherin an seiner Seite, so musste er sich nicht mit seinem Schulenglisch herumquälen. Hoffentlich verstand die Dame ihr Geschäft und scheiterte nicht an der ersten blumigen Beschreibung eines Bouquets. Er hatte bei der Agentur extra darauf hingewiesen, dass Grundkenntnisse in der Weinfachsprache erforderlich waren.

3. KAPITEL

Die Sonne hatte den Höchststand inzwischen deutlich überschritten und neigte sich langsam dem Horizont entgegen. Der Nachmittag machte sich bereit, den Tag dem Abend zu übergeben, und Caroline war nach wie vor auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht.

Wieso hatte sie nur den Mann mit dem Hund nicht angesprochen? Sie ärgerte sich immer noch über sich selbst. Bestimmt hätte er ihr geholfen und sie wäre nun nicht in dieser misslichen Lage. Sie hätte sich von seiner finsteren Miene nicht abschrecken lassen dürfen. Italiener galten doch als herzlich, hilfsbereit und gastfreundlich.

Vielleicht säße sie jetzt mit seiner Familie am Tisch und würde die viel gepriesene Gastfreundschaft Italiens erleben – falls es sich dabei nicht um ein Märchen handelte, um den Tourismus anzukurbeln. Sehr gastfreundlich war ihr die Toskana seit ihrer Ankunft leider nicht begegnet. Die Erkenntnis, dass Traum und Wirklichkeit so gar nicht übereinstimmten, schnürte ihr die Brust zu und machte ihr das Atmen schwer.

Mit den länger werdenden Schatten wuchs auch Carolines Angst. Verzweiflung machte sich breit. Ihre erhoffte Traumreise verwandelte sich langsam aber sicher in einen Albtraum. Die meisten Hotels, an denen sie vorbeigekommen war, hatten entweder Belegtschilder an der Tür oder waren bessere Häuser, die sie sich nicht leisten konnte. Es war wie verhext.

Dank des Rufs, der dem Land vorausging, hatte Caroline es sich viel einfacher vorgestellt, hier in der Gegend Zimmer und Job zu finden. Die Weingüter brauchten doch jede helfende Hand, gerade jetzt, wo es auf die Lese zuging. Jedenfalls hatte sie das gedacht, als sie zu Hause in England auf ihrem Sofa saß und sich ihr Abenteuer ausmalte. Fakt war: Sie hatte sich von Lynns Schwärmerei für das Land und von rosaroten Werbeslogans verleiten lassen und nun hatte sie den Schlamassel.

Nach ihrer kurzen Pause in der Haltebucht machte sie sich wieder auf den Weg. Bei zwei Weingütern stoppte sie und fragte nach einem Zimmer und nach einem Aushilfsjob. Beide Versuche schlugen jedoch fehl. Caroline erntete nur verschlossene Mienen und Kopfschütteln.

Beim zweiten Weingut, bei dem der Name „Rossario“ in schnörkeligen Buchstaben auf die Fassade des einladend wirkenden Hauses gemalt war, musterte eine junge Frau sie mit kaltem Blick von oben bis unten. Caroline wischte sich verlegen die Hände an ihrer leichten Sommerhose ab, sie fühlte sich sehr unwohl.

Natürlich sah sie nach der langen Reise nicht mehr taufrisch aus, aber ihre Kleidung war sauber und ordentlich, nur eben etwas zerknittert. Ihre Haare waren verschwitzt und vermutlich sah man, dass sie eine Dusche brauchte, um sich frisch zu machen. Trotzdem war das kein Grund, sie so herablassend anzusehen. Die nach dem alles sagenden Blick unvermeidliche Absage spickte die Frau mit spöttisch geschürzten Lippen.

Was für eine unsympathische Person. Sie behandelte Caroline wie eine dahergelaufene Bittstellerin, dabei wollte sie ganz gewiss keine Almosen. Alles, was sie brauchte, war lediglich eine Chance. In diesem speziellen Fall allerdings war sie, als sie wieder in ihren Mini stieg, trotz der schwierigen Situation erleichtert, dass es bei diesem Weingut nicht geklappt hatte. Mit dieser Chefin wäre das Leben vermutlich nicht einfach geworden. Caroline kannte diese Art Frauen, die in anderen nur Konkurrentinnen sahen und eiskalt um ihren Vorteil kämpften. Solchen Menschen ging sie am liebsten aus dem Weg.

Trotzdem verstand sie die Absagen nicht. Sie war schließlich nicht wählerisch. Direkt bei der Vorstellung betonte sie, dass sie jede Arbeit annehmen würde und keine Angst davor hatte, sich die Hände schmutzig zu machen. Sie sprach ein gepflegtes und flüssiges Italienisch und hatte angenommen, das würde ihr Türen öffnen. Doch vermutlich trauten die Leute einer zarten Person, wie sie es war, nicht zu, dass sie wirklich anpacken konnte.

Zornig reckte sie ihr Kinn vor und drückte den Rücken durch. Sie mochte vielleicht mit ihren eins fünfundsechzig und dem zierlichen Körperbau nicht so wirken, aber sie war nicht aus Zucker und in der Lage, ordentlich zuzupacken. So zerbrechlich wie sie nach außen hin schien, war sie bei Weitem nicht. Leider bekam sie keine Gelegenheit, ihre Kraft und Zähigkeit unter Beweis zu stellen.

Für den Moment hatte sie nun aber definitiv genug. Noch so eine arrogante Abfuhr wie von dieser unangenehmen Person gerade, wollte sie heute nicht erleben. Deshalb beschloss sie, die Jobsuche erst mal aufzugeben und sich auf das dringend benötigte Zimmer zu konzentrieren. Sie war müde und ihre Nackenmuskeln brannten vom angestrengten Fahren. Sie sehnte sich nach einer heißen Dusche und einem Bett.

Vorsichtig steuerte Caroline ihren Wagen um die Kurve und sah das Schild: Weingut L’Oro di Vannucchi – Weingut, Trattoria und Fremdenzimmer. Ein kleines Zusatzschild hing direkt über dem Schriftzug „Zimmer“, darauf stand: frei.

Sofort setzte sie den Blinker und fuhr die schmale Straße den Berg hinauf. Die Abzweigung zur Trattoria etwas weiter oben beachtete sie nicht. Sie war zwar hungrig, aber so verschwitzt, wie sie war, würde sie kein Essen genießen können. Außerdem musste sie erst wissen, ob wirklich noch ein Zimmer frei war. Es durfte auch nicht zu teuer sein. Solange sie nicht wusste, wann sie wieder etwas verdienen würde, musste sie sparsam leben. Trotzdem – die Aussicht auf eine heiße Dusche hob ihre Laune enorm, ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass sie hier Erfolg haben würde.

Caroline fuhr das Rondell entlang um einen Brunnen herum und parkte links auf einem der Besucherparkplätze direkt beim Hauptportal des großen Anwesens. Es wirkte unglaublich einladend. Rechts neben dem Haus war ein üppiger Küchengarten angelegt, das Rot der Tomaten leuchtete in der Abendsonne. Zwischen dem Gemüse wuchsen Kräuter in einer Größe, wie Caroline es noch nie gesehen hatte.

