Texas Cattleman's Club: After The Storm - 8-teilige Serie

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Royal, Texas, wird von einem Tornado verwüstet - die Mitglieder des TCC und die Einwohner des Ortes arbeiten mit vereinten Kräften am Wiederaufbau. Und finden dabei die große Liebe …

WIE ZÄHMT MAN EINEN TEXANER?

Jed Farrell bekommt immer, was er will - außer seiner Highschool-Liebe Kimberley, die ihn aus heiterem Himmel sitzen ließ. Zehn Jahre ist das nun her! Beim diesjährigen Klassentreffen will er endlich wissen, warum sie ihm den Laufpass gegeben hat ...

FÜR IMMER IN DEINEN STARKEN ARMEN

Dass ihr Nachbar ein heißer Typ ist, hat Beth niemals bestritten. Aber leider ist dieser steinreiche Millionär auch der arroganteste Kerl in ganz Texas! Sie betreibt nun mal nur eine kleine Bio-Farm, nicht wie er eine edle Pferdezucht. Und warum steht Drew Farrell jetzt schon wieder herablassend lächelnd vor ihr?

VERBOTEN SEXY, DIESER MANN!

Whit Daltry ist ein rotes Tuch für die schöne Tierschützerin Megan. Denn der skrupellose Tycoon will im Naturparadies vor der Stadt ein Bürogebiet bauen! Doch als ein Tornado über das Land fegt, rettet ausgerechnet Whit ihrer Tochter das Leben ...

ICH WILL SO VIEL MEHR VON DIR ...

Er will Stella küssen, ihre sinnlichen Lippen auf seinen spüren und ihre zarte Haut streicheln: Zwei Monate ist es her, dass der Unternehmer Aaron Nichols eine heiße Nacht mit ihr verbracht hat. Aber Stella hat ihm das Versprechen abgenommen, ihre Liebesnacht zu vergessen. Unmöglich!

SO HEIß BRENNT MEINE LEIDENSCHAFT

"Küss mich", haucht die bezaubernde Lark und erschauert, als Keaton Holt ihre Lippen erobert. Der attraktive Texaner ist aber auch zu heiß. Außerdem zärtlich und fürsorglich - ein absoluter Traummann! Innerhalb kürzester Zeit hat er Lark das Herz gestohlen, und das, obwohl sie ihn früher für arrogant hielt und ihre Familien seit Jahrzehnten verfeindet sind ...

DIESES UNVERGESSLICHE VERLANGEN

"Halt an!" Bei Skyes Ruf tritt Jake hart auf die Bremse. Ist bei ihrer Autofahrt etwa Skyes Gedächtnis zurückgekehrt, das sie während des Hurrikans verloren hatte? Selbst Jake - ihr eigener Ehemann - war für sie danach ein Fremder! Aber jetzt scheint sie sich plötzlich zu erinnern … an diesen Platz, an dem sie sich früher so heiß küssten und liebten, obwohl ihre Familien verfeindet waren ...

EIN UNWIDERSTEHLICHER ANTRAG

Julie ist unglaublich stolz auf ihren besten Freund Luc: Heimlich hat er das neue Krankenhaus in Royal, Texas gesponsert. Er ist so großzügig und so bescheiden - sie könnte sich glatt in ihn verlieben. Doch ausgerechnet jetzt muss Julie das Land verlassen, weil ihre Arbeitserlaubnis abgelaufen ist ...

EIN TRAUM VON DIR, VERBOTEN UND SINNLICH

Im Glanz der Abendsonne seine Finger durch ihre kastanienbraunen Locken gleiten lassen … Das Funkeln in ihren Augen sehen, während er sie voller Begehren in seine Arme zieht … Wünsche, die sich Cole Richardson nie erfüllen darf - denn die schöne Paige ist die Witwe seines Bruders Craig ...


  • Erscheinungstag 27.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778125
  • Seitenanzahl 1152
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Janice Maynard, Catherine Mann, Sara Orwig, Cat Schield, Sarah M. Anderson, Michelle Celmer, Kathie Denosky

Texas Cattleman's Club: After The Storm - 8-teilige Serie

IMPRESSUM

Wie zähmt man einen Texaner? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
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© 2014 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „The Untameable Texan“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
2017 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Roswitha Enright

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733777418

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Ende August… Royal, Texas

Natürlich glaubte Jed Farrell nicht an Gespenster. Aber an die Geister der Vergangenheit. Er blickte in den Spiegel und zog seine Krawatte zurecht. Dabei zitterten seine Hände, denn heute Abend stand ihm eine Begegnung mit dieser Vergangenheit bevor. Vielleicht würde er endlich Antworten auf die vielen Fragen finden, die er schon vor langer Zeit hätte stellen sollen. Wenn er die Frau wiedersah, die ihm damals das Herz gebrochen hatte.

Inzwischen war es wieder geheilt, ja, hatte sich sogar verhärtet, sodass er gegen weibliche Verführungskünste immun war. Früher war er einfach jung und naiv gewesen. Und obgleich er mittlerweile längst über die damalige Enttäuschung hinweg war, hatte er das Mädchen von damals nicht vergessen können, träumte sogar hin und wieder von ihr.

Als seine letzte Beziehung mit ziemlichem Getöse zu Ende gegangen war, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass er es nie länger als ein halbes Jahr mit einer Frau aushielt. Woran lag das bloß? Es musste doch einen Grund dafür geben.

Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass es etwas mit seiner ersten großen Liebe zu tun haben musste. Bei dem Klassentreffen heute Abend würde er sie wiedersehen. Eine gute Gelegenheit herauszufinden, was damals passiert war, um endlich mit der Vergangenheit abzuschließen.

Der vorgeschobene Anlass für seinen Trip von Dallas nach Royal war die Willowbrook Ranch, die ihm und seinem Bruder Drew gehörte und die im Wesentlichen von Drew bewirtschaftet wurde. Auf der Ranch wurden Rassepferde gezüchtet. Obwohl Jed die meiste Zeit in Dallas verbrachte und dort neben seinem Job als Investmentmanager Kontakte zu möglichen Käufern herstellte, war er doch auch regelmäßig in Royal, wann immer bestimmte Entscheidungen anstanden. Glücklicherweise lag die Ranch etliche Meilen vor der Stadt, denn Jed war nicht gern in Royal. Er hatte zwar viele gute Erinnerungen an seine Zeit dort, doch auch eine sehr belastende. Aber heute Abend würde er endlich mit der Vergangenheit abschließen.

Kimberly Fanning. Die einzige Frau, die wirklich sein Herz berührt hatte. Sie waren nicht nur Freunde gewesen, sondern viel, viel mehr.

Jed blickte auf seine Armbanduhr und beugte sich vor, um ein Stäubchen von einem Schuh zu wischen. Normalerweise fühlte er sich in Jeans und Cowboystiefeln sehr viel wohler als in dem dunkelgrauen Anzug mit dem schneeweißen Hemd. Aber das Klassentreffen nach vielen Jahren fand heute im Ballsaal des Hotels statt, in dem Jed sich eine Suite gemietet hatte. Es handelte sich also eher um eine formelle Veranstaltung. Eigentlich hätte er auch im Elternhaus bei Drew übernachten können, aber er wollte abends etwas trinken – und wer weiß, was sich sonst noch so ergab. War immer gut, vorbereitet zu sein …

Das Hotel war nur vier Stockwerke hoch, die Kleinstadt Royal brauchte keine Hochhäuser. Sie lag mitten im Maverick County und war berühmt für ihre Vieh- und Pferdezucht. Die meisten Besitzungen waren seit Generationen in den Händen derselben texanischen Familien, die schon vor mehr als hundert Jahren den Texas Cattleman’s Club gegründet hatten. Auch die Farrells waren natürlich Mitglieder im TCC, in dem man regelmäßig zusammenkam, um Freunde zu treffen und Geschäfte zu machen.

Auch als Zweitgeborener hätte Jed genügend auf der Ranch zu tun gehabt. Aber nach dem College war er nicht fähig gewesen, nach Royal zurückzukehren. Stattdessen hatte er in Dallas eine Karriere als Finanzberater eingeschlagen und verwaltete inzwischen erfolgreich die Portfolios der reichsten Rancher der Umgebung.

Als er die steile Hintertreppe des Hotels hinunterstieg, da er den Fahrstuhl nicht benutzen wollte, schallte ihm schon Stimmengewirr, Musik und Lachen aus dem Ballsaal entgegen. Vor dem doppeltürigen Eingang blieb er überrascht stehen. Der riesige Raum war mit rotem und goldenem Krepppapier geschmückt. Blumenarrangements in den gleichen Farben waren üppig über den Saal verteilt, und nicht nur das. Selbst Tischtücher und Servietten waren in Rot und Gold gehalten. An den Wänden prangte das Schullogo, und natürlich durfte das Maskottchen des Football-Teams nicht fehlen, ein wild den Säbel schwingender Mann, der aussah wie eine Kreuzung aus Pirat und Wikinger.

Unwillkürlich musste Jed lächeln. Er selbst gehörte damals zu denen, die es diesem Wilden nachtun wollten, für die Verbote nicht existierten und die sehr oft über die Stränge schlugen. Bis er Kimberly kennenlernte.

Kimberly. Ihretwegen war er heute gekommen. Ihretwegen lebte er in Dallas und nicht in Royal. Ihretwegen hatte er sich zu einem Zyniker entwickelt, was Frauen betraf. Als er sich im Saal umsah, stach ihm plötzlich ein pinkfarbener Farbtupfer in die Augen. Er sah genauer hin. Das war sie. Kimberly. Sie stand neben einem langen Tisch, an dem Punsch ausgeschenkt wurde. Er wusste, dass sie mit der Organisation des Festes zu tun hatte. Offenbar musste sie die Catering-Firma überwachen.

Jed beobachtete sie aus der Entfernung und versuchte, sich so cool wie möglich zu geben, obwohl sein Herz wie verrückt klopfte. Ihr trägerloses kurzes Kleid umgab sie wie eine zweite Haut. Erstaunlich, dass sie sich darin bewegen konnte. Das schwarze glänzende Haar hatte sie in einem lockeren Knoten zusammengefasst. Sie sah einfach atemberaubend aus – ihre langen schlanken Beine, die in den High Heels geradezu endlos wirkten, ihr Lächeln … Jed wurde der Mund trocken.

Das Kleid sah teuer aus. Eigentlich erstaunlich, denn sie hatte nicht viel Geld, das wusste er, der ihren Lebensweg in den letzten zehn Jahren verfolgt hatte. Sie arbeitete in einer Boutique. Wahrscheinlich hatte sie als Mitarbeiterin ordentlich Prozente bekommen.

Noch hatte sie ihn nicht entdeckt. Das letzte Mal hatten sie an dem Morgen miteinander gesprochen, als er die Stadt in Richtung College verließ. Zwar hatte er sie danach jeden Tag angerufen. Da sie jedoch nie ans Telefon ging, hatte er es nach zwei Wochen aufgegeben.

Dann hatte er sie noch zweimal gesehen, leider immer nur bei Beerdigungen. Zwei ihrer Klassenkameraden waren sehr früh gestorben, einer an Krebs, einer bei einem Autounfall. Beide Male hatten Jed und Kimberly kein Wort miteinander gewechselt.

Nun hatten sie zum dritten Mal die Gelegenheit. Jed atmete tief durch, straffte die Schultern und ging auf sie zu. Heute Abend wollte er etwas zum Abschluss bringen, hoffentlich freundlich und ohne bittere Gefühle.

„Kimberly“, sagte er leise, als er nur noch zwei Meter von ihr entfernt war, „du siehst fantastisch aus. Wie schön, dich zu sehen.“

Kimberly drehte sich hastig um und starrte ihn an, als sei ihr ein Geist erschienen. Ihr Herz raste plötzlich und sie fühlte sich, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt. Jed Farrell. Du liebe Zeit! Sie hatte zwar gewusst, dass er da sein würde, hatte aber nicht damit gerechnet, dass er von sich aus auf sie zukommen würde. Unwillkürlich musterte sie ihn. Er sah immer noch so toll aus wie früher, wenn nicht sogar besser. Groß und schlank, mit dunkelblondem Haar und diesen unglaublich blauen Augen.

„Jed“, stieß sie atemlos hervor. „Ich war überrascht, als ich hörte, dass du heute kommst.“

„Wir haben doch zusammen Examen gemacht“, sagte er freundlich. „Warum sollte ich nicht kommen?“

Weil du bei unserem fünfjährigen Klassentreffen gefehlt hast … Doch Kimberly sprach ihn lieber nicht darauf an. „Du hast dir dein Namensschild noch nicht abgeholt“, sagte sie betont heiter, sah ihn dabei aber nicht an. „Du kriegst es dort neben dem Eingang. Das Buffet wird in einer knappen Stunde eröffnet. Danach wird getanzt. Viel Vergnügen!“

Sie wandte sich um, doch Jed hielt sie am Arm fest. „Bist du allein gekommen?“

„Ja …“ Sie versuchte, sich zu befreien.

„Nun nicht mehr.“ Er zog sie näher an sich heran. „Wir müssen noch etwas klären, Kimberly. Nach zehn Jahren muss es endlich sein. Das habe ich mir fest vorgenommen.“

„So, du hast es dir vorgenommen? Und ich muss es hinnehmen?“

Sein Blick nagelte sie fest. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du vor zehn Jahren eine Entscheidung über meinen Kopf hinweg getroffen. Ich glaube, nun bin ich mal an der Reihe.“

„Das ist doch Schnee von gestern“, sagte sie wegwerfend. „Es hat keinen Sinn, diese alten Geschichten wieder auszugraben.“

„Wo hast du denn diese Weisheiten gelernt? Auf deiner Hauswirtschaftsschule?“, gab er scharf zurück.

„Nicht jeder kann sich eine teure Collegeausbildung leisten.“ Mit einem Ruck befreite sie ihren Arm. „Und nun entschuldige mich, bitte. Ich muss sehen, ob noch genug Punsch da ist.“

Er strich ihr kurz mit dem Daumen über die Wange. „Glaub mir, Kimberly. Ich bin nur gekommen, um dich zu sehen.“

„Das hättest du auch einfacher haben können. Meine Nummer steht im Telefonbuch.“

„Ich war nicht sicher, ob du nicht gleich wieder auflegen würdest.“

Überrascht trat sie einen Schritt zurück. War er immer noch sauer wegen damals? Er musste doch begriffen haben, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war. Schließlich hatte er inzwischen Karriere gemacht.

Doch bevor sie antworten konnte, kam eine etwas füllige Frau mit knallrotem Haar strahlend auf sie zu. „Ich freue mich so, euch wieder zusammen zu sehen!“, sprudelte sie los. „Ich erinnere mich noch genau an die Abschlussfeier, als ihr Ballkönig und Ballkönigin wart.“

Kimberly wollte sie schnell zum Schweigen bringen, doch Jed begrüßte die ehemalige Mitschülerin mit einem formvollendeten Handkuss. „Darla Thomas, wenn mich nicht alles täuscht. Wie schön, dich wiederzusehen.“

Darla wurde fast so rot wie ihr Haar und starrte Jed hingerissen an. Kimberly kannte diesen Blick nur zu gut. Gegen Jeds Charme war keiner immun, das war schon immer so gewesen. Doch bevor sie die Gelegenheit ergreifen und verschwinden konnte, hielt Jed sie am Handgelenk fest.

„Du musst uns entschuldigen, Darla. Kimberly und ich haben nach der langen Zeit so einiges … zu besprechen.“

Dabei zwinkerte er Darla zu, die noch roter wurde, falls das überhaupt möglich war, und kichernd sagte: „Aber sicher. Bin schon weg.“ Damit verschwand sie in der Menge.

Kimberly sah ihr hinterher und wandte sich dann empört an Jed. „Bist du verrückt geworden? Darla ist die schlimmste Klatschtante der Stadt.“

„Na und? Worüber sollte sie klatschen?“

„Das weißt du ganz genau. Bei deinen Andeutungen kann sie sich ja einiges ausmalen.“

„Wieso? Ich habe doch nur die Wahrheit gesagt.“ Jed tat harmlos.

„Das war schon zu viel. Denn wir haben uns überhaupt nichts zu sagen.“

„Oh, doch.“ Er zog sie zu sich und sah sie beinahe drohend an. „Wir müssen noch etwas zu Ende bringen. Danach brauchst du kein Wort mehr mit mir zu wechseln.“

„Was denn zu Ende bringen?“

„Was wir damals angefangen haben. Das können wir tun, wie auch immer du es willst. Wir können uns unterhalten, zusammen essen, vielleicht auch tanzen.“

Immer noch sah sie ihn an, als wisse sie nicht genau, worauf das alles hinauslief. Dabei hatte sie in den letzten zehn Jahren immer wieder darüber nachgedacht, ob es wirklich richtig gewesen war, mit ihm Schluss zu machen. Aber Jed war bestimmt schnell über sie hinweggekommen. Er war achtzehn gewesen und hatte auf dem College ein ganz anderes Leben kennengelernt. Falls er anfangs wütend gewesen war, hatte sich das sicher bald gelegt. „Okay, wenn du unbedingt willst. Und es wichtig für dich ist. Aber warum gerade jetzt?“

Seine Gesichtszüge glätteten sich, und er lächelte. „Ja, es ist wichtig, Kimberly. Du fragst, warum jetzt. Warum nicht jetzt? Du bist da, und ich bin da, der ideale Zeitpunkt.“

Obwohl Kimberly halbherzig zugestimmt hatte, schien es, als wollte sie einem Gespräch erst einmal ausweichen. Die nächste Dreiviertelstunde war sie ständig unterwegs, musste hier helfen und dort ein Problemchen lösen. Aber Jed hatte eher das Gefühl, dass sie Gründe suchte, ihm aus dem Weg zu gehen.

So nutzte er die Zeit, um alte Freunde zu begrüßen, die mittlerweile außerhalb der Stadt wohnten, und Bekanntschaften mit denen wieder aufzufrischen, die in Royal geblieben waren. So zufrieden und erfolgreich er auch in Dallas war, Royal war und blieb seine Heimat. Die meisten Leute kannte er. Craig Richardson zum Beispiel, der zwei Klassen über ihm gewesen war. Und da war Megan Maguire, die das städtische Tierheim leitete, hübsch und freundlich wie immer. Selbst Keaton Holt war gekommen, obwohl er für Partys eigentlich nicht viel übrig hatte.

Jed sah sich im Saal um. Wo sollte er sich hinsetzen? Die meisten Tische waren für acht gedeckt, aber es gab auch ein paar kleinere, an denen nur vier Leute Platz hatten. Er ging zum Eingang, um sein Namensschild und Platzkarten für sich und Kimberly zu holen. Dabei fiel ihm auf, dass zwei Gäste offenbar nicht gekommen waren, denn ihre Schilder lagen noch da. Schnell ließ er auch deren Platzkarten in seiner Jackentasche verschwinden und stellte dann alle vier auf einem der Vierertische auf. Wenn er Glück hatte, würde er mit Kimberly allein sein.

Als das Buffett eröffnet wurde und sich alle anstellten, konnte auch Kimberly ihn nicht länger ignorieren. Sie winkte ihn zögernd heran, und als sie sich bedient hatten, führte er sie an den Tisch. Als sie sah, dass sie mit Jed allein sein würde, schrak sie zurück.

„Sicher ist an einem der großen Tische noch Platz für uns“, sagte sie schnell. „Du willst doch sicher mit deinen alten Buddys zusammensitzen.“

Er legte ihr die Hand auf den Rücken und schob sie sanft vorwärts. „Nein, ich will mit dir allein sein. Wir müssen reden. Setz dich.“

Die Band spielte leise, und gedämpftes Gemurmel war zu hören. Nur in der Ecke, wo Kimberly und Jed saßen, fiel kein Wort. Sie widmete sich ganz ihrem Essen, als sei sie total ausgehungert, und hob nicht ein einziges Mal den Blick.

Doch das störte Jed nicht, denn so hatte er Gelegenheit, sie in aller Ruhe zu betrachten. Er war selbst überrascht und irgendwie auch verärgert darüber, dass sie immer noch eine solche Wirkung auf ihn ausübte. Es waren reichlich hübsche Frauen da, aber die einzige, die ihn interessierte und nach der er sich sehnte, war die sexy Schönheit ihm gegenüber.

Er wartete geduldig, bis sie aufgegessen hatte. Irgendwann musste sie ihn ja ansehen. Aber erst als sie auch noch den Nachtisch verputzt und das dritte Glas Wein heruntergestürzt hatte, hob sie den Kopf.

„Früher warst du sehr viel gesprächiger“, begann er, jetzt doch leicht genervt. „Wenn ich mich richtig erinnere, hast du dich gern über uns und unser Verhältnis ausgelassen.“

Sie lehnte sich zurück und sah ihn lange mit ihren großen dunkelbraunen Augen an. „Lass die Vergangenheit ruhen, Jed. Ich weiß wirklich nicht, was du von mir willst.“

Er nippte an seinem Kaffee und stellte die Tasse dann langsam wieder hin. „Eine Erklärung zum Beispiel, warum du mit diesem dürftigen Zettel mit mir Schluss gemacht hast. Aber vielleicht hattest du das auch schon länger vor und warst nur zu feige, es durchzuziehen.“

„Das ist einfach zu erklären. Ich wollte hierbleiben, du wolltest die Stadt verlassen.“

„Das kaufe ich dir nicht ab. Auf dem Zettel stand lediglich, dass Fernbeziehungen nie klappen und du mir deshalb die Freiheit gibst. Aber das war nicht alles, genauer gesagt, das war eine Lüge und nicht der eigentliche Grund. Den möchte ich endlich erfahren. Schließlich bin ich jetzt erwachsen und nicht mehr der naive Jüngling, den das Ganze damals hart getroffen hat.“

„Du hast recht. Das war nicht alles.“

„Dann sag es mir, Kimberly. Bitte.“

Als er nach ihrer Hand griff, zuckte sie kurz zusammen. Also hatte sie sie auch gespürt, diese Erregung, die sie schon damals bei der kleinsten Berührung empfunden hatten. Zärtlich strich er ihr über den Handrücken. Plötzlich war sie wieder da, die Erinnerung, wie sie ihn mit ihren zierlichen Händen überall liebkoste …

Unwillkürlich musste er sich räuspern. „Warum hast du mich angelogen?“

Heftig schüttelte sie den Kopf. „Es war keine Lüge, wirklich nicht. Aber wohl auch nicht die ganze Wahrheit.“

„Was ist die ganze Wahrheit?“ Wie oft hatte er sich in den letzten zehn Jahren gefragt, warum ihn keine Frau so sehr berührte wie Kimberly. Und warum er der ersten Frau, mit der er geschlafen hatte, offenbar so gleichgültig war, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte.

„Du warst ein Farrell, kamst aus einer reichen Familie und hattest eine große Zukunft vor dir. Ich liebte dich zu sehr, als dass ich dir im Weg stehen wollte. Ich musste für meine Großmutter sorgen, das war damals meine Zukunft. Und ich wusste, wenn ich dir das ehrlich sagen würde, hättest du versucht, mich umzustimmen, und wir hätten uns letzten Endes gestritten. Das hätte ich nicht ertragen.“

„Aber du hättest mich doch einmal im Monat besuchen können. Ich hatte angeboten, dir das Busticket zu schicken.“

„Ich weiß. Aber das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Es war schrecklich, Schluss zu machen, aber ich dachte, ein Ende mit Schrecken ist besser als Schrecken ohne Ende. Denn ich war sicher, unsere Beziehung würde nicht halten. Du warst meine erste große Liebe, der erste Mann, mit dem ich geschlafen habe. Diese Erinnerung wollte ich ungetrübt im Herzen bewahren.“

„Zwei Wochen lang habe ich dich jeden Tag angerufen.“

„Ich weiß. Das Klingeln empfand ich immer wie einen Dolchstoß. Aber ich war sicher, dass mit der Zeit alles besser würde.“

„Und ist es das geworden?“ Jed wusste, dass sich Kimberly vor drei oder vier Jahren verlobt hatte. Allerdings hatte die Verlobung nicht lange gehalten. Manchmal war Klatsch auch ganz praktisch. Sollte er ihr gestehen, dass er davon gewusst und kurz überlegt hatte, nach Royal zu kommen, um die Gelegenheit zu nutzen? Aber dann hatte er so viel zu tun gehabt, und außerdem steckte er selbst in einer Beziehung …

Sie setzte sich aufrecht hin und sah ihn ernst an. „Ich habe mich nicht in Tränen aufgelöst, falls du darauf anspielst. Und ich bin sicher, dass du auch nicht wie ein Mönch gelebt hast.“

„Eifersüchtig, Kimmie?“ Das war ihr alter Kosename.

„Warum sollte ich eifersüchtig sein? Bilde dir bloß nichts ein. Ich hatte auch einige Beziehungen …“

„Das glaube ich gern.“ Aber er mochte nicht weiter darüber nachdenken.

„Was ist mit dir los, Jed? Was willst du von mir?“

Ja, was wollte er eigentlich? Es tat seinem Selbstbewusstsein gar nicht gut, dass er sie die ganzen Jahre nicht hatte vergessen können, während sie offenbar sehr gut ohne ihn zurechtgekommen war. „Komm, lass uns tanzen.“

„Warum?“ Sie sah ihn misstrauisch an.

Recht hatte sie. Beim Tanzen musste sie zulassen, dass er sie in den Armen hielt. „In Erinnerung an alte Zeiten.“

Sie wehrte sich nicht, als er ihre Hand ergriff und sie hochzog. Aber sie musterte ihn argwöhnisch, während sie zur Tanzfläche gingen. Der Kampf war noch nicht gewonnen, das war ihm klar.

Jed hatte nicht viel für Countrymusik übrig. Generell interessierte er sich nicht sehr für Musik. Stille war ihm lieber. Oder die Laute der Natur. Das Wiehern eines Pferdes. Der Schrei eines Adlers.

Aber die Band heute Abend spielte nicht das Übliche. Die Jungs stammten aus Royal und hatte ihren eigenen Stil, zu Jeds Überraschung spielten sie im Wesentlichen Liebeslieder. So konnte er Kimberly zärtlich in die Arme nehmen und sich in dem einschmeichelnden Rhythmus langsam mit ihr bewegen.

Unwillkürlich musste er an früher denken. Wie einfach war da das Leben gewesen. Wenn sein Footballteam gewann, wenn er gute Noten nach Hause brachte und Kimmie Fanning ihn anlächelte, dann war die Welt in Ordnung. Bis zu dem Tag, an dem sein Mädchen sein Herz mit Füßen trat.

