Sterne über der Seine

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Als die hübsche Schmuckdesignerin Eloise Smith in Paris den griechischen Unternehmer Marcus Kouvaris wiedersieht, ist sie entschlossen, ihn diesmal zu erobern. Bereitwillig geht sie auf seinen heißen Flirt ein - nicht ahnend, dass Marcus einen genauen Plan verfolgt. Raffiniert lockt er Eloise in sein traumhaftes Penthouse an der Seine, um ihr einen unglaublichen Vorschlag zu machen …


  • Erscheinungstag 06.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757496
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wir haben zwar gerade auf das Du angestoßen, aber der Mann deiner schlaflosen Nächte bin ich anscheinend trotzdem nicht.“

Eloise musste lachen, und ihre mandelförmigen grünen Augen funkelten. Amüsiert betrachtete sie Ted Charlton, der ihr am Tisch in dem eleganten Londoner Restaurant gegenübersaß, und schüttelte den Kopf, sodass ihre kupferrotes Haar im Kerzenschein glänzten. Sein übertrieben verzweifelter Gesichtsausdruck war wirklich zu komisch.

„Nein, Ted, das bist du wirklich nicht.“

„Ich habe eben kein Glück in der Liebe.“ Der Akzent seiner angenehm tiefen Stimme verriet sofort den Amerikaner. „Aber was soll’s? Du bist eine großartige Frau, Eloise, und es ist ein Geschenk, sich mit dir unterhalten zu dürfen. Mit meiner geschiedenen Frau wäre ein solches Gespräch, wie wir es heute Abend geführt haben, einfach undenkbar gewesen.“

Sie mochte Ted, der sich gerade von seiner dritten Frau hatte scheiden lassen, weil diese ihm mit einem Jüngeren davongelaufen war. Er war Anfang fünfzig und eher unscheinbar, doch seine Klugheit und sein Humor machten ihn zu einer eindrucksvollen Persönlichkeit. Eloise legte ihm die Hand auf den Arm.

„Du hast mehr Chancen bei Frauen, als du mir weismachen willst, Ted, und führst ein aufregendes Leben. Ich wünschte, meins wäre nur halb so spannend.“

„Einer wunderschönen, hoch talentierten Frau wie dir steht doch die ganze Welt offen! Allein die Tatsache, an deiner Seite gesehen zu werden, schmeichelt meiner Eitelkeit, und wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann, brauchst du es nur zu sagen.“

Konnte sie ihn wirklich reinen Gewissens bitten, seine Absicht wahr zu machen und bei KHE zu investieren? Eine hundertprozentig sichere Geldanlage ist es wirklich nicht, dachte Eloise, aber gibt es die überhaupt? KHE war der Name der Schmuckfirma, die sie zusammen mit ihrer Freundin Katy und deren Ehemann Harry vor einigen Jahren gegründet hatte.

„Wie nett von dir!“ Sie lächelte, um ihre Unsicherheit zu überspielen, denn es war das erste Mal, dass sie mit einem potenziellen Investor verhandelte. Normalerweise war das Harrys Aufgabe, weil er für den kaufmännischen Bereich zuständig war. Da es Katy, die in einigen Wochen ihr erstes Kind erwartete, allerdings schon den ganzen Tag nicht gut gegangen war, hatte er sie gebeten, ihn zu vertreten, wozu sie natürlich sofort bereit gewesen war.

„Ich bin nicht nett, sondern geschäftstüchtig. Ihr habt ein wirklich ausgefallenes und Erfolg versprechendes Konzept, und in zwei, drei Jahren werden eure Boutiquen in allen Hauptstädten der Welt zu finden sein.“

„Jetzt übertreibst du aber!“ Eloise schüttelte den Kopf, war jedoch insgeheim stolz. Dieser Abend war tatsächlich ein Erfolg für sie, geschäftlich sowie persönlich.