Sie dachte an das kleine Töpfchen mit dem kümmerlichen Basilikumpflänzchen in ihrer Küche in England. Hier reckte sich das Basilikum dunkelgrün und stark dem Himmel entgegen. Sie sah riesige Rosmarinbüsche und Thymian, der sich wild ausbreitete und ungezähmt zwischen Zucchini, Paprika und Auberginen wuchs. Beim Anblick dieser Fülle knurrte ihren Magen lautstark.

Entschlossen riss sie ihren Blick von der Gemüsepracht los und ließ ihn weiterschweifen. Überall standen blühende Blumen in Terracottatöpfen. Caroline entdeckte üppige Bouganvilleen. Riesige Oleander in Rot, Weiß und Violett waren am Haus entlang aufgereiht. Eine Glyzinie rankte an einem reich verzierten Holzgerüst nach oben und umrahmte das Eingangsportal. Ihre Blüten ergossen sich in einem Rausch aus dunklem Lila in einem Bogen, unter dem die Besucher hindurchschreiten konnten. Auf den Stufen lagen einzelne herabgefallene Blütenblätter verteilt und brachten damit die Romantik dieses Stilllebens auf den Höhepunkt.

Alles wirkte gepflegt und liebevoll gestaltet. Hoffentlich stimmt mein Gefühl, dachte Caroline. Hoffentlich haben sie ein Zimmer für mich. Sie fühlte sich wie magisch angezogen von diesem Gebäude und wünschte sich innigst, hierbleiben zu können.

Erschöpft schleppte sie sich die Stufen zum Portal hinauf. In der Mitte der Tür prangte ein Löwenkopf aus Messing, der einen Ring im Maul trug. Sie hatte kaum die Hand gehoben, um den Türklopfer zu betätigen, da wurde die Tür auch schon ungestüm aufgerissen.

Für einen Augenblick blieb Caroline die Luft weg vor Überraschung. Vor ihr stand der Mann, den sie am Wald mit seinem Hund beobachtet hatte. Der, von dem sie einen kurzen Moment lang angenommen hatte, er könne ihr Retter sein, und in dessen Gegenwart der Mut sie verlassen hatte.

Wie schon bei ihrer ersten Begegnung machte ihr Herz auch nun wieder einen kleinen Satz, als wolle es in seine Richtung springen.

Ihm so unverhofft so nahe gegenüberzustehen, brachte Caroline aus der Fassung. Und wie gut er tatsächlich aussah, wurde jetzt erst richtig deutlich! Sein sonnengebräunter Teint unterstrich die energiegeladene Ausstrahlung. Auf seinen Lippen lag kein Lächeln und er sah sie mit ernstem Blick, aber nicht mehr so zornig wie bei ihrer ersten Begegnung, an.

Trotz der geschäftsmäßigen Miene fühlte Caroline sich zu ihm hingezogen und dieses Gefühl verunsicherte sie, denn so etwas hatte sie bei sich noch nie erlebt. Sie ahnte die Weichheit, die sich auf seine Züge legen würde, wenn er lächelte. Seine tiefbraunen Augen strahlten eine Wärme aus, in die sie sich am liebsten hineingekuschelt hätte.

Caroline kämpfte darum, ihre Fassung wiederzuerlangen, doch bevor sie das Überraschungsmoment überwunden hatte und ihr Anliegen vortragen konnte, redete ihr Gegenüber auch schon los. Ein Schwall italienischer Worte ergoss sich über sie.

„Madonna mia“, sagte der Mann. Seine Stimmlage schwankte zwischen verärgert und erleichtert. „Da sind Sie ja endlich! Sie haben über eine halbe Stunde Verspätung – und dabei habe ich ganz klar gesagt, wie wichtig Zuverlässigkeit ist. Die Gruppe ist bereits da, los, kommen Sie schon.“

Er musterte sie mit gerunzelter Stirn und schüttelte unzufrieden den Kopf. Trotzdem legte er ihr eine Hand auf den Rücken und schob sie energisch ins Haus.

Außerstande, sich gegen die forsche Energie des Mannes zu wehren, folgte Caroline dem Druck seiner Hand und ging ein paar Schritte hinein. In der großen Eingangshalle blieb sie stehen. Sie wollte sich endlich erklären, ihm sagen, wer sie war, und was sie wollte. Offensichtlich verwechselte er sie, denn er tat so, als habe er sie erwartet – das war aber schlicht unmöglich.

Der Mann gab ihr jedoch keine Gelegenheit für Erklärungen. Er schnalzte ungeduldig mit der Zunge und schob sie weiter – direkt auf eine doppelte Rundbogentür zu. Kurz bevor sie die Tür erreichten, überlegte er es sich anders und stoppte.

„Warten Sie einen Moment“, sagte er im Kommandoton und stürmte in den Raum neben dem, auf den sie zugegangen waren. Ihr Rücken fühlte sich da, wo gerade noch seine Hand gelegen hatte, seltsam leer an. Caroline wurde klar, dass seine Berührung ihr gutgetan hatte, die Stelle prickelte, als hätte er ihr von seiner Energie abgegeben.

Sekunden später war er auch schon wieder bei ihr. Jetzt war der Hund an seiner Seite, den sie vorhin gesehen hatte. Er wedelte freundlich mit dem Schwanz, und Caroline streckte ihm die Hand hin, damit er sie beschnuppern konnte. Gleichzeitig hob sie ihr Gesicht ihrem Gegenüber entgegen.

Scusi, aber …“, versuchte sie noch einmal, dem Mann zu sagen, dass offensichtlich eine Verwechslung vorlag, doch wieder ließ er sie nicht aussprechen.

„Nichts für ungut, aber wir haben jetzt keine Zeit, es ist spät genug. Wir müssen umgehend mit der Weinprobe beginnen. Reden können wir hinterher.“ Er streckte ihr eine Schürze entgegen. „Hier. Ziehen Sie die an, dann sieht man Ihre zerknitterte Kleidung nicht so sehr. Immerhin repräsentieren Sie das Weingut, während Sie mich bei der Verkostung unterstützen. Etwas mehr dürfen Sie in Zukunft bei solchen Terminen schon auf Ihr Äußeres achten, Signorina – falls wir uns zu einer weiteren Zusammenarbeit entschließen sollten.“

Unter seinem kritischen Blick streifte Caroline sich die dunkelrote Latzschürze mit dem Schriftzug des Weingutes über. Sie war zu verdattert, um sich dem Mann entgegenzustellen. Außerdem fühlte sie sich etwas eingeschüchtert von seiner Art. Offenbar war er es gewohnt, Befehle zu geben, und auch, dass diese umgehend befolgt wurden. Der Mann schien nicht zu merken, wie sehr er sie verwirrte.

Er betrachtete sie, nachdem sie die Schürze umgebunden hatte, dann nickte er zufrieden. „Besser. Na dann los.“ Er wandte sich an den Hund. „Pino, avanti!“

Schon öffnete er die Tür und stieg ihr voran eine breite Steintreppe hinunter. Caroline folgte ihm. Langsam fing die Situation an, sie zu erheitern. Worauf das alles wohl hinauslaufen würde? War das vielleicht – so kurios es auch schien – die Chance, die sie sich erhofft hatte? Konnte es sein, dass das Schicksal ihr hier eine goldene Brücke baute und sie nur den Mut haben musste, rüberzugehen?