Vorsichtig strich er ihr über den Rücken. Wie gut es sich anfühhlten, sie in den Armen zu haben, so, als sei alles wie früher. Und obwohl er heute zu diesem Fest gekommen war, um die Wahrheit von Kimberly zu erfahren, war es irgendwie viel komplizierter. Eineinhalb Jahre waren sie befreundet gewesen, waren ins Kino gegangen, hatten getanzt und sich wunderbar verstanden. Im Frühling dann, unmittelbar vor dem Schulabschluss, hatten sie dreimal miteinander geschlafen.

Immer noch hatte er ihr Gesicht vor Augen, als er das erste Mal mit ihr schlief. Nicht nur für sie, auch für ihn war es das erste Mal gewesen. Und obwohl er sich bestimmt ziemlich ungeschickt angestellt hatte und viel zu schnell kam, hatte sie ihn mit einem Lächeln angesehen, als sei er der beste Liebhaber der Welt. Das hatte ihn sehr stolz und glücklich gemacht.

Er schüttelte leicht den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Was war nur mit ihm los? Sie war doch auch nur ein Mädchen wie viele andere gewesen, und inzwischen hatte er reichlich Frauen gehabt. Kein Grund, so erregt und glücklich zu sein, nur weil er sie wieder in den Armen hielt.

Doch als sie leise seufzend den Kopf an seine Schulter lehnte, wusste er den Grund. Er spürte ihre Brüste, die sich warm und voll gegen seinen Körper drückten, und hielt Kimberley fest an sich gepresst. Sofort war er erregt, was auch sie spüren musste. Sollte ihm das peinlich sein? Wahrscheinlich nicht, denn zu seiner Überraschung versuchte sie nicht, sich von ihm zu lösen.

„Komm mit in meine Suite“, drängte er. „Ich möchte mit dir allein sein.“

2. KAPITEL

Erregt, wie sie war, nahm Kimberly Jeds Worte wie durch einen Schleier wahr. Ihre eigene Reaktion überraschte sie und war doch so beglückend. Der Junge, den sie einst geliebt hatte, war zu einem beeindruckenden Mann herangewachsen. Doch jetzt trennte sie wesentlich mehr als früher. Auch ohne das Vermögen, das er als Finanzberater gemacht hatte, hatte er schon wegen seines Anteils an Willowbrook mehr Geld, als sie in ihrem ganzen Leben verdienen würde. Er war reich, und sie lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen. Daraus konnte nichts werden.

Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken, sie wollte einfach nur den Moment genießen. Jahrelang hatten sie es geschafft, sich aus dem Weg zu gehen. Bis zum heutigen Abend, an dem Jed aus unerfindlichen Gründen nur mit ihr zusammen sein wollte. Er sagte, er wolle etwas zu Ende bringen. War Sex dabei vorgesehen? Hoffentlich ja, dachte sie – und schämte sich im gleichen Augenblick dafür.

Sie musste daran denken, wie leicht sie früher voneinander erregt worden waren. Ein Kuss und sie standen in Flammen. Einmal hatten sie nachts in einem See nackt gebadet. Sie hatte sich vor dem gefürchtet, was sie unter der schwarzen Wasseroberfläche vermutete. Aber Jed hatte nur gelacht, hatte sich ihre Beine um die Hüften gelegt, sie fest an sich gezogen und so wild geküsst, dass ihre Angst verflogen war. Noch Jahre später hatte sie diese Situation vor Augen, als sei es gestern gewesen.

Jed hielt sie eng an sich gedrückt. Wie oft hatte sie davon geträumt, und auch jetzt wusste sie nicht, ob es Wirklichkeit war oder nur ein Traum. Er roch so gut … nach warmer Männerhaut und teurem Aftershave. Der Maßanzug saß perfekt und betonte seine breiten Schultern, Schultern, an denen man sich anlehnen konnte.

Sie bebte vor Erregung – wie damals, als sie erst siebzehn war und sich in den beliebtesten Jungen der Schule verknallt hatte. Dass Jed sich damals mit ihr anfreundete, hatte viele Mädchen verblüfft und auch verärgert. Warum hatte er sich ausgerechnet Kimberly Fanning ausgesucht, wo er doch die Auswahl unter den reichen Mädchen der Stadt hatte, die immer modisch and teuer gekleidet waren und bereits zu ihrem sechzehnten Geburtstag einen Sportwagen bekamen?

Kimberlys Eltern und ihr einziger Bruder waren bei einem Autounfall umgekommen, als sie vierzehn war. Sie war damals zu ihrer kränklichen Großmutter gezogen und hatte für sie gesorgt. Als Grammy Tilda dann vor drei Jahren starb, stand Kimberly ganz ohne Familie da. Sie hatte die Großmutter geliebt, die ihr die Eltern ersetzt und sie mit ihren erstaunlich modernen Ratschlägen auf das Leben vorbereitet hatte.

Als Jed sie aufs Ohr küsste, fuhr Kimberly aus ihren Gedanken auf. „Wir sollten jetzt gehen, Kimmie“, flüsterte er.

Sie nickte.

Auf dem Weg zum Ausgang wurden sie immer wieder aufgehalten, umarmten diese und jenen und tauschten Erinnerungen und Anekdoten aus. Kimberly hatte ihre organisatorischen Aufgaben erledigt und deshalb kein schlechtes Gewissen, dass sie etwas früher ging. Bald würde sie mit Jed allein sein … Bei dem Gedanken überlief es sie heiß, und ihr Herz schlug wie verrückt.

Endlich hatten sie den Fahrstuhl erreicht. Sie stiegen ein, die Türen schlossen sich. Schweigen. Jed starrte auf seine Schuhe, und Kimberly betrachtete sein Profil. An die kleine Delle auf der Nase konnte sie sich gut erinnern. Während eines Footballspiels war er mit einem anderen Spieler zusammengestoßen, und sie war vor Schreck von ihrem Sitz aufgesprungen. Glücklicherweise war nichts weiter passiert.

Der Fahrstuhl hielt. Die Türen öffneten sich, und Jed ließ Kimberly vorgehen. Noch immer sagte er kein Wort. Warum nahm er nicht wenigstens ihre Hand? Vorhin auf der Tanzfläche hatte er sie doch fest in die Arme genommen. Hatte er es sich anders überlegt? Dann sollte sie lieber umkehren.

Wortlos öffnete er die Tür. Kimberly trat ein, bevor sie sich schnell zu ihm umdrehte. „Hattest du das eigentlich die ganze Zeit vor? Hast du dich deshalb im Hotel eingemietet?“

„Spielt das eine Rolle?“

„Ja.“

„Warum? Ich habe mir ein Zimmer genommen, damit ich nachts nicht zur Ranch zurückfahren muss. Natürlich habe ich dabei auch an dich gedacht. Andererseits war ich aber ziemlich sicher, dass du mit einem Freund kommen würdest.“

Sie sah ihn lange schweigend an. Dann nickte sie langsam. „Bin ich aber nicht. Und nun?“

Er schob sie weiter in den Raum und schloss die Tür. „Du kannst jederzeit gehen, wenn du willst. Ich halte dich nicht gefangen, und ich werde dich nicht ans Bett fesseln.“ Er lachte trocken, ging zur Minibar und goss sich einen kräftigen Drink ein, den er hastig herunterstürzte.

Also war er doch nicht so gelassen, wie er tat. Bei der Vorstellung, was jetzt vielleicht geschehen würde, beschleunigte sich Kimberlys Atmung. Als Teenager hatte ihnen die einfachste Sexstellung genügt. Wie würde es jetzt ablaufen, da sie beide erwachsen und erfahren waren? Ein Blick auf Jed Farrell und sie erbebte. Wartete er darauf, dass sie die Initiative ergriff?

Früher hatte sie von einer gemeinsamen Zukunft geträumt, naiv, wie sie war. Heute wusste sie, dass im Leben nichts sicher war. Dass alles anders kommen konnte, als man es sich erträumt hatte. Vielleicht war dies die einzige Gelegenheit, sich näherzukommen und auszuräumen, was zwischen ihnen stand. Vielleicht konnten sie so etwas wie einen Waffenstillstand erreichen, vielleicht sogar Freunde werden. Jed wollte etwas zu Ende bringen, hatte er gesagt. Zumindest war er ehrlich gewesen.

Und was wollte sie?

Sie wollte ihn.

Mit dem leeren Glas in der Hand stand Jed da und tat so, als würde er sie nicht beobachten. Dabei hatte er sie sehr genau im Blick. Ihre Miene zeigte ihm, dass sie genauso hin- und hergerissen war wie er. Er zumindest hatte gewusst, was der Abend ihm bringen könnte. Sie dagegen war ahnungslos gewesen.

Als Kimberley auf ihn zukam, hielt er unwillkürlich die Luft an. Sie blieb vor ihm stehen und strich nervös ihr Kleid glatt. „Hast du in Dallas eine Freundin, die irgendwelche Ansprüche an dich stellt? Oder irgendwo sonst?“

„Nein.“ Er stellte das Glas ab. „Ist das wichtig?“

Sie hob kurz die Schultern. „Ja, für mich schon.“

Er konnte ihr ansehen, dass sie nervös war. Angst hatte, die falsche Entscheidung zu treffen. Aber noch etwas anderes stand in ihren großen braunen Augen: Verlangen. Er streckte die Hand nach ihr aus. „Ich habe so oft an dich denken müssen, Kimberly, häufiger als du dir vorstellen kannst. Du warst wie ein Stachel in meinem Fleisch, der mir keine Ruhe ließ.“

Sie rümpfte kurz die Nase und lachte leise. „Das hört sich nicht gerade an wie ein Kompliment. Aber … mir ging es nicht viel anders. Erinnerst du dich? Du brauchtest mich nur anzusehen, und ich schmolz dahin.“

„Und jetzt? Wie ist es jetzt?“ Er ergriff ihre Hand und drückte sie.

„Heute Nacht können wir die Vergangenheit noch einmal wiederaufleben lassen. Oder?“

Oh ja … Jed hatte kaum zu hoffen gewagt, dass sie dazu bereit war. „Eine wunderbare Idee.“ Er zog sie zu sich heran und nahm sie fest in die Arme. Sofort kamen all die Erinnerungen an früher wieder hoch. Und als sie ihm die Arme um den Nacken legte und sich an ihn schmiegte, ergriff die Erregung Besitz von ihm wie damals als Teenager, als er zitterte vor Verlangen, sie endlich zu nehmen und ganz in ihr zu sein. „Du riechst so gut“, flüsterte er und ihren schlanken Hals.

„Das hast du damals auch gesagt.“ Sie lachte. „Ich dachte, dir sei in zehn Jahren mal was anderes eingefallen.“

Spielerisch biss er ihr ins Ohrläppchen. „Mach dich nicht lustig über mich. Ich bin sowieso schon ganz durcheinander.“

Sie schob ihn leicht von sich und sah ihn verblüfft an. „Warum denn das?“

„Das fragst du noch? Ich hatte gehofft, dass ich dich heute Abend sehen würde, dass wir uns kurz unterhalten und ich ganz cool bleiben kann.“

„Und?“ Sie schleuderte ihre High Heels von sich, wackelte mit den Zehen und runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, was du damit sagen willst. Wenn du noch wütend auf mich bist, dann spuck es aus.“

Ja, er war wütend. Wütend auf sie, dass sie damals Schluss gemacht hatte. Wütend auf sich selbst, weil er nicht hartnäckiger versucht hatte, sie umzustimmen. Wütend, weil er seitdem mit anderen Frauen nicht viel anfangen konnte.

„Ich habe dich gehasst!“, stieß er hervor. „Ziemlich lange sogar.“

Kimberly wurde blass und ließ sich auf die Bettkante fallen. „Das tut mir leid. Ich dachte, das Collegeleben würde dich schnell auf andere Gedanken bringen.“

„Das schon. Aber nach dem College war ich immer noch nicht fähig, mit dir in einer Stadt zu leben.“ Sie sah ihn so traurig an, dass er hätte hinunterschlucken sollen, was ihm auf der Zunge lag. Aber er konnte nicht. All die verletzten Gefühle brachen sich Bahn. „Ich habe dich geliebt, Kimberly. Und weißt du, was das Schlimmste war? Dass du mit diesen knappen Worten auf einem kleinen Zettel mit mir Schluss machen konntest. Da war mir klar, dass du mich nie geliebt hast.“

„Aber ich …“

Er winkte ab. „Lass nur. Damals musstest du wohl so handeln.“

„Es tut mir so leid“, wisperte sie, und eine Träne rollte ihr über die Wange.

„Mir auch.“ Sein Herz war schwer wie damals, voll Frust, Bedauern, Verzweiflung. „Bitte, nicht weinen. Das wollte ich nicht. Deshalb habe ich dich nicht mit hier rauf genommen.“

„Ich weiß.“ Mit dem Handrücken wischte sie sich weitere Tränen aus dem Gesicht. „Aber ich kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Du musst mir verzeihen. Selbst wenn es dich nicht tröstet, ich war damals auch verzweifelt.“

„Aber nicht so sehr, dass du deine Entscheidung rückgängig gemacht hättest.“

„Nein.“ Kimberly senkte kurz den Blick. „Das Ende war für uns beide sehr hart“, sagte sie leise und sah Jed wieder an. „Aber ich will ehrlich zu dir sein, ich hätte wahrscheinlich immer wieder so gehandelt. Ich war damals reifer als andere Siebzehnjährige. Und ich wusste, dass ich für Grammy Tilda da sein muss. Sie brauchte mich. Vor dir dagegen lag eine Welt voller Möglichkeiten. Und die wollte ich dir nicht verbauen. Denn mir war klar, dass du in Royal geblieben wärst, wenn ich nicht Schluss gemacht hätte.“

Da war etwas dran. Vielleicht war ihre Entscheidung ja doch richtig gewesen. Die Einsicht fiel Jed schwer, und er schob den Gedanken erst mal zur Seite. „Du hast gesagt, das sei alles Schnee von gestern, und das ist wahr. Aber du bist immer noch eine wunderschöne Frau, Kimmie, und ich begehre dich.“

Sie lächelte unter Tränen. „Ich dich auch.“

Langsam stand sie auf, und er umarmte sie und legte ihr beide Hände auf den kleinen festen Po. Sie war hier, hier bei ihm, wie konnte er da noch böse sein?

Vorsichtig zog er den langen Reißverschluss auf. Den ganzen Abend hatte er sich überlegt, ob sie unter dem hautengen Kleid wohl nackt war. Ja, sie war es, fast wenigstens. Zärtlich strich er ihr über die warme glatte Haut.

Sehr schnell überwanden sie das anfängliche Zögern. In Windeseile hatten sie einander ausgezogen, kein Wort fiel. Sie lächelten, hin und wieder hielten sie kurz den Atem an, etwa als er ihr den winzigen Spitzenslip auszog oder ihr Blick auf seine prachtvolle Erregung fiel.

Als er ein Kondom aus der Nachttischschulblade holte, schüttelte sie den Kopf. „Nicht nötig, ich nehme die Pille“, sagte sie errötend. „Und ich bin … ich meine, ich habe mich untersuchen lassen …“

Er legte ihr den Finger auf die Lippen. „Ich mich auch. Alles in Ordnung.“

Wie ein altes Ehepaar kletterten sie ins Bett und deckten sich zu.

„Ich bin nervös“, flüsterte sie.

Alle Zärtlichkeit, die er jemals für sie empfunden hatte, war plötzlich wieder da. Vorsichtig schlug er die Decke zurück und schob sich halb auf Kimberly. „Ich auch, ich Schwächling“, gestand er.

Leise lachend legte sie ihm die Hände auf die kräftigen Rückenmuskeln. „Du bist zwar vieles, aber ganz bestimmt kein Schwächling.“ Sie strich ihm das Haar aus der Stirn. „Weißt du, damals war mir gar nicht richtig bewusst, wie besonders unser Verhältnis war. Männer wie du sind wirklich rar.“

„Was meinst du damit?“ Er schob sich zwischen ihre Beine, hielt sich aber zurück, denn er musste wissen, worauf sie anspielte.

„Schon damals musstest du dir nichts beweisen. Auch als Teenager warst du sehr selbstbewusst. Deshalb konntest du einfach freundlich und fürsorglich denen gegenüber sein, die es brauchten. Ich zum Beispiel. Trotz deiner Kraft konntest du sanft sein. Dafür habe ich dich bewundert. Und geliebt.“

Wenn sie wüsste, wie wenig freundlich und wie unsanft seine Gedanken gewesen waren, als sie Schluss gemacht hatte. Lange Zeit hatte er nur darüber nachdenken können, wie er es ihr heimzahlen konnte, damit sie genauso litt wie er. Aber als Achtzehnjähriger war ihm natürlich sehr wichtig gewesen, sich nichts anmerken zu lassen und so zu tun, als mache ihm das alles nichts aus. Was wäre geschehen, wenn er sich nicht hätte abschieben lassen? Wenn er nach Royal zurückgekehrt wäre und sie zur Rede gestellt hätte?

Das würden sie nie wissen. Er blickte auf sie hinunter. Sie sah ihn aus großen Augen an, die ihr Verlangen und ihre Nervosität widerspiegelten. Ihm ging es genauso. Zärtlich liebkoste er ihre Brüste, und Kimberly schloss halb die Augen und bog sich ihm leicht entgegen. Diese warme glatte Haut, die harten tiefrosa Spitzen … Jed konnte nicht anders, er musste Kimberley nehmen, jetzt sofort. Er spreizte ihre Beine weit und drang langsam in sie ein, ein unbeschreibliches Gefühl …

„Kimmie, das ist … Wahnsinn!“

Sie legte ihm die Beine um die Hüften.

„Oh ja …“ Er erschauerte und war erregt wie beim ersten Mal. „Ich dachte, ich hätte mir alles zu schön ausgemalt. Aber es ist noch viel besser. Was machst du mit mir?“ Schweiß trat ihm auf die Stirn. Vorsichtig begann er, sich in ihr zu bewegen. Bloß nicht zu schnell, sonst war gleich alles vorbei.

Doch Kimberly wollte es anders. Immer wieder hob sie ihm die Hüften entgegen, drängte sich an ihn, wollte ihn tiefer und tiefer in sich spüren. „Komm zu mir, Jed“, stieß sie keuchend hervor, „komm zu mir…“

Und er tat, was sie wollte. Wieder und wieder stieß er in sie, und sie warf den Kopf hin und her, umklammerte Jeds Schultern und feuerte ihn an, bis sie laut aufschrie und sich dann schwer atmend auf das Laken zurückfallen ließ.

Es war unglaublich …

Doch als Jed nach sechs Stunden aufwachte, war das Bett neben ihm leer.

3. KAPITEL

Oktober … Royal, Texas

Jed wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihm war heiß wie im Hochsommer, und dabei war Oktober. Aber das war typisch für Texas, das Wetter konnte unglaublich schnell umschlagen.

Die letzten drei Stunden hatte er mit Drew und einem berühmten Pferdetierarzt in der großen Scheune verbracht. Drew hatte große Pläne für die Willowbrook Ranch, wollte nicht nur das Gelände, sondern auch die Pferdezucht vergrößern. Und Jed sollte darauf achten, dass alles in einem vertretbaren finanziellen Rahmen blieb.

Besonders interessiert war Drew daran, die angrenzende kleine Farm hinzuzukaufen, die einer sehr attraktiven Blondine gehörte. Ob Drew dabei mehr an die Besitzerin als an das Land dachte, war Jed nicht ganz klar. Aber sein Bruder würde es schon machen.

Als Drew ihn nun fragte, ob er mit in die Stadt käme, um sich mit ihrem Ansprechpartner bei der Bank zu treffen, sagte Jed sofort zu.

Nach der Nacht mit Kimberly hatte er wegen einer dringenden Angelegenheit sofort nach Dallas zurückkehren müssen, hatte also nicht nach ihr suchen können. Inzwischen waren sechs Wochen vergangen. Was er ihr sagen wollte, konnte er unmöglich telefonisch tun, dazu musste er ihr in die Augen sehen.

Noch immer war ihm nicht klar, ob sie einfach nur gern Sex mit ihm gehabt hatte oder ob sie mehr von ihm wollte? Aber warum war sie dann gleich verschwunden? Immerhin wusste er jetzt, weshalb sie damals mit ihm Schluss gemacht hatte, ja, er konnte es sogar irgendwie verstehen. Wenn er auch die Art und Weise mit dem Zettel nach wie vor unmöglich fand.

Und jetzt hatte sie ihm nicht einmal einen Zettel hinterlassen. Was hatte das zu bedeuten?

Drei Stunden später fuhr Drew wieder nach Willowbrook zurück. Das Gespräch mit dem Bankmann war sehr zufriedenstellend verlaufen, und da Jed schon vorher angekündigt hatte, dass er noch in den Club wollte, waren sie mit zwei Autos gefahren.

Der Texas Cattleman’s Club, eine echte Institution von Royal, war vor gut hundert Jahren von reichen Viehzüchtern gegründet worden. Früher ein reiner Männerclub, in dem man rauchte, trank und Geschäfte machte, war er neuerdings auch Frauen zugänglich. Hier trafen sich inzwischen nicht mehr nur Rancher, sondern auch Manager der Öl- und Bauindustrie und alles, was im Maverick County Rang und Namen hatte.

Das Gebäude selbst, ganz aus Naturstein und dunklen Holzbalken gebaut, hatte seinen Charme bewahrt, auch wenn es im Laufe der Jahre einige Veränderungen hatte hinnehmen müssen. Wenn er in Royal war, kam Jed immer gern her, um alte Freunde zu treffen.

Jetzt allerdings war das eher ein Vorwand Drew gegenüber gewesen, denn er hatte noch etwas anderes zu erledigen. Er musste Kimberley treffen. Der Verkehr in der Innenstadt war dicht, und Jed fand nur einen Parkplatz etwa eine halbe Meile von ihrem Haus entfernt. Egal, das Wetter war schön, und er ging gern ein Stück zu Fuß. Sie hatte heute Nachmittag frei, das hatte man ihm in der Boutique gesagt, also würde er sie zu Hause aufsuchen.

Das zumindest hatte er vorgehabt, aber schon nach wenigen hundert Metern blieb er stehen. Kimberly kam ihm entgegen, mit gesenktem Kopf und ganz auf ihr Smartphone konzentriert. Offensichtlich schrieb sie eine SMS. Erst als sie fünf Meter vor ihm war, hob sie den Kopf. Sie blieb abrupt stehen, wurde erst rot und dann blass. „Jed …“

Mit drei Schritten war er bei ihr und packte sie bei den Schultern. Gerade noch rechtzeitig, denn sie sank ihm ohnmächtig in die Arme.

Kimberly dröhnte der Kopf, als sie aufwachte. Sie stöhnte leise und hätte die Augen am liebsten sofort wieder zugemacht, aber dann siegte die Neugier. Langsam richtete sie sich auf und blickte sich um. Sie saß in einem komfortablen Wagen, rechts neben einem Mann, der sie aus leicht zusammengekniffenen Augen intensiv musterte.

Jed … Dessen Anblick sie wohl so sehr überrascht hatte, dass sie das Bewusstsein verlor.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er.

Sie befeuchtete sich die trockenen Lippen. „Gut.“

„Lüg nicht.“

Offenbar hatte er sie in sein Auto getragen. „Wie lange war ich bewusstlos?“

„Drei oder vier Minuten. Wenn es noch ein paar Minuten länger gedauert hätte, wäre ich ins Krankenhaus gefahren. Was war denn los?“

„Das weiß ich auch nicht. Es ist heiß heute. Und ich war total verblüfft, dich zu sehen.“

„Aber du warst doch früher nicht so empfindlich. Das bisschen Hitze bist du doch gewohnt.“

Sie ging nicht darauf ein. „Ist alles wieder okay. Danke, dass du mich aufgesammelt hast.“ Sie griff nach ihrer Tasche. Doch als sie die Tür öffnen wollte, startete Jed den Wagen, und die Türsicherung klickte.

„Ich fahre dich nach Hause.“

„Ich muss zurück in den Laden, war nur kurz bei der Bank.“

Grimmig lächelnd schüttelte er den Kopf. „Wieder gelogen. Ich habe in der Boutique angerufen. Du hast heute Nachmittag frei. Deshalb bin ich gekommen.“

Sie versuchte nicht, sich rauszureden. „Lass mich aussteigen. Ich kann zu Fuß nach Hause gehen.“

„Kommt nicht infrage. Ich fahre dich.“

Als sie sich dem Haus näherten, in dem Kimberly so lange mit ihrer Großmutter gewohnt hatte, fiel ihr zum ersten Mal auf, wie schäbig alles aussah. Wahrscheinlich weil sie es plötzlich quasi mit Jeds Augen sah. Der Garten war zugewuchert, die Büsche mussten unbedingt beschnitten werden, von den Regenrinnen blätterte die Farbe, und das ganze Haus konnte einen Anstrich vertragen.

Jed parkte den Wagen direkt vor dem Haus, stieg aus, öffnete die Beifahrertür und hob Kimberly heraus. Sie protestierte. Vergeblich. Vor der Haustür ließ er sie kurz herunter, um sich von ihr den Schlüssel geben zu lassen. Er schloss auf, öffnete die Tür und hob sie wieder auf seine starken Arme. Stickige Hitze schlug ihnen entgegen, denn um Geld zu sparen, machte Kimberly generell die Klimaanlage aus, wenn sie das Haus verließ.

Jed stieß die Tür mit dem Fuß zu, ging ins Wohnzimmer und setzte Kimberly sanft auf der Couch ab. „Was möchtest du trinken?“

„Irgendwas aus dem Kühlschrank.“ Was für ein Albtraum!

„Bleib sitzen.“ Er drehte sich um, schaltete die Klimaanlage an und ging in die Küche. Als er mit einem Glas Eistee zurückkam, traf Kimberly der erste kühle Luftschwall. Ahh …

Er gab ihr das Glas und legte ihr dann die Hand auf die Stirn. „Fieber hast du nicht.“

Sie nahm einen großen Schluck. Nur Tee und Eis, keine Zitrone, kein Zucker, genau wie sie es mochte. „Ich hab doch gesagt, dass alles okay ist. Es war nur die Hitze.“

„Kann sein.“ Aber er schien nicht überzeugt zu sein. „Kann ich mal eben dein Bad benutzen?“

„Klar. Zweite Tür rechts.“

Sowie er weg war, ließ sie sich gegen die Rückenlehne fallen und schloss die Augen. Sie war so unendlich müde. Am liebsten würde sie nur noch schlafen.

Als sie Jed zurückkommen hörte, brachte sie einfach nicht die Energie auf, sich wieder gerade hinzusetzen. Zumindest nicht, bis zu ihn in strengem Tonfall sgen hörte: „Willst du mir vielleicht mal erklären, was das hier ist?!“

Sie schrak hoch, der Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren. „Was meinst du?“ Dann sah sie es, den kleinen weißen Plastikstift, den sie gestern in den Papierkorb geworfen hatte. Mist! „Ich kann dir alles erklären“, sagte sie schnell und wünschte sich, die Erde würde sich auftun und sie verschlucken.

