The Colorado Fosters - Zwischen Sehnsucht und Versuchung (8-teilige Serie)

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ZWISCHEN SEHNSUCHT UND VERSUCHUNG

Sie darf ihrer Sehnsucht nach Coles Küssen nicht nachgeben - vor langer Zeit hat Rachel die Chance auf ein Leben mit ihm verspielt. Und jetzt ist sie entschlossen, einen anderen zu heiraten! Wenn ihr nur endlich Coles Lippen auf ihrer Haut aus dem Sinn gehen würden …

DER ZAUBER EINER BESONDEREN NACHT

Dieser Mann ist zum Vernaschen: Schon im ersten Moment träumt Haley von einer Nacht mit Gavin Daugherty. Sie will dem exzentrischen - und überaus attraktiven! - Außenseiter näherkommen. Wenn er sie nur nicht dauernd mit einem so traurigen Blick ansehen und sich immer wieder abwenden würde …

RÜCKKEHR AUS LIEBE?

Daisy ist nur in die Rocky Mountains zurückgekehrt, um für ihre süßen Nichten da zu sein. Und nicht, um Reid Foster jetzt zu gestehen, warum sie ihn damals verlassen musste! Doch warum schlägt ihr Herz so schnell, als er einfordert, was sie ihm einst versprochen hat?

EIN DADDY FÜR HENRY

Die zarte Brünette, der süße Bengel an ihrer Seite - als die beiden sein Restaurant verlassen, tut es Dylan fast leid. Dann sieht er, dass sie in einem Auto auf dem Parkplatz schlafen: Er muss helfen! Auch wenn Mutter und Söhnchen morgen wieder aus seinem Leben verschwinden …

EINE HEIßE NACHT MIT SÜßEN FOLGEN

Ein heißer One-Night-Stand mit ungeahnten Folgen: Als Anna von Logan schwanger ist, macht der pflichtbewusste Rancher ihr sofort einen Antrag. Zum Wohl des Kindes sagt Anna Ja - aber nur zu einer Ehe auf dem Papier! Doch kaum verheiratet, prickelt es so erregend zwischen ihnen …

UNTER EINSATZ MEINER LIEBE

Nach einem schweren Schicksalsschlag hat Krankenschwester Andrea Caputo jeden Lebensmut verloren. Erst durch die Begegnung mit dem umwerfend charmanten Physiotherapeuten Ryan Bradshaw bebt ihr Herz wieder vor Glück. Aber warum kann sie ihm trotzdem nicht vertrauen?

KALTER SCHNEE UND HEIßE KÜSSE

Wen er liebt, den stürzt er ins Unglück, das weiß Liam Daly genau. Daher lebt er zurückgezogen in einer einsamen Berghütte. Bis die bezaubernde Meredith in sein Leben schneit. Er verliebt sich Hals über Kopf - und schickt sie trotzdem fort. Aber ihre Begegnung bleibt nicht ohne Folgen …

EIN ENGEL MIT GEHEIMNIS

Ein Engel? Witwer Parker Lennox traut seinen Augen nicht, als ihm im dichten Schneegestöber eine Frau mit Flügeln auf dem Rücken begegnet. Die junge Nicole ist so betörend, dass bald längst vergessene Gefühle in ihm erwachen. Allerdings scheint sie etwas vor ihm zu verbergen …


  • Erscheinungstag 06.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729929
  • Seitenanzahl 1040
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Tracy Madison

The Colorado Fosters - Zwichen Sehnsucht und Versuchung (8-teilige Serie)

IMPRESSUM

Zwischen Sehnsucht und Versuchung erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2012 by Tracy Leigh Ritts
Originaltitel: „Cole’s Christmas Wish“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA
Band 51 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Valeska Schorling

Umschlagsmotive: GettyImages_PetarPaunchev, Adam-Springer

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747473

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Steamboat Springs, Colorado, leuchtete hell und glitzernd in vorweihnachtlicher Pracht. Mit großen roten Schleifen geschmückte Kränze und Mistelzweige hingen an Türen und Fenstern, Laternenpfähle und Schaufenster waren mit Lichterketten geschmückt, und überall waren Weihnachtslieder zu hören. Wo immer Cole Foster auch hinsah, schienen die Menschen – Einwohner und Touristen gleichermaßen – vor Vorfreude zu strahlen.

Manche hatten es eilig, entweder weil sie an das schnelle Tempo einer Großstadt gewöhnt waren oder nach einem langen, mit Shopping oder Skifahren verbrachten Tag rasch in ein Restaurant oder in ihr Hotel wollten. Andere wiederum schlenderten gemächlich die Bürgersteige entlang und genossen die Atmosphäre der festlich geschmückten Stadt.

Die Einheimischen bewegten sich irgendwo dazwischen. Sie hetzten nicht, sie trödelten nicht, aber man sah ihnen eine gewisse Zielstrebigkeit an. Sie wollten offensichtlich nach Hause.

Normalerweise wollte Cole das um diese Zeit auch, vor allem nach einem trubeligen Tag im Sportgeschäft seiner Familie. Heute jedoch nicht.

Er blieb einen Moment stehen, schob die Hände in seine Jackentaschen und atmete die kalte frische Dezemberluft tief ein. Dicke Schneeflocken fielen träge vom Himmel und verstärkten die vorweihnachtliche Stimmung. Es war ein schöner Abend.

Doch das nahm ihm weder die Last von den Schultern, noch beruhigte es seine Nerven. Verdammt, dieses Jahr hatte er mehr mit dem miesepetrigen Grinch gemeinsam als mit dem guten alten Weihnachtsmann, und das war ganz allein seine Schuld.

Er hatte zu lange gewartet, seine Gefühle zu offenbaren, und obwohl es Gründe dafür gegeben hatte, es langsam angehen zu lassen – verdammt gute Gründe –, hatte er es wohl übertrieben. Denn jetzt sah es ganz so aus, als habe Rachel Merriday sich in einen anderen verliebt.

Daher hatte Cole das „fröhliche“ aus seinem Weihnachten gestrichen.

Das Timing war aber auch schlecht! Er hatte sich schon seit Monaten auf Rachels Besuch gefreut, darauf, endlich das Tabu-Thema anzusprechen und somit das, was zwischen ihnen vorgefallen war, hinter sich zu lassen. Und vielleicht dort anzuknüpfen, wo sie vor seinem alles verändernden Unfall aufgehört hatten.

Vor vier Jahren – war es wirklich schon so lange her? – hatte er noch eine vielversprechende Zukunft vor sich. Damals war er ein erfolgreicher Skirennläufer, und seine langjährige Freundschaft mit Rachel hatte sich endlich zu etwas Tiefergehendem entwickelt. Doch ein einziger Sturz hatte nicht nur seine Karriere beendet, sondern auch Rachel in die Flucht geschlagen.

Eigentlich hätte ihn das nicht überraschen dürfen. Immer wenn es kompliziert wurde, ergriff Rachel instinktiv die Flucht. Hatte er das nicht im Laufe der Jahre wieder und wieder mit angesehen? Oh ja, das hatte er! Allerdings war er nie davon betroffen gewesen. Es hatte ihm echt einen ordentlichen Schlag versetzt, als es dann auch ihm passierte.

Er wusste bis heute nicht, warum Rachel nicht an seiner Seite geblieben war, als seine Welt zusammenbrach. Natürlich hatte sie ihn angerufen, ihm Care-Pakete und aufmunternde Briefe geschickt, ihn während seines ganzen langen Jahres in der Reha allerdings nicht ein einziges Mal besucht.

Erst letztes Weihnachten war sie wieder nach Steamboat Springs zurückgekehrt, und irgendwie war es Cole und ihr gelungen, ihre Freundschaft zu kitten. Es hielt es jedoch für verfrüht, ihren einzigen Kuss und ein paar am Abend vor dem Unfall gefallene Worte anzusprechen, weshalb er ein klärendes Gespräch um ein Jahr verschoben hatte.

Auf dieses Weihnachten.

Dummerweise hatte Rachel ihn vor einer guten Woche angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie nicht allein nach Steamboat Springs kommen würde. Nein, sie würde einen Mann mitbringen. Einen Mann, der vielleicht „der Richtige“ war.

Und einfach so hatten sich Coles schöne Pläne in Luft aufgelöst.

Er atmete ein zweites Mal tief durch und ging weiter zum Beanery-Coffeeshop. Unterwegs begrüßte er ein paar Passanten, blieb jedoch nicht stehen. Vor dem Café angekommen, warf er einen Blick durch das Fenster und hielt nach einer bestimmten Frau mit langem blonden Haar und blauen Augen Ausschau.

Nein. Rachel war noch nicht da.

Als Cole die Tür öffnete, schlugen ihm behagliche Wärme und der Duft frisch gebrühten Kaffees und frischer Zimtbrötchen – der Spezialität des Hauses – entgegen. Außerdem Stimmengewirr, vermischt mit noch mehr nerviger Weihnachtsmusik. Was würde er nicht dafür geben, Mick Jagger „Satisfaction“ oder „Start Me Up“ aus den Lautsprecherboxen plärren zu hören statt eine weitere Version von „Jingle Bells“.

Ein paar Stammgäste begrüßten ihn, als er sich an der Theke anstellte. Er grüßte freundlich zurück, begann aber kein Gespräch. Rachel würde gleich kommen, und Cole konnte jede Minute gebrauchen, um sich emotional für ihr Wiedersehen zu rüsten.

In der Schlange vorm Tresen ging es nur langsam voran, da Lola, die Eigentümerin der Beanery, mit jedem Kunden erzählte, als sei er ihr bester Freund. Abgesehen von ihren leckeren Zimtbrötchen, dem Kaffee und der Wärme, war die Beanery auch dank Lolas Herzlichkeit immer gut besucht, sogar in den wenigen Monaten, in denen es in der Stadt nicht von Touristen wimmelte.

Normalerweise unterhielt Cole sich auch immer gern mit ihr, aber heute wollte er sich einfach nur mit seinem Kaffee an einen freien Tisch zurückziehen. Vorzugsweise einen, von dem aus er die Lincoln Avenue perfekt im Blick hatte, damit er Rachel und „den Richtigen“ – auch unter dem Namen Andrew Redgrave bekannt – sehen konnte, bevor sie ihn entdeckten.

Körpersprache verriet nämlich eine Menge über eine Beziehung. Cole hoffte auf einen großen Abstand zwischen den beiden, was auf keine gemeinsame Zukunft schließen lassen würde.

Bei der Vorstellung, dass die beiden womöglich heirateten, wurde Cole schlecht. Er hatte einfach zu lange gewartet, und jetzt … jetzt könnte er Rachel verlieren, bevor er, nein, bevor sie beide je eine echte Chance gehabt hatten.

„Na, was soll es heute sein, Cole? Schwarzer Kaffee und ein Zimtbrötchen, so wie immer?“, riss Lolas muntere Stimme ihn aus seinen Gedanken. „Oder hast du ausnahmsweise mal Lust auf etwas Ausgefalleneres? Vielleicht einen Peppermint-Mocha oder eine Eggnog-Latte?“

„Kaffee muss nach Kaffee schmecken, nicht nach Pfefferminz oder Eierpunsch“, erwiderte Cole und betrachtete grinsend die von Lolas Ohrläppchen baumelnden Schneemänner, ihre übergroße Weihnachtsmann-Mütze und die blinkende bunte Lichterkette um ihren Hals. Lola war zweifellos ein Original. „Nein, nur einen Kaffee bitte. Ich habe heute spät Mittagspause gemacht.“

Lola griff nach einem der leuchtend orangefarbenen Becher der Beanery und sah ihn überrascht an. „Du hast bisher noch nie ein Zimtbrötchen abgelehnt, späte Mittagspause hin oder her. Alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, ich habe nur keinen Hunger. Du weißt ja, wie hektisch es um diese Jahreszeit im Laden ist.“

Lola musterte ihn neugierig, nickte jedoch nur und schenkte ihm einen Kaffee ein.

Cole fiel es schwer, sich mit weiteren Erklärungen zurückzuhalten. Lola war nämlich eine der besten Freundinnen seiner Mutter. Sobald sie Verdacht schöpfte, würde sie sofort Margaret Foster anrufen, und dann hätte er seine Mutter, seinen Vater, seine Brüder und seine Schwester auf dem Hals, die ihn so lange nerven würden, bis er ihnen sagte, was mit ihm los war. Und dann würden sie sein Problem zu lösen versuchen, ob Cole ihre Hilfe nun wollte oder nicht.

„Hier, bitte.“ Lola schob ihm seinen Kaffee hin – und ein Zimtbrötchen in einer Tüte. „Für später, wenn du wieder Hunger hast. Geht aufs Haus.“

„Danke.“ Cole wusste, dass es zwecklos war zu widersprechen. Er reichte ihr das Geld für den Kaffee. „Das heb ich mir fürs Frühstück auf.“

„Deine Mom war vorhin übrigens auch hier“, sagte Lola, während sie kassierte. „Sie hat mehrere Dutzend Brötchen für Heiligabend bestellt. Eure Familie kommt über die Feiertage zu Besuch, wie ich gehört habe?“

„Ja. Die ganze Oregon-Seite, mitsamt Anhang und Kindern.“ Alle drei Foster-Cousins gründeten gerade Familien und waren laut seiner Mutter total glücklich. Schön für sie. „Nochmals danke, Lola.“

Nachdem Cole sein Wechselgeld in die Dose mit dem Trinkgeld gesteckt hatte, setzte er sich an einen Tisch – endlich. Noch etwa zehn Minuten, bis er Rachel wiedersah … und Andrew natürlich. Cole durfte Andrew nicht vergessen, sosehr er das auch wollte.

Rachel hatte ihm kurz nach ihrer Landung mittags eine Nachricht geschickt. Sie und Andrew mussten also seit etwa sechs Stunden in Steamboat Springs sein. Rachels Eltern waren zurzeit nicht in der Stadt, was bedeutete, dass sie und „der Richtige“ das Ferienhaus von Rachels Familie ganz für sich hatten. Vielleicht hatten sie den Nachmittag eng aneinandergekuschelt vor dem Kamin verbracht und … Cole rieb sich die Schläfen und versuchte seine Fantasien zu verdrängen.

Er trank einen Schluck Kaffee, blendete das nervige Weihnachtsgedudel aus und sah aus dem Fenster. Der Schnee fiel inzwischen so dicht, dass die Straßen und Bürgersteige von einer weißen Schicht bedeckt waren.

So melancholisch, wie er drauf war, musste er bei dem Anblick natürlich an seine erste Begegnung mit Rachel denken. Er war damals elf Jahre alt, sie zehn. Er, seine beiden älteren Brüder Reid und Dylan sowie ein paar andere Kinder veranstalteten gerade auf dem Schulhof eine Schneeballschlacht, als ihn ein riesiger Schneeball am Hinterkopf traf und ihn bäuchlings in den Schnee beförderte.

Als er sich wieder aufgerichtet hatte, starrten ihn seine Brüder entsetzt an. Sofort formte er einen Schneeball, drehte sich um und sah … sie. Ein Mädchen mit rosigen Wangen, großen himmelblauen Augen und feinen, kurzen blonden Haaren.

Ihren schicken Stiefeln, ihrem Mantel und dem teuren Wagen hinter ihr nach zu urteilen, war sie ein Kind reicher Eltern. Stirnrunzelnd ließ Cole die Hand mit dem Schneeball sinken. Seine Familie lebte von den Touristen, und die Eltern dieses Mädchens zu verärgern, war daher keine gute Idee. Um die Kinder reicher Urlauber machte man seiner Erfahrung nach besser einen großen Bogen.

Es wurmte ihn jedoch, sich nicht revanchieren zu können. Von einem Mädchen besiegt worden zu sein, war ziemlich uncool. Reid und Dylan würden ihn später gnadenlos hänseln, und seine Schwester Haley würde ihm einen langen Vortrag halten, dass Mädchen Jungs sowieso in jeder Hinsicht überlegen waren. Ätzend!

Trotzdem blieb er vernünftig und tat so, als würden ihn das dämliche Mädchen und ihr Schneeball überhaupt nicht interessieren. Bis er ihr triumphierendes Lächeln sah und ihr wütend den Rücken zukehrte.

Nur wenige Sekunden später küsste er schon wieder den Schnee. Diesmal brachen seine Brüder in schallendes Gelächter aus, was Cole endgültig den Rest gab. Er sprang auf und warf seinen Schneeball nach ihr. Sie taumelte zurück, als er sie am Kinn traf, wahrte jedoch das Gleichgewicht. Zu seiner Überraschung stampfte sie weder empört mit einem Fuß auf, noch bekam sie einen Heulanfall.

Stattdessen lächelte sie noch provozierender. Fast in Zeitlupe zog sie einen weiteren Schneeball hinter dem Rücken hervor, warf ihn jedoch nicht nach Cole, sondern zielte auf seinen Bruder Dylan.

Das war der Beginn ihrer Freundschaft.

In den darauffolgenden Jahren hatte Rachel mit ihren Eltern die Weihnachtstage und gelegentlich auch die Sommerferien in Steamboat Springs verbracht. Coles und Rachels Freundschaft war im Laufe der Zeit immer enger geworden. Als Jugendliche waren sie auch über Rachels Besuche hinaus in Kontakt geblieben, und während ihrer Studienzeit und danach hatten sie sich sogar häufiger getroffen.

Allerdings immer als Freunde.

Bis zu ihrem Kuss, seinem Unfall und dem ganzen schrecklichen Chaos. Coles Magen krampfte sich schmerzlich zusammen bei der Erinnerung. Aber: Was passiert war, war passiert. Sich über Dinge zu grämen, die nicht mehr rückgängig zu machen waren, brachte ihn jetzt auch nicht weiter.

Aus einer plötzlichen Vorahnung heraus sah er wieder aus dem Fenster und … ja, da war sie. Arm in Arm mit einem Mann überquerte sie die hell erleuchtete Straße.

Für den Bruchteil einer Sekunde war Coles Kopf beim Anblick ihrer schlanken Gestalt und ihrer langen Beine wie leergefegt. Mit ihrem wehenden blonden Haar sah sie in den wirbelnden Flocken aus wie eine Schneeprinzessin.

Sein Herz setzte einen Schlag aus. Himmel, war sie schön! Ihm wurde bewusst, wie schrecklich er sie vermisst hatte. Mehr als gedacht.

Als dieser Andrew ihr etwas ins Ohr flüsterte, küsste sie ihn lachend auf die Wange. Rasende Eifersucht stieg in Cole auf. Es fiel ihm schwer, ruhig sitzen zu bleiben.

Er nahm den Mann etwas eingehender unter die Lupe.

Er war groß gewachsen, aber nicht so groß wie Cole. Was natürlich völlig bedeutungslos war, Cole aber trotzdem mit einer gewissen Genugtuung erfüllte. Er wirkte sehr weltmännisch und trug einen schwarzen Burberry-Mantel. Anscheinend war er nicht unvermögend. Aber Rachel stammte ebenfalls aus einer wohlhabenden Familie. Warum also nicht auch der Mann, den sie für „den Richtigen“ hielt?

Doch das war nicht das, was Cole störte. Ihm machte zu schaffen, wie glücklich die beiden aussahen. Hoffentlich war bei Andrew etwas faul … und er hatte irgendwelche Hintergedanken, was Rachel anging. Sie hatte schön öfter Freunde gehabt, die sich mehr für den Reichtum ihrer Familie und die Geschäftskontakte ihres Vaters interessierten als für sie.

Allerdings sagte ihm sein Bauchgefühl, dass das bei Andrew nicht der Fall war. Cole hatte ein untrügliches Gespür für alles, was Rachel schaden konnte.

Blieb ihm also nur noch die Hoffnung, dass Rachel bei Andrew genauso kneifen würde wie bei Cole und allen anderen Männern, aber das war irgendwie auch nicht die richtige Lösung. Cole wollte, dass sie glücklich war, und das würde nie passieren, solange sie vor allem weglief.

Vor dem Fenster blieb Andrew stehen, zog Rachel an sich und küsste sie. Bei dem Anblick fragte Cole sich wieder, womit die beiden wohl den Nachmittag verbracht hatten. Er musste schlucken. Eine gefühlte Ewigkeit später lösten sich die beiden voneinander, und Rachel zog Andrew lachend zur Tür.

Es kostete Cole fast übermenschliche Anstrengung, ein freundliches Lächeln aufzusetzen, als die beiden den Coffeeshop betraten. Als Rachel ihn sah, jauchzte sie erfreut auf und ließ Andrews Hand los – was Cole natürlich diebisch freute –, um sich auf ihn zu stürzen.

Er stand auf und breitete die Arme aus, um sie aufzufangen und an sich zu drücken. Ihr Duft, eine betörende Mischung aus Gewürzen, Obst und Winter, hüllte ihn ein, und ihm wurde wieder klar, dass sie in seine Arme gehörte.

Er spürte ihr weiches, vom Schnee feuchtes Haar an seiner Wange, als sie ihm ins Ohr flüsterte, wie glücklich sie sei, ihn wiederzusehen. „Es ist schon wieder viel zu lange her.“

„Ich freue mich auch“, antwortete er. „Und es ist immer zu lange.“

Sie löste sich aus seiner Umarmung und drehte sich zu Andrew um, um ihn Cole vorzustellen. Dabei leuchteten ihre hübschen blauen Augen auf eine Art auf, die Cole erst einmal gesehen hatte – in den Sekunden vor ihrem einzigen Kuss. Verdammt! Bis jetzt lief aber auch nichts wie erhofft.

Breit grinsend schüttelte er Andrew die Hand, der seinen Händedruck etwas fester erwiderte als nötig. So, als wolle er seine Männlichkeit unter Beweis stellen.

Es war vielleicht unreif von ihm, aber Cole nahm die Herausforderung an. Er festigte seinen Griff ebenfalls, wobei er nicht aufhörte zu grinsen. Er wusste genau, dass er diesen Zweikampf gewinnen würde. Und richtig – es dauerte nur fünfzehn, höchstens zwanzig Sekunden, bis Andrew nachgab und losließ.

Eins zu null beim Heimspiel.

„Schön, dich kennenzulernen, Kyle“, sagte Andrew, während er seine Finger dehnte. „Rachel sagt, du bist wie ein Bruder für sie.“

„Er ist mein Freund. Mein bester Freund“, warf Rachel ein. „Aber richtig, Cole ist mir sehr wichtig. Ist es nicht schön, dass ihr euch jetzt endlich kennenlernt?“

„Ja, super.“ Cole unterdrückte den kindischen Impuls, „dem Richtigen“ eine zu verpassen. Er setzte sich wieder an den Tisch. „Ich freue mich, dich kennenzulernen, Andy. Bis vor einer Woche habe ich allerdings noch nie von dir gehört, also wirst du sicher verstehen, dass ich so meine Bedenken habe … Da ich für Rachel ja wie ein Bruder bin, ist es quasi meine Pflicht, mich zu vergewissern, dass es ihr mit dir gut geht.“

Andrew musterte ihn grimmig. Er half Rachel aus ihrer Jacke und zog seinen Trenchcoat aus, bevor er selbst Platz nahm. „Verständlich“, sagte er eine Spur sarkastisch. „Ich kann’s kaum erwarten.“

Rachel sah verwirrt zwischen Cole und Andrew hin und her und forderte Cole mit einem Blick auf, die angespannte Atmosphäre aufzulockern, anstatt die Anspannung noch zu verstärken.

„Geht mir genauso.“ Cole hob seinen Kaffeebecher zu einem ironischen Toast und beschloss, Andrew noch eine Chance zu geben.

Rachel zuliebe.

Aber wenn „der Richtige“ ihn weiterhin so provozierte, würde es Krieg geben. In den paar Minuten seit Andrews Auftauchen hatte Cole nämlich eine Entscheidung getroffen. Er würde nicht mehr auf den richtigen Moment oder die richtigen Worte oder sonst irgendetwas warten, sondern die Initiative ergreifen!

Na, das ging ja gut los!

Rachel Merriday lehnte sich nervös in ihrem Stuhl zurück, während Cole und Andrew Kaffee holten. Hoffentlich würden die beiden sich bald besser verstehen. Sobald Andrew merkte, dass er keinen Grund hatte, eifersüchtig auf Cole zu sein, würde er sich bestimmt wieder entspannen. Und dann wäre auch Cole etwas netter zu ihm, davon war sie überzeugt.

Zumindest hoffte sie es.

Die beiden hatten immerhin eine Menge gemeinsam, auch wenn sie das bestimmt anders sahen. Äußerlich sahen sie sich zwar nicht besonders ähnlich, aber sie waren beide sehr attraktiv. Während Cole dunkelhaarig war und braune Augen hatte, hatte Andrew aschblondes Haar, graue Augen und eine eher helle Haut, ähnlich wie sie.

Beide waren groß und kräftig, wenn auch auf unterschiedliche Art. Cole hatte das kräftige muskulöse Aussehen eines Athleten. Andrew war ebenfalls sehnig, aber vor allem weil er regelmäßig ins Fitnessstudio ging und Diät machte. Aber sie waren beide sehr männlich und viril. Und verdammt sexy.

Keine Frau könnte das leugnen. Oder zumindest keine normale Frau.

Die wahre Ähnlichkeit lag jedoch unter der Oberfläche. Klar war Andrew etwas ernsthafter als Cole, aber auch er hatte ein gutes Herz und war genauso integer. Sie würden alles für die Menschen tun, die sie liebten. Diese Eigenschaft hatte Rachel als Erstes bei Andrew angesprochen.

Und zog sie immer noch an.

Aber wollte sie ihn deshalb gleich heiraten und eine Familie mit ihm gründen? Sie hatte keine Ahnung. Es fiel ihr schwer, eine Entscheidung zu treffen. Bei der Vorstellung, den Falschen zu heiraten, bekam sie nämlich Panik. Vor allem wenn sie dann noch an Kinder dachte.