Sie beschloss, das Spiel vorerst einfach mitzuspielen. Der Hund jedenfalls war sehr freundlich, den Mann konnte sie noch nicht richtig einschätzen, doch sie ahnte hinter seiner etwas herrischen Art einen umgänglichen Charakter. Und ihr Herz hatte sich ohnehin längst entschieden, ihm zu vertrauen.

Aus dem Untergeschoss wehten ihnen fröhliche Stimmen und Gelächter entgegen.

Der große Raum, in den der Mann Caroline führte, war ländlich, etwas rustikal, jedoch sehr liebevoll eingerichtet. Es gab ein paar geschickt platzierte Dekostücke, aber keinen unnötigen Schnickschnack, der das Auge überforderte. Obwohl sie sich im Untergeschoss befanden, wirkte alles hell und einladend. Kleine Lichtquellen unterstützten einen wuchtigen Leuchter, sie waren perfekt arrangiert, um behagliche Wohlfühlatmosphäre zu schaffen.

An der breiten Wand der Tür gegenüber standen Weinregale, in denen eine Auswahl unterschiedlicher Weine lagerte. Zum Teil mussten es recht alte Flaschen sein, denn Caroline sah, dass sie bereits Patina hatten und die Etiketten teilweise zerfledderten.

Rechts gab es eine Theke mit einem großen Gläserschrank und einem Spülbecken. In dem großzügigen Raum standen vier zu Tischen umgebaute Fässer, an denen jeweils zehn bis zwölf Personen Platz fanden. Während sie den Blick schweifen ließ, glaubte Caroline das Echo fröhlicher Stunden wahrzunehmen – hier ging es ganz sicher oft laut und ausgelassen zu. Im Moment aber breitete sich erwartungsvolles Schweigen aus. Es war nur einer der Tische belegt und von dort wurden sie und ihr Begleiter neugierig beäugt.

Der Mann, der sie überrumpelt und sie hier nach unten geschleppt hatte, steuerte zielstrebig auf diesen Tisch zu.

„Entschuldigen Sie die Verzögerung“, sagte er, kaum dass sie beide neben der kleinen Gruppe gut gelaunter Engländer standen. „Wie ich sehe, hat Emilia sie versorgt, sehr schön.“

Sein Englisch wirkte etwas eingerostet, die Worte schienen auf seinen Lippen zu verharren und sich nur zögerlich zu lösen. Er sprach langsam und deutlich und mit unverkennbarem Akzent. Sehr charmant, wie Caroline fand. Sie mochte seine warme Stimme. Bestimmt wurde sie noch wärmer, wenn er einer Frau etwas Zärtliches sagte. Ob er wohl eine Frau hatte? Er wirkte nicht so – und wenn, dann wäre sie doch jetzt sicher an seiner Seite.

Fasziniert beobachtete sie ihn. Sie erkannte, dass sein Lächeln nicht seine Augen erreichte. Er bemühte sich, aufgeschlossen und fröhlich zu wirken, das war deutlich zu spüren. Sie nahm unter dieser geschäftsmäßig höflichen Fassade jedoch sein Unbehagen wahr. Er schien sich in der Situation, in der er sich gerade befand, nicht wohlzufühlen. Caroline staunte. Ausgerechnet dieser selbstbewusste Mann, in dessen Arme sie sich vorhin am liebsten geflüchtet hätte, zeigte solche Unsicherheit? Das weckte ihre Neugier. Nach ihrem Dafürhalten wirkte alles harmonisch, sie konnte im Moment die Ursache für sein Unbehagen nicht erkennen.

Drei Damen und vier Herren mittleren Alters saßen um einen der Fass-Tische herum und hatten sich offensichtlich mit Pizzabrot und einem Glas Wein die Wartezeit vertrieben. Ihre Laune war gut – das Gelächter hatten sie ja bereits auf der Treppe gehört. Die merkwürdige Stimmung, die Caroline bei dem Mann hinter dessen aufgesetzter Fröhlichkeit wahrnahm, machte ihn für sie umso interessanter.

Am liebsten hätte sie ihm versichert, dass er sich keine Sorgen machen musste, aber das stand ihr selbstverständlich nicht zu – und genau genommen, wusste sie auch gar nicht, ob das wirklich stimmte. Sie wusste eigentlich gar nichts, wenn sie so darüber nachdachte. Merkwürdigerweise machte ihr das hier an seiner Seite gar nichts aus. Sie vertraute diesem Mann, ohne überhaupt nur seinen Namen zu kennen. Das war ein wohltuendes Gefühl und Balsam für ihre strapazierten Nerven.

Die Teilnehmer der Weinprobe sahen ihren Gastgeber, der seine Worte bedächtig formulierte, erwartungsvoll an.

„Meine Damen und Herren. Signorina …“ An dieser Stelle stockte er und sah fragend zu ihr. Sie verstand sofort.

„Caroline“, sagte sie schnell und lächelte höflich in die Runde. „Caroline Anderson.“ Sie wollte noch mehr sagen, doch der Mann schnitt ihr das Wort ab und sprach weiter. Jetzt wieder deutlich schneller und auf Italienisch.

„Caroline hatte etwas Verspätung, aber nun ist sie ja da und wir können mit der Verkostung beginnen. Der erste Wein, den ich Ihnen vorstellen möchte, ist ein junger Jahrgang. Der Procanico ist leicht und umspielt die Geschmacksnerven fast tänzelnd.“

Auffordernd sah er zu ihr und jetzt begriff Caroline allmählich. Sie wusste zwar nicht, wie es dazu gekommen war, aber offensichtlich ging er fest davon aus, dass sie für ihn dolmetschte. Na, das konnte er haben.

Ohne weiteres Zögern übersetzte sie problemlos seine Ausführungen. Im Stillen dankte sie Lynn wegen der vielen Gespräche über Wein, die sie miteinander geführt hatten. Sie schaffte es ohne Schwierigkeiten, die mitunter doch etwas spezielle Weinsprache zu übersetzen, und wusste intuitiv, was er meinte, wenn er von blumiger Note, von üppigen oder mageren Weinen erzählte, obwohl sie selbst noch nie bei einer Weinprobe gewesen war.

Das Spiel begann ihr immer mehr Spaß zu machen. Vor allem freute sie sich über das anerkennende Blitzen in den Augen ihres Gegenübers. Es war deutlich, dass ihre Leistung ihm zusagte. Als sie einen ihrer Landsmänner ermahnte, den Wein nicht so schnell zu schlucken, sondern ihn im Mund zu bewegen und damit seine Geschmacksknospen zu aktivieren, nickte der Winzer zufrieden.

Offensichtlich gefiel ihm ihre Art, mit seinen Kunden umzugehen, und insgeheim wünschte Caroline sich, dass er sie mochte. Es war ihr wichtig, ihn zufriedenzustellen, und sie wollte, dass sie ihm gefiel. Und dabei ging es ihr nicht um den Job, den sie möglicherweise hier bekommen könnte.

Unauffällig strich sie sich übers Haar, um zu kontrollieren, ob ihr Pferdeschwanz noch ordentlich saß. Wenn sie nur wenigstens den Lippenstift nachgezogen und ihre Wimperntusche kontrolliert hätte, bevor sie aus dem Auto gestiegen war. Aber wie hätte sie ahnen können, in was für eine seltsame Situation sie hineinstolpern würde.