Eigentlich fühlte sie sich in vornehmen Restaurants und Bars überhaupt nicht wohl und besaß auch keine entsprechende Garderobe. Da sie fast nur Jeans und T-Shirt trug, hatte sie sich für diesen Anlass von Katy ein elegantes Seidentop borgen müssen, das sie zu einem schlichten schwarzen Rock trug. Zu ihrer Überraschung fühlte sie sich allerdings sowohl in ihrer Kleidung als auch in der luxuriösen Umgebung wohl, denn Ted Charlton hatte sich als geistreicher Gesprächspartner erwiesen, in dessen Gegenwart sie ihre Scheu vergaß. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so amüsiert.

Ted stand auf und verbeugte sich vor ihr. „Wie wär’s mit einem kleinen Tänzchen? Den Vertrag in allen Einzelheiten zu besprechen, können wir getrost auf morgen verschieben, und das solltest du auch besser Harry überlassen. Er hat bestimmt längst den Bleistift gespitzt, um auch ja alles korrekt zu formulieren.“

Eloise zögerte nur kurz. „Okay“, sagte sie dann und versuchte erfolglos, seinen amerikanischen Akzent zu imitieren. Sie mussten beide lachen und gingen gut gelaunt zur Tanzfläche.

Marcus Kouvaris lehnte an der Bar, in der einen Hand das Whiskyglas, die andere lässig in die Hosentasche geschoben. Nadine, das blonde Topmodel an seiner Seite, rückte näher an ihn heran und hakte sich bei ihm ein. Sie sahen sich beide an und wussten, wo und wie der Abend enden würde.

Marcus trank einen Schluck und runzelte die Stirn. Nachdem er fast ein ganzes Jahr zurückgezogen in seiner Villa auf der griechischen Insel Rykos verbracht hatte, freute er sich auf die Zerstreuungen, die London und Nadine zu bieten hatten.

Sein Onkel Theo Toumbis war bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen, und deshalb hatte er, Marcus, sich die vergangenen Monate um seine Tante Christine und seine Cousine Stella, die ebenfalls auf Rykos wohnten, gekümmert, was ihm eine ungewohnt enthaltsame Lebensweise aufgezwungen hatte. Die wenigen Tage, die er in London bleiben würde, wollte er daher voll auskosten.

Gedankenverloren blickte er auf die Tanzfläche, trank noch einen Schluck und hielt dann überrascht den Atem an. Nadine, die sich aufreizend an ihn schmiegte, ließ ihn plötzlich kalt. Dem Mann dort drüben am Tisch schenkte er nur einen verächtlichen Blick, die Frau jedoch fesselte seine ganze Aufmerksamkeit … Eloise, mädchenhaft und unberührt … Eloise, die schon errötete, wenn ein Mann sie nur ansah …

Als sie dem weitaus älteren Mann die Hand auf den Arm legte und ihn regelrecht anhimmelte, lächelte Marcus zynisch, denn es bestätigte die Informationen, die er erhalten hatte: Eloise war nicht besser als ihre Mutter Chloe, der sie geholfen hatte, seinen Onkel Theo um ein beträchtliches Vermögen zu bringen. Er war eigens nach England gekommen, um dafür Vergeltung zu üben.

Nicht, dass es ihm ums Geld ging, denn er konnte es sich ohne Schwierigkeiten leisten, seine Tante und seine Cousine großzügig zu unterstützen. Es ging ihm ums Prinzip: Niemand betrog seine Familie, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Die Angelegenheit hatte allerdings auch noch eine andere, sehr persönliche Dimension. Eloise hatte ihm gegenüber die Unschuld gespielt, und er hatte sich beherrscht und es nicht zu mehr als einigen flüchtigen Küssen kommen lassen – und dann war sie plötzlich ohne ein Wort des Abschieds verschwunden. Niemand, der Marcus Kouvaris zum Narren hielt, kam ungestraft davon!