Jed kam auf sie zu und stand drohend vor ihr. „Du bist schwanger. Hast du nicht gesagt, dass du die Pille nimmst?“

„Ja und ja. Ich habe die Pille genommen, gleichzeitig aber auch Antibiotika, weil ich eine Entzündung am Fuß hatte. Ich wusste nicht, dass die Pille dann nicht mehr zuverlässig wirkt.“ Sie sah ihn an, plötzlich genervt von seiner Selbstgerechtigkeit. „Um Himmels willen, nun setz dich doch endlich!“

Er ließ sich ihr gegenüber in den Sessel fallen und starrte fasziniert auf das kleine blaue Symbol. „Schwanger …“, brachte er kopfschüttelnd heraus. „Wann hattest du denn vor, es mir zu erzählen?“

„Der Test vor zwei Wochen war positiv, aber ich wollte ganz sicher sein. Der hier ist von gestern Abend. Ich war allerdings noch nicht beim Arzt.“

„Ich möchte mitkommen.“

Das kam so prompt, dass sie wusste, sie konnte ihn nicht umstimmen. „Ich habe die nächsten zwei Tage frei. Morgen früh ist mein Termin. Aber, Jed …“

„Was?“

„Denk doch an den Klatsch, wenn man uns da zusammen sieht. Und du darfst dich auch nicht verpflichtet fühlen. Das ist reine Routine, um mir das bestätigen zu lassen, was ich sowieso schon weiß.“

„Keine Widerrede. Es ist auch mein Kind, und ich komme mit.“

Plötzlich löste sich die Anspannung der letzten sechs Wochen mit ungeahnter Wucht. Die Nacht mit ihm, sein Schweigen, die Entdeckung, schwanger zu sein, und dann diese überraschende Begegnung, ihre Ohnmacht – sie begann zu weinen.

Jed sprang auf und nahm sie in die Arme. „Beruhige dich, Kimmie. Alles wird gut.“

Doch die Tränen ließen sich nicht zurückhalten. Er war hier bei ihr, danach hatte sie sich so sehr gesehnt. Und vielleicht hätten sie eine Chance gehabt, glücklich zu sein, wenn sie nicht alles verdorben hätte. Das mit den Antibiotika hätte sie wissen sollen. Schwanger – kein Mann ließ sich von dem ältesten Trick der Welt einfangen. Und Jed schon gar nicht.

Endlich versiegte der Tränenstrom. Sie schniefte leise. Was sollte sie bloß tun?

„Mach dir keine Sorgen“, sagte sie, entzog sich ihm und trocknete ihre Tränen. „Ich kann allein für das Baby sorgen. Ich werde dich um nichts bitten.“

Er lächelte bitter. „Das hast du ja nie getan. Ich hätte dir die Welt zu Füßen gelegt, aber du wolltest ja nichts. Zumindest nichts, was ich dir bieten konnte.“

„Das stimmt nicht.“

„Doch. Auch als wir eine zweite Chance hatten, hast du sie nicht ergriffen. Bist einfach abgehauen!“

Typisch Mann, hart und arrogant. Allerdings hatte sie ihm wohl wieder sehr wehgetan. „Ich war vollkommen durcheinander und dachte, du wolltest nur noch mal mit mir ins Bett gehen, sozusagen als Abschluss. Um die Sache zu Ende zu bringen, wie du gesagt hast. Außerdem hatte ich Angst.“

„Angst? Wovor denn?“

Das konnte sie ihm nicht sagen, nicht ohne sich eine gefährliche Blöße zu geben. „Das weiß ich selbst nicht genau. Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast. Ich schreibe dir noch die Adresse meines Arztes auf. Wir können uns dann ja dort treffen.“

„Ich bleibe hier, Kimmie.“

Sie runzelte die Stirn. „Aber ich habe nur ein Bett.“

„Ich schlafe auf der Couch.“

„Sei nicht albern. Wenn, dann schlafe ich auf der Couch.“

Er schüttelte energisch den Kopf. „Ich werfe doch keine Schwangere aus ihrem Bett.“

„Okay. Aber du wirst sehen, auf der Couch tust du kein Auge zu.“

Sie starrten sich an. Er würde nicht nachgeben, das sah sie ihm an. „Wir könnten beide in deinem Bett schlafen“, meinte er dann lächelnd.

War das sein Ernst? Nachdem sie ihn ein zweites Mal verlassen hatte? Sofort musste sie wieder an die Nacht in der Suite denken. Sex mit diesem erfahrenen Mann, einfach fantastisch …

Er blieb. Sie bestellten Pizza und aßen vor dem Fernseher, während sie sich einen alten Film aus ihren Highschooltagen ansahen. Um neun stand Kimberly auf. „Ich bin müde.“ Sie ging nach oben, duschte und zog sich ein T-Shirt und weiche Jogging-Shorts an. Plötzlich fühlte sie sich sehr erschöpft.

Aber sie ging noch einmal nach unten. Jed saß vor dem Fernseher und sah nicht auf.

„Gute Nacht. Ich gehe jetzt ins Bett.“

„Gute Nacht. Ich guck noch ein bisschen fern. Schlaf gut.“

Was? Er machte nicht einmal den Versuch, sie zurückzuhalten? Vor sechs Wochen konnte er sie nicht schnell genug in sein Bett kriegen, und jetzt sah er sie nicht einmal an? Plötzlich war die Müdigkeit verflogen, und sie spürte nur noch eine brennende Sehnsucht. Jed war nicht nur supersexy, sondern er war ihr auch vertraut und für sie wie ein Fels in der Brandung. Gerade jetzt, wo ihr Leben sich total veränderte. Aber sie würde ihn nicht bitten.

Sie ging nach oben und kroch unter die Bettdecke. Dass sie sich so einsam und irgendwie hilflos fühlte, machte ihr Angst. Denn normalerweise kam sie sehr gut allein mit ihrem Leben zurecht. Glücklicherweise verlangte ihr Körper nach Schlaf, und so schlief sie sehr bald ein, immerhin in dem Bewusstsein, dass Jed unten saß und über sie wachte.

4. KAPITEL

Jed stellte den Ton aus und ließ sich gegen die Rückenlehne fallen. So vieles ging ihm durch den Kopf. Kimberly war stur, aber das war er auch. Was auch immer sie ihm gegenüber empfand oder nicht empfand, er würde für das Baby sorgen. Davon würde ihn nichts und niemand abbringen.

Kimberly bekam ein Kind. Sein Kind. Bisher hatte er kaum über Kinder nachgedacht. Obwohl – irgendwie hatte er immer im Hinterkopf gehabt, dass er eines Tages …

Nun, dieser Tag war jetzt da. Weil er in einer warmen Sommernacht sein Verlangen nicht hatte zügeln können. So unerwartet diese neue Entwicklung auch war, er konnte darüber nicht empört oder wütend sein, wenn er sein Gewissen genau erforschte. Selbst wenn Kimberly und er als Paar noch so einige Schwierigkeiten zu überwinden hatten, ihre Rollen als Eltern mussten sie nun spielen.

Als er sicher sein konnte, dass sie eingeschlafen war, schlich er nach oben, duschte kurz und legte sich ins Bett. Auch er war müde, allerdings nicht so sehr, als dass ihm nicht bewusst war, wer hier neben ihm lag und leise atmete. Natürlich musste er gleich wieder an die Nacht im Hotel denken, und natürlich wurde er sofort hart. Reiß dich zusammen, Jed. Er war schließlich kein instinktgetriebenes Tier. Er konnte sehr gut neben einer schönen Frau liegen, ohne sich gleich auf sie zu stürzen.

Dass sie ihn ein zweites Mal verlassen hatte, schmerzte immer noch und machte ihn traurig. Aber das war jetzt nebensächlich. Sie brauchte seinen Schutz. Ebenso wie das Baby, ihr gemeinsames Baby.

Vorsichtig verlagerte er das Gewicht in die Mitte der Matratze, sodass Kimberly ihm buchstäblich in die Arme rutschte. Er legte den Arm um sie und schloss die Augen.

Laut stöhnte er auf. Erregung überfiel ihn wie ein reißendes Tier, als zwei zarte Hände ihn umfassten und massierten. Oh, das war Himmel und Hölle zugleich. Seine Haut glühte. Als sich ein zierlicher weicher Frauenkörper gegen ihn presste, richtete Jed sich auf, schob sich über diesen Körper und drang mit einer einzigen Bewegung …

Er riss die Augen auf. „Kimmie …?“, stieß er ungläubig hervor.

Sie zog sich an ihm hoch und küsste ihn. „Ich habe mich so nach dir gesehnt, Jed. Ich konnte es nicht mehr aushalten.“

„Aber das Baby?“ Er stützte sich auf den Ellbogen ab.

„Das macht dem Baby nichts aus. Bitte, mach weiter …“

„Oh ja, nichts lieber als das!“ Vollkommene Dunkelheit erfüllte den Raum, und jede Bewegung war von einem eigenartigen Zauber, vielleicht auch, weil die wunderbare Frau, mit der er im Bett lag, sein Kind in sich trug. Er liebte sie langsam und mit Bedacht, während er sie zusätzlich mit dem Daumen stimulierte. Sie genoss es leise stöhnend, aber dann wurde sie ungeduldig, kam ihm schneller und schneller entgegen, bis sie aufschrie und sich fest gegen ihn presste. In diesem Augenblick konnte auch er sich nicht mehr zurückhalten.

Als sie beide erschöpft nebeneinanderlagen und wieder zu Atem kamen, flüsterte Jed: „Wir könnten von Neuem lernen, uns zu lieben, Kimmie. Spürst du nicht, dass da immer noch eine tiefe Verbindung ist?“

Sie schwieg und strich ihm lächelnd das feuchte Haar aus der Stirn. Er blickte ihr tief in die Augen. Sie hatte beim Sex die Initiative ergriffen, also war da noch Hoffnung. Vielleicht würde doch alles gut werden …

Als Jed erwachte, schien die Sonne bereits ins Zimmer. Kimmie war nicht da. Leise fluchend schwang er die Beine über die Bettkante und stand auf. Einige Sekunden überlegte er, ob er das alles nur geträumt hatte. Nein, ganz sicher nicht. Kein Sextraum konnte körperlich so befriedigend oder auch nur annähernd so beglückend sein.

Widerwillig zog er seine Sachen von gestern wieder an. Am liebsten wäre er zur Ranch gefahren, um sich umzuziehen, aber er befürchtete, Kimberly könne ihn austricksen. Besser war es, sie im Auge zu behalten, zumindest bis zum Arzttermin.

Sie war in der Küche, über das Spülbecken gebeugt. Eigentlich wollte Jed sie fragen, warum sie so heimlich das Bett verlassen hatte, aber ihr blasses, schweißnasses Gesicht war Antwort genug. Also trat er nur hinter sie und legte ihr vorsichtig die Arme um die Schultern. „Oje, du Arme. Dir geht’s schlecht, was?“

Sie nickte, schluckte und musste wieder würgen. Als der Anfall vorbei war, hob Jed sie hoch, trug sie ins Wohnzimmer und legte sie auf die Couch. „Bin gleich wieder da.“

Er ging wieder in die Küche und kam nach wenigen Minuten mit einer Tasse heißem Tee und einem kalten Lappen zurück, den er Kimberley auf die Stirn legte. Er stützte sie, als sie ein paar Schlucke nahm, und hielt dann zehn Minuten lang schweigend ihre Hand. Allmählich kehrte die Farbe in ihre Wangen zurück.

„Besser?“

Kimberley nickte. „Du brauchst wirklich nicht zu bleiben. Ich kann allein zum Arzt fahren und dir später erzählen, was er gesagt hat.“

Zärtlich strich er ihr über die Wange. „Ich komme mit. Lass es doch einfach zu, Kimmie. Alles wird gut.“

Sie sah ihn skeptisch an, und dieser Blick traf ihn wie ein Hieb. Warum konnte sie ihm nicht vertrauen?

Als es Zeit war, aufzubrechen, hatte sie sich wieder ganz erholt und wollte unbedingt ihr eigenes Auto nehmen. „Dann kannst du doch nach dem Termin gleich mit deinem Wagen nach Hause fahren“, versuchte sie ihn zu überzeugen. „Ich bin schwanger und nicht sterbenskrank.“

Er blieb stehen und küsste sie auf die Nasenspitze. „Ich fürchte, in diesem Fall musst du nachgeben. Das ist alles neu für mich. Ich erwarte mein erstes Kind.“

Sie musterte ihn so argwöhnisch, als traue sie seinen Worten nicht. „Du erwartest kein Kind. Ich bin schwanger.“

Er öffnete die Beifahrertür und schob sie auf den Sitz. Dann ging er um den Wagen herum und setzte sich hinters Steuer. „Es ist unser gemeinsames Kind, Kimmie. Und außerdem erwarte ich sehr viel mehr, als du dir vorstellen kannst.“

Dazu fiel ihr nichts mehr ein. Während der kurzen Fahrt sprachen sie kein Wort.

In der Frauenarztpraxis wurden ihnen einige Fragebögen ausgehändigt, die auszufüllen waren, bevor sie einen Arzt sehen konnten. Jed und Kimberly setzten sich ins gut besuchte Wartezimmer. Da dies eine Gemeinschaftspraxis von drei Ärzten war, würden sie hoffentlich nicht zu lang warten müssen.

Jed kannte niemanden hier im Raum, aber das hatte nichts zu sagen. Die Farrells waren in Royal wohlbekannt und dass er hier mit Kimberly saß, bot für manche bestimmt Anlass zu allerlei Spekulationen. Und wenn schon …

Nach einer knappen Stunde öffnete sich wieder einmal die Tür. Eine Schwester in einem leuchtend pinkfarbenen Kittel erschien. „Kimberly Fanning …“

Auch Jed erhob sich, obwohl Kimberly ihm einen strengen Blick zuwarf. Aber sie konnte ihn nicht daran hindern, mitzugehen, und eine Szene wollte sie nicht machen. Ihr war klar, dass er entschlossen war, sich nicht abschütteln zu lassen. Immerhin ließ er sie allein, während sie sich im Untersuchungsraum den Papierkittel anzog, und setzte sich anschließend auf einen Stuhl in der Ecke, um nicht im Weg zu stehen.

Die Schwester ließ sich noch ein paar Fragen beantworten und nahm Kimberly Blut ab. „Frau Doktor kommt gleich“, meinte sie dann und verließ den Raum.

Schweigen. Jed betrachtete ein Poster, das einen Fötus im Mutterleib zeigte. Kimberly saß auf der Untersuchungsliege und baumelte nervös mit den Beinen.

Er räusperte sich. „Alles okay so weit?“

Sie warf ihm über die Schulter hinweg einen Blick zu. „Nicht ganz.“

Er stand auf, ging zu ihr und strich ihr beruhigend übers Haar. Sie war unsicher und ängstlich, und trotzdem musste er ihr die Frage stellen, die ihn schon seit Wochen quälte. Auch wenn es unfair war, weil sie sich nicht in der Verfassung befand, sich zu verteidigen. „Warum hast du mich an dem Morgen nach dem Klassentreffen einfach verlassen?“

Jed spürte, wie sie sich verkrampfte. Dann zuckte sie mit den Schultern und starrte weiterhin auf ihre Füße. „Jetzt tut es mir auch leid“, begann sie leise. „Aber als ich aufwachte, hatte ich plötzlich Angst, dir ins Gesicht zu sehen.“

„Warum denn, Kimmie?“

„Weil du doch immer noch böse auf mich warst. Wegen früher. Und weil ich nicht wusste, wie wir überhaupt zueinander stehen.“

„Das ging mir genauso.“ Eigentlich verrückt, dass zwei erwachsene, intelligente Menschen unfähig waren, ihre Gefühle füreinander einzuschätzen. Jed zog sich einen Stuhl heran, setzte sich vor Kimberley und sah ihr ins Gesicht. „Vielleicht sollten wir einfach ein bisschen mehr Vertrauen zueinander haben.“

Langsam nickte sie. „Ich wollte dir wirklich nicht wehtun, Jed.“

„Auf die Idee wäre ich auch nie gekommen. Aber wie auch immer wir uns in den letzten zehn Jahren entwickelt haben, eins ist sicher, wir müssen uns über die Zukunft Gedanken machen.“

In diesem Augenblick trat die Ärztin ein, eine sachliche wirkende Frau mit kinnlangem blondem Haar. Sie stellte sich Kimberly vor und sah Jed dann erstaunt an. Er kannte sie, wahrscheinlich noch aus Kindergartentagen. „Bist du der Vater?“

„Ja.“

„Jed Farrell …“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Bitte, lass uns mal kurz allein.“

Er wollte etwas erwidern, sah aber sehr schnell, dass es keinen Sinn hatte. „Ich warte draußen.“

Kimberly atmete befreit auf. Erst jetzt fiel ihr auf, wie angespannt sie die ganze Zeit gewesen war.

Die Ärztin lächelte sie beruhigend an. „Die Farrells können einen manchmal etwas unter Druck setzen, ohne dass sie es wollen. Ich möchte, dass Sie sich entspannen. Wenn Sie Jed dabei haben möchten, brauchen Sie es nur zu sagen. Aber oft mögen Schwangere lieber mit mir allein sein, auch weil sie recht intime Fragen haben, vor allem wenn es die erste Schwangerschaft ist.“

„Es war ein Unfall.“ Wieder kamen Kimberly die Tränen. „Ein Versehen.“ Sie schniefte. „Ich weiß auch nicht, warum ich immer weinen muss.“

„Das sind die Hormone“, sagte die Ärztin ruhig. „Auch eine ungeplante Schwangerschaft kann ein wunderbares Erlebnis sein. Also machen Sie sich keine Sorgen. Ich gehe davon aus, dass Sie das Kind behalten wollen?“

„Aber ja!“

„Gut. Dann will ich Sie schnell untersuchen. Und dann kann Daddy wieder hereinkommen, denn dann wird es vergnüglich.“

Als die Ärztin sich nach etwa fünf Minuten wieder aufrichtete, zog sie ihre Handschuhe aus, tippte etwas in den Computer und sah Kimberly lächelnd an. „Ausgehend von Ihrer letzten Periode würde ich sagen, Sie sind in der sechsten Woche.“

Also wirklich schwanger … Kimberly wurde etwas schwindelig, als sie die Bestätigung hörte. In einigen Monaten würde sie Mutter sein. Irgendwie total unwirklich …

Die Ärztin öffnete die Tür. „Du kannst jetzt reinkommen, Jed.“

Er trat ein, nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben Kimberly. Sie warf ihm ein etwas zögerndes Lächeln zu. Die Gynäkologin griff nach dem Ultraschallgerät, tat eine geleeartige Masse darauf und tastete Kimberlys Bauch ab.

Für Kimberly und Jed war auf dem Computerbildschirm nichts weiter zu sehen. Aber die Ärztin nickte zufrieden. Sie drehte an einem Knopf. „Da ist bereits der Herzschlag“, sagte sie. „Sie können ihn erkennen, auch wenn er noch nicht zu hören ist.“

Jed hielt den Atem und griff nach Kimberlys Hand. Es war wie ein Wunder. Obwohl es jeden Tag und überall auf der Welt passierte, für ihn und Kimberly war es das erste Mal. Sie erwiderte seinen Händedruck, und er sah sie lächelnd an.

Später sprach die Ärztin mit ihnen über den Verlauf der Schwangerschaft an sich, was zu tun und zu lassen war, worauf sie achten müssten und wie oft sie zur Vorsorge kommen sollten. Hoffentlich hat Kimberly sich alles gemerkt, dachte Jed, denn er selbst war so durcheinander, dass er kaum etwas mitbekam.

Er verließ den Raum, damit Kimberley sich wieder anziehen konnte, und trat auf sie zu, als sie herauskam. „Fertig? Können wir fahren?“

Sie nickte, sah ihn jedoch nicht an, als sie gemeinsam zum Empfang gingen, eine Broschüre ausgehändigt bekamen und die Praxis verließen.

Draußen nahm er Kimberly beim Arm und zwang sie so, ihn anzusehen. Der Himmel über ihnen war nahezu schwarz, und der Wind war kräftiger geworden. „Komm mit mir auf die Ranch. Ich mache dir etwas zu essen, und du kannst dich dann hinlegen und ausruhen.“

„Ich möchte lieber nach Hause fahren.“

Das klang jedoch so kläglich, dass er es wieder versuchte. „Bitte, Kimmie. Es ist ein scheußlich heißer Tag. Lass dich doch einfach mal ein bisschen verwöhnen. Du hast es dir verdient.“

Sie sah ihn mit ihren großen braunen Augen an, in denen schon wieder Tränen standen. „Aber es ist Drews Haus. Das ist mir so peinlich.“

„Es ist auch mein Haus. Aber falls es dir lieber ist, kann ich auch etwas weiter weg parken und schaffe dich dann heimlich in mein Zimmer.“

Unter Tränen musste sie lächeln und wurde sogar rot. So hatten sie es vor zehn Jahren ein paarmal gemacht … „Einverstanden. Ich mag das Haus sehr.“

„Gut.“

„Ich war übrigens froh, dass du mit mir bei der Ärztin warst“, sagte sie leise.

„Ich auch.“ Ihm wurde warm ums Herz. Das war doch schon mal ein guter Anfang.

Sie stiegen ins Auto und fuhren los. Kurz vor dem Haus hielt Jed an, und sie kamen wirklich ungesehen in sein Zimmer, wie er versprochen hatte. Kimberly setzte sich auf sein Bett, er stopfte ihr ein Kissen in den Rücken und drückte ihr die Fernbedienung in die Hand. „Hier. Du kannst ja mal sehen, ob es was im Fernsehen gibt. Ich mach uns eben was zum Lunch. Bin gleich wieder da.“

Als er wenig später mit einem Tablett zurückkam – die Haushälterin hatte ihm geholfen, allerlei Leckereien zusammenzustellen –, fand er Kimberly schlafend vor. Doch sie wachte auf, als er veruchte, die Tür lautlos zu schließen. „Entschuldige“, sagte sie gähnend, „irgendwie schaffe ich es nicht, meine Augen offen zu halten.“

„Ich glaube, das ist ziemlich normal in deinem Zustand.“ Mit dem Fuß zog er ein Tischchen heran und stellte das Tablett ab. „Meinst du, du kannst ein bisschen was essen?“

„Oh ja! Wenn die Übelkeit vorbei ist, habe ich immer Hunger wie ein Wolf.“

Zufrieden lächelnd sah er zu, wie sie erst ein Schinkensandwich und dann ein Stück Erdbeerkuchen verdrückte. Anschließend noch ein Stück Käse mit ein paar Weintrauben.

„Sehr gut“, meinte er, als sie sich nach dem Essen stöhnend in die Kissen sinken ließ. Er stellte den Tisch zur Seite, setzte sich zu Kimberly aufs Bett und umfasste ihr Gesicht zärtlich mit beiden Händen. „Ich möchte dich heiraten, Kimmie.“

Sie zuckte zurück und runzelte die Stirn. „Jed, ich …“

Das tat weh. „Warum nicht?“ Er küsste sie sanft und merkte sofort, dass ihr Körper sehr viel entgegenkommender war als ihre Worte. Denn sie erwiderte seinen Kuss, richtete sich sogar wieder auf und schmiegte sich an ihn.

„Aber wenn Sex nun das Einzige ist, was uns verbindet?“, fragte sie leise. „Wir kennen uns doch eigentlich gar nicht richtig.“

„Sex ist doch schon mal ein guter Anfang. Und wir haben uns früher doch sehr gut gekannt, das darfst du nicht vergessen.“

„Für dich ist das offensichtlich alles kein Problem. Du nimmst das Ganze zu leicht.“

Er drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Ganz bestimmt nicht, das schwöre ich. Aber vielleicht sollten wir es noch mal mit dem Sex versuchen. Darin sind wir doch beide sehr gut.“

Kimberley lachte. „Du bist wirklich unmöglich. Kein Wunder, dass keine Frau bisher mit dir zurechtgekommen ist.“

„Wenn es eine kann, bist du es.“ Er sah sie so treuherzig und auch flehend an, dass sie wusste, er meinte es ernst.

„Liebe mich“, sagte sie nur.

Zwar war sie noch nicht auf seinen Heiratsantrag eingegangen. Aber welcher Mann aus Fleisch und Blut konnte zu einer solchen Aufforderung Nein sagen? „Bist du sicher?“

Kimberly knöpfte ihm bereits das Hemd auf. „Du hast doch gehört, was die Ärztin gesagt hat. Dem Baby macht das gar nichts aus. Und seine Mutter machst du damit sehr glücklich.“

Angesichts ihres Lächelns schwanden auch seine letzten Bedenken. In Windeseile zogen sie sich schweigend aus. Er begehrte sie genauso wie vor sechs Wochen, und trotzdem war es irgendwie anders. Er war anders.

Vorsichtig strich er ihr über den Bauch. „Wir haben ein neues Leben geschaffen, Kimmie, ich kann es kaum fassen.“ Bei diesem Gedanken empfand er Demut und Dankbarkeit.

„Ja.“ Sie legte ihm liebevoll die Hand auf den Arm. „Aber wir sind nicht mehr die unbedarften Teenager von vor zehn Jahren. Wir haben uns verändert.“

„Gott sei Dank! Der Knabe damals war einfach nicht schlau genug, um zu wissen, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Heute weiß er es. Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum keiner von uns geheiratet hat?“

„Vielleicht wollte uns keiner?“

Er schüttelte nur den Kopf, fasziniert von ihren festen glatten Brüsten. Wenn er sie streichelte, zogen sich die dunkelrosa Spitzen zusammen … „Du bist so unglaublich schön“, stieß er leise hervor. „Wie habe ich dich nur gehen lassen können? Dumm, wie ich war, fühlte ich mich in meinem Stolz verletzt und redete mir ein, ich wollte dich gar nicht. Was für ein Irrtum! Und wie lange habe ich gebraucht, um das endlich einzusehen!“

Unter seinen Liebkosungen erbebte sie und stöhnte kaum hörbar. „Ich will nicht mehr vor dir davonlaufen, Jed. Und auch wenn du es vielleicht nicht hören möchtest, ich glaube, ich habe dich immer geliebt. Aber mir ist klar, dass es zu diesem Gespräch jetzt nie gekommen wäre, wenn ich nicht schwanger und deshalb ohnmächtig geworden wäre.“

Jetzt erst begriff er. Warum hatte er es ihr nicht früher gesagt? Aber irgendwie war er immer wieder abgelenkt worden. „Nein, das stimmt nicht. Ich bin nicht zufällig in Royal. Ich bin gestern gekommen, weil ich unbedingt mit dir reden wollte.“

„Wirklich?“ Sie sah ihn ungläubig an.