Während sie selbst kostete, sich auf die Aromen einließ und sich alle Mühe gab, die Gruppe auf diese Geschmacksreise mitzunehmen, beobachtete Caroline fasziniert den Mann, dessen Namen sie noch immer nicht kannte. Von der anfänglichen Unsicherheit war nichts mehr übrig. Er war in seinem Element, das sah sie. Wenn er das Glas an seine Lippen setzte und konzentriert den Aromen nachspürte, wurden seine Gesichtszüge weich und offen.

Am liebsten hätte sie mit der Fingerspitze einen Tropfen abgefangen, der in seinem Mundwinkel hängen geblieben war. Merkwürdige Sehnsucht erfasste sie. Wie es wohl wäre, von seinen starken Armen gehalten zu werden, die Wange an seine muskulöse Brust zu legen und seinem Herzschlag zu lauschen?

Ihre aufgewühlten Gefühle verwirrten sie. Seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, war dieser Wunsch bei ihr geweckt. Von Anfang an hatte sie sich zu ihm als Mann hingezogen gefühlt und dieses Sehnen wurde immer stärker, je länger sie in seiner Nähe verweilte.

Woher kamen nur solche Regungen? Offenbar tat ihr der Wein nicht gut. Jetzt rächte es sich, dass sie den ganzen Tag kaum etwas gegessen hatte. Der Alkohol tat seine Wirkung und brachte ihre Gefühle und Gedanken auf Abwege. Sie hatte kein Interesse an einem Mann oder einem amourösen Abenteuer. Sie liebte ihr Leben ohne derartige Verwicklungen – das sollte auch so bleiben.

Caroline verdrängte die unwillkommenen Gedanken an die sprühende Männlichkeit ihres Gegenübers und atmete tief durch, um den Einfluss des Alkohols etwas einzudämmen. Immerhin erwartete er von ihr, dass sie hier einen Job erledigte. Auch wenn sie sich überhaupt nicht erklären konnte, wie es zu dieser Verwechslung gekommen war, wollte sie die Aufgabe ordentlich erledigen. Solche Eskapaden ihrer Fantasie lenkten sie nur unnötig ab.

Statt über seine Lippen auf ihren nachzudenken, konzentrierte sie sich wieder auf das, was ihr Gegenüber sagte. Sie ahnte den Stolz und die Freude, die ihn erfüllten. Seine Leidenschaft für das Thema Weinanbau und Wein kam mit jeder Geste und mit jedem Wort bei ihr an. Dieser Mann war nicht nur ein Winzer, der Wein machte, weil es ein gutes Geschäft war. Caroline erkannte die Liebe, die ihn mit seiner Arbeit verband. Die Art, wie er von seiner Arbeit und seinem Leben als Winzer erzählte, berührte sie.

Gebannt sah sie zu, wie er das Etikett betrachtete, die Flasche den Gästen präsentierte und vollmundig vom Anbau der einzelnen Reben, von der Lese und vom Keltern erzählte. Er gab Anekdoten aus dem Keller zum Besten – wie er es nannte – und schaffte es, die Gruppe in seinen Bann zu ziehen. Seine Freude, wenn aus einem guten Jahrgang dank des Könnens des Kellermeisters ein hervorragender Wein wurde, war für sie greifbar.

Sobald diese Weinprobe vorbei war, würde sie ihm die Wahrheit sagen. Eigentlich hatte sie ja nur nach einem Zimmer fragen wollen, aber nachdem sich gerade alles so gut für sie entwickelte, beschloss sie entgegen ihren Vorsätzen, doch noch einen Versuch zu wagen. Sie würde ihn fragen, ob er einen Job für sie hatte.

„Caroline?“

Als er fragend ihren Namen nannte, schreckte sie aus ihren Gedanken hoch. Sie hatte für einen Augenblick vergessen, ihm zuzuhören und weiter zu übersetzen. Mit einem Lächeln und einer kurzen Entschuldigung nahm sie den Faden wieder auf.

4. KAPITEL

Sebastiano war irritiert. Diese Frau war nun wirklich nicht die erste Dolmetscherin, die er über die Agentur gebucht hatte und mit der er zusammen eine Verkostung durchführte. Doch sie hatte etwas an sich, das ihn seltsam berührte. Sie meisterte die Aufgabe souverän, aber gleichzeitig wirkte sie ängstlich wie ein in die Enge getriebenes Reh. Woher rührte diese Unsicherheit?

Mangelnde Kompetenz konnte es nicht sein, denn sie war mit Abstand die beste Dolmetscherin, die er je an seiner Seite hatte. Und sie hatte eindeutig Weinverstand und einen wachen Gaumen. Es gab nicht viele Menschen, die Aromen so klar herausschmeckten. Sie hatte ihn mit ihrer Unterscheidung zwischen grünen Äpfeln und vollreifen Äpfeln sehr überrascht – das war eine Ebene, auf der er sonst nur mit Kollegen kommunizierte. Der normale Weintrinker freute sich, wenn er feststellte, dass er Apfel schmeckte, ohne das weiter zu spezifizieren.

Ihre Anwesenheit brachte ihn aus dem Konzept, und diese Reaktion verwirrte ihn zusätzlich. Statt sich auf die Weinverkostung zu konzentrieren, beobachtete er fasziniert das wechselnde Blau ihrer Iris und die kleinen Lachfältchen an ihren Augen, wenn sie lächelte. Ein Lächeln, das direkt aus dem Herzen zu kommen schien. Sie hatte kein Problem, sich auf die Situation einzulassen, stellte er erleichtert fest.

Nachdem sie so verspätet und zerknittert vor ihm gestanden und dabei reichlich verhuscht gewirkt hatte, war diese Veränderung für ihn nun eine echte Überraschung. Wenn er ehrlich war, war er sich gar nicht sicher gewesen, dass sie die Aufgabe überhaupt meistern würde. Einen kurzen Moment hatte er sogar überlegt, sie direkt nach Hause zu schicken und sich bei ihrer Agentur zu beschweren. Zur Not brachte er eine Weinverkostung auch ohne Dolmetscher auf Englisch hinter sich. Was für ein Glück, dass er das nicht getan hatte.

Irgendetwas musste vorgefallen sein, das sie derart durcheinandergebracht hatte. Er hätte sich um sie kümmern sollen, als sie ihn in der Haltebucht so schüchtern ansprach. Sie konnte schließlich nichts dafür, dass er von Frauen in seinem Leben die Nase gestrichen voll hatte.

Wieder kochte das schlechte Gewissen in ihm hoch und er schwor sich, künftig empathischer zu reagieren, wenn ein Mensch ihm signalisierte, dass er Hilfe brauchte.

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er damals nicht Alessia, sondern einen Engel wie diese Caroline getroffen hätte. Hätte sie ihm auch das Herz gebrochen? Er konnte es sich nicht vorstellen. Andererseits hatte er es sich bei Alessia ebenfalls nicht vorstellen können. Er hätte, ohne zu zögern, die Hand für seine Exfreundin ins Feuer gelegt und sie hätte diese Hand ohne Skrupel in genau diesem Feuer verbrennen lassen.

Am liebsten hätte Sebastiano mit den Fingern über Carolines Haar gestrichen, um festzustellen, ob es sich so seidig anfühlte, wie es aussah. Diese Frau hatte etwas an sich, das seine Sinne ansprach und seinen Verstand außer Gefecht setzte. Wie ihr das Haar wohl über den Rücken fiel, wenn sie den Pferdeschwanz löste? Er stellte sich eine seidige Flut blonder Haare vor, die sich bis zum unteren Rippenbogen ergoss.