Er kniff die Augen zusammen, um sie genauer zu beobachten. Kaum zu glauben, aber Eloise wirkte jetzt noch schöner als mit neunzehn. Sie bewegte sich mit natürlicher Anmut und war mit ihrem roten Haar, den grünen Augen und dem hellen, fast durchscheinend zarten Teint eine faszinierende Frau – eine Frau, nach der er spontan verlangte und die ihn das Topmodel an seiner Seite völlig vergessen ließ.

Fünf Jahre! Unbewusst ballte er die Hand in der Tasche zur Faust. Als hätte Eloise gerade noch in seinen Armen gelegen, konnte er sich an die weiche Haut und die zarten Rundungen ihres Körpers erinnern. Seine Erregung wuchs, und um sich abzulenken, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann an ihrer Seite.

Er kannte ihn aus der Presse, denn er hatte kürzlich einen Artikel über ihn in einem Wirtschaftsmagazin gelesen: Ted Charlton, ein reicher amerikanischer Unternehmer, der sich gerade von seiner dritten Frau getrennt hatte. Wut stieg in ihm auf. Er, Marcus, hatte Eloise zugute gehalten, dass sie, jung und unerfahren, wie sie damals gewesen war, unter dem Einfluss ihrer Mutter gehandelt hatte. Wie ihm jetzt klar wurde, war sie allerdings nicht Opfer, sondern Täterin.

In seinem Penthouse lag ein Bericht auf dem Tisch, wonach KHE eine noch kleine, jedoch stark entwicklungsfähige Firma war, die sich auf Schmuckdesign spezialisiert hatte. Er war sich ganz sicher, dass es sich dabei um das Unternehmen handelte, in das sein Onkel Theo zu investieren geglaubt hatte. In dem Vertrag wurde der Firmenname zwar mit „Design Eloise“ angegeben, aber es war die gleiche Geschäftsidee, und auch Eloise hatte das Dokument vor fünf Jahren mit unterschrieben.

Eigentlich hatte er vorgehabt, ganz geschäftsmäßig um die Rückzahlung des Geldes zu verhandeln, das sein Onkel damals unter falschen Voraussetzungen investiert hatte. Doch ihr Anblick, wie Eloise den weitaus älteren Mann nach allen Regeln der Kunst bezirzte, brachte Marcus derart in Wut, dass er es sich anders überlegte.

Er bereute jetzt, dass er den von ihm bezahlten Privatdetektiv neulich am Telefon so kurz abgefertigt hatte. Der Mann hatte ihn vor zwei Wochen angerufen, um ihm das Ergebnis seiner Ermittlungen durchzugeben. Er hatte nicht nur Eloise’ Adresse in London und den Namen ihrer Firma herausgefunden, sondern war auch dahinter gekommen, dass sie nicht Chloes Schwester war, sondern deren Tochter. Auf die Frage, ob Eloise noch in andere Betrügereien verwickelt war, hatte der Mann sie zwar als das reinste Unschuldslamm bezeichnet, dabei allerdings anzüglich gelacht.

Als der Detektiv angeboten hatte, ihm Eloise’ gesamte Akte zu schicken, hatte er, Marcus, abgelehnt. Er redete sich ein, dass er lediglich die Adresse brauchte und nicht mehr. Dass es für ihn eine Tortur gewesen wäre, eine Liste ihrer sämtlichen Liebhaber zu lesen, hätte er niemals zugegeben.

Nun aber, da er Eloise zufällig gesehen hatte, verspürte er den dringenden Wunsch, selbst herauszufinden, was sich hinter ihrer Unschuldsmiene verbarg.

Sicher von Ted über die Tanzfläche geführt, konnte Eloise sich entspannen. Sie war mit sich zufrieden und fühlte sich außergewöhnlich selbstbewusst, denn sie hatte an diesem Abend nicht nur endlich ein sie schon seit Jahren quälendes persönliches Problem überwunden, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen finanzkräftigen Geschäftspartner gewonnen.