Sie wusste nur allzu gut, welche Auswirkungen eine lieblose Ehe auf Kinder haben konnte – bis ins Erwachsenenalter hinein. Rachel wollte nicht die gleichen Fehler machen wie ihre Eltern. Endlose Auseinandersetzungen hinter verschlossenen Türen führen, während nach außen hin alles heil und perfekt aussah. In der Öffentlichkeit lächeln, obwohl man am liebsten heulen, schreien oder … ja, weglaufen wollte. So weit einen die Beine trugen.

Trotzdem sehnte Rachel sich insgeheim nach Liebe und einem Leben mit dem richtigen Mann, so verrückt das auch war. Sie wollte eine Familie, verdammt! Sie wollte Besorgungen machen, Babys, die sich zu vorlauten Teenagern entwickelten, Kuchen für Schulfeste backen und Picknicks und Grillpartys, und das alles mit einem Mann, der sie von Herzen liebte.

Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Cole. Bei seinem Anblick machte ihr Herz einen Satz. Sie wusste genau, dass sie vor vier Jahren Mist gebaut hatte. Und dass ihr dadurch vielleicht etwas Wundervolles und womöglich sogar etwas, das ihr Leben von Grund auf verändert hätte, entgangen war.

Sie war heilfroh, dass sie sich im Großen und Ganzen wieder gut verstanden. Außerdem hatte sie inzwischen aus ihren Fehlern gelernt. Und genau deshalb wollte sie, trotz ihrer Zweifel, mit Andrew zusammenbleiben. Weil sie damals bei Cole die gleichen Ängste plagten wie jetzt bei Andrew. Das hatte also nichts zu sagen.

Sie seufzte. Es war zwecklos, verpassten Chancen hinterherzutrauern. Eine Freundschaft war schließlich auch nicht zu verachten, und ihre Freundschaft mit Cole hatte sich bewährt. Sie war stark und beständig. Verglichen damit hatte das kurze Aufflackern der Leidenschaft zwischen ihnen vor vier Jahren keine Bedeutung. Zumal Cole ihr bei ihrem Besuch vor einem Jahr nicht den geringsten Hinweis gegeben hatte, dass er mehr sein wollte als nur ihr Freund.

Und dann war Andrew in ihr Leben getreten und hatte sie mit seinem Charme und seiner Fürsorglichkeit erobert. Mit Eigenschaften, die sie an Cole erinnerten, und einigen anderen, die das nicht taten. Er begehrte sie. Er sprach von einer gemeinsamen Zukunft. Das war echt und solide. Aber würde es halten?

Vielleicht.

Und deshalb war sie hier. In der Hoffnung, sich hier, in ihrer Lieblingsstadt, so heftig in Andrew zu verlieben, dass sie ihre Ängste vergaß … und ihre Reue.

Sie musste sich einfach entspannen und aufhören, ständig über die Vergangenheit zu grübeln. Ihr Herz öffnen und sich fallen lassen. Das konnte doch nicht so schwer sein, oder?

Rachel richtete den Blick auf die beiden Männer und zeigte Richtung Toilette. Cole fing ihren Blick auf und nickte lächelnd, bevor er sich wieder zu Andrew umdrehte. Von dem kam keine Reaktion, vermutlich, weil er Cole konzentriert zuhörte. Vielleicht näherten sich die beiden einander ja doch ein bisschen an. Zumindest hoffte Rachel das. Falls nicht, konnten die nächsten Wochen nämlich ziemlich anstrengend werden.

Und das … na ja, das würde ihr erst recht nicht weiterhelfen.

2. KAPITEL

Rachel ließ sich Zeit damit, sich auf der Toilette frisch zu machen. Sie brauchte ein paar Minuten für sich allein, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen.

Als sie zum Tisch zurückkehrte, schwiegen sich die beiden Männer schon wieder verkrampft an.

Okay, das war wohl nichts mit der gegenseitigen Annäherung.

Rachel nahm neben Andrew Platz und schlang die Hände um ihren Cappuccino mit Schlagsahne und Sirup. Da sie nicht wusste, wie sie das Gespräch eröffnen sollte, trank sie ein paar Schlucke. „Hm, lecker“, sagte sie irgendwann mit aufgesetzter Fröhlichkeit. „Was trinkt ihr beide?“

„Schwarzen Kaffee“, antworteten beide im Chor. Und ähnlich tonlos.

Aha! Noch eine Gemeinsamkeit. „Ich finde, der Kaffee hier schmeckt toll.“

„Das stimmt.“ Coles Mundwinkel zuckten amüsiert. „Soll ich dir einen holen?“

„Ich …“

„Was du da trinkst, ist kein Kaffee“, kommentierte Andrew trocken.

Coles Lächeln vertiefte sich. „Genau. Es ist ein Dessert.“

„Wow, ihr beide seid ja ein Herz und eine Seele.“ Rachel trank noch einen Schluck von ihrem „Dessert“. „Ist das so ein typisches Männerding? ‚Echte Männer essen keine Quiche‘ und so? Oder trinken keinen ausgefallenen Kaffee?“

„Nö, ich mag Quiche.“ Cole griff nach einer Serviette, beugte sich über den Tisch und tupfte Rachel den Mund ab. Seine Berührung war flüchtig und neutral, aber ihr wurde trotzdem ganz heiß. „Du hattest da … äh … ein bisschen Schlagsahne.“

Rachel spürte, wie Andrew sich neben ihr versteifte. Er legte ihr einen Arm um die Schultern, hob ihr Kinn und küsste sie. Ebenfalls flüchtig. „So, jetzt ist die Sahne weg.“ Er richtete sich wieder auf, ließ seinen Arm jedoch, wo er war. „Ich hoffe, das war dir nicht unangenehm, Kyle. Aber Rachels Lippen sind so verführerisch, dass ich mich einfach nicht beherrschen konnte.“

„Ganz und gar nicht“, erwiderte Cole jungenhaft grinsend und zuckte die Achseln. „Ich habe meiner Mutter auch schon öfter ein Küsschen in der Öffentlichkeit gegeben.“ Er zwinkerte Rachel zu. „Und meiner Schwester, wenn ich es recht bedenke.“

„Ich habe nicht gesagt, dass es mir peinlich ist.“ Andrew rückte ein Stück dichter an Rachel heran. „Aber manche Menschen werden nicht gern Zeuge von Turteleien in der Öffentlichkeit. Ich habe nur zu spät bedacht, dass du vielleicht zu ihnen gehören könntest.“

„Nein.“ Wieder ein Achselzucken. „Aber ich weiß deine Rücksichtnahme zu schätzen.“

„Wow, ist das kalt draußen!“, platzte Rachel heraus, bevor Andrew etwas erwidern konnte. Sie tat so, als erschauere sie. „Schrecklich … kalt. Ich bin immer noch nicht aufgewärmt nach dem … äh … kurzen Weg vom Wagen hierher.“

„Wir könnten jetzt auf Hawaii sein und Mai Tais am Strand trinken.“ Andrew küsste Rachel wieder, diesmal auf den Kopf. „Solltest du deine Meinung geändert haben, können wir morgen schon im Flieger sitzen. Du brauchst es nur zu sagen.“

Cole sah ihn gereizt an. Rachel konnte ihn gut verstehen. Sie und er hatten ihren Besuch in Steamboat Springs vereinbart, bevor Andrew gebeten hatte, mitkommen zu dürfen … was er erst tat, nachdem Rachel sich geweigert hatte, ihre Reise abzusagen, um mit ihm nach Hawaii zu fliegen.

Vermutlich dachte Andrew jetzt, sie zog Cole vor, aber das stimmte nicht. Nicht wirklich. Sie verbrachte Weihnachten eben gern zu Hause, und Steamboat Springs war fast so etwas wie ihre Heimat. Mehr als New York zumindest.

Und das hatte sie Cole und seiner Familie zu verdanken, nicht ihren Eltern.

„Ich habe es mir nicht anders überlegt, aber ich würde gern stattdessen im Mai mit dir nach Hawaii fliegen, wenn du Geburtstag hast. Falls du dann noch willst.“

„Natürlich“, antwortete Andrew aalglatt. „Ich wollte dir nur eine andere Option bieten, jetzt, wo du deinen Freund wiedergesehen hast.“

„Danke, aber ich fühle mich ganz wohl hier. Und wir werden bestimmt viel Spaß haben!“ Sie tätschelte Andrew einen Arm. „Du wirst bald verstehen, warum ich diesen Ort so liebe, vor allem an Weihnachten.“

„Warst du noch nie hier, Andy?“ Cole lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück, nach außen hin völlig entspannt. „Seltsam, aber ich hätte schwören können, dass ich dich schon mal gesehen habe. Viele Menschen machen hier Urlaub … vielleicht warst du ja mal mit einer Exfreundin hier. Oder einer Exfrau?“

Großer Gott! Das wurde ja immer schlimmer! „Andrew hat keine Exfrauen.“

„Ich werde auch nie welche haben. Ich halte nichts von Scheidungen.“

„Wer tut das schon? Kaum jemand rechnet bei seiner Eheschließung damit, sich scheiden zu lassen“, erwiderte Cole im Plauderton. „Aber so etwas kommt vor. Manchmal heiratet man zu jung oder sucht sich den falschen Partner aus. Und manchmal wird eine Beziehung so kompliziert, dass eine Scheidung der einzig mögliche Ausweg zu sein scheint.“

Er sprach aus Erfahrung. Sein Bruder Dylan war nämlich geschieden. Er hatte zu früh geheiratet, und seine Frau hatte ihn betrogen, war schwanger geworden und hatte Dylan für ihren Liebhaber verlassen.

Rachel hielt zwar auch nichts von Scheidungen, aber sie stimmte Cole zu. Verdammt, sie wäre die Erste, die applaudieren würde, wenn ihre Eltern sich endlich trennten!

„Du hast recht, aber nur zum Teil. Viele dieser Szenarien sind nur das Resultat von Fehlentscheidungen, bevor überhaupt ein Antrag gemacht wurde … oder akzeptiert.“ Andrew nahm Rachels Hand. „Wenn ich einer Frau einen Ring an den Finger stecke, dann für immer.“

Cole sah Rachel vielsagend an. „Im Leben kommt es oft … anders, als man denkt. Eine Menge hängt davon ab, im entscheidenden Moment das Richtige zu tun.“ Er wandte Andrew den Kopf zu, hatte den Blick jedoch auf Rachel gerichtet. „Man kann sich vorher noch so viele Gedanken machen. Solange man nicht in einer Situation drinsteckt, weiß man nicht, wie man reagieren wird. Natürlich ist das nur meine persönliche Meinung.“

Rachel krümmte sich innerlich. Spielte Cole gerade auf ihre vielen gescheiterten Beziehungen an oder wollte er ihr durch die Blume etwas über Andrew mitteilen? Wenn sie das nur wüsste! Nicht zum ersten Mal wünschte sie, sie könnte seine Gedanken lesen.

„Wie dem auch sei“, versuchte sie hastig das Thema zu wechseln. „Andrew war noch nie in diesem Teil von Colorado, also muss ich ihm noch eine Menge zeigen. Ich kann es kaum erwarten, mit ihm Ski zu laufen.“

Cole hob fragend eine Augenbraue und richtete den Blick auf Andrew. „Ach ja? Du bist ein geübter Skifahrer?“

„Nein, aber …“

„Snowboarder?“

„Nein“, wiederholte Andrew. „Natürlich habe ich schon auf Skiern gestanden, aber ich bin immer noch blutiger Anfänger. Rachel zuliebe mache ich gern noch einen Versuch.“

Cole nickte zustimmend. „Das ist gut. Rachel liebt Skifahren … und Snowboarden … und Schlittschuhlaufen.“ Seine Augen funkelten durchtrieben. „Ähnliche Interessen sind sehr wichtig in einer Beziehung. Aber das ist natürlich wieder nur meine persönliche Meinung.“

Andrew richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Deshalb mache ich ja auch gern mit. Wie ich schon gesagt habe.“

„Na ja, streng genommen hast du nur gesagt, dass du es noch mal versuchen willst“, erwiderte Cole gedehnt. „Das ist nicht das Gleiche.“

Rachel war drauf und dran, den beiden eine zu scheuern. „Andrew und ich haben jede Menge gemeinsame Interessen. Wir fahren Fahrrad, gehen ins Fitnesscenter und … Pferde! Ich reite gern, und Andrew ist ein ausgezeichneter Reiter. Er ist auf einer Ranch in Texas aufgewachsen.“

„Gut zu wissen. Hier kann man fast überall reiten. Aber ich glaube …“, Cole kratzte sich nachdenklich das Kinn, „… ich weiß! Wie wär’s, wenn wir uns einen Tag aussuchen und zum Idiotenhügel fahren, Andrew? Dann kannst du die Grundlagen wiederholen und wieder in Form kommen.“

„Ich kann mehr als nur den Idiotenhügel runterfahren“, sagte Andrew trocken. „Und ehrlich gesagt würde ich meine Freundin als Lehrerin vorziehen. So kommen wir uns auch näher, was schließlich Sinn und Zweck unseres Besuchs hier ist.“

Als Rachel Coles Gesichtsausdruck sah, schwante ihr nichts Gutes. Sie kannte diesen Blick. Verdammt, warum konnte er nicht einfach die Klappe halten? Sie wollte ihm eine Hand auf einen Arm legen, um ihn abzulenken, aber er lehnte sich zurück, bevor sie ihn richtig zu fassen bekam. Sie streifte lediglich seine Haut. Die bloße Berührung durchzuckte sie wie ein Stromschlag.

„Wow, tut mir leid, das zu hören. Ich meine, wenn ihr einen Urlaub braucht, um einander näherzukommen, scheint etwas nicht in Ordnung zu sein. Sagt Bescheid, wenn ich euch irgendwie helfen kann … ein Hinweis genügt.“

„Unsere Beziehung ist ausgezeichnet“, gab Andrew scharf zurück. „Und wenn wir Probleme hätten, würde ein Urlaub bestimmt nicht reichen, um sie zu beseitigen.“

„Wir verstehen uns bestens!“, warf Rachel lauter als nötig ein. Andrews Worte versetzten ihr einen Stich. Insgeheim hatte sie ihn tatsächlich mitgenommen, weil sie gehofft hatte, dass ihre gemeinsame Zeit hier ihre Zweifel beseitigen würde. „Hervorragend sogar.“

„Tut mir leid, ich wollte keinen wunden Punkt berühren.“ Cole hob einlenkend die Hände. „Vergesst einfach, was ich gesagt habe. Ich bin davon überzeugt, dass zwischen euch alles in Ordnung ist.“

Rachel war so genervt, dass ihr nur eins einfiel: das Thema zu wechseln. Mal wieder. „Wie läuft eigentlich der Laden diese Saison, Cole?“

„Genauso gut wie immer“, antwortete er amüsiert. „Wir haben viel Laufkundschaft. Zusammen mit dem Ski- und Boardverleih, den Skikursen und Privatstunden läuft es richtig gut.“

Andrew festigte den Griff um Rachels Schultern. „Ach ja, richtig. Du arbeitest ja jetzt bei deinen Eltern. Ich habe gehört, du warst früher mal Skirennläufer. Dein plötzliches Karriereende muss ja ganz schön heftig für dich gewesen sein? Fühlst du dich da jetzt nicht eingeengt?“

Wow! Rachel entzog sich Andrews Umarmung. Seine Worte schockierten sie. So kannte sie ihn ja gar nicht. Eifersüchtig oder nicht, er ging eindeutig zu weit!

„Du verstehst nicht, wie das in der Foster-Familie läuft, Andrew“, sagte sie. „Cole und seine Geschwister sind an sämtlichen Geschäften beteiligt, und zwar zu gleichen Teilen. Alle ziehen an einem Strang. Das stimmt doch, oder, Cole?“

„Richtig.“ Cole wirkte immer noch eher belustigt als sauer. „Und nein, Andrew, ich fühle mich überhaupt nicht eingeengt. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar für alles, was ihre harte Arbeit mir und meinen Geschwistern ermöglicht hat.“

Andrew schwieg einen Moment und fuhr sich dann seufzend mit einer Hand durchs Haar. „Meine Bemerkung war sehr unhöflich. Tut mir leid.“

„Keine Ursache“, antwortete Cole locker. „Meine Familie und ich stehen uns sehr nahe. Manchmal vielleicht ein bisschen zu nahe, aber ich würde nichts daran ändern wollen.“

„Klingt doch gut“, sagte Andrew widerstrebend. „Meine Familie … Unser Verhältnis ist nicht so gut. Du kannst dich glücklich schätzen.“

Rachel verzieh Andrew sofort. Sie wusste nicht genau, was in seiner Familie vorgefallen war, aber er und seine Eltern hatten keinen Kontakt zueinander.

„Ich schätze mich tatsächlich glücklich“, stimmte Cole zu. „In vielerlei Hinsicht.“

„Ich mich auch, seit ich Rachel gefunden habe.“ Andrew schmunzelte. „Und? Gibt es in deinem Leben jemanden?“

Rachel entspannte sich wieder etwas. Endlich erkannte sie in Andrew den Mann wieder, den sie kannte. Der Hahnenkampf schien vorbei zu sein, Gott sei Dank und Halleluja! Vielleicht klappte es ja jetzt mit der Annäherung.

Als Cole nichts auf Andrews Frage erwiderte, sprang sie für ihn ein: „Nein. Cole ist gerade mit niemandem zusammen.“ Er hätte ihr schließlich erzählt, wenn er jemanden kennengelernt hätte, oder? Außerdem hatte Cole bisher nur wenige Beziehungen gehabt. Früher hatte sie ihn deswegen immer aufgezogen.

Doch zu ihrer Bestürzung sagte er: „Ehrlich gesagt … Ich habe es dir schon länger erzählen wollen …“ Er sah sie an und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Ihr Herzschlag passte sich dem Tempo schnell an. „Es gibt da jemanden. Jemand Besonderen.“

Wie bitte?! Sie musste sich verhört haben. „Du hast eine Beziehung? Mit jemand … Besonderem? Echt?“

Bei der Vorstellung verkrampfte sie sich unwillkürlich. Cole war also mit jemand Besonderem zusammen. Einer Frau, die ihm etwas bedeutete.

Und die Frau war nicht sie.

„Ja.“ Er erwiderte ihren Blick direkt, fast durchbohrend. „Es gibt da eine sehr wichtige Frau in meinem Leben. Sie ist vielleicht sogar … nein, ich habe keinen Zweifel. Sie ist die Richtige für mich.“

„Okay.“ Rachel schluckte. Sie hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. Sie wusste selbst, warum diese Neuigkeit ihr so zu schaffen machte. Cole und sie waren schließlich nur Freunde. Sie hatte das längst akzeptiert und sich anderweitig orientiert. „Na, das sind ja … tolle Neuigkeiten! Warum hast du mir nicht eher von ihr erzählt?“

Doch da sie selbst Andrew gegenüber Cole erst vor einer Woche erwähnt hatte, konnte sie ihm kaum Vorwürfe machen. Beziehungen waren eben Privatsache, und Cole war ein sehr verschlossener Mensch. Er hatte das Recht, Dinge für sich zu behalten. Trotzdem störte sie seine Heimlichtuerei. Sehr sogar.

Cole zuckte die Achseln. „Ich erzähle es dir ja jetzt.“

In diesem Augenblick summte Andrews Handy. „Ich muss da rangehen“, sagte er nach einem Blick auf das Display und stand auf. „Entschuldigt mich bitte für einen Augenblick.“

Rachel sah Andrew hinterher und richtete die Aufmerksamkeit dann wieder auf Cole. „Sprich weiter. Wie heißt sie? Und was meinst du damit, sie ist die Richtige für dich? Wann … hast du sie kennengelernt?“

„Ist doch egal.“ Cole beugte sich über den Tisch und nahm Rachels Hand. Die Wärme seiner Berührung vermochte die Kälte in ihrem Inneren nicht zu vertreiben. „Mich hat’s voll erwischt, Rachel. Ich habe mich rettungslos verliebt.“

„Das ist ein Witz, oder?“

„Wieso?“

Rachel sah ihm in die Augen, die ihr so vertraut waren. Augen, in denen sie schon so viele Gefühle gesehen hatte. In diesem Augenblick war sein Blick sehr intensiv. Eine Mischung aus Leidenschaft und Verzweiflung spiegelte sich darin, die sie mitten ins Herz traf. Mit anderen Worten … Liebe.

Er liebte diese Frau offensichtlich, sosehr ihr das auch missfiel. „Ich möchte die Frau kennenlernen, die es geschafft hat, Cole Fosters Herz zu erobern“, sagte sie. „Ich hätte nie damit gerechnet …“ Sie blinzelte. „Das ist einfach wundervoll. Ich freue mich so für dich.“

Cole beugte sich vor und küsste sie freundschaftlich – brüderlich – auf die Wange. „Tja, du bist mit Andrew zusammen und glaubst, er könnte der Richtige sein, während ich bereits die Richtige gefunden habe.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich habe das Gefühl, dieses Weihnachten könnte sehr interessant werden.“

„Genau … interessant.“ So konnte man das auch nennen.

„Du siehst etwas blass aus, Rach. Alles in Ordnung mit dir?“

„Na klar! Ich bin nur … müde.“ Sie trank einen Schluck Kaffee. „Du weißt ja, wie anstrengend Flüge sind.“

„Stimmt.“

Sie zermarterte sich den Kopf, womit sie das Gespräch fortsetzen sollte, aber ihr fiel nichts ein. Cole war also verliebt. Das war etwas Positives! Natürlich war es das. Sie hatte schließlich Andrew. „Also … Andrew müsste jeden Augenblick zurückkommen“, stammelte sie. „Der Anruf war vermutlich von seiner Firma.“

„Er arbeitet sogar im Urlaub? Er scheint ja beruflich ganz schön eingespannt zu sein.“

„Das ist er. Er … Sorry, dass er sich gerade nicht von seiner besten Seite gezeigt hat.“ Rachel wusste selbst nicht, warum sie das Bedürfnis verspürte, Andrew zu verteidigen. „Eigentlich ist er ein ganz toller Mensch.“

„Davon bin ich überzeugt.“

„Gib … gib ihm einfach eine Chance, bevor du ihn verurteilst. Mehr verlange ich nicht von dir.“

„Das mach ich. Die Kyle-Nummer war zwar ganz schön nervig, aber es ist nicht zu übersehen, dass du ihm viel bedeutest. Und das rechne ich ihm hoch an.“

„Dann … bist du also einverstanden mit ihm?“

„Du brauchst mein Einverständnis nicht, Rach“, erwiderte er ernst. „Das weißt du doch, oder?“

Rachel schüttelte den Kopf. Sie war immer noch ganz durcheinander von seiner Neuigkeit. „Ja. Natürlich.“

Cole lächelte. „Genauso wenig wie ich deins brauche.“

„Stimmt.“ Sie holte tief Luft. „Ich würde deine … Freundin wirklich gern kennenlernen. Ich meine, wenn sie bald ein Teil deines Lebens wird …“

„Ja, das wäre toll. Leider ist Cupcake – so nenne ich sie – etwas schüchtern. Es wird nicht leicht sein, sie zu einem Treffen zu überreden.“ Er schloss die Augen, als müsse er nachdenken. „Aber vielleicht wäre es okay für sie, wenn nur du mitkommst. Das ist weniger … einschüchternd, als wenn Andrew dabei ist.“

„Klar“, antwortete Rachel, ohne nachzudenken. Cupcake? Er nannte sie Cupcake?! Cole verwendete nie Kosenamen. Zumindest bis jetzt nicht. „Andrew kann dann einfach zu Hause bleiben.“

„Und das wird ihm nichts ausmachen?“ Cole schien wieder Bedenken zu haben. „Na, ich weiß nicht. Ich will euch keine zusätzlichen Probleme bereiten, wo ihr doch gerade versucht, eure Beziehung zu … kitten.“

„Mit uns ist alles in Ordnung, wir haben keine …“ Ach, egal. Sollte er doch denken, was er wollte. Außerdem hatte er gar nicht so unrecht. „Das wird kein Problem darstellen.“

Cole ließ nicht locker. „Ich will ihn aber nicht verärgern, indem ich zu viel von deiner Zeit in Anspruch nehme. So wie es aussieht, scheint er ziemlich eifersüchtig zu sein.“

„Er wird sich bestimmt wieder beruhigen, jetzt, wo er weiß, dass du eine Freundin hast“, sagte Rachel mit gepresster Stimme.

Cole zögerte einen Moment und nickte dann. „Okay, ich spreche mal mit ihr. Nimm dir in den nächsten Tagen lieber nicht zu viel vor. Es wird nicht leicht, meine Cupcake aus ihrem Schneckenhaus zu locken.“

Was Rachel bisher über die Frau gehört hatte, fand sie einfach nur schräg. Sympathisch klang es jedenfalls nicht, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich kann es kaum erwarten, sie kennenzulernen.“

„Ich wusste, dass du dich für mich freuen würdest.“ Cole zupfte Rachel am Haar, so wie sonst immer bei seiner Schwester Haley. „Danke, dass du eine so gute Freundin bist.“

„Freunde für immer“, wiederholte sie ihr Motto aus Kindertagen. Und gab dabei die letzte Hoffnung auf – eine Hoffnung, von deren Existenz sie bisher nichts geahnt hatte.

Warum war sie nicht nach Hawaii geflogen?

Als Andrew und Rachel eine Stunde später den Coffeeshop verließen, sah Cole ihnen schlecht gelaunt hinterher. Er wusste selbst nicht, was ihn geritten hatte, sich eine Freundin auszudenken, zumal Andrews Eifersucht ihn eher amüsierte als verärgerte.

Er war noch nicht mal auf Andrews herablassende Bemerkung zu seinem Job angesprungen. Rachel hatte das für ihn übernommen, und Andrews Entschuldigung hatte aufrichtig geklungen. Inzwischen verstand Cole besser, was Rachel an ihm fand. Er empfand sogar fast so etwas wie Sympathie für ihn … na ja, zumindest ein bisschen.