Er sah es förmlich vor sich, wie sie den Kopf nach hinten warf, wenn sie lachte. Und wie sich ihre Wangen röteten und das Blau ihrer Augen intensiver wurde, wenn sie leidenschaftlich war. Es musste fantastisch sein, ihre Lippen zu küssen. Ganz bestimmt waren sie wunderbar warm und weich – wie eine Einladung.

Verwirrt schloss Sebastiano kurz die Augen und befasste sich mit dem Wein in seinem Glas. Es fiel ihm ungeheuer schwer, sich auf die Aromen des jungen Chiantis zu konzentrieren und in Worte zu fassen, was sich seinen Geschmacksknospen offenbarte. Immer wieder strauchelten seine Gedanken und verfingen sich in dem blonden langen Haar dieses Engels, der ihm gegenübersaß und für ihn übersetzte.

Nein, korrigierte er sich sofort, sie übersetzte nicht nur. Sie verstand intuitiv, worum es ging, und übernahm die Rolle der Gästebetreuerin. Das hatte er bisher bei keiner der gebuchten Dolmetscherinnen erlebt.

Sie machte ihren Job so ausgesprochen gut, dass Sebastiano ohne Weiteres bereit war, über ihre heutige Verspätung und die zerknitterte Kleidung hinwegzusehen. Seine Gedanken gingen sogar noch weiter. Was verdiente sie wohl bei ihrer Agentur? Vielleicht war sie ja an einem beruflichen Wechsel interessiert? Er beschloss, ihr später etwas auf den Zahn zu fühlen und ihr eventuell ein Angebot zu machen.

Was mochte zu ihrer Verspätung geführt haben? Was hatte sie von ihm gewollt, unten in der Haltebucht, bei ihrer ersten Begegnung? Nach dem Weg fragen? Die Strecke zum Weingut war ausgesprochen gut ausgeschildert. Hatte sie eine Panne gehabt? Und er hatte sie derart schroff abgewiesen. Dann war es am Ende seine Schuld, dass sie nicht rechtzeitig auf dem Weingut gewesen war. Das schlechte Gewissen kam erneut in einer Welle in ihm hoch. Ein Gentleman jedenfalls hätte eine junge hilflose Frau nicht einfach so mitten auf der Straße stehen lassen. Er würde sich später bei ihr entschuldigen.

„Signore?“, drang ihre Stimme nun in sein Bewusstsein.

Sebastiano schreckte aus seinen Gedanken hoch. Alle Blicke waren ihm zugewandt. Die Teilnehmer der Weinprobe warteten auf seine weiteren Ausführungen. Energisch räusperte er sich und verhaspelte sich prompt, als er vom volltraubigen Ergebnis dieses Jahrgangs erzählte. Er sah die Fragezeichen in Carolines Augen, als sie nach einer Übersetzung für sein Fantasiewort suchte. „Scusi, vollmundig, selbstverständlich. Die Traube entwickelt ein vollmundiges Aroma.“

Mit ein paar letzten Erklärungen beendete Sebastiano die Probe und registrierte anerkennend, dass Caroline ihm ohne Aufforderung beim anschließenden Verkauf half. Das war ganz sicher nicht Teil ihres Jobs, doch sie weckte bei den Kunden mit ihrer liebreizenden Art und der offenkundigen Begeisterung für die Weine, die sie gerade verkostet hatten, die Kauflust. Sie war sogar besser als Roberta, stellte er mit Bewunderung fest – und das auf eine sehr charmante und überzeugend ehrliche Art und Weise.

Auf ihren Wangen zeigte sich ein sanftes Rot und sie wirkte viel gelöster als zu Beginn der Veranstaltung. Ein paarmal kicherte sie wie ein junges Mädchen.

Sebastiano hatte noch nie eine Frau kennengelernt, die so unprätentiös war und dabei so unfassbar bezaubernd. Wie sehr er sich auch bemühte, seine Konzentration beim Weinverkauf zu behalten, seine Gedanken befanden sich schon wieder auf Abwegen.

Sein Mund wurde trocken, als er sich vorstellte, wie dieses zarte Wesen sich in seine Arme schmiegte. Er wollte ihr das Shirt ausziehen und über ihre blasse Haut streichen. Er wollte erleben, wie sie erschauerte, wenn er ihre Brust berührte, und wie sich ihre Brustwarzen vor Erregung zusammenzogen. Er würde sie festhalten und sie von ihren Lippen abwärts küssen. Ob sie es mochte, wenn er sie hinter dem Ohr und ihren Hals hinab küsste?

Ganz sicher war sie eine leidenschaftliche Frau. In diesem Moment sehnte er sich danach, dass ihre Leidenschaft ihm galt. Die Vorstellung von einem anderen Mann mit ihr machte ihn zornig.

Schluss jetzt, rief er sich zum wiederholten Male zur Ordnung. Er benahm sich wie ein hormongesteuerter Teenager, nicht wie der Chef des führenden Weingutes der Toskana. Alessias Gesicht, das sich in sein Bewusstsein schob, kühlte seine erhitzten Gedanken schlagartig ab.

Diese Engländerin war auch nur eine Frau, und Frauen bedeuteten Ärger. Vermutlich war Caroline sich ihrer Wirkung auf Männer nur allzu bewusst und hatte sich ihn ganz gezielt ausgesucht, um ihn mit ihrem Charme zu bezirzen. Immerhin gehörte seine Familie zu den reichsten der Toskana – diese Kleinigkeit steigerte seine Attraktivität für Frauen. Sie waren heiß auf den Luxus, den er ihnen bieten konnte. Was sie dabei übersahen, war die Tatsache, dass es harte Arbeit war, das Weingut zu unterhalten.

Ja, er war reich, aber er ruhte sich auf diesem Polster nicht aus. Für ihn hieß es wie für all seine Angestellten, tagtäglich vollen Einsatz zu bringen. Wer auf einem Weingut lebte, durfte sich auch vor harter Arbeit nicht scheuen. Das war den Frauen, die sich ihm an den Hals warfen, nicht klar – davon wollten sie nichts wissen. Weder Alessia noch sonst eine Frau.

Vermutlich hatte diese Caroline sich vorab über ihren Auftraggeber erkundigt und sich einen Schlachtplan zurechtgelegt. Mit ihrer Verspätung und dem etwas derangierten Äußeren wollte sie seinen Beschützerinstinkt wecken, aber diese Masche zog bei ihm nicht.

Wie gut, dass er nun wieder klar dachte. Sie würde seinen Verstand mit ihren Reizen nicht weiter vernebeln können, er durchschaute ihr Spiel. Sie würde sich ein anderes Opfer suchen müssen, er und sein Vermögen standen nicht zur Disposition. Immerhin hatte er nicht ohne Grund beschlossen, sein Leben als Single zu führen.

Charmant lächelnd und ganz Chef des Hauses, geleitete Sebastiano die Kunden bis zur Tür und bedankte sich für den Besuch.

„Arrivederci e buon viaggio“, sagte er.

„Auf Wiedersehen und gute Reise“, wiederholte Caroline seine Verabschiedung auf Englisch.