„Dreh dich jetzt bitte nicht um“, flüsterte Ted ihr ins Ohr. „Aber an der Bar steht ein Mann, der uns schon eine ganze Weile mit den Blicken verfolgt.“

Eloise wandte natürlich sofort den Kopf und sah in ein Paar dunkler Augen. „Oh“, sagte sie atemlos, kam aus dem Takt und stolperte.

Marcus legte den Kopf zurück und betrachtete ihre Figur mit offensichtlichem Wohlgefallen, bevor er ihr wieder ins Gesicht blickte. Er tat erstaunt, als hätte er sie jetzt erst erkannt, nickte ihr zu und lächelte.

In diesem Moment verstummte die Musik, und Ted legte Eloise schützend den Arm um die Schultern, um sie zum Tisch zurückzuführen. „Du kennst ihn?“, fragte er.

„Ja.“ Als sie nach ihrem Champagnerglas griff, zitterte ihr die Hand. Vergeblich bemühte sich Eloise, so zu tun, als wäre nichts geschehen. „Vor vielen Jahren habe ich mit meiner Mutter Ferien in Griechenland gemacht. Dort habe ich ihn kennengelernt, anschließend aber nie wieder etwas von ihm gehört.“

„Ein Urlaubsflirt?“, erkundigte sich Ted.

„Ja.“ Sie seufzte. „Das ist wohl die richtige Bezeichnung.“ Damals jedoch hatte sie es anders gesehen, denn sie war fest davon überzeugt gewesen, in Marcus Kouvaris den Mann ihres Lebens gefunden zu haben. Er war ihre erste große Liebe gewesen, obwohl sie ihn nur dreimal getroffen hatte. Dann war er plötzlich ans Krankenbett seines Vaters gerufen worden, und sie hatte zurück nach England gemusst. Danach hatte er nie wieder etwas von sich hören lassen.

Und das ist auch ganz gut so, redete sie sich ein, denn als einflussreicher griechischer Millionär, noch dazu mit seinem Aussehen, hatte er bestimmt keine ernsten Absichten.

„Eloise? Eloise Baker?“ vernahm sie seine Stimme, die sie unter Tausenden wieder erkannt hätte.

Langsam hob sie den Kopf und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.

Die fünf Jahre waren nicht spurlos an Marcus Kouvaris vorübergegangen, was allerdings nichts an der Tatsache änderte, dass er noch ebenso umwerfend attraktiv wirkte wie damals. Ganz abgesehen davon, dass er groß und breitschultrig war, ließen sein dichtes schwarzes Haar, die sonnengebräunte Haut und sein markantes Gesicht einfach jede Frau schwach werden …

„Ja, Eloise, aber Eloise Smith“, korrigierte Eloise ihn, ohne über die Konsequenzen ihrer Worte nachzudenken, und bemühte sich um ein nichtssagendes Lächeln.

„Smith, natürlich, wie konnte ich das nur vergessen!“ Marcus fasste sich an die Stirn. „Aber es ist schließlich schon lange her.“ Du hast dich verplappert, meine Süße, dachte er grimmig, denn damit hast du zugegeben, dass du damals unter falschem Namen gereist bist. Und dabei sah sie mit ihren großen grünen Augen und den leicht geröteten Wangen aus wie die Unschuld in Person! Um sie seine Verachtung nicht spüren zu lassen, ließ er ganz bewusst seinen Charme spielen. „Und trotzdem siehst du immer noch aus wie neunzehn – nur noch schöner.“

„Danke.“ Das Kompliment machte sie nervös, und sie ließ den Blick zu seiner Begleiterin schweifen.

Er merkte es und reagierte sofort. „Darf ich vorstellen? Nadine, dies ist Eloise, eine alte Bekannte von mir, und das …“ Er wandte sich an Ted, der die Szene aufmerksam verfolgt hatte.

„Ted Charlton. Wir kennen uns nicht persönlich, ich habe aber schon viel von Ihnen gehört.“ Ted nannte die Leitartikel einiger Wirtschaftsmagazine, und die beiden Männer gaben sich die Hand.