„Ja. Das musst du mir glauben. Nach unserer Nacht im Hotel musste ich in einer dringenden Angelegenheit nach Dallas zurück. Es gab große Probleme mit verschiedenen Klienten. Aber nach sechs Wochen war das überstanden. Damals war ich wütend, weil du mich ein zweites Mal verlassen hattest. Aber ich begriff dann irgendwann, dass du wahrscheinlich genauso unsicher warst wie ich. Dass das eigene Glück von jemand anderem abhängt, ist schwer zu akzeptieren. Diesmal weiß ich, was ich will, Kimmie. Dich. Ich liebe dich.“

Sie sah ihn an, zweifelnd erst, dann staunend. Und schließlich verklärte ein glückseliges Lächeln ihr Gesicht. „Ich glaube dir, Jed, wirklich. Denn mir ist es genauso gegangen. Auch ich habe mir immer wieder Fragen gestellt und Antworten gesucht. Aber wir sollten nichts überstürzen, sondern alles in Ruhe bedenken. Es ist nicht notwendig zu heiraten, nur weil wir ein Kind erwarten.“

„Wenn du meinst …“ Behutsam schob er sich über sie und drang in sie ein. „Aber eins musst du mir glauben.“ Er küsste sie auf die Nasenspitze, zog sich leicht zurück, um direkt wieder vorzudringen. „Für mich ist es notwendig. Denn ich kann und will nicht mehr ohne dich leben.“

Bei diesen Worten stürmten Gefühle auf sie ein, die sie einfach überwältigten. Sexuelles Verlangen, natürlich. Aber auch so etwas wie Dankbarkeit, Vertrauen, Glück, ja, und … Liebe?

Schweigend gaben und nahmen sie, ihre Bewegungen wurden schneller, intensiver, bis sie beide den Höhepunkt erreichten und sich fest aneinanderklammerten, als wollten sie sich nie wieder loslassen.

Dann lagen sie heftig atmend nebeneinander. Kimberly fielen sehr bald die Augen zu, und sie war schon fast eingeschlafen, als ein durchdringender, schriller Ton sie hochschrecken ließ. „Jed … was ist das?“

Er war bereits aus dem Bett und warf ihr ihre Sachen zu. „Tornado-Alarm. Beeil dich, Kimmie!“

Auf der Willowbrook Ranch gab es mehrere Schutzräume. Während Kimberly sich hastig anzog, sah sie Jed ängstlich an. „Sind wir in Gefahr?“ Sie konnte sich nicht erinnern, in Royal schon mal einen Tornado erlebt zu haben.

Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie kurz an sich. „Wahrscheinlich ist es nur eine Vorsichtsmaßnahme. Aber wir wollen kein Risiko eingehen.“

Jed ergriff ihre Hand, und gemeinsam rannten sie den Flur entlang und zur Haustür hinaus. Dann blieben sie wie erstarrt stehen. In nicht allzu weiter Entfernung hatte sich ein Rüssel von einer schwarzen Wolke bis zur Erde gebildet und schien auf sie zuzukommen. Oh nein! „Jed … Oh Gott …!“

Kimberly wurde eiskalt vor Entsetzen, als ihr klar wurde, was für eine ungeheure, zerstörerische Macht sich der Stadt näherte. Wenn jetzt kein Wunder geschah, war Royal verloren.

Dann riss Jed sie vorwärts. „Komm, wir müssen weiter!“ Er warf ihr einen Blick zu und erkannte, dass sie kurz davor war, in Panik zu geraten. „Keine Angst, Kimmie, uns kann nichts geschehen. Denk an das Baby und daran, was für eine Zukunft vor uns liegt. Sowie Entwarnung gegeben wird, werden wir unser gemeinsames Leben planen.“

Der Angstschweiß lief ihr über den Rücken, als er sie weiter vorwärtszerrte. Und da war auch schon der Schutzraum, der halb in die Erde eingelassen war. Jed riss die Tür auf, schob Kimberley hinein und verriegelte die schwere Tür fest von innen …

– ENDE –

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2014 by HARLEQUIN BOOKS S.A.
Originaltitel: „Stranded With The Rancher“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1892 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Roswitha Enright

Abbildungen: mauritius images / OrÈdia, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733721442

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Stirnrunzelnd betrachtete Drew Farrell den Himmel. Dunkle Sturmwolken ballten sich zusammen, der Wind hatte aufgefrischt. Auch das noch! Er sprang aus seinem Pick-up, setzte sich den Stetson auf den Kopf und überquerte schnell die Straße. Damit überschritt er die unsichtbare Linie, die sein Grundstück von dem seiner Nachbarin trennte. Beth Andrews, bildhübsch, langbeinig und verdammt sexy. Nach zwei Jahren ständiger Auseinandersetzungen mit ihr sollte er allmählich immun gegen ihre Ausstrahlung sein.

Aber weit gefehlt!

Immer noch reagierte er sehr eindeutig auf ihre naturblonden Locken und die großen grünen Augen. Warum gab es für einen solchen Fall kein Entwöhnungsprogramm? Bei Rauchern klappte es doch auch.

Sie stand hinter ihrem Gemüsestand, und es ärgerte ihn, wie viele Kunden geduldig in der Schlange davor warteten. Wie schon seit einigen Wochen waren die Seiten der schmalen Straße auch an diesem Tag wieder zugeparkt, wodurch nicht nur der Zugang zu seinem Grundstück behindert wurde. Auch seine teuren Rassepferde auf der angrenzenden Koppel wurden durch die an- und abfahrenden Wagen verschreckt. Erst am Morgen hatten seine Leute sieben der Pferde auf eine weiter entlegene Weide bringen müssen. Und das nur, weil Beth Kürbisse verkaufte.

Kürbisse – du liebe Zeit! Schon den Sommer über hatte es ihn genervt, dass ihr Stand mit frischem Bio-Gemüse viele Kunden anzog. Aber jetzt, Anfang Oktober, war die Hölle los, vor allem seit sie überall in Royal verkündet hatte, dass sie Kürbisse für die Herbstdekoration verkaufte. Und die Leute kamen aus einem Umkreis von fünfzig Meilen angefahren. Als ob es woanders keine Kürbisse gab. Aber nein, es mussten die dicken runden von Beth sein.

Nur mühsam beherrschte Drew seine Ungeduld. Als schließlich alle Kunden bis auf eine junge Frau gegangen waren, trat er näher, vor allem weil die junge, offenbar hochschwangere Frau den Kürbis auch mit Beths Hilfe nicht auf ihren Wagen wuchten konnte. Musste die sich auch gerade den größten Kürbis aussuchen? Der wog doch sicher vierzig Pfund. Verärgert stieß Drew die beiden Frauen zur Seite. „Lassen Sie mich das machen.“ Er warf der Schwangeren einen kurzen Blick zu. „In Ihrem Zustand dürfen Sie sowieso nicht schwer heben. Und Sie, Ms Andrews, sollten das eigentlich wissen.“

Überrascht und leicht genervt sah Beth ihn an, und Drew triumphierte innerlich, als er den Kürbis hochhob. Glücklicherweise hatte die Kundin ihren Wagen auf dem Behindertenparkplatz in der Nähe abgestellt, denn das Bio-Ding war verdammt schwer. Behutsam legte er den Kürbis auf die Ladefläche. „Ich danke Ihnen“, brachte die junge Frau schüchtern hervor. Sie hatte sehr helles, fast weißes Haar, das ihr glatt auf die Schultern fiel, und wirkte trotz der Schwangerschaft sehr schmal, ja, fast zerbrechlich.

Drew wischte sich die Hände an der Hose ab. „Gern geschehen. Sehen Sie zu, dass Sie jemanden finden, der dieses Ungetüm vom Wagen hebt.“

Sie nickte eifrig. „Ja, das tu ich.“ Zärtlich strich sie sich über den Bauch. „Schon als Kind fand ich Halloween toll. Und dieses Jahr habe ich mich darauf gefreut, für meine Tochter einen Kürbis auszuhöhlen und ein Foto davon in ihr Babybuch zu kleben.“

Beth blickte ihr auf den Bauch und sah sie dann fragend an. „Soll das Baby denn sehr bald kommen?“

„Nein, nein. Ich habe noch zwei Monate Zeit. Aber sie ist für mich schon sehr gegenwärtig.“ Sie lachte verlegen. „Ich unterhalte mich sogar mit ihr. Verrückt, ich weiß.“

„Nein, überhaupt nicht.“

Beths Lächeln wirkt beinahe etwas wehmütig, schoss es Drew durch den Kopf. Ob sie wohl auch gern ein Kind hätte? Vielleicht lernt sie ja bald jemanden kennen und zieht weg. Nachdem sie das Land an mich verkauft hat, das sie mir damals vor der Nase weggeschnappt hat. Dennoch, der Gedanke, Beth als Nachbarin zu verlieren, war eigentlich doch nicht so angenehm …

„Wer ist in Ihrer Familie denn für das Aushöhlen des Kürbis’ zuständig?“, fragte Beth freundlich. „Der Vater des Babys?“

Sekundenlang sah die junge Frau sie ängstlich an, zumindest kam es Drew so vor. „Nein, nein“, erklärte sie dann hastig, „das ist meine Sache. Aber ich sollte jetzt lieber los.“ Besorgt betrachtete sie den dunklen Himmel. „Sonst erwischt mich noch der Regen. Wiedersehen.“ Sie stieg ein.

„Haben Sie die Frau schon mal gesehen?“, fragte Drew, der dicht neben Beth stand.

„Ich bin mir nicht sicher. Warum?“

„Nur so ein komisches Gefühl. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor.“

In diesem Augenblick hob ein starker Windstoß die Plastikplane von Beths Gemüsestand ab, und Drew und Beth stürzten vor, um sie festzuhalten. Während sie sie zusammenfalteten, betrachtete Drew seine Nachbarin nachdenklich. Erstaunlich, dass eine elegante Erscheinung wie sie sich hier auf dem Land wohlfühlte. Sie wirkte wie jemand, der in der Großstadt zu Hause war. Zumindest konnte er sie sich gut im Abendkleid und mit High Heels vorstellen. Laut sagte er: „Die Plane sollten Sie wohl lieber gut verstauen. Der Sturm wird nicht so schnell abflauen.“

Sie nickte und schob die Plane unter den Verkaufstisch. Dann richtete sie sich auf und sah Drew lächelnd an. „Ich verkaufe Ihnen auch gern einen Kürbis, aber ich vermute, deshalb sind Sie nicht hier.“

„Wieso? Ich dekoriere die Ranch immer im Herbst.“

„Sie? Das glaube ich nicht. Sie haben doch sicher Leute, die das für Sie tun.“

An ihre Scharfzüngigkeit hatte er sich allmählich gewöhnt. Manchmal machte sie ihm sogar Spaß. Beth war schlagfertig, um es vorsichtig auszudrücken, und das gefiel ihm bei Frauen. Abwartend sah sie ihn an, die Arme vor der Brust verschränkt.

Diese Augen! Sie waren nicht einfach grün wie ein Smaragd oder gar Gras. Die verschiedenen Grüntöne mischten sich mit einem Hauch von Bernsteingold und erinnerten ihn an die kostbaren Glasmurmeln, die er als Kind besessen hatte.

„Drew … hallo! Sind Sie noch da?“ Er schreckte hoch, und Beth sah ihn streng an. „Wenn Sie nichts kaufen wollen, verlassen Sie bitte mein Grundstück.“

Immer wenn sie das Kinn reckte, hätte Drew sie am liebsten geküsst. Selbst wenn er sauer auf sie war. So wie jetzt. An diesem Tag allerdings wollte er endlich ein paar Dinge klarstellen. Unter düster zusammengezogenen Augenbrauen sah er sie an. „Sie müssen Ihren Gemüsestand woanders aufbauen. Dieser ganze Verkehr hier verschreckt meine Pferde, blockiert die Straße und außerdem …“ Lieber nicht. Er presste die Lippen aufeinander.

„Und außerdem? Spucken Sie nur aus, was Sie sagen wollten.“ Zornig blickte sie ihn an. Ihre blonden Locken tanzten im Wind. Beth sah irgendwie zerzaust aus, so als sei sie gerade aus dem Bett gestiegen.

Verdammt. Wie sollte er sich da konzentrieren können, um seine Belange vorzubringen? Aber es musste sein, auch wenn sie ihn wahrscheinlich für schrecklich spießig und arrogant hielt. „Meine Kunden gehören zu den oberen Zehntausend und sind nur das Beste gewohnt. Wenn sie zu Willowbrook Farms kommen, um ein Rassepferd für mehrere Millionen zu kaufen, macht Ihr Gemüsestand hier keinen guten Eindruck. So als würde man vor dem prächtigen Portal einer weltweit operierenden Bank eine Würstchenbude aufbauen. Das ist einfach lächerlich und schlecht für mein Geschäft.“

Wie schade! Das war Beths erster Gedanke. Quasi jeder in Royal mochte Drew Farrell und hielt ihn für einen angenehmen, aufrechten Mann. Im Texas Cattleman’s Club, dem TCC, wie er allgemein genannt wurde, spielte er eine wichtige Rolle. In dem Club traf sich alles, was Rang und Namen hatte, reiche Rancher, Investmentbanker, Bauunternehmer. Man entspannte sich und zählte seine Millionen.

Zwar wusste Beth nicht genau, was sich hinter den gepolsterten Türen abspielte, aber sie konnte es sich vorstellen. All diese ehrenwerten Leute schätzten Drew Farrell, den sie allerdings für ein arrogantes Ekel hielt. Aus vielen Gründen waren er und sie so unterschiedlich wie Feuer und Wasser.

Sein Stammbaum war so makellos wie der seiner Pferde. Er kam aus einer alteingesessenen, wohlsituierten Familie. Sie dagegen hatte nie Geld gehabt, nie etwas geerbt und konnte sich nicht daran erinnern, dass die Familie mal ohne finanzielle Sorgen gewesen war.

Sie straffte sich. „Wenn der Verkehr hier für Sie ein Problem ist, bauen Sie sich doch woanders eine Straße.“

„Es gibt keine andere Möglichkeit. Vor zwei Jahren habe ich dieses Land dazukaufen wollen und hätte es auf beiden Seiten der Straße mit einem weißen Zaun eingegrenzt. Wie man es von einer Pferderanch erwartet. Aber dann sind Sie gekommen und haben es mir weggenommen.“

„Ihnen weggenommen? Das ist ja absurd. Sie waren zu geizig und haben dem Verkäufer zu wenig geboten. Weil Sie dachten, außer Ihnen sei keiner an dem Land interessiert. Ich habe dem Mann ein vernünftiges Angebot gemacht, und er hat es angenommen. Genau so war es. Im Übrigen möchte ich nur betonen, dass Sie momentan auf meinem Grund und Boden stehen.“

Der Wind war stärker geworden, die Hitze drückend. Besorgt blickte Beth wieder auf die dahinjagenden dunklen Wolken. „Haben Sie den Wetterbericht gehört?“ Normalerweise war ihr Stand geöffnet, bis es dunkel wurde. Aber an diesem Tag sollte sie wahrscheinlich schon zeitig alles zusammenpacken und sich in ihr gemütliches Haus zurückziehen.

Sie hatte sich das kleine alte Farmhaus, das dieser Mr Farrell ganz sicher hätte abreißen lassen, sehr kuschelig eingerichtet und war stolz darauf. Ebenso wie darauf, dass sie offenbar einen grünen Daumen hatte und sehr erfolgreich Gemüse anbaute. Da würde sie sich doch nicht von so einem hergelaufenen Millionär herumschubsen lassen. Sicher, das Gestüt hatte er selbst aufgebaut, aber in eine Familie mit viel Geld hineingeboren worden zu sein war sicher nützlich gewesen.

Auch Drew betrachtete nachdenklich den Himmel. „Ja“, ging er auf ihre Frage ein. „Es gab eine Tornadowarnung. Aber ich glaube nicht, dass es so schlimm wird. Normalerweise gibt es hier keine Wirbelstürme, schon gar nicht im Herbst. Wenn, dann kommen sie im Frühjahr. Nein, ich glaube nicht, dass Sie etwas zu befürchten haben.“

„Hoffentlich nicht.“

„Also noch mal zu dem anderen Thema.“ Er stemmte die Fäuste in die Seiten und sah Beth drohend an. „Ihr kleines Unternehmen hier beeinträchtigt meine Geschäfte. Wenn wir uns nicht gütlich einigen können, muss ich mich an die Stadt wenden.“

„Wollen Sie mir Angst machen?“ Ihr Herz klopfte wie verrückt. Perverserweise erregten sie diese Auseinandersetzungen mit ihm, obwohl sie sich über seine Sturheit ärgern sollte. Was sie auch tat, denn schließlich hatte sie genauso wie er das Recht, sich ein Unternehmen aufzubauen. Gleichzeitig aber fühlte sie sich sehr zu ihm hingezogen, denn er sah leider unglaublich gut aus, groß und schlank, dunkelbraunes Haar, blaue Augen … Wahrscheinlich lag ihm das weibliche Geschlecht schon seit dem Kindergarten zu Füßen.

Mit Mitte zwanzig war er verlobt gewesen, das wusste Beth, aber nicht, warum die Beziehung auseinandergegangen war. Er musste jetzt Anfang dreißig sein und genoss offensichtlich sein Junggesellendasein. Zumindest hatte er in Royal schon so manches Frauenherz gebrochen. Kurz, sie waren so unterschiedlich, wie man nur sein konnte. Sie kam aus sehr bescheidenen Verhältnissen und hielt überhaupt nichts von ständig wechselnden Männerbekanntschaften. Leider fand sie ihn trotzdem ungeheuer attraktiv.

„Wie kommen Sie denn darauf?“ Er grinste kurz. „Aber ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um meine Interessen zu schützen. Und dazu gehört, dass auf dieser Straße Ruhe einkehrt, das ist lebenswichtig für mich.“

„Sind Sie schon so alt, dass Sie Ruhe brauchen?“

„Nein, nicht deshalb. Ich bin nur vier Jahre älter als Sie.“

Woher weiß er das? „Ach, Drew, nun seien Sie doch vernünftig. Ich habe genauso das Recht, hier zu sein, wie Sie. Im Vergleich zu Ihnen bin ich nur ein kleiner David, der den großen Goliath herausfordert. Aber wie Sie sich vielleicht noch vom Kindergottesdienst her erinnern, ging die Sache für Goliath nicht gut aus.“

„Soso, und wer bedroht jetzt wen?“

Hatte er nicht eben kurz gelächelt? Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Er würde nicht nachgeben, das war klar. Und wenn sie wegen des Wetterumschwungs nicht so grässliche Kopfschmerzen hätte, würde sie den Kampf aufnehmen. Eigentlich verstand sie seinen Frust. Sein Gestüt war weltbekannt. Seine Kunden waren Filmstars, Scheichs und andere Milliardäre. Da musste sie ihn mit ihrem kleinen Gemüsestand zu Tode nerven.

Aber warum sollte sie nachgeben? Dieses Stück Land mit dem kleinen Farmhaus war alles, was sie besaß. Und sie hatte hart dafür gearbeitet. „Pflanzen Sie doch ein paar Bäume“, schlug sie vor. „Welche, die schnell wachsen. Und hören Sie auf, mir zu drohen. Sonst muss ich gerichtlich gegen Sie vorgehen.“

Das meinte sie nicht ernst, natürlich nicht. Aber ihr Humor kam nicht gut bei ihm an. „Ich glaube, Sie verstehen nicht, worum es mir geht“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Auf der anderen Seite Ihres Grundstücks gibt es auch eine Straße. Warum bauen Sie Ihren Stand nicht dort auf?“

„Das ist doch nur ein Viehpfad, das wissen Sie genau. Es würde viele tausend Dollar kosten, daraus eine Straße zu machen. Und wahrscheinlich ist Ihnen nicht entgangen, dass ich nicht gerade mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde.“

Wütend starrte er sie an. „Warum, um alles in der Welt, mussten Sie sich gerade hier ansiedeln?“

Sie zuckte kurz mit den Schultern. „Richtige Größe, richtiger Preis. Ich habe mich gleich in dieses Stück Land verliebt.“ Wie sollte ein Mann wie er verstehen, was es für sie bedeutete, endlich ihren eigenen Grund und Boden zu besitzen?

„Verliebt? Gefühle stören nur, wenn man Geschäfte machen will.“

„Tatsächlich? Da bin ich nicht so sicher.“ Was bildet dieser Kerl sich eigentlich ein? „Erzählen Sie Ihren Superkunden doch einfach, ich hätte das Land von Ihnen gepachtet und würde die Pacht mit der Ernte bezahlen. Dann haben Sie bei denen sicher gleich einen Stein im Brett.“

„Sehr witzig.“

Der Mann versteht wirklich überhaupt keinen Spaß. Beth seufzte leise. „Auf zwei Feldern sind die Kürbisse reif zum Verkauf. Ein drittes Feld ist kurz davor. Mit dem Erlös komme ich gut über den Winter. Und Sie und Ihre Pferde haben ein paar Monate Ruhe.“

„Sehen Sie nicht, dass das alles nichts nützt? Auf die Dauer können Sie so nicht überleben. Und in der Zwischenzeit machen Sie mir große Probleme.“

Das reicht! Vor Zorn stieg ihr die Röte in die Wangen. Wie konnte er es wagen, ihre Bemühungen einfach so abzutun. Sie werden sich noch wundern, Mister! „Vielleicht kann ich es nicht schaffen, vielleicht aber doch“, erwiderte sie kalt. „Ich bin wie Scarlett O’Hara aus Vom Winde verweht, ein Buch, das ich schon mit dreizehn gelesen habe. Auf das Land kommt es an. Land ist das Einzige, was zählt.“

Drew ballte die Fäuste und beherrschte sich nur mühsam. Am liebsten hätte er ihr den hübschen Hals umgedreht. „Das stimmt“, sagte er betont ruhig. „Aber nur, wenn das Land schon seit Generationen einer Familie gehört. Das trifft auf Sie nicht zu und, da bin ich ehrlich, auch nicht auf mich. Aber es grenzt an meinen Besitz, das müssen Sie zugeben.“

„Na und? Wenn Sie so scharf darauf waren, warum haben Sie mich dann nicht überboten?“ Das bedauerte er jetzt sicher sehr, davon war Beth überzeugt. Er hatte schon ein paarmal versucht, ihr das Land abzukaufen. Erstaunlich, dass er heute noch nichts davon gesagt hatte.

„Nun nehmen Sie doch Vernunft an.“

„Das Gleiche wollte ich Ihnen gerade vorschlagen!“, schoss sie zurück.

„Haben Sie schon mal daran gedacht“, sagte er leise, bemüht, die Fassung nicht zu verlieren, „Ihre Sachen in der Stadt zu verkaufen? Damit wäre uns beiden geholfen. Sie hätten mehr Kunden, und ich müsste mich nicht mehr über den Verkehr hier auf der Straße ärgern.“

Da war was dran, aber sie war noch nicht bereit nachzugeben. „Das mag sein, doch Sie vergessen dabei einen ganz wichtigen Punkt. Wenn die Leute hier zu mir an den Stand kommen, dann können sie sehen, wo das Gemüse wächst, das sie kaufen. Besonders jetzt im Herbst erfreuen sie sich an den Kürbissen auf dem Feld, machen Fotos und stellen sie ins Netz. Das wäre in der Stadt vollkommen anders.“

Drew wusste, wann er eine andere Strategie anwenden musste. Auch wenn Beth jetzt ablehnte, sie würde über seinen Vorschlag nachdenken. „Falls Sie aber ausprobieren wollen, ob Ihr Geschäft in der Stadt nicht doch besser läuft, können meine Leute Ihnen beim Umzug und beim Standaufbau helfen. Das ist doch ein faires Angebot, oder?“ Gespannt sah er sie an. „Lassen Sie sich Zeit mit der Entscheidung. Ich will Sie nicht drängen.“

Nachdenklich blickte sie zu Boden, die vollen rosa Lippen leicht geöffnet. Wie gern würde er sie küssen. Ob sie Lipgloss benutzte? Und wenn, welche Geschmacksrichtung? Verdammt, er versuchte, eine Lösung für ein echtes Problem zu finden, und ließ sich von ihren Lippen ablenken!

Schließlich strich sie sich das Haar zurück und seufzte leise. „Kriegen Sie immer, was Sie wollen?“

Unwillkürlich regte sich sein schlechtes Gewissen. Sie hatte ja recht, er war im Wohlstand aufgewachsen und hatte es im Leben immer ziemlich einfach gehabt. Ganz im Gegensatz zu ihr. „Ist es denn schlimm, wenn man um das kämpft, was man will?“

„Oh nein“, gab sie schnell zurück. „Genau das habe ich getan, als es um dieses Stück Land ging. Sie hatten die Chance, es zu kaufen, und haben sie nicht genutzt. Dafür können Sie mich nicht verantwortlich machen.“

Nein … Plötzlich fiel ihm auf, dass der Wind nachgelassen hatte. Es war heiß und feucht, die Luft stand. Schweiß rann ihm über den Rücken. Beth dagegen schien die Hitze nichts auszumachen. Sie wirkte kühl und frisch in der knappen hellen Shorts und dem dunkelblauen Hemdchen, unter dem sich ihre Brüste deutlich abzeichneten. Diese Beine …

Natürlich hatte sie recht. Es war seine Schuld, dass er das Grundstück nicht gekriegt hatte. Er hätte mehr Geld bieten sollen. Das heißt, sein geschäftsführender Manager hätte ein höheres Angebot machen sollen, denn Drew selbst war zu dem Zeitpunkt in Dubai gewesen. Aber keiner war auf die Idee gekommen, dass es noch andere Interessenten für dieses Stück Land gab.

Beth stieß ihn leicht an. „Sehen Sie sich das an.“ Sie wies nach oben.

Die Berührung hatte ihn kurzfristig verwirrt. Doch dann blickte er in den Himmel, und es überlief ihn eiskalt. Die dunklen Wolken hatten sich nach einem merkwürdigen Muster geordnet, so als verliefe eine schwarze Linie zwischen Himmel und Erde. Unterhalb der Linie wirkte alles normal, aber oberhalb drohte Unheil. Drew sträubten sich die Nackenhaare. „Eine solche Wolkenwand habe ich nur einmal als Kind gesehen“, flüsterte er. „Gleich ist die Hölle los. Wir müssen Schutz suchen, schnell!“

In diesem Augenblick hörten sie die Sirenen in der entfernten Stadt. Gleichzeitig sahen sie entsetzt, wie sich aus der dunklen Wolkenwand ein trichterförmiger Rüssel hervorschob und Kontakt mit der Erde schloss.

„Oh Gott, Drew …“, keuchte Beth.

Er packte sie beim Arm. „Ab in den Schutzkeller!“ Er fragte nicht einmal, wo der war. Denn er wusste, jeder in dieser Gegend musste einen haben, im Haus oder in der Nähe des Hauses, in den man sich flüchten konnte, wenn ein ungewöhnlicher Sturm losbrach.