Sebastiano atmete erleichtert durch, als er endlich die Tür hinter dem letzten Besucher schließen konnte. Er gönnte sich einen kurzen Moment, um die Anspannung von sich abfallen zu lassen, dann drückte er den Rücken durch und wandte sich an Caroline. Er würde ihr einen Bonus zahlen für den guten Job und sie verabschieden. Eine Frau, die derart durchschaubar ihre Reize ausspielte, wollte er nicht fest im Team haben, auch nicht, wenn sie so gut arbeitete wie diese Caroline. Es lag zu offensichtlich auf der Hand, dass sie ihn mit ihrer Natürlichkeit beeindrucken und in ihr Netz locken wollte.

Da musste sie allerdings früher aufstehen. Ohne seine schlimmen Erfahrungen, wäre er vielleicht auf sie hereingefallen, so wusste er auf sich aufzupassen. Kurz dachte er an Ginerva – sie wäre sicher beeindruckt von der klaren Schlussfolgerung, die er aus der Situation zog.

„Grazie“, sagte Caroline leise, bevor der Winzer das Wort ergreifen konnte. „Bitte erlauben Sie mir, Ihnen etwas zu erklären.“

Sie spürte den Puls kräftig an ihrem Hals klopfen. Sie wusste nicht genau, wie sie die Angelegenheit anpacken sollte, ohne ihren hoffentlich künftigen Chef vor den Kopf zu stoßen. Als er sie während der Weinprobe mit anerkennenden Blicken bedachte, war sie sehr zuversichtlich. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie das Missverständnis auflöste und am Ende alles gut wurde. Jetzt war sie sich nicht mehr sicher. Die Stimmung hatte sich beinahe unmerklich, dann immer deutlicher verschlechtert. In den letzten Minuten hatte sich etwas in seiner Art verändert, seine Miene war finster geworden, wenn er sie ansah. Hatte er gemerkt, dass sie nicht die war, für die er sie hielt, oder hatte sie etwas falsch gemacht?

Entschlossen holte sie Luft, straffte die Schultern und sah ihm fest in die Augen, während sie nach den richtigen Worten suchte. „Signore, es tut mir aufrichtig leid, aber …“ Weiter kam sie nicht, denn das Handy des Mannes klingelte.

Er machte eine Handbewegung, die ihr bedeutete, dass sie einen Moment warten sollte. Gleichzeitig hob er entschuldigend Schultern und Augenbrauen.

„Pronto!“, schmetterte er in den Apparat, sobald er den Anruf angenommen hatte.

Er lauschte ein paar Augenblicke, riss dann überrascht die Augen auf und starrte sie an. Es dauerte nicht lange, dann beendete er das Gespräch mit einem knappen fast unfreundlichen Abschiedsgruß. Kaum hatte er das Handy in die Tasche gesteckt, fixierte er sie mit streng zusammengezogenen Augenbrauen. Aus seinem Blick blitzte ihr Verärgerung entgegen. Er wusste Bescheid, das erkannte Caroline ohne jeden Zweifel. Sie zog unwillkürlich den Kopf ein, aber so leicht würde sie es ihm nicht machen, sie zu verurteilen.

„Sie haben mir keine Chance gegeben, das Missverständnis aufzuklären“, sprudelte es aus ihr heraus, bevor er das Donnerwetter über ihr entladen konnte. Trotzig schob sie ihr Kinn vor und spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Sie schluckte und biss sich auf die Unterlippe, um das Zittern zu kontrollieren.

Ihr Gegenüber beobachtete sie genau. Pino, der Hund, der während der gesamten Verkostung nicht von der Seite seines Herrchens gewichen war, kam zu ihr herüber, drückte sich an ihre Beine und winselte leise. Offensichtlich spürte das Tier, dass sie kurz davor war, die Kontrolle über sich zu verlieren.

Der sanfte Alkoholnebel, der ihren Kopf in Watte gepackt hatte, war verschwunden. Jetzt waren die Konturen der Welt wieder scharf gestellt und sie sah die nächsten Minuten klar und deutlich vor sich. Er würde sie zum Haus hinausjagen und sie würde die Nacht nun am Ende doch in ihrem Auto verbringen müssen. Verloren in der Fremde. Diese Vorstellung war zu viel für sie. Ein Schluchzen bahnte sich den Weg und löste sich in ihrer Kehle. Caroline hatte keine Kraft mehr, es zu verhindern.

„Entschuldigen Sie. Ich gehe jetzt besser“, flüsterte sie gepresst und wandte sich gesenkten Hauptes der Tür zu.

„Stopp!“, herrschte er sie an. „Sie können doch nicht einfach hier auftauchen, unter Vorspielen falscher Tatsachen den Job eines anderen an sich reißen und dann ohne jede Erklärung wieder verschwinden. Was glauben Sie denn?“

Er baute sich vor ihr auf und versperrte ihr den Fluchtweg. Wie schön wäre es, sich jetzt einfach in seine Arme zu werfen, sich halten und trösten zu lassen, schoss es ihr durch den Kopf. Doch das war natürlich unmöglich.

Er deutete mit dem Kinn auf eine Tür. „Wir gehen dort hinein, setzen uns und sie erklären mir, was diese ganze Scharade zu bedeuten hat. Was führen Sie im Schild?“

Caroline las in seinem Blick, dass ihm einige für sie nicht sehr rühmliche Möglichkeiten durch den Kopf gingen, was sie mit ihrem Auftritt hier bezweckt haben könnte. Die Tatsache, dass er ihr unlautere Absichten unterstellte, weckte ihre Lebensgeister – vor allem aber ihren Kampfgeist.

Wer hatte sie denn nicht zu Wort kommen lassen? Wer hatte sie ins kalte Wasser geschubst und sich – das sollte er jetzt nur nicht zu leugnen wagen – über ihre Unterstützung gefreut, ohne weiter nachzufragen?

„Gut!“, fauchte sie ihn an. „In Ordnung. Setzen wir uns und reden. Aber dann lassen Sie mich auch mal zu Wort kommen und hören auf damit, mich zu überrumpeln und herumzukommandieren. Wenn Sie nicht derart herrisch wären, hätte ich mich Ihnen längst vorgestellt. Ich hatte ja gar keine Chance, Ihnen zu sagen, wer ich bin und was ich möchte. Capisce?

Die Aufregung, der Ärger, der Alkohol auf leeren Magen – Caroline wusste nicht, was der Grund war, doch in ihren Ohren tönte ein Sausen, die Welt verschwamm vor ihrem Blick, ihre Beine gaben nach. Sie fiel – und dann war alles schwarz.

Wie sie so vor ihm stand und ihn zornig anblitzte, das war fast zu viel für Sebastiano. Der Drang, sie in seine Arme zu ziehen und sie zu halten, wurde beinahe übermächtig. Fasziniert beobachtete er, wie das strahlende Blau ihrer Augen sich verdunkelte, als tobte in ihnen ein Unwetter.

Er hatte ja bereits geahnt, dass hinter ihrer zarten Verletzlichkeit ein starker Wille steckte, nun zeigte sich, dass er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte. Aber sie sollte nur nicht glauben, dass sie ihn hinters Licht führen konnte. Von wegen – er hatte sie nicht zu Wort kommen lassen! Er wollte jetzt endlich wissen, was für ein Spiel sie spielte. Nichts „Capisce“, sie schien nicht verstanden zu haben, dass ihr heimlicher Plan aufgeflogen war.