Eloise wunderte sich nicht, dass Nadine nur ein kühles Lächeln für sie übrig hatte. Welche Frau wünschte schon Gesellschaft, wenn sie Marcus Kouvaris an ihrer Seite hatte? Ihr war es vor fünf Jahren nicht anders ergangen, und sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie verzweifelt sie gewesen war, als ihre Mutter darauf bestanden hatte, noch vor seiner Rückkehr wieder zurück nach England zu fliegen.

Sie hatte Marcus einen langen Brief mit ihrer Adresse geschrieben und das Hausmädchen gebeten, ihn ihm zu geben. Über ein Jahr lang hatte sie jeden Tag gehofft, dass er sich melden würde, doch dann hatte ein traumatisches Erlebnis sie in eine tiefe Krise gestürzt und all ihre Hoffnungen und Träume in sich zusammenbrechen lassen.

„Lassen Sie uns zusammen ein Glas trinken“, bot Ted jovial an.

„Ein andermal vielleicht“, antwortete Nadine für Marcus. Sie hakte sich bei ihm ein, sah zu ihm auf und lächelte kokett. „Deine Bekannten haben schon gegessen, Marcus, ich dagegen bin kurz vor dem Verhungern. Du hast mir versprochen, dass wir vorher zusammen essen gehen!“ Sie ließ keinen Zweifel daran aufkommen, was für nachher geplant war.

Eloise fühlte sich durch Nadines Verhalten abgestoßen und schwieg.

„Nadine, Darling, ich bin sicher, dass du noch etwas warten kannst!“ Ohne sich um ihre Einwände zu kümmern, nahm Marcus Teds Einladung an.

Sie setzten sich gemeinsam an einen Tisch, und Ted bestellte eine Flasche Champagner. Marcus hob sein Glas und blickte Eloise tief in die Augen, was ihr Herz in Aufruhr versetzte. Die fünf Jahre, die seit ihrem ersten Treffen auf Rykos vergangen waren, hatten nichts daran ändern können.

„Auf unsere alte Freundschaft!“ Er prostete ihr zu und wandte sich anschließend an Ted. „Und auf unsere neue. Ich heiße übrigens Marcus.“

Sie stießen an, und Eloise trank vorsichtig, um sich nicht zu verschlucken. Dass Marcus nach all den Jahren immer noch diese Wirkung auf sie ausübte, machte sie unsicher und nervös, denn sie war sich ganz sicher gewesen, dass ihre Gefühle für ihn längst erkaltet waren.

Nadine riss die Unterhaltung sofort an sich. „Es überrascht mich, dass Marcus Sie noch nie erwähnt hat. Wir kennen uns nämlich schon fast zwei Jahre.“ Sie musterte Eloise feindselig. „Woher kennen Sie sich denn?“

„Ich habe mit meiner M… Meine Schwester Chloe und ich haben auf Rykos Urlaub gemacht. Chloe kannte Marcus’ Onkel Theo und war von ihm zur Eröffnung einer kleinen Feriensiedlung eingeladen worden, die er gebaut hatte. Zu der Party brachte Theo dann Marcus mit, und …“

„Wie geht es deiner Schwester denn?“, unterbrach Marcus sie und verbarg seine Wut und Verachtung hinter einem höflichen Lächeln. Da Chloe immer wieder einen anderen Namen benutzt hatte, hatte der von ihm beauftragte Detektiv fast ein Jahr gebraucht, bis er endlich dahinter gekommen war, dass Eloise gar nicht Chloes Schwester, sondern ihre Tochter war und auch nicht Baker hieß, sondern Smith – wohl der häufigste und damit unauffälligste englische Nachname überhaupt.

Eloise blickte ihm ins Gesicht, konnte seine Gedanken jedoch nicht erraten. Hatte er die ganze Zeit gewusst, wer sie wirklich war? Ihre Mutter hatte aus Eitelkeit darauf bestanden, sie als ihre Schwester auszugeben, um zu verheimlichen, dass sie bereits sechsunddreißig war und obendrein eine erwachsene Tochter hatte.