Sie rannten los wie von Hunden gehetzt. Beths Haus war eine Viertelmeile entfernt. Beth hielt keuchend mit ihm Schritt. „Können … wir es … schaffen?“

Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. „Er kommt auf uns zu … Wir müssen es schaffen! Schneller!“

Die ersten schweren Tropfen trafen sie, als sie noch hundert Meter vom Haus entfernt waren. Im Nu waren sie bis auf die Haut durchnässt. Aber das war nicht das Schlimmste. Dieses dumpfe Grollen in der Ferne wurde lauter und lauter. Sie rannten, so schnell sie konnten. Gemeinsam erreichten sie das Haus, stürzten die seitliche Kellertreppe hinunter und auf die Tür zu, die ihnen der Sturm sofort aus der Hand riss.

„Rein!“, schrie Drew.

Beth sah entsetzt auf das schwarze Monster, das ihnen folgte, und stolperte in den Keller. Drew folgte sofort und verrammelte den Eingang. Sein Blick fiel auf den schweren Metallgriff unten an der Tür. Er wusste, wozu der da war, und bei der Vorstellung, ihn benutzen zu müssen, wurde ihm übel. Aber noch war es nicht so weit …

In dem Keller war es stockfinster, denn es gab nur ein winziges Fenster direkt unter der Decke. Allmählich gewöhnten sich Drews Augen an die Dunkelheit. Beth lehnte erschöpft an der Wand. „Komm, setz dich.“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie zu zwei alten Gartenstühlen. Doch sie sträubte sich. „Ich will mich nicht setzen. Was sollen wir bloß tun?“

„Wir können nur abwarten.“ Das Heulen des Sturms wurde mit jeder Minute lauter. Ob er direkt auf Beths Haus zusteuerte? Auch Drews eigener Besitz war in Gefahr, und er konnte nur darauf vertrauen, dass seine Leute alles taten, um Menschen und Tiere zu schützen. Er strich Beth über beide Arme. Sie war eiskalt und zitterte. „Hier, nimm mein Hemd.“ Er streifte es schnell ab und legte es ihr um die Schultern. Als sie sich nicht wehrte, wusste er, dass sie starr vor Entsetzen war.

„Ich habe auch Angst“, flüsterte er. „Aber wir schaffen es. Ganz bestimmt.“

Als wolle der Tornado sich über ihn lustig machen, fing er noch lauter an zu heulen. Sand und Steinchen prasselten gegen die Kellertür. Beth schrie auf und presste sich die Faust vor den Mund. Schnell nahm Drew sie in die Arme und drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter.

Zum ersten Mal verstand er, was Menschen meinten, die in höchst gefährlichen Situationen gewesen waren. Dass nämlich ihr bisheriges Leben in wenigen Sekunden vor ihnen abgelaufen sei. Aber das hier durfte nicht das Ende sein. Allerdings machte er sich keine Illusionen, was ihre Sicherheit betraf. Der Keller war alt und nicht sehr stabil gebaut.

Was für eine Ironie des Schicksals, dass er nun gerade mit der Frau hier eingesperrt war, die so widerstreitende Gefühle in ihm auslöste. Sie, die normalerweise eine Menge aushalten konnte und stolz auf ihre Unabhängigkeit war, fühlte sich in seinen Armen zerbrechlich und schutzbedürftig an. Er hielt sie fest an sich gedrückt und dachte bedauernd: Wenn wir jetzt sterben müssen, warum habe ich dich vorher nicht geküsst?

2. KAPITEL

Verzweifelt klammerte Beth sich an Drew. Er war stark, er würde sie schützen. Seine sonst so irritierende Selbstsicherheit war jetzt ein Pluspunkt. Er hatte gesagt, sie würden es schaffen. Und darauf verließ sie sich.

Sie spürte seinen stetigen ruhigen Herzschlag. Seine Haut war warm, ihre eigene eiskalt. Wenn man ihr vierundzwanzig Stunden zuvor gesagt hätte, sie würde sich eng umschlungen mit Drew Farrell in einem dunklen Raum aufhalten, hätte sie sich totgelacht. Und jetzt klammerte sie sich an ihn, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

Über ihren Köpfen heulte der Sturm. Beth hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Vielleicht sollte sie sich schon mal ein Notprogramm für die folgende Woche ausdenken. Aber die ganze Situation war ein einziger Albtraum, in dem sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Das einzig Tröstliche war Drews kräftiger warmer Körper.

Der kleine Raum war dunkel und feucht und roch nach Erde, eigentlich wie ein Grab. Aber solange Drew bei ihr war, fühlte sie sich geborgen. Der Gedanke daran, jetzt allein hier zu sein, ließ sie erschaudern. Wahrscheinlich hätte sie nicht einmal die Kellertür allein zuziehen können.

Wie lange dauerte ein Tornado normalerweise?

Immer noch schien der Sturm an Stärke zuzunehmen, zumindest ließ das immer lauter werdende Heulen das vermuten. Plötzlich ließ Drew sie los. Er schrie ihr etwas zu, was sie jedoch erst beim dritten Mal verstand.

„Die Türangeln!“, stieß er hervor. „Sie sind alt und können dem Sturm nicht standhalten! Leg die Arme um mich, und halt dich an meinem Gürtel fest!“

Sie tat, was er gesagt hatte, während er den schweren Griff an der Tür packte und sich mit aller Kraft gegen die saugende Gewalt von draußen stemmte. Sie zog, so gut sie konnte, und spürte den Sog. Oh Gott, wenn Drew jetzt aus ihren Armen nach draußen gerissen würde … Nein, das durfte nicht geschehen …

„Ich bin stärker als du, du kriegst mich nicht klein!“, schrie Drew dem Sturm entgegen. Sie mussten es schaffen! Das schaurige Heulen kam jetzt von allen Seiten, wütete und schwoll an. Der Sturm zerrte mit aller Kraft an der Tür, sodass Drew fürchtete, den Griff nicht länger halten zu können. Aber das durfte nicht sein, sie mussten überleben. Seine Schultern schmerzten, in den Händen hatte er kein Gefühl mehr, und immer wieder musste er gegen die eigene Verzweiflung ankämpfen. Nicht aufgeben, nicht aufgeben! Aber wie lange würde er noch durchhalten?

Doch dann wurde ihm wieder bewusst, dass Beth hinter ihm war, ihn fest umklammert hielt und mit aller Kraft an ihm zog. Er konzentrierte sich ganz auf ihren Körper und blendete den Schmerz in Schultern und Händen aus. Sie war da, sie kämpfte mit ihm.

Dann ertönte ein gewaltiger Krach, und Beth schrie auf. Das Wüten des Sturms wurde stärker und stärker, dann prasselte es wie Gewehrkugeln gegen das Haus und auf das Dach. Hagel! Offenbar in der Größe von Tischtennisbällen! Was der Sturm selbst nicht zerstört hatte, würde der Hagel schaffen.

Nach einer Ewigkeit nahm das Prasseln ab und ging schließlich in stetiges Rauschen über. Eine ganze Weile regnete es, und dann war es vorbei. Der Sog auf die Tür ließ so plötzlich nach, dass Drew stolperte. Beth hielt ihn immer noch fest umklammert, und er konnte sie keuchend atmen hören.

Die Ruhe nach dem Sturm war ohrenbetäubend.

Vorsichtig ließ Drew den Griff los und bewegte die tauben Finger. Dann löste er sich vorsichtig aus Beths Umklammerung, drehte sich zu ihr um, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie leicht. „Es ist vorbei, Beth“, sagte er leise. „Wir haben es geschafft.“ In der Dunkelheit konnte er ihr Gesicht kaum erkennen.

„Ist das wirklich wahr?“ Ihre Stimme war leise, aber klar. „Irgendwo hier auf dem Boden steht ein Metallkasten. Für die Notversorgung.“ Suchend sah sie sich um, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. „Den habe ich gesehen, als wir hier reinkamen.“

Nur ungern ließ er sie los und tastete nach dem Kasten. Er fand ihn und klappte ihn auf. Obenauf erfühlte er zwei Taschenlampen. Er gab Beth eine und knipste seine an. Jetzt erst sah er, dass Beth ihn anstarrte, als stünde sie immer noch unter Schock. Schnell nahm er zwei Wasserflaschen aus dem Kasten, gab Beth eine und zog sie zu den Gartenstühlen. „Setz dich, und atme tief durch.“

Sie tat, was er sagte. „Können wir schon wieder rausgehen? Woher wissen wir, dass alles vorbei ist und nicht ein zweiter Tornado folgt?“

„Das kann ich herausfinden.“ Er zog sein Smartphone aus der Tasche, tippte darauf herum und fluchte dann leise. „Mist, ich habe keine Verbindung. Offenbar hat der Sturm die Funkmasten zerstört. Lass uns noch ein paar Minuten warten, dann sehen wir uns mal draußen um. Falls die Sirenen wieder losgehen, können wir immer wieder hierher flüchten.“

„Wie spät ist es?“

Auch Drew hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange sie wohl schon hier unten waren? Eine Stunde? Er blickte auf die Uhr. „Es ist erst halb fünf.“

„Das kann nicht sein.“

„Ist aber so. Komm, trink was. Wir wollen erst mal zu Atem kommen.“ Er hatte es weiß Gott nicht eilig, zu sehen, was der Sturm angerichtet hatte. Ein Monstertornado konnte ganze Städte zerstören. Hoffentlich war dieser nicht ganz so schlimm gewesen, und Royal hatte ihn einigermaßen überlebt. Aber Drew hatte seine Zweifel. Die rohe Gewalt hat er am eigenen Leib gespürt. Wenn nur niemand ums Leben gekommen war!

Beth setzte die Flasche ab. Sie hatte kaum was getrunken. „Ich kann nicht mehr hier unten bleiben. Ich muss wissen, was passiert ist.“

„Ich fürchte, du musst dich auf einiges gefasst machen.“ Beide standen auf, und Drew griff nach Beths Händen. „Aber wir werden schon damit zurechtkommen. Schließlich sind wir Nachbarn. Und Nachbarn helfen sich gegenseitig.“

„Danke, Drew.“ Sie drückte ihm die Hände und ließ ihn dann los. „Was auch immer mich draußen erwartet, ich lasse mich davon nicht unterkriegen. Aber ich muss es jetzt wissen.“

„Ich auch. Also raus hier.“

Dieser Tornado war das Entsetzlichste, das Beth je erlebt hatte – bis sie feststellte, dass sie und Drew in dem kleinen Schutzraum von drei mal drei Metern gefangen waren. Bei der Vorstellung, lebendig begraben zu sein, gefror ihr das Blut in den Adern.

Drew hatte den schweren Riegel zurückgeschoben, doch als er die Tür aufstoßen wollte, war sie blockiert. Irgendetwas Schweres musste auf der anderen Seite liegen, und sosehr Drew sich auch bemühte, die Tür rührte sich nicht.

Sie waren gefangen.

Nein, nur das nicht … Beth versuchte, ihre Todesangst zu unterdrücken. „Soll ich mit schieben helfen?“, stieß sie hervor.

„Du kannst es versuchen.“

Doch auch als sie mit vereinten Kräften gegen die Tür drückten, gab sie nicht nach.

„Verdammt!“ Drew hämmerte wütend gegen die Tür. „Das bringt alles nichts! Irgendetwas hat sich verklemmt und lässt sich nicht bewegen. Tut mir leid, Beth.“

Beth atmete tief durch. Jetzt bloß keine Panik … „Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Ich bin sicher, dass man uns bald finden und befreien wird.“ Sowie die Straßen geräumt sind. Und sich hoffentlich jemand daran erinnert, Drew an ihrem Stand gesehen zu haben. Sie räusperte sich, um den dicken Kloß im Hals loszuwerden, und lächelte mühsam. „Hast du zufällig jemandem erzählt, dass du mir heute Nachmittag die Leviten lesen wolltest?“ Ja, bitte, sag Ja

„Nein. Wird deine Familie versuchen, dich zu erreichen?“

„Wahrscheinlich nicht. Wir haben kein besonders gutes Verhältnis.“ Warum, ging ihn nichts an. Sie zog ihr Handy aus der Tasche. Vielleicht geschah ein Wunder, und sie hatte ein Signal. Aber auch bei ihr tat sich nichts.

„Versuch zu texten“, schlug er vor. „Manchmal kann man einen Text auch ohne Signal absetzen.“

Sie tippte ein paar Worte und schüttelte dann den Kopf. „Geht nicht raus.“

„Verflucht!“

„Kann man wohl sagen.“ Ihr knurrte der Magen. „Hätte ich nur Mittag gegessen.“

„Versuche, dich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wir wollen die Notration nur im äußersten Notfall anbrechen.“

Was meinte er damit? Dass sie hier wahrscheinlich tagelang gefangen waren? Plötzlich spürte sie einen Druck auf der Blase. Himmel, es war ja nicht nur das Essen, sondern auch … Sie wusste zwar, dass es hinten in der Ecke ein Notklo gab, aber die Vorstellung, es vor den Augen von Drew Farrell benutzen zu müssen, trieb ihr jetzt schon die Röte in die Wangen. Und natürlich musste sie sofort an Wasserfälle und rauschende Flüsse denken … Oh nein

Drew setzte sich neben sie. Beide machten ihre Taschenlampen aus, um die Batterien zu schonen. Beth wiegte ihr Handy in der Hand. War das ihre letzte Verbindung zur Außenwelt? „Wahrscheinlich sollten wir die auch ausstellen, oder?“

„Ja. Wir haben hier keine Möglichkeit, sie wieder aufzuladen. Es genügt, wenn wir jede Stunde einmal versuchen, ob wir ein Signal haben.“

„Aber du rechnest nicht damit?“

„Nein.“

Beth konnte seinen Gesichtsausdruck zwar nicht erkennen, aber sie saßen so dicht nebeneinander, dass sie seine Körperwärme spürte. „Ich fühle mich so hilflos“, flüsterte sie.

„Ich mich auch“, sagte er tonlos. Für einen Mann wie ihn, der normalerweise immer wusste, was zu tun war, war die Situation besonders unerträglich.

„Irgendjemand auf deiner Ranch wird doch merken, dass du nicht da bist, und nach dir suchen.“

„Ja, vielleicht mein Bruder Jed, der gerade zu Besuch ist.“

Wie gern hätte sie ihn berührt, auch um zu fühlen, dass sie nicht allein war. Aber sie traute sich nicht, denn diese Art von Beziehung hatten sie nicht. Lediglich unglückliche Umstände, um es milde auszudrücken, hatten sie auf engem Raum zusammengepfercht.

„Wollen wir nicht Waffenstillstand schließen?“, fing er wieder an. „Zumindest bis wir gerettet werden. Mir ist die Lust vergangen, dich anzuschreien.“

„Bitte, sei jetzt nicht nett zu mir“, flehte sie. „Das kann ich nicht ertragen.“

„Warum denn nicht?“

„Weil sich das so anhört, als würdest du sowieso nicht an unsere Rettung glauben.“

Er drehte sich zu ihr um, der Stuhl knarrte. „Unsinn. Natürlich kommen wir hier lebend raus. Vielleicht erst in einer Woche oder so. Wahrscheinlich haben wir dann nichts mehr zu essen und zu trinken und fühlen uns elend, aber das überstehen wir.“

„Wie tröstlich!“ Ganz offenbar gehörte er nicht zu den Männern, die etwas schönredeten. Eine Woche! Sie spürte, wie Panik sie überfiel, und griff unwillkürlich nach Drews Arm. „Bitte, erzähl mir eine Geschichte“, stieß sie hastig hervor. „Irgendetwas, das mich ablenkt. Irgendetwas Peinliches aus deiner Vergangenheit, das keiner kennt.“

„Was? Das kann aber gefährlich für mich werden.“

„Überhaupt nicht. Es bleibt alles in diesen Mauern. Darauf kannst du dich verlassen.“

Sein leises Lachen tröstete sie irgendwie. Als er aufstand und in dem engen Raum hin und her ging, überlief sie ein Frösteln. Sein Hemd roch nach ihm. Sie zog es enger um sich herum und sah ihn abwartend an.

Drew machte sich Sorgen, ernsthafte Sorgen. Nicht unbedingt um die eigene Situation hier mit Beth. Sondern um das, was draußen vor sich ging oder eben nicht vor sich ging. Er wusste, dass dort jeder Mann gebraucht wurde. Und hier eingesperrt zu sein und nicht helfen zu können machte ihn fertig. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit war er nicht gewohnt.

Er war es normalerweise, der etwas bewegte. Er selbst gestaltete sein Schicksal und empfand es als demütigend, dass die Natur ihm diese Fähigkeit einfach aus der Hand gerissen hatte. Momentan konnte er nichts anderes tun, als Beth Mut zu machen. Was auch wichtig für ihn war, denn er verspürte diesen merkwürdigen Drang, sie zu beschützen. Obwohl er eigentlich wusste, dass Beth eine starke Frau war. Und wenn sie hier rauskamen, würde sie sofort mit ihm zusammen zupacken, um anderen zu helfen.

Sollte er ihr wirklich etwas aus seiner Vergangenheit erzählen? Vielleicht kein schlechter Gedanke, das würde auch ihn ablenken. „Ich war mal verlobt“, fing er an.

„Das ist nichts Neues, Drew. Jeder weiß das.“

„Okay. Wie ist es dann mit einer Geschichte aus meiner Kindheit? Als ich zehn Jahre war, konnte ich schon Auto fahren. Ich fuhr heimlich mit Dads Wagen, fand mich fürchterlich erwachsen, rauchte eine Zigarre, zumindest bis mit schlecht wurde und ich die weißen Lederpolster vollkotzte.“

„Und das hat keiner gemerkt?“

„Nein. Mein Bruder half mir beim Saubermachen, und ich stellte den Wagen wieder vor der Garage ab, bevor unsere Eltern aufwachten.“

„Leben deine Eltern eigentlich noch?“

„Ja. Warum fragst du? Willst du petzen?“

„Keine schlechte Idee.“ Sie grinste kurz. „Natürlich nicht. Ich habe auch ein Geheimnis, wenn das auch nicht so spannend ist. Als ich neun war, habe ich mal Geld aus dem Portemonnaie meiner Mutter genommen, um Brot zu kaufen. Nur damit ich auch etwas zum Lunch mithatte wie die anderen Kinder in der Klasse.“

„Tatsächlich?“ Was für eine rührende Geschichte. Suchte sie sein Mitleid?

Ohne zu antworten stand sie auf und horchte an der Tür. „Immer noch nichts zu hören! Wenn wir nun die Nacht hier verbringen müssen … Ich will nicht auf dem kalten Beton schlafen! Und ich habe Hunger, verdammt noch mal!“

Schnell stand er auf und nahm sie in die Arme. „Entschuldige, die Ironie war nicht angebracht. Erzähl weiter.“

„Nein, ich will nicht!“ Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Ich will hier raus!“ Dann brach sie in Tränen aus.

Er drückte sie an sich und strich ihr beruhigend über den Rücken. Es war einfach zu viel. Erst der Tornado und dann dieses finstere Gefängnis, ohne zu wissen, ob Hilfe unterwegs war. Dennoch, es war angenehm, sie in den Armen zu halten. Vielleicht sollte er in dieser Situation nicht so empfinden, aber er konnte nichts dagegen tun. Wie würde sie wohl reagieren, wenn er sie küsste?

Vorsichtig schob er ihr die Finger ins Haar. Ihr Schluchzen verstummte. „Besser?“

„Ja.“

„Ich möchte dich küssen, Beth. Aber nur, wenn du willst.“

Er spürte, wie sie mit den Schultern zuckte. „Okay. Schließlich hast du mir das Leben gerettet.“

Das hatte er nicht hören wollen. „Wir haben uns gegenseitig das Leben gerettet“, sagte er leicht verärgert. „Du schuldest mir gar nichts.“

„Nun komm schon“, sagte sie kühl. „Wir denken beide doch schon zwei Jahre lang daran. Oder willst du das leugnen?“

Sanft strich er ihr mit dem Daumen über die Unterlippe. „Nein, keineswegs.“

Als sich ihre Lippen berührten, geschah etwas Ungewöhnliches. Kein gieriges Verlangen, kein Feuerwerk der Sinne brach sich Bahn, sondern etwas sehr viel Sanfteres und Schöneres. In der Berührung lagen so viel Zärtlichkeit und ein derart süßes Versprechen, dass Drew sofort hart wurde und sein Puls raste.

Wie selbstverständlich schlang Beth ihm die Arme um den Hals und erwiderte seinen Kuss. In seinen kühnsten Träumen hätte er sich nicht vorstellen können, dass er sie ausgerechnet hier in diesem dunklen Verlies das erste Mal küssen würde. Frauen verdienten weiche kühle Laken, romantisches Kerzenlicht und dass man ihnen den Hof machte.

Aber dies war eine außergewöhnliche Situation, in der konventionelle Verhaltensweisen keine Rolle mehr spielten. Sie hatten dem Tod ins Auge gesehen und wussten auch jetzt nicht, ob sie hier jemals wieder lebend herauskommen würden. Er war nur froh, dass er bei ihr war. Wahrscheinlich hätte sie die Tür gar nicht allein zuhalten können. Und dann … eine schreckliche Vorstellung.

„Beth?“

„Ja…?“, stieß sie leise hervor.

Verdammt! Er spürte, wie ihn unbändiges Verlangen überfiel. „Wir müssen aufhören.“

„Warum?“, fragte sie gedehnt. „Mir macht es Spaß, dich zu küssen.“

Der Mund wurde ihm trocken. „Mir auch. Aber das ist es nicht. Ich will mehr, und ich weiß nicht …“ Er zog sie an sich, sodass sie spüren musste, wie erregt er war.

Sofort stieß sie ihn zurück und schrie ihn an: „Was soll das? Du magst mich doch gar nicht!“

3. KAPITEL

Beth war beschämt … und erregt … und erschöpft von dem, was sie in der vergangenen Stunde hatte aushalten müssen. Wie oft hatte sie sich ausgemalt, Drew Farrell zu küssen, aber es dann wirklich zu tun war etwas ganz anderes. Im Wesentlichen weil er sehr viel sanfter vorgegangen war, als sie es sich vorgestellt hatte. Beinahe so als vermutete er, dass sie Angst vor ihm hatte. Von wegen. Seit Monaten hatte sie davon geträumt, Zärtlichkeiten mit ihm auszutauschen.

Aber dass ihr Wunsch sich nun ausgerechnet hier erfüllte, in diesem finsteren Loch und unter diesen Umständen, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Natürlich war sie froh, noch am Leben zu sein, aber sie musste hier raus, unbedingt. Normalerweise konnte sie ziemlich viel ertragen, sonst wäre sie in ihrem Leben auch noch nicht so weit gekommen. Aber die Dunkelheit und die Enge dieses muffigen Raums konnte sie nur schwer aushalten. Sie spürte, wie die Panik sie wieder überfiel, und da half ihre sexuelle Erregung auch nicht weiter.

Also Schluss damit. Später wäre ihnen die Situation wahrscheinlich sowieso nur peinlich. Als sie sich mit weichen Knien auf dem wackeligen Gartenstuhl niederließ, nahm Drew sein nervöses Hin- und Hertigern wieder auf. Beide schwiegen.

Wie spät es wohl war? Beth hatte ihr Handy ausgeschaltet und trug selbst keine Uhr, mochte Drew aber nicht fragen. Der Stuhl wurde immer härter und die Luft stickiger. In der Entfernung glaubte sie eine Sirene zu hören, wahrscheinlich von einem Krankenwagen. Auf keinen Fall war es ein Tornadoalarm. Wie es wohl draußen aussah? Sie mochte sich kaum ausmalen, was sie dort erwartete. Die Kürbisernte konnte sie vergessen, so viel war sicher.

Schließlich konnte sie es doch nicht mehr aushalten und fragte nach der Uhrzeit. Erst eine halbe Stunde war vergangen? Seufzend ließ sich Drew neben ihr nieder, rutschte dann aber doch mit dem Stuhl etwas weiter von ihr weg. Von mir aus … Beth konnte es ihm nicht übel nehmen. In ihrer Situation war es ohnehin besser. Sie schloss die Augen und versuchte abzuschalten. Doch dann fuhr sie plötzlich hoch.

„Hast du wirklich Geld gestohlen, um Brot zu kaufen?“, fragte er.

Drew war selbst überrascht von seiner Frage. Wollte er das wirklich wissen? Ja.

Verwirrt blickte Beth ihn an. Mit einer solchen Frage hatte sie nicht gerechnet. „Ja“, sagte sie schließlich zögernd, „meine Mutter war in dem Punkt nicht sehr zuverlässig. Sie hat sich nicht besonders gut um mich und meinen Bruder gekümmert.“

Nein? Mitfühlend sah Drew sie an. Wie anders war er aufgewachsen. Aber instinktiv wusste er, dass sie auf keinen Fall bemitleidet werden wollte. Also dachte er an den Kuss. Beth hatte ihn leidenschaftlich erwidert, das war eindeutig gewesen. Und sie hatte recht, seit zwei Jahren war da etwas zwischen ihnen. Natürlich fühlte er sich von ihr angezogen. Sie war hübsch und intelligent und tatkräftig. Aber davon sollte er sich jetzt nicht ablenken lassen, sondern sich lieber darauf konzentrieren, wie sie in diesem dunklen Gefängnis zurechtkamen, bis sie befreit wurden.

„Wie spät ist es?“, fragte sie wieder und riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Und wie ist es mit dem Handysignal?“

Er blickte auf die Uhr. „Neun.“ Dann zog er sein Smartphone aus der Tasche. „Immer noch nichts.“ Wieder sprang er auf. Er konnte einfach nicht ruhig sitzen bleiben, ging zur Tür und drückte dagegen, jedoch vergeblich. Was den Eingang auf der anderen Seite blockierte, musste so gewaltig sein wie ein Elefant! Nie würden sie aus eigener Kraft hier herauskommen.

„Sieht beinahe so aus, als müssten wir hier auch noch die Nacht verbringen.“ Er wandte sich zu Beth um. „Die Suchtrupps haben sicher sehr viel zu tun, müssen Straßen frei räumen und Strommasten wieder aufrichten. Vor morgen früh können wir wahrscheinlich nicht mit ihnen rechnen.“

„Wenn überhaupt.“

Darauf ging er nicht ein. „Ich finde, wir sollten jetzt was essen.“ Er knipste die Taschenlampe an, klappte die Metallkiste auf und nahm eine Büchse mit Keksen heraus. „Besser als gar nichts.“ Er nahm ein paar Kekse aus der Büchse und gab sie dann an Beth weiter. „Guten Appetit.“

Sie grinste ihn nur schief an.