Er holte gerade Luft, um sie in die Schranken zu weisen und ihr klarzumachen, dass sie mit der Unschuldsnummer bei ihm nicht punkten konnte, da riss sie plötzlich ungläubig die Augen auf und fiel im nächsten Moment einfach so in Ohnmacht. Was für ein Glück, dass er eine hervorragende Reaktionsfähigkeit hatte. Nach einem schnellen Ausfallschritt und mit nach vorne gerissenen Armen gelang es ihm, den zarten Körper aufzufangen, bevor er unsanft auf dem Boden landete.

„Madonna mia!“, schrie Emilia, die genau in diesem Moment die Eingangshalle betrat. „Ach du meine Güte, was ist passiert? So sag doch was! Was ist mit dem Kindchen? Wir brauchen einen Arzt!“

Sebastiano schnitt seiner Haushälterin entschlossen das Wort ab, er wollte verhindern, dass sie in Panik geriet: „Hör auf, Emilia“, herrschte er die jammernde Frau an. Er wusste, dass er jetzt streng sein musste, sonst würde er nicht zu ihr durchdringen. „Hilf mir, subito“, kommandierte er und hob Caroline auf seine Arme, als wäre sie ein Fliegengewicht. Das Training der harten Arbeit trug Früchte. „Öffne die Tür, Emilia“, forderte er seine Haushälterin auf, die neben ihm stand und die Hände rang. Ihre Lippen bewegten sich zu einem stummen Gebet, doch sie gehorchte ihrem Chef.

Sebastiano trat mit der ohnmächtigen Frau auf den Armen in das Wohnzimmer und ging schnurstracks zum Sofa, das gleich seitlich stand. Dort legte er seine kostbare Last ab und betrachtete ihr Gesicht. Die feinen Züge wirkten in diesem Moment noch zerbrechlicher. Die langen Wimpern warfen einen sanften Schatten auf die wachsbleiche Haut.

Emilia hatte ihre Aufregung inzwischen unter Kontrolle und unterstützte ihn. Sie brachte eine warme Decke und deckte die ohnmächtige Caroline damit zu. Er fühlte ihren Puls und war beruhigt. Es klopfte zwar in einem ziemlich schnellen Rhythmus gegen die Spitze seines Zeigefingers, aber immerhin schlug das Herz regelmäßig und der Puls war deutlich fühlbar. Die Lage schien nicht lebensbedrohlich zu sein.

„Wir legen ihr ein Kissen unter die Füße, das hilft, den Kreislauf zu stabilisieren“, erklärte er deshalb seiner Haushälterin. Emilia nickte, holte sofort zwei dicke Kissen und schob sie unter die Beine der jungen Frau, die er anhob. Dann rannte sie los, um ein Glas Wasser zu besorgen.

Sebastiano setzte sich auf die Sofakante und tätschelte der fremden Frau mehrfach die Wange. „Caroline“, sagte er halblaut. „Kommen Sie schon, wachen Sie auf.“

Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, da flatterten ihre Augenlider. Im nächsten Moment sah die Engländerin ihn erstaunt an. Sebastiano sah, wie sie versuchte, die Situation zu begreifen. Sie wollte sich aufsetzen, doch er hielt sie zurück. „Nicht so hastig, junge Dame. Ich habe keine Lust, Sie gleich wieder aufzufangen.“ Er lächelte sie an. Die Erleichterung, dass es ihr offensichtlich gut ging, ließ ihn seinen Groll gegen sie vergessen. So blass und klein wie sie hier vor ihm lag, konnte keine ernsthafte Gefahr von ihr ausgehen – dessen war er sich sicher.

„Was ist passiert?“, wollte Caroline nun wissen. Ihrer Stimme fehlte es noch an Kraft.

„Das wüsste ich allerdings auch gern“, antwortete er. „Sie sind einfach umgefallen. Mitten in unserem Streitgespräch. Machen Sie so etwas öfter? Tut Ihnen etwas weh? Sollen wir einen Arzt rufen?“

Ein roter Hauch überzog nun ihre Wangen, sie schlug verlegen die Augen nieder und schüttelte leicht den Kopf.

„So etwas ist mir noch nie passiert“, sagte sie leise. „Ich glaube, es war alles etwas zu viel. Die Reise, die Fahrt, der Wein – auf leeren Magen habe ich den Alkohol wohl nicht so gut vertragen.“

„Leeren Magen?“, echote Emilia, die gerade mit einer Karaffe Wasser und einem Glas das Zimmer betrat. „Kindchen, Sie müssen doch etwas essen. So eine zarte Person, wie Sie sind! An Ihnen ist ja nichts dran, keine Reserven! Kein Wunder, dass Sie einfach so umfallen. Na, warten Sie nur. Ich komme gleich zurück.“

Schon war sie laut vor sich hin schimpfend wieder verschwunden und Sebastiano sah ihr einen Moment schmunzelnd hinterher.

„Na, jetzt haben wir was angerichtet“, meinte er immer noch lächelnd zu Caroline. „Emilia wird keine Ruhe geben, ehe sie Sie nicht ordentlich gemästet hat. Machen Sie sich auf was gefasst.“

Caroline ging nicht auf seinen lockeren Tonfall ein. „Signore …“, begann sie zu sprechen und langsam fand die Stimme wieder zu ihrer Kraft zurück. Sie brach ab und schüttelte den Kopf. „Ich weiß noch nicht mal wie Sie heißen“, gestand sie.

Sebastiano musterte sie und überlegte, ob er ihr glauben konnte. Sollte sie ein Spiel spielen, dann war sie eine ausgesprochen gute Schauspielerin. Für den Moment beschloss er, seine Ressentiments beiseitezulegen und sich auf das Gespräch einzulassen – ganz ohne Vorurteile. Soweit es ihm möglich war jedenfalls.

„Sebastiano“, antwortete er. „Sebastiano Vannucci. Und mit wem habe ich das Vergnügen? Caroline Anderson? Stimmt das, oder ist das nur ein Deckname?“ Kaum dass er es ausgesprochen hatte, biss er sich auch schon auf die Lippen. Hatte er nicht gerade beschlossen, der jungen Frau eine Chance zu geben, sich zu erklären? Prompt reagierte sie verletzt.

„Wieso sollte ich mich unter einem Decknamen hier einschleichen, Signore Vannucci? Wie kommen Sie dazu, mir so etwas zu unterstellen? Glauben Sie vielleicht, ich will Sie ausrauben?“

Er wollte etwas zu seiner Verteidigung sagen, doch sie hatte offenbar bereits wieder genug Kraft, um sich ihm entgegenzustellen. Jetzt setzte sie sich auf und schüttelte ihn ab, als er ihr zu helfen versuchte.

„Danke, ich bin nicht gebrechlich“, fauchte sie.

Sebastiano bewunderte sie für ihre Stärke und ihren Willen – und das, obwohl sie gerade ohnmächtig gewesen war.