Oder befürchtete Marcus, dass sie in Nadines Gegenwart über ihre kurze Romanze plaudern würde? Dann musste ihm viel an Nadine liegen.

„Meine Schwester ist vor drei Jahren gestorben“, erwiderte sie leise und senkte den Kopf. Er jetzt wurde ihr bewusst, dass all die verhassten Lügen nicht mehr notwendig waren, da ihre Mutter ja nicht mehr lebte. Allerdings war dies weder der geeignete Ort noch der richtige Zeitpunkt, um ihm die Wahrheit zu sagen.

„Das tut mir aber leid“, erklärte er in einem Ton, der seine Worte Lügen strafte. „Chloe war eine bemerkenswerte Persönlichkeit.“

Das war sie, dachte Eloise traurig, und wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich nicht das nötige Startkapital für KHE gehabt. Aber eine wirklich enge Beziehung zu ihrer Mutter hatte sie nie gehabt. Mit siebzehn hatte Chloe den Seemann Tom Smith geheiratet, weil sie schwanger war, und sich drei Monate nach ihrer, Eloise’, Geburt schon wieder scheiden lassen. Nachdem sie sie bei ihren Eltern in Alnmouth, einer kleinen Hafenstadt im Nordosten Englands, abgegeben hatte, verschwand sie für vier Jahre. Dann kehrte sie nach einer weiteren gescheiterten Ehe mit neuem Namen zurück, um sie mit Geschenken zu überhäufen. Offensichtlich hatte sie es zu Geld gebracht, war eine erfolgreiche Geschäftsfrau geworden und kam von nun an jedes Jahr zu Besuch.

Für sie war Chloe nie eine Mutter, sondern eher eine gute Fee gewesen, die ab und zu in den herrlichsten Kleidern erschien und ihr viele schöne Dinge brachte. Erst nach dem Tod der Großeltern, als Eloise schon mehrere Semester Design an der Kunsthochschule studiert hatte, waren sie und ihre Mutter sich nähergekommen und hatten sogar eine Zeit lang zusammen gewohnt.

Chloe hatte sich von ihrem künstlerischen Talent und ihren beruflichen Plänen äußerst beeindruckt gezeigt, sich sehr für ihr Studium interessiert und schließlich den Urlaub auf Rykos vorgeschlagen, der ihr erster und letzter bleiben sollte.

„Ich wollte keine traurigen Erinnerungen wecken.“ Marcus stand auf und reichte Eloise die Hand. „Komm und tanz mit mir, damit du wieder auf andere Gedanken kommst.“ Er zog sie vom Stuhl hoch. „Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben“, wandte er sich der Form halber an Ted, war mit ihr aber schon auf dem Weg zur Tanzfläche, bevor dieser auch nur antworten konnte.

Marcus war größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, und sie musste den Kopf zurücklegen, um ihm beim Tanzen ins Gesicht sehen zu können. Er wirkte reifer als vor fünf Jahren, was durch seinen Abendanzug noch unterstrichen wurde, und sie fand ihn noch attraktiver als damals.

„Hast du keine Angst, dass Nadine vor Hunger einen Schwächeanfall bekommt?“, versuchte sie zu scherzen.

Marcus lächelte. „Wenn Nadine Hunger hat, dann nicht auf Essen. Sie ist Model und lebt nur von Salat und Wasser – ihr fehlen deine runde Formen.“ Er zog sie noch enger an sich und streichelte sanft ihren Rücken.

„Willst du damit sagen, dass ich zu dick bin?“ Gespielt entsetzt sah sie ihn an und hoffte, ihr selbstsicheres Auftreten würde ihn über ihre tiefe Unsicherheit hinwegtäuschen können.