Nein, Cole wäre es nie in den Sinn gekommen, sich eine Frau auszudenken, als Andrew ihn fragte, ob er eine Freundin hätte. Bis Rachel die Frage an seiner Stelle mit einer solchen Selbstverständlichkeit verneinte, dass Cole sie am liebsten geschüttelt und ihr gesagt hätte, dass sie nicht alles über ihn wusste.

Aber wie dem auch sei – der Schachzug hatte funktioniert. Sie war förmlich gelb vor Eifersucht geworden.

Wenn sie einen anderen liebte, dürfte es ihr eigentlich nichts ausmachen, dass Cole eine Freundin hatte, oder? Doch die Neuigkeit hatte sie offensichtlich nicht kaltgelassen. Cole konnte nicht leugnen, dass ihn das mit einer gewissen Genugtuung erfüllte.

Zu schaffen machte ihm nur, dass er gelogen hatte. Wie sollte es jetzt weitergehen? Sollte er Rachel die Wahrheit gestehen oder das Spiel weiterspielen? Verdammt! Er hasste es zu lügen … Andererseits gab Rachels Reaktion ihm irgendwie recht.

Er stand auf, winkte Lola zum Abschied zu und trat nachdenklich in den kalten Dezemberabend hinaus. Was er gesagt hatte, war gar nicht gelogen – es gab eine besondere Frau in seinem Leben. Eine Frau, die er liebte – eine Frau, mit der er den Rest seines Lebens verbringen, mit der er Kinder haben und alt werden wollte.

Rachel nämlich.

In seinem Kopf nahm allmählich ein Plan Gestalt an. Er könnte seine echten Gefühle für Rachel nutzen und sie um Hilfe bitten, die „Frau seiner Träume“ zu umwerben. Wenn Rachels Gefühle für ihn tatsächlich mehr waren als nur Freundschaft, würde sie sich bestimmt früher oder später verraten, oder?

Das Ganze könnte allerdings auch nach hinten losgehen. Vielleicht trieb er sie damit erst recht in Andrews Arme.

Andererseits hatte er nichts zu verlieren. Wenn er gar nichts unternahm, änderte sich jedenfalls nichts.

Es schneite immer noch, als Cole zu seinem Pick-up ging, der vorm Sportgeschäft stand. Plötzlich verspürte er wieder jenen vorweihnachtlichen Zauber, den er dieses Jahr bisher so vermisst hatte. Und dieses Gefühl vertrieb seinen inneren Grinch.

Okay, das Spiel mit Rachel weiterzutreiben, war einen Versuch wert. Vielleicht ließ sich das Feuer zwischen ihnen so wieder entfachen.

Und wenn nicht? Sollte Rachel Andrew lieben und er sie glücklich machen, würde Cole sich ihnen nicht in den Weg stellen. Und dann könnte er endlich mit der Vergangenheit abschließen. Sich Rachel ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen … und frei für eine andere werden.

3. KAPITEL

Nachdem Rachel den letzten Teller in den Geschirrspüler gestellt hatte, drehte sie sich zu Andrew um, der nach einem Telefonat in die Küche zurückgekehrt war. „Was wollen wir heute unternehmen? Es schneit zu heftig, um Ski zu laufen, aber wir könnten durch die Stadt bummeln und einen Baum kaufen … oder Weihnachtseinkäufe machen. Was sagst du dazu?“

„Tut mir leid, Rachel, aber das war meine Firma. Es gibt ein paar Probleme mit einem potenziellen Kunden, um die ich mich kümmern muss.“

„Ach.“ Rachel unterdrückte einen Anflug von Enttäuschung. Andrew war ein viel beschäftigter Unternehmensberater, und sie hatte wegen seiner Arbeitszeiten schon öfter zurückstecken müssen. „Tja, du hast mich gewarnt, dass du vielleicht arbeiten musst. Gibt es ein ernstes Problem?“

„Kann sein. Es ist noch zu früh, das zu sagen, aber wir sollten wahrscheinlich …“

„… hierbleiben“, ergänzte Rachel. „Kein Problem! Wir können schon mal den Christbaumschmuck aus dem Keller holen oder uns ein paar alte Filme ansehen oder was zusammen spielen.“ Plötzlich kam ihr eine Idee. „Hey, hast du Lust, Weihnachtsplätzchen zu backen?“

„Du bist wirklich toll, weißt du das?“ Andrew legte sein Handy auf den Küchentresen und nahm sie in die Arme. „Du hast dich bisher nie über meinen Job beschwert. Ich finde das wundervoll an dir, Rachel.“

„Freut mich, dass dir das aufgefallen ist“, witzelte sie und küsste ihn auf eine Wange. „Dein Job ist manchmal echt eine Zumutung.“

„Ich weiß, dass du das so empfinden musst, weil du selbst so viel Zeit hast“, sagte er, wobei er darauf anspielte, dass Rachel nicht arbeitete. „Aber meine Firma ist gerade in einer wichtigen Umbruchphase. Wir wachsen rasant, was gut ist, aber es bringt natürlich eine Menge Arbeit mit sich. Wir brauchen nicht nur neue Kunden, sondern auch mehr Mitarbeiter.“

Andrews Bemerkung über ihre viele Freizeit versetzte ihr einen kleinen Stich, auch wenn sie wusste, dass er es nicht böse meinte. Sie war mit den zahlreichen Festen und Wohltätigkeitsveranstaltungen ihrer Eltern und gelegentlichen Kursen gut ausgelastet.

Doch Andrew hatte recht. Sie hatte definitiv mehr Zeit als er.

„Ich kann mich gut in dich hineinversetzen, deshalb nehme ich dir auch nichts übel.“ Sie freute sich über seine Dankbarkeit, aber seine ungeteilte Aufmerksamkeit wäre ihr lieber. Vor allem heute, an ihrem ersten gemeinsamen Tag in Steamboat Springs. „Und? Worauf hast du Lust? Backen, Weihnachtsdeko, ein Spiel oder einen Film?“

„Backen …“ Andrew drehte sich zu seinem Handy um, als er ein Summen hörte, doch es war Rachels Handy, das klingelte. „Geh ruhig ran. Ich durchsuche schon mal die Schränke nach den Zutaten.“

Rachel nickte und nahm das Gespräch an, ohne auf das Display zu sehen.

„Hi, Rach. Wie geht es dir so heute Morgen?“, hörte sie Cole jovial fragen.

Beim Klang seiner tiefen warmen Stimme schmolz sie dahin wie Butter in der Sonne. „Wunderbar“, antwortete sie betont fröhlich. „Und dir?“

„Gut. Sehr gut sogar. Hör mal, du hast bestimmt schon etwas vor, aber ich wollte dich trotzdem fragen, ob wir uns nicht zum Mittagessen treffen wollen.“

„Mittagessen? Heute?“ Als sie sah, dass Andrew inzwischen das Mehl und den Zucker gefunden hatte, zeigte sie auf den Schrank mit den Rührschüsseln. „Du meinst, nur wir beide? Oder wird deine bessere Hälfte uns Gesellschaft leisten?“ Nie im Leben würde ihr der Spitzname „Cupcake“ über die Lippen kommen.

„Ich glaube schon, dass sie mitkommt.“

„Echt? So schnell konntest du sie überzeugen? Ich dachte, sie ist so schrecklich schüchtern. Oder habe ich da etwas missverstanden?“

„Was soll ich sagen? Frauen sind mir einfach ein Rätsel. Immer wenn ich denke, ich habe sie durchschaut, ändern sie den Kurs, und ich muss wieder von vorn anfangen.“ Cole seufzte theatralisch. „Ich muss schon sagen, ihr seid wirklich verwirrend. Meistens redet ihr in irgendeinem Geheimcode und lasst uns arme Kerle im Dunkeln tappen.“

„Ach ja? Ihr ‚armen Kerle‘ beherrscht die Welt, ruft nicht an, obwohl ihr gesagt habt, dass ihr es tut, und dann zerbrechen wir armen Frauen uns den Kopf, was wir falsch gemacht haben … und was wir tun können, um euer Verhalten zu ändern.“

„Schätzchen“, sagte Cole gedehnt, „es mag ja vielleicht so aussehen, als würden wir Männer die Welt beherrschen, aber in Wirklichkeit beherrscht ihr uns. Euer Team hat bei jeder Diskussion die Oberhand. Frag nur Andrew, falls du mir nicht glaubst.“

„Das mach ich.“ Hm … Wenn das stimmte, warum hatte sie dann immer das Gefühl, auf der Verliererseite zu stehen?

„Was ist nun mit dem Mittagessen?“, hakte Cole nach.

„Also …“ Rachel wusste nicht recht, ob sie schon bereit dazu war, Coles Cupcake kennenzulernen. „Andrew und ich backen gerade Weihnachtsplätzchen, und das könnte … eine Weile dauern. Daher weiß ich nicht, ob ich heute …“

„Geh nur, Rachel“, sagte Andrew. „Ich werde wahrscheinlich sowieso arbeiten müssen. Aber ein Blech schaffen wir bestimmt.“

„Einen Moment mal“, sagte sie zu Cole und deckte ihr Handy mit einer Hand ab. „Bist du sicher? Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs sein werde.“

„Du triffst dich mit Cole und seiner Freundin, oder?“

„Ja.“

„Dann bin ich mir sicher.“ Andrew zog eine Schublade auf und nahm einen Messbecher heraus. „Dann kommst du aus dem Haus, und ich kann mich auf meine Arbeit konzentrieren, ohne mich schuldig zu fühlen. Klingt nach einer Win-win-Situation. Für alle Beteiligten.“

„Stimmt. Win-win.“ Rachel nickte, doch innerlich war sie niedergeschlagen … und irgendwie enttäuscht. Sie legte das Handy wieder ans Ohr. „Das klappt, Cole. Wann und wo sehen wir uns? Bei Foster’s?“ Sie meinte das Restaurant der Familie.

„Nein“, antwortete Cole nach kurzem Zögern. „Lass uns zu Dee’s Deli gehen. Sagen wir, um eins?“

„Okay. Bis später dann.“ Rachel legte auf und lächelte Andrew geistesabwesend zu. Er legte gerade sämtliche Utensilien auf dem Tresen zurecht. Irgendwie süß. Und … häuslich. „So, alles geklärt.“

„Gut. Freust du dich schon, Coles bessere Hälfte kennenzulernen?“

„Ich bin vor allem neugierig. Und ob sie wirklich seine bessere Hälfte ist, wird sich erst noch herausstellen.“ Ihre törichte Gereiztheit brach sich plötzlich Bahn. „Er nennt sie Cupcake. Cupcake! Ist das nicht total lächerlich?“

Andrew musterte sie aufmerksam. „Warum regst du dich so auf? Ist es nicht egal, wie er sie nennt?“

„Ich rege mich nicht auf. Ich bin nur …“ Sie seufzte. „Du hast recht, es ist eigentlich völlig egal. Wahrscheinlich bin ich nur nicht daran gewöhnt, dass Cole eine Freundin hat.“

„Kann ich verstehen.“ Andrew ging zu ihr und küsste sie auf die Stirn. „Vergiss ihn und seine Cupcake einfach und lass uns Plätzchen backen.“ Er grinste. „Das habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr getan. Vielleicht wird das ja eine neue Tradition bei uns.“

„Klingt gut.“

„Nicht wahr?“ Andrew wurde unvermittelt ernst. „Tut mir leid, dass mir die Arbeit mal wieder dazwischenfunkt. Und dass ich Cole gegenüber gestern so unhöflich war. Verzeihst du mir?“

„Natürlich. Aber da gibt es nichts zu verzeihen.“

Rachel konnte seinen eindringlichen Blick und seine lieben Worte nicht mehr ertragen und drehte sich um. Sie nahm die Ausstechförmchen aus einer Schublade und legte sie auf den Tresen, bevor sie nach dem Backbuch griff. „Lass uns eine neue Tradition ins Leben rufen.“

Andrew sah sie immer noch aufmerksam an, hakte jedoch nicht weiter nach, sondern stellte sich neben sie.

Rachel versuchte verzweifelt, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren und die Zeit mit Andrew zu genießen, aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Ja, verdammt, es störte sie, wie Cole seine Freundin nannte! Warum hatte er nicht ihren richtigen Namen erwähnt? Und wieso hatte er ausgerechnet Dee’s zum Essen vorgeschlagen?

Vielleicht gab es dafür ja eine Erklärung. Vielleicht hatte Coles Familie etwas gegen Cupcake. Oh Gott, das hieß dann ja …

Rachels Magen krampfte sich wieder schmerzlich zusammen. Falls ja, musste Cole diese Frau wirklich lieben. Seine Familie und die Meinung seiner Eltern und Geschwister waren ihm zu wichtig, um mit einer Frau zusammenzubleiben, für die er keine echten Gefühle hatte.

Seufzend versuchte sie, diese deprimierenden Gedanken zu verdrängen. Sie musste sich auf die Gegenwart konzentrieren. Auf Andrew.

Denn dort lag vielleicht ihr künftiges Glück.

Cole stand vor Dee’s Deli mit einer Take-away-Schachtel in einer Hand und wartete auf Rachel. Ehrlich gesagt war es ein bisschen zu kalt für ein Picknick, aber er konnte Rachel unmöglich mit zu Foster’s nehmen – nicht, bevor er mit seiner Familie gesprochen hatte.

Sein ganzer Plan würde ruiniert sein, wenn Rachel sich zufällig bei seinen Eltern nach seiner Freundin erkundigte. Und Cole wusste nicht, ob er das Theater überhaupt durchziehen konnte. Aber ohne die Hilfe seiner Familie ging es erst recht nicht. Er nahm sich fest vor, noch heute Abend mit den anderen zu reden.

Bis dahin würde ein Winterpicknick als Erklärung für seine Entscheidung, zu Dee’s zu gehen, reichen. Dann musste er Rachel nur noch erklären, warum Cupcake nicht mitkam, aber ihm würde schon etwas einfallen. Zumindest hoffte er das.

Für ein paar Sekunden hatte er mit sich gerungen, ob er Rachel nicht einfach seine wahren Gefühle gestehen sollte. So wie ursprünglich geplant, bevor Andrew auf der Bildfläche aufgetaucht war. Doch er hatte die Idee sofort wieder verworfen, da er die Vorstellung einfach nicht ertragen konnte, zurückgewiesen zu werden, während ein anderer Mann im Spiel war, so albern man das auch finden konnte.

So behielt er zumindest ein bisschen die Kontrolle … und bewahrte sich einen winzigen Rest Würde. Wenn Rachel nicht anbiss, würde er so oder so Bescheid wissen, ohne dass sie auch noch auf seinem Herzen herumtrampelte. Nach ihrer Rückkehr nach New York würde er ihr dann einfach erzählen, dass seine Beziehung mit Cupcake vorbei war.

Rachel und er würden Freunde bleiben. Sie würde nie die Wahrheit erfahren, und eines Tages würde er vielleicht eine andere Frau kennenlernen, mit der er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen konnte.

Als Rachel in diesem Augenblick die Straße überquerte – so in Gedanken versunken, dass sie ihrer Umgebung keine Beachtung schenkte –, wusste Cole jedoch, dass es für ihn nie eine andere Frau geben würde.

Zumindest nicht in diesem Leben.

Kurz bevor Rachel das Haus verließ, hatte Andrew sich mit seinem Laptop und seinem Handy ins Arbeitszimmer ihres Vaters zurückgezogen. Die Plätzchen waren fertig und sollten nach Rachels Rückkehr mit Zuckerguss überzogen werden. Andrew hatte versprochen, mit ihr abends einen Baum kaufen zu gehen – falls er seine Arbeit schaffte. Falls nicht, dann eben am nächsten Tag oder am Tag danach.

Sie hatten noch jede Menge Zeit. Weihnachten war erst in knapp zwei Wochen, weshalb ein paar Tage mehr oder weniger keinen Unterschied machten.

Aber irgendwie machten sie doch einen.

Rachel hatte ihre fehlende Weihnachtsstimmung bisher darauf geschoben, dass sie einfach noch zu verwirrt war. Weihnachten war immer ihr Lieblingsfest gewesen und die Adventszeit ihre liebste Zeit im Jahr. Sie wollte wieder jene Freude und jenen Zauber spüren, die sie sonst immer so mühelos empfunden hatte.

Und dazu gehörte, möglichst früh einen perfekten Baum zu kaufen.

Der Weihnachtsbaum war das Zentrum der Feiertage. Man legte seine Geschenke darunter, betrachtete die Lichter und sang vielleicht sogar ein paar Weihnachtslieder. Man schmückte ihn festlich und rief sich dabei vergangene Feste in Erinnerung.

Der Baum war das Wichtigste am Weihnachtsfest. Natürlich konnte sie auch allein einen kaufen, wie sie es schon öfter gemacht hatte. Aber wenn sie sich unsterblich in Andrew verlieben wollte, musste sie das mit ihm zusammen tun. Eine weitere Tradition ins Leben rufen. Aber dafür musste er erst mal Zeit für sie finden.

Sie fragte sich allmählich, ob es für ihn nicht sinnvoller gewesen wäre, bis kurz vor Weihnachten in New York zu bleiben. Sie wusste, dass er Jobprobleme gern vor Ort löste. Vermutlich wäre er jetzt viel lieber im Büro als bei ihr.

Sei nicht so pessimistisch, schimpfte sie mit sich selbst. Du hast keine Ahnung, was in ihm vorgeht.

Das stimmte natürlich. Aber sie wusste, wie sie sich fühlte.

Und außerdem würde es ihr viel leichter fallen, ihr völlig unbegründetes Genervtsein und ihr Gefühlschaos wegen Cole in den Griff zu kriegen, wenn sie sich nicht auch noch Gedanken wegen Andrew machen müsste …

Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie Cole erst sah, als sie direkt in ihn hineinrannte und er sie festhalten musste, damit sie nicht auf dem glatten Bürgersteig ausrutschte. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. „Sorry, ich habe dich gar nicht gesehen.“

„Ist mir schon aufgefallen“, bemerkte er trocken. Seine dunkelbraunen Augen funkelten amüsiert … und spiegelten etwas wider, das Rachel nicht näher bezeichnen konnte. „Du solltest besser aufpassen, sonst rennst du noch gegen eine Wand.“

Das wäre nicht das erste Mal. „Danke für die Warnung.“

„Tja, so bin ich eben. Eine nie versiegende Quelle guter Ratschläge. Alles okay mit dir?“

„Klar.“ Beruhige dich, schärfte Rachel sich und ihrem galoppierenden Puls ein. Das hier war Cole. Ihr Freund. Ihr guter Freund. „Warum stehst du eigentlich hier draußen?“

„Ich warte auf dich.“

Rachel hob eine Augenbraue. „Noch mal: warum hier draußen?“ Wollte er ihr vielleicht etwas sagen, das er im Beisein seiner Freundin nicht sagen konnte … oder wollte? „Gibt es ein Problem?“

„Nein, gar nicht.“ Grinsend hielt Cole die Schachtel mit ihrem Lunch hoch. „Ich dachte nur, wir essen heute an der frischen Luft. Cupcake liebt Winterpicknicks, und ich mache ihr gern eine Freude.“

„Wie … nett.“ Rachel war auch gern an der frischen Luft, aber mal im Ernst – ein Picknick mitten im Winter?!

„Sie steht total darauf.“ Er musterte sie aufmerksam. „Aber wenn dir die Idee nicht gefällt, hat Cupcake sicherlich Verständnis. Sie hat heute allerdings nur wenig Zeit, deshalb müssen wir dieses Treffen vielleicht auf ein ander…“

„Nein!“, rief Rachel viel zu laut. Autsch. „Ich liebe Winterpicknicks, Cole!“, fügte sie etwas leiser hinzu und sah sich suchend um. „Ich nehme an, wir treffen sie … wo auch immer das Picknick stattfindet?“

„Richtig geraten. Ich wusste deine überragende Beobachtungsgabe immer schon zu schätzen.“

„Wie witzig!“

Cole zwinkerte ihr frech zu und hakte sich bei ihr unter. „Wir sollten allmählich losgehen, bevor du hier noch festfrierst.“

„Mir ist warm genug, aber klar … lass uns gehen“, sagte Rachel betont munter. „Wir wollen Cupcake schließlich nicht warten lassen.“

„Nein, das wäre unhöflich.“ Er schlenderte los.

„Wie heißt sie eigentlich richtig?“, erkundigte Rachel sich, als sie sich der Grundschule näherten. Hm. Wenn sie hier aßen, war Coles Freundin vielleicht Lehrerin? „Es ist auf die Dauer etwas ermüdend, sie wie ein Törtchen zu nennen … oder einfach nur unspezifisch ‚sie‘. Also spuck’s aus, Cole. Wie heißt sie richtig?“

„Es treibt dich in den Wahnsinn, dass du nicht weißt, wer sie ist, oder? Da“, sagte Cole und zeigte auf den Schulhof. „Ich fege den Schnee von einer Bank, und dann können wir es uns gemütlich machen.“

„Cole!“, sagte Rachel genervt und … okay, ein bisschen wahnsinnig. „Wie heißt sie?“

„Du fragst dich jetzt bestimmt, warum ich dir das noch nicht gesagt habe, hm? Und hast schon jede Menge Theorien. Zum Beispiel, dass meine Familie etwas gegen sie hat?“

„Ist das denn so?“

„Sie können sie gut leiden, Rachel.“ Cole zuckte die Achseln, wobei ihm das schwarze Haar in die Stirn fiel. Es juckte sie in den Fingern, es zurückzustreichen. „Aber ich kann dir ihren Namen nicht verraten.“

„Du … kannst mir den Namen deiner Freundin nicht verraten?“ Rachel riss ihren Arm los und stützte die Hände in die Hüften. „Das ist doch völlig absurd!“

„Nur weil du meine Gründe noch nicht kennst.“ Cole reichte ihr die Schachtel mit dem Essen. „Gib mir eine Minute Zeit, und dann erkläre ich dir alles. Beim Mittagessen.“

Es war ein Donnerstag, aber der Schulhof war leer. Zu kalt und zu viel Schnee. Rachel schirmte mit einer Hand die Augen vor der Sonne ab und sah sich nach der Frau um, die sie treffen sollten. Keine Spur von Cupcake. Müsste sie nicht inzwischen hier sein? „Sie kommt anscheinend nicht. Aber das war sowieso nicht vorgesehen, oder, Cole?“

Cole wurde ernst. „Nein, sie kommt nicht. Ich habe das Treffen mit ihr nur als Vorwand genutzt, damit wir unter uns sind. Ohne Andrew.“

„Ich verstehe.“ Rachel zählte innerlich bis zehn. „Warum?“

„Weil ich deine Hilfe brauche.“

„Du brauchst Hilfe?“

„Musst du immer das, was ich sage, als Frage wiederholen?“

Sie klopfte ungeduldig mit einem Fuß auf den Boden. Und wartete.

„Die Situation ist folgendermaßen, Rachel.“ Cole legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr direkt in die Augen. „Ich will dieser Frau, die ich liebe, Weihnachten einen Antrag machen. Aber ich habe ein paar … sagen wir mal … Probleme, sie davon zu überzeugen, dass das mit uns eine Zukunft hat. Ich brauche deinen Rat, damit ich ihr so romantisch den Hof machen kann, dass sie Ja sagt.“

„Antrag? Du meinst einen … Heiratsantrag?“, fragte Rachel erschrocken. „Dieses Weihnachten?“

„Das ist mein Ziel, ja. Und deshalb kann und will ich dir ihren Namen nicht verraten. Ich will nicht, dass du mit einer vorgefassten Meinung an die Sache herangehst.“ Cole lächelte schwach. „Ich brauche jemanden, der objektiv bleibt.“

Rachel schluckte und trat einen Schritt zurück. „Und wenn ich ihren Namen weiß, befürchtest du … was? Dass ich irgendetwas erfahre, das mich davon abhält, dir bei deinem … Hofieren zu helfen? Nur weil ich ihren Namen kenne?“

„Ganz genau! Na ja, du könntest ihr zufällig in der Beanery oder bei Foster’s über den Weg laufen. Wenn du ihren Namen nicht kennst, fällt sie dir auch nicht auf, verstehst du? Oder du kriegst mit, dass Leute über sie reden, und wirst hellhörig.“ Er lächelte selbstzufrieden, als würde seine Erklärung ihm außerordentlich gefallen. „So musst du dich auf das verlassen, was ich dir sage.“

„Ich verstehe.“

„Ich wusste es.“ Cole nahm Rachels Hand und drückte sie. „Diese Frau ist etwas Besonderes, deshalb will ich alles richtig machen. Sie verdient so unendlich viel mehr, als ihr bewusst ist, und ich will derjenige sein, der es ihr gibt.“

Wow. Einfach nur … wow.

„Ich glaube, ich verstehe doch nicht ganz“, stieß Rachel hervor. „Wenn ihr euch liebt, wozu brauchst du dann Hilfe? Und ausgerechnet von mir?“

Cole fegte den Schnee von einer Bank und forderte Rachel mit einer Handbewegung auf, sich hinzusetzen, doch sie blieb stehen. Sie wollte erst eine Antwort.

„Sie hatte in der Vergangenheit … ein paar Probleme mit Männern. Und eine schwierige Kindheit. Und deshalb hat sie diese Mauer um sich herum errichtet.“ Cole wandte den Blick ab. „Ich fürchte, sie wird mir davonlaufen, wenn ich nicht aufpasse, und das kann ich auf keinen Fall riskieren, Rach.“

„Ach.“ Plötzlich wusste Rachel, worauf er hinauswollte. Sie begann zu zittern, bevor sie den Mut aufbrachte, das Offensichtliche zu sagen. „Klingt ganz nach mir, oder?“

Er nickte.