„Und was haben wir hier?“ Lächelnd holte er noch zwei Taschenlampen aus der Kiste. Dann reichte er Beth eine Flasche Wasser. „Versuch, so wenig wie möglich zu trinken. Vielleicht ist es nicht nötig, aber wir sollten auf alles vorbereitet sein.“

Wieder lächelte sie etwas verkrampft. „Sehr weise!“

„Machst du dich etwa über mich lustig?“

„Nein. Ich versuche nur, nicht hysterisch zu werden.“

Drew schüttelte den Kopf. „Du und hysterisch? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Er machte die Taschenlampe wieder aus.

„Nein? Du kennst mich eben nicht.“

„Kann sein. Aber ich bewundere dich trotzdem.“

„Sei nicht nett zu mir! Das bin ich nicht gewohnt, und das macht mir Angst.“

„Du kennst mich eben auch nicht. Ich kann mich durchaus gut benehmen, wenn ich will. Und ich verspreche dir, mich heute Nacht von meiner besten Seite zu zeigen.“

Nun musste Beth doch lachen. „Wenn du glaubst, dass ich mich zum Schlafen auf den nackten Boden lege, hast du dich getäuscht. Wenn wir nicht alles ausleuchten und nach Spinnen und anderen widerlichen Kreaturen suchen, bleibe ich hier eisern sitzen.“

„Kein Problem. Außerdem habe ich eine von diesen silbernen Isomatten hier gesehen, die können wir auf dem Boden ausbreiten. Darauf kannst du schlafen. Ich bleibe sitzen und lehne mich gegen die Wand. Dann kannst du deinen Kopf in meinen Schoß legen.“

„Kommt gar nicht infrage. Entweder legen wir uns beide hin, oder wir bleiben beide sitzen.“

Er runzelte die Stirn. „Sei doch nicht so stur.“

„Das musst du gerade sagen.“ Er hörte, wie sie aufstand. Dann spürte er ihre Hand auf dem Arm. „Es sieht nicht gut aus, was?“, fragte sie leise.

„Nicht besonders, nein. Der Sturm, der die Tür blockiert hat, hat sicher eine Menge angerichtet.“

Sie seufzte leise. „Dann wollen wir jetzt versuchen zu schlafen. Damit möglichst bald morgen ist.“

Drew machte die Taschenlampe wieder an und suchte den Raum ab. Er tötete ein paar Spinnen, fand aber sonst nichts Größeres. Beth beobachtete ihn dabei und spürte, wie gut es ihr tat, sein ernstes männliches Gesicht zu sehen. Auch wenn sich da draußen alles verändert haben sollte, Drew war immer noch derselbe, auch wenn er jetzt verdammt müde aussah. Wie gut, dass hier kein Spiegel war, denn auf ihren eigenen Anblick konnte sie gut verzichten. Ihre Haare klebten am Kopf, und das Gesicht war sicher total verschmiert.

Sie breiteten die Isomatte aus, doch bevor Beth sich hinlegen konnte, musste sie sich erleichtern … „Drew, ich …“ Sie wurde knallrot.

„Ich weiß. Ich auch.“ Er ging zur Tür und wandte Beth den Rücken zu. Als sie fertig war, tat sie das Gleiche. Das Ganze war längst nicht so peinlich, wie sie befürchtet hatte. In ihrer Situation konnten sie sich den Luxus, empfindlich zu sein, einfach nicht leisten.

Beide legten sich hin, und Drew rückte dicht an sie heran, als er spürte, wie sie zitterte. „Alles okay?“

„Ja, aber du solltest dein Hemd wieder anziehen. Dir ist doch sicher kalt.“

„Nein. Ich hoffe, du kannst schlafen, Beth. Morgen wird sicher alles wieder gut.“

„Vielleicht“, wisperte sie.

Geht diese Nacht denn nie zu Ende? Drew hatte kaum geschlafen. Sein Körper schmerzte überall, sein Arm, auf dem Beth den Kopf gelegt hatte, war so gut wie taub.

Sie war auch nicht gleich eingeschlafen. Es hatte lange gedauert, bis sie sich entspannen konnte. Die Unterlage pufferte kaum etwas ab, und so dicht bei ihm zu liegen, empfand sie wahrscheinlich auch als unbehaglich. Aber irgendwann hatte sie dann doch gleichmäßig geatmet.

Trotz des tauben Arms hielt er sie gern umschlungen. Als er ihr das Haar aus der Stirn strich, nahm er den sanften Duft ihres Shampoos wahr. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie sie sich liebten und ihm ihr weiches duftendes Haar auf die nackte Brust fiel. Er schluckte. Es hatte keinen Sinn, sich weiter etwas vorzumachen. Er war scharf auf Beth Andrews, und ihre ewigen Streitereien hatten sein Verlangen kaum merklich abgekühlt.

Beinahe war er froh, dass sein Körper so schmerzte, denn sonst hätte er seine Erregung nur schwer ignorieren können. Er schloss die Augen. Wenn er doch nur einschlafen könnte.

Als Beth aufwachte, war sie so niedergeschlagen wie nach einem fürchterlichen Albtraum. Sie machte die Augen auf, doch der Albtraum hielt an. Ja, sie war immer noch in dem dunklen Gefängnis und konnte nicht hinaus.

Dennoch, sie war schon unter schlimmeren Umständen aufgewacht. Drews rechter Arm lag schwer auf ihrer Taille, seine rechte Hand berührte ihre Brust. Er schlief tief, zumindest schnarchte er leise, trotzdem wurde sie knallrot. Bis zum vergangenen Tag war Drew Farrell nur ein arroganter unbequemer Nachbar gewesen, nichts weiter. Na ja, nicht ganz. Ihr war immer bewusst gewesen, dass er gut aussah und sehr sexy war. Aber sie hatte sich so oft über seine ständigen Beschwerden ärgern müssen, dass ihr Interesse an ihm gleich null war.

Die letzten zwölf Stunden hatten alles verändert. Sie waren auf engem Raum zusammengepfercht und aufeinander angewiesen. Eine Notgemeinschaft, Kameraden im Unglück. Freunde. Oder mehr? Sie zumindest hatte durchaus sexuelle Gelüste, wenn sie ihn so ansah. Aber auch das konnte mit der ungewöhnlichen Situation zu tun haben. Schließlich hatten sie gemeinsam dem Tod ins Auge gesehen. Sie brauchte sich nur daran zu erinnern, wie der Sturm sie verfolgt hatte, und schon wurde ihr wieder kalt vor Entsetzen. Bisher waren sie mit dem Leben davongekommen, aber noch waren sie nicht gerettet.

Wie spät es wohl war? Wahrscheinlich noch ziemlich früh. Durch das winzige Fenster drang schwaches Morgenlicht. Obgleich ihre Hüfte vom Liegen auf dem harten Boden schmerzte, hatte sie keine Lust aufzustehen. Drews Umarmung war irgendwie tröstlich. Sein schlanker, muskulöser Körper versprach Schutz und Geborgenheit, obwohl Drew bisher nichts an ihrer Situation hatte ändern können. Und dennoch beruhigte sie seine Nähe.

Wie ihre Felder wohl aussahen? Ob ihr Haus noch ein Dach hatte? Und was war mit Drews Pferden? Und Royal? Ob die Stadt wohl auch was abgekriegt hatte? Es war zum Verrücktwerden, derart von der Außenwelt abgeschnitten zu sein!

Leise seufzend schloss sie die Augen. Immer noch lag sie mit dem Kopf auf Drews Oberarm, ein durchaus angenehmes Gefühl. Auch sein Geruch war ihr schon beinahe vertraut. Aber für ihn musste diese Lage sehr unbequem sein. Sollte sie ihn deshalb aufwecken? Vielleicht lieber nicht, wer weiß, wann er eingeschlafen war.

Eigentlich seltsam, dass sie sich von Anfang an gestritten hatten, denn Drew war überall beliebt. Wahrscheinlich hatte es sie immer genervt, dass er sie fühlen ließ, aus welch wohlhabender Familie er kam. Dass für ihn alles so einfach gewesen war, ging ihr gegen den Strich und ließ sie schärfer reagieren, als es ihre Art war. Wahrscheinlich waren sie sich einfach zu ähnlich. Beide stur. Beide davon überzeugt, recht zu haben.

Jetzt murmelte er etwas im Schlaf, bewegte die Hand, die auf ihrer Brust lag, und streifte unabsichtlich die Brustspitze. Beth erschauerte. Ob er von einer Frau träumte? Aber egal, zwischen ihnen würde sowieso nichts laufen. Keine günstigen Voraussetzungen. Anderes war jetzt wichtiger. Ob schon Rettung unterwegs war? Wie würden sie ihren jeweiligen Besitz vorfinden?

Und doch war sie sich seines warmen Atems, der ihren Nacken streifte, nur zu bewusst. Hatte er sie dort auch küssen wollen, und hatte er überhaupt richtig wahrgenommen, dass sie eine Frau war? Andererseits hatte er sie zuerst geküsst. Sehr schade, dass ihre erste Annäherung unter solch schrecklichen Umständen stattgefunden hatte.

Bis zum Vortag hatte sie für ihren Nachbarn nicht gerade freundliche Gefühle gehegt. Sie hatte schon genügend Schwierigkeiten gehabt, ihr kleines Geschäft aufzubauen, auch ohne seine ständige Meckerei. Ob sich daran jetzt etwas ändern würde? Falls sie aus diesem finsteren Verlies jemals herauskamen …

Sie musste wieder weggedämmert sein, denn plötzlich bemerkte sie, dass ihr Bein zwischen Drews Oberschenkeln lag. Sie sollte ihn aufwecken, auch damit er seinen Arm wieder bewegen konnte, aber irgendwie war seine Nähe so tröstlich. Und erregend … So etwas hatte sie schon lange nicht mehr empfunden.

Wenn sie wach waren, wären sie wieder mit der harten Wirklichkeit konfrontiert, mit wenig zu essen, wenig zu trinken und der verzweifelten Hoffnung auf Rettung.

Das alles kam noch früh genug. Beth schloss die Augen und schlief wieder ein.

Als Drew aufwachte, stöhnte er unterdrückt auf. Sein Körper schmerzte an allen möglichen und unmöglichen Stellen, und er war unsicher, ob er sich überhaupt aufrichten, geschweige denn stehen konnte. Dann erst wurde ihm klar, dass er Beth umschlungen hielt, und sofort vergaß er seine Schmerzen. Vorsichtig zog er den Arm unter ihrem Kopf hervor und biss die Zähne zusammen, als das Blut wieder zirkulieren konnte. Beth murmelte etwas im Schlaf und runzelte die Stirn, wachte aber nicht auf.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es halb acht war. Sollten die Polizei und andere Rettungstrupps inzwischen nicht dabei sein, die einzelnen Häuser zu untersuchen? Vorsichtig stand er auf. Jetzt zwei Spiegeleier und Schinken, schoss es ihm durch den Kopf. Oder wenigstens einen heißen Kaffee … Stattdessen wieder nur trockene Kekse und Wasser. Immerhin. Aber erst, wenn Beth wach war.

Er trat dicht an die Tür und nahm sein Smartphone aus der Tasche. Immer noch nichts. Er fluchte leise, obwohl er eigentlich damit gerechnet hatte. Wahrscheinlich war das komplette Handynetz zusammengebrochen.

Hinter ihm raschelte es. Beth richtete sich auf der Isomatte auf. „Hörst du was?“

„Leider nicht. Wie geht’s dir?“

„Habe mich schon besser gefühlt.“

„Wir müssen etwas essen und trinken, um bei Kräften zu bleiben.“ Er setzt sich auf die Matte und stellte die Keksschachtel und eine Flasche Wasser zwischen sich und Beth. „Dies ist unser Luxusfrühstück.“

„Besser als gar nichts.“

„Stimmt.“ Er nahm einen Keks. „Da war ich jahrelang bei den Pfadfindern, aber auf so etwas haben die uns nicht vorbereitet.“

„Warst du gern da?“

„Darüber habe ich selten nachgedacht. Es war die Idee meines Vaters, und ich bin dabeigeblieben. Wahrscheinlich weil er immer meinte, Pflichterfüllung und Ausdauer würden belohnt.“

„Jetzt verstehe ich“, sagte sie lächelnd. „Deshalb versuchst du auch so hartnäckig, mir das Leben schwer zu machen.“

„Sei still und iss dein Frühstück, Mädchen.“

Wenn er schon in diesem dunklen Loch gefangen war, dann konnte er sich keine bessere Gefährtin als Beth vorstellen. Sie hatte nicht gejammert, sie war nicht in Panik verfallen und hatte selbst ihren Humor behalten. Und das, obwohl sie genau wie er wusste, dass es keine Garantie für sie gab, hier lebend wieder herauszukommen. Als er sie in der vergangenen Nacht in den Armen gehalten hatte, war ihm plötzlich etwas klar geworden. Er fühlte sich nicht nur sexuell zu ihr hingezogen, nein, er mochte sie. Irgendwie hatte sie sich in sein Herz geschlichen.

„Du, Drew …?“

„Ja?“

„Wie können wir uns denn mal die Zeit vertreiben? So ohne Licht haben wir nicht viele Möglichkeiten. Hast du eine Idee?“

Nicht nur eine … Ihm fiel da so einiges ein, aber das war wohl nicht ganz passend. „Wir können noch mal versuchen, die Tür aufzudrücken.“

„Das dauert höchstens zehn Minuten. Und dann?“

„Nun sei doch nicht so pessimistisch. Danach können wir …“ Er stutzte. War da nicht eben ein Geräusch gewesen, dumpf und wahrscheinlich weit entfernt, aber immerhin? Aufgeregt legte er Beth die Hand aufs Knie. „Hast du das gehört?“

4. KAPITEL

Beide saßen da wie erstarrt und lauschten. Da, ein Kratzen auf Metall, dann gedämpfte Rufe. „Ist da jemand?“

Drew sprang auf und riss Beth mit sich. „Ja!“, schrie er. „Ja, wir sind hier unten!“

Beth zitterte am ganzen Körper. Fürsorglich legte Drew den Arm um sie und zog sie an sich. Beide warteten angespannt. Minuten, die ihnen wie Stunden vorkamen, verstrichen. Dann hörten sie Scharren und dumpfe Schläge. Staubteilchen drangen durch die Ritzen der dicken Kellertür. Jemand rief: „Geduld, wir sind gleich da.“

Wieder vergingen einige Minuten. „Weshalb dauert das so lange?“, stieß Beth ungeduldig hervor.

„Ich vermute, dass sie versuchen, das wegzuräumen, was die Tür versperrt. Muss was Großes sein.“

Wieder schwiegen sie. Plötzlich war es totenstill. War der Rettungstrupp abgezogen? Drew runzelte die Stirn. Die mussten ihn doch gehört haben.

„Meinst du, die glauben, sich geirrt zu haben?“ Besorgt sah Beth ihn an. „Weil wir auf den zweiten Ruf nicht geantwortet haben, glauben sie, hier ist keiner.“

„Unsinn. Sie würden sich auf alle Fälle vergewissern, dass hier keiner eingeschlossen ist, bevor sie weiterziehen.“ Aber auch Drew war verunsichert.

Warum war es plötzlich so still? Doch als Beth ihn verzweifelt ansah, setzte er ein zuversichtliches Lächeln auf und zog sie an sich. „Keine Sorge. Falls sie weg sind, kommen sie ganz bestimmt zurück. Wahrscheinlich müssen sie irgendwas holen.“ Hoffentlich … Er blickte auf die Uhr. „Fast neun. Der erste Ruf ist doch höchstens zehn, fünfzehn Minuten her.“

Noch immer zitterte Beth am ganzen Körper. Das Schweigen war so viel schwerer zu ertragen, als wenn sie nie etwas gehört hätten.

Drew strich ihr besänftigend über den Rücken. „Beruhige dich. Es wird alles gut.“

In diesem Augenblick kreischte etwas laut auf, Metall scheuerte auf Metall, ein dumpfes Dröhnen ertönte, dann ein Schleifen, als würde etwas Schweres über einen steinigen Grund geschleppt. Sekunden später wurde die Kellertür aufgerissen, und von dem hellen Sonnenlicht geblendet schlossen Beth und Drew kurz die Augen.

Eine Gestalt erschien oben auf der Kellertreppe. „Ms Andrews? Sind Sie da unten?“

„Ja“, schrie Drew. „Sie ist hier! Und ich auch! Bist du das, Jed?“

In den nächsten Minuten schrien alle durcheinander. Drew schob Beth die Kellertreppe hinauf, folgte ihr und umarmte seinen Bruder. „Oh Gott, bin ich froh, dich zu sehen!“

Jed drückte ihn fest an sich. „Mann, habe ich mir Sorgen gemacht! Niemand wusste, wo du steckst.“

Drew erzählte ihm in knappen Worten, was passiert war, und Jed informierte ihn schnell über die Schäden auf seiner Ranch. Währenddessen sah Drew sich langsam um. Kein Wunder, dass sie die Tür nicht aufschieben konnten. Beths kleiner Wagen, jetzt nur noch schrottreif, war von dem Sturm gegen die Tür gedrückt worden und hatte allein mit Muskelkraft nicht bewegt werden können.

Beth … er sah sich suchend nach ihr um. Sie stand hundert Meter weiter am Rand ihres Kürbisfeldes und starrte auf das, was ihren Lebensunterhalt im Winter hätte bestreiten sollen. Nichts, buchstäblich nichts war übrig geblieben. Der Tornado hatte seine zerstörerische Spur hinterlassen. Auch das vordere Drittel ihres Hauses hatte er wegrasiert.

Schnell ging Drew auf sie zu. „Keine Sorge, ich helfe dir bei den Reparaturarbeiten.“

Langsam drehte sie sich zu ihm um und sah ihn so traurig an, dass es ihm ins Herz schnitt. „Danke. Aber ich fürchte, du hast auch keine magischen Kräfte, um Kürbisse über Nacht wachsen zu lassen. Wie sieht es denn auf deiner Ranch aus?“ Da es bereits warm wurde, zog sie sein Hemd aus und gab es ihm.

Er streifte es über und knöpfte es nachlässig zu. „Ich habe unglaubliches Glück gehabt. Die Zäune sind schwer beschädigt, und eins der Häuser für meine Männer ist wie weggeblasen. Aber Menschen und Pferde sind okay.“

„Und dein Haus?“

„So gut wie intakt.“

Jed trat auf sie zu. „Ich würde sagen, wir fahren jetzt zu dir nach Willowbrook. Dort könnt ihr duschen und auch was essen.“

„Ja, ja …“ Beth sah ihn fragend an. „Aber erst musst du uns noch sagen, was mit Royal ist. Hat der Tornado die Stadt erreicht? Sieht es schlimm aus?“

Schweigend sah Jed zu Boden.

„Sag schon, Jed“, drängte Drew. „Was ist los?“

Jed hob langsam den Kopf. „Der Sturm hat die Stadt hart getroffen …“

„Wie hart? Gibt es Tote?“

Jed nickte. „Bisher dreizehn. Eine vierköpfige Familie, Touristen. Dann ein junges Paar in einem Wohnwagen.“

„Oh Gott …“ Beth traten Tränen in die Augen. „Und die anderen sieben?“

„Das Rathaus ist total zerstört. Der Vizebürgermeister ist tot. Außerdem Craig Richardson von der Double R Ranch. Und fünf andere, die sich zu der Zeit im Rathaus aufgehalten haben.“

„Was ist mit dem Bürgermeister? Mit Richard Vance?“ Drew kannte ihn und hielt große Stücke auf ihn.

„Ist lebensgefährlich verletzt, soll aber momentan in einem stabilen Zustand sein. Ihr könnt euch vorstellen, wie es im Krankenhaus zugeht.“

Plötzlich fiel Beth etwas ein. Sie sah Drew entsetzt an. „Die schwangere Frau! Erinnerst du dich an die schwangere Frau, der du noch geholfen hast, den Kürbis in ihr Auto zu laden?“

Drew nickte. „Ja, natürlich. Weißt du etwas von ihr, Jed?“

„Ja, leider. Wir haben ihren Wagen letzte Nacht gefunden. Der Sturm hatte ihn umgekippt. Die Frau lebt, hat aber schwere Kopfverletzungen.“

„Und das Baby?“

„Musste per Kaiserschnitt geholt werden. Ein kleines Mädchen. Man meint, die Kleine wird es schaffen.“

Drew runzelte die Stirn. Irgendwo hatte er die Frau doch schon mal gesehen. „Weiß man, wie die Mutter heißt?“

„Nein. Der Wagen hat einen Totalschaden. Handtasche und Handy fehlen. Wurden wahrscheinlich herausgeschleudert und sind wer weiß wo gelandet.“ Jed wies auf sein Auto. „Aber lasst uns jetzt fahren.“ Er sah den Bruder an. „Wenn du dich ein bisschen ausgeruht hast, sollten wir sehen, ob wir in der Stadt helfen können. Ich vermute, die brauchen jede verfügbare Kraft.“

Beth starrte wie abwesend auf das, was mal ihr ganzer Stolz gewesen war. „Ihr könnt fahren“, stieß sie tonlos hervor. „Ich bleibe. Hier gibt es genug zu tun.“

Sie stand unter Schock, das war Drew sofort klar. Fürsorglich, aber bestimmt legte er ihr den Arm um die Schultern und führte sie zu Jeds Wagen. „Wir können dein Dach noch heute Abend notdürftig mit Teerpappe flicken, aber du kannst da erst mal nicht wohnen. Auch wenn du das Haus deines Erzfeindes nicht betreten willst“, er grinste leicht, „du brauchst eine heiße Dusche, etwas Ordentliches zu essen und ein sauberes Bett.“

Beth gab nach. Sie hatte einfach nicht die Kraft, sich zu wehren. Außerdem, wo sollte sie hin? Drew hatte recht, ihr Haus war momentan nicht bewohnbar.

Das prächtige Eingangstor zu Willowbrook Farms lag nur zwei Meilen von Beths Haus entfernt. Normalerweise vermied sie es, daran vorbeizufahren, denn irgendwie deprimierte sie der Anblick. Wenn sie auch zugeben musste, dass das Gestüt sehr gepflegt aussah.

Sie kamen nur langsam voran, denn immer wieder mussten Äste und auch Zaunpfähle beiseitegeräumt werden. Der Weg des Tornados war leicht zu verfolgen. Er hatte einen Teil von Drews Umzäunung wegrasiert, hatte die Straße überquert und sich dann auf Beths Stück Land ausgetobt. Immerhin hatte er ihr Haus größtenteils stehen lassen, das war noch ihr Glück.

„Jetzt habe ich nichts zum Anziehen mitgenommen!“, rief sie plötzlich aus. „Wir müssen noch mal zurückfahren!“

„Kommt gar nicht infrage.“ Drew schüttelte energisch den Kopf. „Erst muss mal festgestellt werden, ob die Hausstruktur noch stabil genug ist. Oder möchtest du noch eine Nacht im Dunkeln verbringen, weil alles über dir zusammengebrochen ist?“

„Du hast gut reden“, gab sie wütend zurück. „Was soll ich denn anziehen? Auf keinen Fall das, was ich anhabe.“

„Natürlich nicht. Ich habe sieben weibliche Angestellte. Da wird sich schon was finden lassen.“

Als sie schließlich vor dem großen zweistöckigen Ranchhaus hielten, war Beth so müde, dass sie kaum die Augen offen halten konnte. Drew half ihr aus dem Wagen, und Jed folgte den beiden ins Haus. Drew führte sie zur Rückseite des Hauses. „Erst mal was essen.“

„Und eine Dusche.“ Sie grinste. „Aber allein.“

„Wenn es euch recht ist“, mischte Jed sich ein, „kann ich ein paar Sachen für Ms Andrews zusammensuchen, während ihr esst, und sie der Haushälterin geben. Sie wird ein Gästezimmer herrichten.“

„Danke.“ Beth legte Jed die Hand auf den Arm. „Das hört sich sehr gut an. Aber sag bitte Beth zu mir, Jed. Ich möchte meinen Retter gern duzen.“

„Mit dem größten Vergnügen.“

Drew runzelte kurz die Stirn. „Danke, Jed“, sagte er knapp, beinahe unfreundlich. „Lass dir von den Frauen im Büro helfen. Ich suche inzwischen das Gästezimmer aus.“

Beide Brüder tauschten einen Blick, den Beth nicht deuten konnte. Aber egal, ihr knurrte der Magen.

In der großen Wohnküche stand schon alles bereit. Jed hatte jemanden vorausgeschickt, um die Haushälterin zu informieren. Sie hatte ein Riesenfrühstück auffahren lassen. Obst und Schinken, Eier und Toast, dazu heißen Kaffee und frischen Orangensaft. Beth gingen die Augen über. Sosehr sie sich danach sehnte, aus ihren schmutzigen und verschwitzten Sachen herauszukommen, erst einmal musste sie etwas zu sich nehmen.

Schweigend aßen beide. Erst als ihr größter Hunger gestillt war, warf Beth einen Blick aus dem Fenster und sah direkt auf einen kleinen Teich. Wie friedlich alles aussah. Als hätte es nie einen Tornado gegeben.

Besorgt sah Drew sie an. „Versprich mir, dass du dich erst mal hinlegst. In den letzten vierundzwanzig Stunden hast du viel durchmachen müssen.“

Das Entsetzen der letzten Nacht holte sie wieder ein. In ihren Augen standen Tränen. Gleichzeitig ärgerte sie sich, dass sie ihre Gefühle nicht im Griff hatte. „Aber du doch auch. Wie kann Jed erwarten, dass du gleich in der Stadt mit anpackst?“

„Ist schon in Ordnung. Hier hat der Tornado wenig angerichtet. Aber bei dir, und du stehst noch unter Schock.“

„Okay, ich lege mich hin. Aber später will ich unbedingt mithelfen.“

Er sah sie so bewundernd an, dass ihr ganz warm ums Herz wurde. „Einverstanden. Und wir sehen uns auf alle Fälle vorm Dunkelwerden dein Haus an und sichern es wenn nötig ab.“

„Danke.“ Beinahe scheu ließ sie den Blick über die luxuriöse Einrichtung gleiten. Alles blinkte und blitzte und wirkte äußerst modern. Wenn sie da an ihre eigene alte und armselig ausgestattete Küche dachte.

Und das Haus erst. Als Drew sie durch die Halle und dann einen langen Flur entlang zu der Gästesuite führte, war Beth zusehends eingeschüchtert. Diese glänzenden Holzfußböden, die leuchtenden Orientteppiche, die sicher teurer waren als ihr Auto. Oder das, was ihr Auto einmal gewesen war. Wieder wurde ihr eiskalt vor Entsetzen. Wie sollte das bloß alles weitergehen? Die Versicherung ließ sich mit der Auszahlung sicher Zeit, und sie hatte nicht genug Bares, um inzwischen die nötigsten Rechnungen zu begleichen.