Marcus ließ den Blick über den tiefen Ausschnitt ihres Tops gleiten, unter dem sie ganz offensichtlich nichts weiter trug. „Wohlgerundet bedeutet nicht dick, Eloise. Du hast eine perfekte Figur.“ Irgendwie gelang es ihm, ihre Brüste bei der nächsten Drehung mit der Hand zu streifen.

So nah war ihr seit vier Jahren kein Mann mehr gekommen, und so nah, das hatte sie sich eigentlich geschworen, hätte ihr auch nie wieder einer kommen sollen. Dennoch war ihr diese Berührung alles andere als unangenehm – ganz im Gegenteil. Eloise spürte, wie ihre Knospen sich aufrichteten und heißes Verlangen in ihr aufstieg. Entsetzt und beschämt senkte sie den Kopf.

„Du bist ja rot geworden, Eloise“, stellte Marcus fest und führte sie geschickt über die volle Tanzfläche.

„Es ist sehr warm hier.“ Sie zwang sich, ihn anzusehen.

Das kann sie nicht gespielt haben, dachte Marcus und zog sie noch enger an sich, sodass sie spüren musste, welche Wirkung sie auf ihn ausübte. Er fühlte, wie sie erschauerte, und schmiegte die Wange an ihre. „Warm? Ich finde es ausgesprochen heiß“, sagte er dicht an ihrem Ohr.

Er flirtet mit mir, ging es ihr durch den Kopf, und ich empfinde es auch noch als angenehm! Sein warmer Atem, der Duft seines Körpers und die Worte, die er ihr zärtlich zuflüsterte, ließen sie schwach werden und ihr Herz freudig klopfen. Das Trauma von damals war vergessen, und sie war wieder der verliebte Teenager, der den attraktiven und weltgewandten Marcus Kouvaris regelrecht vergötterte.

„Hör auf damit!“ Verzweifelt versuchte sie, wieder zurück in die Realität zu finden. „Was soll Nadine von uns denken?“

„Vergiss Nadine!“ Seine Stimme klang rau. „Das habe ich bei deinem Anblick auch getan. Warum hast du mich ohne jede Erklärung verlassen, Eloise?“

„Du hast doch mich verlassen!“ Eloise war empört. „Zehn Tage habe ich darauf gewartet, dass du etwas von dir hören lässt. Dann mussten wir abreisen.“ Dass ihre Mutter trotz allen Bittens darauf bestanden hatte, verschwieg sie ihm. „Ich habe dem Hausmädchen einen Brief für dich gegeben, in dem ich dir alles erklärt und dir meine Adresse und Telefonnummer genannt habe.“

„Mein Vater hat den Herzinfarkt nicht überlebt. Sobald es mir nach der Beerdigung möglich war, bin ich in die Villa zurückgekehrt. Da waren zwei Wochen vergangen, und ich habe das Haus leer und verschlossen vorgefunden. Keine Spur von einem Hausmädchen oder einem Brief.“

„Es tut mir leid, dass du deinen Vater verloren hast“, sagte sie aufrichtig.

„Ja.“ Marcus zuckte die Schultern. „Es liegt nun schon Jahre zurück. Allerdings schwöre ich dir, dass ich deinen Brief nie erhalten habe, Eloise!“

Er blickte ihr in die Augen, und sie glaubte ihm. „Ja, Marcus, solche Dinge passieren eben.“

„Vielleicht war die Zeit noch nicht reif für uns.“ Zärtlich drückte er ihre Hand. „Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen und freuen uns, dass wir uns zufällig wieder getroffen haben, denn ich habe mich oft gefragt, was aus dir geworden ist.“

Damals, als er nach dem Tod seines Vaters nach Rykos zurückgekehrt war und die Ferienvilla leer vorgefunden hatte, war er der Meinung gewesen, dass Eloise ihm den Laufpass gegeben hatte. Er war zu stolz gewesen, um ihr nachzulaufen und sie zu suchen, doch aus seiner Erinnerung und seinen Träumen hatte er sie nicht verdrängen können.