Ihr schossen die Tränen in die Augen. Rasch blinzelte sie sie weg. „Dann soll ich dir also deshalb helfen? Weil du glaubst, dass ich dir am ehesten raten kann, wie man diese Mauer überwindet?“

„Deshalb … und weil du meine beste Freundin bist.“

„Stimmt. Beste Freundin.“ Tja, wenigstens war er ehrlich. „Ich … das kommt ganz schön überraschend.“

Cole musterte sie eindringlich. Seine angespannte Haltung und seine zusammengepressten Lippen verrieten ihr, wie wichtig ihm das hier war. „Du brauchst mir nicht sofort zu antworten. Ich weiß, dass ich viel von dir verlange, zumal du dadurch vielleicht weniger Zeit mit Andrew hast. Lass dir also Zeit.“

Rachel schloss die Augen und versuchte, sich eine Ausrede einfallen zu lassen. Sie konnte Coles Einwand nutzen und Andrew vorschieben, doch seit heute Morgen hatte sie irgendwie das dumpfe Gefühl, dass Andrew in den nächsten Tagen sowieso nicht viel Zeit für sie haben würde.

Oder sie konnte Cole einfach sagen, dass ihr diese Aufgabe zu unangenehm war. Oh Gott, war das alles schrecklich! Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Sie wollte das hier nicht, wollte Cole – von dem sie sich so viel erhofft hatte – nicht dabei helfen, eine andere Frau zu erobern … Die Frau, die er heiraten wollte.

Es wäre ganz klar das Beste, Nein zu sagen.

Auf der anderen Seite hatte sie Cole schon mal im Stich gelassen, als er sie dringend brauchte. Aus Angst und weil alles so kompliziert war … und weil sie noch ganz andere Probleme hatte, die sie ihm nie richtig erklärte. Weil sie sie selbst nicht verstand. Damit hatte sie ihn tief verletzt. Verdammt, sie hatte ihnen beiden geschadet … dem, was hätte zwischen ihnen sein können, und ihrer Freundschaft.

Nein, diesen Fehler würde sie nicht noch mal machen. Ganz egal wie schwer es ihr fallen würde, Cole zu helfen – sie konnte ihm seine Bitte nicht abschlagen. Also ignorierte Rachel ihren inneren Widerstand und fügte sich in ihr Schicksal. Cole Foster und Rachel Merriday würden Freunde bleiben. Freunde für immer.

„Na schön.“ Sie öffnete die Augen. „Dann lass uns mal sehen, was wir tun können, um dich unter die Haube zu bringen“, sagte sie mit aufgesetzter Fröhlichkeit. „Betrachte es …“, sie holte tief Luft, „… als mein Weihnachtsgeschenk.“

Er umarmte sie so stürmisch, dass ihr die Luft wegblieb. Sie konnte seine Körperwärme durch ihre Jacken spüren. „Danke“, flüsterte er. „Ich würde es nicht ohne dich schaffen.“

4. KAPITEL

Nachdem Cole seine Familie in seine Pläne eingeweiht hatte und seine Eltern und Geschwister sich bereit erklärt hatten, Rachel so gut es ging aus dem Weg zu gehen und bei etwaigen Begegnungen nicht auf deren Fragen einzugehen, verabredete er sich für den nächsten Tag mit Rachel, um mit ihr shoppen zu gehen.

Für Cupcake.

Er wollte seiner „Freundin“ bis Weihnachten ein vorzugsweise romantisches und persönliches Geschenk täglich machen – eine Art Countdown, bis er auf die Knie fallen und seinen Antrag machen würde. Die Geschenke würden natürlich alle auf irgendeine Weise einen Bezug zu Rachel haben. Einen Bezug zu ihnen.

Rachel würde daher ironischerweise Geschenke für eine „Freundin“ aussuchen, hinter der sich in Wirklichkeit sie selbst verbarg. Würde sie irgendwann darauf kommen? Vielleicht nicht. Die meisten Menschen hatten eine ganz andere Wahrnehmung von sich selbst, als andere sie hatten.

Aber Rachel war nicht auf den Kopf gefallen. Es konnte gut sein, dass sie sich selbst in Coles Beschreibung seiner „Freundin“ wiedererkennen und ihn damit konfrontieren würde. Nach seinem Geständnis würde sie ihn dann nur mitleidsvoll anlächeln und achselzuckend erklären, geschmeichelt zu sein, aber Andrew zu lieben – was ihm doch hätte klar sein müssen.

Anstatt ins Einkaufszentrum zu fahren, hatte Cole beschlossen, sich auf die kleinen Läden in Steamboat Springs zu konzentrieren. Was vielleicht riskant war. Die bloße Erwähnung seiner „Freundin“ einem ihnen zufällig begegnenden Freund oder Bekannten gegenüber konnte seinen Plan sofort zunichtemachen. Aber das Einkaufszentrum war nun mal nicht sehr romantisch. Kein Vergleich zu den charmanten, weihnachtlich geschmückten Straßen und Gassen.

„Und wie gehen wir vor?“, fragte Rachel sachlich. Offensichtlich nahm sie ihre Aufgabe, ihm zu helfen, sehr ernst. Cole wusste nicht genau, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. „Wir könnten natürlich einfach durch die Läden bummeln und uns inspirieren lassen, oder wir gehen erst mal einen Kaffee trinken, notieren uns sämtliche Ideen und haken eine nach der anderen ab. Ich wäre für Letzteres. Dann sind wir schneller fertig.“

„Aber das macht nur halb so viel Spaß.“ Cole hatte nicht die Absicht, schnell fertig zu sein. Er hatte gehofft, den ganzen Nachmittag mit Rachel zu verbringen, nicht nur ein paar Stunden. „Ich bummle lieber mit dir herum. Außerdem“, fügte er grinsend hinzu, „kann ich dabei auch dir helfen.“

Rachel sah ihn verwirrt an. „Wobei?“

„Bei deinen Weihnachtseinkäufen natürlich. Du hast bestimmt noch nicht alle Geschenke beisammen. So wie ich dich kenne, wartest du wieder bis zur letzten Sekunde.“

Sie zuckte die Achseln. „Stimmt, aber ich bin noch nicht so weit. Mein Baum steht noch nicht.“

„Und du kannst nicht einkaufen, bevor du nicht weißt, wo du die Päckchen hinlegen sollst, oder? Dann lass uns das doch heute gleich mit erledigen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Ich habe Andrew versprochen, den Baum mit ihm zusammen zu besorgen. Vielleicht heute Abend. Oder morgen. Oder … demnächst eben.“

Cole merkte ihr an, dass sie enttäuscht war. Er wusste, wie sehr Rachel Weihnachten und alles, was damit zusammenhing, liebte – auch das Dekorieren.

„Hey, Kopf hoch. Wenn Andrew in den nächsten zwei Tagen keine Zeit findet, hat er bestimmt nichts dagegen, wenn wir das zusammen machen. Wie du selbst gesagt hast, ist er ein toller Mann, und tolle Männer wollen ihre Freundinnen glücklich machen. Stimmt’s?“

„Stimmt.“

„So, und jetzt legen wir los.“ Er rieb sich die Hände. „Das wird lustig, versprochen.“

„Klar doch. Lustig. Ich kann’s kaum erwarten.“ Sie blinzelte ein paarmal.

„Ich auch nicht. Gut, dass wir uns einig sind.“

Argwöhnisch sah sie ihn an. „Bist du krank? Oder … keine Ahnung, verblendet? Du hasst doch shoppen genauso wie ich!“

„Normalerweise schon“, räumte er ein und nahm sie an der Hand. „Aber diesmal ist es etwas Besonderes, und außerdem ist Weihnachten.“

„Eindeutig krank.“ Sie lächelte gezwungen. Cole nahm sich vor, ihr im Laufe des Tages ein echtes Lächeln zu entlocken. „Tja, Mr. Weihnachtsstimmung, dann lass uns mal loslegen. Es ist eiskalt hier draußen.“

Es lag ihm auf der Zunge, diverse Aufwärmmethoden vorzuschlagen, doch er verzichtete darauf. Leider fiel es ihm schwerer, seine entsprechenden Fantasien zu verdrängen.

Schweigend und Hand in Hand schlenderten sie den Bürgersteig entlang. Es fühlte sich irgendwie … natürlich an. So selbstverständlich.

Als sollte es so sein.

Gäbe es nicht eine erfundene Freundin und einen sehr reellen Mann, der zu Hause auf Rachel wartete.

Beim Gedanken an Andrew bekam Cole ein schlechtes Gewissen. „Und? Was treibt Andrew heute so? Ist es okay für ihn, dass du jetzt hier bist?“

„Ja, er muss sowieso arbeiten. Anscheinend ist er der Einzige in seiner Firma, der fähig ist, Probleme zu lösen.“ Sie blieb stehen und schüttelte schuldbewusst den Kopf. „Sorry, das ist nicht fair von mir. Andrew hat schon vorher angekündigt, hier arbeiten zu müssen. Und ja, er ist einverstanden. Er hat gesagt, er sei sogar erleichtert, dass ich einen ‚Zeitvertreib‘ habe, während er damit beschäftigt ist, die aktuellste Krise abzuwenden.“

„Aha. Dann hattest du also recht damit, dass seine Eifersucht nachlassen wird.“

„Sieht ganz danach aus.“

„Tja, das sind doch gute Neuigkeiten.“

„Stimmt schon. Es ist nur irgendwie … irritierend, nachdem er sich dir gegenüber so komisch benommen hat.“

„Irritierend, weil du es vorziehen würdest, wenn Andrew eifersüchtig auf unsere Beziehung wäre?“

Sie ging weiter. „Ja. Nein. Ich meine, nicht direkt auf unsere Beziehung, aber weil ich den ganzen Tag mit einem gut aussehenden, sexy Mann verbringe. Das sollte ihm doch irgendwie zu schaffen machen, oder?“

„Du findest also, ich sehe gut aus? Und bin sexy?“

Sie verdrehte genervt die Augen. „Das dürfte dich ja wohl kaum überraschen. Erinnerst du dich nicht mehr an die weiblichen Fans, die dir ihre Slips in die Hosentasche gesteckt haben? Oder die mit nichts weiter als einem Mantel bekleidet vor deiner Hoteltür standen? Ja, du siehst gut aus.“

„Hey, das mit den Slips ist nur einmal passiert.“

„Drei Mal. Einmal hier, einmal in Vail und einmal in Aspen.“

Verdammt, ihre Erinnerung war besser als seine. „Aber das mit dem Hotel war nur … ach, egal“, sagte er, als ihm auf Anhieb sechs Gelegenheiten einfielen. Obwohl er nicht widerstehen konnte hinzuzufügen: „Diesmal hast du nicht sexy gesagt. Nur gut aussehend.“

Sie murmelte etwas Abfälliges über Männer und ihre Egos. „Okay, du bist auch sexy. Lieber Gott! Bist du jetzt zufrieden?“

„Und wie. Aber vor allem freue ich mich, dass Andrew dir keine Probleme macht.“ Als sie um eine Ecke bogen, zeigte er auf einen Laden, in dem man Kunsthandwerk „made in Steamboat Springs“ bekam. „Lass uns doch hier anfangen“, schlug er vor.

Die Glocke über der Tür bimmelte, als sie eintraten, und natürlich schallte ihnen auch hier die unvermeidliche Weihnachtsmusik entgegen. Der Laden war relativ leer; nur eine Handvoll Kunden sahen sich um. Zu seiner Erleichterung kannte Cole niemanden. Ja, das hier war der ideale Ausgangspunkt.

Rachels Augen leuchteten auf. „Ich liebe diesen Laden“, sagte sie. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet und ihre Lippen so herrlich rot, dass Cole sie am liebsten küssen wollte. Der Wind hatte ihr das Haar zerzaust. Wunderschön.

So wunderschön, dass sein Kopf plötzlich wie leer fegt war. So sah sie wahrscheinlich nach dem Sex aus. Zerzaust und … Augenblicklich spürte er ein lustvolles Ziehen in der Leistengegend. Seine Fantasien von gerade eben kehrten zurück und raubten ihm die Fähigkeit, klar zu denken, zu sprechen und … verdammt noch mal, zu atmen.

„Ist sie eine Künstlerin?“, fragte Rachel.

„Äh … wer?“ Wenn er nur einen Schritt auf sie zugehen würde, könnte er sie küssen. Sein Wunsch, nein, sein Verlangen danach wurde überwältigend. Fast hätte er die Selbstbeherrschung verloren. Doch in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, von wem sie sprach … und warum sie überhaupt hier waren.

Wegen seiner Freundin … Cupcake. Gott steh ihm bei! „Nein, ist sie nicht“, sagte er heiser.

„Sammelt sie etwas?“

„Nein.“

Rachel sah sich unschlüssig in dem kleinen Laden um, was Cole Zeit gab, sich wieder zusammenzureißen. Mental und körperlich. Er wendete eine Konzentrationstechnik aus seiner Profi-Zeit im Skizirkus an, verlangsamte seinen Atem, entspannte bewusst die Muskeln und stellte sich sein Ziel bildlich vor.

Früher war es ihm nur um den Sieg gegangen. Jetzt ging es ihm um eine Zukunft mit Rachel. Er konnte ihr künftiges gemeinsames Leben förmlich vor sich sehen, voller Liebe und gegenseitiger Unterstützung.

Als Rachel sich zu ihm umdrehte, hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Suchst du hier etwas Bestimmtes?“, fragte sie.

„Nein, wir wollten uns doch beim Bummeln inspirieren lassen, weißt du noch?“

„Stimmt.“ Sie seufzte tief. „Hast du zumindest irgendwelche Ideen, was du ihr schenken könntest? Damit ich eine Basis für irgendwelche Tipps habe?“

„Nein, keine einzige“, entgegnete er ungerührt

Sie biss sich auf die Unterlippe. Genervt, wie Cole annahm. „Kann sie irgendetwas gebrauchen? Ist dir das mal aufgefallen, als du bei ihr warst?“

„Hm.“ Cole runzelte mit gespielter Nachdenklichkeit die Stirn. „Ehrlich gesagt könnte sie einen neuen Staubsauger gebrauchen. Aber hier werden wir keinen finden. Vielleicht sollten wir zum Elektrofachmarkt fahren?“

Ungeduldig aufstöhnend löste Rachel ihre Hand aus seiner. „Du Idiot!“, schimpfte sie, lächelte dabei jedoch ihr erstes aufrichtiges Lächeln an diesem Tag. Ein wunderschönes Lächeln. „Was, bitte sehr, ist denn daran romantisch?“

„Du hast mich gefragt, ob sie etwas braucht“, protestierte er. Insgeheim amüsierte er sich köstlich. „Sie braucht einen. Und wieso bin ich jetzt ein Idiot?“

„Das ist ein viel zu praktisches Geschenk!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich meine etwas … Hübsches, Weibliches. Kerzen. Oder so etwas.“ Sie zeigte auf einen Stapel Quilts.

Cole kratzte sich am Kinn, als verwirre sie ihn komplett. „Dann soll ich ihr also keinen Staubsauger kaufen, obwohl sie dringend einen braucht?“

„Willst du sie heiraten, oder soll sie dir das Haus putzen?“

„Wie wär’s mit beidem?“, fragte er augenzwinkernd.

Rachel versetzte ihm einen Knuff. „Idiot“, wiederholte sie. „Verrat ihr das bloß nicht, wenn du ihr den Antrag machst. Es sei denn, du willst nicht, dass sie Ja sagt.“

„Siehst du? Ich wusste, dass du mir tolle Tipps geben würdest. Genau das, was ich brauche.“ Da er nicht länger widerstehen konnte, trat er einen Schritt vor und küsste sie. Nur auf die Stirn natürlich. „Hilf mir, Rach. Ich habe keine Ahnung, was Frauen wollen.“

„Ich hab’s dir doch schon versprochen, oder?“ Sie biss sich wieder auf die Unterlippe. „Aber ich brauche einen Namen. Cupcake ist unerträglich. Denk dir von mir aus einen aus. Wie Hortense oder … Ingrid.“

„Klar.“ Er unterdrückte ein Lachen. „Wie wär’s mit Bambi? Oder … hm … Jezebel? Cocoa?“

„Nein, etwas Normales. Etwas, das nicht nach Schlampe klingt oder … oder nach einem Reh.“

Cole musste lachen. „Okay, mal sehen …“ Er spielte mit dem Gedanken, Rachels zweiten Vornamen vorzuschlagen, aber das wäre zu offensichtlich. Stattdessen entschied er sich für die ersten zwei Silben ihres Nachnamens. Merriday. Mary. Perfekt. „Sagen wir mal, sie heißt Mary. Das passt außerdem gut zur Weihnachtszeit. Ist der Name normal genug für dich?“

„Ja. Gute Entscheidung.“ Blinzel, blinzel. „Beschreib mir Mary bitte.“

„Mary ist … Na ja, sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.“ Cole ging ein bisschen auf Distanz zu Rachel und heuchelte Interesse an den getöpferten Schüsseln und Vasen auf einem Regal. „Innerlich und äußerlich. Wenn sie lächelt, erhellt sie den ganzen Raum.“

„Tja, dann sind Kerzen wohl überflüssig“, murmelte Rachel trocken.

Cole musste grinsen. Gut, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte.

„Ich habe noch gar nicht nach ihren Hobbys gefragt. Was macht sie gern? Abgesehen davon, dass sie Räume illuminiert.“

„Ich glaube kaum, dass sie das bewusst macht. Vermutlich weiß sie noch nicht mal, welche Wirkung ihr Lächeln auf mich hat.“ Cole griff nach einer kurzen runden Vase mit zarten himmelblauen Blumen, weil deren Farbe ihn an Rachels Augen erinnerte. „Hübsch, oder?“, fragte er und drehte sich zu ihr um.

„Sehr hübsch.“ Ungeduldig klopfte sie mit einem Fuß auf den Boden. „Gute Entscheidung. Ein Geschenk weniger. Aber du hast mir immer noch nichts über … Mary erzählt.“

„Wer sagt denn, dass ich die Vase für Mary kaufe? Ich musste sofort an dich denken, als ich sie sah. Die Blumen erinnern mich an deine Augen.“ Hoppla! Das hatte er eigentlich gar nicht sagen wollen, aber es war einfach aus ihm herausgeplatzt. Stirnrunzelnd stellte er die Vase zurück. „Mist, das wäre das perfekte Weihnachtsgeschenk für dich gewesen, und jetzt habe ich es verpatzt.“

„Echt? Du hast bei dem Anblick an mich gedacht?“

„Ja, echt.“

Sie seufzte zittrig, kam näher und bückte sich, um die Vase zu betrachten. Rasch griff sie danach, presste sie an sich und richtete sich wieder auf. „Du hast recht, sie ist hübsch. Tut mir leid, dass deine Idee … verpatzt ist, aber dann kaufe ich sie mir einfach selbst.“

Ihre Augen sahen atemberaubend aus – eine Mischung aus Rauchblau und Meer. Sie war immer noch schön. Immer noch Rachel. Nur eine sinnlichere Version der Frau, die er liebte. „Gib her“, sagte er und nahm ihr die Vase weg. „Ich kaufe sie dir. Weil … weil ich will.“

Er rechnete mit Widerspruch. Frauen widersprachen in solchen Situationen öfter, so überflüssig das auch war. Doch Rachel schwieg. Ihre Unterlippe zitterte nur, und ihre herrlichen Augen wurden noch dunkler. Ihre Farbe erinnerte ihn inzwischen an einen Mitternachtshimmel.

„Das ist lieb von dir“, flüsterte sie. „Danke, Cole.“

„Gern geschehen, Rach.“

Als sie den Laden mit keinem anderen Geschenk als der Vase verließen, nahm sie seine Hand. Etwas, das sie nicht mehr getan hatte, seitdem … na ja, seit damals.

Hm … Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung für Cole.

5. KAPITEL

Ein Geschenk. Nach zweieinhalb Stunden Bummeln hatten sie erst ein einziges Geschenk für die Frau, die jetzt unter dem Namen „Mary“ lief, gekauft. Rachel hatte keine Ahnung, was Cole so an der Schneekugel begeisterte, aber er tat so, als sei das verdammte Ding aus Gold und Diamanten gefertigt.

Klar war das Teil niedlich. Es bestand aus drei Kugeln mit verschiedenen Szenen, die wie ein Schneemann zusammengesetzt waren. In der untersten Kugel machte eine Gruppe Kinder eine Schneeballschlacht, in der mittleren liefen weitere Kinder Schlittschuh auf einem Teich, während in der obersten der Weihnachtsmann mit einem Schlitten durch die verschneite Nacht flog.

Niedlich, ja. Aber romantisch? Nicht für Rachel, und das hatte sie Cole auch deutlich gesagt. Zwei Mal sogar. Er hatte ihren Einwand jedoch ignoriert und den überteuerten Nippes gekauft. Allmählich fragte sie sich, warum er sie überhaupt mitgenommen hatte.

„Wie viele Geschenke brauchst du noch mal?“, erkundigte sie sich. Sie saßen gerade im rappelvollen Foster’s, um rasch einen Happen zu essen, bevor es weiterging.

„Wie viele Tage sind noch mal bis Weihnachten?“ Er überschlug rasch die Tage im Kopf. „Wenn man heute nicht mitzählt, haben wir noch … zehn, oder? Das macht minus Schneemann … neun.“ Schmerzlich verzog er das Gesicht. „Autsch.“

„Tja, das dachte ich auch gerade.“

„Na ja, für morgen habe ich immerhin schon den Schneemann. Es wäre gut, heute zumindest noch ein Geschenk zu finden.“

„Lass uns heute noch vier Geschenke kaufen und morgen die letzten fünf, damit wir endlich fertig werden. Sonst …“, sie senkte bedrohlich die Stimme, „… werde ich dir meine Mom auf den Hals hetzen. Sie hat mich nämlich gestern angerufen und mit ihrer Ankunft gedroht. Anscheinend hat sie mal wieder Stress mit meinem Vater.“

Cole zog eine Grimasse und trank einen Schluck Bier. „Kommt nicht infrage. Aber vielleicht sollten wir schon mal ein paar Ideen notieren, bevor wir uns wieder ins Getümmel stürzen.“

„Wow. Ich bin schockiert. Endlich nimmst du mal meinen Rat an.“

„Jetzt sag nicht, du bist immer noch sauer wegen des Schneemanns?“

„Der ist nun mal nicht romantisch! Du hast ausdrücklich gesagt, dass ich dir helfen soll, Mary zu hofieren. Es sei denn, Mary ist zehn Jahre alt, aber dann haben wir ganz andere Probleme als ein unromantisches Spielzeug, mein Lieber.“

„Erstens ist eine Schneekugel kein Spielzeug. Sie ist … äh … Deko.“

„Sie ist ein Spielzeug, das nur so tut, als sei es dekorativ.“

„Zweitens“, fuhr er fort, als habe sie nichts gesagt, „verknüpfe ich mit dieser speziellen Schneekugel sehr romantische Erinnerungen. Als Cupcake und ich uns begegnet sind …“ Er verstummte kopfschüttelnd. „Glaub mir, sie ist romantisch.“

„Was wolltest du gerade sagen, Cole?“ Rachel hungerte förmlich nach Informationen über Marys und Coles Beziehung. Bis jetzt hatte sie nur gehört, dass Marys dämliches Lächeln jeden Raum erhellte, ansonsten blieb Cole nervtötend einsilbig, was sie anging. „Als ihr euch begegnet seid …?“

„… war Winter.“ Coles Adamsapfel hüpfte, als er noch einen Schluck trank. „Also lag Schnee. Und wo Schnee liegt, spielen Kinder. Die Schneekugel symbolisiert das alles. Und deshalb ist sie romantisch.“

„Na klar. Wie konnte mir diese Verbindung nur entgehen?“

„Sarkasmus, Rachel? Wirklich?“, flötete Cole nasal, wobei er täuschend echt den Tonfall ihrer Mutter nachahmte. Sie spielte mit dem Gedanken, ihm wieder einen Knuff zu versetzen, aber dazu reichte ihre Energie nicht mehr. Einlenkend hob er die Hände. „Dann sag du es mir. Welche Art Geschenk ist für dich romantisch?“

Rachel wusste die Antwort sofort. Sie griff unter den Tisch nach der Tüte, die sie dort hingestellt hatte. „Das hier“, sagte sie sanft und stellte die Vase auf den Tisch. „In Kombination mit dem, was du gesagt hast, ist das ein romantisches Geschenk.“

Etwas Intensives, Dunkles flackerte in seinem Blick auf und beherrschte sein ganzes Gesicht. Als er die Ellenbogen auf den Tisch stützte und sie ansah, schien er ihr bis auf den Grund ihrer Seele zu sehen. Ihr wurde ganz heiß unter seinem Blick.

Verlangen flammte in ihr auf, so heftig und intensiv, dass es ihren ganzen Körper zu durchdringen schien und sie von Kopf bis Fuß vor Begierde zitterte. Oh nein! Das ging nicht. Cole war vergeben. Verdammt, sie war vergeben!

„Du findest die Vase also romantisch?“, fragte Cole und fesselte sie noch immer mit seinem Blick.