Drew, der spürte, was in ihr vorging, versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen. Er öffnete die Tür zu der Gästesuite. „Ich kann mir vorstellen, dass du gern ein Zimmer nach Osten hast. Da hast du Morgensonne. Und außerdem kannst du die Kolibris beobachten. Vor dem Fenster hängt eine Flasche mit Zuckerwasser.“ Er stockte und sah Beth ernst an.

„Was ist?“

„Ich möchte dich um etwas bitten.“

„So? Um was denn?“

Er räusperte sich kurz. „Ich möchte dich bitten, hier in Willowbrook zu wohnen, bis dein Haus ganz wiederhergestellt ist. Glaub mir, das ist kein Trick. Ich weiß, dass wir unsere Differenzen haben, aber die sollten wir vergessen, solange um uns herum Notstand herrscht.“

Was hatte er vor? Wollte er die Zeit zu seinem Vorteil nutzen? Sie überreden, ihm ihr Land zu verkaufen? Oder …? „Wir kennen uns doch kaum.“

„Nein?“ Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Das kann man so nicht sagen. Die letzten vierundzwanzig Stunden haben uns nähergebracht als so manches Liebespaar. Das Haus ist groß. Du hast Internetzugang und auch ein Fax, um dich mit deiner Versicherung auseinanderzusetzen. Um Einkaufen und Kochen brauchst du dich nicht zu kümmern, sondern kannst dich ganz auf deine Angelegenheiten konzentrieren.“

Das klang wirklich verführerisch. Aber wenn sie das Angebot annahm, machte sie sich dann nicht von ihm abhängig? „Ich werde darüber nachdenken. Danke für die Einladung.“

„Hast du Angst, dass ich dich für schwach und unselbstständig halten könnte?“ Er trat auf sie zu. „Ich habe Glück gehabt, dass mein Haus noch steht. Aber glaub mir, wenn nicht, dann hätte ich kein Problem, meine Nachbarin um Hilfe zu bitten. Also vergiss deinen Stolz und sag Ja.“

Es war offensichtlich, dass er seine Rolle als Retter genoss. Unwillkürlich musste Beth lächeln. Typisch Mann. Langsam sah sie sich in dem großen Raum um. In solch einem Luxus hatte sie noch nie gelebt. Und welchen echten Grund hatte sie, sein Angebot abzulehnen? Schlimmer noch, welche Alternative blieb ihr? „Okay, akzeptiert.“

Er strahlte sie an. „Wunderbar! Ich wusste, dass du eine kluge Frau bist.“

Hm, vielleicht, vielleicht auch nicht … Auf keinen Fall würde sie sich länger als nötig hier aufhalten. Das hier war nicht ihre Welt, und sobald sie konnte, würde sie ihr altes Leben wieder aufnehmen. „Das wird sich noch herausstellen. Aber ich habe nicht die Energie abzulehnen.“

Sie sah ihn an, und in diesem Augenblick geschah etwas, das sie nicht erklären konnte. Plötzlich war die sexuelle Spannung, die sie über Monate geleugnet hatten, sehr deutlich spürbar – ein verlangendes Sehnen, das von beiden ausging. Drew sah ihr ernst in die Augen, und sie fühlte seinen warmen Blick bis in die Zehenspitzen. Aber, halt, vielleicht bezweckte er etwas damit. Vielleicht wollte er sie manipulieren, damit sie tat, was er wollte? „Ich weiß genau, was du denkst“, stieß sie leise hervor.

„Das bezweifle ich sehr“, sagte er und kam näher. Und dann spürte sie seine Lippen auf ihren und seine Arme um ihre Taille. Keine gute Idee, dachte sie noch … und war verloren. Er drang mit der Zunge vor, und sie öffnete sich ihm, schlang ihm die Arme um den Hals und schmiegte sich an ihn. Kurz dachte sie an den Kuss im Keller, an die Tatsache, dass sie ohne Drew den Sturm wohl gar nicht überlebt und den Schutzraum kaum erreicht hätte. Dankbarkeit erfüllte sie, dann überfiel sie glühendes Verlangen, und sie erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich.

Ich will mit ihm schlafen.

Erschrocken hielt sie inne. Wo kam dieser Gedanke her? Seit sie dem Tod ins Auge gesehen hatte, war ihr eins klar geworden: Das Leben war kurz und kostbar. Auch wenn ihre Beziehung keine Zukunft hatte, sie wollte Drew. Und er empfand das Gleiche, das sah sie in seinen Augen, spürte sie sehr deutlich, als er sie an sich presste.

Schwer atmend nahm sie den Kopf zurück und strich ihm dann kurz mit der Zungenspitze über die feuchte Unterlippe. „Ich bin sicher, dass du erst mal eine Menge zu tun hast. Aber wenn du mich willst, ich bin hier.“

5. KAPITEL

Aber wenn du mich willst, ich bin hier. Wieder und wieder hallte dieser Satz in Drews Ohren nach, während er langsam durch die Pferdeställe ging und in jede einzelne Box sah. Auch wenn er seinen Pferdepflegern blind vertraute, in diesem Fall wollte er sich persönlich vergewissern, dass es den Tieren gut ging. Er liebte sie, sie waren sehr viel mehr als nur eine kostbare Ware für ihn.

Leise sprach er jedes Pferd an und musste lächeln, wenn ihm mit einem Wiehern geantwortet wurde. Schon als Kind hatte er sich am liebsten in den Ställen aufgehalten. Und als er sein Gestüt aufgebaut hatte, war sein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Obwohl er es kaum zugeben mochte, immer wenn er eins seiner prächtigen Tiere verkaufte, wurde ihm weh ums Herz.

Eine Stunde später ging er mit Jed durch die Straßen von Royal. Was sie sahen, erschütterte sie zutiefst. Die Zufälligkeit, mit der der Tornado die Häuser auf der einen Straßenseite verschont und die auf der anderen als Schutthaufen zurückgelassen hatte, war einfach grausam. Den Westen der Stadt hatte es besonders hart getroffen, fast alle Geschäfte waren zerstört.

Bisher kannte Drew nur Fernsehbilder von dem, was ein Tornado anrichten konnte. Verwüstungen von schweren Stürmen, entwurzelte Bäume und zerstörte Dächer hatte er bereits mit eigenen Augen gesehen. Aber so etwas wie das hier? Nie. Entsprechend groß war das Interesse der Medien. Der Gouverneur hatte das Gelände bereits überflogen und bereitete sich auf eine Pressekonferenz vor. Aber auch die großen Nachrichtensender und der Wetterkanal hatten ihre Leute geschickt.

Royal wurde berühmt, aber leider aus einem traurigen Anlass.

Jed hatte bereits Kontakt mit dem Mann aufgenommen, der die Rettungsaktionen leitete. Er, Drew und sechs andere Männer, alle Mitglieder des TCC, gingen noch einmal von Haus zu Haus oder dem, was davon übrig geblieben war, und suchten nach Überlebenden. Zwar war auch die erste Suche unmittelbar nach Durchzug des Tornados sehr sorgfältig gewesen, aber man wollte sichergehen. Manch einer der alten Mitbürger war vielleicht zu schwach, um um Hilfe zu rufen.

Was war das? Drew bückte sich und zog einen blauen Teddybär aus einem Steinhaufen, sicher das geliebte Spielzeug irgendeines Kindes. Er klopfte den Bär ab und setzte ihn auf einen Zaunpfahl, der erstaunlicherweise stehen geblieben war. Hoffentlich geriet der Teddy in die richtigen Hände.

Es war herzzerreißend zu sehen, wie ganze Familien in dem Schutt herumsuchten, der mal ihr Heim gewesen war. Royal war eine besonders familienfreundliche Stadt und bisher von Tornados verschont geblieben. Ob junge Eltern sich auch in Zukunft noch trauten, hier ihre Kinder großzuziehen?

Als die Sonne tief am Horizont stand, war Drew fix und fertig. Er und Jed nahmen sich einen Hamburger, der von einem Restaurant für die Rettungsmannschaften ausgegeben wurde, und aßen langsam, den Blick auf das zerstörte Rathaus gerichtet. Von dem dreistöckigen Gebäude stand nur noch der Turm. Die Uhr war um 4 Uhr 14 stehen geblieben.

Drew krampfte sich der Magen zusammen, als er daran dachte, wo er und Beth zu diesem Zeitpunkt gewesen waren. Der Appetit war ihm total vergangen, und er warf den Rest seines Hamburgers in den Abfalleimer. Wie willkürlich das Schicksal zuschlug. Beth und er hatten sich retten können, die ahnungslosen Menschen im Rathaus mussten sterben. Warum?

Aber darauf gab es keine Antwort.

Erschöpft rieb er sich die Augen.

„Alles okay, großer Bruder?“ Besorgt sah Jed ihn an.

Automatisch nickte er, obwohl er wusste, es war alles andere als okay.

Jed rieb sich den schmerzenden Nacken. „Morgen früh wollen sich einige TCC-Mitglieder im Clubhaus treffen, um zu besprechen, was als Nächstes zu tun ist.“

„Gut.“ Drew war froh, dass Jed gerade jetzt aus Dallas zu Besuch gekommen war. Er blickte auf die Armbanduhr. „Ich habe Beth versprochen, dass wir uns vor dem Dunkelwerden noch ihr Haus ansehen und es wenn nötig absichern. Wir sollten los.“

„Nichts dagegen. Morgen ist noch genug zu tun.“

Endlich war Drew wieder da. Aber wie müde er aussah. Nachdenklich sah Beth ihn an. „War’s schlimm?“

Drew nickte nur.

„Hast du was gegessen?“

„Einen Hamburger.“

„Möchtest du noch was Süßes? Mrs Simmons hat einen Apfelkuchen gebacken.“

„Vielleicht später. Jetzt müssen wir erst mal zu deinem Haus.“

„Okay. Dein Vormann hat netterweise schon alles, was wir brauchen könnten, auf deinen Pick-up geladen.“

„Gut.“ Drew hob den Kopf und sah Beth an. „Jed hilft mir. Du brauchst nicht mitzukommen. Die Sache ist nicht ganz ungefährlich.“

„Aber es ist doch mein Haus.“

Resigniert ließ Drew die Schultern sinken. „Wenn du unbedingt willst … In fünf Minuten fahren wir los.“

Beth griff nach Jacke und Taschenlampe. Auch wenn es Drew nicht passte, sie hatte vor, nach ihren Wertgegenständen zu suchen. Viel hatte sie sowieso nicht.

Wortlos schob Drew sich hinter das Lenkrad seines Pick-ups, Jed und Beth stiegen von der anderen Seite ein, und sie fand sich eingeklemmt zwischen den beiden sehr gut aussehenden Farrell-Brüdern. Auch Jed wirkte erschöpft.

Kein Wunder, die beiden Männer hatten hart gearbeitet, während sie sich nach einem luxuriösen Bad in ihre duftende Bettwäsche gekuschelt hatte. Nach ein paar Stunden Schlaf war sie erfrischt aufgewacht, aber nicht gleich aufgestanden, sondern hatte ihren Gedanken nachgehangen. Warum hatte Drew gerade dieses Zimmer für sie ausgesucht? War seins in der Nähe? Hatte er vor, mit ihr gemeinsam das Bett … auszuprobieren?

Die kurze Fahrt zu ihrem Haus brachte sie schnell wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurück. Alle drei schwiegen und verfolgten bestürzt den zerstörerischen Weg des Tornados, der die Straße entlangführte, dann eine plötzliche Wendung über Beths Grundstück machte und dann weiter in Richtung Stadt verlief.

Als sie vor ihrem Haus hielten und ausstiegen, überfiel Beth wieder die quälende Erinnerung an den Tornado und die Nacht in dem finsteren Keller. Es ist vorbei, sagte sie sich wieder und wieder, und dennoch fühlte sie diesen bohrenden Druck im Magen. Schnell griff sie nach Drews Arm und sah ihn beschwörend an. „Ich möchte gern meinen Rechner rausholen und ein paar Sachen packen. Wenn ich durch die Hintertür reingehe, passiert bestimmt nichts.“

„Okay, aber ich komme mit.“ Drew wandte sich zu Jed um. „Ich bin gleich zurück. Kannst du schon mal die Sachen abladen?“

„Klar.“

Es war erstaunlich, wie genau selbst bei so einem kleinen Haus der Weg des Tornados auszumachen war. Der hintere Teil war fast ganz in Ordnung. Ein Fenster war zerbrochen. An der Hauswand fehlten ein paar Schindeln. Die Schlafzimmer waren intakt, und auch der kleine Wohnraum vorn hatte kaum etwas abgekriegt. Dafür war die Küche ein einziges Chaos. An der Ecke hatte der Wirbelsturm das Haus böse getroffen, hatte das Dach abgehoben und die darunterliegenden Räume verwüstet.

Beth stand in dem kleinen Flur vor der Küche und zuckte seufzend mit den Schultern. „Das war’s dann wohl mit der Küche. Na ja, ich musste da sowieso einiges erneuern.“

Trotz dieser flapsigen Bemerkung merkte Drew, wie sehr ihr das alles zu schaffen machte. Er griff nach ihrer Hand und zog Beth in den inneren Teil des Hauses. „Die Küche kannst du vorläufig nicht betreten. Und auch wenn die anderen Räume relativ sicher zu sein scheinen, muss das nicht bedeuten, dass sie es auch sind. Leitungen können gerissen und Wasserrohre gebrochen sein. Das muss erst genau untersucht werden.“

Beth nickte. Der Hals war ihr wie zugeschnürt, und die Tränen standen ihr in den Augen. So hart hatte sie für dieses Haus gearbeitet. Es war ihr Heim, ihre Zuflucht und der Beweis, wie weit sie in ihrem Leben gekommen war. Es nun halb in Trümmern zu sehen brach ihr das Herz.

Doch sie nahm sich zusammen, packte die wichtigsten Kleidungsstücke zusammen, nahm ihren kleinen Schmuckkasten unter den Arm und griff nach ihrem Laptop.

Schweren Herzens reichte sie Drew ihren kleinen Koffer. Er sah, was in ihr vorging, und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Ich weiß, das ist alles sehr schwer für dich. Aber das Leben geht weiter, und du musst sehen, dass das Haus bald wieder bewohnbar wird. Dabei helfe ich dir gern. Ich kenne Bauleute und Klempner. Du bist doch versichert, oder?“

„Ja, Gott sei Dank. Sogar ziemlich gut.“

„Dann komm jetzt raus hier. Es wird schon dunkel. Und wir müssen noch schnell die Teerpappe aufs Dach bringen.“

Sie brachten ihre Sachen zum Wagen. Jed hatte bereits abgeladen, und Beth blieb beim Wagen stehen und sah zu, wie ihre beiden guten Samariter unter Fluchen und Stöhnen die großen Pappbahnen auf den noch vorhandenen Dachträgern befestigten. Das, was früher Beths Küche gewesen war, wurde nach außen hin notdürftig mit Plastikplanen gegen Regen geschützt. Wahrscheinlich muss ich irgendwo einen Lagerraum mieten und die Sachen unterstellen, dachte Beth. Die meisten Möbel hatte sie sowieso vom Sperrmüll, das wären also keine großen Verluste.

Die Männer waren fertig. Während sie die Werkzeuge wieder auf den Wagen luden, öffnete Beth noch einmal die Kellertür und starrte in das dunkle Verlies. Nichts war zu sehen, aber sie wusste nur zu genau, wie es da aussah. Und sie würde es nie vergessen.

Drew warf einen Blick zurück. Es schnitt ihm ins Herz zu sehen, wie Beth mit gesenktem Kopf vor dem stand, was einmal ihr Zuhause gewesen war.

Jed schob die Leiter auf die Ladefläche. „Na, was läuft da zwischen dir und Beth Andrews?“

„Was schon? Wir sind Nachbarn, das ist alles.“

„Ach, komm schon, Bruderherz. Ich bin doch nicht von gestern. Zwischen euch ist mehr als bloßer nachbarschaftlicher Zusammenhalt.“

„Was soll das, Jed!“ Drew warf dem Bruder einen verärgerten Blick zu. „Ich habe dich doch auch nicht wegen Kimberly gelöchert.“

„Stimmt. Ich wollte dich auch nur warnen. Manchmal missverstehen Frauen Freundlichkeit und interpretieren da etwas rein, was gar nicht da ist.“

„Seit wann bist du ein Beziehungsexperte? Keine Sorge, ich kann mein Liebesleben selbst managen.“

Jed grinste. „Wer hat denn was von Liebe gesagt?“

Leise fluchend wandte Drew sich ab und ging auf Beth zu, die jetzt vor einem Haufen Metall stand. Kaum zu glauben, dass das mal ihr Auto gewesen war. Er trat neben sie. „Ich habe noch einen uralten Pick-up, den wir sehr selten benutzen. Den kannst du gern so lange fahren, wie es nötig ist.“

Beth atmete tief durch und sah ihn dann an. „Wie ich es hasse, abhängig von milden Gaben zu sein!“, stieß sie leise hervor. „Ich wohne bereits bei dir im Haus. Das ist mehr als genug.“

„Ich versteh dich nicht, Beth. Es ist doch nicht deine Schuld, dass der Tornado bei dir zugeschlagen hat. Es ist Pech oder Schicksal – oder wie auch immer du es nennen willst.“ Genauso war es Glück oder Schicksal, dass sein Haus unversehrt geblieben war. Dennoch hatte er irgendwie ein schlechtes Gewissen. Und er hatte sich geschworen, beim Wiederaufbau von Royal tatkräftig mitzuhelfen, angefangen bei Beths kleinem Bungalow.

Inzwischen war es so dunkel geworden, dass er ihren Gesichtsausdruck nicht mehr erkennen konnte. Immerhin ließ sie es zu, dass er sie beim Arm nahm und zum Auto führte. Als sie vor Willowbrook hielten, verabschiedete sich Jed. Drew half Beth aus dem Wagen. „Ich glaube, ich könnte jetzt was von dem Apfelkuchen vertragen“, sagte er lächelnd, als sie auf das Haus zugingen. „Wie ist es mit dir? Wir können uns ins Fernsehzimmer setzen und irgendeinen albernen Film ansehen.“

„Warum nicht.“

In der Küche war es dunkel. Die Haushälterin war schon gegangen, hatte aber den Apfelkuchen auf dem Tisch stehen lassen. Drew nahm zwei Teller aus dem Schrank und belud beide mit einem gewaltigen Stück Kuchen, sodass Beth ihn fassungslos ansah. „Das ist doch nicht dein Ernst?“

„Oh doch. Du hast noch eine Menge aufzuholen. In Bezug auf Kalorien, meine ich.“ Er nahm die Sahnedose und spritzte auf beide Stücke einen ordentlichen Berg Sahne. Da Beth immer noch schwieg, sah er sie schmunzelnd von der Seite her an. „Wenn wir uns besser kennen, darfst du die Dose auch mal haben …“

Gegen ihren Willen musste sie lächeln.

Sie trugen ihre Teller in das gemütliche Fernsehzimmer, ließen sich auf dem Sofa nieder, zogen die Schuhe aus und legten die Füße auf den Couchtisch.

Irgendjemand hatte den Kamin angemacht. Drew liebte das Knistern und den Duft des brennenden Holzes. Das erinnerte ihn an die glücklichen Zeiten mit seinem Vater, der die Söhne gern zum Campen mitgenommen hatte.

Beide aßen schweigend ihren Kuchen. Die Stille hüllte sie ein und tat ihnen wohl. Erst jetzt merkte Drew, wie erschöpft er war. Er stellte den leeren Teller auf den Tisch, ließ den Kopf gegen die Rücklehne sinken und schloss die Augen.

Er war kurz vorm Einschlafen, als Beth leise sagte: „Sah es schlimm in der Stadt aus?“

Langsam drehte er den Kopf zu ihr hin und sah sie an. „Ja, sehr schlimm. So etwas habe ich noch nicht gesehen.“

„Was habt ihr gemacht, Jed und du?“

„Wir haben uns dem Suchtrupp angeschlossen und die Häuser nach Überlebenden durchkämmt. Glücklicherweise waren alle leer. Ich habe aber gehört, dass man in einem eine Frau gefunden hat, die sich mit ihren zwei Kindern in die Badewanne gerettet hatte. Sie hatte eine dicke Matratze über sich gezogen, sodass sie nicht verletzt wurden, als das Haus zusammenbrach. Nur mit Hilfe der Suchhunde konnten die drei gefunden werden.“

„Ich möchte morgen mitkommen.“

„Gut. Es gibt genug zu tun. Jed und ich haben vormittags eine TCC-Sitzung. Ich hole dich nach dem Lunch ab. Hast du den Bauunternehmer schon angerufen, den ich dir genannt habe?“

„Ja.“ Sie stellte den Teller ab und lehnte sich zurück, ohne Drew anzusehen. „Aber ich finde das nicht in Ordnung. So bevorzugt behandelt zu werden, meine ich.“

„Wieso? Dafür hat man doch Freunde.“

„Aber er ist nicht mein Freund.“

Drew setzte sich auf und rieb sich die müden Augen. Warum war sie bloß so stur? Er zählte bis zehn und sagte dann ruhig: „Nun hör mir mal gut zu, Beth. Du bist eine selbstständige Frau, die für sich allein sorgen kann. Das weiß ich. Aber warum soll ich dir die Situation nicht erleichtern? Natürlich kannst du dich auch selbst um einen Bauunternehmer bemühen. Aber ich garantiere dir, dass du dann für eine lange Zeit hier festsitzt. Denn halb Royal braucht einen.“

Drew hatte ja recht. Er wollte nur helfen. Und sie war alles andere als dankbar. Aber Beth hatte miterleben müssen, wie abhängig ihre Mutter immer wieder von der Hilfe anderer gewesen war, um ihre beiden Kinder großzuziehen. Und so hatte sie sich geschworen, selbst nie in diese Situation zu kommen. „Entschuldige“, sagte sie steif. „Du hast recht. Ich bin froh über den Termin. Danke.“

Drews Gesichtszüge entspannten sich, er griff nach Beths Hand. „War das nun so schlimm?“

Sie lächelte kurz und entzog ihm dann die Hand, verwirrt von der Wirkung, die sein Lächeln und die dunkle Stimme auf sie hatten. „Es muss ein gutes Gefühl sein, jemandem auch finanziell helfen zu können, ohne dass es einem schwerfällt.“

Er zog die schwarzen Brauen zusammen. „Soll das eine Beleidigung sein?“

„Nein. Ich meine damit nur, dass du die Möglichkeiten hast, Menschen zu helfen, ohne an die Kosten denken zu müssen. Dabei hast du doch sicher ein gutes Gefühl.“

Er lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen. „Ich denke nicht daran, mich dafür zu entschuldigen, dass ich Geld habe. Und wenn du nicht so stur wärst und deine Vorurteile vergessen könntest, dann müsste dir eins klar werden: Unser Streit wegen der Straße hätte längst zu deinem finanziellen Vorteil beigelegt werden können.“

Wieder schwiegen beide, aber diesmal fühlte sich Beth dabei sehr unbehaglich. Was meinte er damit? Sicher, sie hatten sehr unterschiedliche Lebensstile. Aber wenn er deshalb glaubte, ihr Einverständnis kaufen zu können, dann hatte er sich geschnitten.

Er hatte all das, was sie nicht hatte. Er trank Champagner, hatte eine Rolex und jettete mal eben nach Paris. Sie trank Leitungswasser, nutzte die Zeitangabe auf ihrem billigen Handy und war noch nie aus Texas herausgekommen. Kein Wunder also, dass sie in der Auseinandersetzung mit einem milliardenschweren texanischen Macho so harsch reagierte und ihre Vorurteile nicht ganz ablegen konnte.

„Darf ich dich mal was fragen?“, fing sie vorsichtig an.

Misstrauisch sah er sie an. „Ja?“

„Als wir da in dem Keller waren, da wolltest du irgendwas wegen deiner Verlobung sagen, aber ich habe dich dabei unterbrochen. Was war es?“

„Nicht so wichtig.“

„Ich möchte es trotzdem wissen.“

Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte ins Feuer. „Sie hieß Margie. Wir sind uns bei irgendeiner Pferdeauktion begegnet. Haben uns ganz gut verstanden und sind zusammen ins Bett gegangen. Wir hatten eine ganze Menge gemeinsam.“

„Hm … Und das reichte, um sich zu verloben?“

„Ein halbes Jahr lang haben wir uns immer wieder getroffen. Mal in ihrem Apartment in Houston, mal hier. Irgendwie hatte ich dann das Gefühl, ich sollte eine Familie gründen. Also habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht, den sie gern annahm.“

„Also nicht gerade die große Leidenschaft?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Und dann?“

„Ein paar Monate nach der Verlobung fingen die Probleme an. Sie war sehr stur und wollte immer recht haben.“

Beth schmunzelte. „So wie du.“

„Vielleicht. Wir haben uns ständig gestritten. Wenn ich sagte, der Himmel ist blau, meinte sie, er sei grün. Normalerweise landeten wir danach im Bett, so eine Art Versöhnungssex.“

„Viele Paare lieben das.“

„Ich nicht. Mir wurde klar, dass ich einen Riesenfehler gemacht hatte.“

„Und dann?“

Drew atmete tief durch und strich sich das Haar zurück. „Ich stellte sie einem Freund von mir vor, der auch in Houston wohnt. Ein sehr netter, gut aussehender Tierarzt. Sie verknallten sich sofort ineinander. Sechs Wochen später gab sie mir den Ring zurück.“

„Das war bitter.“

„Keineswegs. Genau das wollte ich ja. Jeder hat mich bedauert. Und ich fühlte mich doch ein bisschen mies dabei. Nun kennst du mein kleines schmutziges Geheimnis.“

Beth wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Erwartete Drew, dass sie sich dazu äußerte? Sie lehnte sich zurück und hing ihren eigenen Gedanken nach, bis schwere, langsame Atemzüge sie ablenkten. Sie wandte den Kopf. Drew war eingeschlafen. Kein Wunder, er musste todmüde sein.

Was für ein attraktiver Mann! Die breite Brust hob und senkte sich gleichmäßig, sein Bauch war absolut flach, und die Beine waren lang und muskulös. Irgendwie war sie enttäuscht, dass der Abend so endete. Hatte sie mehr erwartet? Offenbar ja. Aber es war besser so. Ein Mann wie Drew Farrell konnte einer Frau sehr gefährlich werden. Was wusste sie schon von ihm? Er war reich und wollte ihr unbedingt ihr Land abkaufen. Das durfte sie nie vergessen.

Wo Jed wohl war? Wahrscheinlich wohnte er auch hier im Haus. Schade, dass er sich nicht zeigte. Wäre einfacher, wenn sie zu dritt wären. Das würde Drew und sie davon abhalten, sich entweder zu streiten oder aber miteinander ins Bett zu sinken, ohne an die Folgen zu denken.