„In Ordnung, Signore Vannucci. Jetzt hören Sie zur Abwechslung mal mir zu. Ich bin Caroline und ich bin Engländerin. Ich bin seit heute zu Gast in Ihrem Land und auf der Suche nach einem Zimmer und einem Job. Als wir uns vor einigen Stunden in der Haltebucht begegneten, dachte ich einen Moment, ich könnte Sie um Hilfe bitten. Allerdings hatten Sie sich offenbar gerade mächtig geärgert, ich … mir, also …“ Sie strich sich stöhnend durchs Haar, dann sah sie ihm direkt in die Augen. „Ich habe mich nicht getraut, weil Sie so wütend aussahen. Zufrieden?“

Sebastiano dachte an dieses erste Zusammentreffen zurück. Er war zornig gewesen, weil er die Weinverkostung übernehmen musste. Wirkte er tatsächlich derart einschüchternd auf seine Mitmenschen, dass sie nicht den Mut hatten, ihn anzusprechen?

Er wusste, dass er hin und wieder etwas herrisch war, aber dass er so eine abschreckende Wirkung hatte, machte ihn betroffen. Er würde künftig besser auf sich und sein Verhalten achten, das nahm er sich fest vor. Zumindest konnte er nicht ausschließen, dass das, was sie behauptete tatsächlich stimmte. Caroline sah ihn ganz offen an und es war nicht zu übersehen, dass ihr die eigene Angst durchaus peinlich war. Es war möglich, dass sie die Wahrheit sagte. Doch wie ging die Geschichte weiter? Das war ja nur der erste Teil. So leicht ließ er sich nicht abspeisen.

„Aber weshalb haben Sie mich verfolgt?“, fragte er also. „Und wieso haben Sie so getan, als wären Sie die bestellte Dolmetscherin? Wie haben Sie das überhaupt angestellt mit der Reifenpanne?“

„Reifenpanne? Wer sagt denn, dass ich eine Reifenpanne hatte? Wenn Sie sich bitte erinnern würden – ich bin ganz normal mit meinem Mini hier heraufgefahren und habe neben dem Haus geparkt. Und wie kommen Sie auf die Idee, dass ich Sie verfolgt haben könnte?“, kam prompt die Gegenfrage von Caroline. Doch sie ließ ihm keine Zeit für Erklärungen, sondern sprach gleich weiter: „Nach unserem kurzen Zusammentreffen bin ich wie geplant weitergefahren. Bei zwei Weingütern habe ich mein Glück versucht und nach einem Job gefragt. Jedes Mal wurde ich abgewiesen. Nach der letzten Ablehnung hatte ich die Nase voll. Ganz ehrlich, Signore Vannucci, nach allem, was ich von der Toskana gehört und gelesen habe, hatte ich nicht mit einer derartigen Verschlossenheit und so vielen Absagen gerechnet. Aber gut, vielleicht hatte ich einfach nur einen schlechten Start. Erst einmal wollte ich nur ein bezahlbares Zimmer finden, alles andere konnte warten.“

Caroline warf ihm einen Blick zu, als wolle sie abschätzen, ob er ihr noch folgte und ob er ihr Glauben schenkte. Beides war der Fall.

Also sprach sie weiter: „Dann sah ich das Schild zu Ihrem Weingut und den Hinweis auf die freien Zimmer. Ich ging an die Eingangstür, wollte gerade den Türklopfer betätigen und nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen, als Sie mich auch schon in Empfang genommen haben. Das war alles. Ich wollte das Missverständnis sofort aufklären, aber ich kam ja nicht zu Wort. Und schon haben Sie mich zu der Verkostung geschleppt. Was hätte ich denn tun sollen? Sie vor all diesen Leuten bloßstellen?“

„Sie wollten …?“ Sebastiano starrte Caroline an. Diese Geschichte war so abstrus, dass sie einfach wahr sein musste. Er schüttelte irritiert den Kopf.

„Und was ist das für eine Sache mit der Reifenpanne?“, fragte Caroline.

Das Schicksal spielte manchmal tatsächlich merkwürdige Spiele. Wie Zahnräder griffen die einzelnen Fakten ineinander und wurden zu einem deutlichen Bild. Plötzlich sah Sebastiano klar. Er hatte diese arme Frau vollkommen überrumpelt. In dem Moment konnte er nicht anders, er musste lauthals lachen.

Caroline stimmte nach kurzem Zögern mit ein.

„Scusi“, sagte Sebastiano, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Er wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Solche Verwicklungen gibt es doch sonst nur in Romanen oder Filmen. Hätte mir jemand heute Vormittag gesagt, was für Wendungen dieser Tag nehmen würde, ich hätte ihn für verrückt erklärt.“

„Allora“, klang es von der Tür zu ihnen herüber. „Das Essen ist serviert. Kommen Sie, kommen Sie. Sie müssen doch wieder zu Kräften kommen und etwas auf die Rippen bekommen.“ Emilia stand im Türrahmen und klatschte auffordernd in die Hände.

5. KAPITEL

„Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr.“ Caroline lehnte dankend ab, als Sebastiano ihr erneut den Teller mit den Dolci reichen wollte. Sie hatten es sich nach dem Essen mit Espresso und Dolci im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Das große Zimmer war mit einem hellen Holzboden und weinroten Polstermöbeln behaglich eingerichtet. Caroline entdeckte eine Bücherwand und einen offensichtlich antiken Sekretär.

Hier traf Moderne auf Tradition, man spürte den Einfluss vieler Generationen und alle hatten dem Raum etwas von ihrer Zeit gegeben. Dennoch entstand ein harmonisches Bild, es wirkte nicht zusammengewürfelt.

Im Kamin hatte Sebastiano einige Holzscheite entzündet, es war zwar tagsüber immer noch warm, doch abends tat etwas zusätzliche Wärme absolut gut und das Knistern sorgte für eine schöne Atmosphäre. Caroline verglich den Luxus, den sie hier sah, mit ihrer kleinen Zweizimmerwohnung, die sie zwar gemütlich eingerichtet hatte, aber bei Weitem nicht so, wie sie es tun würde, wenn sie nicht schon immer jeden Cent hätte umdrehen müssen.

Dieses Gefühl kannte ihr Gastgeber wohl nicht. Ob sein Leben so sorglos und bezaubernd war, wie das Haus es erscheinen ließ? Wenn sie sich nicht täuschte, lag in seinem Blick eine Tiefe, die auch von Verletzungen und Kämpfen zeugte. Das war durchaus nachvollziehbar für sie. Reichtum machte zwar einiges im Leben einfacher, alle Probleme hielt er jedoch sicher nicht ab.

Was hätte es Lynn genutzt, wenn sie reich gewesen wären? Ein paar Spezialärzte mehr? Einige teure Untersuchungen? Helfen hätte ihr niemand können, das war eindeutig. Daran hätte kein Geld der Welt etwas geändert.

Autor

Brenda Jackson

Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...

Mehr erfahren
Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen.

Sie erinnert sich an Taschen voller Bücher, die bei Familientreffen von ihrer Mutter, ihren Tanten, ihren Cousinen und sogar ihrer Großmutter weitergereicht wurden. Und daran, wie sie als junges Mädchen...
Mehr erfahren
Danielle Stevens
Danielle Stevens liebt London, wo sie und ihr Ehemann gern Zeit bei ausgedehnten Spaziergängen im Hyde Park oder beim Shopping auf der Regent Street verbringt. Doch auch überall sonst auf der Welt fühlt sie sich zu Hause. So haben ihre Reisen sie unter anderem bereits nach Spanien, Frankreich, Griechenland und...
Mehr erfahren
Nancy Callahan
Mehr erfahren