„Musst du immer das, was ich sage, als Frage wiederholen?“, witzelte sie, um ihr Unbehagen zu verbergen. „Wenn du und ich zusammen wären, würde ich dieses Geschenk romantisch finden und … lieb. Weil du gesagt hast, dass es dich an meine Augen erinnert. Aber wir sind nicht zusammen.“

Er sah sie noch eine weitere atemberaubende Sekunde an, bevor er sich wieder zurücklehnte. „Ist doch das Gleiche“, sagte er eine Spur heiser. „Das damit verbundene Gefühl, und deshalb ist der Schneemann es auch.“ Er zwinkerte ihr jungenhaft grinsend zu. „Also habe ich gewonnen.“

In diesem Augenblick sah Rachel Coles Mutter mit einem vollen Tablett auf ihren Tisch zusteuern und entspannte sich etwas. Bis sie mit dem Essen fertig wären, hätte sie ihren Körper wieder unter Kontrolle. „Deine Mom bringt gerade unsere Bestellung“, sagte sie zu Cole. „Also benimm dich.“

„Aber Schätzchen, das tu ich doch immer“, säuselte Cole und drehte sich zu seiner Mutter um. „Ich wusste ja gar nicht, dass du heute arbeitest, sonst hätte ich längst Hallo gesagt.“

„Zwei unserer Bedienungen sind krank“, erklärte Margaret und lächelte Rachel zu. „Schön, dich zu sehen, Süße.“ Ohne zu fragen, wer was bestellt hatte, servierte sie Cole den Burger mit Pommes und Rachel die Suppe und den Salat. „Sind deine Eltern Weihnachten auch in der Stadt oder nur du?“

„Mom kommt wahrscheinlich in ein paar Tagen.“ Aus irgendeinem Grund, über den Rachel lieber nicht nachdenken wollte, erwähnte sie Andrew nicht. „Dad kommt dann etwas später nach.“

„Das ist schön. Familien gehören an Weihnachten zusammen.“ Margaret zauste ihrem Sohn das Haar. „Hat er hier dir eigentlich schon erzählt, dass wir nächste Woche Besuch bekommen? Seine Tante und sein Onkel mitsamt Kindern und Anhang kommen.“

„Nein, hat er nicht. Das ist ja toll.“

„Ich hab’s! Kommt doch zum Weihnachtsessen zu uns“, schlug Margaret vor. „Wir haben jede Menge zu essen, und wie man so schön sagt, je mehr Gäste, desto besser die Stimmung. Stimmt’s, Cole?“

„Absolut“, sagte Cole. „Tolle Idee, Mom.“

„Ich … weiß noch nicht, was für Pläne wir haben“, wandte Rachel hastig ein. Ihr wäre nichts lieber, als mit den Fosters Weihnachten zu feiern, aber Mary würde bestimmt da sein. Und noch dazu mit einem Diamantring am Finger. „Aber ich richte es meinen Eltern gern aus. Danke.“

Margaret stützte das leere Tablett in eine Hüfte. „Und? Was habt ihr heute noch Schönes vor?“

„Essen“, antwortete Cole einsilbig. „Und dann gehen wir weiter einkaufen.“

„Für seine Freundin“, ergänzte Rachel. Sie konnte einfach nicht anders. „Wie ich feststellen musste, ist dein Sohn ganz schön wählerisch, wenn es um Geschenke geht.“

Margaret lachte. „Er ist in vielerlei Hinsicht wählerisch.“ Wieder zauste sie ihm das Haar. „Was Frauen angeht zum Beispiel. Ich habe mich bis vor Kurzem schon gefragt, ob er sich wohl je verlieben wird. Oder es überhaupt zugibt, wenn es so weit ist. Deshalb freue ich mich jetzt umso mehr.“

„Mom“, sagte Cole mit warnendem Unterton. „Ich bin sicher, dass Rachel nichts darüber hören will …“

„Im Gegenteil!“, widersprach Rachel. Sie forderte Margaret mit einer Handbewegung auf fortzufahren. „Ich würde gern mehr über Coles Freundin erfahren. Er hat mir nämlich noch nicht viel erzählt.“

„Sie ist ein wundervolles Mädchen. Intelligent und warmherzig und mit einem tollen Sinn für Humor. Ehrlich gesagt …“, Margaret warf ihrem Sohn einen nachsichtigen Blick zu, „… ist sie vermutlich die einzige Frau auf der Welt, die fähig ist, mit ihm fertigzuwerden. Ja, ich freue mich über seine Wahl.“

Tja, dann war das wohl nichts mit ihrer Theorie, dass Coles Familie etwas gegen Mary hatte. „Das ist ja toll. Wirklich toll“, sagte Rachel, wobei sie versuchte, sich ihre Niedergeschlagenheit nicht anmerken zu lassen.

„Nicht wahr?“ Margaret drehte sich einem Gast zu, der sie an seinen Tisch winkte. „Oh, die Arbeit ruft. Einen schönen Abend noch, ihr zwei. Und Rachel, richte deinen Eltern herzliche Grüße von mir aus.“ Sie eilte davon.

„Ich mag deine Mutter“, sagte Rachel. „Deine ganze Familie genau genommen.“

„Sie mögen dich auch alle.“

Die nächsten Minuten vergingen in einvernehmlichem Schweigen – Gott sei Dank. Komisch, Rachel hatte richtig Hunger gehabt, als sie das Foster’s betraten, aber jetzt war ihr Appetit plötzlich verflogen. Irgendetwas machte ihr zu schaffen, auch wenn sie nicht genau wusste, was.

Natürlich hatte sie sich noch nicht an die Idee gewöhnt, dass Cole sich verliebt hatte, aber das erklärte nicht ihr seltsames Gefühl. Irgendetwas störte sie. Es war fast greifbar, direkt am Rande ihres Bewusstseins, aber sie kam einfach nicht drauf. Seufzend gab sie es auf. Sie war müde, genervt, und ihre Füße taten weh. Vielleicht würde ihr Unterbewusstsein ja die Puzzleteilchen zusammensetzen, wenn sie eine Nacht drüber schlief.

Oder sie war einfach nur eifersüchtig … auch wenn sie nicht das Recht dazu hatte.

„Erzähl mir mehr von Mary“, forderte sie Cole auf, während sie ein Stück Gurke aufspießte.

„Klar. Was willst du wissen?“

„Wie lange kennt ihr euch schon?“

„Seit unserer Kindheit.“

Ach. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Kenne ich sie?“

„Ich … bin ziemlich sicher, dass du sie erkennen würdest.“

„Ihren Namen oder ihr Gesicht?“

„Beides.“

Ach. „Was macht sie beruflich?“

Cole biss in seinen Hamburger und kaute genüsslich. „Wenn ich diese Frage beantworte, kommst du bestimmt drauf, wer sie ist, und das will ich nicht“, antwortete er, als sein Mund wieder leer war. „Frag mich etwas anderes.“

Mist! Sie hatte ihm noch nie was vormachen können. „Was macht sie so in ihrer Freizeit?“

Er zuckte die Achseln. „Das Gleiche wie alle vermutlich. Hängt von ihrer Stimmung ab.“

„Verdammt, Cole! Das ist keine konkrete Antwort!“

„Dann stell mir eine konkrete Frage, Rach.“

Ungeduldig schluckte sie ein Stück Hähnchen runter. „Na schön. Sagen wir mal, draußen regnet es, und sie muss nicht arbeiten. Was macht sie dann?“

„Was machst du denn, wenn es regnet?“

„Lesen, ins Kino gehen, Besorgungen machen“, antwortete sie, ohne nachzudenken. „Mich hinlegen, wenn ich müde bin. Im Internet recherchieren. Mit Freunden telefonieren. Es gibt zig Möglichkeiten.“

„Da hast du deine Antwort. Sieh mich nicht so überrascht an. Im Großen und Ganzen sind Menschen einander sehr ähnlich.“

„Ich geb’s auf“, murmelte sie erschöpft. „Jetzt bist du dran. Erzähl mir einfach, was dir einfällt.“

„Das kann ich machen.“ Cole trank einen Schluck Bier, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte lässig die Arme hinterm Kopf. „Habe ich dir schon von ihrem Lächeln erzählt?“

„Ja, hast du.“ Eins, zwei, drei … Rachel schaffte es bis zehn, ohne einen Schreikrampf zu bekommen. „Wie wär’s, wenn du mir die drei Dinge nennst, die dir am besten an ihr gefallen, und die drei, die du am wenigsten magst? Vielleicht kann ich mir ja dann ein besseres Bild von ihr machen. Das heißt, falls du wirklich meine Unterstützung willst. Ansonsten gebe ich es auf, Cole. Ohne Informationen kann ich dir keinen Rat geben.“

„Sorry, du hast absolut recht.“ Nachdenklich rieb er sich das Kinn. „Hm, das hier scheint mir schwerer zu fallen als gedacht. Es ist nicht leicht, einen anderen Menschen zu beschreiben, schon gar nicht jemanden, den man liebt.“

Das konnte Rachel nachvollziehen. „Kann ich mir vorstellen.“

„Drei Eigenschaften, hm? Okay, ich mag es, dass sie sich Gedanken um andere Menschen macht. Sie hat viel Mitgefühl. Manchmal stellt sie die Bedürfnisse anderer sogar vor ihre eigenen. Ich finde das bemerkenswert. Viele Menschen – die meisten vermutlich – denken nämlich in erster Linie an sich selbst.“

„Das klingt gut“, sagte Rachel widerwillig. Sie hielt sich selbst auch für mitfühlend, aber bei ihrem letzten Telefonat mit ihrer Mutter hatte sie eher genervt und ungeduldig reagiert. Ob es ihr gefiel oder nicht, Mary schien ihr in dieser Hinsicht überlegen zu sein. Mist! „Mitgefühl ist etwas Wichtiges.“

„Stimmt.“ Cole schloss nachdenklich die Augen. „Mal sehen, was gefällt mir noch an ihr?“ Er schlug die Augen wieder auf. „Ich nehme an, du interessierst dich nicht für ihre … äh … körperlichen Vorzüge?“

„Nein, ich gehe sowieso davon aus, dass sie attraktiv ist.“ Lügnerin. Rachel würde sonst etwas dafür geben zu wissen, wie attraktiv Mary war. Aber das würde sie natürlich nie zugeben. Außerdem würde sie die Frau sowieso eines Tages kennenlernen und konnte sich dann selbst einen Eindruck verschaffen.

„Sie ist mehr als attraktiv, Rach. Sie ist … umwerfend schön.“

„Natürlich ist sie das. Du würdest dich nie in eine mäßig attraktive Frau verlieben. Das Aussehen war dir immer schon ein bisschen zu wichtig.“

Er musterte sie aus schmalen Augen. „Das stimmt nicht.“

„Doch.“ Rachel fuchtelte mit ihrer Gabel in der Luft herum. „Jede Freundin, die du hattest, hätte ein Pin-up-Girl sein können. Ein paar davon waren sogar welche, oder?“

„Ja, aber ein paar deiner Freunde waren … Laufsteg-Models? Ist das der richtige Ausdruck?“

„Ja, aber sie hatten zumindest ein bisschen Grips. Was man von … wie war noch mal ihr Name? Bootsie? Bitsie? Barbie? nicht behaupten kann!“

„Brinley. Sie hieß Brinley, und du bist unfair.“ Cole grinste. „Sie war gar nicht so doof. Aber ich gebe gerne zu, dass ich auf schöne Frauen stehe.“

„Okay. Was ist Marys zweite liebenswerteste Eigenschaft?“

Richtig, zurück zum Thema. „Also, sie bringt mich zum Lachen. Wir lachen viel, ganz egal was wir tun. Das mag ich bei allen Menschen, aber vor allem bei der Frau, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen will.“

„Sie ist witzig? Das gehört zu deinen drei Lieblingseigenschaften?“

„Na klar. Möchtest du etwa den Rest deines Lebens mit einem Langweiler verbringen?“

„Na ja … nein. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das zu meinen top drei gehört.“ Ehrlichkeit. Integrität. Vertrauenswürdigkeit. Das war ihr am wichtigsten. Gleich danach käme Kinderliebe und dann … okay, dann guter Humor. Jemand, der sie zum Lachen brachte, der es schaffte, ihr durch dunkle Zeiten zu helfen, wenn es nötig war. „Zu den top fünf vielleicht.“

„Siehst du? Wir sind uns ziemlich ähnlich.“

Rachel rechnete damit, dass er sie jetzt nach ihren drei wichtigsten Eigenschaften fragen würde, aber das tat er nicht. „Und drittens bringt Mary das Beste in mir hervor. In jeder Hinsicht“, sagte er stattdessen.

„Warum? Was hat sie an sich?“ Jetzt kam’s! Jetzt kam der wahre Grund, warum Cole diese Frau liebte. Rachel hielt die Luft an. Sie musste es wissen – nicht nur wegen ihrer Gefühle für Cole, sondern weil sie dann vielleicht endlich verstehen würde, was bei ihrer Beziehung mit Andrew nicht stimmte. Oder der Beziehung ihrer Eltern. Die beiden brachten ganz bestimmt nicht einander ihre besten Seiten zum Vorschein.

Ihre Frage schien Cole zu überraschen. „Gute Frage, Rach. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Es ist einfach so.“ Er legte die Hände auf den Tisch.

Sie nickte, als würde sie ihn verstehen, obwohl sie in Wirklichkeit verwirrter war denn je. Andrew war in vielerlei Hinsicht ein toller Mann. Sie war ihm wichtig, das spürte sie. Aber gab sie ihm das gleiche Gefühl, das Cole in Marys Gegenwart hatte? Brachte sie das Beste in Andrew hervor?

Aber natürlich war die viel entscheidendere Frage, ob Andrew das Beste in ihr hervorbrachte. Empfand sie in seiner Gegenwart das Bedürfnis, ein besserer Mensch zu sein?

In mancher Hinsicht vielleicht schon. Aber meistens … meistens war Cole derjenige, der diese Wirkung auf sie hatte. Und warum das so war, konnte sie genauso wenig sagen. Es war einfach so – war schon immer so gewesen.

„Hat Andrew die gleiche Wirkung auf dich wie Mary auf mich?“, fragte Cole, als könne er ihre Gedanken erraten. Damit hatte er sie immer schon irritiert.

„Ja“, flüsterte sie. „Natürlich.“ Da sie es nicht mehr ertragen konnte, über Mary oder Coles Gefühle für sie zu reden, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Oh Gott, ist das spät geworden! Ich fürchte, wir müssen den Rest dieses Gesprächs auf später verschieben. Wenn wir noch Geschenke kaufen wollen, sollten wir uns auf den Weg machen.“

„Klingt vernünftig“, sagte Cole und stand auf. „Aber wir haben noch nicht über die drei Eigenschaften gesprochen, die mir am wenigsten gefallen. Ehrlich gesagt habe ich ein paar Bedenken in Bezug auf Mary, über die ich gern mit dir reden möchte. Ernsthafte Bedenken. Nur um deine Meinung zu hören. Vielleicht sehe ich die Dinge ja falsch. Manchmal verstehe ich die Frauen eben nicht.“

„Ja, das hast du schon erwähnt.“ Rachel stand ebenfalls auf und zog ihre Jacke an. Sie griff nach ihrer kostbaren Vase. Ernsthafte Bedenken? Warum zum Teufel machte er Mary dann einen Antrag? „Lass uns morgen darüber reden. Ich … ich helfe dir gern dabei, die Dinge in einem richtigen Licht zu sehen. Falls ich das kann.“

Sie bezweifelte das zwar, aber hey – wozu waren Freunde da?

„Wenn du das nicht schaffst, schafft es niemand.“ Cole schlang ihr einen Arm um die Taille. „Du, Rachel Merriday …“, er gab ihr einen Kuss – einen verdammten Schmatzer – auf den Kopf, „… bist ein wahres Juwel. Andrew ist ein echter Glückspilz. Wenn ich Mary nicht hätte, wäre ich direkt eifersüchtig.“

Fast hätte sie entgegnet, dass sie Andrew hatte und trotzdem eifersüchtig auf Mary war. Nur um zu sehen, wie Cole reagierte. Aber sie sagte nichts. Wer setzte sich schon freiwillig öffentlicher Demütigung und Liebeskummer aus? Niemand, der halbwegs bei Verstand war.

Wenn es ihr nicht bald gelang, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen, würde sie vorzeitig abreisen müssen. Bevor sie sich womöglich noch total und unwiderruflich in den falschen Mann verliebte.

Welche Ironie! Sie war mit dem Ziel hierhergefahren, sich rettungslos in Andrew zu verlieben, nur um dann herauszufinden, dass ihr Herz immer noch größtenteils Cole gehörte. Es war so unfair! Deprimierend. Erbärmlich. Und eine Situation, in der sie nur verlieren konnte.

In jeder Hinsicht.

Der nächste Tag war schön und sonnig. Da Andrews Büro-Krise vorerst abgewendet zu sein schien, beschlossen sie, den Tag zum Skifahren zu nutzen. Also sagte Rachel den geplanten Einkaufsbummel ab. Nachdem sie gestern schon den ganzen Tag mit Cole verbracht hatte, schuldete sie es Andrew einfach, mit ihm etwas allein zu unternehmen.

Zu ihrer Überraschung fing Cole nicht an zu diskutieren. Was natürlich daran liegen konnte, dass sie am Tag zuvor ziemlich gut vorangekommen waren. Cole hatte ein Fotoalbum gekauft, das er mit Fotos – oder wie er sagte, Erinnerungen – an ihn und Marys „bisherige gemeinsame Reise“ füllen wollte. Und eine Kamera, um „mehr Erinnerungen einzufangen“.

Sie konnte nicht leugnen, dass sie beides sehr romantisch fand, sosehr sie das auch wurmte.

Als Nächstes hatte er eine Flasche von Rachels Lieblingsparfum gekauft. Mit der Begründung, dass er nicht wusste, welchen Duft Mary trug, und dass ihm Rachels gefiel, also warum nicht? Klar doch! Schon bald würde Cupcake mit dem gleichen Duft herumlaufen, den Rachel in den letzten fünf verdammten Jahren getragen hatte. Toll. Einfach großartig.

Sie hatte ihren eigenen Flakon sofort nach ihrer Rückkehr in den Müll geworfen – und ihn dann voller Schuldgefühle wieder rausgeholt. Sie hatte zwar nicht die Absicht, den Duft je wieder zu tragen, aber Coles Schwester Haley vielleicht, der Rachel öfter Sachen von sich schenkte.

Nach dem Parfumdebakel hatte Rachel nicht mehr die Energie gehabt zu protestieren, als Cole sie für das letzte Geschenk des Tages in einen Eisenwarenladen zerrte, wo er eine Taschenlampe kaufte. Eine riesige schwere Taschenlampe, die so groß wie ein Scheinwerfer war. Warum, war Rachel schleierhaft, aber sie hatte sich nicht die Mühe gemacht nachzufragen. Sie hatte ihre Lektion gelernt.

Heute jedoch brauchte sie sich über solche Dinge nicht den Kopf zu zerbrechen. Genauso wenig morgen. Sie hatte das ganze Wochenende, um sich zu entspannen und ihre Beziehung mit Andrew zu vertiefen. Erst Montag würden sie und Cole die restlichen Besorgungen erledigen. Und bis dahin wusste sie hoffentlich, was sie wollte.

Und falls nicht? Tja, dann würde sie Andrew eben sagen, dass sie ihre Meinung geändert hatte und doch nach Hawaii fliegen wollte. Er würde sich bestimmt freuen … und ihre Eltern hätten dann ein leeres Haus, in dem sie nach Herzenslust streiten konnten.

Rachel schüttelte diese Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Gegenwart. Wenn sie sich nicht beeilte, hing Andrew bald wieder am Handy. Rasch bürstete sie sich ihre Haare und beeilte sich mit dem Make-up.

Als Erstes würden sie auswärts frühstücken, dann für ein paar Stunden die Skipisten unsicher machen, spät zu Mittag essen und, falls Andrew dann noch Zeit hatte – was sie inständig hoffte –, endlich den Weihnachtsbaum kaufen. Alles in allem waren die Aussichten ganz gut.

„Ich bin so weit“, rief sie, als sie die Treppe hinunterging. Sie rechnete damit, Andrew in der Küche zu finden oder vielleicht im Wohnzimmer. Leider Fehlanzeige. Eine böse Vorahnung beschlich sie, als sie die Tür zum Arbeitszimmer öffnete.

Andrew saß hinterm Schreibtisch ihres Vaters, sein Handy ans Ohr gepresst und den Blick auf den Bildschirm seines Laptops gerichtet. Als Rachel eintrat, lächelte er ihr zu und hob einen Finger. „Sorry, Liebling, es dauert bestimmt nicht lange“, flüsterte er.

Rachel wusste, dass das alles von fünf Minuten über zwei Stunden bis hin zu einem ganzen Tag bedeuten konnte. Nickend drehte sie sich um. Sie würde sich einen Kaffee kochen, ihre E-Mails checken, um zu sehen, ob ihre Mutter schon einen Flug gebucht hatte, und … warten.

Sehnsüchtig betrachtete Rachel die Skifahrer, die sich vom Lift den Berg hochtragen ließen, und noch sehnsüchtiger jene, die nach unten abfuhren. Andrew hatte Wort gehalten – sein Anruf war schnell erledigt gewesen und das Frühstück sehr angenehm verlaufen. Entspannt hatten sie sich über dies und jenes unterhalten, und anderthalb Stunden lang hatte sein Handy nicht ein einziges Mal geklingelt.

Leider hatte Cole den Nagel auf den Kopf getroffen, als er Andrew den Idiotenhügel vorgeschlagen hatte. So fit und athletisch Andrew auch war, das Skifahren war nicht sein Ding. Rachel war das völlig unbegreiflich. Er liebte Sport, fuhr jeden Sommer mit Freunden Kajak, verbrachte fast genauso viel Zeit im Fitnessstudio wie bei der Arbeit und joggte.

Mit seinen Skikünsten war es jedoch nicht weit her.

„Okay“, sagte sie, nachdem sie zum ungefähr zehnten Mal den Idiotenhügel hochgestiegen waren. „Halt den Kopf hoch, damit du siehst, wohin du fährst. Halt deine Skier parallel zueinander und scheu dich nicht, die Stöcke zu einzusetzen.“

„Ich verstehe die Grundlagen, Rachel“, sagte Andrew offensichtlich frustriert. „Ich scheine sie nur nicht umsetzen zu können.“

„Wo genau liegt eigentlich dein Problem?“

„Beim Skifahren würde ich sagen.“

Sie hätte fast gelacht. Bei Cole hätte sie das getan, doch Andrew nahm sich nicht oft selbst auf die Schippe. „Vielleicht sollten wir eine Weile unten im flachen Teil bleiben“, schlug sie vor und versuchte, sich an den lange zurückliegenden Tag zu erinnern, als sie Skifahren gelernt hatte. Ihr Vater hatte es ihr beigebracht. Der Tag gehörte zu ihren schöneren Erinnerungen. „Versuch mal, eine Weile einfach hin- und herzufahren, um ein besseres Gefühl für die Skier zu bekommen. Vielleicht hätten wir gleich damit anfangen sollen.“

Was sie auch getan hätten, wenn Andrew nicht behauptet hätte, die Grundlagen zu beherrschen.

„Tut mir leid. Du langweilst dich bestimmt zu Tode.“ Andrew stieß seine Stöcke in den Schnee. „Aber ich kriege den Dreh schon noch raus.“

„Ich fühle mich immer gut, wenn ich Zeit mit dir verbringen kann“, sagte Rachel. Was sogar stimmte. „Du kriegst das ganz bestimmt hin. Irgendwann denkst du nicht mehr so viel nach und reagierst instinktiv.“ Lächelnd glitt sie auf Andrew zu und tätschelte seinen Arm. „Und bis dahin üben wir einfach weiter.“

„Fallen weiter, meinst du wohl“, witzelte Andrew zu ihrer Überraschung. „Okay, bleiben wir erst mal unten.“

„Nur für eine Weile. Bis du dich etwas sicherer fühlst. Aber zuerst müssen wir wieder runter.“

„Ich glaube, morgen werde ich jeden einzelnen Muskel spüren.“ Andrew holte Luft und stieß sich ab. Er kam relativ leicht runter, verlor jedoch unten fast das Gleichgewicht. Rachel befürchtete schon, dass er wieder stürzen würde, aber es gelang ihm, sich zu fangen. Er drehte sich zu ihr um und hob triumphierend die Stöcke.

Lächelnd fuhr sie ihm hinterher und bremste neben ihm. „Siehst du? So schwer ist das gar nicht. Nicht mehr lange, und du wirst diesen kleinen Abhang total langweilig finden und gar nicht mehr nachvollziehen können, was du am Skifahren je so schwer gefunden hast. Ich wette, wir schaffen es noch vor Weihnachten da rauf.“ Sie zeigte auf den Gipfel, auf den sie vorhin so sehnsüchtig geblickt hatte.

Andrew wurde blass. „Klingt toll, Rachel. Aber ich hoffe, du bist nicht allzu sehr enttäuscht, wenn nichts daraus wird. Ich … Also, ich scheine nicht gerade ein Naturtalent zu sein.“

Irritiert runzelte die Stirn … bis ihr auffiel, welche Sportarten er noch vermied. Bergsteigen und Bungeejumping zum Beispiel. „Du hast Höhenangst, oder?“, fragte sie aus einer Eingebung heraus.

„Nicht direkt Angst“, antwortete er achselzuckend. „Ich mag Höhen nur nicht besonders, und deshalb habe ich auch nie Skifahren gelernt.“

„Cole hatte unrecht. Nicht die Frauen sind verwirrend, sondern die Männer.“ Ungeduldig schüttelte sie den Kopf. „Warum hast du zugelassen, dass ich dich hierherschleppe, Andrew? Wir können so viele andere Dinge machen als Skifahren.“

„Du fährst nun mal gern Ski, und ich … wollte dir eine Freude machen.“ Er zuckte wieder die Achseln. „Ich mache dich eben gern glücklich“, fügte er etwas verlegen hinzu.

„Ich freue mich auch, wenn wir etwas anderes unternehmen“, widersprach sie. Bei seinen Worten wurde ihr ganz warm ums Herz. Andrew war wirklich ein toller Mann. Er war solide und verlässlich und hatte einer Frau eine Menge zu bieten. Sie wäre so gern diese Frau. Das wäre die beste Lösung.

Sie wartete darauf, dass ihr Herzschlag sich beschleunigte und dass sie weiche Knie bekam … sich mehr als nur wohlfühlte in seiner Gegenwart. Doch sie spürte nichts. Warum nicht? Warum konnte sie nicht mehr für ihn empfinden … oder für überhaupt einen Mann außer Cole?

„Lass uns hier wegfahren“, sagte sie und verdrängte die Gedanken an das, das sie nie haben konnte. „Wir kaufen jetzt einen Weihnachtsbaum.“

„Na Gott sei Dank“, sagte Andrew sichtlich erleichtert. Er löste seine Skier von seinen Stiefeln, nahm Rachel in die Arme und küsste sie langsam und intensiv. Eigentlich müsste sie das in Flammen versetzen.

Aber … Fehlanzeige. Sie spürte noch nicht mal ein Fünkchen. Es bestürzte sie, dass sie so gar nicht mehr auf ihn reagierte. Seine Küsse hatten sie noch nie wild gemacht, aber sie waren eindeutig erregend gewesen. Jetzt jedoch empfand sie nichts mehr. Was war nur passiert?