Allerdings bestand diese Gefahr momentan sowieso nicht, denn der Mann neben ihr schnarchte leise. Wahrscheinlich hätte er es in seinem Bett bequemer, aber sie würde ihn nicht aufwecken. Leise stand sie auf und trat vor das Feuer. Schon jetzt fühlte sie sich in diesem Haus wohl. Wie schön musste es sein, in so einer Umgebung aufzuwachsen. So etwas hatte sie als Kind nie kennengelernt. Zwar hatte sie immer eine Art Dach über dem Kopf gehabt, aber dieses Gefühl von Sicherheit und Komfort hatten sie und ihr Bruder nie empfunden.

Wieder warf sie einen Blick auf ihren attraktiven Wohltäter. Auf keinen Fall durfte sie sich von ihm abhängig machen. Sie war eine erwachsene Frau, die in der Lage war, ihr Leben selbst zu meistern. Wenn sie zuließ, dass Drew für sie Entscheidungen fällte, würde sie den Respekt vor sich selbst verlieren. Und nicht nur das. Es könnte durchaus sein, dass er sie dahin bringen wollte, ihm ihr Land zu verkaufen. Zumal er wahrscheinlich genau wusste, dass er ihr nicht gleichgültig war.

Aber in dem Punkt würde sie nie nachgeben. Und ins Bett ging sie nur mit jemandem, dem sie auf gleicher Ebene begegnen konnte. Das war bei Drew jedoch leider nicht der Fall. Sie gehörte nicht in seine Welt, da brauchte sie sich gar nichts vorzumachen.

6. KAPITEL

Drew hatte Schwierigkeiten, sich auf die Diskussion zu konzentrieren. Die Mitglieder des Texas Cattleman’s Club hatten sich um den großen Konferenztisch versammelt, um die nächsten Schritte zu besprechen. Sheriff Nathan Battle hatte angeregt, Gruppen für die Aufräumarbeiten zusammenzustellen und dabei auch die freiwilligen Helfer einzugliedern, die sich in großer Zahl aus den angrenzenden Gemeinden gemeldet hatten.

Der Sheriff sah aus, als sei er überhaupt nicht ins Bett gekommen. Und Drew war um drei Uhr morgens auf der Couch aufgewacht. Der Raum war kalt gewesen, denn das Feuer im Kamin war längst ausgebrannt. Beth war nicht mehr da, und er schleppte sich in sein Bett, um wenigstens noch ein, zwei Stunden zu schlafen. Doch mit dem ersten Morgenlicht war er bereits wieder auf den Beinen. Die Sorge um die Stadt ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Und nun saß er hier und konnte kaum den einzelnen Vorschlägen folgen, weil er immer an Beth denken musste. Die Schlüssel zu dem alten Pick-up hatte er bei der Haushälterin gelassen, falls Beth den Wagen benutzen wollte. Und Allan wollte um zehn bei ihrem Haus sein. Aber vielleicht war es nicht besonders schlau, sich so sehr um sie zu kümmern. Er sollte sich endlich auf das konzentrieren, was hier besprochen wurde.

Plötzlich stieß Whit Daltry ihn an, der rechts neben ihm saß. „Ich war übrigens gestern dabei, als sie Megans Tochter Evie aus dem Kindergarten gerettet haben. Es war das reine Chaos. Eltern und Kinder, alles schrie durcheinander. Die arme Megan, sie muss schreckliche Ängste ausgestanden haben.“

„Sie tut dir leid? Ich dachte, ihr könntet euch auf den Tod nicht leiden.“

„Das war einmal. In diesen Zeiten ändert sich manches.“

Da hat er wohl recht. Drew hob die Hand. „Jed und ich stellen 100.000 Dollar für einen Fonds zur Verfügung, der Familien helfen soll, die nicht versichert sind.“

„Ich auch!“

„Ich auch!“

Die Spendenbereitschaft der wohlhabenden TCC-Mitglieder war beeindruckend. Alle waren sich einig, dass man sich erst um Notunterkünfte kümmern musste. Parallel dazu sollte mit den Aufräumarbeiten begonnen werden. Allen war klar, dass eine Riesenaufgabe auf sie zukam.

Drew blickte in die Runde. Er kannte fast alle Anwesenden schon seit der Kindheit und wusste, dass sie in Notzeiten zusammenhielten. Aber eine Katastrophe wie diese hatte die Stadt noch nicht erlebt. Doch gemeinsam würden sie es schaffen.

Der Club hatte aufregende Zeiten hinter sich. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gegründet, hatten hier ursprünglich nur wohlhabende Rancher und Geschäftsleute Zutritt. Erst in den letzten Jahren hatten sich auch Frauen die Mitgliedschaft erkämpft, was für manchen Alteingesessenen nur schwer zu schlucken gewesen war. Als dann noch ein Kindergarten angeschlossen werden sollte, hatte es viele Proteste gegeben. Aber er war gebaut worden, und inzwischen hatten sich so gut wie alle damit abgefunden.

Das Clubgebäude selbst war eins der ältesten Häuser der Stadt, und glücklicherweise war der Altstadt wenig passiert. Eine Reihe der neueren Anbauten hatte es getroffen, so auch den Kindergarten. Doch außer zerbrochenen Fensterscheiben und Wasserschäden war nichts festzustellen.

Gil Addison, der TCC-Präsident, stand auf. „Ich denke, wir sind uns einig, dass wir alles tun werden, um unsere Stadt wieder aufzubauen. Darauf kannst du dich verlassen, Nathan. Bitte, tragt euch draußen in die Listen der einzelnen Arbeitstrupps ein. Ich weiß, dass ihr alle auch zu Hause viel zu tun habt. Aber ich bin dankbar für jeden, der Zeit für den Aufbau der Stadt erübrigen kann. Denn wir sind die Stadt.“

Alles klatschte. Die Sitzung war beendet.

Jed kam auf Drew zu. „Ich habe meine Arbeitskleidung schon mitgebracht. Lass uns eben eine Kleinigkeit zum Lunch essen, und dann holst du Beth. Ich warte hier auf euch.“

„Gut. Meinst du, Kimberly will auch mithelfen?“

Jed runzelte die Stirn. „Kann sein. Aber ich glaube, sie hat heute Nachmittag keine Zeit.“

So? Irgendwas geht doch zwischen den beiden vor … Doch Drew würde jetzt nicht nachhaken. Es gab Wichtigeres zu tun. Er war froh, dass Jed da war, um zu helfen.

Auf dem Weg nach draußen wurde Drew noch von Stella Daniels und Keaton Holt aufgehalten. Stella war Pressesprecherin des Bürgermeisters, und Keaton war Mitbesitzer der Holt Cattle Ranch. Mit beiden war Drew gut befreundet, und sie waren wie er sehr betroffen über das, was der Stadt widerfahren war. Aber auch sie waren fest entschlossen, sich einzusetzen.

Drew trug sich für eine Schicht etwas später am Nachmittag ein und traf dann auf Jed, der gerade seine Sachen aus dem Pick-up nahm. „Ich glaube, ich lass das mit dem Lunch“, meinte er. „Ich will noch mit Allan reden, der sich Beths Haus ansehen und eine erste Schadenseinschätzung abgeben wollte.“

„Okay. Grüß Beth … und tu nichts, was ich nicht auch tun würde.“

Beth fühlte, wie ihr der Schweiß über den Rücken rann. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel, das Thermometer war sicher schon auf fünfunddreißig Grad geklettert, was für einen texanischen Herbst nicht untypisch war.

In der ersten Stunde hatte sie ihr Haus nicht betreten dürfen, während Allan sich alles sorgfältig ansah. Dann zeigte er ihr die verschiedenen Stellen, wo Reparaturen notwendig waren. Glücklicherweise war das Fundament nicht beschädigt. „Das bedeutet, ich kann hier übernachten, wenn ich will?“

Nachdenklich schüttelte Allan den Kopf. „Theoretisch schon, aber nur, wenn es gar nicht anders geht. Die Luft hier ist momentan sehr ungesund. Das Isolationsmaterial dünstet ordentlich aus. Das sollte man lieber nicht einatmen.“ Er tippte ein paarmal auf seinem Tablet herum und meinte dann: „Morgen früh sollte ich eigentlich den Kostenvoranschlag fertig haben. Wenn Sie dann sofort Ihre Versicherung anrufen und mich als Ihren Bauunternehmer angeben, könnten wir gleich anfangen.“

„Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.“

Er stieg in seinen Wagen und ließ dann die Scheibe herunter. „Machen Sie sich nicht zu große Sorgen. Auf Sie wirkt das wahrscheinlich alles schlimmer und arbeitsintensiver, als es ist. Ein guter Bautischler wird damit schneller fertig, als Sie glauben. Sie hören dann von mir!“

Trotz seiner aufmunternden Worte war Beth sich nicht sicher, ob sie das Haus wirklich behalten sollte. Vielleicht war es besser, das Grundstück an Drew zu verkaufen und sich was in der Stadt zu suchen. Wahrscheinlich könnte sie wie früher in einer Bank arbeiten. Das war zwar nicht ihr Traumjob, brachte aber ein regelmäßiges Einkommen.

Peng, peng! Sie zuckte zusammen. Ein schäbiger grüner Wagen fuhr unter ständigen Fehlzündungen auf ihr Grundstück und hielt mit knirschenden Bremsen. Oh nein, das nicht auch noch! Beths Magen krampfte sich zusammen. Ihren Bruder konnte sie jetzt wirklich nicht ertragen!

Doch es war Audie, der feixend ausstieg. Er sah elender aus denn je und wog wahrscheinlich kaum mehr als fünfzig Kilo. Die letzten zehn Jahre hatte er mehr innerhalb als außerhalb der Gefängnismauern verbracht, meist wegen irgendwelcher Delikte im Zustand schwerer Trunkenheit. Leider hatte er die Neigung zum Alkoholismus von ihrer Mutter geerbt, die ihm schon mit zwölf das erste Bier in die Hand gedrückt hatte. Erstaunlich, dass seine Leber es so lange durchgehalten hatte.

Er hatte natürlich auch schon verschiedene Entziehungskuren hinter sich, die letzte sogar einigermaßen erfolgreich. Zumindest behauptete Audie, schon seit sechs Monaten trocken zu sein. Beth hatte sich immer sehr bemüht, aus dem Elend ihres Elternhauses herauszukommen, und war ihrem Bruder möglichst aus dem Weg gegangen. Sie hasste ihn für sein verantwortungsloses Verhalten, hatte aber den Kontakt nie abgebrochen, denn er hatte schließlich Frau und Kind.

Angie, mit der Audie seit vier Jahren zusammen war, war eine naive kindliche Frau, die aus unerfindlichen Gründen an Audie hing. Ihr Baby Anton war ein kleiner dünner Junge mit großen traurigen Augen. Mutter und Kind blieben im Auto sitzen.

Beth atmete tief durch und ging auf ihn zu. „Hallo.“

„Tag, Schwester. Sieht ja so aus, als hättest du Glück gehabt. Dein Haus scheint in Ordnung zu sein.“

Verblüfft sah sie ihn an. „Wie kommst du denn darauf? Vorn fehlt eine ganze Ecke.“

„Immerhin steht es noch. Unser Apartment ist nur noch Schutt und Asche. Ich dachte, wir könnten bei dir unterkommen.“

„Audie …“ Verzweifelt suchte sie nach Worten. Lieber würde sie einen fremden Obdachlosen aufnehmen als ihren schwierigen und unberechenbaren Bruder.

„Aber Beth …“ Er legte ihr den dünnen Arm um die Schultern. „Wir sind doch eine Familie. Du kannst nicht zulassen, dass dein Neffe kein Dach über dem Kopf hat.“

Beth entwand sich seinem Griff. „Überall in der Stadt werden Notunterkünfte errichtet.“

„Aber doch nur für die, die hier keine Familie haben.“

„Das Haus muss erst wieder instand gesetzt werden. Eine Baustelle ist kein Platz für ein Kind.“

„Wir können doch hinten im Schuppen bleiben. Der hat Strom und Wasser.“

Audie hatte einen Entschluss gefasst und war nicht davon abzubringen, das wusste Beth aus früheren Auseinandersetzungen. Vielleicht sollte sie deshalb nicht in Royal bleiben. Sondern ganz woanders hinziehen und noch einmal neu anfangen. War der Tornado ein Zeichen des Himmels gewesen?

Andererseits musste sie an Drew denken. Und an die Nachbarn und Freunde, die sie schon so lange kannte. Obwohl sie keine besonders gute Kindheit gehabt hatte, war Royal ihre Heimatstadt. Hier war sie zu Hause. Und Audie war ihr Bruder, daran war nichts zu ändern, auch wenn sie sehr unterschiedlich waren. Er hatte oft falsche Entscheidungen getroffen, und Beths Mitleid hielt sich in Grenzen, wenn er dafür büßen musste. Aber da waren auch noch sein unschuldiges Kind und seine Frau, die der Situation völlig hilflos gegenüberstanden.

„Okay …“ Sie holte tief Luft. „Wenn du unbedingt willst. Aber du musst dir irgendeine Art von Campingkocher besorgen und einen kleinen Kühlschrank.“

„Warum kannst du das nicht machen?“, fragte er sofort.

„Ich wohne momentan nicht hier. Drew Farrell hat mich in sein Haus eingeladen. Ich kann so lange bleiben, bis die Reparaturarbeiten abgeschlossen sind.“

„Wie praktisch. Offenbar hast du immer einen Mann zur Hand, der für dich sorgt.“

Die Anspielung machte sie wütend, aber das durfte er auf keinen Fall merken. „Und ich würde dir vorschlagen, einmal in deinem Leben nicht nur an dich selbst zu denken. Wenn sich herausstellt, dass Angie und Anton nicht in dem Schuppen bleiben können, dann sei endlich mal ein Mann, und finde eine andere Lösung.“

„Du hast gut reden …“

Sie ließ sich nicht provozieren. „Ich fahre jetzt.“ Während sie auf die grüne Schrottkiste zuging, um Schwägerin und Neffen zu begrüßen, fuhr plötzlich ein schwarzer Pick-up auf das Grundstück, den sie nur zu gut kannte. Das hat mir gerade noch gefehlt. Sie blieb stehen und sah Drew Farrell entgegen.

Er hob grüßend die Hand. „War Allan schon da?“

Sie nickte. „Ja. Eigentlich hättest du ihm begegnen müssen.“

Jetzt erst bemerkte Drew Audie und den grünen Wagen. Er streckte die Hand aus. „Ich bin Drew Farrell. Wir kennen uns wohl nicht?“

Audie wischte die Hand an seiner Jeans ab. „Nein. Ich bin Audie Andrews, Beths Bruder.“

Drew war überrascht, fing sich aber schnell und lächelte freundlich. „Sie wollen sicher sehen, wie Ihre Schwester den Tornado überstanden hat.“

„Äh … ja …“

„Hat sie Ihnen erzählt, was passiert ist?“

„Sie meinen, mit dem Haus?“

Drew warf Beth kurz einen verschwörerischen Blick zu. „Nicht nur das. Ja, die Farm hat es schwer erwischt. Aber darüber hinaus waren wir die ganze Nacht im Keller gefangen. Ihr Wagen war gegen die Tür geschleudert worden, sodass wir nicht mehr rauskamen.“

Audie kniff die Augen leicht zusammen, blickte zwischen Beth und Drew hin und her und grinste schäbig. „Dann kennt ihr euch wohl ziemlich … gut?“

„Wir sind Nachbarn. Ich war gerade rübergekommen, um ein paar Dinge mit Beth zu besprechen, als die Sirenen losgingen.“

„Und nun wohnt sie bei Ihnen im Haus.“

Beth, die genau wusste, was er damit andeuten wollte, wurde knallrot. Aber Drew tat so, als habe er die Anspielung nicht gehört, und wandte sich an Beth. „Was hat Allan denn gesagt?“

„Er will mir den Bericht morgen schicken. Das Fundament ist in Ordnung. Und er meint, das andere sieht schlimmer aus, als es ist.“

„Wunderbar.“

„Ja.“ Wahrscheinlich wunderte Drew sich über ihren Mangel an Begeisterung, aber sie konnte nicht anders. Ihr Bruder nervte sie. Sie nickte ihm zu. „Ich muss jetzt los. Seht zu, wie ihr zurechtkommt.“

Überrascht sah Drew sie an. „Dein Bruder bleibt hier?“

Audie wies mit dem Kopf auf das grüne Auto. „Von unserem Apartment in der Stadt ist nichts mehr übrig. War sowieso nur gemietet. Beth hat uns den Schuppen überlassen. Das wird schon gehen. Und ich habe meinen letzten Job sowieso gerade gekündigt.“

Von wegen! Er war wegen Trunkenheit gefeuert worden! Doch Beth schwieg.

Drew wusste offenbar nicht, was er dazu sagen sollte. Wahrscheinlich wird ihm jetzt erst klar, was für unüberbrückbare Unterschiede zwischen seiner und meiner Familie bestehen, ging es Beth durch den Kopf. „Ich muss jetzt los“, wiederholte sie. „Drew und ich wollen in der Stadt beim Aufräumen helfen.“ Sie ging schnell zu dem grünen Wagen, begrüßte Angie und Anton und trat dann wieder an Drews Seite. „Lass uns fahren. Soll ich dir folgen?“

Unschlüssig sah Drew zwischen Beth und Audie hin und her. „Vielleicht sollten wir lieber …“

Doch Beth unterbrach ihn. „Nein, das ist nicht nötig. Ich möchte in die Stadt und endlich etwas Sinnvolles tun.“

Drew zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst. Wir fahren zu Hause vorbei, um noch was zu essen, und lassen die alte Kiste da.“

Die „alte Kiste“ sah sehr viel besser aus als Audies Wagen, aber das hatte Drew offenbar nicht bemerkt.

Umso besser. Beth wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wiedersehen, Audie.“

„Wiedersehen. Danke, dass wir bleiben können.“

Als sie außer Hörweite waren, flüsterte Drew ihr zu: „Meinst du nicht, wir sollten etwas für sie tun? Es ist schließlich deine Familie.“

Beth öffnete die Fahrertür des alten Pick-ups und schwang sich hinter das Lenkrad. „Audie landet immer auf den Füßen. Wenn man ihm den kleinen Finger reicht, nimmt er die ganze Hand. Mach dir keine Sorgen um ihn. Der kommt durch.“ Sie ließ den Motor an. „Es wird spät.“

Ihr gefiel gar nicht, dass Drew noch ein paar endlose Sekunden an dem Fahrerfenster stand und sie nachdenklich ansah. Wahrscheinlich hielt er sie für kalt und herzlos. Aber sie hatte jetzt einfach nicht die Kraft, ihm zu erklären, wie oft sie schon unter dem Bruder gelitten hatte. Immer wenn sie auf dem „Weg nach oben“ war, wenn sie erfolgreich versucht hatte, sich aus dem Elend ihrer Herkunft zu befreien, klebte er sich an sie und machte Anstalten, sie wieder nach unten zu ziehen. Er war ein chronischer Lügner und hatte sein Leben lang andere ausgenutzt.

Schnell schloss sie das Fenster und legte einen Blitzstart hin. Bloß weg! In ihren Augen brannten Tränen. Wie sollte Drew auch versehen können, wie wichtig es für sie war, ihre elende Vergangenheit hinter sich zu lassen?! Dass Audie jetzt auf ihrem Grundstück wohnte, ärgerte sie maßlos. Sicher durchforschte er das Haus nach irgendetwas, das er versetzen konnte. Das hatte er auch früher schon getan, und nicht nur einmal.

Die arme Angie hatte keine Ahnung. Sie fragte ihn noch nicht einmal, woher er das Geld hatte, das er so sinnlos verplemperte. Und Beth schwieg. Zu sehr erinnerte sie das Ganze an die eigene Situation als Kind, als die Mutter zu selbstsüchtig und verantwortungslos gewesen war, um für ihre Kinder zu sorgen.

Sie musste unbedingt auf andere Gedanken kommen, musste sich ablenken. Deshalb war sie froh, dass Drew und sie am Nachmittag in die Stadt fuhren, um ihre Kraft für andere einzusetzen. Und falls Drew über Audie und die Familie reden wollte, würde sie einfach nicht darauf eingehen.

7. KAPITEL

Was, zum Teufel, geht hier vor? Drew folgte Beth nach Willowbrook und fragte sich die ganze Zeit, warum sie ihm nie von Audie erzählt hatte. Das heißt, sie hatte mal erwähnt, dass sie kein enges Verhältnis zu ihrer Familie hätte. Ihre Familie – ob das nur der Bruder war? Dass die beiden nicht gut miteinander auskamen, war offensichtlich.

Ob sie sich für Audie genierte und nicht wollte, dass Drew und der Bruder sich kennenlernten? Drew runzelte die Stirn. Vielleicht hielt sie ihn für einen Snob, der schnell sein Urteil über andere fällte. Er wusste sehr gut, dass er in seinem Leben viel Glück gehabt hatte, weil er in einer heilen und dazu noch wohlhabenden Familie aufgewachsen war.

Als er den Motor abstellte, lief Beth bereits die Stufen zur Eingangstür empor. Und als er in die Küche trat, fand er sie im Gespräch mit der Haushälterin, die schnell etwas zum Lunch vorbereitete.

Drew setzte sich an den Küchentisch. Er hatte plötzlich Hunger und griff nach dem saftigen Sandwich, sobald der Teller vor ihm stand. Das Frühstück war schon lange her, und auch Beth schien hungrig zu sein. Allerdings sah sie ihn nicht an, während sie aß. Sobald sie fertig war, stand sie auf und verzog die Lippen zu einem künstlichen Lächeln. „Ich geh noch mal nach oben, mich umziehen und ein bisschen frisch machen. Fahr ruhig schon los. Ich seh dich dann heute Abend.“

Er hielt sie am Handgelenk fest. Wie ihr Puls rast. „Wir können doch zusammen fahren.“

Sie sah ihn nicht an. „Okay. Wenn du willst.“

„Ich bin in fünfzehn Minuten so weit.“

Sie verschwand nach oben, und er sah ihr hinterher. Ob sie wohl wirklich auf ihn wartete? Offenbar war sie wegen ihres Bruders sehr aufgebracht. Familiäre Beziehungen konnten sehr kompliziert sein. Außerdem war ihr Bruder auch noch arbeitslos.

Als Drew schon nach dreizehn Minuten vor die Tür trat, saß Beth auf der obersten Stufe. Sie hatte die blonden Locken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sich einen gelben Sonnenhut aufgesetzt. Trotz der Hitze trug sie Jeans.

Er tippte ihr kurz auf die Schulter. „Lass uns fahren. Wo willst du zuerst hin?“

„Ich möchte zuerst zu Megan ins Tierheim“, sagte sie, während sie in den Pick-up kletterte.

Drew stellte die Klimaanlage an. „Seid ihr befreundet, Megan und du?“

„Ja, aber noch nicht lange. Als ich hier rauszog, habe ich mich anfangs sehr einsam gefühlt. Megan hat mir dann einen kleinen Hund beschafft, ein süßes Tier. Im Wesentlichen Cockerspaniel, ansonsten ein buntes Rassengemisch. Ich habe ihn Gus genannt und einen Bereich für ihn eingezäunt. Aber er hat es doch irgendwie geschafft rauszukommen und wurde überfahren.“

„Wie schrecklich.“ Drew strich ihr kurz über die Schulter. „Tut mir sehr leid. Willst du denn keinen zweiten Hund?“

„Eigentlich nicht. Ich hab sehr an Gus gehangen. Vielleicht sollte ich mich momentan nicht auch noch um ein Haustier kümmern müssen. Schließlich habe ich genug anderes zu tun.“

Sie sagte das so nüchtern, dass er beinahe ein schlechtes Gewissen hatte. Es stimmte, sie musste hart für ein besseres Leben arbeiten, während ihm alles sozusagen in den Schoß gefallen war. Kein Wunder, dass er auf sie manchmal wie ein arroganter Snob wirkte.

Royals Tierheim Save Haven lag in einem kleinen Gewerbegebiet in der Nähe des Krankenhauses. Als sie näher kamen, richtete Beth sich überrascht auf. „Sieht so aus, als hätte das Tierheim nichts abgekriegt.“

„Tatsächlich?“ Auch Drew musterte die Umgebung aufmerksam. „Was erstaunlich ist, denn eine Seite des Krankenhauses wurde zerstört. Allerdings war das der alte Teil.“

Das Gebäude des Tierheims war zwar intakt, aber auf dem Gelände sah es wüst aus. Äste, Blätter, lose Plastikplanen und Schutt bedeckten große Flächen. Megan Maguire, die das Auto gehört hatte, kam heraus und begrüßte sie erleichtert. „Ich bin so froh, dass ihr da seid. Vielleicht kann wenigstens einer von euch mir helfen. Den ganzen Vormittag haben Leute hier bei mir herrenlose Hunde und Katzen abgegeben.“

Megan, eine gut proportionierte Rothaarige mit grünen Augen und lustigen Sommersprossen, hatte ihre sonst so gute Laune verloren. Beth umarmte die Freundin. „Drew muss in die Stadt, aber ich kann erst mal bleiben.“

„Danke!“ Megan stöhnte leise. „Ihr könnt euch vorstellen, in welcher Panik die Tiere waren. Glücklicherweise sind wir noch einigermaßen gut davongekommen.“

Drew nickte. „Sieht so aus. Wie ist es mit den Vorräten? Soll ich irgendwas aus der Stadt mitbringen, wenn ich Beth nachher wieder abhole?“

„Vielleicht ein paar Lagen Teerpappe, die wird bald nicht mehr zu kriegen sein. Und vielleicht eine Rolle kräftigen Bindfaden.“

„Okay. Wenn dir sonst noch was einfällt, kann Beth es mir simsen.“

„Gut. Was ich ganz dringend brauche, sind Menschen, die bereit sind, Tiere aufzunehmen. Wie wäre es denn mit ein paar Katzen, Drew?“

„Ich bin leider allergisch gegen Katzenhaare.“

„Aber dies hier sind Katzen, die nicht ins Haus kommen. Die leben in der Scheune und fangen Mäuse. Und du hast eine Scheune und sicher auch Mäuse. Na, wie wär’s?“

Megan warf ihm einen derart unschuldigen Blick zu, dass Drew lachen musste. Er kannte Megan gut, war vor ewigen Zeiten mal mit ihr ausgegangen. „Überredet. Aber nur zwei Katzen, nicht mehr. Ich lasse sie von einem meiner Leute abholen.“

Megan stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich weiß doch, warum du mir so sympathisch bist.“

Beth lachte leise. „Sieh zu, dass du wegkommst, Drew. Ich weiß, dass Megan auch zwei große Echsen und einen Python hier hat. Mit deinen zwei Katzen hast du noch Glück gehabt.“

Autor

Sara Orwig

Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...

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