Als er nach dem tödlichen Unfall seines Onkels Theo dessen Nachlass hatte regeln müssen, hatte er einen Detektiv damit beauftragt, Chloe Baker ausfindig zu machen. Erst kürzlich hatte er erfahren, dass sie bereits verstorben war und Eloise nicht ihre Schwester, sondern ihre Tochter war, die mit Nachnamen Smith hieß.

Als er Eloise vorhin mit Ted gesehen hatte, war das romantische Bild, das er sich wider alle Vernunft immer noch von ihr gemacht hatte, grausam zerstört worden. Insgeheim hatte er gehofft, dass Eloise ihn nur unter dem Einfluss ihrer gewissenlosen und geschäftstüchtigen Mutter belogen hatte. Was für ein Narr er doch gewesen war!

„Mich interessiert, wie es dir in der Zwischenzeit so ergangen ist. Hättest du Lust, morgen Abend mit mir essen zu gehen?“, fragte Marcus sie. „Bitte.“

Er beobachtete, wie sie ihn ängstlich ansah, und hätte am liebsten laut gelacht. Sie hatte wirklich Grund, ihn zu fürchten, die durchtriebene kleine Hexe. Aber letztendlich würde sie der Versuchung nicht widerstehen können, das Bestmögliche für sich herauszuholen. Er kannte genug Frauen ihres Schlags.

„Und was wird Nadine dazu sagen?“ Es war das Erste, was ihr in den Sinn kam. Einen klaren Gedanken konnte sie ohnehin nicht fassen, denn Marcus hielt sie so eng umschlungen, dass sie seine Erregung deutlich spürte.

„Nichts, denn wir sind lediglich flüchtige Bekannte, die sich zu nichts verpflichtet sind.“ Plötzlich lockerte er die Umarmung. „Wie ist es mit Ted? Möchtest du ihm die Illusion lassen, dass er der Einzige für dich ist?“

Eloise entging sowohl die Anspielung als auch sein zynisches Lächeln. Sie war einfach nur erleichtert, dass sie wieder etwas Abstand von ihm hatte.

Sie lachte leise. „Meine Beziehung zu Ted ist rein geschäftlich.“ Dass Marcus annehmen konnte, sie würde sich mit einem Mann einlassen, der vom Alter her ihr Vater hätte sein können, fand sie einfach nur absurd.

„Dann gib mir doch deine Telefonnummer.“ Er kniff die Augen zusammen und betrachtete sie. Ähnelte sie ihrer Mutter und war schon so abgebrüht, dass sie ihre Beziehung zu Ted Charlton als Geschäft sah und das auch noch offen zugab? Er würde es bald herausfinden.

Die Kapelle machte eine Pause, und Marcus führte Eloise, die Hand leicht auf ihren Rücken gelegt, zurück zum Tisch. „Du hast mir immer noch nicht deine Telefonnummer verraten, Eloise!“, erinnerte er sie.

Automatisch nannte sie ihm ihre Nummer, fügte dann allerdings hinzu: „Sie ist viel zu schwer zu behalten. Ruf mich doch in der Firma an – KHE Designerschmuck, die findest du in jedem Telefonbuch.“

Da er hinter ihr stand, um ihr den Stuhl zurechtzurücken, entging ihr sein zorniger Gesichtsausdruck, als sie KHE erwähnte. Und als sie sich endlich wieder gefasst hatte und am Tischgespräch teilnehmen wollte, erhob Marcus sich gerade, lächelte charmant und verabschiedete sich mit Nadine.

Autor

Jacqueline Baird
Wenn Jacqueline Baird nicht gerade an einer Romance schreibt, dann liest sie viel und spielt gern Karten. Falls das Wetter es erlaubt, schwimmt sie häufig im Meer und bedauert, dass sie seit einer schweren Knieverletzung nicht mehr Segeln kann. Zwar ist sie dadurch zu einem „Leben an Land“ verurteilt, aber...
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