Instinktiv und ohne nachzudenken machte sie sich von ihm los und schnallte ihre Skier ab. „Ich dachte, nach dem Baumkauf können wir …“

„Was ist los, Rachel?“, fragte Andrew.

„Nichts“, log sie und richtete sich wieder auf. „Wir sind hier in der Öffentlichkeit. Und … ich freue mich schon auf den Baum und das Schmücken. Schon seit Tagen.“

Sie hatte keine Anspielung auf Andrews Arbeitszeit machen wollen. Oder darauf, dass er das Arbeitszimmer ihres Vaters in den letzten zwei Tagen kaum verlassen hatte. Ehrlich. Sie brauchte nur etwas Freiraum, um darüber nachzudenken, wohin die Beziehung mit Andrew sich entwickeln würde. Oder vielmehr, wie sie sich ihr weiteres Leben vorstellte.

Er missverstand sie jedoch. „Tut mir leid, dass ich so wenig Zeit hatte“, sagte er steif. „Vielleicht hättest du den Baum mit Cole kaufen sollen. Ihr habt jedenfalls genug Zeit dafür gehabt.“

„So habe ich das nicht gemeint. Er hat es mir sogar angeboten, aber ich habe Nein gesagt.“ Rachel nahm ihre Skier und stapfte davon, ohne zu wissen, ob sie wütend auf Andrew war oder auf sich selbst. „Ich habe ihm gesagt, dass ich es dir versprochen habe.“

Andrew holte sie rasch ein und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Rachel, warte. Es tut mir leid. Pass auf, ich schalte mein Handy bis … Montag aus. Keine Unterbrechungen für den Rest des Wochenendes. Was sagst du dazu?“

„Das ist nicht nötig“, sagte sie, ohne sich umzudrehen. „Ich habe Verständnis, dass deine Firma Vorrang für dich hat, Andrew. Ich will dir nicht im Weg stehen.“

Sie rechnete damit, dass er bei seinem Angebot bleiben und ihr versichern würde, nichts lieber tun zu wollen, als das ganze Wochenende mit ihr zu verbringen, aber sie hätte es besser wissen müssen.

„Danke“, antwortete er, ohne zu zögern. „Aber ich werde dir den Rest des Nachmittags meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, versprochen. Ist das ein guter Kompromiss?“

„Wie wär’s, wenn du dein Handy lange genug ausschaltest, um mit mir einen Baum zu kaufen und mir zu helfen, den Christbaumschmuck aus dem Keller zu holen?“ Sie war noch nicht mal sauer, dass er einen Rückzieher gemacht hatte. Verdammt, wenn sie wirklich ein ungestörtes Wochenende mit Andrew wollte, würde sie ihn nicht so leicht vom Haken lassen. „Vielleicht hängst du ja sogar eine oder zwei Kugeln an. Klingt das akzeptabel?“

„Absolut.“ Andrew hob ihr Kinn und küsste sie auf den Mund. „Vielleicht sogar drei oder vier. Obwohl ich nach der zweiten vielleicht eine kurze Pause machen muss, um zu telefonieren. Sagen wir zwei Kugeln pro Anruf?“

„Hm … drei.“

„Einverstanden.“

„Pass bloß auf“, witzelte Rachel. „Vielleicht überrede ich dich ja sogar noch dazu, die Lichterkette zu befestigen.“

Die angespannte Stimmung lockerte sich wieder, Gott sei Dank! Lachend gingen sie zum Wagen zurück.

Würde ein Leben mit Andrew sich immer wieder so abspielen? Sie konnte fast hören, wie sie über die Zahl seiner Überstunden und seine Anwesenheit bei Schulaufführungen verhandelten.

Du musst am Wochenende geschäftlich weg? Klar, Schatz, solange du zur Grillparty mit den Nachbarn kommst. Was? Du wirst eine ganze Woche weg sein? Tja, wie wär’s dann mit dem Urlaub, über den wir schon seit zwei Jahren reden?

Vielleicht war das unfair von ihr. Andrew versuchte wirklich, sich Zeit für sie zu nehmen. Als Ehemann und Vater würde er sich genauso bemühen, daran zweifelte sie keinen Moment. Aber sich zu bemühen, war nicht das Gleiche, wie es auch tatsächlich zu tun, oder?

Cole würde sich nicht nur Mühe geben, er … tat es einfach. Das wusste sie genau, und zwar deshalb, weil sie ihn kannte. Sie hatte ihn jahrelang im Umgang mit seinen Eltern und Geschwistern beobachtet.

Andrew und sie waren fast am Wagen angekommen, als die Erkenntnis sie mit solcher Wucht überwältigte, dass sie abrupt stehen blieb. Warum hatte sie die beiden Männer nur für so ähnlich gehalten? Klar, sie waren beide attraktiv, hatten ein gutes Herz und waren ehrlich.

Doch jetzt stach ihr etwas ins Auge, das ihr vorher nicht aufgefallen war – jene Eigenschaft, die Cole und Andrew so unterschiedlich machte wie Nacht und Tag. Andrew würde den Menschen, die ihm wichtig waren, immer beistehen, wenn es nötig war. Aber Cole … Cole war schon da, direkt an der Seite derjenigen, die er liebte, und zwar Tag und Nacht, ganz egal was passierte.

Sie wusste das deshalb so genau, weil er immer für sie da war, seine Freundin.

Sie dachte zurück an jene Tage nach Coles Unfall, an alles, was damals passiert war. An die schreckliche Angst, die endlosen Fragen, an seinen Blick im Krankenhausbett. Seine Angst, als er erfuhr, dass der Sturz höchstwahrscheinlich seine Karriere beendet hatte.

Er stand damals praktisch vor dem Nichts. Und sie hatte solche Angst gehabt, um ihn, um seine Zukunft, aber vor allem, weil er sie so verzweifelt angesehen hatte. Ihre Freundschaft war damals viele Jahre alt gewesen – doch ihr Kuss noch keine vierundzwanzig Stunden her.

Rachel hatte nicht gewusst, was sie für ihn war – nur eine Freundin oder seine Freundin? Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie sie sich verhalten sollte, hatte sich wie auf unbekanntem Terrain gefühlt, das ihr immer größer und furchterregender vorgekommen war, je mehr Zeit verging.

Doch hätte ihr Vater sie nicht angerufen, wäre sie geblieben. Irgendwie hätte sie sich dazu gezwungen, an Coles Seite zu bleiben, trotz ihrer Angst und Verwirrung. Oder hatte sie sich das damals nur eingeredet? Wer konnte das schon sagen?

Doch stattdessen hörte sie auf ihren Vater, der ihr erzählte, dass ihre Mutter mal wieder „völlig neben der Spur“ sei und Rachel brauche.

Es war ein Fehler gewesen abzureisen, aber sie hatte es getan. Schlimmer noch, sie war fast erleichtert, in ihre vertraute Rolle bei ihren Eltern zurückschlüpfen zu können. Bei ihnen wusste sie, woran sie war. Was man von ihr erwartete. Also hatte sie sich für diese vermeintlich leichtere Option entschieden.

Und es danach bitter bereut.

Ursprünglich wollte sie so schnell wie möglich nach Steamboat Springs zurückkehren, doch zu ihrer Bestürzung hatte Cole Nein gesagt … und sie fühlte sich ohnehin schon so schuldig, dass sie tatsächlich wegblieb. Bis letztes Jahr. Bis er sie gefragt hatte, ob sie Weihnachten kommen würde.

Wären ihre Rollen vertauscht gewesen, hätte Cole sie nie im Stich gelassen. Oder wäre im Falle einer wirklich dringenden Familienangelegenheit so schnell wie möglich zurückgekehrt, ganz egal was sie sagte.

So war er halt. Loyal und verlässlich.

Zum ersten Mal, seitdem sie von Mary wusste, war Rachel zwar nicht glücklich, aber zumindest dankbar, dass er jemanden gefunden hatte. Sie konnte nur hoffen, dass Mary seiner wert war – die Frau war, die Rachel hätte sein sollen, als er sie am dringendsten brauchte.

Dass sie aus ihren Fehlern gelernt und sich verändert hatte, spielte keine Rolle. Sie konnte jetzt nur eins tun: nach vorne sehen.

Als sie den Blick hob, war Andrew schon beim Wagen angekommen und sah sich suchend nach ihr um.

Sie winkte und ging rasch auf ihn zu, vielleicht einer Zukunft entgegen, die Behaglichkeit und Zufriedenheit bot, Verhandlungen am Abendbrottisch und … na ja, nur wenig Skifahren. Es fiel ihr nicht schwer, sich ein angenehmes und unkompliziertes Leben mit Andrew vorzustellen. Sie passten gut zusammen.

Aber reichte das? Irgendwo tief im Innern wusste sie, dass sie mehr wollte. Und zwar einfach … mehr. Sie wollte einfach wissen, dass sie mit dem richtigen Menschen zusammen war und dass sie die Richtige für ihn war.

Andrew war ein toller Mann, das schon. Aber sie konnte leider nicht behaupten, dass er der Richtige für sie war. Nur ein einziger Mann war das. Dass der sein Glück gerade bei einer anderen gefunden hatte, änderte nichts daran. Sie wollte auch glücklich sein.

Klar, Cole musste sie sich aus dem Kopf schlagen, so deprimierend und unvorstellbar das auch war. Sie musste sich neu orientieren. Aber wenn sie faule Kompromisse einging und ihre Träume opferte, würde sie nie glücklich werden.

Auch Andrew hatte das nicht verdient.

Oh Gott! Wollte sie wirklich Schluss machen? Hatte sie in nur wenigen Minuten eine Entscheidung getroffen? Sie blieb einen Moment stehen und atmete tief durch. Ja, so verrückt das auch war, ihre Entscheidung stand fest.

Andrew schien ihr anzusehen, was in ihr vorging, denn er sah ihr stirnrunzelnd entgegen. „Ich nehme an, wir fahren direkt zum Haus zurück?“, fragte er seufzend. „Anstatt einen Baum zu kaufen und ihn zu schmücken?“

Ihr gesunder Menschenverstand und ihr Überlebensinstinkt hätten Rachel die Frage fast verneinen lassen, aber die Vorstellung einer Zukunft mit ihm war einfach zu unbefriedigend. „Ja, das wäre das Beste. Es tut mir leid, Andrew, aber wir müssen reden.“

„Okay. Ich habe mir schon so etwas gedacht.“ Eindringlich sah er sie an. „Wir können ein schönes gemeinsames Leben haben, Rachel. Ich hatte gehofft …“

„Ich weiß, Andrew“, sagte sie niedergeschlagen. „Ich auch.“

„Liegt es an meinem Job?“

„Nein. Nicht wirklich.“

„An Cole?“

Sie zögerte. „Irgendwie schon, aber nicht so, wie du denkst.“

„Dann verstehe ich es nicht. Ich dachte …“ Er verstummte und schüttelte den Kopf. „Ach, egal. Lass uns fahren. Wir reden zu Hause weiter.“

Sie schwiegen die ganze Fahrt über, und auch nach ihrer Ankunft gab es nicht mehr viel zu sagen. Andrew akzeptierte ihre Erklärungen, buchte für den darauffolgenden Morgen einen Flug und verbrachte den Rest des Tages im Arbeitszimmer ihres Vaters.

Alles in allem war es keine aufregende Sache.

6. KAPITEL

Im Sportgeschäft räumte Cole die Regale mit den Winterstiefeln auf, die nach dem ersten Ansturm des Tages total durcheinander waren, während sein Bruder Dylan sich um die Kundschaft und die Kasse kümmerte und seine Schwester Haley im Büro vor dem Computer saß, obwohl sie eigentlich frei hatte. Anscheinend wusste sie gerade nichts mit ihrer Freizeit anzufangen.

Cole hatte den Verdacht, dass sie insgeheim auf einen Mann namens Gavin Daugherty wartete, dem sie den Tipp gegeben hatte, im Laden vorbeizuschauen und Cole nach einem Job als Skilehrer zu fragen. Wahrscheinlich hatte sie ein Auge auf den Typen geworfen, obwohl sie das natürlich nie zugeben würde.

Aber er hatte gerade ganz andere Probleme.

Freudige Erregung, gepaart mit einer kräftigen Dosis Nervosität erfüllte ihn, als es auf elf Uhr zuging. Wenn Rachel nicht wieder absagte, würden sie heute die restlichen Geschenke besorgen, obwohl er dazu keine Lust hatte. Er wollte lieber ein paar Stunden an der frischen Luft verbringen. Vielleicht etwas von seiner aufgestauten Energie loswerden.

Ihre Pläne zu ändern, dürfte nicht schwierig werden. Rachel fand nichts schrecklicher, als stundenlang durch irgendwelche Läden zu laufen. Es sei denn natürlich, sie wollte es hinter sich bringen, um schnell wieder zurück zu Andrew zu können … und ihm ihre hingebungsvolle Aufmerksamkeit zu schenken. Oder selbst welche zu bekommen.

„Erbärmlich“, murmelte Cole vor sich hin. Und noch dazu pubertär. Was Rachel in ihrer Freizeit machte, war ihre Angelegenheit, auch wenn es sich irgendwie anders anfühlte.

Endlich war Cole mit dem Aufräumen fertig. An der Kasse reichte Dylan gerade einem Kunden eine Tüte mit dessen Einkäufen und wünschte ihm frohe Weihnachten. Als der Mann den Laden verlassen hatte, schnaubte er leise. „Was ist eigentlich mit Haley los? Sie hat mir heute Morgen fast den Kopf abgerissen, nur weil ich gesagt habe, dass ich überrascht wäre, sie hier zu sehen.“

„Keine Ahnung.“ Cole sah aus dem Fenster. Noch keine Spur von Rachel.

„Hast du sie gebeten, heute zu kommen?“

„Nein. Sie war schon hier, als ich kam.“

Dylan musterte ihn aus schmalen Augen. „Was verschweigst du mir?“

Himmel! Sein Bruder hatte wie immer ein untrügliches Gespür dafür, wenn jemand etwas verheimlichte, doch Cole fand, dass Haleys Privatangelegenheiten ihn nichts angingen. Zumindest noch nicht. Also versuchte er, möglichst unschuldig dreinzusehen, und zuckte die Achseln. „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Vielleicht hast du sie verärgert?“

„Hm. Verdächtig vage und eine Schuldzuweisung. Beides macht mich neugierig.“

Cole ignorierte die Anspielung und klappte den Block auf, auf den er Gavins Namen notiert hatte. „Dieser Typ hier kommt vielleicht heute Nachmittag vorbei und fragt nach einem Job als Skilehrer. Falls ja, schreib seine Telefonnummer auf und sag ihm, dass ich ihn irgendwann in den nächsten Tagen anrufe.“

Dylan warf einen Blick auf den Block und nickte. „Mach ich. Und hey, geschickter Versuch, das Thema zu wechseln. Leider verrätst du dich immer, wenn du nicht ganz ehrlich bist, kleiner Bruder.“

„Ich bin ehrlich, und ich weiß nicht, wie du darauf kommst, dass ich …“ Kalte Luft drang in den Laden, als die Tür aufging. Rachel kam rein, ihre Augen leuchteten, und ihre Wangen waren gerötet. Sie hatte zwei Becher Kaffee dabei. Cole durchströmte ein Gefühl der Erleichterung. Sie hatte es sich also nicht anders überlegt. Uff!

„Hi, Rachel“, begrüßte Dylan sie. „Du hast mir einen Kaffee mitgebracht? Wie lieb von dir.“

„Selber hi. Ehrlich gesagt ist der hier für Cole.“ Sie reichte Cole einen Becher. „Mit schönen Grüßen von Lola. Als sie gehört hat, dass ich auf dem Weg hierher bin, hat sie darauf bestanden.“

Cole nahm den Deckel ab und schnüffelte. „Riecht süß. Was ist das?“

„Eggnog-Latte.“ Sie lächelte. „Wie schon gesagt, Lola bestand darauf.“

„Igitt.“ Cole reichte den Becher an Dylan weiter. „Wie geht es Lola heute?“

„Gut. Eins war allerdings merkwürdig“, antwortete Rachel leichthin, doch der scharfe Unterton in ihrer Stimme ließ bei Cole sämtliche Alarmglocken schrillen.

„Ach ja? Was denn?“

„Na ja, es hat vielleicht nichts zu bedeuten, aber ich habe erwähnt, dass wir heute für deine Freundin Geschenke besorgen, und Lola war … ich glaube … ‚wie vom Donner gerührt‘ trifft es am besten.“ Rachel fegte einen imaginären Fussel von ihrem Mantel. „Sie hat gesagt, dass du ihrer Kenntnis nach seit vorletztem Herbst keine Freundin mehr gehabt hast.“

„Hm. Das ist aber seltsam.“ Cole bückte sich und tat so, als binde er sich einen losen Schnürsenkel zu. Warum hatte er nicht eher daran gedacht? Lola würde natürlich Bescheid wissen, wenn er eine Freundin hätte, und Rachel liebte Kaffee und die Beanery. „Bist du sicher, dass sie mich gemeint hat?“ Er richtete sich wieder auf. „Vielleicht hat sie ja von Dylan gesprochen oder … Reid?“

Rachel trank einen Schluck Kaffee und sah ihn irritiert an. „Wir haben über dich gesprochen. Sie hat erzählt, dass du fast täglich in die Beanery kommst. Und zwar meistens allein.“

Dylan hustete laut, um einen Lachanfall zu verbergen. Leider nur wenig überzeugend.

Mist! Hatte Rachel Cole durchschaut? Jetzt schon? „Das lässt sich leicht erklären“, sagte er betont locker und wich Dylans Blick aus. „Ich … oder vielmehr Cupcake und ich haben unsere Beziehung bisher geheim gehalten. Nur meine Familie weiß Bescheid. Außerdem weißt du ja, wie schüchtern sie ist.“

Mehr ersticktes Lachen von seinem Bruder. Cole beschloss, ihn später umzubringen.

„Stimmt.“ Rachel sah irritiert zwischen den Brüdern hin und her. „Das fiel mir auch wieder ein, aber eine Sache wundert mich doch.“

Mit einem überzeugenden Grinsen und einer Handbewegung forderte er sie auf weiterzureden.

„Lola und deine Mom sind doch ziemlich gut befreundet, oder? Deine Mutter wirkte so glücklich über deine Beziehung, und wenn es um das Glück der Kinder geht, dann … na ja, dann reden Mütter doch mit ihren Freundinnen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie Lola nichts von deiner Freundin erzählt hat.“

„Das hätte sie sehr gern getan, glaub mir“, versicherte Cole ihr aalglatt. „Aber ich habe meine Familie zu Stillschweigen verpflichtet.“ Er drehte sich zu Dylan um. „Du erinnerst dich doch noch an unser Gespräch, oder, Dylan?“

„Ja. Es ist übrigens schön, dich wiederzusehen, Rachel. Wie läuft das Leben so?“

Cole entspannte sich wieder etwas. Vielleicht würde er Dylan ja doch nicht umbringen.

Blinzel, blinzel. Pause. Blinzel. „Gut. Ich freue mich auch, dich wiederzusehen. Aber wie dem auch sei …“

„Als du reinkamst, haben Cole und ich gerade darüber gesprochen, womit Menschen sich verraten. Bei Reid und Haley ist die verräterische Körpersprache ziemlich auffällig, während ich bei Cole lange gebraucht habe, es herauszufinden.“ Er zwinkerte Cole süffisant zu.

Cole hätte seinem Bruder wieder am liebsten sofort den Hals umdrehen wollen.

„Verräterische Körpersprache?“, fragte Rachel. „Zum Beispiel …?“

„Du weißt schon, Ticks oder Angewohnheiten, in die Menschen verfallen, wenn sie … flunkern oder einem Thema ausweichen, über das sie lieber nicht reden wollen“, erklärte Dylan und nickte Richtung Büro. „Haley da drüben dreht immer in ihrem Haar und weicht dem Blick des Gegenübers aus. Reid sieht nach rechts oben. Jedes Mal.“

„Das ist doch völlig verrückt“, widersprach Cole. „Außerdem verrate ich mich nicht.“

„Stimmt das?“, fragte Rachel an Dylan gewandt.

„Nein. Aber man muss schon sehr genau hinsehen, um es zu …“

„Rachel!“, jauchzte Haley erfreut auf, die in diesem Augenblick aus dem Büro kam. Perfektes Timing. Sie funkelte ihre Brüder entrüstet an. „Toll, Jungs, mir nicht Bescheid zu sagen, dass sie hier ist!“

Die beiden Frauen begrüßten sich herzlich, machten sich gegenseitig Komplimente und redeten über alles Mögliche. Cole funkelte seinen Bruder währenddessen erbost an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich verriet, aber falls doch, würde er es vorziehen, wenn Dylan das unter den gegebenen Umständen für sich behielt!

Dylan lehnte sich lässig gegen den Tresen. Er sah vielsagend zu Rachel herüber und blinzelte dann ein paarmal rasch, als hätte er etwas im Auge, bevor er den Blick wieder auf Cole richtete. „Verräterische Körpersprache“, formte er lautlos mit den Lippen.

Cole schüttelte den Kopf und sah seinen Bruder noch vernichtender an, falls das überhaupt möglich war. Menschen blinzelten ständig, und zwar aus den verschiedensten Gründen, die nichts mit Unaufrichtigkeit zu tun hatten. Aber jetzt würde er sich dank seines besserwisserischen Bruders bei jedem Blinzeln Rachels fragen, ob sie ihm etwas verheimlichte.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

Als es Cole und Rachel endlich gelang, sich loszumachen und den Laden zu verlassen, seufzte Cole erst mal tief. „Ich habe keine Lust auf shoppen“, gestand er. „Ist es okay, wenn wir das auf morgen verschieben?“

„Ich dachte, du hast es eilig?“

„Ich habe bereits Geschenke bis Mittwoch, schon vergessen? Solange ich bis Weihnachten den Rest kaufe, ist alles okay.“

Rachel warf lachend den Kopf in den Nacken. Cole liebte ihr Lachen. „Aber, aber, wo ist dein Enthusiasmus geblieben? Ich dachte, du kannst es kaum erwarten.“

„Das habe ich so nie gesagt.“ Cole nahm Rachels Hand. „Lass uns was Lustiges unternehmen. Um der alten Zeiten willen.“

„W…was hast du denn im Sinn?“, stammelte sie.

„Ich dachte an Schlittenfahren. Natürlich nur, falls du Lust hast.“

„Klar. Hast du zufällig zwei Schlitten irgendwo rumliegen?“

„Habe ich.“ Plötzlich fiel ihm etwas anderes ein. „Oder … wir machen Snowtubing …“

„Auf aufgeblasenen Gummischläuchen den Hügel runterschlittern?“, fragte sie aufgeregt. Ihre Augen leuchteten. „Au ja, das habe ich schon ewig nicht mehr gemacht. Das letzte Mal war … in deinem Abschlussjahr auf der Highschool.“

„Ich erinnere mich noch“, sagte er leise. Und wie! Damals hatte er Rachel zum ersten Mal als Frau wahrgenommen. „Du warst plötzlich kein Wildfang mehr.“

„Ich hatte aufgehört, so zu tun, als sei ich ein Wildfang“, korrigierte sie ihn. „Jungs zu beeindrucken, war mir wichtiger gewesen, als meine Eltern zu nerven.“

„Du warst schon vorher beeindruckend“, erwiderte er ernst. „Kein Zweifel daran.“

Rachel blinzelte einmal. Zweimal. Vor Überraschung oder Nervosität, nahm Cole an – was seine Ansicht über das Augenblinzeln zu bestätigen schien.

„Jetzt bist du aber süß … und sentimental.“ Sie trank einen Schluck des inzwischen eiskalten Kaffees. „Okay, dann lass uns snowtuben gehen.“

Aufgeregt sprang Rachel auf den Gummireifen und raste den Hügel hinunter. Cole hatte ihr Spaß versprochen, und er hatte Wort gehalten. Das hier war genau das Richtige nach ihrem aufzehrenden, verwirrenden und deprimierenden Wochenende.

Der kalte Fahrtwind trieb ihr die Tränen in die Augen und die Röte in die Wangen. Sie lachte atemlos, als der Reifen sich drehte und dann wieder Geschwindigkeit aufnahm. Sie kam sich wieder vor wie als Kind … oder wie als Teenager.

Sie musste an Coles Bemerkung vorhin denken. „Du warst schon vorher beeindruckend. Kein Zweifel daran“, hatte er gesagt.

Seine Worte hatten sie glücklich gemacht … und hoffnungsvoll.

Als sie am Fuß des Hügels ankam, zwang sie sich jedoch dazu, sich der Realität zu stellen. Sie hielt sich die Hand vor die Augen, um sie vor der gleißenden Sonne zu schützen, und sah zu, wie Cole den Hügel hinunterraste. Würden sie eines Tages wieder hierherkommen, nur sie beide?

Vermutlich nicht.

Nächstes Jahr um diese Zeit würde Cole wahrscheinlich schon verheiratet sein. Er würde mit einer anderen Frau im Schnee herumtollen und ein paar Jahre später mit seinen Kindern. Vielleicht genau an dieser Stelle.

Aber das war okay für sie … na ja, nicht ganz, aber sie würde sich schon daran gewöhnen. Eines Tages jedenfalls. Und bis dahin würde sie einfach so tun, als ob. Dank ihrer Eltern hatte sie schließlich jede Menge Übung darin.

Als Cole neben ihr auftauchte, saß ihr Lächeln perfekt. „Du hattest recht“, sagte sie. „Das hat Spaß gemacht.“

„Ja? Freut mich zu hören.“ Er zog seine Handschuhe aus und versetzte ihr einen Nasenstüber. Nur eine leichte Berührung mit den Fingerspitzen, aber ihr Herzschlag beschleunigte sich sofort. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich bin am Verhungern, und wir haben das Mittagessen ausfallen lassen. Hast du Lust, was zu essen, oder hast du schon Pläne mit Andrew?“

Sag es ihm, drängte Rachels innere Stimme. Sie öffnete den Mund, wusste jedoch nicht, wie sie Cole erklären sollte, dass mit Andrew Schluss war. Sie beschloss, das auf später zu verschieben oder auf morgen oder … Vielleicht würde sie es ihm sogar erst nach ihrer Rückkehr nach New York sagen. Dann musste sie zumindest nicht seinen mitleidigen Blick ertragen. Denn der würde ihr den Rest geben.

„Also … nein, wir haben keine Pläne.“ Das stimmte schließlich. „Er steckt vermutlich wieder bis zum Hals in Arbeit, also bin ich gerade frei.“ Auch das war die Wahrheit.

Abgesehen davon, dass sie Hunger hatte, wollte sie die Gelegenheit nutzen, Cole ein paar Fragen zu stellen, zu denen sie noch nicht gekommen waren. So albern das vermutlich war, aber Lolas Versicherung, dass er keine Freundin hatte, hatte ihr Hoffnung gemacht. Worauf, wusste sie allerdings nicht, denn warum sollte Cole sich eine Frau ausdenken? Und hatte Margaret Foster nicht vor Freude gestrahlt? Und Dylan bestätigt, dass sie die Beziehung geheim hielten?

Trotzdem, irgendetwas stimmte nicht, und sie musste herausfinden, was. Denn vielleicht hatte sie ja doch nicht den Verstand verloren, und ihre verrückte Ahnung stimmte. Und dann …

„Wohin fahren wir?“, fragte Cole. „Wieder zu Foster’s?“

„Wie wär’s, wenn wir zu dir fahren?“, schlug sie vor. „Dort ist es ruhiger und entspannter. Wir können uns unterwegs ein paar Zutaten besorgen. Ich koche sogar.“ Sie beschloss, ihre verrückte Ahnung auf die Probe zu stellen. „Ach, ich Idiotin! Du hast vermutlich schon Pläne mit Mary. Ich koch gern für sie mit, wenn du so weit bist, uns miteinander bekannt zu machen.“

„Geschickter Versuch, Rachel, aber es ist noch zu früh“, sagte er. Ein Muskel in seinem Unterkiefer zuckte – so leicht, dass sie es fast übersehen hätte. „Sie hat heute Abend schon etwas vor.“

„Schade auch. Aber ihr habt vermutlich fast das ganze Wochenende miteinander verbracht, oder?“

„Ich musste viel arbeiten.“ Cole streifte sich wieder seine Handschuhe über. „Aber ja, Männer verbringen die Wochenenden normalerweise mit ihren Freundinnen.“

Das war keine direkte Antwort. „Wie gefallen ihr eigentlich die Geschenke bisher? Du hast noch gar nicht erwähnt, ob dein Plan aufgegangen ist. Ich bin neugierig.“

„Bisher läuft es ganz gut. Ich würde sagen, sie gefallen ihr.“

Noch so eine ausweichende Antwort. „Ein paar Details wären nett“, hakte sie nach. „Was war bisher ihr Lieblingsgeschenk?“

„Äh … Lieblingsgeschenk?“

Wieder zuckte der Muskel. Hatte Dylan nicht erwähnt, dass auch Cole sich verriet, wenn er flunkerte? Süß – und hoffentlich unschuldig – lächelnd sagte Rachel: „Na, du weißt schon. Welches Geschenk von denen, die du ihr gemacht hast, gefiel ihr am besten?“

„Das habe ich sie noch gar nicht gefragt“, antwortete Cole nach langem Zögern. „Aber das hole ich nach, sobald … sich die Gelegenheit ergibt.“

„Warum rufen wir sie nicht nach dem Abendessen an und fragen sie?“

„Du willst mit ihr reden?“

„Klar. Warum nicht?“

„Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Es könnte ihr … unangenehm sein, wenn … du mit ihr sprichst.“

Diesmal sah Rachel kein Zucken. Hm. „Es wäre einen Versuch wert, oder?“

Sie drehte sich um, ohne seine Antwort abzuwarten. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf. Wunschdenken? Vielleicht. Denn der Cole, den sie kannte, würde nie …

Ein Schneeball traf sie heftig im Rücken und riss sie aus ihren Gedanken. Rachel verlor keine Zeit und formte auch einen Schneeball. Als sie sich mit hoch erhobenem Arm umdrehte … sah sie keine Spur von Cole.

Dieser Mistkerl! Er versteckte sich bestimmt irgendwo, um sie zu überrumpeln. Typisch! Sie spürte, wie ihre Lippen sich zu einem breiten Grinsen verzogen. Ja, dieser Tag war der lustigste seit Langem – trotz der vielen Fragen, die ihr im Kopf herumspukten.

Langsam drehte sie sich um sich selbst und hielt nach Coles Jeans und seiner schwarz-roten Jacke Ausschau. Viele Männer trugen so eine Kombination, doch keiner von denen war Cole. Der Wind wehte ihr das Haar ins Gesicht, und … wieder traf sie ein Schneeball. Diesmal am rechten Arm.

Rasch wirbelte sie herum. Da war er. Wie hatte sie ihn nur übersehen können? Sie reckte die Schultern und zielte auf seine Brust. Treffer! Der Wind trieb ihr sein tiefes Lachen an die Ohren, und sie stimmte hell und klar mit ein.

Er hielt schon einen weiteren Schneeball bereit. Ein Knie hebend wie ein Baseballspieler schwang er übertreiben weit den Arm. Rachel ging in die Knie, sodass der Ball über ihren Kopf hinwegflog. Lachend streckte sie ihm die Zunge raus und rannte zu einer kleinen Baumgruppe, um Deckung zu finden. Rasch legte sie sich einen Vorrat an Schneebällen zu, behielt dabei aber ihre Umgebung im Auge, um eine Vorahnung zu kriegen, aus welcher Richtung Cole kommen würde. Aha, da! Linkerhand befand sich eine weitere Baumgruppe, in der etwas Rotes aufblitzte, genau wie vermutet. Rachel tat so, als konzentriere sie sich auf die Gegenrichtung. Sie steckte sich zwei Schneebälle in die Jackentaschen und nahm zwei weitere in die Hände. Hm, noch blieb Cole im Schutz der Bäume. Vielleicht wartete er darauf, dass sie aus der Deckung herauskam? Da konnte er lange warten!

Kichernd beschloss sie, so lange sitzen zu bleiben, bis er das Warten satthatte.

Sekunden verstrichen und dann Minuten. Wie viele, wusste sie nicht, aber genug, dass die Schneebälle in ihren Jackentaschen anfingen zu schmelzen und ihre Beine sich in Eiszapfen verwandelten. Sie spähte zur anderen Baumgruppe herüber. Der rote Parka hatte sich nicht bewegt, seitdem … Oh!

Oh, diese Ratte! Fast hätte er es geschafft, sie reinzulegen. Rachel war zu neunundneunzig Prozent sicher, dass der Parka, den sie sah, nicht Cole Foster war, sondern sie nur auf eine falsche Fährte locken sollte, damit er sich hinterrücks an sie heranschleichen konnte. Zugegeben, der Plan war exzellent.

Langsam drehte sie sich wieder nach rechts und rechnete damit, Cole auf sie hinschleichen zu sehen, ein durchtriebenes Grinsen auf dem attraktiven Gesicht. Aber … Fehlanzeige. Verdammt, wo steckte der Kerl nur?

Rachel gab es auf. Als sie beschloss, zu seiner Jacke hinüberzumarschieren und sich geschlagen zu geben, traf sie ein Schneeball am Kopf. Und dann noch einer an der linken Schulter. Und wieder einer im Kreuz.

Oh, das bedeutete Krieg!

Es mochte Cole gelungen sein, sie zu überrumpeln, aber sie konnte ihn immer noch fertigmachen. Er hätte sie nicht unterschätzen dürfen. Für einen Moment lang fühlte Rachel sich wieder wie damals, als zwischen ihnen noch alles unkompliziert und unbeschwert und … hoffnungsvoll gewesen war.

Wow, fühlte sich das gut an!

7. KAPITEL

Nachdem er sämtliche Schneebälle geworfen hatte, fiel Cole auf die Knie und ergab sich. Rachel hatte sich wie immer als Schneeballschlacht-Expertin erwiesen und ihm unmissverständlich gezeigt, wer hier der Boss war.

Ihm machte das nichts aus. Es gefiel ihm sogar irgendwie.

„Du hast gewonnen, Rach“, stöhnte er. „Hab Erbarmen mit mir.“

„Ach ja?“ Sie strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht und hockte sich neben ihn. „Das hör ich gern.“ Sie zwinkerte ihm auf eine Art zu, bei der ihm ganz anders wurde. „Okay, du machst heute das Abendessen.“

Wie konnte eine Frau mit nassem zerzaustem Haar, einem völlig ungeschminkten Gesicht und in durchnässten Jeans nur so lächerlich schön aussehen? Er hatte sie schon in schicken Kleidern, teurem Schmuck und so perfekt geschminkt gesehen, dass sie wie ein Topmodel aussah, doch so fand er sie viel verführerischer, sinnlicher und … na ja, alles eben.

„Du bist eine seltsame Frau, Rachel Merriday. Ich liefere mich deiner Gnade aus, und du verlangst nicht mehr von mir als ein Abendessen?“

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte sie, legte sich auf den Rücken und streckte die Beine im Schnee aus. „Aber das wäre schon mal ein Anfang.“

Er legte sich neben sie. Ihm war kalt, und er war hungrig und erschöpft. Warmes Essen und eine heiße Dusche wären jetzt genau das Richtige, aber ansonsten fühlte er sich pudelwohl. Ausgezeichnet sogar. So gut, wie man sich immer fühlte, wenn man richtig ausgiebig draußen gespielt hatte. Kinder kannten dieses Gefühl, aber Cole hatte es schon lange nicht mehr gehabt.

Viel zu lange. Deshalb wollte er diesen Augenblick auch noch ein bisschen länger genießen.

„Ich weiß nicht“, sagte er gedehnt. „Du hast mir versprochen zu kochen. Ich finde, eine Frau sollte zu ihrem Wort stehen.“

Sie stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Ich dachte, du hast dich meiner Gnade ausgeliefert?“

Ihre Worte weckten ganz neue Fantasien in ihm, viel heißere als nur ein Abendessen, aber er schwieg. Dieser Tag war so entspannt und unbeschwert gewesen. Er wollte die gute Stimmung nicht ruinieren.

Er reckte die Arme über den Kopf und füllte die Hände mit Schnee. Rasch rollte er sich auf die Seite und dann … stoppte er und beobachtete Rachel fasziniert. Sie lag völlig entspannt da, die Augen geschlossen, und atmete ruhig und gleichmäßig. Er verspürte plötzlich einen so starken Impuls, sie zu küssen, dass ihm keine Gegenargumente mehr einfielen.

Manche Dinge konnte man eben nicht definieren. Manche Dinge – so wie sein Verlangen nach Rachel in diesem Augenblick – ließen sich weder leugnen noch erklären. Sie waren einfach da. Also beugte er sich über sie. Und dann noch ein Stück dichter. So dicht, dass er ihre Wimpern hätte zählen können, wenn er gewollt hätte.

Aber er hatte etwas ganz anderes im Sinn … und hätte es vielleicht sogar getan, wenn sie nicht plötzlich die Augen aufgeschlagen hätte.

Er erstarrte, als er ihren überraschten Blick sah … und noch etwas, das er nicht deuten konnte. Verlangen? Aber wenn er sie jetzt küsste, würde er vielleicht alles kaputtmachen.

Also tat er das, was er ursprünglich hatte tun wollen, und warf ihr den Schnee in seiner Hand ins Gesicht. „Erwischt“, rief er betont fröhlich. „Ich kann dich doch nicht einfach einschlafen lassen, nachdem du mir ein Essen versprochen hast.“

„Unfassbar!“ Blinzelnd spuckte sie den Schnee aus. „Weißt du was? Du bist ein ganz mieser Verlierer, Cole Foster!“

Lächelnd ließ er weiter Schnee auf sie rieseln und stand auf. „Ich bin vor allem hungrig und nass, und mir ist kalt.“ Er griff nach ihrer Hand und zog sie hoch. „Lass uns gehen.“

„Na schön, ich koche!“, schnaubte sie. „Und während ich das tue, wirst du Mary anrufen.“

Verdammt! Was jetzt?

Anderthalb Stunden später, nach einem raschen Abstecher zum Supermarkt und nachdem Rachel geduscht und sich von Cole ein T-Shirt und eine Jogginghose geliehen hatte – beide übergroß –, hatte sie Wort gehalten und Tomatensuppe und Sandwiches mit gegrilltem Käse und Schinken zubereitet. Cole machte dafür hinterher die Küche sauber.

Müde und verwirrt rieb sie sich das Gesicht. Sie musste wieder an jenen Augenblick denken, als sie entspannt und zufrieden im Schnee lag … und plötzlich ein ganz seltsames Gefühl über sie kam … und eine Gänsehaut.

Sie hatte die Augen aufgeschlagen und ihn gesehen … ganz dicht über sie gebeugt.

In diesem Augenblick hätte sie schwören können, dass er sie küssen wollte. Himmel, sie hatte es sich sogar gewünscht. Doch stattdessen hatte er ihr Schnee ins Gesicht geworfen und dabei tief und heiser gelacht. Und einfach so war der Zauber vorbei gewesen, und sie waren – wieder einmal – nichts weiter als Freunde, die etwas Spaß hatten.

Rachel seufzte niedergeschlagen.

„Du bist ja so still“, sagte Cole und hängte das Küchenhandtuch über den Rand der Spüle.

„Ich denke nur nach“, antwortete sie gähnend.

„Worüber?“ Er kehrte zum Tisch zurück, setzte sich und verschränkte die Arme hinterm Kopf, wobei sich sein Hemd über seiner Brust spannte und seine harten Muskeln betonte. Es fiel Rachel schwer, nicht hinzusehen.

Oder sich nicht vorzustellen, wie sie ihm das Hemd vom Körper riss und ihn ins Schlafzimmer zerrte. Oh Gott, wie unpassend! „Über die Geschenke, die wir noch kaufen müssen“, antwortete sie. Sie hatte Cole noch mal gebeten, Mary anzurufen, doch er hatte sich geweigert, um den Frauen ein „unangenehmes“ und „peinliches“ Gespräch zu ersparen.

Oh ja, hier stimmte etwas nicht. Und zwar ganz gewaltig!

„Das ist bestimmt im Nu erledigt“, erklärte Cole. „Und falls uns nichts einfällt, können wir ja immer noch den Staubsauger kaufen.“

Sie schnaubte verächtlich. „Nur zu. Und wenn du schon mal dabei bist … hey, ich hab’s! Wie wär’s mit einer Nähmaschine, damit sie deine zerrissenen Hemden flicken kann?“

Über sein Gesicht breitete sich jenes alberne Grinsen, das sie so liebte. „Mary näht nicht, aber hey, klasse Idee.“

Ihr Bauchgefühl, dass Mary gar nicht existierte, verstärkte sich. „Hast du irgendwo ein Stück Papier und einen Stift? Ich möchte gern eine Liste mit allem machen, was wir schon besorgt haben. Vielleicht hilft mir das ja dabei, ein besseres Gefühl für sie zu bekommen.“

Amüsiert hob Cole eine Augenbraue, widersprach jedoch nicht. Er verließ die Küche und kehrte kurz darauf mit einem Block und einem Kugelschreiber zurück.

„Danke“, sagte sie und klappte den Block auf.

„Gern geschehen.“ Anstatt sich wieder ihr gegenüber hinzusetzen, nahm er direkt neben ihr Platz. So dicht, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. „Lass uns doch einfach wieder durch die Läden bummeln, Rach. Wir brauchen keine Liste.“

„Pst! Du vielleicht nicht, aber ich.“

Sie schrieb die Ziffern von eins bis zehn untereinander und neben die ersten fünf die bereits besorgten Geschenke. Neben jedes notierte sie den Grund für den Kauf.

Als sie fertig war, hatte sie:

Schneekugel – steht dafür, wo/wann sie sich kennengelernt haben (in Freien im Winter)

Fotoalbum – um Fotos ihrer bisherigen gemeinsamen Reise einzukleben (sie lernten sich als Kinder kennen)

Kamera – um mehr Erinnerungen zu schaffen

Mein Parfum – weil er den Duft mag/nicht weiß, was Mary benutzt

Taschenlampe – ???

Rachel las die Liste zwei Mal durch, schloss die Augen und las sie noch mal. Sie rekapitulierte alles, was seit ihrer Ankunft in Steamboat Springs passiert war, und zwar von dem Moment an, als Andrew und sie die Beanery betreten hatten.

Coles überraschende Erklärung, dass er eine Freundin hatte. Seine verrückte Idee, dass Rachel ihm dabei helfen sollte, Cupcake den Hof zu machen – einer Frau, deren Vornamen er nicht verraten wollte.

Was noch? Margaret Fosters offensichtliche Freude über Coles Freundin, die im Widerspruch zu Lolas Aussage stand, dass er keine Freundin hatte. Die Vase. Coles Worte über Rachels Augen, ihre Entscheidung, sie zu kaufen, und Coles Reaktion darauf.

Eine Szene nach der anderen spulte sich vor ihrem inneren Auge ab – jeder Augenblick, jedes Gespräch, jedes Ausweichen seinerseits auf ihre Fragen, jeder seltsame Blick, jedes unterdrückte Lachen, ihr absurdes Winterpicknick auf dem Schulhof, die Art, wie er … Oh!

Scharf einatmend las sie die Liste ein viertes Mal.

Oh, dieser gerissene Teufel! Die Schneekugel stand für seine und Cupcakes erste Begegnung, oder? Tja, Rachel hatte Cole im Winter kennengelernt, draußen auf dem Schulhof. Und kein Mann, der halbwegs bei Verstand war, kaufte der Frau, die er liebte, das Parfum einer anderen Frau. Rachels Parfum.

„Mal eine Frage“, sagte sie leise. „Was ist an einer Taschenlampe romantisch?“

„Ganz einfach. Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass sie nachts allein Auto fährt. Die Taschenlampe ist nicht nur nützlich, sondern auch ganz schön schwer. Mary kann sie dazu nutzen, sie einem Typen über den Kopf zu hauen, falls es mal brenzlig wird.“ Er zögerte einen Moment, bevor er hinzufügte: „Ich will eben für ihre Sicherheit sorgen.“

Praktisch und romantisch.

Rachel hatte plötzlich einen Kloß im Hals.

Konnte es sein, dass sie Mary war? Könnte sie … Aber wenn Cole sie liebte und ihr den Hof machen wollte, warum sagte er ihr das nicht einfach? Wollte er sie eifersüchtig machen oder …?

„Andrew“, flüsterte sie. Sie hatte Cole erst eine Woche vor ihrer Ankunft von Andrew erzählt – erst als feststand, dass er mitkommen würde. Warum hatte sie so lange damit gewartet? Weil … sie noch nicht gewusst hatte, ob die Beziehung zu Andrew bedeutsam genug war, um sie zu erwähnen? Oder weil sie sich insgeheim Hoffnungen auf Cole gemacht hatte – Hoffnungen, die ihr noch nicht mal bewusst gewesen waren?

Wahrscheinlich beides.

„Andrew? Willst du ihn anrufen?“, riss Cole sie aus ihren Gedanken. „Nur zu, Rach. Ich stecke solange unsere nassen Sachen in den Trockner. Dann hast du etwas Privatsphäre.“

Sie nickte schwach, als er aufstand und ging. Sie konnte sich natürlich irren. Vielleicht war das alles nichts weiter als Wunschdenken. Aber falls nicht … War es tatsächlich möglich, dass Cole sich aus Eifersucht eine falsche Freundin ausgedacht hatte? Und falls ja, was hatte er damit bezwecken wollen?

Sie betrachtete wieder die Liste. Was sollte sie jetzt nur tun? Ihn einfach fragen, ob sie recht hatte? Ihn mit ihrem Verdacht konfrontieren?

Die Idee war ziemlich verlockend. Aber … was war, wenn sie sich irrte?

Könnte sie dann mit seiner Reaktion umgehen? Wahrscheinlich schon, so demütigend und schrecklich das auch wäre. Sie konnte seinen schockierten und mitleidsvollen Gesichtsausdruck förmlich vor sich sehen. Sie würde wie eine liebeskranke Idiotin dastehen. Wie eine durchgeknallte Irre. Oh Gott …

Aber … was war, wenn sie recht hatte? Was hielt sie dann noch zurück?

Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie konnte den Spieß auch einfach umdrehen und ebenfalls ein falsches Spiel mit Cole spielen … ihm genauso etwas vormachen wie er ihr. Sich ein bisschen an ihm rächen.

Sie liebte ihn, ja, das wusste sie inzwischen ohne jeden Zweifel. Aber es war unfair von ihm, mit ihren Gefühlen zu spielen. Und verkehrt. Und falls er sie tatsächlich liebte – falls ihre Hoffnungen berechtigt waren –, musste sie dafür sorgen, dass er nie wieder so etwas mit ihr machte. Sie musste sich vergewissern, dass er ihr vertraute, dass er ihnen vertraute und in Zukunft offen mit ihr umging, anstatt sie zu täuschen.

Und natürlich würde es ihr auch ein bisschen Spaß machen, ihm eine Lektion zu erteilen.

Bei der Vorstellung entschlüpfte ihr ein Kichern. Oh ja, sie würde ihren Spaß haben. Jede Menge Spaß sogar! Er würde sich noch wundern. Und schon bald wieder um Gnade flehen, so wie vorhin bei der Schneeballschlacht.

Doch diesmal würde die Schlacht nicht damit enden, dass sie Schnee ins Gesicht bekam. Diesmal würde sie ihren lang verdienten Kuss bekommen … und wenn sie Glück hatte, noch viel mehr.

Cole hatte die Nase voll von Menschenmassen, überheizten Läden, übereifrigen Verkäufern und dem endlosen Weihnachtsgedudel. Ganz zu schweigen davon, dass sie eine Ewigkeit gebraucht hatten, einen Parkplatz zu finden. Blödes Einkaufszentrum!

Doch Rachel hatte darauf bestanden hinzufahren, da sie schon in jedem Laden in der Stadt waren und es Zeit wurde, ihr Jagdrevier zu vergrößern. Cole hatte nachgegeben, was er inzwischen zutiefst bereute.

Vor allem in dieser Umgebung.

„Ich weiß nicht, ob das das Richtige ist“, sagte er skeptisch und ließ das rote Seidennegligee, das Rachel ihm gerade zeigte, durch seine Finger gleiten. „Hassen Frauen nicht solche Geschenke? Ich meine, ist das nicht eher etwas für mich als für sie?“

„Das gilt nur für Idioten, und du bist keiner.“ Rachel ließ das Negligee vor ihm hin und her baumeln. „Stell dir doch nur mal Mary darin vor, Cole. Würde sie nicht wunderschön aussehen?“

Cole schluckte. Sich Rachel in diesem Teil vorzustellen, war keine gute Idee. Schon gar nicht hier in der Öffentlichkeit. „Sie wäre … unwiderstehlich.“

„Gut.“ Rachel nickte zufrieden. „Und jetzt stell dir vor, was du alles mit ihr anstellen würdest, damit sie sich darin auch unwiderstehlich fühlt. Glaub mir, damit wirst du sie sehr glücklich machen.“

Cole zerrte am Kragen seines Hemdes, der aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen immer enger zu werden schien. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. „Ganz schön heiß hier drin, findest du nicht?“, krächzte er.

„Ach ja?“, fragte sie zuckersüß. „Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Sie hielt sich das Negligee vor den Körper. „Vielleicht sollte ich es mal anprobieren, um dir eine bessere Vorstellung zu verschaffen, wie es an einer Frau aussieht. Würde dir das helfen?“

„Nein!“, rief er so laut, dass sich mehrere Kunden nach ihm umdrehten. Er ignorierte sie und versuchte, seine Lust unter Kontrolle zu bringen. „Das ist völlig überflüssig. Ich … ich verstehe auch so, was du mir sagen willst.“ Seine Stimme klang genauso angespannt, wie sich seine Hose gerade im Schritt anfühlte. „Ich würde lieber etwas anderes kaufen.“

Rachel sah ihn tief enttäuscht an. „Bist du sicher?“

Cole ging etwas in die Knie. Nicht auffällig, aber genug, um sich Erleichterung zu verschaffen. Leider half ihm das auch nicht weiter. „Absolut sicher.“

„Tja, du musst es ja wissen.“ Sie hängte das verdammte Negligee zurück, doch dann zögerte sie einen Moment und hob den Blick zu Cole. Ihre Augen funkelten durchtrieben. „Ehrlich gesagt“, sagte sie gedehnt, „werde ich es doch anprobieren.“

„Nein, Rach! Das ist nicht nötig, denn ich werde es nicht kaufen. Mary würde es nicht … ich … lass es einfach bleiben!“

„Aber ich probiere es doch nicht für dich an, du Dummerchen. Für mich.“ Ihr Lächeln vertiefte sich, und sie klimperte verführerisch mit den Wimpern. „Und für den Mann in meinem Leben.“ Sie griff wieder nach dem Negligee und hielt es sich vor den Körper. „Wenn du dieser Mann wärst, und ich würde darin die Treppe runterkommen, würdest du dann …?“

„Ich nehme es!“, fiel Cole ihr hastig ins Wort. Gott stehe ihm bei, aber die Vorstellung, dass die Frau, die er liebte, sich Andrew in diesem sexy Outfit präsentierte, war unerträglich. Auf keinen Fall würde sie dieses Ding hier in seiner Gegenwart für einen anderen Mann kaufen! Nur über seine Leiche!

„Ich dachte, du willst es gar nicht?“

„Stimmt, aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, finde ich, dass du recht hast.“ Er entriss Rachel das rote Negligee. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn. „Ich geh mal eben zur Kasse, und dann verschwinden wir von hier.“

Sie legte den Kopf schief und musterte ihn eindringlich. Vermutlich fragte sie sich, was in ihn gefahren war. „Nicht so schnell, mein Lieber! Ich will mich noch etwas umsehen. Aber stell dich ruhig schon mal an.“

Na toll! Bei seinem Glück würde sie sich bestimmt in ein noch knapperes Teil vergucken und darauf bestehen, es anzuprobieren! Ein Gefühl der Verzweiflung überwältigte ihn. Er wollte einfach nur noch weg. Je eher, desto besser. Doch stattdessen hörte er sich sagen: „Klar. Kein Problem. Ganz wie du willst.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn flüchtig auf eine Wange. Ekelhaft keusch geradezu. „Danke, Cole. Ich will, dass dieses Weihnachtsfest für meinen Liebsten etwas ganz Besonderes wird.“ Sie warf sich das lange blonde Haar über die Schultern. „Und vor allem heiß“, flüsterte sie ihm in ein Ohr. Sie trat einen Schritt zurück, zwinkerte ihm zu und durchquerte mit schwingenden Hüften den Laden.

Verdammt! Gestern hatte er fast den Eindruck gehabt, dass sein Plan aufging, doch inzwischen hatte er da so seine Zweifel. Nachdenklich stellte er sich in die Schlange vor der Kasse. Vielleicht war das Ganze doch ein Riesenfehler. Während er so tat, als sei er in eine andere verliebt, verliebte Rachel sich vielleicht gerade richtig in Andrew.

Dank des Theaters, das er aufführte.

Oder trotz diesem?

Cole schüttelte enttäuscht den Kopf. Sollte er einen Rückzieher machen? Das Ganze lief allmählich aus dem Ruder. Jedes Mal, wenn Rachel ihm eine Frage zu „Mary“ stellte, musste er entweder lügen, ihr ausweichen oder sich eine kreative Antwort einfallen lassen. Was im Grunde das Gleiche war wie eine Lüge.

Und er hasste es zu lügen. Schon gar nicht Rachel gegenüber.

Andererseits war er noch nicht bereit aufzugeben, auch wenn das vernünftiger wäre. Er hatte Rachel noch nicht sagen hören, dass sie Andrew liebte.

Schon allein bei der Vorstellung wurde ihm schlecht.

Nachdem Cole das Negligee bezahlt hatte, beschloss er, sein schon längst überfälliges Gespräch mit Rachel zu führen. Er hätte das schon gestern tun sollen, aber der Tag war so schön gewesen, dass er ihn nicht hatte versauen wollen.

Oder war er einfach nur ein Feigling?

Kurz vor der Tür tippte ihm eine Verkäuferin auf den Arm. Instinktiv tastete er nach seiner Brieftasche. Hatte er sie womöglich an der Kasse liegen lassen? „Ja?“

„Entschuldigen Sie bitte, aber heißen Sie Cole?“

„Ja, das bin ich.“ Gott sei Dank, seine Brieftasche befand sich dort, wo sie hingehörte.

„Ihre Freundin hat mich gebeten, Ihnen Bescheid zu sagen.“ Sie nickte in Richtung Umkleidekabinen. „Sie hat etwas gefunden und will Ihre Meinung dazu hören.“

„Na toll“, murmelte Cole genervt und ging zurück in den Laden. Irgendwie hatte er das ungute Gefühl, dass Rachel ihm etwas zeigen wollte, das er lieber nicht sehen sollte. Zumindest nicht, wenn es „heiß“ war.

Aber er konnte sie schlecht im Stich lassen, oder?

Seufzend ging er zu den Umkleidekabinen, wusste jedoch nicht, in welcher sie sich befand. „Rachel?“, rief er leise, wobei er sich total albern vorkam. „Wo steckst du?“

„Hier.“ Sie streckte ihren blonden Schopf aus einer Tür. „Komm doch mal kurz her.“

„Bist du sicher? Ich weiß nicht, Rach …“

„Jetzt komm schon. Lieber Gott!“

Wieder blieben ein paar Kunden stehen und sahen zwischen ihm und Rachel hin und her, die meisten amüsiert.

Toll. Was für ein Spaß!

Cole zögerte immer noch, innerlich hin- und hergerissen. Klar würde er Rachel unter normalen Umständen in was auch immer sie anhatte sehen wollen. Wie auch nicht? Aber sie hatte ihm quasi gerade gesteckt, dass sie Andrew Weihnachten verführen wollte. Beides zusammen war eine tödliche Kombination.

Cole befahl sich, sich zusammenzureißen. Er hatte schon Schlimmeres überstanden, oder etwa nicht? Den Unfall zum Beispiel. Die Operationen und die endlose Reha waren die Hölle gewesen. Die nächsten Minuten konnten auch nicht schlimmer werden.

Er blieb vor der inzwischen wieder geschlossenen Tür der Umkleidekabine stehen und klopfte zögernd. Rachel zog ihn so schnell hinein, dass er kaum wusste, wie ihm geschah. Verdammt, durfte er überhaupt hier sein? Es gab doch bestimmt Vorschriften und …

Plötzlich war sein Kopf wie leer.

„Was sagst du dazu?“, fragte sie und drehte sich vor ihm im Kreis. „Ist das scharf genug oder nicht?“

„Hm.“ Cole hüstelte und schloss gequält die Augen. Leider funktionierte der Trick nicht. Er konnte Rachel immer noch vor seinem inneren Auge sehen. Vermutlich würde ihr Anblick für immer in seinem Gedächtnis eingebrannt bleiben. „Ich … äh … sollte vermutlich gar nicht hier sein.“

„Ach, ist schon okay.“

„Trotzdem … das … äh …“ Stumm sagte er sich das Alphabet auf. Ja, alle Buchstaben waren noch da. Anscheinend hatte er nur die Fähigkeit verloren, sie sinnvoll zu Worten zu kombinieren. Rückwärts wich er zur Tür zurück. Mit noch immer geschlossenen Augen tastete er nach dem Türknauf. „Das ist keine gute Idee“, murmelte er.

„Aber, aber, Cole Foster, ist dir das etwa peinlich?“ Kehlig lachend strich sie ihm mit einem Finger über das Gesicht. „Sei nicht albern. Wie willst du mir deine Meinung sagen, wenn du nicht hinsiehst? Und ich brauche deine Meinung.“

„Du … äh …“ Wenn er jetzt die Augen aufschlug, konnte er für nichts mehr garantieren. „Haley“, krächzte er. „Ruf Haley an. Sie … äh, liebt Kleidung.“

„Aber du bist gerade hier, und du bist mein bester Freund.“ Ein weiteres kehliges Lachen trieb seine Lust in ungeahnte Höhen. „Freunde für immer, stimmt’s?“

Cole nickte schluckend. Er wusste, dass er sich gerade wie ein Idiot benahm, aber er konnte einfach nicht anders. Und da Rachel mit einem anderen zusammen war, blieb ihm nur die Flucht übrig, bevor er womöglich noch seinen Trieben nachgab.

Vorsichtig öffnete er die Tür. Er würde einfach nach draußen gehen und vor dem Laden warten. Wenn Rachel dann rauskam – vermutlich stinksauer –, würde er sich zumindest wieder unter Kontrolle haben.

Doch kaum war ihm dieser rettende Einfall durch den Kopf geschossen, spürte er plötzlich einen warmen Körper – Rachels warmen Körper – an seinem und hörte, wie sie die Tür schloss. Unter anderen Umständen wäre das hier die Erfüllung einer Männerfantasie.

Leider nicht unter diesen.

„Oh nein, das lässt du schön bleiben“, schnurrte sie, die Lippen an seinem Ohr, sodass er ihren heißen Atem spüren konnte. „Ich habe dir zwei Tage lang geholfen, und du willst mir noch nicht mal diesen kleinen Gefallen tun?“

„Ich … Andrew hätte bestimmt etwas dagegen. Er ist doch so eifersüchtig.“ Das war Cole zwar völlig schnuppe, aber ihm fiel gerade nichts Besseres ein.

„Andrew hat kein Problem mehr mit unserer Freundschaft“, flötete sie, die Lippen noch immer gefährlich dicht an seinen. „Das habe ich dir doch schon gesagt, weißt du noch?“

„Äh …“ Na toll. Anscheinend konnte er heute nur noch Grunzlaute von sich geben.

„Lieb von dir, an Andrew zu denken, aber völlig überflüssig.“ Ihre Wärme, ihr Atem, ihre Lippen verschwanden, als sie einen Schritt zurücktrat. „Er weiß, welche Art Beziehung wir haben. Ganz genau sogar.“

Mir würde das hier an seiner Stelle jedenfalls nicht gefallen“, griff Cole nach dem letzten rettenden Strohhalm.

„Aber du bist nicht an seiner Stelle.“ Sie seufzte ungeduldig. „Nun öffne schon endlich die Augen und sag mir deine Meinung, damit wir hier fertig werden.“

Anscheinend gab es kein Entrinnen. Cole holte tief Luft, stellte sich eine kalte Dusche vor, ballte die Hände zu Fäusten und … schlug die Augen auf.

Wieder drehte sie sich um sich selbst. „Na? Was sagst du?“

Das Blut schoss ihm ins Gesicht. Er presste sich gegen die Tür. „Du siehst wunderschön aus, Rach“, sagte er heiser, ohne den Blick von ihr losreißen zu können.

Was sie sich ausgesucht hatte, war kein Negligee, sondern ein langes, ärmelloses Nachthemd aus schwerer mitternachtsblauer Seide. Der Ausschnitt ging ihr fast bis zum Bauchnabel und erlaubte einen Blick auf ihre verführerisch helle Haut, die ihn an Mondlicht erinnerte.

Es war jedoch die Rückenansicht, die ihm gänzlich den Atem verschlug. Das Nachthemd war rückenfrei, und vom Nacken bis zum Po-Ansatz sah Cole nichts als nackte Haut.

„Sie gehört mir“, meldete sich der Steinzeitmann in ihm zu Wort. Sie. Gehört. Mir!

Rachel war sich seines Zustands anscheinend nicht bewusst – oder wie sehr sie gerade mit dem Feuer spielte –, als sie sich mit einer Hand durchs Haar fuhr, mit den Wimpern klimperte und eine aufreizende Pose einnahm. „Meinst du, damit komme ich zum Ziel?“, flötete sie. „Oder soll ich mich nach etwas anderem umschauen?“

Das Nachthemd war wie geschaffen für Rachel.

Eifersucht verdrängte Coles Verlangen. Und Wut auf sich selbst stieg in ihm auf – auf diese ganze verdammte Situation, die er selbst herbeigeführt hatte. Trotzdem gab es nur eine Antwort: „Kauf es, Rach“, knurrte er. „Andrew wird vor dir auf die Knie sinken.“

Strahlend lehnte sie sich an ihn, sodass ihm keine andere Wahl blieb, als sie in die Arme zu nehmen. „Danke dafür, dass du ein so guter Freund bist“, sagte sie. „Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde.“

„Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich werde immer für dich da sein.“

Er atmete ihren Duft ein, jenen würzig-fruchtigen Duft, der so typisch für sie war, und unterdrückte den fast überwältigenden Impuls, die Finger unter den mitternachtsblauen Stoff des Nachthemds gleiten zu lassen, um ihre nackte Haut zu streicheln. Sie zu berühren, bis sie lustvoll seinen Namen stöhnte.

Es wäre so einfach. Er spürte ihren warmen Körper an seinem, ihr weiches Haar an seinem Gesicht, und hörte ihren Atem … alles an diesem Augenblick, an ihr, drängte ihn dazu, die Initiative zu ergreifen.

Aber er konnte und wollte nicht. Es sei denn … „Liebst du ihn?“

„Ja“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. „Das tue ich.“

Er seufzte niedergeschlagen und küsste sie auf den Kopf. Für einen kurzen herzzerreißenden Moment drückte er sie an sich und ließ sie dann wieder los – buchstäblich und im übertragenen Sinne.

8. KAPITEL

Den Donnerstagvormittag verbrachte Rachel mehrere Stunden damit, das Haus für die Ankunft ihrer Mutter am Nachmittag vorzubereiten. Sie hätte auch die Reinigungsfirma anrufen können, die ihre Eltern beauftragten, aber sie mochte Hausarbeit. Zumindest Staub wischen, saugen oder Wäsche zusammenlegen. Die Art Beschäftigung eben, die es ihr erlaubte, ihre Gedanken schweifen zu lassen, Probleme zu lösen … und sich Fantasien über einen gewissen Mann hinzugeben.

Oder vielmehr Fantasien über das, was zwei Tage zuvor in der Umkleidekabine hätte geschehen können, wenn sie beide nicht ihre albernen Spielchen spielen würden. Verrückt, das alles!

Ihre Haut kribbelte immer noch bei der Erinnerung daran, wie intensiv und hungrig Cole sie angesehen hatte. Sein Blick hatte sie von Kopf bis Fuß in Flammen versetzt. Er hatte sie genauso heftig begehrt wie sie ihn, und diese Gewissheit hatte sie kühn gemacht.

Fast kühn genug, um ihm reinen Wein einzuschenken – ihm zu sagen, dass mit Andrew Schluss war und er sowieso nie eine Rolle in ihrem Leben gespielt hatte. Dass sie Cole liebte, wusste, was für ein Spiel er spielte, und sie den Spieß einfach für eine Weile umgedreht hatte.

Doch es war ihr wichtig, dass Cole als Erster das Schweigen brach. Sie wollte aus seinem Munde hören, dass sie Mary war und er sie liebte. Sie wusste nicht, ob das romantisch, albern oder stolz von ihr war oder alles zusammen. Aber solange er sie weiter auf die Folter spannte, würde sie die Klappe halten und ihn ebenfalls quälen.

Bisher schien das ja ganz gut zu funktionieren.

Wenn dieses Fiasko eines Tages vorbei war, würden sie vielleicht in dieselbe Umkleidekabine zurückkehren und dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Leise und diskret natürlich.

Rachel überließ sich für eine Weile ihren Fantasien, bis sie lachen musste. Okay, wahrscheinlich würden sie das doch nicht tun, aber die Vorstellung war ziemlich prickelnd.

Nachdem Cole und sie den Dessousladen verlassen hatten, kaufte er überstürzt Pralinen, ein bedrucktes T-Shirt und eine Schachtel falscher, im Dunkeln leuchtender Herzchen-Tattoos, brachte Rachel zu ihrem Wagen, umarmte sie und murmelte etwas von einer kalten Dusche.

Ja, es war ihr in der Tat gelungen, ihn zu quälen. Aber sie war noch nicht fertig mit ihm. Das würde sie erst sein, wenn er die Nase voll hatte und ihr reinen Wein einschenkte. Und dann … na ja, dann würde sie nicht zögern, ihm ihre Gefühle zu gestehen.

Der Grinch war zurück – miesepetriger, grimmiger und unglücklicher denn je.

Cole ging in seiner Küche auf und ab und ignorierte den Stapel Geschenke auf seinem Tisch. Er wusste selbst nicht, warum er die Sachen rausgeholt und sogar eingepackt hatte, obwohl das total überflüssig war.

Wem sollte er sie jetzt noch schenken?

Niemandem. Vermutlich konnte er sie zurückbringen, aber das brachte er nicht übers Herz. So dämlich und verrückt das auch war – diese Geschenke repräsentierten seine Hoffnung und seinen Glauben an eine Zukunft, aus der nun nichts werden würde. Sie zurückzubringen, wäre gleichbedeutend damit, Rachel für immer aus seinem Leben zu verbannen, und das würde er nicht tun. Niemals. Das brachte er einfach nicht fertig.

Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, Rachel für immer zu verlieren.

Sie mussten eben Freunde bleiben. Er war daran gewöhnt, diese Rolle in ihrem Leben zu spielen, und würde sich schon wieder damit abfinden, wenn sie erst mal nach New York zurückgekehrt war und sich der Kontakt zwischen ihnen auf Nachrichten und Telefon beschränkte. Das Ganze kam ihm nur deshalb so unvorstellbar vor, weil Rachel in Steamboat Springs war und ihm gerade bestätigt hatte, dass ihr Herz einem anderen gehörte. Der Schmerz war einfach noch zu frisch.

Deshalb hatte er sie heute auch angelogen. Er hatte ihr gesagt, dass er den ganzen Tag im Laden arbeiten müsse, obwohl er dort erst nachmittags gebraucht wurde. Gestern hatte er den gleichen Grund genannt und abends ein Date mit Mary vorgeschoben. Was für ein Witz!

Morgen würde er Rachel jedoch sehen. Als sie ihn um ein Treffen gebeten hatte, hatte er nicht schon wieder unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand absagen wollen.

Cole betrat das zweite Schlafzimmer seiner Wohnung und nahm einen Bücherkarton aus dem Schrank. Ohne darüber nachzudenken, was er tat, räumte er ihn leer und trug ihn in die Küche. Sorgfältig verstaute er die Geschenke darin, die er mit Rachel in seinen Gedanken und seinem Herzen gekauft hatte, und klebte ihn zu. Danach stieß er einen saftigen Fluch aus.

Er hatte eine verdammte – wie sagten die jungen Mädchen dazu? – Erinnerungskiste gemacht. Toll. Einfach toll! Angewidert von sich selbst stellte er den Karton in den Schrank zurück. Eines Tages würde er sich vielleicht dazu überwinden können, ihn wegzuwerfen.

Doch vorerst blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in das Bett zu legen, das er sich selbst gemacht hatte. Und das hieß, das Theater weiterzuspielen, bis Rachel abgereist war. Ein paar Wochen danach würde er ihr erzählen, dass seine Beziehung mit Mary vorbei war. Das schadete schließlich niemandem, oder? Außerdem hatte er das sowieso vorgehabt, falls die Dinge sich nicht wie erhofft entwickeln würden.

Zu blöd nur, dass er nicht ernsthaft mit dieser Option gerechnet hatte. Er hatte sich die ganze Zeit etwas vorgemacht!

Cole versetzte dem Karton einen wütenden Tritt und knallte die Schranktür. Es hatte sehr wohl jemand Schaden genommen! Er selbst. Aber das hatte er ganz allein sich selbst zuzuschreiben.

Jetzt blieb ihm nur noch eins übrig: dafür zu sorgen, dass Rachel ihre Haltung ihm und ihrer Freundschaft gegenüber nicht änderte. Dazu war sie ihm zu wichtig. Eines Tages, wenn er etwas mehr Abstand hatte, würden die Erinnerungen an die letzten Tage verblassen, und sein gebrochenes Herz würde heilen.

„Oh welch verworren Netz wir weben, wenn wir nach Trug und Täuschung streben.“ Sir Walter Scotts Worte über das Sich-Verfangen im eigenen Lügengespinst kreisten endlos in Coles Kopf wie ein dämlicher Ohrwurm. Natürlich hatte er das hier sich selbst zuzuschreiben – auch weil er Rachels Hilfsbereitschaft gewaltig unterschätzt hatte.

Wer hätte gedacht, dass sie so … begeistert bei der Sache sein würde?

Obwohl, damit hätte er rechnen können. Jeder Idiot wusste schließlich, dass der Mann bei einem richtigen Heiratsantrag ein ganz bestimmtes Schmuckstück in der schweißnassen Hand hält, wenn er vor der Angebeteten auf die Knie sinkt. Umso bedauerlicher, dass er Rachels Tatendrang nicht vorhergesehen hatte.

Eine halbe Stunde zuvor hatte er sich mit Rachel auf einen Kaffee in der Beanery getroffen und war in seiner Naivität davon ausgegangen, dass sie sich nur ein bisschen unterhalten und vielleicht einen Spaziergang machen würden, bevor sie zurück zu Andrew musste.

Er hatte sich gründlich geirrt.

Sie hatten tatsächlich Kaffee getrunken und waren spazieren gegangen. Unterwegs jedoch fragte Rachel ihn ganz beiläufig, wie er sich denn so seinen Antrag vorstellen würde. Mit einem letzten Funken Enthusiasmus murmelte er, dass er darüber noch gar nicht nachgedacht hatte.

Rachel hatte ihn daraufhin auf eine Art angesehen, die man nur als mitleidig bezeichnen konnte. Und ihn hierher gezerrt, in ein Juweliergeschäft. Um einen Verlobungsring für Mary zu kaufen. Schlimmer konnte es jetzt wirklich nicht mehr kommen!

Sein Vater hatte ihn gewarnt, das Spiel nicht zu weit zu treiben, und Cole war ziemlich sicher, dass das hier genau das war, was sein Dad gemeint hatte. Aber was sollte er dagegen tun?

Der Verkäufer, ein älterer Herr mit Halbglatze, führte Cole und Rachel zu einer Vitrine. „Ich habe auf Ihren Wunsch bei unserem gestrigen Telefonat ein paar sehr schöne Ringe zusammengestellt“, sagte er zu Rachel. „Wenn nichts Passendes dabei ist, haben wir natürlich noch weitere Optionen.“

Rachel hatte hier angerufen? Gestern? Cole erschauerte innerlich. Allerdings nicht vor Leidenschaft. Es wurde höchste Zeit, aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen!

„Danke“, sagte sie etwas geistesabwesend. „Wir finden bestimmt etwas Passendes.“

„Vielleicht sollte ich das lieber allein machen.“ Verzweiflung schwang in Coles Stimme mit. „Ein Verlobungsring sollte schließlich etwas Besonderes sein, etwas, das die … Liebe eines Paars besiegelt … etwas Persönliches.“ Er nickte, um seinen Worten hoffentlich mehr Nachdruck zu verleihen. „Ja. Ich glaube, es ist besser, wenn ich ein andermal zurückkomme. Allein.“

„Was stellst du dich denn schon wieder so an?“, protestierte Rachel. „Sieh dich doch einfach um, wenn du jetzt schon hier bist. Solltest du nichts finden oder mehr Zeit brauchen, können wir immer noch mal wiederkommen.“

Cole beschloss, ihrem Rat zu folgen. Er musste schließlich nichts kaufen. „Okay. Klingt vernünftig“, sagte er achselzuckend.

Der Verkäufer schloss strahlend die Vitrine auf. „Ich habe schon viele nervöse Männer durch diese Tür kommen sehen und kann Ihnen versichern, dass es den meisten viel besser geht, wenn ich ihnen geholfen habe, eine Entscheidung zu treffen.“

„Siehst du, Cole?“ Rachel drückte seine Hand, als wolle auch sie ihm ihre Unterstützung versichern. Aber abgesehen davon, dass sie darauf bestanden hatte, ihn hierher zu schleppen, war sie heute stiller als sonst. Irgendwie ernst und gedämpft. Vielleicht war sie müde?

Verschiedene Gründe dafür schossen ihm durch den Kopf – und bereiteten ihm prompt Magenschmerzen. Verdammt! Wenn sie sich Andrew in dem Nachthemd präsentiert hatte, dann …

Nein!

Darüber würde er jetzt nicht nachdenken.

Der Verkäufer zwinkerte ihnen verschwörerisch zu und nahm eine lange schwarze Samtrolle aus der Vitrine, auf der ein glitzernder Diamantring nach dem anderen aufgereiht war. „So. Und jetzt lassen Sie uns den Ring finden, bei dessen Anblick die Dame Ihres Herzens dahinschmelzen wird.“

Die nächste Dreiviertelstunde war eine Kombination aus schräg und unwirklich. Cole fühlte sich zwar nicht ganz so unwohl wie befürchtet, aber die Erklärungen zu jedem einzelnen Ring – von Klarheit, Schliff und Gewicht des Steins bis zu den verschiedenen Edelmetallausführungen der Fassung, Weißgold, Gelbgold, Platin oder Titan – machten ihn schwindlig.

Gott sei Dank schenkten Rachel und der Verkäufer ihm kaum Beachtung. Er brauchte nichts weiter zu tun, als einen Ring nach dem anderen zu begutachten und ab und zu ein „Ah“ oder „Hm“ oder „Oh“ einzuwerfen – eine Methode, die zu funktionieren schien. Niemand fragte Cole nach seiner Meinung oder bat ihn, sich einen Ring ein zweites Mal anzusehen. Rachel nervte ihn auch nicht mit Fragen, was Mary gefallen würde.

Unter den gegebenen Umständen lief es so gut wie irgend möglich, bis … bis der Verkäufer ihm den Ring reichte.

Rachels Ring.

Cole hatte plötzlich das Gefühl, dass die Welt stehen blieb und ihm Fanfaren in den Ohren dröhnten. Er war drauf und dran, sich hier und jetzt vor Rachel auf die Knie zu werfen und ihr einen Antrag zu machen. Gott steh ihm bei, bitte! Irgendwie gelang es ihm, seinen verrückten Impuls zu zügeln und sich den Ring einfach nur anzusehen. Diesen verdammten, perfekten Ring hier, in seinen Händen. Den Ring, den er sofort kaufen würde, wenn er Rachel einen Antrag machen würde, ganz egal wie teuer er war.

Diesmal hörte er Rachel und dem Verkäufer tatsächlich zu. Er hörte Worte wie „Art déco“, „hexagonal“, „handgeschmiedete Krone“, „Platinfassung“, „vintage“ und „eins Komma fünf Karat“.

Hm. Nichts davon sagte ihm etwas. Aber das war auch nicht wichtig. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass das hier der richtige Ring war. Alles andere war ihm egal.

Irgendwann hörten Rachel und der Verkäufer auf zu reden und warteten darauf, dass Cole einen seiner üblichen vagen und desinteressierten Kommentare abgab und den Ring zurückreichte.

Als nichts dergleichen passierte, lachte der andere Mann. „Das ist er, oder? Ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Eine gute Entscheidung, junger Mann. Jede Frau wäre stolz, diesen Ring zu tragen.“

Autor

Tracy Madison
Die preisgekrönte Schriftstellerin Tracy Madison ist in Ohio zu Hause, und ihre Tage sind gut gefüllt mit Liebe, Lachen und zahlreichen Tassen Kaffee ... Die Nächte verbringt sie oft schreibend am Computer, um ihren Figuren Leben einzuhauchen und ihnen ihr wohlverdientes Happy End zu bescheren. Übrigens bekommt Tracy Madison sehr...
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